ZUM BUCH

 

Die Wahrheit war Lola Montez nicht wichtig. Sie lebte im Hier und Jetzt, passte ihr Leben den augenblicklichen Umständen an, erfand sich immer wieder neu. Dazu erschuf sie sich jeweils die passende Vita: So wurde aus dem wilden Kind in Indien die spanische Tänzerin, aus dem vorgeblich spanisch-adeligen Spross die veritable Gräfin Landsfeld. Einmal war sie die Favoritin des bayerischen Königs Ludwig I., dann wiederum die berühmte Künstlerin. Dreimal rettete sich Lola Montez in den vermeintlich sicheren Ehehafen, um nur wenig später eine Selbstständigkeit an den Tag zu legen, die damals nur den „Blaustrümpfen“ der Frauenemanzipation zu Eigen war.

Die gebürtige Irin fürchtete sich nicht vor ihrem zügellosen Temperament: Einigen galt sie daher als aggressive Egozentrikerin, anderen als charmante Exzentrikerin. Weitgereist und weltberühmt beschloss sie ihr Lebenskunstwerk 1861 in New York.

 

 

 

 

ZUR AUTORIN

 

Marita A. Panzer, Dr. phil., ist freie Historikerin und Sachbuchautorin. Sie veröffentlichte u. a. im Verlag Friedrich Pustet bereits zahlreiche Biografien.

Marita A. Panzer

 

 

 

 

 

 

LOLA MONTEZ

 

 

EIN LEBEN ALS BÜHNE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

IMPRESSUM

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6015-5 (epub)
© 2014 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg
Umschlaggestaltung: Heike Jörss, Regensburg

 

Diese Publikationen ist auch als Printprodukt erhältlich:
ISBN 978-3-7917-2562-8

 

Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie unter
www.verlag-pustet.de

 

Kontakt und Bestellung unter verlag@pustet.de

 

 

All the world’s a stage,

And all the men and women merely players;

They have their exits and their entrances

And one man in his time plays many parts.

(…)

 

 

Die ganze Welt ist Bühne,
Und alle Frau’n und Männer bloße Spieler.
Sie treten auf und gehen wieder ab,
Sein Leben lang spielt einer manche Rollen.

(…)

 

(William Shakespeare)

Vorwort

Die Wahrheit war Lola Montez nicht wichtig. Sie lebte im Jetzt und Heute. Dazu erschuf sie sich jeweils die passende Vita. So wurde aus dem wilden Kind in Indien die spanische Tänzerin, aus dem vorgeblich spanisch-adeligen Spross die bayerische Gräfin Landsfeld. Lola Montez lebte in zwei Jahrhunderten: Einmal wollte sie die Mätresse en titre des vergangenen 18. Jahrhunderts sein. Dann wanderte sie wiederum als Kurtisane von Mann zu Mann, bis sie sich schließlich dreimal in die vermeintliche Sicherheit der Ehe rettete. Zum anderen zeigte sich in ihrem Verhalten (vor allem in den späteren Jahren) bereits eine Selbstständigkeit, die damals nur den „Blaustrümpfen“, den Frauen der emanzipatorischen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts, zu eigen war.

Die bisherigen Biografen der Lola Montez sahen in ihr entweder eine große Kurtisane oder eine ordinäre Prostituierte, eine unbegabte Tänzerin oder eine Künstlerin von Weltruhm, nur vergleichbar mit Filmstars wie Marlene Dietrich, Marilyn Monroe oder der Pop-Ikone Madonna. Lola Montez verstand es, mit der Presse der damaligen Zeit umzugehen wie die Medienstars dieser Tage. Sie war eine Vorläuferin der medialen Selbstdarstellung, aber auch des medialen Verfolgtwerdens, und ähnelt darin den heutigen royalen Hoheiten und ihrem zwiespältigen Verhältnis zu den Paparazzi.

Einem ihrer Vorträge (The Arts of Beauty) stellte Lola Montez den Satz voraus: „Allen Männern und Frauen aller Länder gewidmet, die sich nicht vor sich selbst fürchten und die genügend Zutrauen zu ihrer eigenen Seele haben, mit der Kraft ihrer eigenen Persönlichkeit aufzustehen und das Wagnis einzugehen, sich den Gezeitenströmen der Welt auszusetzen.“

Lola Montez fürchtete sich nicht vor ihrem zügellosen Temperament, sie lebte ihre Stimmungen oft rücksichtslos aus: Einigen galt sie daher als aggressive Egozentrikerin, anderen als charmante Exzentrikerin.

