Cover

Über dieses Buch:

»Im Taxi legte Johannes behutsam den Arm um sie und zog sie an sich. Als seine Lippen zärtlich ihren Mund berührten, öffneten sich die Türen ihres Herzens.«
Liebe kann Berge versetzen! Mit Herz und Witz schreibt Bestsellerautorin Nora Darius über die herrlich verschlungenen Wege, auf denen Mann und Frau zusammenfinden – manchmal überraschend, manchmal dramatisch, aber immer bewegend.

Über die Autorin:

Nora Darius hat lange als Lektorin in verschiedenen Verlagen gearbeitet. Heute lebt sie als freie Autorin im Rheinland und geht mit Begeisterung ihrem Hobby nach, dem Reisen. Bisher schrieb sie über 700 Kurzgeschichten, zahlreiche Drehbücher,  Taschenbücher und Kurzromane und erreichte eine Gesamtauflage von über einer Million.

Bei dotbooks erscheinen auch:
Das Glück kommt manchmal unverhofft
Die Sprache der Liebe
Weil du mich verzaubert hast
Schmetterlingsküsse

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Originalausgabe Februar 2016

Copyright © der Originalausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Agentur Mitte, Berlin

Titelbildabbildung: RuthBlack - Thinkstock

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-510-5

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Nora Darius

Himbeerküsse mit Minze

Romantische Kurzgeschichten

dotbooks.

Wenn es Frühling wird in Wien …

»Mannequins sind zu ersetzen, aber doch keine exzellente Fotografin!« Markus Hornberger schüttelte den Kopf. »Du bist wirklich manchmal zu naiv, Yvonne.«

Yvonne de Vries, Topmodel der Modefirma Hornberger, zuckte nur die zarten Schultern. »Wie du meinst. Ich hab dir nur einen Vorschlag gemacht. Aber nicht ich sitze in der Klemme, sondern du.«

Markus unterdrückte nur mit Mühe einen Fluch. Warum nur klang Yvonnes Stimme nur unterschwellig schadenfroh? Hatte sie ihm immer noch nicht verziehen, dass er vor zwei Jahren mit ihr Schluss gemacht hatte?

Die Affäre mit der schönen, rassigen Dunkelhaarigen war reizvoll gewesen, doch eine Zukunft hatte sie nicht gehabt. Zu verschieden waren ihre Interessen. Yvonne liebte und lebte Glamour und Luxus, während Markus Hornberger gern arbeitete – obwohl er es eigentlich nicht nötig gehabt hätte. Seine Firma gehörte zu den führenden Modeimperien Europas, die Reichen und Schönen rissen sich förmlich darum, seine Kreationen tragen zu dürfen.

Und jetzt drohte ein wichtiges Fotoshooting zu platzen, weil Starfotograf Ulf Andersen in Italien einen Autounfall gehabt hatte! Stundenlang hatte Markus’ Sekretärin in der Gegend herumtelefoniert und einen Ersatz engagieren wollen – vergeblich. Es war wie verhext: Wer in der Branche einen Namen hatte, war an diesem Wochenende ausgebucht.

»Versuch’s mit Sabrina«, sagte das schöne Modell nochmals. »Sie ist exzellent. Und das, obwohl sie schon seit Jahren nicht mehr im Geschäft ist.«

»Und warum das, wenn ich fragen darf?«

»Irgendwas Familiäres. Sie ist nun mal ein Typ, der sich immer um andere  kümmert.« Yvonne zuckte die Schultern. »Na ja, sie muss wissen, was sie tut. Und du auch.«

Damit drehte sie sich um, wedelte noch mal lässig mit der Hand durch die Luft und meinte: »Wir sehen uns übermorgen in Wien. Bis dann, Darling.«

Markus zuckte zusammen. Dieses Darling hasste er regelrecht, denn es erinnerte ihn immer wieder an die vergangene Romanze mit der schönen Yvonne.

Um sich abzulenken, wählte er schließlich die Nummer der angeblichen Starfotografin.

So kam Sabrina, die seit dem Tod ihres Vaters sehr zurückgezogen in der großen Villa in München lebte, zu einem ungewöhnlichen Auftrag.

Zunächst wollte sie nicht zusagen, doch dann dachte sie daran, wie schön es im Frühling stets in Wien war. Und so kam es, dass sie 24 Stunden nach Markus Hornbergers Anruf in die Donaumetropole flog …

Schloss Schönbrunn lag in hellem Sonnenschein. Die Beete des Parks waren mit Primeln, Tulpen und Narzissen bepflanzt und vermittelten ein Bild unbeschwerter Heiterkeit. Der Duft des ersten Flieders hing in der Luft, und unwillkürlich summte Sabrina eine Strauss-Melodie vor sich hin, als sie ihre zwei schweren Fototaschen aus dem Taxi wuchtete.

»Darf ich Ihnen helfen?« Ein hochgewachsener Mann in Jeans und abgewetzter Lederjacke sprang hinzu. »Sie sind bestimmt Sabrina Cramer.«

 »Exakt. Und Sie sind der Assistent, den mir Herr Hornberger versprochen hat.«

»Ganz recht. Sie können mich Markus nennen.«

»Einverstanden. Dann mal los, Markus. Zeigen Sie mir, wo die anderen sind, ja?«

Während der nächsten zwei Stunden kam Sabrina kaum zum Atemholen, geschweige denn zum Nachdenken. Der junge Werbeleiter des Modehauses hatte tausend verrückte Ideen, die er umgesetzt haben wollte, und Sabrina versuchte ihm so gut es ging entgegenzukommen, denn sie musste eingestehen, dass die Anregungen ausgezeichnet waren.

Erst beim Mittagessen fiel ihr auf, dass die Teammitglieder ihren Assistenten mit ausgesuchter Höflichkeit behandelten. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Markus war groß, dunkelhaarig, ein bisschen zu alt, um noch Assistent zu sein, und auch sein Outfit hätte ruhig etwas pfiffiger sein können … vor allem für einen Mann, der in der Modebranche arbeitete.

Aber seine Augen … sie ertappte sich dabei, dass sie ihm immer wieder in die nachtdunklen Augen schauen musste, in denen hin und wieder tausend Punkte zu tanzen schienen.

Und dann, am Nachmittag, als es galt, eine wichtige Entscheidung zu fällen, merkte auch Sabrina es endlich: Ihr Assistent war Markus Hornberger persönlich!

Sie wusste nicht, ob sie vor Verlegenheit wütend werden oder lachen sollte. Sie entschied sich für Letzteres, grinste ihn an und meinte: »Na, wie kommt man sich vor als Wolf im Schafspelz? Hat’s Spaß gemacht, mich an der Nase herumzuführen?«

Er sah sie so ehrlich zerknirscht an, dass ihr Herz einen ganz unvernünftigen Purzelbaum schlug.

»Das war keine böse Absicht«, sagte Markus und griff für einen kleinen Moment nach ihrer Hand. »Das war …«

»Ein Spiel«, half sie ihm weiter.

