Forside

Anny von Panhuys

Wir mußten einander finden

Frauen-Roman

1.

Die Geigenkünstlerin Ulli Gregorius machte eine ärgerliche Bewegung mit der Rechten. Abwehrend und abweisend.

Abwehrend und abweisend war auch ihr charaktervolles, gradliniges Gesicht, als sie stark betont sagte: „Herr van Xanten, jetzt bin ich wirklich am Ende meiner Geduld angelangt. Ich habe Ihnen nun schon schriftlich und mündlich versichert, ich verkaufe Ihnen meine Frohnstainer Geige nicht. Obwohl ich noch eine sehr schöne und wertvolle Geige besitze, ist die Frohnstainer doch mein Liebling. Sie ist mir über alles wertvoll als mein köstlichster Besitz. Nur wenn ich auf ihr spiele, vermag ich restlos mein bestes Können herzugeben. Und wenn Sie mir Ihr ganzes Millionenvermögen dafür bieten, würde ich genau so nein sagen wie jetzt, da Sie mir eine Viertelmillion geben wollen. Zum allerletzten Male: Nein, nein und nochmals nein! Außerdem erkläre ich Ihnen, ich werde fortan keinen Brief von Ihnen mehr beantworten und Ihren Besuch nicht mehr annehmen.“

Der stattliche Mynheer van Xanten, der reiche Handelsherr, dessen Frachtschiffe auf allen Meeren fuhren, verzog den Mund zu einem Lächeln.

„Gnädiges Fräulein, gestatten Sie mir trotzdem noch ein paar Sätze. Ich bedaure ja unendlich, daß Sie sich meinem sicher sehr günstigen Vorschlag gegenüber so ablehnend verhalten, aber ich muß die Geige haben. Ich bin ja nur ein Dilettant im Spiel Ihnen gegenüber, und ich will ja auch nicht mehr sein, doch bin ich ein leidenschaftlicher Musikfreund und ein Geiger, der glücklich ist, wenn er sich in seinen Mußestunden durch eigenes Spiel Freude bereiten kann. Vor allem aber bin ich Geigensammler, und es ist so herrlich, einmal nach dem, ein anderes Mal nach jenem Instrument zu langen. Ich besitze eine Amati, schlank und mattbraun mit einem Köpfchen von vollendeter Form. Ich besitze Geigen von Amatis Schülern, von Guarneri und Stradivari, ich besitze ein herrliches Exemplar des berühmtesten aller Mittenwalder Meister, eine Geige von Klotz, voll von glocklichem Wohlklang, voll von zärtlicher, herzwarmer Tiefe, eine Kiendl habe ich, eine von Georg Tiefenbrunner, eine von —“

Ulli Gregorius strich leicht über das helle Gelock, das ihre klare, gerade Stirn wie ein moderner Glorienschein umgab, und fiel ihm etwas erregt ins Wort: „Bitte, zählen Sie nicht weiter auf, es ist ja sinnlos. Wenn Sie alle diese Wertstücke, diese seltenen und teuren Geigen besitzen, ist es dopplt dreist, jawohl, dreist von Ihnen, mir meine Frohnstainer Geige noch abjagen zu wollen.“ Sie erhob sich brüsk. „Herr van Xanten, das alles haben Sie mir schon mehrmals schriftlich und mündlich erklärt, und jede Wiederholung erübrigt sich. Verzeihen Sie, aber ich muß Sie bitten, jetzt zu gehen, es ist Zeit, daß ich meine täglichen Uebungen beginne.“

Er war aufgestanden. „Sie reisen doch morgen ab, geben hier kein Konzert mehr, also wozu noch üben?“

Sie gab zurück: „Wenn ich auch heute kein Konzert mehr in Amsterdam gebe, so übe ich doch jeden Tag, ganz gleich, ob ich auftrete oder nicht.“

Er sah sie an, holte tief Atem und verneigte sich.

„Mein gnädiges Fräulein, Sie wissen, über welche Reichtümer Willem van Xanten verfügt, Sie wissen, welchen Weltruf seine Firma hat. Ich bin Witwer seit zehn Jahren, fünfundfünfzig Jahre alt und habe einen Sohn von dreißig, der Mitinhaber meiner Firma ist. Damit wissen Sie das Wichtigste über mich. Und jetzt, mein gnädiges Fräulein, bitte ich Sie um Ihre Hand. Erweisen Sie mir. die Ehre, meine Gattin zu werden, Sie würden dann eine der reichsten Frauen Europas.“

Ulli Gregorius vermochte nicht gleich zu antworten, aber ihre klugen grauen Augen, diese leuchtenden großen Künstleraugen, sahen den stattlichen Mynheer unablässig an, hingen fest an seinem scharfgeschnittenen Gesicht mit der vorspringenden Nase, den etwas verfälteten schweren Lidern über den hellbraunen kühlen Augen.

