Pittacus Lore

Geheimakte: Das Vermächtnis von Nummer Sechs

Das Erbe von Lorien

Aus dem Amerikanischen von Andreas Brunstermann

Impressum

Pittacus Lore, Geheimakte: Das Vermächtnis von Nummer Sechs

 

Die Originalausgabe unter dem Titel
„I Am Number Four: The Lost Files: Six’s Legacy
(Lorien Legacies)“
erschien 2011 bei HarperCollins Publishers.

 

ISBN E-Pub 978-3-8412-0415-8
ISBN PDF 978-3-8412-2415-6

 

Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Februar 2011
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Copyright © 2011 by Pittacus Lore

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

 

Covergestaltung Kathrin Schüler, Berlin
unter Verwendung eines Motivs von © Levente Janos/iStockphoto

 

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,
KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

 

www.aufbau-verlag.de

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Inhaltsübersicht

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Auszug aus »Ich bin Nummer Vier«

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Auszug aus »Die Macht der Sechs«

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Katarina sagt, man kann sich auf viele Arten verstecken.

Bevor wir hierher nach Mexiko kamen, lebten wir in einem Vorort von Denver. Damals hieß ich Sheila – ein Name, den ich noch mehr als meinen jetzigen verabscheue: Kelly. Wir wohnten zwei Jahre dort. Wie all die anderen Mädchen an meiner Schule trug ich Haarspangen und pinkfarbene Gummibänder am Handgelenk. Ein paar der Mädchen, die ich ›meine Freundinnen‹ nannte, blieben manchmal über Nacht bei mir oder ich übernachtete bei ihnen. Während des Schuljahres ging ich in die Schule und im Sommer besuchte ich ein Zeltlager. Ich mochte meine Freundinnen, und das Leben, das wir dort führten, war total in Ordnung.

Aber ich war von meiner Cêpan Katarina schon viel zu oft woanders hingebracht worden, um genau zu wissen, dass dieses Leben nicht von Dauer sein würde. Ich wusste, dass es nicht mein wirkliches Leben war.

Mein wirkliches Leben fand in unserem Keller statt, wo Katarina und ich das Kämpfen trainierten. Tagsüber war der Keller ein ganz normaler, vorstadttypischer Freizeitraum mit einer bequemen Couch, einem Fernseher in der einen und einer Tischtennisplatte in der anderen Ecke. In der Nacht aber verwandelte er sich in ein perfekt ausgestattetes Kampfsportstudio mit Sandsäcken, Bodenmatten, Waffen und sogar einem provisorischen Seitpferd.

In der Öffentlichkeit spielte Katarina die Rolle meiner Mutter und behauptete, ihr Ehemann, also mein Vater, sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich noch ein kleines Kind |4|war. Unsere Namen, unsere Leben und unsere Geschichten waren allesamt erfunden. Sie stellten lediglich Identitäten dar, hinter denen Katarina und ich uns verbergen konnten. Diese Identitäten erlaubten uns, in der Öffentlichkeit zu leben und uns ganz normal zu verhalten.

Aber uns unterlief ein Fehler. Noch heute erinnere ich mich daran, wie wir im Auto saßen. Wir ließen Denver hinter uns und fuhren nach Mexiko (übrigens einzig und allein aus dem Grund, weil wir noch nie zuvor da gewesen waren), während wir gleichzeitig herauszufinden versuchten, aus welchem Grund unsere Tarnung aufgeflogen war. Irgendetwas, das ich zu meiner Freundin Eliza gesagt hatte, widersprach dem, was Katarina Elizas Mutter erzählt hatte. Bevor wie nach Denver kamen, hatten wir einen langen kalten Winter in Neuschottland verbracht. Ich hatte unsere Geschichte – also die Lüge, die wir übereingekommen waren zu erzählen – so in Erinnerung, dass wir vor Denver in Boston gelebt hatten. Katarina hingegen hatte eine andere Erinnerung. Sie behauptete, dass Tallahassee unser letztes Zuhause gewesen war. Eliza sprach daraufhin mit ihrer Mutter. So fingen die Leute an, misstrauisch zu werden.

Eigentlich war das Ganze keine Katastrophe. Wir hatten keinen unmittelbaren Grund zu glauben, dass die Mogadori durch diesen Schnitzer auf unsere Spur kommen könnten. Aber unser Leben war plötzlich durcheinandergeraten. So kam Katarina zu dem Schluss, dass wir dort lange genug gelebt hatten. Also zogen wir weiter.