»Nein … es war …« Er zuckte die Schultern. »Ich wollte Sie kennenlernen – ganz unbelastet von der Tatsache, dass Sie für mich arbeiten und …«

Sabrina zuckte die Schultern. »Und? Hab ich den Test bestanden?«

Markus trat dicht vor sie hin, und wenn nicht etwa fünf Modells und zwanzig andere Angestellte seiner Firma anwesend gewesen wären … er hätte gewusst, wie er Sabrina erklären könnte, was ihn zu diesem Spiel bewogen hatte. So aber sagte er nur:

»Ich möchte Ihnen heute Abend alles genau erklären. Beim Heurigen in Grinzing. Einverstanden?«

Sabrina rettete sich in Spott. »Das ganze romantische Wien-Programm … Sind Sie sicher, dass es sich lohnt?«

Er erwiderte nichts, nahm nur kurz ihre Hand und hauchte einen kleinen Kuss darauf.

Sabrina hatte daraufhin die größte Mühe, ruhig und sachlich weiterzuarbeiten. Immer wieder musste sie einen verstohlenen Blick zu Markus Hornberger werfen, der gerade ein paar traumhaft schöne Abendkleider vom Ständer nahm und zwei zarte Modells bat, sie anzuziehen.

»Ich möchte gern ein paar Szenen vor der Gloriette«, sagte er zu Sabrina. »Das kommt bestimmt gut.«

»Wie Sie möchten, Sie sind der Boss.« Sie nahm ihre Kamera und wollte schon die beiden schweren Taschen schultern, als er abwinkte.

»Wozu haben Sie einen Assistenten?«, fragte er lächelnd, und so gingen sie einträchtig nebeneinander den Weg zur Gloriette hoch.

Der Wohnwagen, in dem die Modells sich umzogen und schminken ließen, stand etwas unterhalb, und für eine Weile waren Sabrina und Markus allein. Die anderen Teammitglieder räumten noch unten im Park die Sachen zusammen.

»Habe ich Ihnen eigentlich schon gesagt, wie froh ich bin, dass Sie mir aus der Patsche geholfen haben?«, fragte Markus.

»Sie sind ein mutiger Mann«, erwiderte Sabrina. »Schließlich bin ich schon lange out. In der Branche kennt man mich kaum noch.«

»Aber ich bitte Sie …«

Sie winkte ab. »Lügen Sie nicht. Ich weiß es. Und es macht mir absolut nichts aus. Das Geschäft ist nichts für mich. Ich brauche mehr Ruhe. Deshalb habe ich nach dem Tod meines …« Sie biss sich auf die Lippen, dann fuhr sie fort: »Ich habe im letzten halben Jahr zwei Blumenkataloge gemacht – und einen Fotoband über die Kanalinseln.«

Markus hatte nur eins verstanden: Es war jemand gestorben, der Sabrina sehr nahegestanden hatte. Ihr Mann? Ihr Freund?

Nun, er hatte schon bemerkt, dass sie sehr sensibel war – und ganz anders als seine bisherigen Freundinnen. Aber genau das war es, was sie so reizvoll machte …

Abends, in Grinzing, war sie unbekümmert und heiter wie ein ganz junges Mädchen. Sie sah sich in dem alten Stadtteil um und meinte:

»Ich bin gern hier. Grinzing erinnert mich an die alten Filme, die ich früher so gern gesehen habe: heimliche Treffen von Mitgliedern des Kaiserhauses mit armen Näherinnen, Offiziere, die beim Heurigen zärtliche Schäferstündchen erleben … und zu allem spielen die Schrammeln …«

Markus nickte nur, stand auf und ging zur Theke. Er sprach mit dem Wirt – und schon zehn Minuten später erschienen drei Geiger.

»Sie sind verrückt!« Sabrina sah Markus kopfschüttelnd an – und genoss doch jede Minute.

Als die Musiker den Frühlingsstimmen-Walzer begannen, fragte Markus: »Möchten Sie tanzen?«

Gleich darauf lag sie in seinen Armen. Und es störte absolut nicht, dass die Tanzfläche ein Kopfsteinpflaster in einem Hinterhof war, dass der erste Geiger sich zweimal verspielte und die Luft statt von Flieder- von Backhendl-Duft erfüllt war.

Sie erwachten erst aus ihrem Traum, als der letzte Takt verklungen war.

Sabrina hob den Kopf und sah direkt hinein in die dunklen Augen des Mannes. Sie konnte die hellen Sprenkel in der Iris genau erkennen.

Und dann sah sie gar nichts mehr. Sie fühlte nur noch ein Lippenpaar auf ihrem Mund, und für eine Sekunde hörte das Universum auf, sich zu drehen.

»Wollen wir gehen?«, fragte Markus leise.

Sie nickte nur. Und dann gingen sie engumschlungen durch Grinzing, Markus brach ihr einen Fliederzweig, und Sabrina fühlte sich eingehüllt in Liebe und Zärtlichkeit.

Nein, sie durfte nicht daran denken, dass das alles morgen, wenn der Tag heranbrach, zu Ende sein musste. Dann war sie wieder die Fotografin Sabrina und er der erfolgsverwöhnte Mode-Zar Markus Hornberger, dem alle Frauen zu Füßen lagen.

Heute jedoch, an diesem verzauberten Abend in Wien, gehörte er ihr allein …

Das Erwachen am folgenden Morgen war grausam. Sabrina lag noch im Bett, als das Telefon klingelte und Markus’ Sekretärin erklärte:

»Tut mir leid, Frau Cramer, aber das Fotoshooting muss leider unterbrochen werden. Fräulein Martina ist vom Pferd gestürzt, und da muss Herr Hornberger natürlich sofort in die Klinik.«

»Natürlich.« Sabrina hatte Tränen in den Augen, als sie den Hörer zurücklegte. Gleichzeitig schalt sie sich eine alberne Gans. Was hatte sie denn erwartet? Dass ein Mann wie Markus nur auf sie gewartet hatte? Bestimmt hatte er an jedem Finger zehn Verehrerinnen!

Wien war entzaubert. Sie sah auf einmal den Schmutz auf den Straßen, hörte den Lärm der Großstadt, sah die Menschen, die zur Arbeit hetzten. Die Zeit von Sissi, von Johann Strauß oder auch Fanni Elsler war unwiederbringlich dahin. Und mit ihr Sabrinas Traum vom Glück.

***

Sechs Tage waren vergangen. In München regnete es, und das Wetter passte genau zu Sabrinas Stimmung.

Sie litt, denn von Markus Hornberger hatte sie nichts mehr gehört. Sie hatte alle Filme entwickelt und die wirklich exzellenten Bilder an seine Firmenadresse geschickt, bisher jedoch noch keine Resonanz darauf erhalten.

Jetzt war sie auf dem Weg in die City. Dort wollte sie sich mit einem Studienfreund treffen, der den Auftrag hatte, einen Bildband über das Amazonasgebiet zu machen. Vorgestern hatte er gefragt, ob Sabrina Interesse hätte, ihn zu begleiten.

Oliver war ein netter Kerl, sie wusste auch, dass er sie seit langem heimlich verehrte. Vielleicht war es ganz gut, mit ihm fortzufahren, fort aus München, irgendwohin, wo neue Eindrücke sie von den Erinnerungen an die glücklichste Nacht ihres Lebens ablenken würden.

Bremsen kreischten, irgendjemand schrie laut auf. Dann hörte und spürte Sabrina nichts mehr.

