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Marc Lelky

Traumwelt-Projekt 43

Gay/Bisexual Fantasy





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Erstes Buch: Das einsame Landhaus

 

Die Umgebung erscheint wie ein Landschaftsgemälde, und es fehlt an nichts – außer männlicher und vielleicht auch weiblicher Gesellschaft. Doch wer hat das inszeniert, und warum? Hat der attraktive, muskulöse und noch dazu süß lächelnde asiatische Mann etwas damit zu tun? Was ist am Abend davor geschehen, und wann wird die Erinnerung daran zurückkehren?

 

Kann eine innige Freundschaft zwischen zwei Männern funktionieren, wenn eine Frau dazwischenkommt? Was geschieht, wenn sich einer nicht wirklich für Frauen interessiert und der andere nicht ganz sicher ist?

 

1. Tag – Einsames Erwachen

 

Zehn Sekunden nach dem Aufwachen bemerkte ich, dass mir die Umgebung fremd war. Ich lag auf einem weichen Teppich auf dem Boden, zumindest fühlte er sich halbwegs bequem an. Wie ich dort hingekommen war, wusste ich nicht. Getrunken hatte ich nichts, oder glaubte ich zumindest. Ich schaute auf die Zimmerdecke, die Regale an den Wänden und eine Tür. Es war weder bei mir zuhause noch in irgendeiner Wohnung, die ich kannte. Fast fühlte es sich an wie … nach einer wilden Nacht, oder zumindest einem anregenden Abend. Nur war meine Erinnerung einfach ausgelöscht, wie ein verblasster Traum.

 

Von einem Fenster drang helles Licht herein. Ich stand langsam auf und schaute mich genauer um. Sah wie ein … Wohnzimmer aus, mit ein paar gestapelten Büchern, Zeitschriften und zerknüllter Wäsche. Dünne, vergilbte Gardinen verhüllten das Fenster. Zuerst erschien es mir eine Spur zu kühl, obwohl ich eine lange Hose trug. Es war aber gerade richtig, weder eiskalt noch heiß und schwül. Wie es sich im Mai ungefähr anfühlen sollte. Leichte Magenkrämpfe und ein erhöhter Puls kamen bei mir auf. Ich versuchte, einige Male tief durchzuatmen und ganz ruhig zu bleiben. Ein bisschen schien es zu funktionieren.

 

Ich ging zum Fenster, das aus einer einzigen dünnen Glasscheibe und einem einfachen Rahmen bestand, schob den Vorhang zur Seite und blickte in einen Garten. Das Gras war saftig grün und ziemlich hoch, eine Hecke versperrte den weiteren Blick nach vorne. Ich glaubte Vogelgezwitscher und leichtes Blätterrauschen zu hören, ansonsten war es still.

 

Der Raum hinter der Tür schien eine Art Küche zu sein. Wie beim anderen Zimmer bestanden die Wände aus beschichteten Holzplatten oder einem ähnlichen Material. Auf den ersten Blick sah alles zwar nicht sehr groß aus, doch es war umso mehr Ausstattung da. In diesem Raum führte eine schmale Treppe nach oben. Sie sah aus, als wäre sie erst vor kurzer Zeit aus Balken und Holzbrettern gebaut worden. Jemand wollte sie wohl streichen, hatte das jedoch bald aufgegeben.

 

Vor mir befand sich eine weitere Tür, an der ein altmodischer Schlüsselbund aus drei Schlüsseln steckte. Ich probierte ihn aus – offen. Ein leichter Luftzug wehte mir ins Gesicht, als ich im Freien unter einem kleinen Vordach stand. Ein Weg aus abgenutzten Betonplatten führte weiter geradeaus. Draußen konnte ich eine Landschaft aus Feldern oder Wiesen sehen, durch die hohe, nur bei der Gartentür unterbrochene Hecke. Ich drehte mich kurz vor dem Ende des Weges rasch um und erkannte, dass ich mich vor einem kleinen, frei stehenden Haus befand. Über dem niedrigerer aussehenden ersten Stock verfügte es über ein relativ flaches Dach. Vielleicht auch einen Dachboden, der gerade noch betreten werden konnte.

 

Draußen, außerhalb des Gartens, tat sich eine weite, grüne Hügellandschaft auf. Es gab keine anderen Häuser, keine Straßen, höchstens halb zugewachsene Feldwege. Niemand war da. Nur eine bis zum Horizont reichende grüne Weite, in der sich hohe Gräser im Wind bewegten. Dazwischen lagen kleine Waldstücke. Ein paar Vögel flogen vorbei. Ich konnte nicht genau erkennen welche, wahrscheinlich größere. Das Haus war kaum ein luxuriöses Landhaus, eher etwas zwischen einer Almhütte und einem Kleingartenhaus. Einfach und trotzdem eine feste Insel mitten im Nichts. Dennoch erschien mir der Garten mit seinen Hecken und Wegen beinahe wie ein kleiner Schlosspark, ohne dass ich noch die andere Seite gesehen hatte. Der Himmel zeigte sich sonnig, mit wenigen kleinen Wolken.

 

Ich versuchte alles zusammenzufassen. Wo ich und wie ich hier hergekommen war und warum, wusste ich nicht. Wer ich war, schon – 33, männlich, Mitteleuropäer, ahnungslos. Hatte ich doch irgendein schlimmes Zeug getrunken? Niemand bedrohte mich, alles um mich sah friedlich aus – aber was war das hier?

 

Entschlossen ging ich um das Haus herum und folgte einem Weg aus feinem Sand, der im Gras endete. In einer Ecke des Grundstücks ragte ein mehrere Meter langer Mast mit einer Metallkonstruktion in die Höhe. Konnte eine Antenne sein. Ich lief zum Eingang zurück, die Treppe hinauf, blickte kurz in die Räume, die da oben waren. Einen Dachboden gab es wirklich, allerdings waren keine Besonderheiten erkennbar. Es sah so aus, als ob der erste Stock genauso bewohnbar war, nur stapelte sich dort noch mehr Gerümpel.

