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Nr. 1322

 

Rebellion der Haluter

 

Stygian bläst zum Angriff – die Armee der Kodextreuen landet

 

von H. G. Ewers

 

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Auf Terra schreibt man den Mai des Jahres 446 NGZ, was dem Jahr 4033 alter Zeitrechnung entspricht. Somit sind seit den dramatischen Ereignissen, die zum Aufbruch der Vironauten und zum Erscheinen der beiden Sothos aus ESTARTU führten, mehr als 16 Jahre vergangen.

Seither haben die Lehre des Permanenten Konflikts und der Kriegerkult in der Galaxis ihren Einzug gehalten – Tyg Ian hat nachhaltig dafür gesorgt. Glücklicherweise hat der Sotho den Widerstand der Galaktiker nicht brechen können. Geheimorganisationen, allen voran die von Julian Tifflor geleitete GOI, sorgen dafür, dass die Hoffnung auf Freiheit von fremder Unterdrückung erhalten bleibt.

Die GOI ist es auch, die durch Taten beweist, dass die Herrschaft des Sothos und seiner kodextreuen Schergen in der Milchstraße noch nicht so gefestigt ist, als dass sie nicht erschüttert werden könnte.

So hat Tifflor erst kürzlich mit einem kleinen Team von Paratensoren das Hauptquartier des Sothos heimgesucht und dessen weitere Pläne ausspioniert, um sie durchkreuzen zu können.

Auch die Haluter spielen bei Tifflors künftigem Vorhaben eine nicht unerhebliche Rolle. Erst kommt es zu ihrem Austritt aus dem Galaktikum, dann erfolgt die REBELLION DER HALUTER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Hygorasch – Tyg Ians lebende Geheimwaffe.

Elsande Grel und Sid Avarit – Mitglieder der GOI.

Selonkarh Uth Brain – Leiter der »Heldenschule« von Halut.

Toktor Kagun – Ein Haluter in der »Drangwäsche«.

Harkon von Bass-Teth – Kommandant der Landetruppen des Sothos.

1.

 

Er war allein – unendlich allein.

Das Schiff hatte ihn von sich gestoßen, und jetzt lag er in seiner Landekapsel und wartete. Er sah seine Umgebung nicht direkt, denn es wäre unzweckmäßig gewesen, die Kapsel mit einer transparenten Kanzel zu versehen. Das indirekte Sehen war viel praktischer, wenn es von passiven Ortungssystemen in Zusammenhang mit einer hochwertigen Positronik ermöglicht wurde, denn die Positronik bereitete die Ergebnisse so auf, dass sie Bilder an die Innenseite der Kapsel projizierte, die spezifisch auf das optische Erfassungsvermögen und das psychische Bedürfnis des Passagiers abgestimmt waren.

»Ganz ruhig, Hygorasch!«, sagte er zu sich selbst, als das Gewaltige, Gigantische und scheinbar Erstarrte, das von den natürlich wirkenden Projektionen ausging, ihn um den Verstand zu bringen drohte.

Tief im Wulst der galaktischen Zentrumsballung standen die Sonnen so dicht, dass sie alle gleichzeitig auf einen zuzustürzen schienen. Hygorasch wusste zwar, dass dieser Einsturz-Effekt eine optische Täuschung war, die durch die spezifische Aufbereitung der Ortungsergebnisse unweigerlich entstand, doch bewahrte ihn das nicht vor dem Grauen, das dieser Anblick in ihm hervorrief.

Aber das musste so sein, damit er gegenüber dem Anblick abgehärtet wurde, der sich ihm in der nächsten Zeit permanent bieten würde.

Allmählich beruhigte er sich wieder. Er drehte den Kopf und erblickte eine aggressiv grell strahlende Sternenballung, in der die Zwischenräume der dicht an dicht stehenden Sonnen von glühendem Wasserstoffgas ausgefüllt waren: der eigentliche Kern der Milchstraße. Es wäre nicht einmal mit den stärksten Hypertastern möglich gewesen, tiefer als einige Lichttage in diesen Kern hineinzuorten. Mit den Systemen der Passiv-Ortung sah er nur die »Außenfläche« jener unvorstellbaren Ballung. Umso mehr erahnte er die explosiven Kräfte, die darunter tobten und die den Eindruck erweckten, als würden sie im nächsten Augenblick den Zentrumskern der Milchstraße mit elementarer Wucht bersten lassen und mit Urgewalten, die denen des Big Bangs kaum nachstanden, durch den Wulst und die übrigen Teile der Milchstraße toben und Tod und Verwüstung hinter sich zurücklassen.