 

In Puerto Blanco scheint die Sonne hell und unbarmherzig. Die Luft ist fast unerträglich trocken. Katarina und ich unternehmen keinen Versuch, uns unter die anderen Bewohner – mexikanische Bauern mit ihren Kindern – zu mischen. Unser einziger regelmäßiger Kontakt mit den Einheimischen besteht darin, dass wir einmal pro Woche in den Ort fahren und dort in einem kleinen Laden alles Notwendige einkaufen. Weit und breit sind wir die einzigen Weißen, und obwohl wir beide gut |5|Spanisch sprechen, würde uns niemand mit den Mexikanern verwechseln. Für unsere Nachbarn sind wir die ›Gringas‹, seltsame weiße Einsiedlerinnen.

»Manchmal versteckt man sich am besten, indem man sich von den anderen abhebt«, sagt Katarina.

Anscheinend hat sie recht. Wir sind jetzt seit fast einem Jahr hier und wurden noch nie belästigt. Wir führen ein einsames, aber geregeltes Leben in einem ziemlich geräumigen und flachen Häuschen, das sich zwischen zwei Streifen großen Ackerlands befindet.

Um die beiden relativ kühlen Morgenstunden zu nutzen, stehen wir mit der Sonne auf. Noch bevor es Frühstück oder eine Dusche gibt, lässt mich Katarina im Hinterland exerzieren. Ich renne einen kleinen Hügel rauf und runter, mache Gymnastik und praktiziere Tai Chi.

Dem Training folgt ein leichtes Frühstück, danach gibt es drei Stunden Unterricht: Sprachen, internationale Geschichte und alle möglichen anderen Themen, die Katarina aus dem Internet heraussucht. Sie sagt, ihre Unterrichtsthemen und -methoden seien ›eklektisch‹. Ich weiß nicht, was das Wort bedeutet, bin aber dankbar für die Abwechslung.

Katarina ist eine ruhige, nachdenkliche Frau. Obwohl sie dem am nahesten kommt, was ich als Mutter bezeichnen könnte, sind wir doch sehr verschieden. Der Unterricht ist wahrscheinlich der Höhepunkt ihres Tages. Ich ziehe das Training vor.

Nach den Studien geht es wieder in die gleißende Sonne, deren Hitze mich so schwindelig macht, dass ich beinahe halluziniere und meine eingebildeten Feinde real werden. Ich kämpfe mit Strohpuppen, beschieße sie mit Pfeilen, ramme Messer in sie hinein oder bearbeite sie mit den nackten Fäusten. Geblendet von der Sonne, betrachte ich sie als Stellvertreter der Mogadori und finde Gefallen daran, sie in Stücke reißen zu können. Katarina sagt, obwohl ich erst dreizehn Jahre alt bin, verfüge ich über so viel Kraft und Beweglichkeit, dass ich es problemlos mit einem durchtrainierten Erwachsenen aufnehmen könnte.

|6|Einer der Vorteile des Lebens in Puerto Blanco ist die Tatsache, dass ich meine Fähigkeiten nicht verstecken muss. Damals in Denver musste ich mich immer zurückhalten, um die außergewöhnliche Kraft und Schnelligkeit zu verbergen, die ich mir durch Katarinas Training angeeignet hatte – ob ich nun zum Schwimmen ging oder einfach nur auf der Straße spielte. Hier leben wir abgeschieden von den anderen Bewohnern. Somit muss ich mich nicht verstecken.

Heute ist Sonntag. Unser Nachmittagstraining dauert daher nicht lange, nur eine Stunde. Hinter dem Haus übe ich mit Katarina Schattenboxen. Ich kann spüren, dass sie bald aufhören möchte. Ihre Bewegungen sind halbherzig, sie kneift die Augen vor der Sonne zusammen und sieht müde aus. Ich liebe es zu trainieren und könnte den ganzen Tag so weitermachen. Doch aus Respekt vor ihr belasse ich es dabei.

