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Drei Lieder für die Königstochter

Eine illustrierte Spielmanns-Geschichte

Susanne Pavlovic

© 2016 Amrûn Verlag

Jürgen Eglseer, Traunstein

Covergestaltung: Agnes Köhler

www.agneskoehler.com

Illustrationen: Katharina Reitz

Fanart von Florence Spedener und Lola

Kartendesign: Martin Lorber

eBook Formatierung von SKY GLOBAL SERVICES

Alle Rechte vorbehalten

ISBN – 978-3-95869-173-5

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http://amrun-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar

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Diese Art, wie Krona ihn ansah. Nicht ihn, um genau zu sein, seine Hände, mit denen er die Saiten der Laute zupfte, müßig, auf der Suche nach einer Melodie, um die Dunkelheit für eine Weile fernzuhalten.

Nachdenklich. Vielleicht überlegte sie, wie sich seine Hände, seine dünnen Musikerhände auf ihrer Haut anfühlen würden. Was er in ihr zum Klingen bringen konnte. Vielleicht war das aber auch nur Wunschdenken.

Der Waldläufer war nichts für sie, und er hoffte, sie würde die Erkenntnis eines Tages verkraften, ohne allzu viel zu zerstören, am wenigsten sich selbst. Und vielleicht war er selbst dann noch am Leben, und vielleicht …

»Hast du eine Geschichte für uns?«, fragte Lianna in seine Gedanken hinein. Wolfram zuckte zusammen.

»Hm? Ja, natürlich.«

Er unterdrückte ein Gähnen. Geschichten waren wichtig. Sie hielten die kleine Schicksalsgemeinschaft zusammen. Schlaf war auch wichtig, aber dazu musste er erst einmal wieder in der Lage sein, zu schlafen, anstatt wach zu liegen und ihrem Atem zu lauschen, und ihren Worten, wenn sie im Schlaf redete.

Sie träumte von Schlachtfeldern, und es waren keine schönen Träume.

»Werden wir jemals die Geschichte hören, wie ein Musikant dazu kommt, ein Edelfräulein aus dem Kerker zu befreien?«, fragte Lomir. Wolfram sah von seiner Laute auf und wechselte einen Blick mit Bertradis.

»Ich erzähle nicht gerne Geschichten über mich selbst«, sagte er zögernd. Krona lachte auf.

»Zier dich nicht. Natürlich tust du das.«

Für einen Augenblick schloss Wolfram die Augen. Er spürte, wie die Geschichte an ihm zog, wie sie erzählt werden wollte, während sie sich noch in seinem Kopf formte, sie enthielt mehr Wahrheit, als es die Wirklichkeit je vermochte.

Er schlug einen Akkord auf der Laute.

»Also gut. Die Geschichte davon, wie einem Spielmann der Auftrag zuteilwurde, den König und seine Tochter aus der Gefangenschaft zu befreien. Ich nenne sie: Drei Lieder für die Königstocher.«

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Die Geschichte beginnt mit mir in der Klemme. Man darf das ziemlich wörtlich nehmen, denn es war wirklich nicht viel Platz zwischen der Wand des Ziegenstalls, an der ich kauerte, und seinen Bewohnern, die dringend wissen wollten, was ich in meinen Taschen hatte. Aber was erträgt man nicht alles aus Verzweiflung.

Vorne auf der Gasse trabten die Stadtwachen mit ihren Hellebarden vorbei. Ich kniff die Augen zusammen, als könnte ich mich dadurch noch unsichtbarer machen, und hielt den Atem an. Fröhliches Gemecker um mich herum, und eine meiner Gastgeberinnen zupfte an meinen Haaren. Ich schob ihren Kopf weg, und sie begnügte sich mit meinem Ärmelsaum.

Als der Gleichschritt der genagelten Stiefel auf der Gasse verklungen war, blinzelte ich vorsichtig. Eine Ziege schnaubte mir direkt ins Gesicht und zeigte ihre langen gelben Zähne, es sah nicht sehr freundlich aus, und ich kam eilig in die Höhe – wenn die Wachen mich schon schnappten, wollte ich wenigstens meine Nase behalten. Ich beugte mich über das Gatter und sah mich um.