 

„Hallo?“, rief ich, wieder unten, um gleich noch lauter „Hallo, ist da jemand?“ zu brüllen. Stille. Ich rannte hinaus, sah kurz in den Himmel mit seinen Wölkchen. Schaute in alle Richtungen und schrie ein weiteres Mal, während ich mich im Kreis drehte. „Hallo – jemand da?“. Fast hätte ich das Gleichgewicht verloren. Heiser und außer Atem hörte ich bald damit auf. Das hatte hier erst einmal keinen Zweck. Jemand anrufen ebenfalls nicht, nachdem sich das Handy vorhin von selbst abgeschaltet hatte und der Akku komplett leer war.

 

Die Umgebung erinnerte mich an eines dieser märchenhaften Landschaftsgemälde. Nur, warum konnte ich auf allen Seiten nichts als endlose hügelige Weiten sehen, wo anscheinend niemand da war? Mir kamen diese Reiseberichte aus Irland in den Sinn. Es musste Gegenden geben, wo kilometerweit um einen herum absolute Leere herrschte. Aber wann sollte ich dort hingekommen sein? Traum war es keiner, da war ich mir absolut sicher. Ich würde nicht auf einmal einen Atompilz am Horizont sehen und schweißgebadet aufwachen. Oder so etwas in der Art, redete ich mir zumindest ein.

 

* * *

 

In der Küche hatte ich Dosen mit verschiedenem Gemüse gefunden, und die Äpfel und Kartoffeln sahen ebenso nicht verdorben aus. Aus der Leitung floss Wasser und ich war mir zuerst unsicher, ob ich es trinken sollte. Zumindest wirkte es sehr klar und schmeckte nicht faulig oder salzig. Der Druck auf einen Schalter ließ kurz darauf eine Leuchtstoffröhre den Raum erhellen. Nach ein paar Bohnen mit Zitronensaft und noch etwas Umsehen war es schon sehr dämmrig. Trotzdem wollte ich ein Stück weiter vom Haus weggehen und mich umsehen. Hier erwartete ich so schnell nicht, dass jemand auftauchte. Meine lange Hose ließ ich lieber an, auch wenn ich wahrscheinlich eine kurze finden würde, die mir passte. Obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich sollte, sperrte ich das Haus ab und steckte den Schlüsselbund ein. Die Gartentür hingegen wirkte ohnehin eher symbolisch und verfügte nicht einmal über ein Schloss.

 

Ich spazierte den Weg entlang, der sich schnurgerade durch die Felder aus wilden Gräsern oder Getreide erstreckte. Es war ein Feldweg aus Erde, Sand und Kieselsteinen. Nach einer kleinen Bergkuppe entdeckte ich einen übermäßig großen Löwenzahn mitten auf dem Weg. Könnte einen halben Meter hoch gewesen sein.

 

Was mich zusammenzucken ließ, war das kleine Haus vielleicht hundert Meter vor mir. Bewohnt wirkte es nicht, war auch nicht beleuchtet. Eher kleiner und beinahe wie ein Nebengebäude von meinem. Trotzdem zögerte ich, weiterzugehen. Aber ich setzte die Erkundung fort, näherte mich. Nichts deutete darauf hin, dass hier jemand wohnte. Eher wirkte es leicht verfallen. Weit und breit war nur wenig zu bemerken, das nach Zivilisation aussah. Ich umrundete das Gebäude, schaute mich um, und die Haustür war – verschlossen. „Hallo, ist da jemand?“, brüllte ich, wartete eine Minute lang und überlegte, ob ich an der Tür rütteln sollte.

 

Lieber nicht – und ich ging zurück, bevor es zu dunkel wurde. Die Vögel von vorhin waren Krähen gewesen. Manche kamen näher und setzten sich neben den Weg. Auf einer Seite saß eine Saatkrähe, schwarz, und begann zu krähen. Die Nebelkrähe auf der anderen Seite, grau und schwarz, schien darauf zu antworten. Ob sich die beiden Arten verstanden? Sie sahen mich an, als ob sie mir noch etwas sagen wollten, bis sie zusammen mit den anderen weiterflogen.

 

* * *

 

In etwas, das ich für einen angebauten Geräteschuppen gehalten hatte, war eine Toilette. Eine improvisiert wirkende und dennoch ihren Zweck erfüllende Konstruktion. Am anderen Ende, getrennt durch eine Zwischenwand, befand sich ein an die ein mal zwei Meter großer Raum. Ein Druck auf einen Schalter hüllte ihn in schummriges Licht und ließ mich das oben montierte, durchlöcherte Rohr erkennen. Nach dem Drehen an einem Rad plätscherte sofort warmes Wasser heraus. Kurz überlegte ich, ob etwas kaputt oder vom Wasser durchnässt werden könnte, zog mich aus und legte meine Sachen draußen hin. Weil die Luft kühl geworden war, erfüllte mich die Dusche sofort mit neuem Leben. Ich dachte an einen irgendwo montierten Wassertank, der bald leer sein würde. Doch es floss weiter und der Druck wurde nicht weniger.

 

Meine Hand wurde unruhig. Ich brauchte es oder sehnte mich zumindest nach der Entspannung, die folgen würde. Sollte ich es mir lieber aufsparen, bis ich wieder drinnen sein und im Bett liegen würde? Aber das war nicht irgendeine Dusche. Sondern für mich eine Oase mitten in einer Welt, die ich nicht kannte und die nun in Dunkelheit getaucht war. Die Antwort meines Körpers fiel ziemlich eindeutig aus, langsam und dennoch stetig.

 

Eine Szene aus meinen Träumen der letzten Tage wurde zu einem Tagtraum, in dem ich über eine belebte Strand-Promenade in einem Fantasieland ging. Die Sonne schien und das Spiel hieß sehen und gesehen werden. Es war ein Mann, der seine Blicke nicht von mir lassen konnte und mit dem ich versuchte, ein paar Worte zu wechseln. Als wir uns auf einmal verstanden, obwohl seine Ausstrahlung schon alles gesagt hatte, war es Abend und wir beide allein. Langsam legte sich seine Hand auf mich. Nein, es war meine eigene und ich setzte den Traum fort.

