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Für meine Eltern, June und Stanley Rogoff

Vorwort

Dieses Buch beschäftigt sich mit einem Problem, das Ihnen überraschend banal vorkommen mag. Es mag Ihnen eher wie ein geringfügiges Ärgernis vorkommen als ein Fluch. Doch ich werde versuchen, den Leser davon zu überzeugen, dass die Papiergeldwährung (Bargeld) das Kernstück einiger der am schwersten zu lösenden gegenwärtigen Probleme der öffentlichen Finanzwirtschaft und des Bankenwesens bildet. Einen Großteil des Bargelds loszuwerden, könnte daher hilfreicher sein, als Sie glauben.

Es ist verzeihlich, wenn der Leser glaubt, Finanzökonomen würden sich unaufhörlich über Papiergeld den Kopf zerbrechen und es gäbe unzählige Lehrbücher darüber. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Tatsächlich halten die meisten Akademiker und Ökonomen das physische Bargeld für eine unbedeutende Randerscheinung in der modernen Welt des Hightech-Bankings und Wirtschaftsgeschehens. Moderne keynesianische Gesamtwirtschafts-Modelle marginalisieren die Rolle des Bargelds oder klammern sie vollständig aus; es ist einfach zu unangenehm, sich damit zu beschäftigen. Die meisten Finanzwirtschafts-Experten wollen sich nicht mit Papiergeld herumplagen, denn sie halten es für absolut uninteressant und unwichtig.

Sogar die Zentralbanken interessieren sich nicht sonderlich für Bares, obwohl sie Milliarden Dollar damit verdienen, es zur Verfügung zu stellen. Die Vorstandsmitglieder diskutieren voller Begeisterung endlos über die Details der Zinspolitik und wie sich diese auf Inflation und Arbeitsmarkt auswirkt. Aber behelligen Sie sie bloß nicht mit irgendwelchen Diskussionen über Papiergeld-Fragen, es sei denn, es ginge dabei um Bilanzen. Selbst die lassen sie relativ kalt. Tief im Inneren glauben die meisten Zentralbanker, ihr wesentliches Lebensziel bestehe darin, die Wirtschaft auf einen stabilen Wachstumskurs zu halten und in Sachen Preisgestaltung zu beeinflussen, nicht aber darin, Geld zu produzieren.

Richtig. In den vergangenen Jahren wurde dem Bargeld ein klein wenig mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Denn die Zentralbanker denken jetzt mehr darüber nach, wie weit sie den Leitzins unter null senken können. Hoch verschuldete Regierungshaushalte benötigen immer dringender Steuereinnahmen, die Sicherheitsbehörden bemühen sich, terroristischen Bedrohungen vorzubeugen, und die Justizministerien sehen sich mit wachsenden nationalen und internationalen Verbrecher-Syndikaten konfrontiert. Doch für die meisten Politiker ist das Papiergeld nach wie vor eine unabänderliche Tatsache, und ihr Ehrgeiz beschränkt sich darauf, allfällige, dadurch verursachte Probleme abzuwenden. Selbst Akademiker, die doch eigentlich über den Tellerrand hinausschauen sollten, richten ihre Aufmerksamkeit auf komplexe und riskante Strategie-Entwürfe, die sich darauf richten, mit der Machtlosigkeit der Finanzpolitik zu dem Zeitpunkt umgehen zu können, an dem der Nominalzinssatz bei null liegt. Dabei fragen sie sich nicht, wie sich das Problem ganz einfach vom Tisch bekommen ließe.

Und genau dazu möchte ich hier einen Vorschlag machen. Warum sollten wir uns nicht einfach vom Bargeld trennen? Oder, um genauer zu sein, warum lassen wir den Bargeld-Gebrauch nicht einfach auslaufen, so dass der Übergang ganz langsam und schrittweise stattfindet? Finanziell ließe sich das durchsetzen durch subventionierte Bankkarten und die unbefristete Beibehaltung von kleinen Scheinen. Vielleicht ließen diese sich letztlich ersetzen durch ein reines Münzsystem.

Diese Lösung mag Ihnen simpel erscheinen, und vielleicht fragen Sie sich, warum ein ganzes Buch notwendig ist, um sie auszuloten. Aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Idee erfordert eine umfassende Betrachtung aller Berührungspunkte, die unser Leben mit Bargeld aufweist, manche davon konkret, manche greifbar, manche ausgesprochen abstrakt. Obgleich es eine Menge Möglichkeiten gibt, dieses Thema aufzubauschen und politisch auszuschlachten, werde ich mich durchgängig um Ausgewogenheit bemühen und sowohl die Vorteile als auch die Risiken betrachten. Das ist keine leichte Aufgabe, denn viele Themenbereiche sind äußerst emotionsgeladen. Was die einen beispielsweise als illegale Einwanderung betrachten, sehen die anderen als eine Fluchtbewegung von Menschen, die politischer Verfolgung und extremer Armut entkommen wollen. Wo zieht man die Grenze zwischen dem Recht der Regierung auf die Durchsetzung von Steuergesetzen und dem Recht der Bevölkerung auf Datenschutz? Ungeachtet der jeweiligen Position, die meine Leser einnehmen, werden viele die in diesem Buch präsentierten Fakten vermutlich ernüchternd finden. Viele der Argumente für die Erhaltung des Bargelds in seiner gegenwärtigen Form kommen Ihnen vielleicht überflüssig und weniger überzeugend vor, als sie zunächst klingen.