Als sie wieder zu sich kam, hatte sie das Gefühl zu schweben. Sie sah alles irgendwie verschwommen, hatte wohl auch Halluzinationen, denn an ihrem Bett saß – Markus.

»Was ist passiert? Wo bin ich?«, fragte sie leise.

»Im Krankenhaus. Du bist direkt in ein Auto gelaufen. Hast wohl mitten am Tag geträumt.« Seine Stimme war voller Zärtlichkeit, und in seinen Augen, die auf einmal dicht über ihr waren, las sie Liebe und Sorge.

»Warum …?«

Er legte ihr den Finger auf die Lippen. »Nichts fragen. Zum Reden ist später noch Zeit. Wie geht es dir, Liebling?«

Sie lächelte. »Wunderbar. Du bist da …«

»Und ich geh nie wieder fort.« Markus hauchte einen kleinen Kuss auf ihre Lippen. »Es scheint im Moment so zu sein, dass alle Frauen, die ich liebe, in der Klinik landen.«

Der Zauber zerbrach. Sabrina war mit einem brutalen Stoß in die Wirklichkeit zurückversetzt. Jetzt wusste sie wieder alles. Sie war traurig gewesen, weil Markus zu dieser Martina gefahren war. Und sie hatte das Auto zu spät gesehen, als sie zu Oliver gewollt hatte …

»Geh!«, stieß sie hervor. »Geh zu deiner Martina. Mich lass in Ruhe. Ich will nicht …«

Ein kleines warmes Lachen kam über seine Lippen. »Sabrina! Du bist ja eifersüchtig!«

»Unsinn!« Sie wollte den Kopf schütteln, doch ein scharfer Schmerz zuckte durch ihr Hirn.

»Du sollst ganz ruhig liegen, sagt der Arzt. Du hast eine Gehirnerschütterung. Und ein paar Prellungen. Mehr zum Glück nicht.« Wieder war sein Gesicht ganz nah, und Sabrina hatte einfach nicht die Kraft, ihn wegzustoßen.

»Martina ist meine Nichte. Ihre Eltern sind zurzeit in USA, und ich hab ihre Aufsicht für acht Wochen übernommen. Als sie vom Pferd stürzte, dachte ich das Schlimmste. Aber zum Glück sind’s nur ein paar harmlose Brüche. Das heilt wieder, meint der Chefarzt.«

»Deine Nichte …«

Er lachte. »Sie ist dreizehn und eine süße freche Kröte. Du wirst sie mögen. Ich hab ihr von dir erzählt, sie freut sich schon auf ihre neue Tante.«

»Was sagst du da?« Kopfschmerzen hin oder her – jetzt musste sie sich doch ein bisschen aufrichten.

Markus drückte sie sofort wieder in die Kissen zurück. »Liegen bleiben«, kommandierte er mit zärtlicher Stimme.

»Martina ist wirklich deine Nichte?«, fragte Sabrina. »Und ich dachte …«

Er schüttelte den Kopf. »Du sollst nicht denken. Du sollst mir glauben, mich lieben – und mich so rasch wie möglich heiraten.«

Eine Antwort wartete er nicht ab, sondern küsste Sabrina behutsam, doch mit verhaltener Leidenschaft.

Verschwunden war der Geruch nach Desinfektionsmitteln, sie hörte nicht das leise Klappern des Essenswagens draußen auf dem Flur. Die Welt war erfüllt mit Fliederduft, und irgendwo in der Nähe spielten Geigen …

Ein Fremder nahm ihr Herz

Rasch überflog Sabine den Einkaufszettel, den sie sich bereits am frühen Morgen zusammengestellt hatte. Seit ihre Freundin Karla geheiratet hatte und aus der WG ausgezogen war, musste Sabine allein für ihr leibliches Wohl sorgen, denn Oliver, der Student, gab nur noch Gastrollen, seit er eine neue Freundin hatte, auf ihn war gar kein Verlass mehr.

»Mandarinen, Salat, Nudeln, Waschpulver, Reinigung …« murmelte sie vor sich hin.

Beim letzten Wort stiegen ihr Tränen in die Augen, obwohl sie sich sehr bemühte, die Erinnerung zu verdrängen.

Aber … konnte man das? Gewaltsam etwas vergessen, was in jeder Minute, in jedem Augenblick schmerzte? Wenn sie an Jürgens Treuebruch dachte, war’s regelmäßig um ihre Fassung geschehen. Obwohl – wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, wusste sie nicht, ob sie traurig, enttäuscht oder ganz simpel wütend auf den Kerl war.

Es war auf dem Sommerfest des Betriebs gewesen, in dem sie beide arbeiteten. Jürgen und sie hatten bis kurz vor Mitternacht wunderbar gefeiert und getanzt. Dann, ganz plötzlich, war die Tochter des Chefs aufgetaucht – und Jürgen hatte nur noch diese kleine blonde Sirene gesehen. Wenn Sabine daran nur dachte … Man sollte ja keine Vorurteile haben, und Blondinenwitze fand sie einfach ätzend. Aber es gab eben Ausnahmen. Nirgendwo stand, dass man als aparte Rothaarige ätherisch zarte Blondinen mögen musste …

Es reichte schließlich, dass Jürgen darauf stand!

Sabine riss sich zusammen. Sie musste sich beeilen, wenn sie ihre Einkäufe noch erledigen wollte. Zum Trübsal-Blasen hatte sie einfach keine Zeit. Ihr Job im EDV-Zentrum ihres Betriebs war recht verantwortungsvoll, sie stand mit beiden Beinen im Leben. Für romantische Träume blieb da keine Zeit. Und sie war auch nicht das kleine Mädchen mit dem verträumten Blick, das eine starke Männerschulter zum Anlehnen brauchte. So hätte Jürgen sie zwar gern gesehen, aber damit konnte sie leider nicht dienen.

So, jetzt war wirklich Schluss mit den Gedanken an diesen Mistkerl! »Soll er doch mit seinem Prinzesschen aus 1001 Nacht glücklich werden«, murmelte Sabine vor sich hin, schloss die Wohnungstür und trat auf die Straße hinaus.

Leider hatten sich doch ein paar Tränen in ihren Augenwimpern verfangen, sie trübten Sabines Blick. Nur so war’s zu erklären, dass sie die dunkle Limousine nicht bemerkte, die von links kam.

Sie hörte nur noch kurzes Hupen, das Knirschen von Reifen auf dem Asphalt – dann fühlte sie einen dumpfen Schlag, und es wurde dunkel ringsum.

***

Das Erste, was sie beim Erwachen sah, war ein tiefblaues Augenpaar.

»Was … was ist passiert?« Verwirrt und hilflos sah Sabine sich um. Sie lag auf der Straße, und dieser Fremde, der dezent nach einem teuren Herrenparfüm duftete, beugte sich besorgt über sie.

»Sie sind mir direkt vors Auto gelaufen«, sagte er. »Ich konnte einfach nicht rechtzeitig bremsen.«

»Ich will zur Reinigung. Mein gutes Sommerkleid …« Sabine brach ab. Was redete sie da für wirres Zeug? Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn, hinter der es ganz wahnsinnig pochte.

»Können Sie aufstehen? Soll ich lieber einen Krankenwagen rufen?«

»Mir geht’s schon wieder gut. Alles o. k., wirklich.« Wie um es ihm und sich zu beweisen, stand sie auf – was allerdings nicht ganz so einfach war, denn die Straße und die Häuser ringsum … alles schien auf einmal einen tollen Wirbel vor ihren Augen zu veranstalten.