Endlich, als das Schweigen gerade anfing peinlich und drückend zu werden, lachte sie leise auf.

„Herr van Xanten, Sie bieten zu viel für meine Frohnstainer Geige, viel zu viel. Aber ich nehme nicht an. Sie wollen mich ja nur heiraten, um auf die Weise, dem Umweg über die Heirat, in den Besitz der Geige zu gelangen.“ Sie schüttelte den Kopf und sah jetzt sehr ernst aus. „Ich kenne Sie ja kaum, Herr van Xanten, sollte ich aber einmal heiraten, dürfte es nur ein Mann sein, den ich liebe und der mich wiederliebt. Verstehen Sie, Herr van Xanten, mich müßte er lieben und nicht meine Geige, meine schöne, seltene Geige, von der es in der ganzen Welt nur noch ein paar Exemplare gibt, die Sie sich aber wahrscheinlich ebenfalls weder mit Ihrem Geld noch mit Ihrem Namen verschaffen können. Die Geige ist mir heilig. Sie stammt aus der Familie meiner Mutter. Ihr Großvater war der berühmte Geigenbauer Frohnstainer. Also, Herr van Xanten, ich danke Ihnen für die Ehre, die Sie mir oder richtiger meiner Frohnstainer erweisen wollen, bedaure aber, sie nicht annehmen zu können. Im übrigen, meine Mutter hüstelt schon nebenan. Das heißt in Worte übertragen: Die Besuchszeit ist reichlich um.“

Willem van Xantens Gesicht war jetzt etwas gerötet. Er hatte, um in den Besitz der fiebrisch begehrten seltenen Geige zu kommen, Ulli Gregorius sogar heiraten wollen, diese Geigerin, die allerdings eine glänzende Könnerin war, aber die Höhe des Ruhms noch nicht erstiegen hatte. Er bot ihr seinen bekannten Namen, den Platz an seiner Seite fürs ganze Leben, und sie wies ihn ab wie den Erstbesten.

„Ich gehe, mein gnädiges Fräulein, hoffentlich kommt niemals ein Tag in Ihrem Leben, wo Sie bereuen, was Sie heute ausschlagen.“ Die Wut des Sammlers, dem man trotz aller Gegenwerte die Geige verweigerte, nach der er förmlich gierte, mußte sich noch entladen. Er trat einen halben Schritt vor, trumpfte auf: „Ich bin mächtiger als Sie, und wenn Willem van Xanten etwas will, verschafft er es sich. Auch die Frohnstainer Geige wird mein Eigentum werden. Mit oder ohne Ihre Zustimmung!“

Ganz erstickt klangen die letzten Worte, und dann drehte sich der breitschultrige große Mann schroff um, langte nach seinem Hut, der auf einem nahen Stuhl lag, und verließ grußlos das Zimmer.

Ulli Gregorius’ leicht gebräuntes Gesicht schien noch dunkler geworden, als sie auf die Tür blickte, durch die sich Willem van Xanten entfernt hatte.

„So ein unverschämter Mensch!“ entrang es sich ihr.

Aus dem Nebenzimmer trat Ullis Mutter ein. Sie hatte große Aehnlichkeit mit Ulli, nur war ihr Blondhaar an den Schläfen silbern, und ein paar Fältchen saßen auf der Stirn und um Mund und Augen.

Sie trat schnell auf die Tochter zu.

„Ich habe von nebenan alles mitangehört, Kind, ihr spracht ziemlich laut. Dieser Mensch ist ja ganz toll vor Begierde nach deiner Geige. Ein Glück, daß wir abreisen, ich traue dem dickfälligen Holländer zu, er ließe dir, wenn sich dazu Gelegenheit böte, sogar die Geige stehlen.“ Sie legte der Jüngeren die Hand auf die Schulter. „Aergere dich nicht, Ulli, genau genommen, ist das ja alles zum Lachen. Will dich der Mensch heiraten, nur um so zu der Frohnstainer Geige zu kommen.“ Sie wurde nachdenklich. „Eine Partie wäre das ja gewesen, Mädel, über die man in unserem Städtchen gestaunt hätte, aber du hast es, Gott sei Dank, nicht nötig, nach dem Reichtum des Mannes zu fragen, den du heiratest. Bis du einmal so weit bist, hast du ein großes Bankkonto. Und vorläufig denkst du ja noch nicht ans Heiraten, deine Kunst steht noch ganz im Vordergrund.“

Ulli Gregorius schöpfte tief Atem.