Ein Zeitgenosse meinte über Lola Montez klarsichtig: „Für sie (…) hatte die Wahrheit keinerlei Bedeutung (…) und so verbreitete sie immer wieder die absurdesten Unwahrheiten.“ Richtig: Lola Montez ging mit der Wahrheit höchst kreativ um. Sie passte ihre Lebensdaten jeweils den augenblicklichen Lebensumständen an. So erfand sie sich immer wieder neu: Rolle um Rolle auf der Bühne ihres Lebens.

„ein sehr anmutiges

und hübsches Kind“

 

Auftritt

Eliza(beth) Rosanna Gilbert – das Mädchen

Spielzeit 1821 bis 1836

Irische Herkunft und Geburt

Bereits ihre Geburt und Taufe glichen einem Auftritt. Lola Montez gestaltete sie in ihren Memoiren wie eine Bühneninszenierung: „Mein Vaterland ist Spanien. Ich bin im Jahre 1823 zu Sevilla, der Hauptstadt Andalusiens, geboren, welches das Land der Serenaden und der Balkons ist, der Troubadours und der Romanzen (…) Meine Mutter brachte mich im Jahre 1823 in einem kleinen Hause zu Sevilla, gelegen in der Straße Abados, zur Welt (…) Die Feierlichkeit meiner Taufe fand zu Sevilla in einer Kapelle statt, welche heute die Ehre hat, das Grab des Christoph Columbus zu besitzen. Einen Augenblick stand meine zitternde Wiege unter einem und demselben Dache mit dem Sarge des unsterblichen Seefahrers (…) Auf dem Taufscheine der kleinen Kapelle zu Sevilla empfing ich die Namen Marie Dolores Elisa Rosana Guilbert. Dolores war der bevorzugte Name, bei welchem meine Eltern und die Hausfreunde mich ausschließlich riefen (…) Unaufhörlich über die verliebten Lippen der jungen Eheleute schlüpfend, verwandelte sich der Name ‚Dolores‘, in das leichtere und zartere Wort ‚Lola‘, welchen Namen ich bis auf heute beibehalten habe.“1

Zu ihren Eltern hielt Lola fest: „Meine Mutter hat meinen Vater in Irland kennen gelernt, woselbst sie, ihre Erziehung zu vollenden, hingeschickt wurde. Sie wurde in ein katholisches Stift gegeben, in der Umgebung Dublins, unfern des prächtigen Schlosses, welches die Lady Guilbert mit ihrem jungen Sohne bewohnte. Die Liebe der beiden jungen Eheleute begann mit einer Jugendliebe. Oliverres de Montalvo zählte 13 Jahre, als sie von dem Gitter ihres Stiftes aus den jungen Guilbert bemerkte, welcher im 18. Lebensjahre stand.“2

Gemäß den Memoiren ließ Lolas Mutter die irische Klostererziehung hinter sich und kehrte in ihr Vaterland Spanien zurück, wohingegen der junge „Guilbert“, ausgestattet mit einem Offizierspatent, nach England ging. Während eines Urlaubs erneuerte das junge Paar sodann seine Liebe in Sevilla und heiratete. Lolas Mutter brachte dabei nichts anderes als „ihre Schönheit und den Namen ihrer Familie“ in die Ehe ein. Allerdings war der junge Gatte „reich genug, um eine Neigungsehe schließen zu können“, da sein verstorbener Vater, ein Herzog, ihn in seinem Testament bedacht hatte. Bei ihrer Eheschließung war die Braut angeblich 14 ½ und der Bräutigam 20 Jahre alt.3 Nach Lolas Angaben wurde sie „inmitten der Flitterwochen, im ersten Jahre der Ehe geboren.“4 Gleich vier Länder beanspruchte sie für ihre Herkunft: „Irländerin durch meinen Vater, Spanierin durch meine Mutter, Engländerin durch meine Erziehung, Französin aus Neigung, und Kosmopolitin durch die Umstände, kann ich von mir sagen, daß ich allen Nationen angehöre oder keiner.“5

Auf diese phantasievolle Weise erschuf Lola rückblickend ihren Eintritt in die Welt bühnen- und medienwirksam. Es verwundert daher nicht, dass die unterschiedlichsten Geburtsdaten, -orte und -länder über Lolas Herkunft kursierten: Neben Spanien mit Sevilla oder einem kleinen Dorf in Andalusien kam für viele ebenso Montrose in Schottland sowie England in Frage. Später revidierte Lola in ihren Vorträgen die Geschichten ihrer Memoiren und gab als Heimat ihrer Familie zumeist Limerick in Irland an.