Ich hoffe, dass die meisten Leser einen Nutzen aus diesem Buch ziehen. Wo es notwendig war, esoterische Fragestellungen zu berühren, habe ich versucht, mich so klar und schlicht wie möglich auszudrücken. Alle unbedingt notwendigen technischen Erläuterungen habe ich in solchen Fällen in die Fußnoten und in den Anhang verbannt. Die künftige Rolle des Bargelds ist einfach zu wichtig, um sie einem kleinen Schattenbereich der Finanzwirtschaft zu überlassen. Ich bin sicher, nach der Lektüre dieses Buches wird Ihnen das Thema Papiergeld weniger banal und durchaus nicht mehr wie ein nebensächliches Problem vorkommen.

Kapitel 1:
Einleitung und Überblick

Ist es für die Regierungen entwickelter Länder an der Zeit, das Bargeld allmählich auslaufen zu lassen, vielleicht mit Ausnahme von kleinen Scheinen, Münzen oder beidem? Mit dieser relativ einfachen Frage ist eine Vielzahl von wirtschaftlichen, finanziellen, philosophischen und sogar ethischen Themen verknüpft. In diesem Buch stelle ich die Behauptung auf, dass die Antwort unterm Strich »ja« lautet. Erstens würde es Steuerbetrug und Verbrechen wahrscheinlich deutlich unattraktiver machen, wenn große, anonyme Zahlungen künftig erschwert würden. Selbst eine relativ bescheidene Wirkung dieser Art könnte es potenziell rechtfertigen, einen Großteil des Bargelds abzuschaffen. Zweitens, und das sage ich schon eine ganze Weile, ist die allmähliche Abschaffung des Bargelds unbestreitbar die einfachste und eleganteste Lösung, um den Zentralbanken eine uneingeschränkte Negativzinspolitik zu ermöglichen, also die »Nulllinie« des Nominalzinses nach unten zu durchbrechen. Die Kurse der Schatzanweisungen können aktuell nicht weit unter null fallen, gerade weil die Menschen immer die Option haben, Bargeldvermögen zu halten, das wenigstens null Prozent Zinsen einbringt.1

Obgleich die allmähliche Bargeldabschaffung und die Einführung negativer Zinssätze Themen sind, die prinzipiell voneinander getrennt betrachtet werden können, sind die beiden Probleme in der Realität eng miteinander verknüpft. Genau genommen ist es unmöglich, über eine drastische Abschaffung des Bargelds nachzudenken, ohne dabei in Betracht zu ziehen, dass dies einem uneingeschränkten Negativzinssatz Tür und Tor öffnet und dass die Zentralbanken eines Tages versucht sein könnten, diese Schwelle zu überschreiten. Schließlich haben selbst heute schon, da die Tür zum Negativzins nur schief in den Angeln hängt, etliche große Zentralbanken (darunter die Bank of Japan und die Europäische Zentralbank) ihren Fuß auf der Schwelle. Insofern ist es wichtig, über die Abschaffung von Bargeld und die Entwicklung einer Negativzins-Strategie im Hinblick auf eine mögliche Umsetzung nachzudenken.

Als ich vor fast zwanzig Jahren erstmals vorschlug, große Banknoten abzuschaffen,2 hatte die Idee eines massiven Abbaus des weltweiten Berges von Papiergeld noch viel von einer Fantasy-Erzählung. Es war ein obskurer akademischer Aufsatz über ein obskures Thema in einer relativ obskuren Zeitschrift. Aber irgendetwas an der verrückten, abwegigen Idee, 100-Dollar-Noten abzuschaffen, fiel der New-York-Times-Journalistin Sylvia Nasar3 (der Autorin von A Beautiful Mind) ins Auge. Ihr Artikel wiederum erregte die Aufmerksamkeit des damaligen amerikanischen Finanzministers Robert Rubin, der das Thema mit seinen Mitarbeitern besprach. Zu meinem Kummer wurde mir aber später gesagt, dass Rubin sich nicht in erster Linie auf meine Argumentation für die Abschaffung aller großen Banknoten konzentrierte (also 50 Dollar und mehr). Vielmehr lag sein Fokus auf meinem Hinweis, dass die geplanten neuen 500-Euro-Noten (rund 570 Dollar) die Vorherrschaft der amerikanischen 100-Dollar-Note in der weltweiten Schattenwirtschaft infrage stellen könnten. So viel zu meinem politischen Einfluss.

Ich glaube immer noch, dass mein Schwerpunkt richtig war.4 Die »Gewinne«, die Regierungen erzielen, indem sie blindlings die Nachfrage nach Bargeld bedienen, werden verschlungen von den Kosten illegaler Aktivitäten, die das Bargeld, und hier speziell die großen Scheine, erleichtert. Allein schon, die Papiergeldmenge zu reduzieren und damit die Steuerhinterziehung zu erschweren, würde vermutlich schon die entgangenen Gewinne wettmachen, die die Zentralbanken mit dem Druck von Banknoten machen. Das wäre selbst dann der Fall, wenn sich dadurch die Steuerhinterziehung nur um 10 bis 15 Prozent verringerte. Die Auswirkung auf illegale Geschäfte ist vermutlich noch größer.