Da standen sie, die Hellebardenträger, nur einen halben Steinwurf entfernt an einer Gabelung, und befragten Fußgänger. Ein dicker Mann mit Bauchladen zuckte mit den Schultern, aber ein kleiner Junge schaute genau in meine Richtung. Dann fuhr er den Zeigefinger aus und öffnete den Mund.

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Alte, abgetragene Kleidung hat ihre Vorteile. Zum Beispiel, wenn man panisch über ein Gatter hechtet und an irgendetwas hängen bleibt – dann kann man sich mit einem beherzten Ruck befreien und mit flatternden Fetzen das Weite suchen.

Ich floh blindlings. Die schmale Gasse entlang, an einer Kreuzung nach rechts in einen schmalen, abschüssigen Weg, den ich mehr hinunter schlitterte als rannte, unten unsanft gegen die Hauswand, weil ich nicht rechtzeitig bremsen konnte, Blick in die Runde, links weiter Richtung Fluss – falls ich mich nicht täuschte, aber dort musste das Gerberviertel sein. Dort gab es Brücken und Boote und Fässer, und wir würden dann schon sehen, ob sie mich so dringend haben mussten, dass sie mir in die stinkige Brühe folgten, die der Fluss an dieser Stelle war. Für einen kurzen Augenblick fragte ich mich, ob ich wirklich so tief sinken wollte – ja, wollte ich, meine Freiheit war mir heilig.

Die Gasse endete nicht am Fluss, obwohl ich ihn von hier schon riechen konnte, sondern an einer Mauer. Zu meiner Rechten führte ein schmaler Durchlass zwischen zwei Häusern hindurch, die sich müde aneinander lehnten. Dahinter war ein Hof mit einem sehr erstaunten Kesselflicker, dahinter ein Tor, das zu meinem Glück offen stand, und dahinter eine Straße.

Und auf der Straße Stau. Ich war gerade gegenüber des Wirtshauses zur Goldenen Harfe herausgekommen. Trauben von Menschen, die im Inneren kleinen Platz gefunden hatten, standen mit ihren Bierkrügen auf der Straße und plauderten. Zwei Schritte weiter verkündete ein Marktschreier die Neuigkeiten des Tages, und zu allem Überfluss versuchte ein Bauer mit wenig Erfolg, sein mit Rüben beladenes Fuhrwerk durch die Engstelle zu manövrieren.

Blick über die Schulter. Ich sah nichts, konnte aber ihre lauten, befehlsgewohnten Stimmen hören und das Platschen ihrer Schritte in dem schlammigen Hof des Kesselflickers. Ich tauchte zwischen zwei Bierkrugträgern hindurch, machte einen Satz, zog mich mit einem Klimmzug der reinen Verzweiflung an dem Wagen hoch und ließ mich auf die sandigen Rüben fallen. Auf allen Vieren begann ich, den Rübenberg zu erklimmen – der Trick war, schneller nach oben zu kommen, als die Rüben unter mir nach unten rollten. Erstaunte Rufe wurden laut, zusammen mit dem dumpfen Platschen der Rüben, die in den Dreck fielen. Mit einem Hechtsprung erreichte ich den vorderen Rand der Ladefläche, schwang mich drüber, kletterte über den Kutschbock, entschuldigte mich eilig, aber aufrichtig bei dem verblüfften Bauern, rutschte dann an dem Hinterteil seines Maultiers entlang zu Boden und gab Fersengeld.

Hatte ich sie abgehängt? Ich hatte sie abgehängt. Alle Götter. Zwar bewegte ich mich bergauf und weg vom Fluss, aber wenigstens hatte ich wieder eine ungefähre Vorstellung davon, wo ich war – die zweite oder dritte Gasse links, das Freudenhaus mit dem gelben Tuch über dem Eingang: Rosa, meine vermutlich einzige Verbündete in dieser mir feindlich gesonnenen Stadt.

Ich holte meine letzten Kräfte aus mir heraus. Luft war knapp, meine Lungen brannten. Während ich rannte, sah ich mich um – die Panik überlagerte mein Ortsgedächtnis – und dann packte mich plötzlich jemand an der Schulter. Ich schrie. Die Hand zerrte mich mit sich, ich stolperte über einen Türrahmen, jemand quetschte sich an mir vorbei, und dann hatte ich eine Tür im Gesicht und war allein mit meinem hämmernden Herzen.