Da Lola Montez ihr Geburtsdatum verschwieg oder schönte, schwankten die Angaben zwischen 1818 und 1823. Um 1997 entdeckte dann ein Archivar ein Schriftstück6, das näheren Aufschluss über Lolas Geburt gab: In diesem Dokument beantragte Lolas verwitwete Mutter eine Pension und legte dem Schreiben einen Taufschein ihrer Tochter bei, versehen mit einem handschriftlichen Vermerk, der besagte, dass Lola Montez als Zweijährige in der anglikanischen Kirche St. Peter zu Liverpool7 am 16. Februar 1823 auf den Namen Elizabeth Rosanna Gilbert getauft worden war. Das Licht der Welt habe sie am 17. Februar 1821 in einem kleinen Dorf namens Grange im Nordwesten Irlands, nahe der Stadt Sligo, erblickt.8

Panzer_Abb1

 

Abb. 1:
Der Geburtsort: Im irischen Dorf Grange, nahe Sligo gelegen, wurde Lola Montez als Elizabeth Rosanna Gilbert 1821 geboren.

 

Damit schien das Rätsel um Lolas Geburt und Alter gelöst. Allerdings ergaben nun Nachforschungen, dass sich besagtes Schriftstück nicht mehr auffinden lässt und somit nach wie vor kein sicherer Beleg für Lolas Daten vorhanden ist. Zudem muss man sich fragen, warum sie erst mit zwei Jahren in Liverpool getauft worden sein soll, und nicht, wie sonst üblich, zeitnah der Geburt beispielsweise in der anglikanischen Drumcliffe Church, die an der Straße von Grange nach Sligo liegt.

Trotz dieser Zweifel wird heute übereinstimmend angenommen, dass Lola Montez am 17. Februar 1821 im irischen Grange als Elizabeth Rosanna Gilbert zur Welt kam. Ihre Eltern waren Elizabeth und Edward Gilbert, die am 29. April 1820 in der anglikanischen Christ Church (auch Holy Trinity Church genannt) zu Cork geheiratet hatten.9 In der Zeitung „Ennis Chronicle and Clare Advertiser“, deren Verbreitungsgebiet auch Limerick umfasste, machte man die Eheschließung am 6. Mai 1820 bekannt: „In Cork verheiratet, Edward Gilbert, Esquire des 25. Regiments, mit Eliza, Tochter des verstorbenen Charles Silver Oliver von Castle Oliver M. P.“10

Die noch sehr junge Braut, etwa 15 Jahre alt, entstammte der anglo-irischen Oliver-Familie, die sich später Oliver-Gascoigne nannte. Charles Silver Oliver, Lolas Großvater, hatte von seiner Geliebten Mary Green vier illegitime Kinder: zwei Söhne, John und Thomas, sowie zwei Töchter, Mary und Elizabeth. Letztere, Lolas Mutter, war die Jüngste und wurde 1805 geboren. Alle vier Geschwister wurden von ihrem Vater anerkannt und erhielten den Nachnamen Oliver. Er sorgte auch für ihre Zukunft: Die Söhne wurden Kaufleute und die Töchter erlernten das Handwerk einer Putzmacherin bzw. Modistin. In seinem Testament bedachte der Vater die vorehelichen Kinder mit jeweils 500 Pfund11, was damals ein kleines Vermögen war.

Charles Silver Oliver hatte 1798 die Leitung der 20 000 Acres (81 Quadratkilometer) umfassenden Ländereien seiner Familie übernommen, die samt dem Familiensitz Castle Oliver im südlichen Teil der Grafschaft Limerick lagen. Das heutige schlossartige Landhaus wurde allerdings erst 1845 im schottischen Baronialstil erbaut und ersetzte das alte Castle.12 Lolas Großvater mütterlicherseits entstammte dem protestantischen anglo-irischen Landadel; einer seiner Vorfahren war als Offizier mit der Armee Cromwells nach Irland gekommen und hatte sich 1658 dort niedergelassen. Zu Beginn des Jahres 1805 ehelichte Charles Silver Oliver die ebenbürtige Maria Elizabeth Morris, die ihm sieben eheliche Kinder gebar. Die Oliver-Familie besaß nicht nur in der Grafschaft Limerick, sondern auch in der Grafschaft Cork und in Leitrim Ländereien, die sie aus Eheschließungen mit Erbinnen der Familien Silver und Newman zugewonnen hatte. Von 1661 bis 1801, als die Unionsakte in Kraft trat, hatte die Oliver-Familie einen Parlamentssitz inne.13

