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Gemeinsam

Über den Autor: Ralph-Dietmar Stief

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LESEEMPFEHLUNGEN

RALPH-DIETMAR STIEF

 

 

Gemeinsam

ROMAN TRILOGIE
BAND III

 

 

 

 

 

 

 



Copyright © 2016 by Ralph-Dietmar Stief

 

Umschlaggestaltung: GreatLife.Books
Set & Layout: GreatLife.Books
Bildquelle: /belchonock©123rf.com
Herausgegeben: 03.2017

 

Verlag: GreatLife.Books (alea active GmbH)
Hauptstr. 97 | 69 469 Weinheim
www.greatlifebooks.de | info@greatlifebooks.de

 

ISBN: 978-3-96124-045-6 (Taschenbuch)
ISBN: 978-3-96124-046-3 (eBook)

 

Printed in Germany

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig.
Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige
Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche
Zugänglichmachung.

Ich widme diesen dritten Teil meiner Trilogie mit ganzem Herzen
meiner Lebensgefährtin Bettina , alias Rose,
ihren wunderbaren Kindern,
im Buch als Martin, Eva und Florian,
all ihren Schülern
und mit grossem Respekt ebenso
allen in diesem Buch aufgeführten Klienten.

 

 

Fünfzig Kilometer vor Barcelona. Rose ist während ich fahre eingenickt.

„Ich werde eure Existenz ruinieren. Ihr seid nichts mehr, gar nichts, und du wirst schon sehen, was du dann hast!“ Rose schreckt hoch. Die Erinnerung ist total präsent …

Die Regenwolken haben sich verzogen, die Sonne bricht durch. Wir steuern den nächsten Autobahnrastplatz an. Als wir die Wagentüren öffnen, riecht es nach Frühling. Tief durchatmen, die Luft tut gut. Der nicht enden wollende graue Winter der Schweiz hat in uns Sehnsucht nach Sonne und milderen Temperaturen entfacht.

„Komm, lass uns etwas frühstücken gehen“, schlage ich vor.

Rose umarmt mich. „Das ist eine gute Idee, ich liebe dich, mein Schatz!“

„Bist du glücklich? Am späten Nachmittag werden wir bereits in Villajoyosa sein. Ich sehe uns schon am Meer sitzen und ganz genussvoll einige leckere Tapas verspeisen.“

„Oh ja, das werden wir tun!“ Rose verdreht ihre Augen. Dennoch fühle ich, wie sehr die letzten Wochen sie mitgenommen haben und noch Trauer mitschwingt.

„Na, gehen wir jetzt erst mal zum Frühstücksbuffet.“

„Das sieht aber schon sehr gut aus, richtig ansprechend. Dann lass uns mal etwas davon kosten.“

Wir genießen eine wirklich ansprechende Frühstücksplatte mit café con leche und Fruchtsaft.

„Es ist schon mild hier, obwohl wir noch Ende Februar haben. Ich hatte schon geglaubt, die Sonne kommt in der Schweiz gar nicht mehr hervor. Im nächsten Winter müssen wir mehr Zeit im Süden verbringen, meinst du nicht auch?“

„Das wäre ganz toll, lass es uns mal planen, Michele.“

Wenn wir wüssten, was sich bis zum nächsten Winter alles ereignen wird …

Inzwischen haben wir Barcelona hinter uns gelassen. Mehr und mehr verschwinden auch die letzten Wolken und der blaue Himmel öffnet sich vollständig. Überall blüht es. Einige Mandelbäume leuchten noch rosa, die weißen sind schon verblüht. Gelbe Margeriten säumen die Landschaft nahe der Autobahn und im Hintergrund erscheinen immer mehr Obstplantagen, besonders Orangen und Zitronen. Rose hat ihren Kopf etwas zur Scheibe fallen lassen und saugt den Frühling in sich auf.

Die Autobahn ist nur schwach befahren und ich lasse den Wagen einfach rollen … mit gleichbleibender Geschwindigkeit … während die grünbunte flache Landschaft an uns vorüberzieht … und zwischen uns Stille eingekehrt ist …

 

Plötzlich kippt Roses Kopf völlig zur Seite. Ich schaue etwas sorgenvoll zu ihr rüber. „Mein Schatz, geht es dir gut, ist alles okay?“ Rose reagiert nicht. Ich wiederhole meine Frage nochmal lauter. Rose zeigt keine Reaktion.