Ich schnappte nach Luft. Um mich herum war es dämmerig. Ich kannte diesen schmalen Flur. Die Truhen, in denen Wintermäntel und Gugeln aufbewahrt wurden. Die schmale Stiege, die ins Obergeschoss führte. Ich hatte mich bei den Gassen verzählt und den Hintereingang erwischt – oder jemand hatte mich am Hintereingang erwischt. Ich öffnete die Tür einen winzigen Spalt und blinzelte nach draußen. Wenn die Schönheit, die meine Retterin gewesen war, sich in Bedrängnis befand, würde ich, ganz der Held, der ich war …

War ich nicht, musste ich aber zum Glück auch nicht. Rosa sprach mit den Stadtwachen und wiegte sich in den Hüften, lächelte und drehte sich eine blonde Locke um den Finger, und die Uniformierten waren sichtlich hin- und hergerissen zwischen ihrer Pflicht und dem erfreulichen Anblick, der sich ihnen bot. Schließlich bellte der Anführer ein paar Befehle. Die Truppe teilte sich und trabte in beide Richtungen davon. Rosa wartete, bis sie sich entfernt hatten, dann kam sie zurück. Ich ließ sie rein, und dann legte sie mir ihre süßen weichen Arme um den Hals und küsste mich innig, bevor sie mich auf Armeslänge von sich hielt.

»Du stinkst«, sagte sie und rümpfte ihre hübsche Nase.

»Ich weiß«, sagte ich zerknirscht und noch ziemlich außer Atem – weniger vom Rennen als von der stürmischen Begrüßung. »Es tut mir leid.«

»Was hast du angestellt?«

»Ich habe mich bei Ziegen versteckt. Unter anderem.«

»Das rieche ich, Kürenberger. Sag mir den Grund. Hast du wieder Schmählieder gesungen?«

Ich schielte betreten auf meine sehr schmutzigen Stiefelspitzen.

»Es scheint, der neue König versteht damit ebenso wenig Spaß wie der alte«, murmelte ich.

Sie versetzte mir einen Klaps gegen den Arm.

»Wann wirst du endlich schlauer? Sagt man nicht, mit dem Alter kommt die Weisheit?«

»Die Leute lieben es!«

»Die Leute lieben es auch, dich hängen zu sehen. Komm schon, ich richte dir ein Bad. Das ist ja nicht zum Aushalten.«

»Solltest du nicht Obrist Bescheid geben, dass du einen Flüchtigen beherbergst? Wenn ich er wäre, ich würde mich direkt wieder rauswerfen.«

Sie zwinkerte mir zu.

»Eins nach dem anderen.«

Im Laufe des Nachmittags schüttete sie ein ganzes Füllhorn an Wohltätigkeit über mir aus. Sie gab mir zu essen und suchte mir saubere Kleidung aus dem Fundus an geschenkten und vergessenen Kleidungsstücken, der sich im Haus angesammelt hatte. Sie machte Wasser heiß, und während wir darauf warteten und darauf, dass das Badehaus frei wurde, versorgte sie mich mit allen Neuigkeiten aus der Hauptstadt, gelegentlich nur unterbrochen von ihren Kolleginnen, die zu uns in die Küche kamen, um mich zu begrüßen – meine überstürzte Ankunft hatte sich offenbar schnell herumgesprochen. Der Hausherr, Obrist vom Falkenschlag, ließ sich nicht blicken – ich wertete das als gutes Zeichen. Wenn er mich rauswarf, dann wenigstens nicht, ehe ich satt und sauber war.

Und getröstet. Alle gütigen Götter, hatte Rosa eine Art, einen einsamen Spielmann im Badezuber zu trösten. Wie sie ihr Gewand über ihre milchweißen, runden Schultern nach unten schob, und was sie da alles enthüllte, und die Anmut, mit der sie zu mir ins Wasser stieg, und all die holde, heilsame Weichheit, die sie gegen meinen kantigen Körper brachte, und wie sie dann mit ihren seifigen Händen …

Hm? Was? Oh, Verzeihung. Ich war in Gedanken.

Bitte? Nein, ganz bestimmt nicht. Der Edelmann genießt und schweigt.

Oder nimmt die Geschichte an einer anderen Stelle wieder auf, nämlich dann, als der Spielmann satt, warm, neu eingekleidet und sehr, sehr glücklich zum Herrn des Hauses zitiert wurde.