Charles Silver Oliver lebte zunächst in Inchera, Little Island, in der Grafschaft Cork, wo er 1791 auch das Amt des High Sheriff von Cork bekleidete. 1797 finden wir ihn als Parlamentsmitglied (M. P.) für Kilmallock und 1801 für die Grafschaft Limerick wieder. Zwischenzeitlich scheint er den Wohnort gewechselt zu haben und residierte nun auf Castle Oliver. Allerdings wohnte ein paar Jahre später, 1814, nur mehr ein gewisser George Fosbery dort, wohl ein Verwalter der Olivers; 1837 wurde Castle Oliver bereits als recht verwahrlost beschrieben. Da Lolas Großvater im Jahre 1817 starb, lässt sich daraus schließen, dass sich dieser Zweig der Oliver-Familie überwiegend in der Grafschaft Cork, in Inchera (auch Sun Lodge genannt) auf Little Island aufhielt, zumal Charles Silver Oliver auch seine zukünftige Gemahlin Maria Elizabeth Morris zu Clanmire in der Grafschaft Cork heiratete. Zumindest ist für die Jahre 1791 und 1814 sein Aufenthalt dort nachweisbar.

Über Lolas Großmutter, Mary Green, wissen wir fast gar nichts. Offenbar starb sie früh, da ihr Name nie mehr genannt wird. Zwar war eine Familie Green in der Grafschaft Cork in Airhill seit 1734 beheimatet und 1804 ehelichte ein Thomas Green eine gewisse Mary Sullivan aus der Grafschaft Limerick, aber ob es sich hierbei um Verwandtschaft handelt und diese Mary gar Lolas Großmutter war, bleibt ungewiss. Besser nähern wir uns den Greens womöglich über die Liste der „Freemen of Cork City“, die unter den freien Bürgern aufführt: 1778 einen Kaufmann Edward Green, 1796 einen Kaufmann Roger Green sowie einige Greens, die als Esquire, Gentleman oder mit militärischen Rängen bezeichnet werden.14 Da Lolas Onkel Kaufleute wurden, scheint eine Verbindung zu diesen Greens nicht gänzlich ausgeschlossen.

Über Lolas Vater, Edward Gilbert, erfahren wir genauso wenig. Er war Fähnrich im 25. Infanterie-Regiment der britischen Armee und in Irland stationiert. Von 1782 bis 1805 war sein Regiment in der Grafschaft Sussex beheimatet, ehe es danach sein Rekrutierungsgebiet in die schottische Grenzregion verlegte. Von da ab war es als „King’s Own (Scottish) Borderers“ bekannt. Da Edward Gilbert um 1797 geboren wurde, können wir hinsichtlich der Geschichte seines Regiments davon ausgehen, dass seine Familie in Schottland lebte. Welchen gesellschaftlichen Rang diese jedoch einnahm, ist nicht bekannt. Dass er ein unehelicher Sohn eines Herzogs war, wie Lola in ihren Memoiren anführt, ist reine Phantasie. Bei Lolas Geburt war ihr Vater in der Nähe von Sligo stationiert, wie einige Biografen berichten.

Kindheit in Indien

Am 14. März 1823 segelte Edward Gilbert mit Frau Elizabeth und Tochter Lola von Liverpool aus mit dem Schiff nach Indien, wo er im Rang eines Fähnrichs im 44. Infanterie-Regiment dienen sollte. Dieses war in Dinapore stationiert, so dass die Familie von Kalkutta aus noch 530 Meilen weit Richtung Patna fahren musste. Es war eine aufreibende und nicht ungefährliche Reise. Als sie endlich ankamen, war Lolas Vater schwer krank. Er starb am 22. September 1823, wohl an der Cholera, und wurde auf dem dortigen Friedhof begraben. Zu diesem Zeitpunkt zählte Lola zwei und ihre Mutter jugendliche 18 Jahre.

Der Besitz des Verstorbenen wurde versteigert, darunter ein Hund sowie eine Konzertflöte, und erbrachte 460 Pfund 2 Schilling. Außerdem erhielt die Witwe eine Pension und etwa 60 Pfund vom Regiment ausbezahlt. Damit konnte sie einige Zeit ganz gut leben. Dennoch blieb die Frage, wie eine so junge Frau mit einem Kleinkind in Indien allein zurechtkommen sollte. Eine naheliegende Lösung des Problems bot sich in einer neuen Ehe.