Es steht außer Frage, dass Bargeld eine wesentliche Rolle bei einer großen Bandbreite krimineller Aktivitäten spielt, darunter Drogenhandel, organisierte Kriminalität, Erpressung, Behördenkorruption, Menschenhandel und natürlich Geldwäsche. Die Tatsache, dass große Scheine weitaus häufiger für illegale als für legale Transaktionen verwendet werden, hat schon seit langer Zeit Einzug in Fernsehen, Film und Populärkultur gehalten.5 Politiker dagegen haben sehr viel länger gebraucht, um das als Realität anzuerkennen.

Bargeld spielt auch eine zentrale Rolle beim Problem der illegalen Einwanderung, das Länder wie die Vereinigten Staaten beutelt. Es ist unglaublich, dass einige Politiker allen Ernstes über die Errichtung immens hoher Grenzzäune sprechen, aber offenbar niemand begreift, dass es ein weitaus humanerer und wirkungsvollerer Ansatz wäre, den amerikanischen Arbeitgebern die Verwendung von Bargeld zu erschweren, mit dem sie illegale Arbeitskräfte schwarz und häufig unterhalb des Mindestlohns bezahlen. Beschäftigung ist der große Magnet, der den gesamten Einwanderungsprozess antreibt. Um es allgemein zu sagen: Bargeld schafft eine Möglichkeit für Arbeitgeber, die arbeitsrechtlichen Bestimmungen zu umgehen und Sozialabgaben zu vermeiden.

Natürlich muss jeder Plan zur drastischen Verringerung des Bargeldbestands auch stark subventionierte, einfache Bankkonten für Geringverdiener und vielleicht sogar einfache Smartphones umfassen. Etliche Länder, darunter Schweden und Dänemark, setzen dies bereits um, und viele andere Länder erwägen ähnliche Maßnahmen. Eine simple Idee, um den Prozess in Gang zu setzen, ist die Einführung von Schuldkonten, über die alle Behördenzahlungen vorgenommen werden können. Die finanzielle Eingliederung wäre eine gute politische Strategie, ob mit oder ohne Bargeldausstieg. Auf jeden Fall bietet der Plan, den ich in diesem Buch entwickle, kleine Anregungen, die lange Zeit (vielleicht unbegrenzt) kursieren und die meisten Belange in Bezug auf alltägliche Zahlungsvorgänge für die meisten Menschen einbeziehen. Die Beibehaltung kleiner Scheine (idealerweise letztlich in Münzen umgewandelt) berücksichtigt auch die drängendsten Bedenken in Bezug auf Sicherheit, Datenschutz und Notfälle.

Wer glaubt, dass aktuell Kreditkarten, Handy-Zahlungen und virtuelle Währungen das Bargeld bereits verdrängen, könnte sich kaum mehr irren. In den Industriestaaten ist die Nachfrage nach Papiergeld im Laufe von mehr als zwanzig Jahren kontinuierlich gewachsen. Ob Sie es glauben oder nicht, Ende 2015 war in den USA Bargeld im Wert von 1,34 Billionen Dollar außerhalb von Banken im Umlauf, das sind 4.200 Dollar für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in den Vereinigten Staaten. Die Größenordnungen sind in allen Industriestaaten weitgehend vergleichbar. Es ist kaum zu glauben, aber der Großteil dieses riesigen Bargeldbestands besteht aus großen Scheinen, also solchen Banknoten, die die meisten von uns nicht in ihren Portemonnaies haben, darunter die amerikanische 100-Dollar-Note, die 500-Euro-Note (derzeit rund 570 Dollar) und die schweizerische 1.000-Franken-Note (etwas mehr als 1.000 Dollar). Nahezu 80 Prozent des amerikanischen Bargeldbestands existiert in Form von 100-Dollar-Scheinen. Wie viele Leute haben 34 Stück davon in ihren Geldbörsen, Keksdosen oder im Auto, was den Anteil jedes Einzelnen ausmachen würde? Und das gilt für jeden Erwachsenen und jedes Kind; eine vierköpfige Familie müsste also 13.600 Dollar nur in 100-Dollar-Noten besitzen, kleinere Banknoten nicht mit eingerechnet. Staatskassen und Zentralbanken verdienen standardmäßig Milliarden am Druck großer Geldscheine. Aber niemand weiß, wo genau sich die meisten davon befinden und wofür sie genutzt werden. Nur ein geringer Anteil liegt in Kassen oder Bankschließfächern, und Verbraucherumfragen in den USA und Europa liefern keinerlei Erklärung für den Verbleib des Rests. Und es sind nicht nur die Vereinigten Staaten, die über einen gigantischen Bargeldbestand in überwiegend großen Scheinen verfügen. Das Problem ist in entwickelten Volkswirtschaften nahezu universell.

Selbst Zentralbanken beginnen, ihre umgekehrten Geldwäsche-Operationen mit gemischten Gefühlen zu betrachten. Ich verwende den Begriff »umgekehrte Geldwäsche«, um zu verdeutlichen, wie die Zentralbanken tatsächlich saubere Geldscheine an die Banken ausgeben, wo das Bargeld – insbesondere die großen Scheine – nach einer Reihe von Zwischentransaktionen häufig als schmutziges Geld in der Schattenwirtschaft landet. Bei der klassischen Geldwäsche werden natürlich die Einkünfte aus illegalen Geschäften durch scheinbar rechtmäßige Unternehmen geschleust, um sauberes Geld zu erzeugen.