 

Mit der linken Hand begann ich mich zu massieren. Das Streichen der Finger über meinen Oberkörper fühlte sich fast so an, als ob es jemand anders machen würde. Mit der rechten arbeitete ich mich weiter in Richtung Höhepunkt. Als meine Knie weich wurden, drückte ich mich gegen die Wand. Ich wollte einfach nur so richtig schön kommen. Es bis in die Zehenspitzen spüren, mitten im Nichts. Vielleicht lag es am Dampf, der mittlerweile den Raum erfüllte. Aber auch ohne ihn hätte ich nach Luft ringen müssen und meinen Herzschlag gespürt.

 

Knapp vor der Schwelle hörte ich auf, hielt mich noch zurück. Gedanken drängten sich in meinen Kopf, ob in dem anderen Haus nicht doch jemand gewesen sein könnte. Ich versuchte mich nicht davon irritierten zu lassen und tastete mich nochmals knapp an den Punkt heran. Beim dritten Mal war es zu viel. Ich machte mit aller Gewalt weiter, während ich abspritzen musste und sich für einen Moment der Geruch von Sperma mit dem Dampf vermischte. Ein Blitzschlag traf mich, zog sich durch meinen Körper. Ich sackte zusammen und setzte mich auf den Boden. Langsam wurde das von oben herabprasselnde Wasser kühler. Ich drehte das Rad zu und blieb sitzen. Es würde noch eine Weile dauern, bis die heißen Wolken durch den schmalen Spalt oben abzogen.

 

Im Freien fühlte es sich kühl an, und ich huschte zurück in das Haus. Weshalb gab es keinen direkten Zugang? Ich war froh, als ich die Haustür hinter mir schließen konnte und ein großes Badetuch zum Abtrocknen fand.

 

Das Bett in einer Ecke des Wohnzimmers wirkte recht gemütlich, nachdem ich das bisschen Gerümpel zur Seite geräumt hatte. Auch der Staub war bald abgeschüttelt. Kurz legte ich mich zur Probe hin. Es war zwar bequem, aber wirklich müde fühlte ich mich noch nicht. Wenn es Strom gab, müsste ich es doch schaffen, meinen Handy-Akku aufzuladen. Noch einmal wühlte ich mich durch die Schubladen und fand jene, in der ein Knäuel mit verschiedenen Kabeln und Netzteilen lag. Natürlich hatte der Stecker eine andere Form, so dass ich in der Küche nach einer Schere kramte. Ohne langes Überlegen isolierte ich die Enden eines der Kabel ab, hielt sie an den kleinen Anschluss und schloss den Netzstecker an. Zuerst tat sich nichts, dann folgte ein Knacksen und ein kleiner Funke.

 

Ich nahm den Akku heraus und versuchte, die Drähte direkt auf die viel einfacher zu erreichenden Kontakte zu halten. In einer Stellung Funken, in der anderen nichts. Notdürftig fuzzelte ich die Kabelenden um die Kontakte, legte den Akku wieder ein – und zehn Sekunden später leuchtete die Anzeige. Das Telefon lud sich auf, doch es wurde kein Netz angezeigt. Ich wählte den Euro-Notruf 112 – Fehlermeldung, bei 911 auch. Egal, ich legte es vorsichtig weg.

 

Wie oft sollte ich noch versuchen, auf diesem 1980er-Jahre-Radiorecorder mit den abnehmbaren Lautsprechern etwas außer Rauschen zu empfangen? Wahrscheinlich gab es noch Länder, in denen analoges Fernsehen gesendet wurde, das der uralte hier stehende Fernseher empfangen konnte. Doch entweder war er kaputt, oder es existierten hier ausschließlich digitale oder überhaupt keine Signale. Momentan hatte ich keine Lust mehr, wieder das Rauschmuster zu suchen, das fast nach regelmäßigen Streifen aussah.

 

Ich kroch unter die Decke und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Was in den Stunden vor meinem Aufwachen in diesem Haus passiert war, wusste ich sowieso nicht. Das letzte Ereignis, an das ich mich erinnern konnte, lag ebenfalls im Dunkeln. Es war nicht wie eine Vollnarkose, aus der jemand aufwachte und sich genau daran erinnern konnte. Sondern ganz anders, viel mehr durcheinander und verwischter. War ich entführt und hierher gebracht worden? Wäre in dem Fall nicht ein bewaffneter Typ vor der Tür gestanden?

 

Egal. In meinen Gedanken schoben sich die grünen Hügel und kleinen Wolken auf blauem Himmel vor die komplizierten Gedanken, und setzten sich in meinen Träumen fort.

 

 

2. Tag – Nähere Erkundungen

 

Ich wachte auf, die Sonne schien kräftig durchs Fenster, und ich überlegte einige Sekunden lang. Ja, ich war allein in diesem Haus. Noch einige Male drehte ich mich um, wälzte mich hin und her, um dann im Gedanken bereits in der Küche zu sein. Alles da, sogar Müsli und Flaschen mit Fruchtsäften, die sich anscheinend ewig hielten. Wie lange würde ich damit auskommen?

 

Am Vormittag sah ich mich genauer in der näheren Umgebung um. Auf der anderen Seite des Gartens, nicht weit von dieser angebauten Dusche entfernt, bildete hohes Gras und Gebüsch die Grundstücksgrenze. Das leise Plätschern war ein kleiner Bach, eher ein Wassergraben, der dazwischen verborgen war und sich irgendwo in Richtung der Felder fortsetzte. Die Seitenwand eines kleinen Verschlages aus verwittertem Holz ließ sich leicht zur Seite schieben. Darunter verbarg sich eine Art kleines Mühlrad aus Blech. Mit etwas daneben, das ein Generator oder ein zweckentfremdeter Elektromotor sein musste, der nun Strom erzeugte. Wenn der Bach ständig gleichmäßig floss, sollte die elektrische Spannung theoretisch ziemlich konstant sein. Aber viel Leistung konnte da nicht herauskommen. Ein Rohr, ungefähr mit dem Durchmesser einer Dachrinne, fing einen halben Meter darunter Wasser ein. Es musste in Richtung Haus fließen.