»Wenn Sie nicht in die Klinik wollen, dann kommen Sie mit mir«, bestimmte der Fremde, dessen Stimme wie Balsam war. »Ich sorge dafür, dass Sie beste Pflege bekommen.«

Sabine war einfach zu durcheinander, um zu widersprechen, und so kam es, dass sie wenig später in den Polstern des großen Wagens saß. Wärme hüllte sie ein – beinahe so wie der zärtliche Blick des Mannes, von dem sie immer noch nicht wusste, wer er war.

Aber das erfuhr sie schon Sekunden später. Da stellte er sich nämlich vor und sagte: »Übrigens, ich heiße Uwe von Warnstetten. Unser Haus liegt am Stadtrand. Ich bin sicher, meine Haushälterin kümmert sich vorbildlich um Sie.«

Sabine zögerte. Konnte sie dieses Angebot wirklich annehmen? Wäre es nicht gescheiter gewesen, sie hätte sich zu ihrer Hausärztin fahren lassen? Sie fühlte sich wirklich nicht ganz auf dem Damm, ihr war immer noch etwas schwindelig, und ihr Kopf dröhnte, als arbeite ein Presslufthammer in ihren Gehörgängen.

»Sie sind also einverstanden«, stellte der Mann mit dem adeligen Namen fest, als sie immer noch nichts sagte. Sabine nickte leicht und lehnte sich zurück. Es war recht wohltuend, einmal nicht selbst entscheiden zu müssen. Es war schön, dass sich jemand um sie sorgte.

Während sie die Augen weiterhin geschlossen hielt, hörte sie zu, was Uwe von Warnstetten über sein Zuhause erzählte.

»Mein Bruder bewirtschaftet das Gut. Ich bin ganz froh darüber, denn eigentlich wäre es mein Part. Aber …« Ein kleines Lachen ertönte, das Sabine durch und durch ging. »Ich bin nun mal nicht zum Landwirt geboren. Meine Liebe gehört der Kunst. Ich leite das Städtische Museum.«

»Interessant …«, murmelte sie, ohne die Augen zu öffnen.

»Ja. Ich liebe alles Schöne.« Er sah sie dabei unverwandt an, doch das sah sie zum Glück nicht, sonst hätte sie dieser Blick aus den tiefblauen Augen verlegen gemacht.

Das Haus entpuppte sich als herrlicher Gutssitz. Rotbraune Klinker, ein kleiner Erker rechts, eine großzügig angelegte Terrasse linkerhand.

Der Hausherr führte Sabine in ein helles, großzügig möbliertes Zimmer, dessen eine Glasfront den Blick auf einen wunderschönen Park freigab. Dicht am Fenster drückte Uwe von Warnstetten sie in einen bequemen Sessel.

»Warten Sie hier. Ich hole Ihnen etwas zu trinken und eine Tablette.«

»Danke. Für alles«, sagte Sabine, dann fielen ihr auf einmal die Augen zu.

Sie träumte wirres Zeug – von einem Auto, dessen Radio andauernd den Hochzeitsmarsch spielte, von einem Mann, der nachtdunkle Augen hatte und sie an den Prinzen aus Grimms Märchen erinnerte. Und von einem Motor, der regelmäßig surrte und schnurrte.

Komisch, wie passte ein Motor in ihr Märchen?

***

Sabine wurde durch ein leichtes Kitzeln geweckt. Immer noch summte der Motor. Jetzt berührte etwas ihre Wange …

Und dann wusste sie es: Traum und Wirklichkeit hatten sich vermischt. Das Schnurren wurde von einer wunderschönen schwarzen Katze verursacht, die es sich in ihrer Armbeuge bequem gemacht hatte und die sich jetzt aufrichtete und sie beschnupperte.

»Sie können sich etwas auf Paschas Gunst einbilden«, sagte Uwe.

Sabine streichelte die Katze, dabei versuchte sie, endlich wieder Klarheit in ihre Gedanken zu bringen. An den Unfall erinnerte sie sich – aber, welcher Teufel hatte sie geritten, sich von diesem Fremden in sein Haus mitnehmen zu lassen?

Mit einem Ruck sprang sie auf, was Pascha mit protestierendem Miauen quittierte. »Ich muss nach Hause«, stieß Sabine hervor.

»Wartet jemand auf Sie?« Uwe von Warnstetten war sichtlich geschockt bei dem Gedanken.

»Nein, das nicht, aber …«

»Kein ›aber‹. Sie sind noch schonungsbedürftig, und mir wäre es eine Freude, wenn Sie noch eine Weile hierblieben.« Während er sprach, lächelte er sie an, und Sabine hatte das Gefühl, dass die Welt sekundenlang den Atem anhielt. Alles, was sie vor einigen Stunden noch bedrückt hatte, schien in weite Ferne gerückt zu sein. Die Zukunft hatte begonnen, und diese Zukunft schien wohl in erster Linie von einem energischen, aber zärtlichen Mann mit dunkelblauen Augen bestimmt zu werden …

***

Sie aßen in der gemütlichen Gutsküche zu Abend, gemeinsam mit Harald von Warnstetten, seiner Verlobten und vier Angestellten. Sabine hatte das Gefühl, nicht fremd, sondern bei Freunden zu sein.

Und dieses Gefühl wurde stärker, je öfter sie aufs Gut hinausfuhr. Als sie vier Wochen später zum ersten Mal mit Uwe ausritt, als sie seinen Besitz kennenlernte, glaubte sie, ein modernes Märchen zu erleben.

»Du reitest hervorragend«, lobte er.

»Und du übertreibst«, gab sie zurück. »Vor fünf Jahren hab ich zum letzten Mal im Sattel gesessen. Und wenn vor mir ein Hindernis auftaucht, bin ich aufgeschmissen.«

»Wir trainieren, wenn du willst. Von mir aus jeden Tag.«

»Ich hab einen Job in der Stadt. Und du auch«, gab sie lächelnd zurück.

»Stimmt. Und wir haben beide eine Wohnung da. Meinst du nicht, das wäre Verschwendung. Eine Stadtwohnung reicht. Vier, fünf Tage Stadtluft, dann raus aufs Gut … was meinst du, könnte dir das gefallen?« Er hatte bei den letzten Worten sein Pferd angehalten, und auch Sabine parierte ihre Stute ganz automatisch durch.

»Weißt du, was du da sagst?«, fragte sie leise.

Er nickte. »Ich weiß immer, was ich sage. Und was ich tue, noch viel besser.«

Mit einem Satz war er aus dem Sattel, hob auch Sabine vom Pferd – und dann küsste er sie, bis sie lachend um Gnade bat.

»Und? Wie lautet deine Antwort?«

Sie hob die Arme und legte sie um seinen Nacken. Ganz dicht waren ihre Augen vor den seinen.

