[2|3] Vorwort

Leni Riefenstahl ist vor allem eines: umstritten. Wie keine andere Künstlerin und kein anderer Künstler steht die deutsche Regisseurin nicht nur für die Indienstnahme großen Talents für die Zwecke eines menschenverachtenden Regimes, sondern auch, und schlimmer, für einen eklatanten Fall der Anbiederung, besser: Andienung der Kunst an die Macht. Ein verführtes Talent ist sie sicher gewesen. Die Frage ist, verführt wovon? Vom eigenen Opportunismus als Kunstschaffende oder von einer weltanschaulichen Bejahung der NS-Ideologie, die Riefenstahl, teils mit widersprüchlichen Selbstaussagen, stets bestritten hat. Gerade der letztere Verdacht grundiert seit Susan Sontags Vorwurf, Riefenstahl sei eine der führenden Propagandistinnen des Dritten Reiches gewesen, jede Auseinandersetzung mit ihrem Werk. Liegt aber das eigentliche Problem in der Beschäftigung mit Riefenstahl nicht darin, dass Sontags Diagnose auch im Falle des reinen Opportunismus zutrifft? Riefenstahls Parteitagsfilm TRIUMPH DES WILLENS (1935) und ihr zweiteiliger OLYMPIA-Film (1938) bezeugen nicht nur ein großes Talent zur Schaffung unheimlich wirkmächtiger Bilder, sondern auch ein künstlerisches Interesse am Vorrang des Bildlichen unter den Kriterien von Schönheit, Harmonie und formaler Konstruktion. So entstanden in jedem Falle höchst eindringliche Aufnahmen, deren äußere Faszinationskraft zur Zeit ihrer Entstehung und weit danach noch ihresgleichen suchten. Das gilt auch noch für ihre späteren Fotografien des Nuba-Stammes und ihre Unterwasseraufnahmen. Trotz des nach wie vor berechtigten Verdachtes, Riefenstahl sei zur gegebenen Zeit NS-affin gewesen: Zuallererst war sie eine Ideologin des Schönen. Doch freilich sind Bilder, die in erster Linie ihre eigene Form zelebrieren, in jedem Falle offen für die Befrachtung mit Ideologie. Sie bieten sich in ihrer inhaltlichen Untiefe, ja sogar: Leere geradezu als von der Macht beliebig besetzbare und ausnutzbare Vehikel an. Riefenstahl war also, selbst wenn man ihr eine gewisse Naivität und die Unbefangenheit des unpolitischen Künstlers zugestehen wollte, wenn man sie mithin »nur« als schönheitsverliebte Opportunistin verurteilen wollte, die perfekte Propagandistin für Hitler und Konsorten?

Diese Perspektive muss auch da in Anschlag gebracht werden, wo man nicht nur Riefenstahls bahnbrechende Ästhetik, sondern auch ihre Rolle als erfolgreiche weibliche Künstlerin in einer von Männern dominierten Welt in den Fokus rückt. Freilich nötigen einem Riefenstahls Schöp[3|4]fungswille, ihr Selbstbewusstsein als Künstlerin – angefangen von der Tänzerin über die Schauspielerin bis hin zur Regisseurin und Fotografin – und ihre unglaubliche Schaffensenergie Respekt ab. Sie mag eine »Verdrängungsathletin« (Jörn Glasenapp) gewesen sein, vor allem war sie jedoch eine veritable Kunstathletin. Was jedoch wiederum die Frage aufwirft, wie weit man für die Kunst gehen und welche Kompromisse man im Dienste des geglückten Werkes eingehen darf. Auch als weibliche Künstlerin. Das betrifft natürlich zuvorderst den äußerst prekären Fall der Ausbeutung von 60 Sinti und Roma aus Konzentrationslagern der Nazis als Statisten für ihren Film TIEFLAND (1954) zur NS-Zeit, es betrifft auch das tatsächliche Wissen Riefenstahls von den Nazi-Gräueln. Die Frage berührt, zumindest implizit, daneben nahezu alle anderen Facetten des Werkes. Nicht zuletzt hat ihr unbedingter Wille zur Kunst und zur Schönheit höchst verführerische Bilder hervorgebracht, die sich gerade in formaler Hinsicht als Feiern der Kraft, der Gesundheit und des Willens lesen lassen. So ist es nicht verwunderlich, dass sowohl in ihrem Regiedebüt DAS BLAUE LICHT (1932) als auch in ihren späteren Nuba-Fotografien aus den 1970er Jahren Spuren des Faschistischen gefunden wurden. Bis heute kann man sich in den Filmen und Bildern Riefenstahls trotz oder gerade wegen ihrer Schönheit als Zuschauer nicht wirklich bequem einrichten. Der Allroundkünstlerin und dem Visualisierungsgenie Leni Riefenstahl haftet bis heute auch etwas Unheimliches an. Nicht zuletzt deshalb, weil man sich schwerlich der Verführungsmacht ihrer Bilder entziehen kann und sich zugleich – sogar dort, wo sie, wie oft geschehen, (pop-)kulturell und sogar ironisch adaptiert und überformt wurden – vor Augen halten muss, welch heikler Seduktion man dabei erliegt.