 

Der mit Schilf bewachsene Tümpel, am anderen Ende des Gartens, stellte offenbar eine biologische Kläranlage dar. Auch die schwarzen, in vielen Schlangen verlegten Rohre auf dem Dach fielen mir auf. Sie sorgten wohl für warmes Wasser, wenn es sonnig genug war. Wie auch immer der Druck ausreichte, damit es dort hinaufgelangte.

 

Mein Telefon war tatsächlich voll aufgeladen. Ich riss das Kabel heraus, hetzte die Treppe nach oben. Tastete nach der Luke, die auf das Dach führte. Drehte mich in alle Richtungen – keinerlei Empfang. Das einengende Gefühl zwischen Bauch und Hals wurde weniger, nicht stärker. Von dort oben war die Aussicht noch besser. Ich konnte sogar einen Teil des anderen Hauses hinter dem Hügel sehen.

 

War dort gerade jemand gewesen, für einen kleinen, kurzen Moment? Ein menschliches Wesen und keine Krähe oder ein Fasan oder Feldhase? Konnten einen 24 Stunden völlige Einsamkeit schon geistig verwirren? Was wäre, wenn dort wirklich jemand wohnte? Womöglich bewaffnet oder gewalttätig oder der Grund, warum ich hier war? Sollte ich lieber alles zusammenpacken, das ich finden und tragen konnte, und in die andere Richtung gehen? So weit weg, wie es ging? Oder sollte ich hier nach der Lösung suchen, die sehr nahe liegen könnte?

 

Angst kam in meinem Bauch auf, aber die Neugier siegte.

 

Wieder ging ich zu der Bergkuppe, legte mich an einer Stelle mit hohem Gras und Buschwerk auf den Boden – und wartete und überlegte. Ich wartete und verfolgte, wie sich das Gras dem leichten Wind beugte. Manchmal hörte ich die Krähen in der Luft und sonst nicht viel. Bis ich sah, wie jemand um die Ecke kam und vor dem Haus auf und ab ging. Ich war nicht allein hier.

 

Der Mann hatte außer einer knappen kurzen Hose nichts an und war recht gut in Form, soweit ich das von hier beurteilen konnte. Älter als ich konnte er kaum sein. Obwohl dieses Bauchgefühl von vorhin mit jeder Sekunde nachließ, duckte ich mich wieder. Versuchte, durch die Grashalme so viel wie möglich zu erkennen. Bewaffnet war er nicht. Eher sah es danach aus, als ob er genau wie ich nach Antworten suchte. Sollte ich mich besser davonschleichen? Oder war der Moment gerade richtig, um zu ihm hinunterzugehen? Lange konnte es sowieso nicht dauern, bis er mein Haus entdecken würde.

 

Er blieb stehen und starrte in meine Richtung. War das gerade ein „Hallo“ gewesen? Eine halbe Minute später blieb sein Blick noch immer auf mich gerichtet – und er kam auf mich zu. Mein Herz begann erneut zu rasen. Sollte ich in die andere Richtung rennen? Nein.

 

Ich stand auf, spätestens in diesem Moment musste er mich sicher gesehen haben, und machte ein paar Schritte den Berghang hinunter. Weniger als 50 Meter mussten es gewesen sein, die uns trennten. Ich glaubte immer noch nicht wirklich an eine Gefahr. Dafür zeichnete sich zunehmend deutlicher jemand ab, für den mir nur zwei Worte in den Sinn kamen – sehr süß. Mir fielen seine kräftigen Bauchmuskeln und Oberarme auf, seine glatten, festen Oberschenkel. Bis auf seine tiefschwarzen Kopfhaare war er fast nicht behaart. Aus Europa konnte er kaum sein, eher aus Asien. Seine Haut war eine Spur dunkler als meine, so dass seine weißen Shorts einen deutlichen Kontrast dazu bildeten.

 

„Hallo, ich …“, sagte ich am Fuß des Hügels, als wir uns zwei Meter entfernt gegenüberstanden, und streckte meine Hand aus. Er zögerte kurz, um dann zu lächeln und den Händedruck wortlos zu erwidern.

 

„Deutsch, English, oder …?“, fragte ich.

„Keine Angst, ich verstehe dich“, antwortete er mit einem leichten Akzent, „aber was machst du hier?“

„Ich bin gestern in dem Haus dort drüben aufgewacht und habe keine Ahnung, wo ich bin.“

„Oh!“, entgegnete er.

 

Ich hätte es anders angehen sollen und versuchen, seinen Körperbau nicht gar so anzustarren. Dass er ein leichtes Kichern verbergen wollte, war für mich nicht schwer zu erkennen. Reflexartig wandte ich meinen Blick von ihm ab.

 

„Du auch, oder wie?“

„Ja“, folgte seine Reaktion nach ein paar Sekunden des Zögerns.

„Und du kannst dich an nichts erinnern?“

„Nein, es ist seltsam, aber …“

„Wo könnten wir hier sein?“

„Keine Ahnung, ich bin ein bisschen herumgewandert, aber da ist nichts.“

„Vielleicht sollten wir … also ich meine … kommst du gut zurecht in dem Haus, ist alles da?“

„Ja“, erwiderte er knapp, und Stille folgte.

 

„Treffen wir uns morgen am Vormittag wieder, in der Mitte. Ich möchte hier noch schauen, ob ich was finde – also dein Haus ist da drüben?“, meinte er nach Momenten des Herumstehens und deutete in meine Richtung.

