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Nr. 54

 

Die Unterwelt von Archäo

 

Menschen auf den Spuren der Vergangenheit – Maschinen manipulieren das Leben eines Planeten

 

von Ernst Vlcek

 

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Auf Terra, den Welten des Solaren Imperiums und den Stützpunkten der USO schreibt man Anfang Februar des Jahres 2481 Standardzeit. Somit sind seit dem Ende der Condos Vasac rund 432 Jahre vergangen.

Oberst Ronald Tekener und Oberstleutnant Sinclair M. Kennon, die beiden Asse der USO, sind noch immer am Leben und aktiv im Einsatz – der eine dank seinem lebenserhaltenden Zellaktivator und der andere aufgrund der weit fortgeschrittenen Biochemie, die seinem organischen Gehirn im Robotkörper eine nach Jahrhunderten zählende Lebenserwartung verschafft.

Beide Männer operieren seit etwa zwanzig Jahren unter einer neuen Tarnung. Auf einem autonomen Planetoidensystem haben sie die Zentrale der UHB, der »Unabhängigen Hilfsorganisation für Bedrängte« errichtet, und sie greifen überall dort in der Galaxis ein, wo Aktionen von Großmächten aus politischen Gründen nicht möglich oder opportun sind.

Gegenwärtig sind die Spezialagenten damit beschäftigt, eine Organisation verbrecherischer Wissenschaftler aufzuspüren, die eine planetenvernichtende Waffe zu entwickeln sucht.

Und während Tekener und Kennon unter den Augen der USO auf der Erde operieren und ihre eigenen Geheimnisse stehlen, kommt Noc Tetro, ihr ertrusischer Kollege, auf dem Planeten Archäo, der Geheimzentrale der Wissenschaftler, in große Schwierigkeiten.

Eine Siganesin soll ihm helfen, doch sie untersucht DIE UNTERWELT VON ARCHÄO ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Gracia Monet – Die Siganesin erforscht die Unterwelt des Eisplaneten Archäo.

Noc Tetro – Der Ertruser hat einen »Schutzengel«.

Durbin Hoykalare – Chef der Wissenschaftler auf Archäo.

Amadeo Raetzer – Ein misstrauischer Mann.

Boubard – Leiter der Forschungsarbeiten in der Tiefe von Archäo.

Lorbo – Eingeborener des Eisplaneten.

1.

 

Die Tür ging quietschend auf.

Für Noc Tetro war das Geräusch wie das Heulen einer Alarmsirene. Er starrte die vier Eintretenden an, als wären sie seine Henker. Er ahnte, warum sie gekommen waren.

»Kommen Sie, Tetro«, sagte Professor Durbin Hoykalare. »Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten.«

Der Ertruser stemmte seine fast zwanzig Zentner wiegende Körpermasse von der Spezial-Liegestatt hoch, die man ihm in diesem Raum zur Verfügung gestellt hatte. Er deutete auf die beiden Männer in Hoykalares Begleitung, die ihre Schockstrahler schussbereit hielten.

»Wozu haben Sie Ihre Wachhunde mitgebracht, wenn Sie sich bloß mit mir unterhalten wollen?«, erkundigte er sich mit dröhnender Stimme.

»Das hat nichts zu bedeuten«, behauptete Hoykalare. »Sie werden uns bei dem Gespräch nicht stören.«

»Mich vielleicht doch«, entgegnete Tetro. »Warum unterhalten wir uns nicht hier? Hier ist es gemütlich.«

Jetzt trat der vierte Mann vor, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte.

»Wir haben ein noch gemütlicheres Plätzchen gefunden«, sagte er.

Noc Tetro betrachtete ihn. Er war um einen halben Kopf kleiner als Hoykalare, von schlanker Gestalt und hatte weiße, feingliedrige Hände, deren Finger sich ständig so geschmeidig bewegten wie Schlangen. Er hieß Amadeo Raetzer und war Ezialist. Er gehörte nicht zu den vor elf Jahren mit Hoykalare verschwundenen 27 Wissenschaftlern, sondern war vermutlich erst später zu ihnen gestoßen. Aber inzwischen hatte er sich emporgearbeitet und nahm eine einflussreiche Stellung innerhalb der Wissenschaftler-Renegaten ein.

Mehr wusste Tetro nicht über ihn. Aber er hatte erkannt, dass dieser Mann womöglich gefährlicher war als der Kosmobiologe Han-Paitu.

»Machen Sie kein Theater und kommen Sie schon mit, Tetro«, sagte Hoykalare ungehalten.