Der entscheidende Anstoß für die Zentralbanken, die Rolle des Bargelds zu überdenken, scheint nicht so sehr ein moralisches Erwachen zu sein als vielmehr die Erkenntnis, dass Papiergeld zu einem wesentlichen Hindernis für das reibungslose Funktionieren des Weltfinanzsystems geworden ist. Wie kann etwas so Veraltetes wie Papiergeld überhaupt eine Rolle spielen in einer Weltwirtschaft, in welcher der Gesamtwert aller Finanzgüter den Gesamtwert des Bargelds bei weitem übersteigt? Die Begründung ist so ungeheuer banal, dass sie jeden schockieren wird, der noch nie darüber nachgedacht hat.

Man kann sich Papiergeld als eine Null-Prozent-Anleihe vorstellen. Oder, um genauer zu sein, als anonyme Null-Prozent-Anleihe: Kein Name und keine Geschichte ist damit verknüpft, und sie hat ihre Gültigkeit unabhängig davon, wer sie besitzt.6 Solange die Menschen sich für Papiergeld entscheiden können, werden sie nicht bereit sein, einen Zinssatz bei irgendeiner Art von Anleihe zu akzeptieren, der deutlich niedriger ist, außer vielleicht als bescheidene Ausgleichsdifferenz, weil die Versicherung und Lagerung von Bargeld kostspielig ist. So trivial das Problem auch aussehen mag, die Null-Prozent-Anleihe hat im Wesentlichen die Finanzpolitik der gesamten entwickelten Welt behindert, und zwar für einen Großteil der acht Jahre seit der Finanzkrise von 2008. Wenn eine unbeschränkte Negativzinspolitik möglich wäre – und alle notwendigen finanziellen, institutionellen und gesetzlichen Vorbereitungen getroffen wären –, würde den Zentralbanken niemals »die Munition ausgehen« (das heißt, sie hätten stets Spielraum zur weiteren Kürzung des Zinssatzes). Vieles spricht dafür, dass eine unbeschränkte Negativzinspolitik auf dem Höhepunkt der Finanzkrise äußerst hilfreich gewesen wäre.

Nur wenige Politiker hatten sich über dieses Problem tatsächlich Gedanken gemacht, bis die Finanzkrise zuschlug. Seit der Weltwirtschaftskrise war die Null-Prozent-Anleihe einfach außerhalb von Japan in der Zeit nach der Blase kein großes Thema. Seit 2008 hat sich die Situation dramatisch verändert. Tatsächlich hat sich während der vergangenen acht Jahre wirklich jede größere Zentralbank das eine oder andere Mal gewünscht, Zinssätze im deutlich negativen Bereich festlegen zu können. Einige wenige Zentralbanken, darunter die dänische, die schweizerische, die schwedische, der EZB und die Bank of Japan, haben sich auf Zehenspitzen in den Bereich negativer Zinsen vorgewagt, um die Grenze auszutesten, ab der eine Fluchtbewegung von Unternehmenskonten und Staatsschulden in Richtung Bargeld die Strategie ineffektiv oder sogar kontraproduktiv machen würde. Doch selbst wenn die Untergrenze des Zinssatzes ein wenig unter null liegt, gibt es immer noch eine Beschränkung.

Die Idee, dass negative Zinssätze irgendwann mal eine gute Strategie sein könnten und dass Papiergeld dem im Wege steht, ist keineswegs neu. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise erzielten führende Wirtschaftswissenschaftler jeglicher Couleur, darunter Irving Fisher in Yale und John Maynard Keynes in Cambridge, bemerkenswerte Einigkeit. Wenn es nur irgendeine Möglichkeit gäbe, dass die Regierungen einen negativen Bargeldertrag erzielten, könnte das Geldmengen-Wachstum vielleicht die Welt aus der Krise holen. Das Problem war damals, genau wie es in vielen Ländern auch heute besteht, dass die kurzfristigen Zinssätze bereits bei null lagen, womit die Finanzpolitik in einer »Liquiditätsfalle« gefangen war und keinerlei Spielraum mehr hatte. Inspiriert durch den deutschen Querdenker Silvio Gesell verfasste Fisher 1933 das Buch Stamp Scrip, in dem er der Idee nachging, dass die Leute regelmäßig neue Marken auf die Rückseite ihrer Banknoten kleben sollten, um deren Gültigkeit zu erhalten. Das war natürlich eine sehr primitive Form des Negativzinses auf Bargeld. Keynes lobte die Idee 1936 in seiner General Theory, kam aber berechtigterweise zu dem Schluss, dass sie völlig unpraktikabel sei.7 Gesells Lösung für die Liquiditätsfalle zu verwerfen, bereitete den Weg für Keynes’ berühmte Schlussfolgerung, die Regierungsausgaben seien der Schlüssel zum ökonomischen Aufstieg aus der Weltwirtschaftskrise.