Ich fahre auf den Seitenstreifen und halte etwas abrupt an. Rose hebt nun ihren Kopf, dreht ihn, bekommt ihre Augen aber nicht auf … spricht dann wie benebelt: „Wo bin ich, was ist los? Ich bin nicht da.“

„Wo bist du?“

„Ich weiß nicht, ich bin weg … ich krieg meine Augen nicht auf … mein Kopf … er ist benebelt … mir ist ganz anders … ich spür mich nicht … bin nicht ganz in meinem Körper …“

„Keine Sorge, mein Engel, atme mal tief und gleichmäßig. Ich hole dir Wasser.“ Ich krame hinter mir nach der Wasserflasche.

„Komm, trink einige Schlucke, am besten so viel wie möglich.“ Ich führe die Flasche an ihre Lippen und gleichzeitig halte ich ihren Kopf hoch. Rose schafft es tatsächlich zu trinken. Natürlich bin ich besorgt und aufgeregt, auch wenn ich Rose gegenüber vielleicht besonnen erscheine.

„Versuche jetzt mal, die Augen zu öffnen.“ Nach endlosen Sekunden bekommt sie langsam die Augen auf. Aber sie schaut in die Ferne. Sie scheint wirklich abwesend zu sein. Ich lasse ihr Gesicht in meine linke Hand gleiten und massiere mit meiner rechten ihren Nacken bis zum Schädelansatz … immer wieder mit etwas stärkerem Druck. Es dauert Minuten … Dann kommt langsam Bewegung in Rose. Sie hebt ihren Kopf, dreht ihn zu mir und schaut mich mit verklärtem Blick an.

„Ich bin nicht ganz hier, es fühlt sich aber schon besser an.“ Ich lasse Rose mehr Wasser trinken und massiere nochmal ihre Halsvertiefung unterhalb des Hinterkopfes. Nun scheint sie etwas klarer zu werden. Ihre Augen bekommen mehr Glanz.

„Ich spüre meinen Körper wieder etwas besser.“

„Super, balle mal die Hände zu einer Faust. Stell dir etwas zu essen vor, etwas total Leckeres.“

„Ein saftiges Steak!“

„Ja, komm, rieche es, schmecke es, nimm einen großen Bissen und verschlinge ihn ganz heißhungrig! Ja, spüre Leben, Kraft, kaue es und nimm es ganz zu dir, schlucke es hinunter, spüre, wie es dich jetzt auf die Erde bringt, wie deine Muskeln sich wieder bewegen, anspannen … und loslassen … anspannen … noch fester … und beiß zum Nachtisch einmal in eine ganz saure Kiwi …“ Da schüttelt Rose ihren Kopf und verzieht völlig ihre Miene.

„Igitt, äh … gräuslich, ihh!“

Okay, sie ist wieder unter den Lebenden. Ich atme erleichtert auf. Mannomann, was war denn das? Wohin ist Rose nur abgetaucht? Was geht in ihr vor? Ich hatte einen richtigen Schrecken bekommen. Nicht dass sie sich jetzt in zwei Persönlichkeiten aufspaltet. Aber wozu sollte sie?

„Geht es dir besser?“

„Ja, so einigermaßen, aber noch nicht vollständig. Gestern Nachmittag überkam mich auch schon kurz ein ähnliches Gefühl, aber ich war nicht völlig weg.“

„Die letzte Stunde war auch sehr gleichbleibend in der Fahrbewegung und die Landschaft sehr beruhigend. Mache dir mal keine weiteren Sorgen, ich glaube, du kommst einfach total zur Ruhe jetzt. Aber wahrscheinlich möchte sich da in dir auch noch etwas entwickeln. In der völligen Entspanntheit und bei dem gleichmäßigen Dahinfahren kommt etwas in dir zustande. Beobachten wir es einfach. Nicht dagegen sein. Es geschieht dir nichts, dein Inneres lenkt alles. Irgendwann werden wir schon wissen, worum es geht. Und ich bin bei dir.“