Noc Tetro blieb keine andere Wahl, als dieser Aufforderung Folge zu leisten. Die beiden Wachen hielten nicht zufällig ihre Schockstrahler bereit. Sie würden nicht zögern, sie zu gebrauchen, wenn er sich weigern sollte.

Tetro trat hinter Hoykalare und dem Ezialisten auf den Korridor hinaus. Er musste sich bücken, als er durch die für einen Ertruser zu niedrige Tür schritt. Die beiden Wachen blieben in seinem Rücken.

Hoykalare und Raetzer gingen wortlos voran. Tetro folgte ihnen. Er konnte sich schon vorstellen, was die beiden mit ihm vorhatten. Seine einzige Hoffnung war, das Unvermeidliche solange hinauszögern zu können, bis die Siganesin Gracia Monet von ihrem Erkundungsflug zurückkehrte. Ohne ihre Hilfe war er verloren.

Er musste Zeit gewinnen.

»Was ist mit Aarlon DeVanten und Fodor Tarinow?«, erkundigte er sich bei dem vor ihm gehenden Hoykalare.

Der Quintamatheloge wandte lächelnd den Kopf. »Ich habe von Han-Paitu die Nachricht erhalten, dass sie inzwischen auf der Erde angekommen sind. Es ist alles glatt gegangen.«

»Dann werden Sie bald die Arbeitsunterlagen für den Daseinslöscher erhalten«, sagte Noc Tetro betont.

»Warten macht ungeduldig«, erklärte Raetzer.

Tetro wusste, was der Ezialist damit ausdrücken wollte. Sie hatten nicht die Absicht, zu warten, bis Ronald Tekener und Sinclair Kennon, alias DeVanten und Tarinow ihnen die Unterlagen über den Daseinslöscher brachten. Sie wollten sie sofort haben – und zwar von ihm, Noc Tetro.

Hoykalare und Raetzer hielten vor einer Tür. Der Quintamatheloge öffnete sie und betrat den dahinterliegenden Raum. Der Ezialist ließ Tetro mit einer spöttischen Handbewegung den Vortritt.

Als Tetro eintrat, sah er sofort seine Vermutung bestätigt. Vor ihm stand ein einem Hypnoschuler nicht unähnliches Gerät; es war ein Hypnosuggestor, wie man ihn für paramechanische Verhöre anwandte.

Für Tetro würde nun bald die Stunde der Wahrheit schlagen. Er war nicht mentalstabilisiert und konnte einem paraphysikalischen Hypnosuggestivverhör nicht lange standhalten. Wenn Gracia Monet nicht bald auftauchte und ihm aus dieser Klemme half, dann war er verloren – und mit ihm Tekener und Kennon. Denn durch seine Aussage würde er sie ins Verderben stürzen.

Tetro begann zu schwitzen.

 

 

*

 

 

»Das ist eine Folterkammer und kein gemütlicher Konferenzraum«, sagte der Ertruser mit gespielter Empörung. »Warum bringen Sie mich ausgerechnet hierher?«

»Raten Sie mal«, sagte Raetzer mit einem spöttischen Lächeln.

Hoykalare fühlte sich unter Tetros durchdringendem Blick anscheinend nicht wohl. Daraus schloss Tetro, dass die Idee für ein Hypnosuggestivverhör nicht von ihm stammte. Raetzers Verhalten zeigte dagegen eindeutig, dass er der Initiator war.

»Wir haben keine andere Wahl, Tetro«, sagte Hoykalare unbehaglich. »Ihr starrsinniges Schweigen zwingt uns einfach, Sie einer Behandlung unter dem Hypnosuggestor zu unterziehen. Wir müssen das Geheimnis des Daseinslöschers haben!«

»Sie bekommen es, wenn DeVanten und Tarinow von der Erde zurück sind«, entgegnete Tetro. »Das wissen Sie ganz genau. Warum wollen Sie nicht solange warten? Wenn DeVanten erfährt, was Sie hinter seinem Rücken mit mir angestellt haben, dann wird er es als Vertrauensbruch auffassen. Er wird sich sagen, dass von Ihrer Freundschaft nichts zu halten ist und wird entsprechende Maßnahmen treffen.«

»Wollen Sie uns mit DeVanten drohen?«, rief Raetzer zornig aus.

Hoykalare machte eine Handbewegung, die ihm Schweigen gebot.

Er blickte zu Tetro auf und sagte: »Es ist auch nicht gerade ein Vertrauensbeweis von DeVanten, wenn er Ihnen verbietet, uns Ihr Wissen über den Daseinslöscher bekanntzugeben.«

»Er will sich damit nur gegen unliebsame Überraschungen absichern«, erklärte Tetro.