»Willst du’s mit einer Bürgerlichen riskieren, die manchmal ihren eigenen Kopf hat?«

»Aber ja. Weißt du, ich hab’ dir noch nicht gesagt, dass wir Warnstettens besonders risikofreudig sind.«

»Wirklich?«

»Und wie!« Ein zärtliches Lachen war in seiner Stimme. Dann war es auf einmal still. Lange. Sehr, sehr lange …

Du bist mehr als ein Flirt für mich

»Nun beeil dich doch endlich, Thorsten. Wir kommen noch zu spät zum Flughafen. « Carinas Tonfall war ein wenig schrill – wie immer, wenn sie sich erregte.

»Bin gleich fertig.« Thorsten Arnold warf einen letzten kontrollierenden Blick in die Runde. Alles war in Ordnung – die Junggesellenbude bestens aufgeräumt. Nur … gerade das war’s, was so gar nicht in Ordnung war. Der Gedanke, dass dies bei seiner Rückkehr nicht mehr seine Junggesellenbude, sondern seine und Carinas gemeinsame Wohnung sein würde, ließ leichte Panik in ihm aufkommen. Carina würde in Zukunft hier für Ordnung sorgen. Und ihm nach und nach die Luft zum Atmen nehmen …

»Thorsten!«

»Ich komme!«

Es half nichts. Er hatte es ja genau so gewollt. Carina – und die Hochzeit in Las Vegas. Das Baby, das sie bald haben würden, kam zwar unplanmäßig früh, aber er stand dazu! Er heiratete Carina. Morgen.

Eine halbe Stunde später checkten sie ein, betraten wenig später die Wartelounge.

Thorsten nahm sich gerade einen Kaffee, als es passierte: Ein furchtbarer Schmerz durchzuckte ihn, presste ihm den Atem ab, bewirkte, dass er taumelte.

Der heiße Kaffee ergoss sich über sein helles Jackett, färbte die Slipper.

Thorsten merkte es nicht. Er merkte gar nichts mehr – nicht das Entsetzen von Carina, nicht die leichte Panik, die sich unter den übrigen Passagieren ausbreitete.

Das Erste, das er wahrnahm, war ein braunes Augenpaar, das ihn ernst ansah. »Da sind Sie ja wieder! Ganz ruhig bleiben, alles kommt in Ordnung.«

Was sagte dieser Mann da? Nichts war in Ordnung! Er hatte teuflische Schmerzen in der Brust, die sich bis zum Arm hinabzogen.

»Er ist wieder weggesackt.« Der Flughafenarzt sah Carina ernst an. »Das Beste, das ihm passieren kann. Ich geb’ ihm noch eine Injektion, dann übersteht er den Transport in die Klinik besser.«

»Aber das geht doch nicht! Das ist unmöglich! Wir müssen nach Las Vegas fliegen!« Carina weinte vor Verzweiflung. »Es ist so wichtig!« Sie hätte am liebsten mit dem Fuß aufgestampft wie ein ungezogenes Kind. Nur mühsam konnte sie sich beherrschen.

»Der Patient gehört in die Klinik. Sofort.« Der Arzt sah sie kaum an. Was ging in dieser Frau vor? Sah sie denn nicht, was los war? Oder – wollte sie es einfach nicht begreifen?

Doch, Carina begriff schon, was Thorstens Zusammenbruch für sie bedeutete: das Ende all ihrer Pläne. Das unerbittliche Aus.

Sie stürmte, ohne ein weiteres Wort zu sagen, aus dem Raum. Vorbei. Alle Mühe, sich den reichen Werbefachmann zu angeln, vergebens. Nicht mal vor der billigen Lüge mit dem Baby war sie zurückgeschreckt, nachdem sie festgestellt hatte, dass Thorsten im tiefsten Innern ein sehr konservativer Mensch war.

Und dann der Zusammenbruch …

Mit keinem Gedanken dachte sie an den Mann, dessen Leben an einem seidenen Faden hing. Carina Chorwald dachte – wie immer – nur an sich.

***

»Wir müssen noch mal ran, Sabine.« Notarzt Dr. Bernauer wischte sich über das vor Müdigkeit graue Gesicht. »Alle Kollegen sind im Einsatz. Der Massenunfall auf der Autobahn. Und jetzt bringen sie noch einen Mann mit Verdacht auf Herzinfarkt.«

Schwester Sabine, deren blondes Haar wie reifer Weizen leuchtete, nickte nur. Sie schien nie müde zu werden, ihr Einsatz für die Patienten war mehr als hundertprozentig.

Wenige Minuten später traf der angekündigte Kranke ein – und Karsten Bernauer konnte feststellen, dass auch seine bewährte Mitarbeiterin Nerven hatte: Kaum hatte sie einen Blick auf den neuen Patienten geworfen, da wechselte sie die Farbe. Nur mit Mühe gelang es ihr, dem Arzt während seiner Untersuchung zu assistieren.

»Glück im Unglück«, meinte Dr. Bernauer lakonisch. »Nur ein leichter Vorderwandinfarkt. Er kommt dennoch sofort auf Intensiv.« Er zog sich den Kittel aus und warf ihn achtlos in eine Ecke. »Und ich bin heim. Mehr als dreißig Stunden Dienst hintereinander – ich will nur noch ins Bett.«

»Dann bis morgen.« Sabine, die wieder ganz souverän wirkte, lächelte ihm zu.

Doch das Lächeln erlosch, als sie allein war. Da brach sie auf einem Stuhl zusammen und barg für ein paar Minuten das Gesicht in den Händen.

Thorsten … Sie hatte ihn wiedergesehen …

Drei Jahre waren fortgewischt. Es war, als sei die Zeit stehengeblieben. Und so war es schließlich auch. Sabine und Thorsten. Die ganz große Liebe. Bis …

»Schwester Sabine, könnten Sie mich für eine Weile vertreten? Ich muss rasch rüber in die Gynäkologie. Bin gleich wieder da.« Dr. Julia Reubach sah die erfahrene Pflegerin bittend an.

»Klar. Kein Problem. Es ist ja sowieso alles ruhig.«

Und so war es wirklich: Auf der Intensivstation, die zurzeit nur halb belegt war, herrschte ungewohnte Ruhe. Nur die Kontrollinstrumente gaben leise Summtöne von sich. Hin und wieder ertönte ein leises Piepsen – mehr nicht.

Sabine ging wie unter Zwang wieder zurück zu der Kabine, in der Thorsten lag. Blass sah er aus, dunkle Ringe unter seinen Augen verrieten einiges von seiner Krankheit.

Und dann, völlig unerwartet, schlug er die Augen auf.

»Biene!« Fassungslos sah er sie an.

»Ja.« Keine Silbe mehr hätte sie jetzt herausgebracht!

»Mein Bienchen …« Er hob den Arm, der nicht mit dem Infusionsgalgen verbunden war. »Komm her.«

Und sie … sie beugte sich über ihn. So dicht, dass ihre Lippen fast die seinen berührten.

»Verzeih mir«, sagte er leise. »Ich war ein Trottel – damals. Und eigentlich bin ich’s jetzt noch. Wenn dieser Zusammenbruch nicht gekommen wäre …« Er brach ab.

»Du sollst nicht so viel sprechen. Ruh dich aus.« Ihr Lächeln war voller Zärtlichkeit. Sie merkte es selbst nicht, denn sie wollte diesem Mann, der ihr einmal so wehgetan hatte, nicht mehr gut sein. Er hatte sie im Stich gelassen. Hatte sie verraten – wegen einer anderen. Er konnte nicht treu sein. Wollte wohl auch nicht nur einer gehören.