* * *

Wir verbringen eine Woche nur mit Ausspannen, Spaziergängen und Genießen. Wir haben noch fünf Tage, bevor die Rückfahrt wieder auf uns wartet. Die Zeit verfliegt ja so rasch, dass unweigerlich Gedanken an das hochkommen, was uns nach dem Urlaub wieder erwartet. Es verbindet sich mit gemischten Gefühlen. Einerseits macht uns unsere Arbeit sehr viel Freude, besonders auch, weil wir immer öfter Hand in Hand erleben, wie sich unsere unterschiedlichen Möglichkeiten dabei entfalten. Andererseits vermisse besonders ich doch sehr stark das Leben und die Atmosphäre des Südens. Dies ist keine Kleinigkeit.

Wer einmal einige Jahre vollständig in so einem Umfeld mit großer Freude gelebt hat, der möchte im Grunde nicht mehr in die früheren Zwänge eingebunden sein. Man hat ja sein ganzes Dasein völlig umgestellt, lebt viel mehr die Leichtigkeit, genießt viel stärker, und dann kommt natürlich noch das Ambiente, die kulinarische Seite und ganz besonders das Wetter mit der auch weit stärkeren Lichtausbeute und viel mehr Sonne hinzu. Wenn dir bewusst wird, in einigen Tagen geht es wieder in die Enge hinein, in ein System mit gewissen Abhängigkeiten und einem Grauschleier, dann spornt dies nicht sonderlich an. Nur unsere Liebe zueinander und die Arbeit, bei Rose allerdings auch die Kinder, halten die Motivation aufrecht, sich doch den momentanen Gegebenheiten im alten System hinzugeben.

„Ich weiß nicht, wie lange ich das noch so voll motiviert leben kann in diesen Zwängen“, kommt es dennoch plötzlich aus mir heraus, „am liebsten würde ich mir mit dir jetzt ein Häuschen suchen und hier leben“, sage ich fast etwas wehmütig. Und sofort stellt sich eine Traurigkeit bei mir ein.

„Ich kann mir das auch sehr gut vorstellen, aber ich hab doch meine Kinder und meine Schule.“

„Ich weiß, sie werden dich noch eine Weile brauchen.“

„Ja, ich glaube, sie sind noch nicht ganz so weit, dass ich gehen könnte.“

„Aber sie sind im gewissen Grad vorbereitet und schon sehr selbständig. Nur ich möchte sie dir nicht nehmen, wir werden es schon noch eine Zeitlang so schaffen. Unsere Liebe wird das ermöglichen.“ Ich nehme Rose in meine Arme und drücke sie liebevoll an mich, kämpfe aber im Innern mit dieser Wehmut.

„Wir genießen noch die Tage hier und schauen dann wieder nach vorn, es überkam mich grad einfach so …“

„Ist schon gut, ich kann dich sehr gut fühlen. Zusammen ist alles halb so schlimm, ich liebe dich sehr, Michele.“

„Mein Herz ist ganz bei dir, du wunderbarer Engel!“

„Danke, Michele … und weißt du was, wir können uns ja ruhig schon mal umschauen, welche Häuschen es hier so gibt, was meinst du?“ Roses herzliches Lächeln reißt mich sogleich mit, und sofort spüre ich wieder meinen Optimismus und meine Leidenschaft.

„Oh ja, das können wir doch wirklich schon mal tun. So verschaffen wir uns einen ersten Überblick und lassen Vorfreude entstehen.“

Also machen wir ab jetzt noch ausgedehntere Spaziergänge, aber mit unseren Blicken auf Häuser und auf Aticos gerichtet. Neugierig suchen wir alles ab. Eine Spannung baut sich in uns auf. Wo könnte ein Haus auf uns warten? Innerhalb der nächsten vier Tage fällt uns aber kein Objekt auf, welches uns magisch anzieht. Wir sind verwundert, fast ein wenig enttäuscht. Die zwei, drei Häuser, die überhaupt zur Wahl stehen würden, sind leider bewohnt.