Womöglich käme Keynes heutzutage zu einem völlig anderen Schluss, da Transaktionen bereits immer stärker über elektronische Medien abgewickelt werden, darunter Kreditkarten, Bankkarten und Smartphones. Es ist heute keinesfalls mehr unpraktikabel, negative (oder positive) Zinsen auf elektronische Währungen zu zahlen, wie die Banken annehmen; wie bereits erwähnt tun einige Zentralbanken dies bereits! Das wesentliche Hindernis für die Einführung negativer Zinssätze in größerem Umfang ist die Altlast des Bargelds, besonders der großen Scheine, die sich im Epizentrum jeder umfänglichen Umwandlung von Schatzanweisungen in Bargeld befänden.8 Natürlich stehen noch weitere institutionelle Hindernisse einer kompletten Negativzinspolitik im Wege, beispielsweise die Vereinbarung, negative Zinsen auf Schulden zu zahlen, die Vorschrift, übermäßig viele Steuervorauszahlungen zu leisten und der Ausschluss langer Verzögerungen beim Einlösen von Schecks. Doch wie ich in Kapitel 10 und 11 zeigen werde, können all diese Probleme gelöst werden, wenn man genügend Zeit dafür einräumt.

Die Abschaffung von Bargeld oder die Erhebung von Negativzinsen auf Guthaben sind emotional aufgeladene Themen. Modernen Silvio Gesells begegnet man in einigen Bereichen mit unverhohlener Feindseligkeit. Im Jahr 2000 veröffentlichte der Federal-Reserve-Beamte Marvin Goodfriend aus Richmond einen rein wissenschaftlichen Aufsatz. Darin regte er an, als eine Möglichkeit für die Zahlung negativer Zinsen das Geld mit Magnetstreifen auszustatten. Statt für seine Kreativität und Voraussicht gelobt zu werden, erhielt Goodfriend in kurzer Zeit eine Vielzahl feindseliger und drohender E-Mails und wurde in konservativen Radiosendungen angeprangert. 2009 schrieb der Harvard-Wirtschaftswissenschaftler N. Gregory Mankiw einen skurrilen Artikel für die New York Times, in dem er das Null-Zins-Problem aufgriff und erwähnte, dass einer seiner Studenten vorgeschlagen habe, regelmäßig Lotterien mit den Seriennummern auf Geldscheinen durchzuführen. Nach jeder Verlosung sollten die Scheine mit den gezogenen Seriennummern für wertlos erklärt werden. Über diese unorthodoxe Methode der Bezahlung eines Negativzinses auf Bargeld wurde zu rein veranschaulichenden Zwecken und mit einem Augenzwinkern berichtet. Sie ist vollkommen unpraktikabel. Wie kann man schließlich erwarten, dass die Leute sich im Laufe der Zeit all die gezogenen Nummern merken? Zu Mankiws Erstaunen erhielt auch er augenblicklich Schmäh-E-Mails und -Kommentare, dazu kamen Briefe an den Harvard-Präsidenten mit der Aufforderung, ihn auf der Stelle zu entlassen.

Nicht jeder, der das Bargeld erhalten möchte, gehört einer Weltuntergangssekte an oder sieht einen Zusammenhang zwischen einer bargeldlosen Gesellschaft und der Vorherrschaft des Satans. (Obwohl ich als jemand, der lange Zeit über die massive Einschränkung der Rolle von Papiergeld geschrieben hat, bestätigen kann, dass auch solche Typen darunter sind.) Die meisten Menschen, die das Bargeld bewahren wollen, haben vollkommen legitime Gründe, den Status quo zu bewahren. Nach einer Vorlesung, die ich 2014 an der Universität in München hielt, nahm Otmar Issing, ehemaliges Vorstandsmitglied und Chefökonom der Europäischen Zentralbank, großen Anstoß an meinem Standpunkt. Er gab zu bedenken, das Bargeld sei »geprägte Freiheit« (eine Anspielung auf Dostojewskis Aufzeichnungen aus einem Totenhaus)9 und dürfe niemals und unter keinen Umständen gefährdet oder aufgegeben werden. Mein Ziel in diesem Buch ist es, diese Einwände ernst zu nehmen und nach Möglichkeit herauszufinden, wie sie sich abschwächen lassen. Manche schätzen die relative Bequemlichkeit von Bargeld, auch wenn seine Vorteile in einer immer geringeren Bandbreite an legalen Transaktionen bestehen. Für andere ist die Anonymität wichtig, ein Thema, das viel zu komplex ist, um es aufzugreifen. Wie kann eine Gesellschaft das Gleichgewicht schaffen zwischen dem Recht des Einzelnen auf Privatsphäre und dem sozialen Erfordernis zur Durchsetzung von Gesetzen und Vorschriften?

Den Verlauf dieser Grenzlinie zu bestimmen – und sie durchzusetzen und einzuhalten – ist vielleicht die entscheidendste Aufgabe, die sich jede zukünftige Arbeitsgruppe für die Abschaffung von Bargeld stellen muss. Das Problem der Privatsphäre umfasst viel mehr als nur die Bargeldpolitik; es wirft auch Fragen zu Mobilfunkaufzeichnungen und Browserverläufen auf, ganz zu schweigen von den Überwachungskameras, die mittlerweile in den größten Städten der Welt fast allgegenwärtig sind. Doch Bargeld ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil dieser Mischung, und wenn man sich Gedanken über seine Abschaffung macht, ist es von Bedeutung, sich sowohl die Ziele als auch die Alternativen genau anzuschauen (zum Beispiel Prepaid-Bankkarten mit strikten Begrenzungen). Die Bequemlichkeit und Anonymität von Bargeld bei kleinen Transaktionen aufrechtzuerhalten, ist ein wichtiger Grund dafür, dass jeder Weg zur Bargeldabschaffung bei den großen Scheinen beginnen muss. Möglicherweise müssen die kleineren Scheine zeitlich unbegrenzt oder bis zur Einführung vollständig zufriedenstellender Alternativen unangetastet bleiben.