Am 16. August 1824 heiratete Eliza Gilbert, Lolas Mutter, daher den 25-jährigen Patrick Craigie. Dieser war Leutnant des 19. Einheimischen Infanterieregiments der britischen Ostindien-Kompanie, lebte seit fünf Jahren in Indien und stammte aus Montrose in Schottland. Craigie wurde zum geliebten Vater der damals erst dreieinhalbjährigen Lola. In ihren Memoiren beschreibt sie Leutnant Craigie: „Er hatte einen schönen Wuchs und ein gewandtes Benehmen, ein ovales, von einem hellkastanienbraunen Barte eingeschlossenes Gesicht, eine offene, majestätische Stirn und lebhafte geistvolle Augen.“15

Lolas Kindheit in Indien gestaltete sich frei und ungezwungen. Umsorgt von einer indischen Aja (Kinderfrau) und einem „Heer von Dienern“, lebte sie im Haus ihrer Eltern, das die lebenslustige Mutter zu einem Mittelpunkt der besseren Gesellschaft machte. Die kleine Familie zog von Dinapore nach Kalkutta, wohin Captain Craigie berufen wurde. Lola wuchs in Indien eher wie ein „Naturkind“ auf und lernte nur wenig: „Ich konnte weder ordentlich sprechen, noch lesen, noch schreiben, ich wußte nichts von Allem dem, was in Europa selbst die einfachst erzogenen Kinder wissen müssen. Noch hatte ich von keinem andern Gotte als von Brahma gehört. Ich war nichts als ein unleidliches, verzogenes Kind, verhätschelt von meinen Eltern, meiner Amme und aller Welt.“16

Erziehung in Großbritannien

Als Lola fast sechs Jahre alt war, ergab sich die Gelegenheit, das Kind in Begleitung einer Offiziersfamilie (Oberstleutnant Innes mit Frau und Tochter) nach Großbritannien zu schicken, um ihm dort eine angemessene Erziehung zuteilwerden zu lassen. Am 26. Dezember 1826 schiffte sich Lola im 90 km von Kalkutta entfernten Diamond Harbour ein; die Passagierliste führte sie als „Eliza Gilbert, Mrs. Craigies Tochter“.17

Im Mai 1827 landete die „Malcolm“ in England. Dort wurde Lola von den Verwandten ihres Stiefvaters erwartet und nach Montrose gebracht. An der Ostküste Schottlands sollte sie die nächsten Jahre bei ihren Stiefgroßeltern verbringen. Großvater Patrick Craigie war Bürgermeister und Stadtrat von Montrose gewesen, hatte sich aber inzwischen mit seiner Frau Mary wieder als Apotheker häuslich eingerichtet. In Montrose soll die kleine Lola durch ihre ungewöhnliche Kleidung und ihr seltsames Benehmen aufgefallen sein. Angeblich lief sie nackt durch die Straßen, was beim schottischen Klima allerdings wenig glaubhaft ist. Ein anderes Mal, so erzählt sie, verschönerte sie während eines Gottesdienstes die Perücke des vor ihr sitzenden Gentleman mit Blumen.

Lolas Stieftante Catherine Rae eröffnete 1831 mit ihrem Ehemann William eine Internatsschule in Monkwearmouth (Durham, Sunderland, England). Die inzwischen zehnjährige Lola kam mit, um bei ihnen unterrichtet zu werden. Lolas Zeichenlehrer Grant erinnerte sich später an seine Schülerin: Sie war „damals ein sehr anmutiges und hübsches Kind von etwa zehn oder (vielleicht) elf Jahren. Ihre Figur wirkte größer, als es ihrem Alter entsprach, war aber ebenmäßig geformt, von fließender graziöser Haltung, deren Charme nur durch einen Ausdruck von dreister Selbstgefälligkeit – ich würde fast sagen von hochmütiger Ungeniertheit – gemindert wurde, in völliger Übereinstimmung mit dem Ausdruck ihres sonst schönen Antlitzes, nämlich dem ihres unbezähmbaren Eigenwillens – eine Eigenschaft, die sich, glaube ich, schon seit ihrer frühen Kindheit gezeigt hatte. Ihre Züge waren regelmäßig, konnten jedoch ihren Ausdruck rasch und stark verändern. Ihr Teint war orientalisch dunkel, aber durchscheinend klar; die Augen waren tiefblau und, wie ich mich genau erinnere, von außerordentlicher Schönheit, strahlten hell und gaben wenig Hinweis auf die sanften und zarten Gefühle ihres Geschlechts als vielmehr auf stürmischere und leidenschaftlichere Erregungen. Der Mund wies ebenfalls auf einen besonders entschlossenen, eher resoluten als sinnlichen Charakter hin, und alles in allem war es unmöglich, sie längere Zeit anzusehen, ohne die Überzeugung zu gewinnen, daß sie sehr eigenwillig und schwierig war. Tatsächlich gaben die Heftigkeit und Halsstarrigkeit ihres Wesens ihrer gutmütigen, freundlichen Tante nur allzu häufig Anlaß zu schmerzlicher Besorgnis; und ich erinnere mich, daß Eliza einmal erst aus ihrer Einzelhaft entlassen werden mußte, in der sie den ganzen vorherigen Tag wegen eines rebellischen Ausbruchs von Leidenschaft gehalten worden war, damit sie den Unterricht besuchen konnte. Die Tür wurde aufgeschlossen und heraus kam bereits eine kleine Lola Montez, die wie eine junge Tigerin aussah, die gerade von einer Höhle in eine andere entkommen war!“18