„Okay, dann werden wir während unserer nächsten Reise einmal weiter in den Süden fahren und schauen, was es da noch zu entdecken gibt.“

„So machen wir es, ich freu mich schon darauf. Fahren wir einmal die ganze Küste entlang, toll, das klingt nach Abenteuer.“ Rose lächelt wirklich voller Vorfreude …

* * *

Zurück in der Schweiz. Ziemlich schnell holt uns die Gegenwart hier wieder ein.

Vor fünf Monaten hatten wir eine gemeinsame Wohnung mit Blick auf den Vierwaldstättersee bezogen, extra mit zwei Kinderzimmern dazu. So hatten die Kinder jederzeit die Möglichkeit, auch bei uns zu wohnen. Roses Noch-Ehemann Gus hatte das natürlich überhaupt nicht gefallen. Er begann uns zu drohen. Seine Reaktion war verständlich, aber die Situation war nicht mehr zurückzudrehen. Es begann ein Nervenkrieg.

Es ist Abend, ich habe gekocht und den Tisch schön angerichtet. Jetzt warte ich auf Rose, die sich noch mit ihrem Jüngsten in der Stadt getroffen hat und ihn noch nach Hause gefahren haben wird. Eine halbe Stunde vergeht und dann noch eine halbe Stunde. Sicher ist es wichtig für die beiden. Gut, dass nichts mehr verkochen kann. Ich stelle alles warm. Und eine weitere halbe Stunde geht ins Land. Dann höre ich den Schlüssel im Schloss. Sofort springe ich auf und öffne die Tür. Rose fällt mir in die Arme. Dann brechen Tränen hervor.

„Was ist geschehen?“ Mich überkommt ein sehr ungutes Gefühl und der Gedanke, dass sie vielleicht unangenehm mit Gus zusammengetroffen sein könnte.

„… Gus … er droht jetzt, alles in Bewegung zu setzen, dass meine Schule geschlossen wird … er will uns alles nehmen …“

Ich ergreife Roses Kopf mit beiden Händen und schaue in ihre Augen.

„Mein Schatz, komm, setzen wir uns, hab keine Sorge, es wird nichts passieren. Er hat ja nichts in der Hand, was könnte er machen? Er ist einfach so schwer verletzt, dass sein ganzer Zorn aus ihm herausbricht. Es ist nur eine Entladung, glaube mir.“

„Ich weiß nicht, im Moment bin ich mir bei ihm gar nicht sicher … In einem Anfall ist er zu einigem fähig.“ Rose schluchzt.

„Natürlich fühlt er sich erniedrigt, aber er wird sicher nichts gegen dich unternehmen. Könnte er ja auch gar nicht, du bist absolut integer und seriös.“

„Aber möglicherweise gegen dich. Du hast keine schweizerische Staatsbürgerschaft. Wer weiß, was ihm alles einfallen könnte. Du kennst das strenge Recht hier nicht.“

„Wir sind in Mitteleuropa, und es gibt Abkommen mit der EU. Jetzt warten wir mal ab, er beruhigt sich sicher wieder.“

„Ich habe ihm gesagt, dass ich mich jetzt scheiden lassen möchte. Wir leben ja schon lange getrennt, auch schon in unserem gemeinsamen Haus. Aber da ist er ganz ausgerastet.“

„Lass uns mal morgen in Ruhe über alles sprechen, du hast doch sicher Hunger jetzt?“, will ich etwas ablenken.

„Im Moment ist mir überhaupt nicht nach Essen zumute.“

„Gut, trinken wir einen Schluck Wein, du wirst dich später sicher besser fühlen. Ich hab das Essen warm gestellt, es kann nichts passieren.“

Ich hole zwei Gläser und schenke uns ein. Allmählich kann Rose wieder durchatmen. Ich tröste und beruhige sie. Aber inzwischen bin ich selbst etwas beunruhigt. Ich habe Gus ja auch kennen gelernt. Er kann wie ein Kind sein, bockig, obwohl er ein weiches Herz hat. Aber man kann ihn nicht einschätzen. Selbst wenn jedes Vorgehen von ihm rein rechtlich keine Grundlage haben würde, es macht absolut keine Freude, in solch einer andauernden Spannung zu leben. Für die Kinder wäre es ebenfalls voller Unsicherheit und Unbehagen. Wir werden uns etwas einfallen lassen müssen …

* * *

Während der nächsten Wochen gibt es weitere Drohungen. Man kann versuchen, darüber zu stehen. Aber letztendlich ist es doch mühsam und kostet Nerven. Wir werden uns deshalb eine nächste Auszeit nehmen, um baldmöglichst wieder nach Spanien zu reisen.