»Oh, ich schlage vor, wir hören heute früher auf«, sagt sie. Ich grinse in mich hinein und lasse sie in dem Glauben, dass auch ich erschöpft bin. Wir gehen ins Haus, wo uns Katarina zwei Gläser agua fresca, einen schnell hergestellten Sommerdrink mexikanischer Herkunft, macht. Das ist unsere übliche Sonntagsdiät. In unserem bescheidenen Wohnzimmer läuft der Ventilator auf vollen Touren. Katarina fährt ihre verschiedenen Computer hoch, während ich meine schmutzigen, schweißdurchtränkten Kampfstiefel abstreife und auf dem Fußboden ausruhe. Ich mache Dehnübungen, damit sich meine Arme nicht verspannen. Dann greife ich nach oben zum Regal in der Ecke und ziehe einen Stapel Brettspiele heraus. Risiko, Stratego, Othello. Katarina hat versucht, mich für andere Spiele wie Monopoly und Spiel des Lebens zu begeistern. Sie meint, es würde mir nicht schaden, meinen Horizont zu erweitern. Aber diese Spiele konnten mich nie fesseln. Jetzt spielen wir ausschließlich Strategie- und Kampfspiele.

Risiko ist mein Favorit. Da wir heute früher aufgehört haben, denke ich, dass Katarina einverstanden ist, es zu spielen – auch wenn es länger dauert als die anderen Spiele.

|7|»Risiko?«

Katarina sitzt am Schreibtisch und wendet sich von einem Bildschirm zum nächsten. »Welches Risiko?«, fragt sie abwesend.

Ich fange an zu lachen und schüttele den Karton. Sie schaut zwar nicht auf, doch das Geräusch der durcheinanderwirbelnden Teilchen lässt sie begreifen, was ich meine.

»Oh«, sagt sie. »Klar.«

Ich stelle das Spielfeld auf. Ohne weiter zu fragen, teile ich die Armeen zwischen uns auf und verteile sie über die Landkarte. Wir haben dieses Spiel so oft gespielt, dass ich gar nicht mehr fragen muss, welche Länder sie haben oder welche Territorien sie gern besetzen würde. Sie entscheidet sich jedes Mal für die USA und Asien. Ich platziere ihre Figuren auf den gewünschten Gebieten. Ich weiß genau, dass ich, ausgehend von meinen viel leichter zu verteidigenden Ländern, ganz schnell Armeen werde aufbauen können, die stark genug sind, um ihre zu vernichten.

Ich bin so in die Aufstellung der Spielfiguren vertieft, dass ich gar nicht mitbekomme, wie still und abwesend Katarina plötzlich ist. Erst als ich mit meinen Halswirbeln ein Knackgeräusch mache und sie mich deswegen nicht ermahnt (»Bitte lass das«, sagt sie normalerweise, weil sie das Geräusch nicht ausstehen kann), sehe ich zu ihr auf und stelle fest, dass sie mit offenem Mund auf einen ihrer Monitore starrt.

»Kat?«, frage ich.

Sie antwortet nicht.

Ich stehe auf und steige über das Spielbrett, um zu ihr an den Schreibtisch zu gehen. Erst in diesem Moment sehe ich, was ihre Aufmerksamkeit so vollends in Anspruch nimmt.

Eine Nachrichtenmeldung über eine Explosion in einem Bus in England.

Ich stöhne.

Katarina durchstöbert das Internet und die Nachrichten ständig nach mysteriösen Todesfällen. Todesfälle, die vielleicht von den Mogadori verursacht wurden. Todesfälle, die bedeuten könnten, dass ein weiteres Mitglied der Garde besiegt worden |8|ist. Seit wir auf die Erde gekommen sind, sucht Katarina nach solchen Neuigkeiten. Ich bin mittlerweile von diesem Pessimismus ziemlich frustriert.

Mal ganz abgesehen davon, dass es auch nicht gerade erfreulich war, als es zum ersten Mal passierte.

Ich war neun Jahre alt und lebte mit Katarina in Neuschottland. Unser dortiger Trainingsraum war ein Dachboden. Katarina hatte an jenem Tag schon mit dem Training aufgehört. Ich hingegen hatte noch genügend Energie und machte Übungen am Seitpferd, als ich plötzlich einen stechenden Schmerz am Knöchel verspürte. Ich verlor das Gleichgewicht, krachte auf die Trainingsmatte, hielt meinen Knöchel und brüllte vor Schmerzen.