Diesen Worten kann man entnehmen, dass Lola sich bereits als Kind den weiblichen Erziehungsidealen widersetzte. Sanft und duldsam sollten die zukünftigen Ehefrauen und Mütter sein, wozu die temperamentvolle Schülerin eher wenig Neigung zeigte.

Am 14. September 1832 wurde Lola nach Südengland geschickt, wo sie nahe Reading in die Obhut der Familie Nicolls kam. Die jüngste Tochter der Familie war in etwa gleichaltrig mit Lola. Das Familienoberhaupt, Sir Jaspers Nicolls, notierte über die anwachsende Kinderschar in seinem Tagebuch: „Heute kam aus Durham Hauptmann Craigie’s Schwester mit Mrs. C’s Tochter an, die wir, ihrer Bitte gemäß, in eine Schule geben sollten. Ich werde eine hübsche Anzahl von Kindern haben, auf die ich aufpassen muss, wenn sie auf diese Weise weiterhin anwächst.“19

Major-General Sir Jasper Nicolls (1778–1849), ein ehemaliger Vorgesetzter von Captain Craigie in Indien,20 war seit 1809 mit Anne Babcock (geb. 1783) verheiratet und hatte mit ihr einen Sohn und vier Töchter namens Augusta Jane, Sophia, Emily Ellen und Frances Julia. Die jüngste der Schwestern war am 15. Februar 1820 geboren worden und wurde – laut Lola – Fanny gerufen.

Lola (damals Eliza genannt) kam – gemeinsam mit einer Tochter aus dem Hause Nicolls – zur weiteren Erziehung nach Bath. In ihren späteren Memoiren erzählt sie, dass sie sich mit „Fanny Nicolls“ anfreundete: „Sie gefiel mir eben deshalb besser als alle anderen Pensionärinnen, weil ihr Charakter dem meinen gerade entgegengesetzt war. / Fanny war eine kalte Natur, ich war feurig. / Sie war ernst, ich war ausgelassen. / Sie liebte die Schweigsamkeit, ich das Geräusch. / Sie suchte in ihren Spielen Erholung, ich Bewegung. / Sie liebte die Ruhe über Alles, ich konnte niemals ruhig sein. / Und trotz Allem liebten wir beide uns, weil wir uns ohne Unterlaß zankten. Dies gab Gelegenheit uns immer wieder auszusöhnen.“21

In Bath führten damals zwei Schwestern, Eliza und Caroline Aldridge, eine „Ladies Boarding Academy“.22 In diesem Pensionat für höhere Töchter wurde Lola von 1832 bis 1837 zur Dame der Gesellschaft erzogen. Neben Singen, Tanzen, Klavierspielen, Zeichnen, Nähen und Sticken standen auch Französisch und Latein auf dem Stundenplan. Nur an den Sonntagen war es erlaubt, in der englischen Landessprache zu sprechen, ansonsten wurde französisch parliert. Der Unterricht jener Jahre in Bath legte den Grund für Lolas später oftmals bewundertes breites Wissen über Literatur, Kunst und Philosophie.

Die religiöse Erziehung war protestantisch, wenn auch Lolas Memoiren festhalten, dass sie auf Wunsch ihrer Mutter eine katholische Unterweisung erhielt. Die Ferienzeiten verbrachte Lola bei der Familie Nicolls, wie sie selbst schreibt, entweder auf dem Lande, in London oder einmal sogar in Paris.

Zu früh ging jedoch diese unbeschwerte Schülerinnenzeit zu Ende, denn Mrs. Craigie reiste aus Indien an, um ihre inzwischen 16-jährige Tochter mit dem Ernst des Lebens vertraut zu machen.

„zweifellos sehr hübsch

und fröhlich“

Die Proberolle

Mrs. Thomas James – die Ehefrau

Spielzeit 1837 bis 1840

Flucht in die Ehe

Obwohl Sir Jaspers Nicolls sechs Briefe an Lolas Mutter nach Indien geschrieben hatte, erhielt er keine Antwort. Wie er in seinem Tagebuch am 14. Februar 1834 vermerkte, war er über die „unerfreuliche und offensichtlich undankbare Aufgabe“, sich um Lola zu kümmern, nicht gerade glücklich. Das Verhalten ihrer Mutter erstaunte ihn; er meinte, dass diese wie eine Schildkröte handle, die ihre Eier im Sand verscharre, um sie dann der Sonne und dem Zufall zu überlassen.