***

Ein Buch um einen Sachverhalt herum zu strukturieren, der so viele verschiedene Themenbereiche berührt, war eine außergewöhnliche Herausforderung, besonders wenn man sowohl die praktischen als auch die philosophischen Implikationen ernst nehmen möchte, die mit der Bargeldabschaffung einhergehen. Ich habe mich bemüht, eine Struktur zu entwickeln, die es dem Leser ermöglicht, direkt zu den speziell für ihn interessanten Themen zu navigieren oder einfach das gesamte Buch durchzulesen. Sehr viel Material, insbesondere Zitate, habe ich in die Fußnoten ausgelagert. Sie müssen bei einem ersten Durchgang nicht unbedingt in allen Einzelheiten gelesen werden. Einige Themenbereiche schienen auch ein bisschen zu technisch für den Text zu sein; sie werden in einem kurzen Anhang angefügt.

Der Haupttext ist in drei Teile untergliedert. Kapitel 2 beginnt mit der auszugsweise dargestellten Geschichte des Bargelds und stellt einige zentrale Punkte heraus, auf die ich später zurückkommen werde. Ein absolut entscheidender Punkt ist, dass es in Wirklichkeit zwei Arten von Papiergeld gibt, das gedeckte und das ungedeckte. Beim Goldstandard beispielsweise legen Zentralbanken den Wert des Geldes im Verhältnis zu Gold fest, indem sie sich jederzeit die Möglichkeit offenhalten, Bargeld zum offiziellen Preis für Gold zu kaufen und zu verkaufen. Wie wir sehen werden, können sie sich in Schwierigkeiten bringen, wenn sie nicht über genügend Gold verfügen, um das gesamte von ihnen gedruckte Geld zu decken. Bei einem ungedeckten oder Fiatgeld-System wird der Wert des Bargelds ausschließlich durch eine Mischung aus gesellschaftlicher Übereinkunft und Regierungserlass bestimmt. Heutzutage sind alle großen Währungen reine Fiatgeld-Systeme, eine Einrichtung, die bis zu den mongolischen Herrschern in China zurückverfolgt werden kann.

Weil keine Notwendigkeit besteht, die Papiergeldwährung zu decken, haben moderne Regierungen große Mengen davon in Umlauf gebracht. Kapitel 3 liefert die grundlegenden Fakten über die gewaltigen Vorräte an Bargeld, mit einem Schwerpunkt auf den Währungen fortschrittlicher Wirtschaftssysteme, allerdings auch mit einigen Tatsachen über Schwellenmärkte. In den Kapiteln 4 und 5 gehe ich dann den verschiedenen Bedarfsquellen auf den Grund. Wer könnte so immense Mengen an Bargeld besitzen? Zu den Bedarfsquellen gehören die legale, Steuern zahlende einheimische Wirtschaft, die nicht so legale Schattenwirtschaft (darunter auch Steuerhinterzieher und Verbrecher) sowie die Weltwirtschaft, einschließlich legaler und illegaler Nachfrage.

Kapitel 6 ergründet einen elementaren Pluspunkt des Bargelds, nämlich die beträchtlichen Einkünfte, die Regierungen aus der Ausübung ihres Bargeld-Monopols erzielen. Es betrachtet verschiedene Maßnahmen, um vom Bargeld zu profitieren, und versucht einzuschätzen, wie viel davon verloren ginge, wenn sich ein wesentlicher Anteil der Nachfrage auf elektronische Zahlungsmöglichkeiten verlagern würde. Wichtige Themen sind hierbei nicht nur der entgangene zukünftige Gewinn, sondern auch die Kosten, welche die Rücknahme eines Großteils der vorhandenen Vorräte verursachen würde. Dazu gehört zunächst auch der Aspekt, dass Staatsschulden das Bargeld aufsaugen, wenn es eingezogen wird. Die tatsächlichen Kosten wären wahrscheinlich davon abhängig, wie stark Anti-Geldwäsche-Gesetze und die Notwendigkeit des Nachweises von Bareinlagen während der Abschaffungsphase ausgesetzt würden, denn dies hätte Auswirkungen darauf, wie viel schmutziges Geld einginge. Ich ziehe die Schlussfolgerung, dass die gesamtgesellschaftlichen Vorteile der Abschaffung von Bargeld vermutlich beträchtlich höher wären als die Kosten.

Natürlich hängt viel davon ab, wie stark Steuerhinterziehung und kriminelle Aktivitäten in einer »bargeldreduzierten« Welt zurückgehen würden. Das ist ungewiss, obwohl ich davon ausgehe, dass die Auswirkungen recht deutlich spürbar sein werden, vorausgesetzt, die Regierung bleibt auf der Hut, was das Aufkommen alternativer Transaktionsmedien angeht. Das Schlüsselinstrument, über das die Regierung verfügt, ist die Fähigkeit, es Finanzinstituten unmöglich zu machen, eine alternative Währung zu akzeptieren, und deren Verwendung in gewöhnlichen Einzelhandelsgeschäften zu erschweren. Natürlich gibt es immer Schlupflöcher: Goldmünzen, Rohdiamanten und virtuelle Währungen. Doch wenn man ihre Praktikabilität betrachtet und die beträchtlichen Einschränkungen, denen sie schon jetzt unterliegen (zum Beispiel für lizenzierte Diamanten- und Goldhändler), wird schnell deutlich, dass die Alternativen zu Bargeld mit hoher Wahrscheinlichkeit kostspieliger, riskanter und weniger effizient sind. Im vorletzten Kapitel dieses Buches werden wir uns näher mit virtuellen Währungen beschäftigen.