„Der Besucher hat mir die Stimmung verdorben, aber das geht vorbei. Ich will üben, will spielen, will mir die schlechte Laune wegspielen, die er hinterlassen hat.“ Sie lächelte die Mutter an. „Nein, vorerst denke ich weder an die Liebe noch ans Heiraten, nur meiner Kunst will ich leben. Spielen will ich überall, wo man mich hören möchte, und arbeiten will ich, damit mein Ruhm als Künstlerin wächst und so groß wird, daß er sich neben dem Namen Frohnstainer, dem Namen der Familie, aus der du stammst, Mutter, behaupten kann. Urgroßvater Josef Frohnstainer war ein ganz Großer, und die Geige von ihm, die durch dich in meine Hände gekommen, gebe ich nicht für alle Schätze der Welt.“

Die Aeltere fuhr sich über die Augen, die sich mit einem feuchten Schimmer überzogen hatten.

„Hast recht, Kind, die Geige festzuhalten. Dein Vater und ich haben sie festgehalten in Stunden bitterer Not und hätten uns oft damit helfen können. Wir haben sie für dich aufgehoben. Schon damals, als du, kaum sechsjährig, so verlangend die Händchen ausstrecktest, wenn dein Vater darauf spielte, gelobten wir uns, allen Versuchungen zum Trotz, die Geige geben wir nicht her.“

Ulli lächelte: „Und die Geige gebe ich nicht her, auch wenn alle goldstarken Handelsherren Hollands mich heiraten wollen.“

Trude Gregorius nickte. „Jetzt spiele, Kind, danach gehen wir noch ein wenig aus, essen irgendwo und bringen später unser Gepäck in Ordnung. Ich freue mich auf die Heimreise nach Deutschland, freue mich auf unser stilles, kleines Zuhause nach dem monatelangen Herumreisen von Land zu Land.“

Ulli blickte versonnen.

„Wo waren wir doch überall! In Oesterreich und der Tschechoslowakei, in Rumänien und Italien. In Frankreich, Belgien und zuletzt in Holland. Ueberall war es anders, aber in dem für mich Wichtigsten doch gleich, denn überall hatte ich das Glück, vor vollen Häusern zu spielen, großen Beifall zu ernten und glänzende Besprechungen in den Zeitungen zu erhalten.“ Ihr Blick liebkoste das Antlitz der Mutter. „Wie sehr danke ich es dir und Vater, daß ihr mich meiner Neigung folgen ließet und euch nur die besten Lehrer Berlins gerade gut genug für mich schienen, obwohl es euch schwer genug wurde, das Geld dafür aufzubringen.“

Sie legte die Arme um den Hals der Mutter. Sie waren beide gleich groß, etwas über Mittelgröße, beide gleich schlank, und so standen sie Gesicht an Gesicht, blickten sich voll Liebe an, während die Jüngere sagte: „Kannst du es auch nur halbwegs nachempfinden, Mutterchen, wie selig die Augenblicke für mich sind, wenn man meinem Spiel Beifall spendet? Was ich da empfinde! Welche Seligkeit mich durchströmt, wenn ich höre, man dankt mir für mein Spiel! Und ahnst du, welches Glück in mir ist, wenn ich vor dem Publikum spiele? Ahnst du, daß ich manches liebe Mal ganz taumelig bin von einer Art Schöpferwonne, obwohl ich das, was ich spiele, doch gar nicht geschaffen habe, sondern es nur wiedergebe auf meiner Geige.“ Ihre Augen leuchteten, waren ganz dunkel von dem Glanz, der jetzt in ihnen war. „Wenn ich die Frohnstainer ansetze und mein Kinn auf ihren feinen schlanken Körper drücke, sie damit festhalte, kommt eine wundersame Kraft und Ruhe über mich, eine unbeschreibliche Sicherheit. Ich durchlebe dann alles im Herzen, was mein Bogen aus dem kleinen Geigenkörper lockt. Ich lebe, ich leide, ich weine, ich jauchze und lache, wie die Frohnstainer leidet und jauchzt und lacht. Sie versteht mich, ich verstehe sie, Mutterchen, es ist dann, als wäre Blut in ihr und Denken. Als wäre sie ein Mensch wie ich, der zu mir gehört. Ein Mensch gleichen Blutes und gleicher Denkungsweise.“ Ihre Stimme ward leise und raunend. „Weißt du, Mutter, wenn ich die Frohnstainer spiele, und vor dem Publikum spiele ich sie ja immer, dann mußte ich siegen. Sie führte mich zum Sieg, sie führt mich zum Ruhm, sie macht mich groß. Das kommt daher, weil Urgroßvater die Geige gebaut hat, Urgroßvater, der längst zu den bedeutendsten Geigenbauern aller Zeit gezählt wird. Er hat in seine Geigen all seine Liebe zur Musik mithineingebaut und mithineingepinselt in den Anstrich. Davon haben seine Geigen Wärme und Leben bekommen, und was Urgroßvater einmal beim Ausproben in die Geige hineingespielt an Seele, das singt und klingt in seinem Spiel. die Frohnstainer Künstlerseele Urgroßvaters grüßt die Urenkelin. Mich, Mutter, mich! Verstehst du das, Mutter, sage, verstehst du das?“

Die Aeltere lächelte weich.