Aber sie … sie hatte ihn geliebt. Über alles …

Auf einmal begann das Kontrollgerät neben seinem Bett zu piepsen. Alarm! Herzstillstand!

Sabine hatte das Gefühl, einen Albtraum zu erleben. Doch noch ehe sie Hilfe herbeirufen konnte, war Dr. Reubach auf einmal neben ihr. »Herzkammerflimmern.« Ihre Stimme war ruhig wie immer, als sie ihre Anweisungen gab.

Sabine wusste nicht, was sie tat. Aber sie assistierte, half, den Patienten gemeinsam mit zwei Kolleginnen in den großen OP zu bringen, wo Thorsten noch in der nächsten Stunde operiert wurde.

Hatte er je von einem Herzfehler gesprochen? Nein, sie erinnerte sich nicht. Aber er hatte stets gern – und auch oft ausschweifend gelebt. Jetzt bekam er die Quittung.

Drei Tage, drei Nächte schwebte er in Lebensgefahr. Man informierte Carina, die Frau, die er heiraten wollte. Doch sie kam nur einmal kurz zu Besuch – und wandte sich rasch wieder ab. Nein, das hier war nichts für sie. Sie wollte Leben pur – und einen Mann, der ihr das alles bieten konnte. Wie gut, dass die Lüge mit dem Baby nicht publik gemacht worden war. Nur Thorsten wusste davon – und er hatte ihr die Schwangerschaft geglaubt!

Als Carina die Klinik verließ, war für sie das Kapitel Thorsten Arnold abgeschlossen.

Schwester Sabine wich nicht von Thorstens Seite. Sie hatte inzwischen tiefe Ringe unter den Augen, die Erschöpfung, die panische Angst, Thorsten wieder zu verlieren – diesmal an den Tod – zeichnete sie.

Und dann, endlich, war die Krise vorüber. Thorsten würde leben dürfen!

Obwohl jetzt keine Notwendigkeit mehr bestand, an seinem Bett Sitzwache zu halten, blieb Sabine bei ihm. Irgendwann jedoch forderte auch ihr Körper sein Recht, sie schlief ein.

Es war schon Mitternacht, als sie erwachte, weil jemand zart ihre Hand streichelte. Thorsten hatte sich so weit wie möglich im Bett aufgerichtet und sah Sabine intensiv an.

»Du bist da …« Sein Lächeln war voller Zärtlichkeit.

»Ja …« Sie stand hastig auf. »Entschuldige … ich bin eingeschlafen.«

»Macht nichts. Es ist schön, dich im Schlaf zu beobachten.«

Es war, als wären die vergangenen Jahre nicht gewesen. Sie waren sich unendlich nahe. Da aber öffnete sich die Tür, und Sabines Kollegin Katja sagte: »Komm rasch, Sabine, Markus hat unendliche Sehnsucht nach dir. Ich kann ihn kaum noch zurückhalten. Er will dich sehen. Sofort.«

Thorsten zuckte zusammen. Sie hatte einen anderen! Markus …

Gleich darauf sagte er sich, dass das nur natürlich war. Er selbst hatte viele Frauen nach Sabine gehabt, hatte Carina sogar heiraten wollen. Idiot, der er war! Dabei wusste er es jetzt ganz genau: Er liebte nur eine – Sabine!

»Du musst zu Markus, ja?« Er streckte die Hand nach ihr aus. »Ist er der Grund, warum du damals gegangen bist?«

Sabine nickte. »Ja. Ich wollte dich für mich, aber du … es gab Julia, Carla, Marion … Dieser Konkurrenz war ich nicht gewachsen.«

»Du hattest Markus!«, hielt er ihr vor.

»Nein. Da noch nicht. Markus ist …«

Bevor sie etwas sagen konnte, flog die Tür auf, und ein kleiner Junge stürmte herein. »Will nicht mehr bei Katja sein! Mama – lieb!« Dabei strahlte er Sabine an.

»Wer ist … Nein!«

Er wusste, er durfte sich noch nicht aufregen. Und aufstehen durfte er auch nicht. Aber er konnte beide Arme ausbreiten und sie vorsichtig an sich ziehen.

»Papa?« Markus griff ungeniert nach seinen Haaren.

»Ja.« Thorsten sah Sabine an. »Ich bin dein Papa – und bald wird alle Welt es wissen!«

Traummann mit kleinen Fehlern

»Es ist mir wirklich egal, ob du das Haus jetzt oder in drei Monaten verkaufst.« Oliver Hartmann seufzte. Jaqueline schaffte es immer wieder, ihn auf die Palme zu bringen. »Wir sind geschieden, was du mit deinem Besitz machst, interessiert mich nicht mehr.«

Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann ein wütendes Schuft – und die Verbindung war unterbrochen.

Oliver atmete auf und rief nach seiner Sekretärin. »Buchen Sie mir doch bitte einen Flug nach Salzburg, Bettina«, bat er. »Ich will morgen schon fliegen.«

Überrascht sah seine Sekretärin ihn an. »Morgen? Aber da haben Sie doch den Termin mit …«

»Egal. Sagen Sie alles ab. Ich muss einfach mal ausspannen. Raus aus dieser Tretmühle.«

»Ganz, wie Sie wünschen.« Die aparte junge Frau mit den nussbraunen Locken buchte den Flug, sagte zwei wichtige Termine ab, delegierte ein paar Dinge an bewährte Mitarbeiter – und wartete insgeheim darauf, dass Oliver ihr sagen würde, wo er in Salzburg zu wohnen gedachte.

Meist buchte sie die Hotelzimmer für ihn. Für ihn und seine Freundinnen, die ihm die Wochenenden zu versüßen pflegten. Eine Tatsache, die Bettina jedes Mal wieder schmerzte.

Obwohl sie sich sagte, dass ihr das erstens egal sein konnte und sie zweitens eine dumme Pute war. Wer verliebte sich heutzutage schon noch in seinen Chef! Wahnsinn war das! Vor allem, wenn der Chef ein so ausgeprägter Casanova wie Oliver Hartmann war.

Seit seiner Scheidung vor zwei Jahren lebte er unbekümmert in den Tag hinein, wechselte die Freundinnen wie die Hemden – und war doch, wenn es um die Firma ging, ernsthaft und zuverlässig.

Umso sonderbarer fand Bettina sein heutiges Verhalten.

Aber sie sollte sich noch mehr wundern!

***

Am Nachmittag kam Oliver, setzte sich auf eine Kante ihres Schreibtischs und bat: »Sie müssen mir helfen, Bettina. Ich stecke in der Klemme.«

Ohne groß nachzudenken nickte sie. »Natürlich. Gern.«

»Wunderbar! Ich … ich brauche nämlich jemanden, der auf Sascha aufpasst … « Ein treuherziger Blick traf Bettina. »Sie wissen ja, für ein paar Wochen lebt mein kleiner Neffe bei mir.«

O ja, Bettina wusste! Olivers Bruder und seine Schwägerin hatten einen Abenteuerurlaub geplant – mit dem Segelboot rund um den Globus. Doch ihren temperamentvollen kleinen Sohn konnten sie nicht mitnehmen für den war nun Onkel Oliver zuständig.