„Könnten wir nicht …? Ja, gut, machen wir das, ich werde dann noch bei mir alles erkunden.“

 

Fast glaubte ich, er wollte mir auf die Schulter klopfen. Doch ich spürte nur den starken Druck seiner Hand, etwas länger als vorhin. Noch einmal lächelte er mich an und zwinkerte mir für einen kurzen Moment zu, bis er sich umdrehte und zurück zu seinem Haus ging.

 

Ich war nicht allein und war es doch wieder. Am liebsten hätte ich ihn umarmt und an mich gedrückt. Aber nur weil jemand freundlich wirkte und praktisch nackt herumlief, musste er nicht unbedingt auf andere Männer stehen. Der Gedanke kam mir abartig vor, jemand umdrehen zu wollen. Was würde ihm jedoch übrigbleiben, wenn wir die einzigen zwei Menschen hier waren? Dass ich ihn ganz hübsch fand, musste er ja mitbekommen haben. Egal. Ich versuchte, an die grüne Hügellandschaft zu denken, und dass alles da war, was ich brauchte. Bis auf einen Durchgang von der Dusche ins Wohnzimmer.

 

Vielleicht war alles ein Spiel, jemand beobachtete mich und ich konnte nicht einmal sicher sagen, ob es nicht er war. Etwas zu essen und einen sicheren Schlafplatz zu besorgen konnte erst einmal keine Aufgabe sein, wenn ich denn eine zu erledigen hatte. Den riesigen Mast mit den Antennen im Garten könnte ich noch in eine andere Richtung drehen. Dann würde ich sehen, ob diese leicht verschiedenen Muster im Rauschen möglicherweise schwach einfallende Sender waren, oder nur Zufall.

 

Das Rohr, das in der Erde steckte, Betonsockel konnte ich keinen erkennen, musste an die 5 Meter hoch sein. Zwei Kabel führten herunter und verschwanden in der Erde. Ganz unscheinbar neben diesem Blumen- oder Gemüsebeet kamen sie hinaus und führten ins Haus. Auf dem Mast waren drei verschiedene und ziemlich große Antennen, und sie zeigten alle in eine Richtung. Durch eine kleine Lücke in der Hecke konnte ich einen größeren Hügel oder Berg erkennen. Wenn es wirklich einen Sender gab, musste er bei dieser Gebirgskette sein, die mindestens 10 Kilometer entfernt lag.

 

Ich hatte den wackelig aussehenden und mit dem Fernseher verbundenen Stecker auseinandergeschraubt und soweit ich mich auskannte besser zusammengebaut. Nun zeichneten sich die senkrechten Balken in unterschiedlichen Graustufen zu deutlich vom Rauschen ab, um Zufall sein zu können. Mehrere Sekunden lang starrte ich den Bildschirm an, um dann nochmals in den Garten zu rennen. Ohne Werkzeug und mit bloßen Händen gelang es mir, den Mast zu verdrehen. Wenn auch nur irgendwie und ohne dass die Ausrichtung danach merklich anders wirkte. Dafür brannten und schmerzten meine Hände und waren rot, also ließ ich es sein.

 

Es war später Nachmittag geworden und das Sonnenlicht etwas sanfter, als ich mich auf den Boden setzte. Die beinahe schon leicht brennende Luft des Frühsommertages wurde langsam kühler und fühlte sich gut auf meiner Haut an. Ich wusste nicht mehr genau, wie meine Hände unter meine Shorts gekommen waren. Aber sie waren es – und ich sah ihn in meinen Gedanken neben mir stehen. Er musste bereits anstrengendere Sachen gemacht haben, als ein in der Erde vergrabenes Stahlrohr zu drehen. Ob er nachher mit ein bisschen Schweiß auf der Haut neben mir hier sitzen würde?

 

Meine Gedanken hatten Folgen, und ich streifte die Hose mit beiden Händen ab und ließ ihnen Luft. Sollte ich, oder nicht? Denken durfte ich wohl, woran ich wollte. Noch einmal sah ich hektisch nach links und rechts, um dann seinen Anblick und sein Lächeln nicht mehr auf dem Kopf zu bekommen, bis mich der Höhepunkt erfasste.

 

 

3. Tag – Warmwasser

 

Erneut begrüßte mich ein sonniger Tag, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Zum Glück war es am Abend bei einem Glas Wein geblieben. Nach dem Anklemmen meines Telefons an diesen Radiorecorder und dem Durchsuchen meiner Musiksammlung war mir danach gewesen. Sogar Löskaffee-Pulver hatte ich noch entdeckt, das zusammen mit dem Wasser aus der Solaranlage ganz passabel schmeckte. Sollte ich wirklich einen Durchgang von der Dusche ins Wohnzimmer bauen, so dass ein richtiges Badezimmer daraus wurde? Eine elektrische Stichsäge und alle möglichen Baumaterialien waren ja vorhanden. Nein, ich wollte lieber ihn treffen.

 

Bei der Bergkuppe begegnete ich niemand, auch nicht vor dem Haus. Als ich herumging, sah ich ihn auf der anderen Seite, und wie er entnervt aussehend nach etwas zu suchen schien. Diesmal trug er ein T-Shirt mit einem verblassten Aufdruck.

 

„Hallo!“, begrüßte ich ihn.

„Oh, hallo“, sprach er mich genauso an, wie er aussah.

„Was gibt es denn?“

„Kaltes Wasser.“

„Und gestern war es noch warm? Hast du auch eine Solaranlage auf dem Dach, oder funktioniert das mit Holz, oder sonst was?“

„Ja, war es … keine Ahnung.“

 

Er setzte sich auf ein großes Brett, das auf zwei Steinblöcken am Rande des Gartens lag und eine Bank bildete. Zumindest war es eine Art Garten, hinter uns stand eine Reihe aus einigen Bäumchen als Hecke.

 

„Ich könnte mir das einmal ansehen, aber versprechen kann ich nichts“, meinte ich und setzte mich neben ihn.

„Und du hast warmes Wasser?“

„Ja, sogar ein richtiges Bad mit Dusche.“

 

Ich stützte mich mit beiden Händen ab und traf die Finger seiner Hand, die den Rand des Holzbrettes umklammerten.