Das gilt allemal im Hinblick auf den Ästhetik-Kult Riefenstahls. Ihre Bilder zeugen in ihrem formalen Reiz immer auch von einer ästhetischen Gewaltsamkeit, ihre Tendenz – nicht zuletzt in der Großaufnahme – geht auf das visuelle Zwingende. Insofern ist Riefenstahl nicht nur eine Künstlerin, die, wie ihr Biograf Rainer Rother meint, ihr Publikum verführen wollte. Sie wollte es darüber hinaus dominieren. Insoweit steht Riefenstahl, ungeachtet der Frage nach ihrer NS-Affinität, für etwas bis heute höchst Brisantes: für den Willen zur Macht des Bildes.

Die Beiträge des vorliegenden Bandes widmen sich innerhalb des skizzierten Rahmens Fragen, die das Werk von Leni Riefenstahl immer noch – trotz vieler gelungener Antwortversuche – aufwirft. Dabei interessieren neben den Spuren des Faschistischen auch Spezialaspekte sowie [4|5]film- und bildwissenschaftliche Thematiken, die bislang weniger ausführlich betrachtet wurden. Es geht beispielsweise um den Einfluss des Tanzes und damit der frühen Tanzkarriere Riefenstahls auf ihre filmisch inszenierten Körperbilder, es geht um die Ausnutzung der Macht der Großaufnahme und um die erotische Aufladung der Bildästhetik. Ein Beitrag widmet sich dem ausgeklügelten Einsatz von Musik im Parteitagsfilm, andere Aufsätze handeln von der popkulturellen Adaption Riefenstahl’scher Motivik und der Konstruktion des faschistischen Körpers. Die Frage, inwieweit es (unfreiwillige) Komik in den Propagandafilmen gibt, wird ebenso gestellt, wie diejenige, in welchem Maße die Nuba-Fotografien und die Unterwasseraufnahmen von Riefenstahl frühere konzeptuelle Ideen fortsetzen und ihr Visualisierungsgenie bestätigen.

Mein großer Dank gilt neben den Autor/innen des Bandes und den Herausgeber/innen der Reihe Film-Konzepte auch Michelle Koch für ihre redaktionelle Betreuung.

Jörg von Brincken

Juli 2016

[38|39] Daniela Kalscheuer

Spuren des Faschistischen in Leni Riefenstahls TIEFLAND

Eine Bestandsaufnahme

I. Verschlungene Deutungswege ins Tiefland

Um kaum eine Regisseurin des 20. Jahrhunderts ranken sich so viele Mythen und Diskussionen wie um Leni Riefenstahl. Der Fokus lag bei diesen Diskursen vor allem auf ihren Dokumentarfilmen, wohingegen ihre Spielfilme wenig Beachtung fanden. Im Falle von TIEFLAND (1954) setzte die wissenschaftliche Debatte erst in den 1990er Jahren ein.1 Bis zu diesem Zeitpunkt wurde der Film »allenfalls hinsichtlich seiner Produktionsgeschichte wahrgenommen«2. Einen inhaltlichen, wenn auch umstrittenen Aufschlag versuchten die Aufsätze von Helma Sanders-Brahms3, Robert von Dassanowsky4 und Gerlinde Ulm-Sanford5, »indem sie TIEFLAND als eine politische Parabel deuteten, die den Sturz Hitlers imaginiere und die Abwendung Riefenstahls vom NS-Regime dokumentiere«6. TIEFLAND avanciert in der Deutung der drei Autoren zum Ausdruck der Beziehung Riefenstahls zum Nationalsozialismus. Sie begründen ihre Sichtweise vor allem mit der Figur der Martha. Ihre Zerrissenheit zwischen dem »reinen« Pedro und dem »Tyrannen« Don Sebastian verstehen sie als direkte Auseinandersetzung Leni Riefenstahls mit ihrer eigenen Rolle im Dritten Reich. Der »Tyrannenmord« an Don Sebastian gerät zum vermeintlichen Wunsch Riefenstahls nach einem Ende des NS-Regimes.7 Auch wenn diese Deutung beispielsweise Rainer Rother zu weit geht, so bestätigt er doch TIEFLAND »ebenso wenig ein ›nationalsozialistischer‹ wie ein subversiver Film«8 zu sein.