Soweit Onkel Oliver sich Zeit für den Sechsjährigen nahm …

Bettina mochte Kinder. Sie hatte auch schon ein paarmal auf Sascha aufgepasst, wenn Oliver Hartmann geschäftlich unterwegs war. Der kleine Junge und sie kamen gut miteinander aus …

»Also gut. Meinetwegen.«

»Sie sind ein Schatz!« Ein strahlender Blick traf sie, dann war Oliver auch schon wieder im Büro verschwunden. Sie hörte, dass er telefonierte, und er fuhr wenig später.

»Sie können mich im Notfall in der Ferienwohnung von Freunden erreichen. Hier ist die Nummer.«

Sie nahm sie entgegen, regelte alles, was zu regeln war, und wünschte ihrem Chef schließlich ein schönes, erholsames Wochenende, bevor sie ging. Morgen früh würde sie dann – wie schon mehrmals – in seinen Bungalow übersiedeln und auf Sascha aufpassen.

Dann war Oliver schon auf dem Weg nach Salzburg …

Mit wem er diesmal wohl fuhr? Mit Katja, der schicken Blondine? Oder mit der rassigen Nina?

Ist nicht meine Sorge, dachte Bettina und zwang sich, an etwas anderes zu denken.

***

Am nächsten Tag war es kalt, hin und wieder wirbelten ein paar Schneeflocken vom Himmel, aber mitten in der Stadt blieb die weiße Pracht nicht liegen.

Doch in dem eleganten Vorort, in dem die Villa ihres Chefs stand, war alles wie mit Puderzucker überstäubt. Sascha spielte im Garten. Er trug einen Schneeanzug, auf dem Kopf eine lustige Pudelmütze, und bemühte sich eifrig, einen Schneemann zu bauen.

»Er will einfach nicht warten, bis es mehr schneit«, meinte die Haushälterin. »Aber mir soll’s egal sein. Hauptsache, er treibt im Haus nicht sein Unwesen.«

Bettina erwiderte nichts darauf. Sie wusste, dass Sascha und Frau Wagner nicht gut miteinander auskamen. Deshalb war es ihr schon recht, als sie hörte, dass die Haushälterin für drei Tage zu ihrer Schwester wollte.

»Sie kommen ja allein zurecht, oder?«, fragte sie – und atmete erleichtert auf, als Bettina nickte.

Auch Sascha wirkte erleichtert, als er und Bettina endlich allein waren. Und als es dann auch noch heftiger anfing zu schneien, war er überglücklich.

»Gehen wir rodeln? Oder Eislaufen?« Er warf der jungen Frau einen forschenden Blick zu. »Oder biste dafür schon zu alt?«

Bettina lachte. »Nein, das denke ich nicht.«

»Klasse! Dann kann’s ja losgehen. Mit dir wird’s bestimmt ein prima Wochenende!« Dunkle Kinderaugen strahlten sie an, und Bettinas Herz wurde groß und weit.

***

Unterdessen schlenderte Oliver Hartmann durch Salzburg, am Arm die bezaubernde Nadine, die ihm immer wieder versicherte, wie toll sie es fände, mit ihm hier zu sein.

Drei Stunden lang genoss er ihre schrankenlose Bewunderung, hörte ihrem Geplauder amüsiert zu. Dann jedoch wurde es schon fast zu viel, er spürte, dass seine Nerven zu vibrieren begannen.

Und er ertappte sich dabei, dass er an Bettina dachte. An Bettina und Sascha. Und er wünschte sich auf einmal, bei ihnen zu sein …

***

»Liest du mir noch eine Geschichte vor?« Sascha lag im Bett und sah Bettina bittend an. »Das Märchenbuch ist da im Schrank.« Er wies auf ein helles Kieferregal.

»Na gut, zehn Minuten. Dann wird aber geschlafen.«

»Ist gut.« Der kleine Junge rollte sich bequem zurecht, und Bettina kam ihren Pflichten als Babysitterin nach.

Schon nach fünf Minuten schlief Sascha tief und fest, und Bettina machte es sich im großen Wohnzimmer bequem. Sie kuschelte sich in eine Ecke der weißen Ledercouch und stellte sich vor, wie schön es wäre, wenn Oliver Hartmann jetzt bei ihr säße.

Aber der tanzte jetzt sicher in einer feudalen Bar mit seiner derzeitigen Freundin, flirtete – und hatte keinen einzigen Gedankenfetzen für seine pflichtbewusste, aber leider nicht besonders attraktive Sekretärin übrig …

In diese nicht sehr angenehmen Gedanken hinein klingelte das Telefon. Bettina meldete sich, hörte sekundenlang nur ein wirres Rauschen und Knacken, dann eine Stimme, die sich in gebrochenem Englisch erkundigte, ob man sie verstehen könne.

»Kein Problem, ich kann Sie gut hören«, versicherte Bettina.

Und nachdem sie dann erklärt hatte, dass Herr Hartmann leider nicht da sei, erfuhr sie die schockierende Neuigkeit: Saschas Eltern waren bei einem Sturm auf See umgekommen.

»Es war ein richtiges Unwetter«, erklärte der Mann am anderen Ende der Leitung. »Wir haben noch Suchtrupps ausgeschickt, doch vergebens. Irgendwo im Bermudadreieck ist das Schiff untergegangen. Wir haben nur noch ein paar Wrackteile gesichtet …«

Wie sie es geschafft hatte, sich für den Anruf zu bedanken, wie sie es fertigbrachte, die Nummer zu wählen, die Oliver Hartmann ihr hinterlassen hatte – Bettina konnte es hinterher nicht mehr sagen.

Tränen liefen über ihre Wangen, als sie sich vorstellte, dass der kleine Sascha, der so friedlich oben in seinem Bett schlief, von einem Moment zum anderen ein Waisenkind geworden war.

Zwei Stunden saß sie am Telefon, versuchte immer wieder, Oliver zu erreichen.

Und dann, endlich, war seine vertraute Stimme zu hören: »Bettina! Um Himmels willen, ist etwas geschehen? Mit Sascha?«

»Nein …« Ihre Stimme klang heiser, sie musste sich freiräuspern, ehe sie sachlich berichten konnte, was geschehen war.

Schweigen am anderen Ende der Leitung. Ein langes, bedrückendes Schweigen. Bettina konnte sich vorstellen, was Oliver jetzt empfand. Sie kannte ihn ja so gut! Wäre auch zu gern in diesem Moment bei ihm gewesen, um ihm ein wenig Trost zuzusprechen.

»Ich komme sofort heim.« Wie fremd seine Stimme auf einmal klang! Und dann: »Bettina, sagen Sie Sascha noch nichts. Ich … ich will’s selbst – versuchen. Aber was gibt’s da zu erklären? Was zu beschönigen?«

Ehe sie antworten konnte, hatte er aufgelegt.

***

Von diesem Abend an war alles anders. Vorbei waren die unbeschwerten Wochenendausflüge mit irgendwelchen netten Mädchen.

Oliver Hartmann nahm sich selbst in die Pflicht. Zunächst galt es, eine Trauerfeier für die Verstorbenen zu organisieren. Und Sascha beizubringen, dass seine Mami und sein Papi nie mehr wiederkommen würden.

»Nie mehr?« Große dunkle Augen sahen Oliver an.