»Sehen Sie«, meinte Hoykalare, »uns geht es nicht anders. Auch wir wollen eine Sicherstellung. DeVanten traut uns nicht, warum soll ich ihm blindes Vertrauen entgegenbringen? Indem ich mir Ihr Wissen über den Daseinslöscher hole, ziehe ich nur mit ihm gleich.«

Tetro versteifte sich.

»Sie können tausend Entschuldigungen für Ihr Verhalten vorbringen«, sagte Tetro, »aber das ändert nichts daran, dass Sie einen Vertrauensbruch begehen.«

Hoykalare winkte ab.

»Die moralische Seite dieser Angelegenheit bereitet mir die geringste Sorge.«

»Es gibt aber noch einen Punkt, den Sie nicht ignorieren sollten.« Tetro senkte die Stimme, so dass er für einen Ertruser verhältnismäßig leise sprach. Er fuhr fort: »Sie wissen, welche Folgen ein paramechanisches Zwangsverhör unter dem Hypnosuggestor für den Verhörten haben kann. Durch gewaltsames Eindringen in die Psyche können wichtige Gehirnfunktionen zerstört und bleibende geistige Störungen herbeigeführt werden.«

Raetzer lachte höhnisch.

»Der Riese zittert um sein Leben.«

Tetro wandte sich ihm drohend zu.

»Natürlich fürchte ich um meine geistige Gesundheit, das verdanke ich einem gesunden Maß an Selbsterhaltungstrieb«, sagte er. »Doch darüber hinaus möchte ich Sie auch auf etwas anderes aufmerksam machen. Wenn ich unter Ihrem Hypnosuggestor zu einem lallenden Idioten werde, dann nützen Ihnen die von DeVanten und Tarinow herbeigeschafften Unterlagen herzlich wenig. Sie brauchen mich dazu, um sie zu entschlüsseln. Ohne meine Hilfe kann es Monate dauern, bis Sie sich durch den Berg von Formeln hindurchgetastet haben. Daran möchte ich Sie erinnern.«

Das war natürlich nur ein Bluff, der aber von Hoykalare nicht durchschaut werden konnte. Denn der ganze Komplex um den angeblichen Daseinslöscher war ein Lügengebilde. Und diese neue Lüge griff nahtlos in die anderen über. Hoykalare schluckte sie.

»Ich kenne die Problematik eines Psychoverhörs«, sagte er. »Ich gebe auch zu, dass es eine schreckliche Vorstellung für mich ist, Sie verlieren zu müssen. Deshalb habe ich auch angeordnet, das Verhör mit dem nötigen Fingerspitzengefühl durchzuführen. Professor Raetzer hat Anweisung von mir erhalten, Sie nicht über die Grenzen des Erträglichen zu belasten. Sie brauchen also um Ihren Verstand nicht zu bangen. Aber es gibt natürlich immer noch die einfachere und für beide Teile wünschenswertere Möglichkeit, dass Sie freiwillig sprechen.«

»Den Teufel werde ich!«

Hoykalare zuckte die Achseln.

»Dann kann ich Ihnen den Hypnosuggestor leider nicht ersparen!«

Er wandte sich zum Gehen. Bevor er den Verhörraum verließ, drehte er sich noch einmal um.

»Professor Raetzer wird Sie rücksichtsvoll behandeln«, sagte er fast freundschaftlich und warf dem Ezialisten abschließend noch einen mahnenden Blick zu.

»Sie haben gehört, was Hoykalare Ihnen versprach«, sagte Raetzer zynisch. »Darf ich Sie jetzt bitten, Platz zu nehmen?«

Mit einem Blick auf die beiden Wachen, die jetzt ihre Schockstrahler auf ihn richteten, zwängte sich Tetro in den Stuhl unter der Verhörhaube. Er hätte zwei normal gebauten Menschen ausreichend Platz geboten, doch für den Ertruser war er etwas eng.

Die schussbereiten Schockstrahler auf sich gerichtet, ließ er sich anschnallen. Er hatte gleich nach Tekeners und Kennons Abreise damit gerechnet, paramechanisch oder mittels Drogen verhört zu werden, hoffte jedoch bis zuletzt, dass man davon absehen würde.

Seine Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt. Er war auf den Sitz des Hypnosuggestivgerätes gefesselt, die Verhörhaube senkte sich auf seinen Kopf herunter. Die Techniker nahmen noch einige Änderungen daran vor, um sie seiner Schädelform anzupassen.

Raetzer hantierte geschäftig an den Armaturen.