Kapitel 7, das letzte Kapitel von Teil I, enthält einen konkreten Plan zur Abschaffung des Bargelds bis hin zu kleinen Scheinen und Münzen. Die lange Übergangsfrist dient dazu, den Menschen und Institutionen Zeit zur Anpassung zu geben und es den Politikern zu ermöglichen, mit unvorhergesehenen Problemen umzugehen. Ein wichtiges Grundprinzip besteht darin, dass ein ideales System Hindernisse für große und wiederkehrende anonyme Transaktionen schaffen sollte, nicht jedoch für kleine. Zudem sollte es die finanzielle Eingliederung gewährleisten, also niemanden ausschließen. Mit der unbegrenzten Beibehaltung kleiner Scheine oder Münzen begegnet der Plan vielen der Bedenken, die bei einer vollständigen Abschaffung von Bargeld aufkämen, zum Beispiel was bei einem durch eine Naturkatastrophe bedingten Stromausfall passieren würde. Wie schnell das Papiergeld vollständig eliminiert werden kann, hängt von den Erfahrungswerten und von der technologischen Entwicklung ab. Am Ende von Kapitel 7 stelle ich den Fall der skandinavischen Länder (speziell Schweden) vor, die sich aus einer Reihe von Gründen weiter und schneller zu bargeldlosen Gesellschaften entwickelt haben als vielleicht jedes andere Land bisher. Es ist noch viel zu früh, um irgendwelche belastbaren Schlussfolgerungen aus diesen ersten Erfahrungen zu ziehen, doch sie scheinen zu zeigen, dass viele der eher überflüssigen Einwände gegen die massive Einschränkung von Bargeldverwendung entkräftet werden können.

In Teil II dieses Buches geht es um negative Zinssätze. Wie bereits angemerkt, kann man sich kaum mit der Abschaffung des Bargelds beschäftigen, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass sich dies massiv auf die Strategie der Zentralbanken auswirkt.10 Nach einer Einführung und einem Überblick ergründe ich in Kapitel 8, was über die Seriosität der praktischen Anwendung eines Null-Prozent-Leitzinssatzes bekannt ist. Es gibt eine wachsende Anzahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen dazu, doch sie beruhen auf beschränkten Daten und Informationen. Darüber hinaus haben auch die Modelle selbst interne Beschränkungen, zum Beispiel die grobe Art und Weise, wie sie die Finanzmärkte behandeln. Tatsache ist: Auch wenn die meisten Zentralbanker intuitiv annehmen, dass ein Nominalzinssatz von null ein wichtiges und wiederkehrendes Problem ist, befindet sich die wissenschaftliche Erforschung noch in den Kinderschuhen, und die bisherigen Ergebnisse sind unterschiedlicher Natur.

Auch Kapitel 8 untersucht einige der Anstrengungen, die Zentralbanken zur Umgehung der Nullzins-Grenze unternommen haben, ohne auf einen negativen Leitzins abzuzielen. Kapitel 9 betrachtet noch weitere Ideen zum Umgang mit der Nullzins-Grenze, zum Beispiel die Anhebung der Inflationsziele von 2 auf 4 Prozent. Kapitel 10 greift alternative Vorgehensweisen auf, um eine Negativzinspolitik (mit offenem Ende) ohne Abschaffung von Bargeld zu ermöglichen. Eine interessante und wichtige Idee besteht darin, dass die Regierung separate elektronische und Papiergeldwährungen ausgibt und einen Wechselkurs dafür einrichtet. Kapitel 11 befasst sich mit weiteren Schwierigkeiten und Hindernissen, die der Effektivität einer Negativzinspolitik im Wege stehen könnten, und damit, wie diese Schwierigkeiten gelöst werden könnten. In Kapitel 12 greife ich dann die Bedenken auf, eine Negativzinspolitik könnte die finanzielle Stabilität aushebeln und zu viele Anreize schaffen, von einer modernen regelorientierten Politik abzuweichen.

Teil III beschäftigt sich mit Themen, die sowohl Teil I und Teil II überspannen, darunter internationale Auswirkungen und digitale Währungen. Ist eine Koordination notwendig (Kapitel 13)? Hat die Negativzinspolitik Übertragungseffekte? Macht das Aufkommen digitaler Währungen all dies ohnehin irrelevant (Kapitel 14)?11 Ich werfe hier auch einen Blick auf Entwicklungs- und Schwellenländer. Für die meisten ist es noch zu früh, um eine Abschaffung des Bargelds in Erwägung zu ziehen, obwohl die Abschaffung großer Scheine vermutlich trotzdem eine gute Idee wäre. Das Kapitel »Fazit« beschließt dieses Buch.