Einen anderen Ansatz verfolgt der Aufsatz von Kai Marcel Sicks aus dem Jahr 2009.9 Er wendet sich klar gegen die biografische Lesart, wenn er darauf hinweist, dass, »auch wenn die Person Riefenstahls und ihre Stellung im ›Dritten Reich‹ erklärungsbedürftig sein mögen, (…) ihre Filme doch ästhetische Artefakte (bleiben), von denen aus kein unmittelbarer Schluss auf ihre Schöpferin geleistet werden kann«10. Er lenkt den Fokus auf die Figur des Pedro, denn erzählt werde »eine Geschichte, die nicht (oder jedenfalls nicht nur) von der Abwendung einer opportunistischen [39|40]Frau von einem Gewaltherrscher handelt, sondern vom Triumph eines jungen Heroen über den Vertreter eines überholten Regimes«11. In Pedros Geschichte sieht er eine Parabel für den Aufstieg der NSDAP und deutliche Reminiszenzen an die Siegfried-Auslegung Richard Wagners. Auch wenn er damit auf Traditionen des 19. Jahrhunderts zurückgreifen muss, so bescheinigt Sicks TIEFLAND zugleich zumindest eine mögliche Lesart, die sich einer Deutung im nationalsozialistischen Sinne nicht verschließt.12

Unterschiedlicher könnte somit das Deutungsspektrum für TIEFLAND in dieser Frage nicht sein. Zwischen Abrechnung mit dem NS-Regime über eine apolitische Haltung bis hin zu Spuren einer faschistischen Interpretation ist alles zu finden.

II. Spuren des Faschistischen?

Riefenstahls Planungen für TIEFLAND reichen bis in das Jahr 1934 zurück.13 Als Vorlage diente die gleichnamige Oper von Eugen d’Albert, welche wiederum auf dem Drama Terra baixa des katalanischen Dramatikers Àngel Guimerà beruht.14 Diese gehörte fest zu den Spielplänen der deutschen Opernlandschaft, insofern griff Riefenstahl hierbei auf einen dem deutschen Opernpublikum bekannten Stoff zurück, der zunächst unverdächtig erscheint, Träger faschistischer Inhalte zu sein.

Vor allem erhoffte sie sich, hiermit an ihren Erfolg von DAS BLAUE LICHT (1932) anknüpfen zu können. Der Grundkonflikt der Handlung, die Ebene der reinen Bergeshöhe gegen das »verkommene« Tiefland, ist hierbei als eine Neuauflage ihres Erstlingserfolges zu werten.15 Zunächst bot sie den Stoff der Ufa an, welche aber dankend ablehnte und ihr dafür ein anderes Projekt in Aussicht stellte, welches sich drei Monate später mit TRIUMPH DES WILLENS (1935) fand. Im Gegensatz zu ihrer Darstellung bot sie den Stoff wohl selber der Terra an, welche ihr auch eine Zusage machte.16 Nicht nur beim Inhalt setzte sie auf Altbewährtes, auch mit Hans Schneeberger für die Kamera kehrte sie auf bekanntes Terrain zurück. Die Besetzung stellte sie sich für eine Newcomerin mit Heinrich George und Sepp Rist hochkarätig vor. Riefenstahl fuhr sogar im Frühjahr 1934 zu einer ersten Drehortbesichtigung nach Spanien. Doch als die versprochenen finanziellen Zusagen durch die Terra ausblieben, verschwand die Idee in der Schublade.17 Über den Grund des Rückzugs der Terra aus der Produktion lässt sich nur spekulieren. Grote vermutet, dass die Terra »mit Bezug auf Riefenstahls verschwenderischen Umgang mit [40|41]finanziellen Mitteln und ihre Schwierigkeit, sich an zeitliche Absprachen zu halten, (…) den Abbruch des Projekts als Ergebnis einer disharmonischen Zusammenarbeit beschloss«18. Riefenstahls Karriere schadete dies nicht, nach Veröffentlichung ihrer Reichsparteitagsfilme und ihrer Olympiaproduktion stand sie im Zenit ihres Ruhms.