Doch das war physikalisch unmöglich – und Hygorasch begriff sehr bald, dass das positronisch aufbereitete Bild des Zentrumskerns seine empfindsame Seele weiter gegen ungeheuerliche Eindrücke immunisieren und ihn noch besser gegen die Schwierigkeiten und Anfeindungen wappnen sollte, die in der ersten Etappe seiner Mission gegen ihn anbranden würden.

Aber eigentlich bin ich schon ausreichend stabilisiert!, dachte er, während er den kaum erkennbaren und eigentlich mehr aus einem allgegenwärtigen Flimmern herausgelesenen Kokon aus feinverteilten Gasmassen beobachtete, in den die gesamte Scheibe der Milchstraße eingesponnen war und aus dem ein ständiger Strom von oben und von unten auf den Wulst der Zentrumsballung herniederging, wo er wie in einer Zentrifuge beschleunigt und in die Ebene der Milchstraße hinausgeschleudert wurde. Trotz der geringen Dichte dieses Gases war die Menge groß genug, dass sich aus ihr jährlich eine neue Sonne bilden könnte. Das wären in mehreren Milliarden von Jahren immerhin Gasmengen von einem Viertel der Gesamtmasse der Milchstraße.

Ein optisches Signal beendete die Abschweifung seiner Gedanken. Er rief sich zur Ordnung und konzentrierte sich auf die Projektion, die den Raum vor der Landekapsel darstellte – natürlich auch wieder aufbereitet.

Er sah die rötliche Sonne Haluta ungefähr münzmarkengroß. Demnach war er nur noch wenige Lichtstunden von ihr entfernt. Aber Haluta war nicht sein Ziel, deshalb brauchte er die Entfernung zu ihr nicht zu berücksichtigen.

Sein Ziel war der einzige Planet dieser unscheinbar wirkenden Sonne. Er musste genau zwischen der Landekapsel und der rötlichen Sonne liegen, denn ins Gehirn der Kapsel war kein Umweg einprogrammiert worden.

Wenig später erschien auch seine Projektion.

Zuerst war er nur als rötlich glimmende Sichel zu sehen, doch als dann die Kapsel von einer 5-D-Konzentration abgebremst und auf den endgültigen Landekurs geschleudert wurde, bekam er die Tagseite in voller Größe zu sehen.

Die 5-D-Konzentration war nur eine von vielen in diesem Sektor der Galaxis. Es gab sie hier überall, und sie erfüllten eine wichtige Funktion beim Weitertransport der Wasserstoffströme aus dem galaktischen Kokon. Raumfahrzeuge wichen ihnen entweder aus oder, wenn sie superstarke Triebwerke und Schutzschirme von extremer Energiedichte besaßen, ignorierten sie.

Hygoraschs Kapsel war so programmiert und konstruiert, dass sie genau diese eine 5-D-Konzentration in einem bestimmten Winkel traf und dass ihre Form die entstehenden Wirbel zum Abbremsen nutzte, ohne dass das Vehikel dabei in Atome zerrissen wurde.

Sein letzter Gedanke ließ bei Hygorasch eine Assoziation mit etwas entstehen, was ihm widerfahren war und was seine Seele so empfindsam gemacht hatte.

Was ihn allerdings auch dazu befähigte, die Mentalität derer, die er im Verlauf seiner Mission treffen würde, sehr schnell zu übernehmen.

Nach dem Verlassen der 5-D-Konzentration befand sich die rötliche Sonne hinter Hygoraschs Landekapsel, die mit dem Bug nun genau auf den großen, uralten Planeten zeigte.

Doch die Geschwindigkeit der Kapsel hatte sich drastisch vermindert. Stunde um Stunde verrann, ohne dass sie dem Planeten merklich näher kam. Hygorasch machte das wenig aus. Er hatte noch viel Zeit. Also schlief er ein paar Stunden, obwohl er durchaus ohne Schlaf auskommen konnte.

Als er wieder erwachte, war es siebzehn Stunden Normzeit später – und der Planet beziehungsweise seine Projektion wirkte schon viel größer. Deutlich vermochte Hygorasch mit seinen drei Augen die Umrisse von Kontinenten und Meeren zu erkennen sowie watteweiße Wolkenfelder, die auf der Lufthülle zu schwimmen schienen.

Wieder erschien ein optisches Signal, diesmal zusätzlich mit einem Lichtsignal verbunden.

Hygorasch schnallte sich mit den Spezialgurten aus superdicht gewebten Ynkonitfäden in seinem Sessel fest, wie man es ihm dringend empfohlen hatte. Im Fall einer – allerdings sehr unwahrscheinlichen – plötzlich notwendigen Vollbremsung würde er sonst die Super-Atronital-Compositum-Hülle der Kapsel gleich einem lichtschnellen Geschoss durchschlagen.

Selbstverständlich würden auch die superfesten Gurte reißen, wenn die Bremsverzögerung stark genug war, aber er hatte dann wenigstens die Chance, sich nach dem Anprall gegen die Schiffshülle dennoch weiterhin in einem geschlossenen System zu befinden.