„Ob ich das verstehe, Kind! Bin doch auch eine Frohnstainer, habe doch auch einmal eine Künstlerin werden wollen, aber meine Mutter war etwas hausbacken, sie mochte das Gefiedel nicht. Vielleicht war mein Talent aber auch nicht groß genug, sonst hätte es sich wohl trotzdem durchgerungen.“

Die letzten Worte hatten etwas Ergebenes, und ihr Lächeln war verschwunden. Doch gleich war es wieder da. „Ich bin glücklich, daß du eine große Künstlerin geworden bist und daß ich deine Erfolge miterleben darf. Und nun spiele, Kind, übe, ich höre dir von nebenan zu.“

Sie brachte der Tochter die Geige und ging dann aus dem Salon wieder zurück ins Nebenzimmer, in die Schlafstube, in der sie mit ihrer Tochter gemeinsam schlief während des viertägigen Aufenthaltes in Amsterdam, wo Ulli zwei Konzerte gegeben.

2.

Mynheer Willem van Xanten war außer sich vor Aerger. Als er heute den Weg zu der Geigerin angetreten, hatte er ganz sicher geglaubt, sie würde ihm die so heiß begehrte Geige verkaufen. Er hatte sich ja vorgenommen, eine unerhört hohe Bezahlung dafür zu bieten, und er hatte die Summe, die er sich als äußersten Preis vorgenommen, im Eifer des Besitzenwollens noch um das Doppelte erhöht. Er hatte der Geigerin schließlich sogar seine Hand angeboten, aber alles war umsonst gewesen, die hochmütige blonde Geigenprinzessin hatte glatt gedankt und ihm die Geige verweigert.

Hölle und Teufel, er war es nicht gewohnt, sich Wünsche zu versagen.

In Mailand, wo er sich gerade befand, hatte er Ulli Gregorius zum erstenmal spielen gehört, hatte in einer Kritik dort erwähnt gefunden, daß sie eine Frohnstainer Geige spiele! Eine Frohnstainer! Schon lange hatte er sie für seine Geigensammlung begehrt. Also schrieb er sofort an Ulli Gregorius und machte ihr ein großzügiges Angebot für die Geige. Sie antwortete höflich ablehnend. Nun wagte er einen Besuch, es war kurz vor ihrer Abreise nach Paris, brachte seinen Wunsch mündlich vor.

Ulli Gregorius aber bedauerte, ihm den Wunsch nicht erfüllen zu können, und reiste ab. Er reiste ihr kurz entschlossen nach. Reiste ihr nach Paris nach und nach Brüssel. Saß in ihren Konzerten, berauschte sich an dem wundersamen Klang der Frohnstainer Geige, erhöhte seine Angebote mündlich und schriftlich und folgte Ulli Gregorius nach Amsterdam, wo er wohnte. Er, der niemals an eine zweite Ehe gedacht, weil seine erste so mordsöde und unerfreulich gewesen, er, der ein Junggesellenleben ganz nach seinem Geschmack führte, hatte sogar das Opfer seiner Freiheit bringen wollen, um mit Hilfe des Eheringes zu der heftig begehrten Geige zu gelangen, und hatte sich einen Korb geholt.

Beim Himmel, wozu hatte er denn sein vieles Geld, wenn er sich nicht einmal seinen größten Wunsch damit erfüllen konnte? Eine Frohnstainer Geige war sein heißer Wunsch seit Jahr und Tag. Und niemals hatte er eine aufspüren können, nur gelesen hatte er darüber. Die wenigen Meisterwerke Josef Frohnstainers befanden sich im Besitz von Menschen, die sie nicht verkauften und nicht zu verkaufen brauchten. Hinter denen keine Not stand. Er hatte in Erfahrung gebracht, eine der Geigen besaß ein englischer Herzog, der mit dem englischen Königshause nahe verwandt war, eine andere zierte die Instrumentensammlung eines rheinischen Kohlengewaltigen, eine dritte lag in einem Pariser Museum, und eine weitere hatte ein Multimillionär über das große Wasser mitgenommen. Die Spuren sonstiger Meisterwerke aus Josef Frohnstainers berühmter Werkstätte am Fuße des Karwendelgebirges waren verweht. Die einzige, Willem van Xanten erreichbar scheinende Frohnstainer Geige gehörte Ulli Gregorius, und gerade diese Geige schien am unerreichbarsten.