Zwei Wochen später sitzen wir bereits im Auto. Diesmal haben wir auch in Frankreich schönes Wetter. Die Reise ist wie eine Befreiung für mich und auch Rose fühlt eine Erleichterung.

Es ist jetzt später Nachmittag. Der Diesel fährt fast von allein, als ob er die Fahrtroute sowieso kennt. Wir sind kurz vor Perpignan. Die inzwischen tieferstehende Sonne blendet sehr beim Fahren. Rose hat ihre Augen geschlossen … und ich bemerke aus dem Augenwinkel heraus, wie sich ihr Kopf auf einmal nach unten neigt. Sofort muss ich an das Erlebnis der letzten Spanienfahrt denken.

„Rose, alles in Ordnung mit dir?“ Sie zuckt etwas zusammen.

„Schatz, geht es dir gut? Kannst du deine Augen einmal öffnen?“

„Hast du etwas gesagt?“, bringt sie nun hervor, aber es klingt sehr abwesend. Ich fahre wieder auf den Seitenstreifen, um anzuhalten. Dabei sehe ich ein Hinweisschild, dass wir nach 500 Metern eine Raststätte erreichen werden. Ich fahre diese doch kurze Strecke deshalb weiter und parke dann vor der Raststätte. Als der Wagen zum Stillstand kommt, hebt Rose ihren Kopf.

„Was ist, wo sind wir?“

„An einer Raststätte. Fühlst du dich gut, mein Engel?“ Rose bekommt ihre Augen jetzt auf und schaut mich an. Ihr Blick ist aber nicht ganz klar. Es ist für mich nicht genau einzuschätzen, in welchem Zustand sie sich befindet. Ganz anwesend scheint sie zumindest nicht zu sein.

„Kannst du mich deutlich erkennen?“ Rose nickt. Aber ihr Nicken kommt mir etwas merkwürdig vor.

„Kannst du aussteigen?“ Rose greift nach dem Türöffner, zieht daran, so dass die Tür aufgeht. Sie will sich erheben, um auszusteigen.

„Mir ist etwas schwindelig, du musst mir helfen.“

„Bleib noch sitzen.“ Ich mache mir jetzt wieder leicht Sorgen. Das ist etwas neu für mich, ich kann ihren Zustand nicht exakt einordnen. Aber mir wird jetzt klar, dass in Rose eine innere Entwicklung stattfinden muss. Es fühlt sich für mich nach einer Veränderung ihrer Gehirnstruktur an. Da scheint ein Anpassungsprozess stattzufinden. Rose ist ja hochsensibel und medial.

„Lass mich mal deinen Nacken massieren und stell du dir jetzt vor, wie deine Füße in der Erde eingebuddelt sind.“

Nach knapp zehn Minuten geht es Rose besser. Sie kommt allmählich wieder hier an.

„Warst du wieder völlig weg?“

Rose guckt mich jetzt mit nahezu klarem Blick an. „Nein, ich glaube nicht. Aber wenn du nicht angehalten hättest, wäre ich sicher wieder ganz woanders gewesen.“

„Wie fühlst du dich jetzt?“

„Ich glaube ganz gut so weit. Wir können ja mal aussteigen, dann spüre ich das deutlicher.“

„Moment, lass erst mich aussteigen, ich komm dann zu dir und helfe dir heraus“, sage ich sicherheitshalber.

Ich öffne jetzt die Beifahrertür ganz und schaue, wie Rose sich nun aus dem Auto bewegt, bereit einzugreifen. Aber ich bemerke keine große Unsicherheit bei ihr beim Aussteigen.