Meine erste Narbe. Es bedeutete, dass die Mogadori Nummer Eins getötet hatten, den ersten in der Reihenfolge der Gardisten. Und trotz Katarinas ständiger Internetrecherche hatte uns der Vorfall völlig unvorbereitet getroffen.

Die folgenden Wochen saßen wir wie auf glühenden Kohlen und warteten auf einen zweiten Todesfall, eine zweite Narbe. Aber nichts geschah.

Katarina ist immer noch ängstlich und unentspannt, ständig auf dem Sprung. Aber drei Jahre sind vergangen, fast ein Viertel meines ganzen Lebens. Mittlerweile denke ich nicht mehr allzu viel darüber nach.

Ich schiebe mich zwischen sie und den Bildschirm. »Es ist Sonntag. Zeit zum Spielen.«

»Bitte, Kelly.« Sie spricht meinen aktuellen Decknamen mit einem gewissen Zögern aus. Ich weiß genau, dass ich für sie immer Sechs sein werde. Genauso wie ich selbst in meinem Herzen. Diese Decknamen sind lediglich Hüllen und nicht das, was ich eigentlich bin. Ich bin sicher, dass ich auf Lorien auch einen Namen hatte, einen richtigen Namen, nicht bloß eine Nummer. Aber das liegt so lange zurück, und ich hatte inzwischen so viele verschiedene Namen, dass ich mich nicht mehr erinnere.

Sechs ist mein wahrer Name. Sechs ist das, was ich bin.

|9|Katarina schiebt mich aus dem Weg, um die Meldung genauer zu studieren.

Wir haben schon so viele Spieltage durch solch alarmierende Neuigkeiten verloren. Und niemals ist etwas Konkretes dabei herausgekommen. Es sind immer nur ganz gewöhnliche Tragödien.

Der Erde mangelt es nicht an Tragödien, wie ich festgestellt habe.

»Nein. Nur ein Busunglück. Komm, lass uns spielen.« Ich ziehe an Katarinas Arm. Ich möchte wirklich gern, dass sie sich entspannt. Sie wirkt so müde und besorgt. Ich weiß genau, dass sie eine Pause gebrauchen könnte.

Sie rührt sich nicht. »Es ist eine Explosion in einem Bus«, sagt sie und blickt wieder zum Schirm, »und anscheinend ist der Konflikt noch nicht zu Ende.«

»Aber das ist doch immer so«, erwidere ich und verdrehe die Augen. »Jetzt komm schon.«

Sie schüttelt den Kopf und gibt ihr typisch erschöpftes Lachen von sich. »In Ordnung. Meinetwegen.«

Katarina reißt sich vom Bildschirm los und setzt sich neben dem Spielbrett auf den Fußboden. Ich muss mich total beherrschen, um mir angesichts ihrer bevorstehenden Niederlage nicht die Lippen zu lecken. Ich gewinne immer bei Risiko.

Ich knie mich neben sie auf den Boden.

»Du hast recht, Kelly«, sagt sie und gestattet sich ein Lächeln. »Ich sollte nicht bei jeder Kleinigkeit gleich panisch …«

Einer der Monitore auf Katarinas Schreibtisch gibt plötzlich ein lautes Pling! von sich. Ein Alarmsignal. Ihre Computer sind darauf programmiert, nach ungewöhnlichen Nachrichten und Blog-Einträgen, ja, sogar Veränderungen der globalen Wetterlage zu suchen. Alles in der Hoffnung, vielleicht etwas über die Garde zu erfahren.

»Och, komm schon«, sage ich.

Aber Katarina ist schon wieder am Schreibtisch und scrollt und klickt sich von einem Link zum anderen.

|10|»Dann eben nicht«, sage ich. »Aber wenn das Spiel beginnt, gibt es keine Gnade.«

Katarina ist plötzlich mucksmäuschenstill. Völlig paralysiert von irgendetwas.

Ich stehe auf und gehe zum Schreibtisch.

Sehe auf den Bildschirm.

Es ist nicht, wie ich erwartet habe, ein Nachrichtenbeitrag aus England. Es ist ein einfacher, anonymer Blog-Eintrag. Nur ein paar eindringliche, quälende Worte:

NEUN, JETZT ACHT. SEID IHR ANDEREN IRGENDWO DA DRAUSSEN?

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Es ist ein Schrei in der Wildnis – von einem Mitglied der Garde. Ein Mädchen oder ein Junge, so alt wie ich, sucht nach uns anderen.