 

„Oh, tut mir leid!“

„Kein Problem“, erwiderte er, und strich mit seinen Fingern über meine. Kurz hielt er inne, und wir sahen uns knapp gegenüber in die Augen.

 

„Was ist?“, fragte ich.

„Ach, gar nichts.“

 

Sein Lächeln war wieder da. Ich spürte, wie seine Finger unruhig wurden und er sich um meine klammern wollte – bis er die Hand doch wegzog.

 

Ich stand auf und schaute mich genauer um. Alles sah ähnlich wie bei mir aus, auch hier gab es einen kleinen Bach, der frisches Wasser lieferte. Entweder war es ein anderer, oder er floss über unergründliche Wege um den Hügel bis zu mir. Ebenso waren schwarze Rohre auf dem Dach montiert, doch das Wasser war kalt und auf die Schnelle fiel mir nichts ein. Vielleicht war der Druck zu gering, oder es gab wo ein Leck.

 

„Ja, also … “, versuchte ich zu erklären.

„Wie war das noch einmal? Du hast eine Dusche mit warmem Wasser?“

„Äh … ja.“

 

Sehr langsam stand er auf und drehte er sich um, bis er in die Richtung von meinem Haus blickte.

 

„Gut, wenn du mich lässt, denke ich drüber nach“, entgegnete er, um sich wieder auf der Bank niederzulassen.

 

„Und du kannst dich nicht erinnern, was du zuletzt gemacht hast, bevor du hier aufgewacht bist?“, wollte ich wissen.

„Doch, ich war auf einer Party, aber was dann war …“

„Was für eine Party genau?“

„Eine Party halt, ich bin eingeladen worden, das Haus voller Leute, wo ich die meisten nicht gekannt habe … ein großer Privatgarten, sogar jemand, der mit Sektgläsern durchgegangen ist.“

„Oh.“

„Ich trinke sonst nicht, also nicht ständig – aber wann ich dann genau weg war, keine Ahnung. Dabei kann es gar nicht so viel gewesen sein.“

„Und was war das genau für eine Party?“, hakte ich nach.

„Na von meiner Model-Agentur.“

„Oh, natürlich“, sagte ich und musterte ihn ein weiteres Mal von oben bis unten. „Und irgendwelche Anhaltspunkte, wo wir sein könnten?“

„Vielleicht ist es eine Insel“, meinte er, und trommelte mit den Fingern auf dem Holz.

„Gibt es nicht in Frankreich Gegenden, wo kilometerweit nichts ist, oder in Irland?“

 

Als Antwort stieß er nur etwas Luft aus. Wir standen beide auf. Ich prüfte noch einmal, ob ich bei den Rohren etwas finden konnte, aber zaubern konnte ich nicht. Sonst schien alles in Ordnung, und zu essen gab es für uns beide genug. Ein paar Wochen musste es mindestens reichen. Danach würden wir eben etwas auftreiben, wenn es nötig war. Es war erst der dritte Tag, den ich hier war, und ich fühlte mich schon zuhause. Ausweg gab es keinen, außer geradeaus loszugehen, bis wir zurück in die Zivilisation kommen würden. Trotzdem war es kein Gefängnis. Die Rasenmäher, die frisierten Mopeds und den Grillrauch aus der Nachbarschaft vermisste ich auch nicht.

 

Er war hineingegangen und reichte mir zwei Stücke Brot mit einem Aufstrich, der nach Tomaten und Zwiebeln aussah. Es schmeckte anders, als ich mir erwartet hätte. Umwerfend, unnatürlich pikant, und es war nicht zu viel Salz drinnen.

 

„Und, möchtest du?“, setzte ich unsere Unterhaltung fort.

„Was?“

„Zu mir mitkommen.“

„Ach so … ja.“

 

Er räumte noch einige Sachen weg und machte sich einen Meter neben mir mit auf den Weg.

 

„Ach ja, was ich noch fragen wollte … “, sagte ich nach der Bergkuppe, mit Blick auf mein Domizil.

„Was denn?“

„Ich wollte den Antennenmast im Garten verdrehen, aber allein ist das schwierig. Glaubst du, du könntest …?“

 

Er streifte den ohnehin kurzen Ärmel seines T-Shirts auf einer Seite zurück und strich über den Oberarm. Dieser sah eben doch deutlich kräftiger als bei mir aus, die Adern waren leicht hervorgetreten. Er hielt ihn mir noch länger hin, und ich strich mit ein paar Fingern zart darüber.

 

„Nicht schlecht“, kommentierte ich, und klopfte ihm kurz auf die Schulter. Es juckte mich sehr, die Hand einfach dort liegen zu lassen und so mit ihm weiterzugehen, aber ich ließ es sein.

 

Sofort machte er sich ans Werk, und es tat sich mehr als bei mir. Mühsam war es für ihn jedoch genauso. Es wäre einfacher gewesen, die Antennen selbst zu drehen. Aber dort ohne lange Leiter hinaufkommen und in Ruhe arbeiten? Zu zweit hatten wir die Ausrichtung nach mehreren Versuchen um einige Grad verdreht, und die konnten viel ausmachen. Ich ging hinein, er folgte zögernd, ich suchte den Fernsehkanal mit dem Streifenmuster. Es war noch deutlicher geworden. Kurz blitzte sogar Farbe über dem Grau auf.

 

„Und was bedeutet das?“, fragte er, mit den Händen an den Hüften.

„Das ist ein Farbbalken-Testbild, und wir haben die Antenne in die richtige Richtung gedreht.“

„Das heißt, von dort sendet was, dort ist jemand?“

„Könnte auch automatisch laufen, so lange es Strom gibt, sonst haben wir keinen Anhaltspunkt. So schwach wie das Signal ist, könnte der Sender auch 100 Kilometer weg sein, locker. Oder die Sendeleistung ist so schwach und er ist ganz in der Nähe.“

 

Ein wenig drehte ich noch an den Einstellungen, doch besser wurde es nicht. Ich schaltete ab, und wir ließen uns auf das Sofa fallen, das in dem Raum stand. Ich fand nichts mehr dabei, meine Hand auf seine zu legen, oder er zumindest auch nicht. Er war ziemlich ins Schwitzen geraten.