Die Mission wäre dann allerdings undurchführbar geworden, denn eine solche Vollbremsung konnte für »hellhörige« Hypertaster gar nicht übersehen werden – und damit würde man wissen, dass jemand von außerhalb kam, der sein Inkognito wahren wollte. Da die Zeiten heutzutage hart waren, würde man ihn unter Quarantäne stellen, bis man herausgefunden hatte, was er wirklich wollte.

Am besten vergesse ich das alles!, sagte sich Hygorasch. Es regt mich nur unnötig auf, und außerdem kommt doch alles so, wie es kommen soll.

Er lehnte sich zurück und ließ seine Gedanken an den Ort wandern, woher er gekommen war.

Wenig später zeigte ein Pfeifsignal an, dass die Kapsel in die oberen Schichten der Atmosphäre des Planeten eindrang. Das Pfeifen kam allerdings von einem Signalgeber und nicht etwa von verdrängten Luftmassen. Außerdem gab es an der Landekapsel sowieso keine Außenmikrophone. Sie hätten keine Funktion erfüllen können.

Es dauerte noch eine Weile, bis die dichteren Schichten der Atmosphäre erreicht waren. Nach und nach erloschen die Projektionen von Bildern der Umgebung. Zuletzt sah Hygorasch tief unter der Kapsel die Türme von Gewitterwolken aufsteigen. Durch einige Löcher erblickte er die Oberfläche eines Ozeans, dessen Wellen erstarrt zu sein schienen, was aber nur eine optische Täuschung war, hervorgerufen durch die große Höhe der Kapsel.

Alles das vermochte er nicht mehr zu sehen. Dafür wurden elektronische Bilder der Kapsel sowie Daten an die Innenwandung projiziert. Sie informierten Hygorasch laufend über den Zustand seines Fahrzeugs, der sich von nun an ständig veränderte.

Alles entsprach weitgehend dem Verhalten eines in eine Planetenatmosphäre eindringenden Meteors. Zuerst glühte er dunkelrot auf, dann immer heller. Teile lösten sich von ihm, anfangs winzige und später immer größere. Zuletzt brach er auseinander. Seine Teile stürzten in einen Ozean und versanken.

Nur das Teil, in dem sich Hygorasch befand, versank nicht – zumindest nicht sofort. Es schwamm noch für einige Zeit auf den Wellen, eingehüllt in eine Dampfwolke.

Als die starkwandige Innenzelle sich einigermaßen abgekühlt hatte, betätigte Hygorasch den Schalter für die Sprengöffnung. Ein hochbrisanter, aber gegen Hitze absolut unempfindlicher konventioneller Sprengstoff, der ins Metall der Innenzelle eingeschweißt war, explodierte mit dumpfem Krachen.

Die Explosion zerlegte die Innenzelle in zwei gleich große Teile, die sich schnell mit Wasser füllten und versanken.

Hygorasch ließ den Helm seines roten Kampfanzugs vorerst noch geschlossen. Nachdem er sich von den Gurten befreit hatte, aktivierte er das Gravojet-Aggregat seines Rückentornisters und flog dicht über den Wellen nach Osten.

Dorthin, wo schon bald eine Entscheidung von galaktischer Tragweite fallen würde ...

 

*

 

Nach rund acht Stunden Flug über Wasser und über dampfende Dschungel und verdorrte Savannen sah Hygorasch den Berg. Er war von den Planetariern gleich so genannt worden, weil er der einzige Berg ihrer Welt war.

Allerdings gab es ihn nur deshalb, weil er von Besuchern Haluts mitgebracht worden war. Es handelte sich um einen Eisen-Nickel-Meteoriten von der Form einer Pyramide, deren quadratische Grundfläche eine Kantenlänge von anderthalb Kilometern besaß. In sechshundert Metern Höhe war die Spitze abgeschnitten worden, so dass sie eigentlich nur noch ein Pyramidenstumpf war.

Und darauf thronte ein achtzig Meter hoher Kuppelbau aus einem hellblauen, von innen heraus leuchtenden Material mit allen Eigenschaften einer Ynkelonium-Terkonit-Legierung und noch einigen Vorteilen mehr.

Dieser Kuppelbau war eine Upanishad, getauft auf den Namen eines Haluters, der als größter Philosoph seines Volkes galt.

MOJUG TORBED!

Hygorasch landete auf der Lichtung eines Wäldchens, klappte seinen Kugelhelm zurück und schaltete das Beatmungsaggregat an. Bald darauf spürte er, wie warme, saubere Luft über seine Zellen strich. Als er sie inkorporierte, schmeckte er ihren würzigen Duft. Er genoss ihn. Es war genauso, wie man ihm gesagt hatte.