Ich bewunderte Obrist vom Falkenschlag. Er war der fünfte oder achte Sohn eines Adelsgeschlechts, das schon für die ersten drei nicht genug Ländereien gehabt hatte, und führte sein Haus mit einer Eleganz und Weitsicht, die so manchem Burgherrn abging. Er empfing mich mit freundlichem Lächeln und einem wachsamen Blick aus seinen braunen Augen.

»Ihr könnt froh sein, dass ich Euch in meinem Haus willkommen heiße, Kürenberger«, sagte er. »Ich höre, Ihr habt Euch den Zorn der Obrigkeit zugezogen.«

»Nur ein paar völlig harmlose Spottliedchen«, versicherte ich. »Eigentlich die ganze Aufregung nicht wert. Wenn Ihr Euch durchringen könntet, mich zu beherbergen, bis es dunkel ist, dann mache ich mich mit den Schatten aus dem Staub.«

Er sah mich nachdenklich an.

»Das werden wir sehen. Ihr seid Euch bewusst, dass Ihr in meinem Haus Annehmlichkeiten in Anspruch nehmt, für die andere Männer viel Geld zahlen?«

»Von Anspruch kann nicht die Rede sein, edler Herr. Ich bin gänzlich zurückgeworfen auf die Güte und Mildtätigkeit Eurer Mitarbeiterinnen. Wer bin ich, dass ich etwas davon beanspruchen würde?«

Ein feines Lächeln umspielte die Mundwinkel des von Falkenschlag.

»Wohl gesprochen, Kürenberger. Im Übrigen seid Ihr womöglich genau der Mann, den ich brauche.«

Er nahm mich mit in einen Nebenraum, und hier hatte sich zu meinem Erstaunen eine illustre Gesellschaft versammelt: ehemalige Ratsmitglieder, Hochzauberer aus dem Arkanen Rat, Minister und Edelleute, ein Dutzend vielleicht, und alle machten sie besorgte Gesichter.

Ich verbeugte mich, wie es sich geziemte, und nahm die Laute in den Arm, doch der von Falkenschlag unterbrach mich, ehe ich begonnen hatte.

»Ihr seid nicht hier, um die Laute zu spielen, Kürenberger«, sagte er. »Die Aufgabe, mit der wir Euch betrauen werden, ist größer.«

»Oh«, sagte ich. »Ähm. Ja – zu Diensten … glaube ich. Worum geht es?«

»Wir werden Euch den Wachen übergeben und Euch auf der Goldenen Burg einsperren lassen«, sagte Obrist vom Falkenschlag. Er sagte noch mehr, aber ich war viel zu sehr mit einem verzweifelten Fluchtversuch beschäftigt, um zuzuhören. Ich schaffte es bis zur Tür, dann hatten sie mich gepackt und schleiften mich in die Mitte des Raumes zurück – wirklich erstaunlich, wie flink dicke Ratsmänner auf ihren Füßen sind, wenn die Motivation stimmt. Sie sprachen auf mich ein und versuchten, mir die Notwendigkeit dieser Tat nahezubringen, drückten mich auf einen Stuhl und hielten mich fest, damit ich aufhörte zu zappeln, und schließlich baute sich der vom Falkenschlag über mir auf und brachte mich mit einem Blick zum Schweigen – ich hatte unablässig um mein Leben gefleht und dabei vermutlich keine sehr heldenhafte Figur abgegeben.

»Wir übergeben Euch der Stadtwache so oder so«, sagte er. »Euer Betteln ist zwecklos. Jetzt hört mir gut zu, denn nur so habt Ihr eine Chance, aus dem Kerker wieder rauszukommen.«

Der Plan, den er mir unterbreitete, hatte mehr Lücken als mein Speiseplan im letzten Winter und mehr Löcher als meine Stiefel und gab mir weder Hoffnung noch Trost.

»Wenn alles gut geht, werdet Ihr ein Held sein«, versprach mir der vom Falkenschlag.

»Und wenn nicht?«, fragte ich verzweifelt. Er hob die Schultern.

»Dann bleiben der Nachwelt immer noch Eure Lieder«, sagte er.

Das hätte mich vermutlich trösten sollen – tat es aber nicht.