 

„Wo war noch einmal deine Dusche?“

„Draußen, beim Ausgang links und dann die Hauswand entlang … warte, ich zeige es dir.“

 

Wir sprangen auf. Ich suchte schnell noch ein Handtuch für ihn und ging mit ihm zu der Tür zum Duschraum.

 

„Ist das nicht unpraktisch … immer durch den Garten gehen?“, meinte er.

„Ja, ich wollte einen Durchgang aussägen und noch eine Tür einbauen, aber schauen wir einmal.“

 

Kurz blickte er in alle Richtungen, um dann sein verschwitztes T-Shirt auszuziehen und es auf einem vorstehenden Teil aus Holz aufzuhängen. Als er seine Hose abstreifen wollte, die halboffenen Schuhe hatte er bereits ausgezogen, machte ich ihm die Tür auf und ging ein Stück weg.

 

„Was denn?“, sagte er.

„Nichts, überhaupt nichts.“

„Möchtest du nicht auch?“

„Äh … ich kann später duschen.“

 

Er sah mich an und zog die Mundwinkel nach oben.

 

„Bei uns gibt es einen Spruch – spart Wasser, duscht zusammen.“

„Ja, also … bei uns auch, ich meine … es wird nach einer Weile wirklich kalt, geht zwar ziemlich lang, aber …“

 

Er zuckte mit den Schultern und zog auch noch die Hose aus. Ich sah nicht genau hin, doch sein Blick war auf mich fixiert, als ich meine Sachen auszog und neben seine legte. Als ich bei der Hose war, ging er hinein und drehte das Wasser auf. Die Tür blieb noch offen und ich zögerte zwar, entledigte mich nach ein paar Sekunden aber auch der Hose und huschte in den kleinen Raum. Warmer Regen füllte ihn, auf einer Breite, wo zwei bequem nebeneinander Platz hatten.

 

Er stand von mir weggedreht weiter hinten, schloss die Augen und ließ sich das Wasser direkt auf die bereits etwas zerzausten Haare prasseln. Zumindest ein Stück Seife hatte ich da, das auf einer kleinen Ablage zwischen uns lag. Ich genoss das warme Wasser – nur er kam mir langsam ein bisschen verkrampft vor. Noch immer stand er seitlich gedreht in der Ecke, eher mit dem Rücken zu mir.

 

„Ist was nicht in Ordnung?“, fragte ich und tippte ihn leicht an.

 

Er bewegte sich nicht, dann doch – und ich sah den Grund für seine Verlegenheit von ihm abstehen. Seine Gesichtsmuskeln verkrampften sich.

 

„Ach, das kann schon einmal sein“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

 

Was auch immer es war, es kam mit einem Mal in mir auf. Was an meinem Körper noch kurz zuvor Zurückhaltung geübt hatte, wurde einige Male von einem Zucken, einem Pulsieren erfasst. Nahm festere Formen an. Er drehte sich langsam zur Seite und griff zur Seife. Zuerst fuhr er sich durch die Haare – dann kratzte oder massierte er sich zwischen den Beinen, während seine andere Hand verharrte, zögerte.

 

„Mach es doch, wenn du Lust hast, kein Problem“, ermunterte ich ihn und fragte mich im selben Moment, ob das richtig war.

 

Er blieb still, zappelte noch kurz mit den Fingern – um wieder mit den Schultern zu zucken. Ich bemerkte seine Handbewegung. Sah, wie er den Kopf zurückwarf und die Augen halb geschlossen hatte, hörte sein scharfes Einatmen. Sein bestes Stück war nicht riesengroß, aber recht ansehnlich. Besonders neben der rhythmischen Bewegung seiner muskulösen Arme. So manche Dinge musste er dafür getan haben. Trotzdem sah er für mich noch natürlich aus und nicht wie diese Gewichtheber, die manchmal im Fernsehen zu sehen waren.

 

Etwas blickte ich noch zur Seite, und ganz offenbar wollte er es genießen und nicht nur schnell fertig werden. Er war nur in sich versunken und streichelte sich langsam mit seiner freien Hand, während er immer wieder leise aufstöhnte. Beinahe schien es so, als ob er mich völlig vergessen hätte. Bis er sich auf meiner Schulter abstützte und ständig heftiger atmete. Erneut durchfuhr mich ein Zucken und ließ meinen Puls schneller werden. Bis jetzt hatte ich es nicht gewagt, auch einfach loszulegen. Doch wenn er sich die Freiheit nahm …

 

Ich rückte ein wenig näher, als sich bei ihm abzeichnete, dass es bald kein Zurück mehr geben würde. Er klammerte sich an meinen Hals, fester als vorhin. Seine Faust wurde noch schneller – und ich legte meine Hand auf seinen Rücken. Für einen Sekundenbruchteil sah er mich an. Dann spürte ich auch schon das Vibrieren, das durch seinen Körper ging, und hörte seinen erstickten Schrei. Er fuhr sich durchs Haar, lachte kurz, atmete einige Male tief durch, um sich schließlich zu mir zu drehen.

 

„Mach es ruhig, wenn du willst“, forderte er mich auf.

„Ja, ich wollte sowieso schon.“

 

Seine Hand rastete nach einem Schulterklopfer nach wie vor auf mir, und noch viel mehr konnte bei mir nicht stehen. Warum hatte ich vorhin nur verschämt mit einer Hand herumgespielt? Ja, ich wollte, und ich wollte, dass er dabei war. Kurz schloss ich die Augen, machte einfach weiter – und fühlte im nächsten Moment eine Hand an meinem Päckchen. Massierend, kraulend. Ich sah ihn an. Er wirkte kurz erschrocken, aber ich verriet ihm mit einem Lächeln, dass er gerne weitermachen konnte. Meine linke Hand löste die rechte ab, meine Gedanken waren durcheinander und die Pulsfrequenz raste weiter nach oben. Ich nahm meine Hände weg, starrte ihn an, blickte gleich darauf an mir nach unten und zuckte mit der linken Schulter.