Dennoch gab sie die Hoffnung nicht auf, auf dem Gebiet des Spielfilms zu brillieren. Hierfür plante sie eine Umsetzung des Penthesileia-Stoffes. Auch hier dachte Riefenstahl groß, doch kam ihr der Kriegsausbruch dazwischen, sodass dieses Konzept in der Versenkung verschwand.19 Nach einer kurzen Episode als Kriegsberichterstatterin in Polen ging sie nun endgültig den Film wieder an.20 Dassanowsky deutet die Wiederaufnahme dieses Projektes als Rückzug aus den politischen Stoffen angesichts der von ihr mit angesehenen Kriegsverbrechen in Polen.21

Diese Darstellung darf ruhig in das Reich der Legenden verwiesen werden. Vielmehr erfreute sich nun das Projekt Förderung von oberster Stelle. Tiefland gehörte zu den Lieblingsopern Adolf Hitlers und Trimborn vermutet sogar, dass die Anregung zur Wiederaufnahme des Stoffes auf diesen selbst zurückging.22 Ob nun aus Eigeninitiative oder als Auftragsarbeit, in den Büchern ihrer Produktionsfirma wurde das Projekt als »Spielfilm ›Tiefland‹, der im Auftrage des Führers mit der Unterstützung des Reichsministeriums für Volksauf klärung und Propaganda hergestellt wird«,23 geführt, und im Gegensatz zu früheren Projekten bedeutete dies, dass die Produktion allein in den Händen ihrer Firma Riefenstahl GmbH lag, und damit außerhalb jeglicher künstlerischer wie finanzieller Kontrolle durch Dritte.

Trotz ihrer vorangegangenen Erfolge wäre ihr eine Finanzierung eines solchen Großprojektes nicht aus eigenen Mitteln möglich gewesen. Die Gelder für TIEFLAND flossen wohl direkt aus der NSDAP-Parteikasse an sie ohne große Umwege.24 Ihr Budget schien dabei unbegrenzt gewesen zu sein. Sobald finanzielle Engpässe auftauchten oder andere Misslichkeiten drohten, nutzte sie ihren Einfluss bei Martin Bormann, um diese aus dem Weg zu räumen. »So konnte sie noch mitten im Krieg einen vom Regime finanzierten Film drehen, ohne Rechenschaft ablegen oder Resultate vorlegen zu müssen. Sobald sich ihr jemand in den Weg zu stellen versuchte, konnte sie auf den ›Auftrag des Führers‹ verweisen.«25 Bei keinem Projekt konnte Riefenstahl so unabhängig agieren wie bei TIEFLAND.

Insgesamt verschlang der Film sieben Millionen Reichsmark. Damit zählt TIEFLAND neben den Farbfilmproduktionen MÜNCHHAUSEN (1943, R: Josef von Báky) und KOLBERG (1945, R: Veit Harlan) mit großem Abstand zu den teuersten Filmprojekten des Dritten Reiches.26

[41|42]Das üppige Budget brauchte Riefenstahl auch, denn sie hatte Großes vor. Zum einen hoffte sie, den Erfolg von DAS BLAUE LICHT zu wiederholen, und »was sie in diesem Film damals mit geringsten Mitteln erreicht hatte, wollte sie nun zur höchsten Vollendung bringen – den perfekten Bergfilm, die Krönung des Genres«27. Zum anderen wollte sie mit TIEFLAND beweisen, dass der Schwarz-Weiß-Film noch nicht ausgedient hatte.28

Befreit von allen finanziellen Zwängen, der Unterstützung aller offiziellen Stellen sicher, konnte Leni Riefenstahl sich an die Umsetzung wagen. Bei dieser zeigte sich auch, wofür sie den opulenten Etat benötigte: Aufgrund des Krieges war ein Dreh in Spanien nicht möglich, sodass sie auf das bayerische Voralpenland ausweichen musste.29 Um auf Authentizität dennoch nicht verzichten zu müssen, ließ sie die Ausstattung des Filmsets wie Haustüren und Fenstergitter aus Spanien einführen. Allein 500.000 Reichsmark verbrauchte Leni Riefenstahl für den Neubau der Dorf kulisse.30

