Einleitung

Ich, Merlin

Frauchen sagt, ich, Merlin, sei ein ganz außergewöhnlicher Hund. Nun, das kann ich bei aller Bescheidenheit nur unterstreichen. Mein Charakter ist lauter, meine soziale Kompetenz bewundernswert, ich bin hochsensibel und von meiner überragenden Intelligenz will ich erst gar nicht sprechen. Auch an meinem Erscheinungsbild ist nichts auszusetzen. Immer wenn ich vor Frauchens großem Spiegel stehe und mich bewundere, sehe ich einen durchtrainierten, gelockten Merlin mit feurigen Augen und schwarzweißem Outfit und denke mir stolz: Ja, so muss ein echter Hund aussehen – auch um die Körpermitte herum. Denn was naive Besserwisser oftmals despektierlich als Hängebauch bezeichnen, ist in Wahrheit eine besonders tief angesetzte Brust. Glaubt mir, meine Begeisterung für Leckerlis hat damit rein gar nichts zu tun!

Meinen Vorfahren verdanke ich nicht nur meine Schönheit, sondern auch einen gesunden Jagd- und Buddeltrieb. Frauchen muss daher meinen Aktionsradius des Öfteren mit der 3m-Leine begrenzen. Aber da sie sich dafür jedes Mal gleich mit Leckerlis entschuldigt, nehme ich ihr das nicht weiter krumm.

Frauchen ist überhaupt das Allerbeste, was mir als ausgesetztem Welpen passieren konnte. Ihr verdanke ich ein Zuhause, eine gediegene Schulbildung und vor allem jede Menge an Zuneigung, die ich natürlich stets feuchtzungig erwidere. Für mein Frauchen würde ich mich glatt in Stücke reißen lassen.

So, nun wisst Ihr ungefähr, mit wem Ihr es zu tun habt. Weitere Informationen zu meiner Person folgen im Verlauf meiner Gassi-Geschichten.

Sinn und Zweck einer Gassirunde

Das Tages-Highlight aller Hunde
ist zweifellos die Gassirunde.

Zunächst etwas Theorie zum besseren Verständnis des Hund­seins. Der vordergründige Zweck einer Gassirunde liegt ja wohl auf der Hand – und das oft im wahrsten Sinne des Wortes, wenn Ihr wieder einmal gezwungen seid, unser Geschäft mittels Sackerl zu entsorgen (shit happens, kann man da nur lakonisch sagen). Im Normalfall jedoch haben wir Hunde, im Unterschied zu Euch, unser Innenleben so gut im Griff, dass uns ein dreimaliger Ausgang pro Tag durchaus genügt. Aber von dieser animalischen Notwendigkeit soll hier gar nicht die Rede sein. Eine Gassirunde dient nämlich nicht nur unseren Grundbedürfnissen, sondern hat auch wichtige weitere Funktionen.

So verbinden wir mit einer Gassitour vor allem intensive Schnupperarbeit. Während Ihr Augenwesen seid und TV, Radio und Zeitung braucht, um über die Welt Bescheid zu wissen, sind wir Hunde Nasenwesen und beziehen unseren Input via Schnüffelei. Und alle Riechinfos speichern wir dann einzeln oder als Duftpotpourri ab für den späteren Gebrauch.

Dass ein verantwortungsvoller Hund auf seiner Gassirunde der Markierungspflicht unterliegt, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Benutzen jedoch viele Hunde ein- und dieselbe Route, so wird das Markieren oftmals zu einer echten Herausforderung. Hier ist nämlich großes Geschick in punkto Portionieren gefragt und nicht selten artet bei unerfahrenen Hundemännchen das Beinchenheben regelrecht in Stress aus.

Des Weiteren fördert eine Gassirunde notwendige soziale Kontakte. Man trifft einander, knurrt einander an, beschnüffelt einander, spielt miteinander oder ignoriert einander. Es ist wie bei Euch Menschen: sehen und gesehen werden. Nur dass die Kommunikation gebildeter Hunde, im Unterschied zu der von Euch Menschen, überwiegend per Körpersprache erfolgt. Fallweise warnende Belltöne sind gestattet, proletenhaftes Dauergekläff hingegen gilt auch unter uns als unfein. Wer will sich denn schon als Neurotiker, Hysteriker oder noch schlimmer – als Hundeschul-Abbrecher outen?

So man nicht gerade angeleint ist, dient eine Gassitour natürlich auch der Körperertüchtigung. Hin- und Hersausen, den Weg sichern, Stöckchen apportieren, Frauchen umrunden, in der Erde buddeln, sich auf dem Boden wälzen und dann wieder den Pfadfinder heraushängen lassen … Das alles konditioniert ungemein und setzt überdies Glückshormone frei – Hormone, die dann nur noch durch die Glückshormone beim Fressen übertroffen werden.

Und schließlich und endlich kommt auch unsere sensible Seele bei einem solchen Rundgang nicht zu kurz. Blätterrauschen, Fliegensummen, tanzende Sonnenflecken, Regentropfen – eine Fülle an Impressionen für jeden empfindsamen Hund, denen dann später im Körbchen meditierend Rechnung getragen werden kann. (Aufgrund meiner tiefsitzenden Brust habe ich bewusst auf die Formulierung „Hund mit Tiefgang“ verzichtet.)

So, das war die theoretische Einführung. Und nun folgt der unterhaltsame Teil.