„Eigensinniges Weibsbild!“ brummte Willem van Xanten vor sich hin, nachdem er das Auto bestiegen, das vor dem Hotel gewartet hatte, in dem die deutsche Geigerin wohnte. Willem van Xanten drückte sich fest in die Polster, und während die Limousine leicht dahinflog, blickte er zum Fenster hinaus, dachte wütend, daß er trotz seiner bombastischen Worte, die er vor dem Gehen Ulli Gregorius entgegengeschleudert, eigentlich völlig machtlos war, seinen Willen durchzusetzen, daß er sich würde fügen müssen und auf die Geige verzichten. Damit schwand aber auch die Hoffnung, überhaupt jemals eine Frohnstainer Geige sein Eigen zu nennen, darüber war er sich klar.

Ganz übertrieben und albern bombastisch kamen ihm jetzt die Worte vor, die er Ulli Gregorius zugerufen. Lachen mußte sie ja, wenn sie daran dachte, daß er sich wütend gebrüstet: Ich bin mächtiger als Sie, und wenn Willem van Xanten etwas will, verschafft er es sich. Auch die Frohnstainer Geige wird mein Eigentum werden. Mit oder ohne Ihre Zustimmung! Eine törichte Redensart blieb das, die ihm der Zorn entrissen. Machtlos war er wie ein ganz kleiner Niemand, machtlos wie ein Bettler.

Tiefe Falten lagen auf seiner Stirn, und obwohl er sich seiner Machtlosigkeit bewußt war und die Unmöglichkeit einsah, sich gegen den Willen der Geigerin in den Besitz der Frohnstainer zu setzen, kreisten seine Gedanken doch immer von neuem um denselben Punkt, versuchten immer wieder einen Plan auszuhecken, wie es sich vielleicht doch ermöglichen ließe, seinen Willen durchzusetzen.

In der Nähe des Reichsmuseums, in einer sehr stillen kurzen Straße, befand sich sein Haus, eine große weiße Villa mit seitlicher Einfahrt. Rückwärts lag ein Hof, dem Rasen und ein Springbrunnen ein vornehmes Aussehen gaben, und von dem Hof führte eine kleine Freitreppe in das Haus.

Er ging sofort in sein Arbeitszimmer. Er hatte erst in sein Büro am Hafen fahren wollen, aber alle Arbeitslust war ihm vergangen, und schließlich, im Büro fehlte er nicht allzusehr, sein Sohn leitete ja alles in seinem Sinne.

Als Sechzehnjährigen hatte er ihn schon an die Arbeit in sein Kontor gesetzt, mit zwanzig ihn mitreisen lassen auf den Frachtdampfern nach Java, Ceylon und Formosa. Mit fünfundzwanzig hatte er ihn zum Leiter seines Geschäftshauses in Surinam ernannt und zwei Jahre später zum Mitinhaber des Stammhauses hier in Amsterdam. Sein Sohn war geschäftlich der zuverlässigste Mensch der Welt. War es überhaupt, und er war stolz auf ihn. Sie hatten sich auch immer ausgezeichnet verstanden, lebten jetzt wie gute Kameraden zusammen. Nur wünschte er, Jan solle heiraten. Aber Jan zeigte, keine Eile, er war den Frauen gegenüber ziemlich kühl und zugeknöpft. Ihm aber lag daran, einen Enkel zu haben, denn es mußte doch wieder einer da sein, der einmal das große Erbe der Xantens übernehmen konnte. Immer hatten die Xantens einen Sohn gehabt, nur einen einzigen, aber der war gesund und kräftig gewesen und tüchtig, hatte das Erbe der Väter noch gemehrt.

Willem van Xanten saß an seinem Schreibtisch und dachte schon wieder an die Frohnstainer, als sich das Telefon meldete.

Eine Frauenstimme sagte: „Ich möchte Mynheer van Xanten sprechen.“

Es war in korrektem Holländisch gesprochen, aber mit ganz leichtem Anklang, der die Ausländerin verriet. Flüchtig durchzuckte es den Handelsherrn, es wäre vielleicht die Stimme von Ulli Gregorius. Die Hoffnung meldete sich, die Künstlerin könne sich eines anderen besonnen haben. Er wäre noch gern zu allem bereit. Bereit, ihr eine Viertelmillion auszuzahlen oder sie zu seiner Gattin zu machen.

Doch schon im nächsten Augenblick zerrann die Hoffnung, Ulli Gregorius konnte ja kaum ein paar Worte der holländischen Sprache, und er hatte sich mit ihr in deutscher Sprache unterhalten, die er fließend beherrschte.