Da sich Riefenstahl ihrer mangelnden Erfahrung als Spielfilmregisseurin bewusst war, holte sie sich für die Spielszenen prominenten Beistand von G. W. Pabst und auch Veit Harlan.31 Zudem beutelten sie zwischendurch Erkrankungen und Depressionen, sodass noch weitere Regisseure mit Hand anlegten, wie Arthur Maria Rabenalt, ihr Mentor Arnold Fanck und Mathias Wieman.32 1941 waren immerhin schon 50 Prozent und im Frühjahr 1942 schließlich 90 Prozent abgedreht. Ein Zusammenbruch gefolgt von Depressionen erforderte nun eine längere Drehpause.33 Zudem war das an sich üppige Budget erschöpft und ihre Produktionsfirma bankrott. Doch auch hier half die Regierung großzügig aus, zudem konnte Riefenstahl sich den Status als »kriegswichtige Produktion« sichern,34 sodass sie im Sommer 1943 nach Spanien zu reisen vermochte, um hier eine Szene mit 600 Stieren zu drehen. Die letzte Klappe fiel im Herbst 1944 in den Barrandov Studios in Prag, in denen sie noch einmal extra eine stilisierte Berglandschaft hatte erbauen lassen.35

Führt man sich den Ablauf der Dreharbeiten vor Augen, und vor allem die Tatsache, wie scheinbar unbeschränkt hierbei Leni Riefenstahls finanzielle Möglichkeiten ausfielen, so ist ihre Selbstdarstellung, dass die Verzögerungen aufgrund mangelnder Unterstützung durch das NS-Regime eintraten, ebenfalls in das Reich der Legenden zu verweisen.36 Schwierigkeiten in der Finanzierung entstanden höchstens dadurch, dass das Geld nicht so schnell fließen konnte, wie Riefenstahl es mit beiden Händen ausgab, beziehungsweise waren sie »dem Krieg und den daraus resultierenden Produktionsschwierigkeiten geschuldet«37.

[42|43]Die wohl umstrittenste Entscheidung Leni Riefenstahls ist jedoch, dass sie auf »›spanischem Kolorit‹ in den Gesichtern der Komparsen bestand« und man deshalb »auf die Idee« verfiel, »internierte Zigeuner heranzuziehen«38. Für den Drehzeitraum des Herbstes 1940 »verpflichtete« sie Sinti und Roma aus dem Sammellager Maxglan. 1942 wiederholte sie dies, indem sie noch einmal auf Sinti und Roma aus dem Lager Marzahn bei Berlin zurückgriff.39 Insgesamt »beschäftigte« sie so 116 Sinti und Roma,40 welche fast alle, sowohl aus dem Lager Maxglan wie Marzahn, im März und April 1943 nach Auschwitz deportiert wurden.41

Die Frage nach dem Wissen Riefenstahls um die Vernichtung sind hinlänglich vor deutschen Gerichten erörtert worden. Immer wieder berief sich Riefenstahl auf ein »Nicht-Wissen« um das Schicksal ihrer Statisten. Selbst wenn man ihr dies abnimmt, so zeigt allein ihr Beharren auf ihrer Behauptung noch im Jahr 2002, sie hätte die Komparsen alle nach dem Kriege wiedergesehen, dass Riefenstahl einem kreativen Umgang mit der Wahrheit nicht abgeneigt war.42 Spätestens im Jahr 2002 hatte auch Riefenstahl mitbekommen, dass die meisten »ihrer Zigeuner« in Auschwitz ums Leben gekommen waren, schließlich war diese Tatsache oft genug Thema in Prozessen, welche Riefenstahl anstrengte, um wenigstens zu beweisen, dass sie nichts von diesen Morden gewusst hatte. Die von der Überlebenden Zäzilie Reinhardt angestrebte Unterlassungsklage aus dem Jahr 2002 veranlasste Riefenstahl immerhin zu dem Statement, sie wäre falsch zitiert worden.43

Betrachtet man die Produktionsumstände, so ist ein Film, welcher wahrscheinlich auf »Befehl des Führers« gedreht wurde und nachweislich über schier unbegrenzte Mittel verfügte, wenig geeignet, sich als Dokument einer »inneren Emigration«44 seiner Regisseurin zu erweisen. Als Beleg des Widerstandes gegen einen Tyrannen taugt ein Film, der auf zwangsrekrutierte KZ-Insassen zurückgreift, und damit selbst zum Instrument der Unterdrückung wird, ebenso wenig.

Die von Dassanowsky, Sanders-Brahms und Ulm-Sanford behaupteten biografischen Bezüge, aus denen sie eine Interpretation von TIEFLAND als Werk der Opposition Riefenstahls gegen das NS-Regime ableiten, sind allein schon aufgrund der Produktionsbedingungen mehr als fragwürdig. Doch zeigt auch eine genauere Betrachtung der Figur Marthas, dass diese Gleichung nicht aufgeht.