„Alles gut? Kannst du stehen? Hast du noch Schwindel?“ Rose schaut auf ihre Füße, dann wieder nach oben, dreht nun ihren Kopf in jede Richtung.

„Ich fühle mich okay, lass uns mal eine Runde gehen.“ Während des Laufens atmet Rose einige Male tief durch.

„Ich fühle mich wieder hier.“

„Super! Mach dir aber keine Sorgen, ich weiß, worum es geht. Da bricht etwas durch, deine Gehirnstruktur verändert sich, damit eine neue Öffnung erfolgen kann.“

„Ja, für mich fühlt es sich auch so an.“

Als wir unsere Reise fortsetzen, durchfährt Rose plötzlich etwas.

„Michele, hab ich eigentlich von meiner ungewöhnlichen Erfahrung mit einem ganz eigenartigen Wesen erzählt?“

„Wesen? Wie meinst du das?“

„Sicher war es nur symbolisch und nicht real.“ Rose berichtet nun von ihrem Erlebnis damals im Flieger.

„Das ist ja sehr spannend, würde aber zu dem passen, was grad in dir vor sich geht.“

„Ja, so muss es sein. Also werde ich mir wirklich keine Sorgen machen. Ich vertraue mal in meine innere Führung. Aber neugierig bin ich schon, worauf das hinausläuft. Was glaubst du, Michele?“

„Es deutet alles auf einen inneren Kanal hin, der dich mit der universalen Ebene verbinden wird. Unweigerlich muss ich jetzt an Jane Roberts denken, die in den 70ern und 80ern die Wesenheit Seth gechannelt hatte. Ich habe alle ihre Bücher verschlungen, die meisten habe ich selbst noch als Taschenbücher. Es war auch für mich sehr faszinierend gewesen zu lesen, wie die Entwicklung bei Jane vor sich gegangen ist. Es lässt sich nicht alles vergleichen, aber Vieles deutet auf etwas Ähnliches hin.“

„Ich kenne diese Bücher nicht, aber jetzt möchte ich doch gerne mal eines davon lesen. Glaubst du, ich werde dann auch in Trance fallen?“

„Das wird sich zeigen, es muss nicht so sein, es gibt verschiedene Bewusstseinszustände. Lass dich einfach führen.“

„Ich freue mich, dass du an meiner Seite bist. Und wenn das dann tatsächlich so sein soll, mit wem werde ich wohl Verbindung haben? Es gibt ja so viele Wesenheiten, die der Erde verbunden sind.“

„Das erfahren wir dann sicher, es gibt ja auch ganz unterschiedliche Ebenen.“

„Du meinst die Verstorbenen, aufgestiegenen Meister, Engel und Erzengel? Aber dann gibt es ja auch noch Wesen von ganz anderen Sternensystemen, den Plejaden, Sirius und so weiter.“

„Jaja, es ist so. Wer weiß, wohin das führen wird? Sicher wird nicht alles von heute auf morgen gehen, sondern Schritt für Schritt vorbereitet werden. Es muss auch gar nicht sein, dass du eine Wesenheit channeln wirst, genauso gut kannst du einfach an das universale Allwissen angeschlossen werden, warten wir es ab.“

Wir schweigen … Jeder ist jetzt in seinen Gedanken dazu …

* * *

Inzwischen sind wir bereits drei Tage an der Costa Blanca und konnten uns ganz wunderbar entspannen. Wir hatten uns ja vorgenommen, diesmal die Küste weiter Richtung Süden entlangzufahren, um zu schauen, ob uns ein Ort besonders anspricht.

„Wann sollen wir denn unsere Tour entlang der Küste machen?“, frage ich nun Rose.

„Können wir jederzeit, von mir aus auch schon morgen. Wir wollen es ja genießen. Besser nicht erst in unseren letzten Tagen hier.“

„Prima, dann lass uns morgen starten, ich freue mich riesig! Einige Küstenabschnitte kenn ich ja schon von meiner früheren Andalusienreise, aber längst nicht alles.“

„Ich kenne Granada ganz gut.“

„Da bin ich auch gewesen, vielleicht machen wir ja dort einen Zwischenstopp, mal gucken.“

Am Nachmittag packen wir alle notwendigen Sachen für unsere Reise und am nächsten Morgen sind wir bereits unterwegs.