Er antwortete in den Apparat hinein: „Hier ist Willem van Xanten selbst am Telefon. Wer ist dort?“

Wahrscheinlich handelte es sich um eine Dame der hiesigen Gesellschaft und eine Familieneinladung.

Die Frauenstimme sagte wie in höflicher Bitte: „Kann ich Sie persönlich sprechen, Mynheer? Es handelt sich um etwas für Sie sehr Wichtiges.“

Er stellte die Gegenfrage: „Darf ich wissen, mit wem ich spreche?“

Es war ihm, als höre er ein ganz leises Lachen. Ganz sicher aber war er dessen nicht. Die Antwort kam: „Mein Name ist vorerst noch unwichtig, Mynheer van Xanten, nur betonen möchte ich, das, was ich mit Ihnen besprechen möchte, hängt mit einem Gegenstand zusammen, an dessen Besitz Ihnen sehr viel gelegen ist. Er ist hellbraun und hat eine wunderbare Stimme.“

Er fragte atemlos vor jäher Erregung: „Sie meinen die Frohnstainer Geige?“

Wieder klang es wie ein leises, fernes Lachen an sein Ohr, dann sagte die Frau, jede Silbe durch die Art der Betonung unterstreichend: „Sie haben es erraten, Mynheer. Also, wann und wo kann ich Sie, aber heute noch, sprechen? Ich schlage vor, wir treffen uns im Café Potter.“

Er war jetzt der festen Meinung, die Sprecherin wäre die Mutter von Ulli Gregorius, die er bei seinen Besuchen in Mailand und Paris, als er die Künstlerin aufgesucht, flüchtig gesehen. Weshalb sollte sie nicht zufällig gut holländisch sprechen können?

Wahrscheinlich hatte sie der Tochter klargemacht, daß man solche Angebote wie die seinen als vernünftiger Mensch nicht ausschlagen darf. Vielleicht wollte sie auch zunächst hinter dem Rücken der Tochter mit ihm verhandeln.

Er antwortete: „Ja, im Café Potter wird es am besten sein. Es gibt da allerlei Plätze, wo man sich ungestört unterhalten kann. Wann darf ich Sie dort erwarten?“

„Mir ist jede Stunde recht.“

„Auch wenn ich Sie bitte, sofort zu kommen?“ fragte er.

„Ich bin in einer halben Stunde dort“, gab die Frauenstimme zurück. „Als Erkennungszeichen trage ich zwei weiße Nelken am Jackenaufschlag.“

Er sagte noch hastig: „Ich werde pünktlich sein. Jetzt ist es gerade ein Viertel vor zwölf, um ein Viertel nach zwölf bin ich im Café Potter.“

Er legte den Hörer auf die Gabel und rieb sich die Hände. Fein war das, großartig war das, nun durfte er wieder hoffen, sogar stark hoffen. Sein heutiger Gang zu der dickköpfigen Geigerin war also doch nicht erfolglos geblieben. Jetzt suchte man ihn, das Blatt hatte sich zu seinen Gunsten gewendet.

Er klingelte dem Diener, trug ihm auf, der Haushälterin zu melden, wenn er bis zwei Uhr nicht zurück wäre, solle sein Sohn mit dem Essen nicht auf ihn warten, er speise dann unterwegs. Es konnte schließlich eine lange Unterredung werden, dachte er.

Nachdem er sich in seinem Schlafzimmer noch ein wenig zurechtgemacht, verließ er sein elegantes Heim. Er wollte zu Fuß gehen. Ein bißchen Bewegung würde ihm gut tun. Mehr als eine halbe Stunde brauchte er für den Weg nicht.

Das Café Potter war stadtbekannt. Am Tage trug es einen sehr gediegenen Charakter zur Schau, der sich gegen Abend in einen etwas leichtsinnigeren verwandelte, sich aber trotzdem immer in den Grenzen der Anständigkeit hielt. Abends spielten die besten Kapellen bei Potter, und die reizendsten Weiberchen tauchten dort auf, um ihr neuestes Abendkleid nach dem Kabarett, Theater oder Konzert zu zeigen.

Ehe Willem van Xanten durch die breite Drehtür eintrat, sagte er sich noch einmal, es war bestimmt Frau Gregorius, die ihn erwartete.

Der Page an der Drehtür grüßte mit einem Ausdruck von Hochachtung. Willem van Xantens kräftige Figur, sein markantes, herrisches Gesicht kannte man in ganz Amsterdam.

Um diese Zeit waren die Gasträume fast leer, nur einige Pärchen saßen in den Ecken, flüsterten miteinander und freuten sich der Leere.