Dessen ungeachtet, segelte gegen Ende des Jahres 1836 Mrs. Craigie von Kalkutta nach England, um ihre Tochter abzuholen und zu einer bereits arrangierten Heirat nach Indien mitzunehmen. Die Seereise verlief stürmisch. Es dauerte über fünf Monate, bis das Schiff in Penzance anlegen konnte. Nachdem sie Sir Jaspers Nicolls in London getroffen hatte, reiste Mrs. Craigie Ende April 1837 weiter zu ihrer Tochter nach Bath.

Die erste Begegnung von Mutter und Tochter nach über zehn Jahren gestaltete sich offenbar schwierig. Angeblich habe sich Lolas Mutter als allererstes über die schlecht frisierte Tochter erregt. In ihrer Begleitung befand sich der 30-jährige Leutnant Thomas James, der zur Erholung von Indien und seinem Dienst bei der Ostindien-Kompanie nach Großbritannien zurückkehrte. Lolas „Memoiren“ beschreiben ihn mit den Worten: „Er war ein Irländer aus guter Familie, Capitain in einem indischen Regimente (…) Seine Physiognomie war nicht unangenehm, er hatte eine mittelmäßige Taille, braunes, ziemlich schönes Haar, blaue Augen, eine niedrige, gedrückte Stirne.“ Wenn Lola auch im Nachhinein seinen „Hang zu gewagten Unternehmungen“ und seinen „militärischen Despotismus“ geißelte, so hatte der „englische Soldat“ doch ihre Neugierde erweckt, zumal er sich als ihr „Beschützer“ gab.

Speziell seine Unterstützung suchte die junge Lola, da sie dem Eheprojekt ihrer Mutter nichts abgewinnen konnte: „Sie machte mir bekannt, daß meine Verheirathung mit einem reichen Greise, Sir Alexander Lunley (Lumley), schon seit langer Zeit verabredet sei.“23 Heirat ja, aber keinen 60-jährigen Witwer, wenn dieser in Indien auch noch so angesehen und wohlhabend war!

Um dieser unerwünschten Ehe zu entgehen, floh die 16-Jährige mit ihrem Beschützer Leutnant James aus Bath und heiratete ihn sechs Wochen später. Angeblich hatte Lola erwartet, dass der fast doppelt so alte Mann sie wie ein Vater liebe, aber – wie sie sich später zu erinnern glaubte – in der folgenden Nacht verlor sie ihre Unschuld, und „am andern Morgen, dreißig Meilen hinter Bath war er schon nicht mehr mein Papa!“24

Nun war die Entführung eines heiratsfähigen Mädchens zwar kein Kapitalverbrechen, jedoch ein veritabler Skandal in der damaligen Gesellschaft. Um diesen etwas abzumildern, musste die Eheschließung des Paares erfolgen. Daher reiste das junge Paar nach Irland und ließ sich von Reverend John James, einem Bruder des Bräutigams, am 23. Juli 1837 in Rathbeggan (Grafschaft Meath), zwischen Dublin und Eniskillen gelegen, trauen. Vorausgegangen war eine Intervention seitens einer Schwester des Bräutigams, um bei der Mutter der Braut die Zustimmung für die Vermählung zu erhalten.25 Als Trauzeugen fungierten ein Neffe und eine Schwester von Thomas James.26

Über diesen Skandal notierte Sir Nicolls, der Vater von Lolas Jugendfreundin, in seinem Tagebuch: „Ich habe immer vorausgesagt, daß die Eitelkeit und Lügen von Eliza Gilbert sie in Schande bringen würden – Sie hat sehr schlecht, wenn nicht noch schlechter, angefangen, denn sie heiratete, nachdem sie die Schule im Juni verlassen hat, einen Offizier der (ostindischen) Gesellschaft ohne einen Pfennig Geld, bereits nach zwei oder drei Wochen – Ihre Mutter, fürchte ich, ist daran nicht schuldlos – die 1800 oder 2000 Pfund, die für ihre Erziehung und die Reisen ihrer Mutter aufgewendet wurden, sind verloren.“27

Panzer_Abb2

 

Abb. 2:
Die junge Ehefrau: Im „Ballycrystal House” (Co. Wexford) verbrachte Lola Montez als jungverheiratete Mrs. Thomas James einige Monate 1837/38. Heute steht nur mehr die Toreinfahrt mit einem Wachturm.