»Nein, mein Kleiner. Wie sind jetzt ganz allein.«

»Nö …« Sascha schüttelte den Kopf. »Ich hab Bettina. Sie hat mich lieb. Und zu ihr darf ich immer kommen, wenn was nicht in Ordnung ist. Hat sie mir versprochen.«

»Hat sie das …?« Oliver sah gedankenverloren in die Ferne. Doch er sah nicht die weiße Winterlandschaft seines Gartens, sondern ein weiches, apartes Frauengesicht.

Bettinas Gesicht.

Tagtäglich hatte er es gesehen – fast drei Jahre lang. Doch erst seit ein paar Tagen wusste er, dass Bettina eine ganz besondere Frau war. Eine Frau, die viel Herz besaß – und die sein Herz auf einmal anrührte.

Aber … durfte er das jetzt gestehen? Würde sie es nicht falsch auffassen, wenn er sich um sie bemühte? Würde sie nicht glauben, er suche nur eine liebevolle Betreuerin für Sascha?

Der Sechsjährige schien noch gar nicht richtig begriffen zu haben, was es hieß, die Eltern zu verlieren. Seine Mami und sein Papi hatten ihn oft allein gelassen, um irgendwo in der Welt Abenteuer zu erleben, für die er noch zu klein war.

Sie kommen nie mehr wieder  … was solle er sich darunter vorstellen? Nie mehr – wie lange war das?

Nach Wochen erst merkte er, dass nie mehr sehr endgültig war.  Dass er jetzt nur noch Onkel Oliver hatte, der wirklich zu ihm gehörte.

Und – Bettina! Immer häufiger lief er zu ihr, weinte sich bei ihr aus, ließ sich liebevoll trösten, spielte mit ihr und genoss es, ein wenig mütterliche Wärme zu verspüren.

So auch an einem kalten Februartag, als sein Onkel Oliver überraschenden Besuch von einer schönen Frau bekam, die sich gleich nach der Begrüßung zu Sascha herabbeugte und meinte:

»Süß ist der Kleine ja! Ich bin sicher, wir werden uns gut verstehen. Du bist doch sicher froh, wenn du eine neue Mami bekommst, nicht wahr? Und wenn wir uns gut vertragen, werde ich das vielleicht sein!«

»Caroline!« Den empörten Ausruf seines Onkels bekam Sascha so gerade noch mit, dann fiel die Tür auch schon hinter ihm zu.

Nur fort! Das war alles, was er denken konnte. Und es gab nur ein Ziel für ihn – Bettina …

***

Das Fernsehspiel war lange nicht so fesselnd, wie es die Vorankündigung versprochen hatte. Bettina seufzte und griff nach der Fernbedienung.

In diesem Augenblick klingelte es an der Haustür – langanhaltend und fordernd.

Bettina stand auf, strich sich mechanisch eine dunkle Locke aus der Stirn und ging zur Tür.

»Sascha!« Mit einer hastigen Bewegung zog sie den Jungen ins Haus. »Mein Gott, wo kommst du denn her?«

»Von zu Hause. Da bin ich aber weggelaufen.«

»Das sehe ich.«

Erbärmlich sah er aus. Durchnässt und durchgefroren, die Haare kleben am Kopf, und der Pulli war auch kein Schutz gegen das ungemütliche Wetter draußen gewesen.

»Was ist denn nur passiert?« Bettina sah den Sechsjährigen forschend an, während sie ihn aus den nassen Sachen pellte.

»Onkel Oliver hat ’ne neue Mami für mich!« Es war kein Schluchzen, das diese Information begleitete. O nein, ein großer Junge weint nicht! Sascha jedenfalls bemühte sich sehr, tapfer und überlegen zu wirken. So lange jedenfalls, bis er heiß gebadet hatte und dann in ein flauschiges Badelaken gehüllt und heiße Schokolade schlürfend, neben Bettina auf der Couch saß.

Da auf einmal kamen die Tränen – und Bettina ließ ihn weinen. Sie hielt ihn nur fest im Arm, streichelte den zuckenden Rücken und murmelte leise Trostworte.

***

»Caroline – du bist unmöglich!« Oliver Hartmann sah seine junge Freundin zornig an. »Wie konntest du nur!«

»Aber Schatzi … du hast doch selbst gesagt, dass der Junge mal wieder ein richtiges Zuhause bracht.« Aus großen blauen Augen sah Caroline ihn an. »Und ich … ich kann mit Kindern umgehen, glaub mir.«

»Das hab ich gesehen.« Oliver war so wütend wie selten zuvor. Außerdem hatte er Angst. Angst um den kleinen Jungen, dessen entsetztes Gesicht er immer noch vor sich sah. »Wenn Sascha was passiert … du, ich weiß nicht, was ich dann mit dir mache.«

»Wieso mit mir?« Caroline schüttelte den Kopf mit den platinblonden Locken. »Also weißt du, solche Ungerechtigkeiten brauche ich mir nicht gefallen zu lassen. Melde dich, wenn du wieder normal bist.« Und schon griff sie nach ihrer Handtasche, nickte ihm einen raschen Gruß zu und verschwand.

Oliver Hartmann registrierte es mit Erleichterung.

Etwa zehn Minuten brauchte er, um zu einem Entschluss zu kommen, dann fuhr er zu Bettina. Seine Sekretärin wohnte nur zehn Minuten entfernt – wenn man ein Auto benutzte. Zu Fuß lief man länger als eine halbe Stunde!

Sascha … Sein Herz klopfte nur im Rhythmus dieses Namens. Sascha … mein Junge … wenn dir nur nichts passiert ist …

Und dann stand er vor Bettina. Bezaubernd sah sie aus in dem Hausanzug aus flaschengrünem Samt. Er registrierte es trotz der Aufregung.

»Ist Sascha bei Ihnen?« Seine Stimme klang vor Aufregung ganz heiser.

»Ja. Er schläft.«

Sie führte ihn ins Wohnzimmer, wo Sascha auf der Couch lag und tief und fest schlief. Abenteuer machten müde – und heiße Bäder erst recht.

»Gott sei Dank!« Oliver sank in einen Sessel. »Wenn dem Jungen was passiert wäre …«

»Sie sollten in der Wahl Ihrer Freundinnen vielleicht ein wenig vorsichtiger sein.« Bettina beschloss, nun keine Rücksicht mehr zu nehmen. Sollte er von ihr halten, was er wollte. Einmal musste sie ihm sagen, dass es so nicht weiterging!

»Ich weiß. Und … Caroline ist sowieso schon weg. Sie … ich hab mich … Ach, alles ist so verfahren!« Verzweifelt sah er sie an.

Bettina hielt seinen Blick fest. Es war ein langer Blick, denn keiner konnte sich vom anderen lösen. Wann hatten sie sich jemals so angeschaut? Wann hatte Oliver bemerkt, dass in Bettinas Augen kleine goldene Pünktchen glitzerten? Und wann hatte sie die ersten Sorgenfalten unter seinen Augen registriert?

Wie von allein hob sie die Hand, strich sanft über diese Falten – so, als wäre es möglich, sie fortzuwischen.

Es war, als bräche ein Damm. Mit einem Aufstöhnen sprang Oliver auf, zog Bettina an sich und vergrub das Gesicht in ihrem Haar.

Eine Weile standen sie so da –