Langsam ging der Kaufherr durch die verschiedenen Abteilungen, und er suchte unwillkürlich nach der Mutter von Ulli Gregorius, an deren Aussehen er sich deutlich erinnerte. Was nicht schwer war, da sich Mutter und Tochter stark ähnelten.

Er betrat zuletzt einen kleineren Raum, in dem nur eine junge elegante Dame saß, und dachte ein wenig verstimmt, pünktlich war die gute Frau nicht. Er wollte den Raum schon wieder verlassen, als ihn ein diskretes Hüsteln zwang, noch einmal zu der jungen Dame hinüberzublicken, und nun bemerkte er auch am Aufschlag ihres dunkelblauen Jäckchens zwei weiße Nelken.

Also hatte er sich geirrt, als er Frau Gregorius zu finden erwartet, aber sicher war die Dame eine Abgesandte von ihr oder der Geigerin selbst.

Er ging auf den in der entferntesten Ecke stehenden Tisch zu und fühlte sich ein wenig befangen, wie ihm ein charmantes Lächeln der Fremden entgegenkam. Ein Lächeln der roten Lippen, ein Lächeln der großen schwarzen Augen. Er stand nun am Tisch, verneigte sich, nannte ganz leise seinen Namen.

Er hatte mit einem Male, er wußte selbst nicht warum, ein etwas peinliches Gefühl. Die Dame war sehr hübsch. Wohl waren ihre Züge unregelmäßig, aber von einer entzückenden Unregelmäßigkeit. Die Nase war sehr gerade, nur etwas zu kurz, das Kinn vielleicht zu klein, auch spannte sich die leicht gelblich gepuderte Haut etwas zu straff über den Backenknochen. Das gab dem Gesicht einen leicht asiatischen Anstrich, was die schmalen, nach den Schläfen hochgezogenen Brauen noch unterstützten. Aber alles in allem war die schmale Dame auffallend interessant. Besonders, wenn sie wie jetzt lächelte und köstliche Zähne hinter den gefärbten Lippen aufblitzten.

Sie sagte: „Nehmen Sie, bitte, Platz an meinem Tisch, Mynheer van Xanten, und wenn Sie Ihre Bestellung gemacht haben, wollen wir von der Frohnstainer Geige reden.“

Die Worte ‚Frohnstainer Geige‘ verscheuchten die seltsame Befangenheit, die sich seiner beim Anblick der fremden Dame bemächtigt, und er setzte sich, gab dem diensteifrig herzueilenden Kellner den Auftrag, ihm eine Tasse Kaffee zu bringen.

„Sobald der Kaffee vor Ihnen steht, beginne ich“, lächelte sie, als spüre sie, wie sehr er darauf wartete, zu hören, was sie ihm zu sagen hatte.

Er verneigte sich leicht im Sitzen. „Wie Sie wünschen, meine schöne Unbekannte.“

Sie lächelte weiter.

„Ich heiße Georgette de Martin, stamme aus Brüssel und halte mich nur vorübergehend hier auf.“

Er dachte, Georgette de Martin war sicher eine Künstlerin, eine Bekannte von Ulli Gregorius und von ihr geschickt worden.

Der Kellner brachte den Kaffee, entfernte sich wieder, und Georgette de Martin sagte halblaut: „So, nun können wir unser Thema besprechen.“ Sie spielte mit den kostbaren Ringen an ihrer Rechten. „Mynheer van Xanten, ich wohne im selben Hotel wie die Geigerin Gregorius und bewohne sogar ein Zimmer neben ihr. Ich muß Ihnen zu meiner Schande gestehen: mein größter Fehler ist die Neugier. Als ich heute vormittag eine ziemlich lebhafte Unterhaltung nebenan hörte, lauschte ich am Schlüsselloch, und weil ich Deutsch verstehe, erfuhr ich bald, um was es ging. Sie wollten die Frohnstainer Geige der Künstlerin kaufen und boten hohe, nein, fürstliche Preise dafür —“

Wilhelm van Xantens Züge hatten sich verdüstert. Also es handelte sich um keine Abgesandte von Ulli Gregorius. Diese etwas überelegante Dame hatte wohl nur auf raffinierte Weise die Bekanntschaft eines reichen Mannes machen wollen. Uebrigens war ihr Geständnis, seine Unterhaltung mit der Geigerin belauscht zu haben, reichlich dreist.