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Geschafft. Er hatte sie alle in die Geschichte hinein gezogen, selbst Bertradis, deren Schicksal er so ausschmückte. Lomir und Lianna lauschten gebannt, und auch Krona ließ ihren Tee kalt werden.

»Gibt’s noch Tee?«, fragte er sanft. »Ich möchte nicht heiser werden, bevor ich zum Ende komme.«

»Erzähl weiter«, sagte Lianna ungeduldig.

»Gemach, gemach, junge Dame.« Er streckte die Hand mit dem Teebecher aus, und Krona schenkte ihm den Rest aus dem Teetopf ein. Er trank einen Schluck, der Tee war heiß und biss ihm in die Lippen, und nahm den Faden wieder auf.

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Der Spielmann, den die Stadtwachen an der Hintertür abholten, war bis zum Bersten angefüllt mit Informationen, Ratschlägen und geheimen Befehlen, und er trug einiges bei sich, was auf zauberische Weise in seinen Gewändern versteckt war, aber seine Verzweiflung war echt, als man ihm die geliebte Laute gegen die Schandgeige tauschte. Das schwere Ding zwang mich beinahe in die Knie, mir war nicht ganz klar, wie ich es damit bis hinauf in die Goldene Burg schaffen sollte, aber als die Wachleute begannen, sich mit ihren Knüppeln auf die flache Hand zu schlagen, erwachte mein Ehrgeiz sehr plötzlich.

Sie nahmen mich also mit, und nicht einmal ein Abschied nehmender Blick auf Rosa war mir vergönnt, denn die war damit beschäftigt, ihre Milde und Güte einem anderen Gast zukommen zu lassen, und zusätzlich zu allem Elend plagte mich auch noch ein völlig überflüssiger Stachel der Eifersucht.

Wie ein Esel am Strick stolperte ich hinter den Wachen her. Die Schandgeige rieb meinen Nacken wund, und mein letztes Restchen Würde löste sich unter den sensationslüsternen Blicken der Lichtenreicher in Luft auf. Rosa hatte recht gehabt, natürlich hatte sie das. Sie würden es lieben, mich hängen zu sehen. Was gar nicht unwahrscheinlich war, wenn mein fabelhafter Plan scheiterte. Was wiederum ziemlich wahrscheinlich war.

So hatte ich mir das nicht vorgestellt: den letzten Applaus meines Lebens dafür zu bekommen, dass ich am Ende eines Strickes baumelte.

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Bergauf brachten sie mich durch die Gassen, in denen sich schon die Nacht sammelte wie Rauch, und trieben ihre derben Späße mit mir, und ich mühte mich, den Kopf oben zu halten und an meinen wirklich wichtigen Auftrag zu denken, und dann kam mir ein Gedanke, der beinahe noch beängstigender war als alle bisherigen: Wenn ich scheiterte, war ich ein toter Mann. Aber was war ich, wenn mein kühnes Vorhaben Erfolg hatte? Ein toter Mann. Genau. Es würde nur länger dauern. Der neue König würde ein Preisgeld auf meinen Kopf aussetzen, und irgendjemand würde mich verpfeifen und einen Sack Gold kassieren und sich davon ein hübsches Häuschen bauen, während meine Knochen auf einem Abfallhaufen vermoderten.

Denn nicht mehr und nicht weniger war mir aufgetragen worden, als König Konrad und Prinzessin Bertradis aus der Gefangenschaft zu befreien.

Der Gedanke an mein ebenso unabwendbares wie unrühmliches Ende zerstörte meine Moral vollständig. Wir kamen an die äußere Mauer der Goldenen Burg, und als das Tor sich vor mir öffnete wie der dunkle Schlund eines Lindwurmes, grub ich die Hacken in den Straßendreck und wehrte mich mit solcher Vehemenz, dass sie mich zu dritt nahmen und durch den Torweg ins Innere der Burg trugen. Erst als das Tor sich donnernd hinter mir schloss, gab ich meine Gegenwehr auf – gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass die Wachleute mich Kopf voran in einen Misthaufen steckten, damit ich zu dem käme, was sie Vernunft nannten.

Sie hatten recht – wenn auch aus anderen Gründen. Ich musste mir den Weg merken, ich konnte ja nicht wissen, ob ich auf meiner Flucht hier noch einmal vorbei kam.