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Leni Riefenstahl als Martha tanzt vor den Dorfbewohnern

Sie ist eben nicht eine »tanzende Zigeunerin«45, sondern das »Bettelmädchen«46, welches von ihrem Stiefvater, mit dem sie explizit nicht verwandt ist (die Frage Sebastians hierauf verneint sie mit einem Kopfschütteln), zum Tanzen und Geldverdienen gezwungen wird. Folgerichtig jagt »der Film-Sebastian (…) den völlig vertierten, besoffenen Mann aus dem Tal«47. Das Motiv des, wenn auch nicht im Film als solchen titulierten Zigeuners, der ein Waisenmädchen ausbeutet, ist schlicht rassistisch zu nennen. Zwar lässt sich dieser Topos schon bei Cervantes nachweisen, doch entwickelt er sich im Laufe der Jahrhunderte zu dem antiziganistischen Vorurteil überhaupt,48 welches sich nahtlos in die Rassenideologie des Nationalsozialismus einfügt.

Eine weitere Hinzufügung, die gegen die Interpretation des Films als Auseinandersetzung Riefenstahls mit ihrer eigenen Rolle im NS-Regime spricht, ist Sebastians Berater, Don Camillo, wie Ulm-Sanford selbst vermerkt: »Dass Leni Riefenstahl die Gestalt des Don Camillo einführte, ist äußerst interessant, weil dadurch die Gestalt Sebastians gehoben wird. Es ist Don Camillo, der die Heirat mit der reichen Bürgermeisterstochter Amelia arrangiert, der heimlich gegen alle und alles intrigiert. Der Sebastian des Films ist zwar grausam und brutal, doch er liebt Martha. Don Camillo aber ist zuständig für alle heimlichen Machenschaften.«49 Camillo inspiriert Sebastian erst zu seinen schlechten Taten, er »ist in diesem Gespann der denkende, planende, Sebastian der ausführende Part«50.

[44|45]Ulm-Sanford erinnert dies an Leni Riefenstahls Ansicht über Hitler,51 doch verweist das Motiv auf ein anderes Sujet: JUD SÜSS (1940, R: Veit Harlan). Auch hier ist es der Berater, eben jener Hofjude »Jud Süß«, der den Herrscher zu schlechten Entscheidungen verleitet. Macht über den Herzog Karl Alexander erhält Jud Süß ebenso wie Don Camillo über die Schulden, zu denen beide ihre Herren verleiten. Beide »verkaufen« ihre Herren, Jud Süß erzwingt über das Druckmittel der Schulden die Einwanderung der Juden in Baden-Württemberg, Don Camillo verkauft den Marquese an die als korrupt gezeichnete Oberschicht von Roccabruna in Gestalt des Bürgermeisters und dessen Tochter, welche nach Renata Berg-Pan das Böse schlechthin präsentiert.52 Zweifel ob der eigenen Schulden zerstreuen Oppenheimer und Don Camillo mit Schmeicheleien, Oppenheimer bestätigt Karl Alexander in seiner eigenen Größe, welche eben ein Ballett erfordert, Don Camillo lobt Sebastians Stiere als die schönsten von ganz Spanien und begründet die Ausgaben für diese somit als gerechtfertigt.

Riefenstahl greift hier somit das Hauptmotiv des antisemitischen Films überhaupt auf. Da die Figur des Don Camillo nicht Teil der Vorlage ist, muss man hier von einer beabsichtigten Regieentscheidung Riefenstahls ausgehen, und es erscheint angesichts ihrer mehr als zweifelhaften Haltung zum Antisemitismus, welche sich nicht zuletzt in ihrer Freundschaft zu Julius Streicher, dem Herausgeber des Stürmers zeigte, mehr als fragwürdig, dass sie sich dieser möglichen Analogie nicht bewusst war.53

Die Bezüge zu JUD SÜSS werden noch deutlicher, führt man sich Sebastians Verhalten im Vergleich zu dem des Herzogs Karl Alexander in Veit Harlans Film vor Augen. Beide stellen ihre eigenen Interessen in den Vordergrund, bei Karl Alexander ist es die opulente Hof haltung, welche ihn in die Schulden treibt, Sebastians Ruin sind seine Stiere. Beide verraten ihre Untertanen, Sebastian, indem er seinen Bauern das Wasser abgräbt, Karl Alexander, indem er die Steuerhoheit für die Straßen auf Jud Süß überträgt und die Landstände abschaffen will, beide erliegen den Einflüsterungen ihrer schlechten Berater, welche sie hintergehen, beide stehen aber vor allem für ein von »Macht- und Finanzinteressen korrumpiertes Regime«54, welches in der NS-Propaganda nur zu gerne mit der »verjudeten« Weimarer Republik gleichgesetzt wurde.55