In Sekundenschnelle reiße ich Katarina die Tastatur aus der Hand und hämmere eine Antwort in die Kommentarspalte des Blogs.

JA! WIR SIND HIER!

Katarina schlägt meine Hand weg, bevor ich die Enter-Taste drücken kann. »SECHS!«

Angesichts meiner Unüberlegtheit und Hast ziehe ich mich beschämt zurück.

»Wir müssen vorsichtig sein. Die Mogadori sind auf der Jagd. Sie haben Eins getötet, und womöglich sind sie schon Zwei oder Drei auf der Spur …«

»Aber sie ist ganz allein!«, rufe ich. Die Worte sprudeln aus mir hervor, bevor mir überhaupt klar wird, was ich da sage.

Ich habe keine Ahnung, wieso ich es weiß. Es ist mehr ein Gefühl. Wenn dieses Mitglied der Garde so verzweifelt war und im Internet nach den anderen sucht, dann ist sein oder ihr Cêpan bestimmt getötet worden. Ich stelle mir die Angst und Panik dieses anderen Gardisten vor. Nicht vorstellen hingegen kann ich mir, wie es wäre, wenn ich Katarina verlöre, wenn ich allein wäre. Wenn ich ohne Katarina mit allem klarkommen müsste. Völlig undenkbar.

»Was ist, wenn es Zwei war? Was ist, wenn sie sich in England aufhält, die Mogs hinter ihr her sind und sie um Hilfe ruft?«

Noch vor einer Sekunde habe ich darüber gespottet, wie sehr |12|Katarina in die Nachrichten versunken war. Aber das hier ist etwas anderes. Das hier ist eine Verbindung zu jemandem, der genau wie ich ist. Jetzt möchte ich verzweifelt aktiv werden und auf seinen oder ihren Hilferuf antworten.

»Vielleicht ist es an der Zeit«, sage ich und balle die Hände zu Fäusten.

»An der Zeit?« Katarina ist verängstigt, ihr Gesichtsausdruck spricht Bände.

»An der Zeit zu kämpfen!«

Katarina schlägt die Hände vors Gesicht und fängt an zu kichern. In derart stressigen Augenblicken reagiert sie manchmal so: Sie lacht, wenn es ernst ist, und ist ernst, wenn sie lachen sollte.

Katarina sieht mich an, und mir wird klar, dass sie nicht über mich lacht. Sie ist nur nervös und verwirrt. »Dein Erbe hat sich noch gar nicht entwickelt!« Nun weint sie. »Wie könnten wir jetzt einen Kampf beginnen?« Sie steht vom Schreibtisch auf und schüttelt den Kopf. »Nein. Wir sind noch nicht zum Kampf gerüstet. Solange deine Kräfte noch nicht entwickelt sind, werden wir keine Schlacht anfangen. Bis die Garde bereit ist, müssen wir uns verstecken.«

»Dann müssen wir ihr eine Nachricht schicken.«

»Ihr? Du weißt doch nicht mal, ob es eine Sie ist! Es könnte auch irgendwer gewesen sein. Jemand völlig Unbeteiligter hat sich vielleicht zufällig einer Sprache bedient, die meinen Alarm ausgelöst hat.«

»Ich weiß, dass es einer von uns ist.« Ich blicke Katarina durchdringend an. »Und du weißt es auch.«

Katarina nickt. Sie gibt sich geschlagen.

»Nur eine Zeile. Um sie wissen zu lassen, dass sie nicht allein ist. Um ihr Hoffnung zu geben.«

»Wieder ›sie‹«, sagt Katarina lachend, doch es klingt fast traurig.

wie ich. Eine Version meiner selbst, allerdings viel verängstigter und ganz allein. Ein Mädchen, das ihres Cêpan beraubt wurde.

JA! WIR SIND HIER!

Katarina schüttelt den Kopf. Anscheinend bereut sie, dass sie mir so leichtfertig nachgegeben hat.

Ich fühle mich tatsächlich besser, zumindest etwas. Es gibt mir ein gutes Gefühl, dass ich vor dem Hintergrund des großen Kampfs einem Mitglied der Garde Trost spenden konnte.

»Katarina!«, schreie ich und hämmere vor lauter Schmerzen mit den Fäusten auf den Boden.