Noc Tetro überlegte fieberhaft, was er tun könnte, um noch einen Aufschub herauszuschinden. Er beschimpfte Raetzer, und als der Ezialist darauf überhaupt nicht reagierte, versuchte er ihn in eine wissenschaftliche Diskussion zu verwickeln. Doch auch das fruchtete nichts. Raetzer war lediglich an Tetros Wissen in Bezug auf den Daseinslöscher interessiert.

Tetro begann Blut zu schwitzen, als das kalte Metall der Verhörhaube die kahlgeschorenen Teile seines Schädels berührte. Die langsam herausdringenden Sonden elektrisierten seine Kopfhaut.

In diesem Moment resignierte Tetro. Er schien verloren zu sein. Dabei gäbe es immer noch eine Möglichkeit für seine Rettung! Die Strategen der USO, die diesen Einsatzplan entworfen hatten, hatten selbstverständlich die Tatsache ins Kalkül gezogen, dass er nicht mentalstabilisiert war und ein entsprechendes Sicherheitsventil eingebaut.

Das war die Siganesin Gracia Monet. Sie sollte darüber wachen, dass Noc Tetro sich nicht verraten konnte. Doch die Siganesin befand sich ausgerechnet jetzt nicht in seiner Nähe. Da sie ihn vorläufig in Sicherheit wähnte, hatte sie einen Erkundungsflug unternommen.

Ihre Abwesenheit würde ihm nun zum Verhängnis werden. Raetzer würde seine Aussage erzwingen und damit das ganze Unternehmen zum Scheitern bringen.

Der Ezialist hatte die letzten Vorbereitungen getroffen und erschien vor Tetro.

»Keine Bange, ich habe nicht die Absicht, Sie zu quälen«, sagte Raetzer. »Ich werde auch so alles aus Ihnen herausbekommen.«

Noc Tetro bezweifelte es nicht.

2.

 

Die beiden Tiere bremsten ihren Lauf und betrachteten die Siganesin ängstlich und neugierig zugleich. Sie hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit der terranischen Bisamratte, waren jedoch nur etwa acht Zentimeter groß, besaßen ein blauschwarz schimmerndes Fell und an Vorder- und Hinterbeinen Schwimmhäute.

Gracia Monet war den Tieren eine Weile im Schutze ihres Deflektorschirmes auf ihrem Weg durch die Korridore gefolgt. Mit Hilfe ihrer Rückenhubschraube fiel es ihr nicht schwer, sich der Geschwindigkeit der Tiere anzupassen. Sie beschattete sie, weil sie sehen wollte, wohin sie sich in dieser Station wandten. Doch als es ihr schien, als ob die Tiere überhaupt kein Ziel hätten, entschloss sie sich, sie aufzuscheuchen.

Sie landete vor ihnen und schalteten den Deflektorschirm aus. Nach anfänglichem Zögern stürzten sich die beiden Bisamratten auf sie, offensichtlich in der Annahme, hier eine leichte Beute beschert zu bekommen. Gracia Monet konnte sich gerade noch mit einem einen Meter hohen Sprung in Sicherheit bringen. In der Luft schaltete sie dann die Rückenhubschraube ein.

Die Bisamratten schienen wegen der entschwundenen Beute gar nicht einmal enttäuscht, sondern setzten unverdrossen ihren Weg fort. Sie hatten kaum zehn Meter zurückgelegt, da blieben sie wieder stehen. Nachdem sie einige Sekunden lang einen seltsamen Tanz aufgeführt hatten, sprangen sie eine Wand an – und kletterten an ihr hoch. Gracia Monet nahm an, dass sie auf der Unterseite ihrer Pfoten Saugnäpfe besaßen, mit denen sie sich an der senkrechten Wand festhielten.

Jetzt entdeckte sie auch, wonach die beiden Tiere wahrscheinlich gesucht hatten. In einer Höhe von eineinhalb Metern befand sich ein zwanzig mal zwanzig Zentimeter großes und zehn Zentimeter dickes Kästchen. An der Vorderseite besaß es ein fünf Zentimeter durchmessendes Loch. Darauf strebten die beiden Bisamratten zu.

Gracia Monet hatte schon öfters in den Korridoren solche Kästchen entdeckt, aber auch nach eingehender Untersuchung nicht herausfinden können, wozu sie dienten. Sie hatte lediglich eine thermische Strahlung anmessen können, die aus dem Loch entwich, und ein simples Gerät in dem Hohlraum entdeckt, das elektrischen Strom in die thermische Strahlung umwandelte. So gesehen, waren die Kästchen nichts anderes als Heizkörper, doch spendeten sie andererseits nicht genügend Wärme, um als solche gelten zu können.