Trotz aller persönlichen Mängel tragen sowohl der Herzog als auch Sebastian sympathische Züge. So wird Karl Alexander zu Beginn von JUD SÜSS als großer Feldherr tituliert, und Veit Harlan gibt sich alle Mühe, die Schuld an der Misere des Landes allein Oppenheimer zuzuweisen. Sebastian ist in seiner Liebe zumindest für Berg-Pan glaubwür[45|46]dig, und sie attestiert Martha, sich von seiner Macht und Güte angezogen zu fühlen und parallel hierzu von seiner Gewalt abgestoßen.56 Letztendlich bezahlen beide ihr Versagen gegenüber ihrem Volk mit dem Tod. Karl Alexander, konfrontiert mit den Vorwürfen der Landstände, erleidet einen Herzinfarkt, Pedro beseitigt den »Wolf« Sebastian. In beiden Fällen setzt sich so die »naturgegebene« Ordnung, für welche sich das NS-Regime hielt, gegen das korrumpierte System durch.

Zwar verändert Riefenstahl den Plot der Oper insofern, als sie die Verführbarkeit und auch die Anziehung Sebastians gegenüber Martha in den Fokus rückt, welches die eben genannten Autoren als Indiz einer zumindest unbewussten Reflexion Riefenstahls über ihre eigene Verführbarkeit durch Hitler werten.57 Doch bleibt die Figur Martha in ihrer Entscheidung für Pedro wie auch in ihrer eigenen Charakterisierung vor allem diesem verbunden. »Her only achievements are her innocence, her beauty, and her goodness of heart, born of naïveté.«58 Damit fungiert sie als weibliche Ergänzung zum naiven Pedro, welcher in der Lesart Sicks »jenen nationalsozialistischen Propagandaerzählungen (entspricht), die den Aufstieg des jugendlichen Sonnen-Menschen Siegfried als Allegorie für den Sieg des Faschismus begreifen«59.

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Pedro im Idyll des Hochlandes

[46|47]Anders als in der Vorlage von Oper und Drama verzichtet Riefenstahl darauf, Martha von Beginn an in die Dorfgemeinschaft zu integrieren.60 Martha kommt als »Fremde« dazu, trägt also ebenso wenig wie Pedro die »Verderbtheit« des Tieflands in sich. Die Dorf bewohner danken es Martha wenig, dass diese sich für sie einsetzt, ihre Gabe an die Müllersfamilie lehnt diese als »Almosen« ab, für ihre Rolle als Geliebte Don Sebastians wird sie von der Bevölkerung verachtet. Sie steht damit gleich zu Beginn in Opposition zu der Dorfgesellschaft. In ihrer Attraktion zu Sebastian mag sie zeitweilig als Mittlerin zwischen dem Berg- und dem Tiefland auftreten,61 doch »im Verlauf des Filmes wird sie aber immer stärker zur Gegnerin der von Sebastian repräsentierten Gesellschaft, bis sie schließlich einen so großen Abstand gefunden hat, daß sie mit Pedro, dem eindeutig Guten, in die Berge ziehen kann«62.

Spätestens mit der Sequenz, in welcher sie Pedro bittet, sie zu töten, da sie schon die Geliebte eines anderen war, trifft sie die Entscheidung zugunsten Pedros und distanziert sich endgültig von der kurzen Versuchung durch Sebastian. »Riefenstahl omitted this bit of business to show that pure and innocent people are automatically attracted to each other.«63 Noch einmal verdeutlicht sie hier die Zugehörigkeit Marthas in Pedros Sphäre.