 

Lady Nicolls riet nun der untröstlichen Mutter, ihrer Tochter zwar zu schreiben, ihr aber nicht gleich zu verzeihen oder sie gar zu sehen; so reiste diese schließlich wieder nach Indien ab, wie Sir Jasper Nicolls berichtete: „Mrs. Craigie beabsichtigt, da sie durch die Betrügereien ihres törichten Kindes all ihre innere Ruhe verloren hat & von Craigie ermutigt worden ist, in wenigen Tagen wieder nach Kalkutta zurückzukehren. Sie muß wegen vielem bedauert werden – ein freundlicher Stiefvater hat 1000 Pfund an die Erziehung ihres Kindes verschwendet & das niederträchtige undankbare Balg hat dies alles an den erstbesten Mann, den sie traf, weggeworfen. – Der Tag ihrer Bestrafung wird sicher – aufgrund ihrer Falschheit & Betrügerei und der ihres Ehemanns – nicht auf sich warten lassen.“28

Das frischvermählte Paar bezog zunächst eine Wohnung in Dublin in der Westmorland Street, fuhr jedoch bald weiter in den Südosten Irlands, in die Grafschaft Wexford. Die Familie von Leutnant James gehörte seit Cromwells Zeiten zur anglo-irischen Oberschicht, wurde reich im Leinengeschäft und residierte in Ballycrystal House.29 Thomas James (geb. 1771), Lolas Schwiegervater, hatte öffentliche Ämter inne als Magistrat und Mitglied der „Grand Jury“ von Wexford und war durch seine Heirat mit Mary Ann Wallace von Ballycourcy nicht nur zu großem Landbesitz, sondern auch zu sieben überlebenden Kindern gekommen. Zunächst wurden die ererbten Landhäuser, Willmount House und Ballycrystal House, nur als Jagdunterkünfte genutzt, da die Familie sich überwiegend in Dublin aufhielt. Als Witwer hatte sich Lolas Schwiegervater allerdings gänzlich nach Ballycrystal House zurückgezogen. Der gesamte Besitz, auch „The Old Yard“ genannt, umfasste neben den Ländereien und dem Familiensitz eine Mühle, eine Schule und ein Badehaus am Urrin River. Ballycrystal House verfiel Ende des 19. Jahrhunderts. Heutzutage sieht man davon nur mehr die Toreinfahrt und einen sechseckigen Wachturm der ehemaligen Ummauerung.

Zu Lolas Zeiten war Ballycrystal House eines der großen Landhäuser nahe Kiltealy, zu dem eine gerade Landstraße, die von Mauern flankiert war, bis zum eisernen Tor führte. Hinter dem Familiensitz erstreckte sich den Hang hinauf ein weiter Obstgarten und vor dem Landhaus ein gepflasterter Hof. Durch die Fenster von Ballycrystal House erblickte man im Südwesten die Blackstairs Mountains und die Hügel von Slievebawn. Lola erinnerte sich: „Wir begaben uns jetzt nach Bally-Castel in der Grafschaft Wexford, woselbst mein Schwiegervater seinen Wohnsitz hatte (…) Das Haupt dieser zahlreichen Familie war seit langer Zeit Witwer und eine Magistratsperson (…) So verlebten wir sechs Monate inmitten der Familie des alten Schlosses, welche aus drei Töchtern und vier Söhnen bestand.“30

Zu den Söhnen gehörten Reverend John James (geb. 1795), dann Lolas Ehemann Thomas James (geb. 1807) und William James Wallace; der Name des vierten Sohnes bleibt unbekannt. Lolas drei Schwägerinnen hießen Anna, Wilhelmina und Sarah, geb. um 1796 in Dublin, die mit Thomas Watson verheiratet war.31

Das Landleben in der Grafschaft Wexford bot wenig Abwechslung, zumal für die Frauen: „Es waren da immer dieselben Dinge, welche sich regelmäßig nach der Uhr wiederholten. Erst die Jagd, dann das Essen, nach dem Essen wieder die Jagd. Dann folgten die Tassen Thee, ohne Ende, aber stets genau in gleicher Zahl und in denselben Zwischenräumen angefüllt.“32

Die Monotonie des Landlebens und die Stille des Landhauses gingen Lola bald auf die Nerven. Weder Musik noch Tanz unterbrachen die Langeweile.

Am Ehehimmel zogen bereits Wolken auf, als Lolas Mann nach Kalkutta „zu seinem Regimente“ befohlen und sie dadurch aus dieser „tödtlichen Einförmigkeit“ errettet wurde.

Eheleben in Indien

33