Zuletzt noch einige Worte zur Begrifflichkeit. Ich verwende durchgängig den Begriff »Papiergeldwährung« auch für andere Transaktionsmedien mit ähnlicher Form und Funktion wie Banknoten, die nicht notwendigerweise aus Papier hergestellt sind. Natürlich bestanden die ersten chinesischen Zahlungsmittel aus Leder und Baumrinde, und die häufigste Alternative heutzutage ist Polymer-Kunststoff, der bereits in einer Reihe von Ländern verwendet wird, darunter Kanada und Großbritannien. Kunststoff-Banknoten sind definitiv haltbarer als die aus Papier und wohl auch schwerer zu fälschen. Für die meisten Zwecke hier hat dies jedoch nicht oberste Priorität. Abgesehen von ein paar anderen kleinen Details, die an den entscheidenden Stellen ausgeführt werden (zum Beispiel ist es potenziell einfacher, individuelle Seriennummern auf den Kunststoff-Banknoten zu erfassen), möge der Leser sich Papier- und Kunststoff-Banknoten bei der Lektüre dieses Buches als ein und dasselbe vorstellen. Ich beziehe mich auf beides mit dem Begriff »Papiergeldwährung«.

Im Zusammenhang damit nutze ich auch die Bezeichnungen »Papiergeld« oder »Bargeld« anstelle von »Papiergeldwährung«, um Wiederholungen zu vermeiden. Alle diese Begriffe haben hier dieselbe Bedeutung. Die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs »Bargeld« umfasst manchmal alle Arten von liquidem Vermögen, doch in diesem Kontext hier sollte deutlich geworden sein, dass ich mit »Bargeld« immer »Papiergeldwährung« meine. In 75 Jahren, wenn Papiergeldwährungen immer noch von isolierten Volksstämmen im Amazonasdelta oder in Osttexas genutzt werden, haben diese vermutlich ohnehin ihre eigenen Bezeichnungen dafür.


1 Siehe z. B. Rogoff (2014). Der Beitrag basiert auf Rogoff (1998a) und nimmt die wichtigsten hier vorgestellten Konzepte vorweg, die ich auch in gedruckten Kommentaren bereits publiziert habe.

2 Rogoff (1998a).

3 Sylvia Nasar, »Crime’s Newest Cash of Choice«, New York Times, 28. April 1998, verfügbar unter http://www.nytimes.com/1998/04/26/weekinreview/ideas-trends-crime-s-newest-cash-of-choice.html

4 Als Chefvolkswirt beim Internationalen Währungsfonds (z. B. Rogoff 2002) habe ich weiter an diesem Thema gearbeitet, ohne allerdings auf viel Resonanz zu stoßen.

5 Ein Beispiel ist der Film All About the Benjamins (mit Ice Cube als Hauptdarsteller) aus dem Jahr 2002. Der Titel bezieht sich auf Benjamin Franklin, der auf dem aktuellen 100-Dollar-Schein abgebildet ist.

6 Früher gab es tatsächlich anonyme verzinsliche Inhaberschuldverschreibungen und sie spielen eine Rolle in F. Scott Fitzgeralds Roman Der Große Gatsby aus dem Jahr 1925. Auch in Hollywood-Filmen aus den 1980er-Jahren wie Die Hard und Beverly Hills Cop kommt noch vor, dass sie von manchen Bösewichten verlangt werden. In den USA allerdings sind sie mittlerweile praktisch verboten und auch in anderen Industrienationen vom Aussterben bedroht. In den USA wurden sie durch den Tax Equity and Fiscal Responsibility Act of 1982 obsolet, der einen steuerlichen Zinsabzug für den Emittenten unmöglich machte. Weil die Verbuchung von Anleihen vollständig elektronisch erfolgt und Regierungen in aller Welt gegen Steuerhinterziehung und Terrorismus vorgehen, werden verzinsliche Inhaberschuldverschreibungen in den Industrienationen nicht überleben, unabhängig davon, was mit Bargeld geschieht.

7 Keynes (1936).

8 Als grobe Annäherung dürften die Kosten für die Handhabung und Lagerung von einer Milliarde Dollar in 10-Dollar-Scheinen zehnmal so hoch sein wie bei 100-Dollar-Scheinen; wenn der größte Geldschein auf 5 Dollar lauten würde, wären die Kosten sogar 20-mal so hoch. Milliarden Dollar in Münzen zu zählen und zu lagern (worauf auf sehr lange Sicht der Plan in Kapitel 7 hinausläuft), wäre noch aufwendiger. Wenn man bedenkt, dass Zeiträume mit deutlich negativen Zinsen sowohl relativ kurz als auch unvorhersagbar sein dürften, ist damit zu rechnen, dass die Fixkosten für Lagerung und Versicherung in diesem Fall so hoch wären, dass dies quasi einem Verbot gleichkäme. Wenn selbst das nicht ausreicht, kann die Regierung immer noch weitere feste Kosten für die Wiedereinzahlung von Geld ins Bankensystem einführen.

9 Dostojewski (1862), zitiert nach der FAZ vom 19. November 2014.

10 Rogoff (2014) argumentiert, dass sich mit der Abschaffung von Papiergeld zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen.

11 Journalisten haben einige sehr gute Bücher über elektronisches Geld geschrieben, darunter The End of Money von David Wolman (2012) und The Age of Cryptocurrency von Paul Vigna und Michael Casey (2015). Allerdings geht es darin eher um die Welt der alternativen Zahlungssysteme als um ein grundlegend neues Nachdenken über das globale Währungssystem.

Teil I
Die dunkle Seite der Papiergeldwährung: Steuerhinterziehung, Gesetzesbruch
, Kriminalität und Sicherheitsaspekte