 

Kurz sah er noch erstaunt drein – aber dann kam er noch näher und packte bei mir zu. Sein Griff war sehr fest, seine Bewegungen langsam. Ein Gefühl erfasste mich, das ich mir allein nie hätte verschaffen können. Schon beim Gedanken an ihn war mir in den Knien weich geworden, und diesmal war ich wirklich kaum in der Lage, mich auf den Beinen zu halten. Es konnte nicht nur eine Gefälligkeit sein, die er bald hinter sich haben wollte. Nein, er wollte, dass ich fühlte, was er vorhin bei sich selbst gefühlt hatte.

 

Zweimal stand ich an der Schwelle, mit beiden seiner Hände an mir. Er musste genau wissen, wann er kurz aufhören sollte und auf diese Weise mein wundervolles Leiden verlängerte. Vor dem dritten Mal ließ ich ihn mit lauterem Stöhnen wissen, dass ich es nicht mehr zurückhalten konnte. Ich wollte in einem Orgasmus versinken, und er sollte alles aus mir herausschütteln, das er konnte. Einige Augenblicke lang wurde es schwarz um mich herum. Mit dem nur langsam abklingenden Höhepunkt und dem starken Kribbeln kehrte alles wieder zurück.

 

Ich klopfte ihm auf die Schulter, den Rücken – und umarmte ihn, drückte ihn am mich. Das warme Wasser prasselte noch auf uns. Ich drehte es ab und reichte ihm sein Handtuch. Er machte ein paar Schritte hinaus ins Freie, trocknete sich etwas ab, und ließ die Sonne den Rest erledigen. Nur eine Unterhose zog er an, als wir zurück ins Haus gingen.

 

Er setzte sich auf die Kante meines Bettes, um sich dann hinzulegen und sich genüsslich zu strecken. Als ich mich fast nackt wie er neben ihn legte, der Platz ging sich gerade schön aus, blieb er liegen. Es kam mir vor, als ob nach dem Duschen ein leicht würziger, pfeffriger Geruch von seiner Haut ausging. Meine Finger tasteten sich zu ihm, fuhren mit leichtem Druck über seinen Oberkörper, zu seinen Schenkeln hinunter. Sein Blick änderte sich nicht.

 

Die Finger seiner Hand klammerten sich um meine. Hielten sie zwischen uns fest, während ich mich streckte und mein Bein auf seinem liegen ließ. Wir starrten beide nach oben. Wie lange war es gewesen? Für eine Viertelstunde musste ich eingeschlafen sein, er vielleicht ebenso, bis uns das sonnige Wetter wieder hinauslockte. Mir war eingefallen, woran das Problem bei seinem Warmwasser liegen könnte.

 

„Glaubst du, wir sollten in die Richtung gehen, aus der das Signal kommt, also wo die Antenne hinzeigt?“, fragte er auf dem Weg zu seinem Haus.

„Ich weiß nicht, wir könnten zuerst probieren, ob wir noch mehr herausfinden. Die Vorräte sollten noch locker einen Monat reichen.“

„Und dann?“

„Sollte uns etwas einfallen.“

 

„Geht es nicht, anhand der Sterne auf die Koordinaten zu kommen?“, fragte er eine Minute später.

„Ich glaube, aber da kenne ich mich zu wenig aus. Ich habe GPS am Handy, aber die Position ist nur wirr hin und her gesprungen, bis es gar keine mehr gefunden hat.“

„Vielleicht stört ja etwas?“

„Oder ich habe es ruiniert … na egal.“

 

Das andere Haus war in Sichtweite. Dort war es tatsächlich nur eine Kleinigkeit am Rohrsystem, die ich vorhin nicht bemerkt hatte. Nun füllte sich die Solaranlage wieder und das Wasser begann sich aufzuheizen.

 

„Ja, also wegen der Aktion vorhin …“, sagte ich nach erledigter Arbeit.

„Danke nochmals dafür.“

„Nein, du weißt, was ich meine.“

„Ach so, ja, und?“

„War es dir unangenehm?“, fragte ich ihn direkt ins Gesicht. „Wenn du nicht darauf stehst, dann müssen wir nicht …“

„Das war schon in Ordnung. Ich war mir nur unsicher, ob es dein Geschmack ist.“

„Ja, ist es“, antwortete ich und holte tief Luft, „und ganz besonders mit dir.“

 

Wir sahen uns an. Er kam auf mich zu, legte eine Hand auf mich, zögerte. Doch dann kam er noch näher, drehte seinen Kopf leicht und küsste mich.

 

„Oh!“, hauchte ich, als wir uns 10 Sekunden später wieder trennten.

„Gut, dann … treffen wir uns morgen wieder, bei dir.“

„Wir könnten ja auch einmal zusammen … also ich meine …“

„Wir sollten noch genau schauen, ob wir irgendwas in den Häusern finden, zumindest heute.“

„Na gut“, sagte ich und reichte ihm meine Hand, die er dieses Mal nicht so fest zudrückte.

 

Die tiefer stehende, aber immer noch kräftige Sonne begleitete mich, als ich mich auf den Weg machte. Ein Stück vor dem höchsten Punkt des Weges drehte ich mich um – und sah ihn auf mich zukommen.

 

„Was ist los?“, fragte ich noch aus der Entfernung.

„Vielleicht sollten wir doch zusammen übernachten, wer weiß was alles passiert. Privatsphäre haben wir sowieso keine mehr. Dein Name war … Marcel, richtig?“

„Fast richtig“, erwiderte ich, und nahm ihn an der Hand. „Und du warst schnell noch einmal …?“

„Daeng … also eigentlich Arthit.“

„Ja, ich weiß schon wieder, das kann ich sogar aussprechen.“

 

Er wirkte einige Augenblicke lang böse, um gleich darauf zu lächeln.