Er wollte etwas ärgerliches äußern, doch schien sie das zu ahnen, denn sie lächelte so bestrickend wie möglich: „Hören Sie mich, bitte, erst zu Ende, Mynheer van Xanten, ich glaube nämlich, bald werden Sie ein freundlicheres Gesicht machen. Also, ich erlauschte Ihre großzügigen Angebote und begriff Ihre Generosität einfach nicht, weil ich zufällig einen Herrn hier in Amsterdam kenne, der durch die schlechten Zeiten in Not geraten ist und gern seine Frohnstainer Geige — sie ist so echt wie die der Gregorius — verkaufen möchte. Dem brauchen Sie keine Viertelmillion bieten, für fünfzigtausend Gulden bar auf den Tisch gibt er sie Ihnen, und wenn Sie dann für meine Vermittlung noch ein paar tausend Gulden spendieren würden, wäre das Geschäft perfekt!“

Die Neuigkeit verschlang Willem van Xanten fast den Atem. Es wurde ihm, der sich seit Jahren bisher vergebens darum bemüht hatte, plötzlich Gelegenheit geboten, eine Frohnstainer Geige zu kaufen, und nicht einmal zu teurem Preis. Der Zufall, der da in seinen heißesten Wunsch hineinspielte und ihm helfen wollte, war wirklich einer von den ganz seltenen Zufällen, an die man nicht recht glaubt, wenn man sie nicht selbst erlebt.

Mißtrauen war plötzlich da, ließ sich nicht verscheuchen. Er zuckte leicht die Achseln.

Sie lächelte wieder, und er lächelte zurück. Die schmale, gepflegte Dame war wenigstens ganz ehrlich. Er verstand vollkommen und antwortete: „Selbstverständlich habe ich Lust zum Kauf, und wenn Sie glauben, der Geigenbesitzer ist mit dem von Ihnen vorgeschlagenen Preis einverstanden, ist mir der Preis sehr genehm. Ich biete Ihnen als Vermittlungsgebühr aber noch zehntausend Gulden; denn wenn die Geige echt ist, haben Sie mir den größtmöglichen Gefallen erwiesen.“

Sie neigte leicht den Kopf. „Ich nehme Ihr Angebot an, Mynheer, bitte Sie aber, ehe der Kauf abgeschlossen, zu niemand darüber zu sprechen, weil man, so sicher ich meiner Sache auch zu sein glaube, schließlich doch nicht wissen kann, ob der Herr, oder einfacher, ob mein Freund die Geige hergibt.“

Willem van Xanten, der noch eben die Echtheit der Geige angezweifelt, war inzwischen zu der Ansicht gekommen, die Geige würde echt sein, und er fragte erschrocken: „Sie waren doch vorhin fest überzeugt, der Herr, ich meine Ihr Freund, würde die Geige verkaufen, weil er sich zur Zeit in Not befindet?“

Georgette de Martin erwiderte leise, und es klang beruhigend: „Ich denke ja auch noch ebenso, aber man muß schließlich alles erwägen. Für alle Fälle rate ich Ihnen, bares Geld bereit zu halten, die volle Kaufsumme. Auch das mir zugedachte. Sie wissen, bares Geld lacht! Bringen Sie Ihren Sachverständigen einfach mit, wenn es so weit ist. Ich gebe Ihnen in allerkürzester Zeit Nachricht. Ich muß natürlich erst mit meinem Freund sprechen. Ich rufe Sie telefonisch an. Wahrscheinlich übermorgen.“

Er war jetzt wieder ganz Begierde und sah sich schon im Besitz der heiß ersehnten Frohnstainer.

Sie wiederholte: „Ja, wahrscheinlich rufe ich Sie übermorgen früh an, vielleicht auch schon morgen abend, es kommt darauf an. Halten Sie sich morgen abend und übermorgen früh zu Hause.“

Sie lächelte wieder, und er fand sie bildhübsch, nur schien es ihm jetzt, sie wäre doch nicht mehr ganz so jung, wie er sie anfangs geschätzt. Für ein junges Mädchen anfangs der Zwanziger hatte er sie gehalten, jetzt aber fand er, sie mußte schon an der Schwelle zu den Dreißigern stehen. Ganz winzige Fältchen drängten sich um die Augen durch den zarten Puder.

Sie machte eine Bewegung, sich zu erheben. „Ich muß gehen, Mynheer van Xanten. Meinen Kaffee habe ich vorhin gleich bezahlt. Auf Wiedersehen.“

Sie stand auf, grüßte sehr liebenswürdig und durchquerte mit schnellen, aber graziösen Schritten den Raum.

Er rief den Kellner, zahlte und brach auch auf. Er mußte ins Freie, mußte draußen erst ein wenig die Neuigkeit verdauen, daß er vielleicht schon übermorgen eine Frohnstainer Geige sein eigen nennen durfte, ohne das Opfer eines kleinen Vermögens zu bringen oder gar das seiner Freiheit.

Er hätte gern seinem Sohn davon erzählt, aber die Dame hatte ihn gebeten, noch zu schweigen, ehe der Verkauf getätigt worden, und sie hatte recht, denn ganz sicher durfte er seiner Sache noch nicht sein.