Nach einiger Zeit schritt Hygorasch auf seinen Säulenbeinen durch das Wäldchen. An seinem äußeren Rand blieb er stehen, fuhr die Augen ein Stück aus und drehte den halslosen Kuppelkopf.

Weit und breit war niemand zu sehen. Offenbar war er etwas zu früh gekommen. Aber er zweifelte keinen Augenblick daran, dass alles so kommen würde, wie es vorausberechnet worden war.

Die Haluter waren am Vortag aus dem Galaktikum ausgetreten – und zwar demonstrativ. Nur naive Gemüter konnten annehmen, dass sie das ohne schwerwiegende Gründe getan hatten. Sie würden sich entweder der Lehre vom Permanenten Konflikt öffnen und in Scharen zu ihrer Upanishad strömen, um sich zu Ewigen Kriegern ausbilden zu lassen – oder sie würden den Abriss der Upanishad und den Abzug aller Panisha fordern.

Was von beidem geschehen würde, war Hygorasch egal. Ihn interessierte etwas anderes.

Geduldig wartete er vier Stunden. Als sich bis dahin noch immer nichts getan hatte, überlegte er, ob er der Upanishad einen Besuch abstatten sollte.

Doch bevor er sich entschieden hatte, fing seine Passiv-Ortung eine schwache Schockwellenfront auf. Ganz in der Nähe von Halut war ein Raumschiff nach einem Überlichtflug in den Normalraum zurückgefallen.

Aber es war kein halutisches Raumschiff. Die Schockwellenfront verriet nach einigen kurzen Berechnungen, dass es sich um ein Kugelschiff von zweihundert Metern Durchmesser gehandelt hatte. Haluter bauten keine so großen Schiffe. Ihre Einheiten hatten meist einen Durchmesser von hundertzwanzig Metern und waren selten geringfügig größer. Das reichte auch völlig aus, denn in der Regel befand sich nur ein Haluter an Bord.

Hygorasch schaltete die Aktiv-Ortung dazu. Mit Hilfe der hyperlichtschnell arbeitenden Taster hatte er bald herausgefunden, wo sich der Kugelraumer zur Zeit befand. Er war schon dicht vor Halut, denn in der Zeit, die die Störfront bis zu dem Planeten gebraucht hatte, war er natürlich weitergeflogen.

Hygorasch schaltete die Aktiv-Ortung wieder ab und nahm einige Berechnungen vor. Danach wusste er mit ziemlicher Sicherheit, wo der Kugelraumer landen würde – falls er landete.

Kurz entschlossen ließ Hygorasch sich auf die Lauf- und Handlungsarme nieder, trabte auf allen sechsen an und beschleunigte nach kurzer Zeit bis auf eine Geschwindigkeit von rund hundertzwanzig Stundenkilometern.

Nach gut drei Stunden erreichte er das errechnete Landegebiet des Kugelschiffs. Es stand bereits auf seinen Landestützen und Landetellern mitten in einer für Halut außergewöhnlichen Landschaft.

Allerdings war es nicht die natürlich entstandene geologische Formation, die außergewöhnlich für Halut war. Es waren vielmehr die Gebäude beziehungsweise die merkwürdige Ansammlung von Gebäuden.

Haluter lebten für gewöhnlich allein in einem Haus, das nur für sie errichtet worden war. Sie waren Einzelgänger. Deshalb gab es auf Halut weder Städte noch andere Ansammlungen von Gebäuden.

Hier aber waren mindestens zirka dreitausend Bauwerke anscheinend wahllos in der Landschaft verstreut: Kuppelbauten, Kastenhäuser, Wohntürme und sogar regellose Zusammenballungen unterschiedlicher Häusertypen, die sich berührten!

Es war wirklich seltsam, und Hygorasch fragte sich, warum er nicht darüber informiert worden war. Es durfte auf Halut eigentlich nichts geben, worüber er nicht Bescheid wusste.

Er hielt an, als er noch etwa fünfhundert Meter von dem gelandeten Raumschiff entfernt war. Es war ein terranischer Raumschiffstyp – und er schien auch von Terranern bemannt zu sein, denn an seiner Außenhülle prangte in haushohen Interkosmo-Buchstaben der Name BULLY.

Hygorasch überlegte noch, ob er sich zurückziehen oder ob er sich dem Schiff weiter nähern sollte, da tauchte ein Fluggleiter aus den Wolken am Himmel auf und schwang sich lautlos und elegant zu dem Kugelraumer hinab.

Hygorasch blieb stehen. Er entschloss sich dazu, erst einmal zu beobachten, um herauszufinden, was dort gespielt wurde.

Der Gleiter landete dicht bei dem Kugelschiff – und plötzlich öffnete sich unten am Schiff ein Schott –