Bleibt man bei der Gleichsetzung von Riefenstahl mit der Figur Martha, so lässt sich konstatieren, dass sich diese somit eher mit der neuen Ordnung des Nationalsozialismus identifizierte als mit dem für die Weimarer Republik stehenden Tiefland. Vor allem fungiert Pedro als ästhetisches wie handlungstechnisches Kontrastprogramm zur restlichen Bevölkerung. »Die filmischen Porträts (…) erwecken den Eindruck, dass Pedro und die Dorf bewohner einem kontrastiven Typenschema zugeordnet werden, indem der ›arische‹ Pedro auf Kosten der ›nicht-arischen‹ Bauern profiliert wird.«64

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Martha und Pedro verlassen das »verderbte« Tiefland

TIEFLAND inszeniert diesen Kontrast in seiner maximalen Dimension. Pedro, »ein Naturmensch, jung und blond und in hellem Gewand, (der) sich mutig, kräftig und erfolgreich gegen die Gefahr zu Wehr (setzt); das Kollektiv der Stadt zugehörig, dunkel gekleidet, alt, (…), setzt der Erniedrigung nur Demutsgesten entgegen«65. Wo Pedro in seiner Liebe rein bleibt, geben die »Dorf bewohner noch ihre fehlende Selbstbeherrschung und Triebsteuerung zu erkennen (…), wenn sie erregt Martha anstarren und geifernd über sie herfallen«66. Selbst noch die Darstellung von Pedros Zähnen wird als Beweis für die Verkommenheit Roccabrunas eingesetzt: »Während die Dorf bewohner schlechte Zähne und Zahnlücken zur Schau stellen, werden Pedros Zähne vor allem während seines Kampfes mit dem Wolf detailliert gezeigt. Ihre strahlende Weißheit und bissige Kraft sind dabei gleichermaßen Zeichen für Hygiene, Gesundheit und Jugend, die den Wirtshausgästen allesamt abgesprochen werden.«67 Die Hässlichkeit der Bevölkerung beweist nur ihre innere Verworfenheit und »die Schamlosigkeit und spätere Niederträchtigkeit der Dorf bewohner zeigt an, dass sie als Opfer der Gewaltherrschaft Sebastian der zivilisatorischen Degeneration des Tieflands nicht entgehen konnten«68. Einfacher drückt es in TIEFLAND Pedros Freund Nando aus: Im Tiefland »sind die Menschen nicht gut«. Folgerichtig wenden sich Pedro und Martha von diesem ab, da es selbst nach Sebastians Tod der Rettung nicht würdig erscheint, sie »lassen das von Besitzdenken und Habgier geprägte Tiefland hinter sich zurück«69.

III. Die tiefe Spur des Tieflands

Tatsächlich ist der in TIEFLAND vorgeblich angedachte »›Tyrannenmord‹ (…) eine Fiktion«70. Allein schon die Produktionsbedingungen deuten in die Richtung. Doch auch inhaltlich verweist der Film eben nicht nur auf [48|49]Genrekonventionen des Heimatromans.71 Vielmehr lassen sich sämtliche Hauptmotive, angefangen vom antiziganistischen Klischee des Kindsraubs über die Analogien zu JUD SÜSS mit der Figur Don Camillos und die rassistische Überhöhung Pedros bis hin zum Mord an Sebastian als Sinnbild für die niedergerungene Weimarer Republik konsequent einem faschistischen Weltbild zuweisen. In der Summe ist hiermit nicht von Spuren des Faschistischen in TIEFLAND zu sprechen, sondern eher von einer breiten Fahrrinne.

Es scheint verwunderlich, dass der Film so lange als »neutrales« Werk gedeutet werden konnte. Dies ist sicher nicht zuletzt der unermüdlichen PR-Arbeit Riefenstahls zu verdanken, in der sie sich immer als Opfer der Umstände und als unpolitische Regisseurin zu verkaufen suchte, und vor allem der Tatsache, dass der Film erst nach 1945 fertiggestellt wurde. Belastet wie kaum ein anderer Filmemacher, nahm sie schon früh eine Verteidigungshaltung ein, welche sich auch bei der Premiere zu TIEFLAND im Jahr 1954 zeigte. »Die Regisseurin und Hauptdarstellerin verwahrte sich bei einer ersten Pressevorführung in Frankfurt gegen Gerüchte um sie und um diesen unpolitischen Film, dessen Herstellung das Reichspropagandaministerium mehrfach behindert habe.«72 Von Verwertungsbeginn an versuchte Riefenstahl so, wohl wissend, dass dies für Parteitags- und Olympiafilme ihr nicht gelingen würde, wenigstens TIEFLAND als »Visitenkarte« zu retten. Genützt hat es nichts, der Film fiel bei der Presse durch. 1954, nach dem Untergang des Dritten Reiches, war der Film sowohl in seiner Ästhetik wie auch mit seinen faschistischen Werten ein Anachronismus. Unter allen Talenten Riefenstahls war doch ihr größtes eben jenes, den Nationalsozialismus zu bebildern. TIEFLAND bildet da keine Ausnahme. Für dieses Talent fand sich zum Glück nach 1945 keine Verwendung mehr.