Innerhalb von zwei Tagen fahren wir die gesamten Küsten ab, nur die Costa Calida lassen wir aus, weil sie ein wenig abseits liegt. Aber eigenartigerweise fühlen wir uns während der ganzen Reise von keinem Ort so angezogen, dass es kribbelt oder funkt. Es hebt sich nichts ab und es steht sehr viel Beton herum …

Am dritten Tag: „Schade, woran mag es wohl liegen, dass wir uns nirgendwo rundherum wohlfühlen? Ich bin schon etwas überrascht und auch etwas enttäuscht. Was sollen wir jetzt noch machen? Wir haben hier doch so gut wie alles abgegrast.“ Rose blickt ein wenig resigniert.

„Es bleibt jetzt nur noch die Costa Calida“, sage ich und schaue Rose fragend an. Die Südwestküste hatten wir schon für uns ausgeschlossen, weil es zu weit weg ist und es besonders in den Wintermonaten dort zu stark windet.

„Dann lass uns doch noch zur Costa Calida fahren. Vom Namen her kann es ja nicht so wie am Atlantik sein. Wenn es uns auch da nicht gefällt, haben wir wenigsten alles angeschaut.“

„Also dann los! Fahren wir wieder Richtung Murcia.“

Bislang hat sich bei Rose auf diesen Fahrten nichts weiter bewegt. In ihrem Innern war Pause. Vielleicht ist es wichtig. Anpassungsprozesse brauchen ihre Zeit. Manches entwickelt sich auch unbemerkt und mit einem Mal werden wieder Veränderungen spürbar. Wir denken auch nicht ständig darüber nach …

Vor uns taucht jetzt Aguilas auf. Von Weitem bietet uns der Ort eine fast völlig weiße Kulisse von aneinandergereihten Häusern. Beim Näherkommen unterscheidet er sich dann aber doch in verschiedene Viertel. Dennoch ganz hübsch, nicht so wild bebaut, zwei schöne breite Sandstrände, unterteilt durch einen großen unüberschaubaren Felsen mit einer Festungsanlage. Wir wiegen mit dem Kopf. Ja, das könnten wir doch schon eher ins Auge fassen, kommen wir beide zu dem gleichen Ergebnis. Aber es gibt wenige Häuser direkt am Meer, es sind überwiegend zusammenhängende Wohnblöcke, aber vom Baustil her sehr ansprechend.

„Sicher könnte man dort eine Atico mit großer Terrasse finden. Und der Palmenstrand spricht mich auch sehr an“, sage ich dann mal erst so locker zu Rose. Doch etwas in mir ist noch nicht ganz überzeugt.

„Ich bin mir noch nicht so ganz sicher, ich weiß auch nicht. Es ist aber schon ein Ort, der mir mehr gefällt. Sollen wir noch etwas weiterfahren, den Rest anschauen?“

„Auf jeden Fall, wenn schon, denn schon. Ich bin immer noch neugierig genug. Wir können ja mal bis kurz vor Cartagena fahren.“

Wir nehmen die Landstraße, die sich durch viele Kurven schlängelt, mit schönen Aussichten auf verschiedene Buchten. Wir genießen es, ohne anzuhalten. Dann taucht ein Hinweisschild „Bolnuevo / Puerto de Mazarron“ auf. Dem folgen wir nun. Zuletzt teilt sich die Straße. Intuitiv nehmen wir den Abzweig nach Puerto de Mazarron. Es geht nahe am Meer entlang, bis wir die ersten Häuser erreichen. Wir biegen einfach mal rechts ab und fahren durch diesen Teil des Ortes. Es wirkt etwas idyllisch. Plötzlich habe ich den Wunsch zu parken.

„Lass uns einmal aussteigen, es scheint hier mehrere kleinere Buchten zu geben. Wir gehen das einfach mal zu Fuß ab.“

Wir halten unmittelbar und steigen aus. Nach wenigen Metern kommen wir an eine der sehr schönen Buchten. Alle Häuser sind direkt am Sandstrand gebaut, der einen Halbkreis bildet. Wir schauen uns ganz erstaunt an.