Eines der beiden Tiere erreichte das Kästchen und schlüpfte durch das Loch. Es war kaum darin verschwunden, als ein greller Blitz herauszuckte und eine schwache Druckwelle folgte. Kein Zweifel, dass die Bisamratte in dem Kästchen verschmort war. Dennoch ließ sich das zweite Tier nicht davon abhalten, den gleichen Weg zu gehen. Es wollte ebenfalls in das Innere des Kästchens schlüpfen. Doch da griff Gracia ein. Sie flog dicht heran und bestrich die Beine der Bisamratte mit einer schwachen Dosis von Lähmstrahlen aus ihrem Paralysator. Das Tier fiel vom Kästchen ab, landete mit den Beinen am Boden und rannte kreischend davon.

Gracia hoffte, dass es durch dieses erschreckende Erlebnis dazu getrieben wurde, die Sicherheit seines Baues aufzusuchen und flog ihm nach. Sie konnte sich nicht vorstellen, wo und wie Tiere, die eindeutig Wasserbewohner waren, in dieser technischen Station leben sollten. Aber sie folgte der Bisamratte nicht aus reiner Neugierde. Für sie war besonders interessant zu erfahren, wie diese Tiere in die Station kamen. Sie schienen sich für die Wissenschaftler nachgerade zu einer Plage entwickelt zu haben, das bewies die Anbringung der Fallen.

Die besondere Art dieser Fallen ließ eine neue interessante Frage über die Herkunft der Tiere auftauchen. Sie sprachen auf Wärme an, wurden von ihr angelockt. Wies das darauf hin, dass sie aus einer Gegend dieser Welt mit gemäßigtem oder warmem Klima kamen? Darauf konnte sich Gracia nur ein klares Nein geben. Denn wo, um Himmels willen, sollte es auf dieser Welt mit dem langen Winter, deren Oberfläche mit kilometerdicken Eisschichten bedeckt war, ein gemäßigtes Klima geben? Auf Archäo herrschte eine Durchschnittstemperatur von minus 82 Grad Celsius. Alle Binnengewässer und viele der Meere waren bis zum Grund gefroren.

Es konnte natürlich auch sein, dass sich die Bisamrattenähnlichen vor dem Einbruch des Winters in die Station der Wissenschaftler geflüchtet hatten. Doch auch darauf musste sich Gracia ein klares Nein geben. Die Station war in die obersten Schichten des Eises gebaut. Es stand also fest, dass sie erst lange nach Einbruch des 79 Jahre währenden Winters gebaut worden war. Zu diesem Zeitpunkt mussten die Bisamratten schon längst ihren Winterschlaf angetreten haben.

Es gab natürlich noch eine Möglichkeit. Die Tiere konnten von den Wissenschaftlern auf Archäo eingeschleppt worden sein. Aber ein Gefühl sagte Gracia, dass dem nicht so war. Jedenfalls wollte sie sich nicht eher zufriedengeben, als bis sie eine befriedigende Antwort auf ihre Fragen bekommen hatte. Die Herkunft der Bisamratten erschien ihr plötzlich ungemein wichtig.

Sie verfolgte das Tier im Schutz des Deflektorschirmes durch die Korridore. Es rannte sehr zielstrebig in eine Richtung und ließ sich nicht einmal von einer »Wärmefalle«, an der es vorbeikam, ablenken.

Gracia merkte, dass sie während der Verfolgung in jenen Teil der Station kam, den zu erforschen sie noch nicht Zeit gefunden hatte. Im wesentlichen unterschied sich auch diese Sektion nicht von den anderen. Die Korridore besaßen dieselbe karge Ausstattung wie überall, es gab die gleich aussehenden Türen, die in irgendwelche Räume führten. An einigen Aufschriften erkannte sie jedoch, dass sich hier die Laboratorien, Arbeitsräume und Forschungsstationen der Wissenschaftler befanden.

Hier herrschte auch eine größere Betriebsamkeit, als in den anderen Abteilungen, die sie bisher kennen gelernt hatte. Die gesamte Station war nicht nur größer, als sie anfangs angenommen hatte, sondern besaß auch eine viel größere Mannschaft.

Männer und Frauen kamen, mit irgendwelchen Geräten in den Händen, aus einem Raum, durcheilten oder überquerten den Korridor und verschwanden wieder in einem anderen Raum. Keiner beachtete den anderen, es wurden kaum Worte gewechselt, es herrschte ein ständiges Hin und Her.