„Dass es so etwas überhaupt noch gibt“, bringe ich kopfschüttelnd hervor. Wir sind fasziniert.

„Wie in der Zeit zurückversetzt. Unglaublich! Und fast menschenleer hier. Keine Touristen. Wo gibt’s denn so was?“

Wir gehen einfach durch den Sand auf die nächsten Häuser zu. Eines davon zieht uns beide sofort an.

„Das scheint unbewohnt zu sein. Komm, wir gehen mal herum.“ Gesagt, getan.

„Da hängt ein Schild, se aquila!“ Wir schauen uns mit großen Augen an.

„Guck mal, mit einem tollen Patio. Hier könnten wir herrlich unsere Seminare und Ausbildungen machen.“

Tja, jetzt stehen wir hier, und ein Traum von Haus lacht uns an. Mit einem Gartentor, das direkt in den Sand und zum Wasser führt. Was tun?

„Wir können ja einfach mal anrufen und fragen, was es kostet, und es uns anschauen. Wahrscheinlich ist es gar nicht bezahlbar.“

„Anrufen können wir ja mal“, stimmt Rose gleich zu.

Ich hole mein Handy und tippe die Nummer ein. Eine junge Frauenstimme meldet sich. Ein Immobilienbüro. In einer halben Stunde können wir das Haus besichtigen und der Preis ist sogar recht günstig. Wir sind jetzt beide sehr aufgeregt, es kribbelt heftig.

„Komm, da drüben ist eine Strandbar, trinken wir etwas.“ Der Blick von dort ist unvorstellbar. Man sieht noch links und rechts in weitere Buchten hinein.

„Was machen wir denn jetzt? Was ist, wenn das Haus auch von innen so toll ist, wie es von außen verspricht?“

Ich schaue Rose an. Sie schaut mich an.

„Dann fragen wir, ob wir es auch noch zu einem späteren Zeitpunkt bekommen können. Sieh mal, hier stehen etliche Häuser leer. Wohl ein Generationswechsel in diesem Ort. Und überhaupt müssen wir uns erst einmal den ganzen Ort anschauen, ob wir uns hier wohl fühlen würden.“

Ruckzuck ist die halbe Stunde um, und wir machen uns auf den Weg zum Haus. Eine sehr sympathische und kompetent wirkende Mitzwanzigerin macht uns auf und führt uns durch den Patio in das Haus. Es ist nicht zu fassen. Ein Traum auf zwei Geschossen … und dieser Blick vom Wohnraum auf’s Meer!

Auch oben! „Wenn ich mir vorstelle, hier zu sitzen und vom Schreibtisch über die ganze Bucht zu schauen, was will ich dann noch mehr?“ Wir können es beide gar nicht fassen.

Die Maklerin sieht unsere Reaktionen und fragt, ob wir interessiert seien. Auf jeden Fall, teilen wir ihr erst einmal mit. Aber wir möchten uns auch noch den Ort anschauen. Ob wir es auch später, vielleicht in einem halben Jahr mieten könnten. Das könne sie nicht versprechen, zumal jetzt die Saison beginne. Gut, sagen wir, wir schauen uns jetzt noch den Ort an und melden uns dann wieder. Wir müssen jetzt erst mal alles wirken lassen und uns beratschlagen …

Der Ort gefällt uns interessanterweise auch. Er ist überschaubar, die Infrastruktur ist zwar auch etwas älter, aber es gibt alles an Einkaufsmöglichkeiten und was wir uns sonst so vorstellen. Aguilas ist auch nicht weit entfernt, und etwa 35 Kilometer nördlich winkt die Großstadt Cartagena mit ihrer wunderhübschen, restaurierten Altstadt. Das Klima soll hier noch etwas wärmer sein als an der südlicher gelegenen Costa del Sol. Nachdem wir unsere Eindrücke ausgetauscht haben, treffen wir zunächst die Entscheidung, nichts zu überstürzen. Aber im Innern sind wir in hellster Aufregung.