Mathias Ulmann

Spin it!

Denken und überzeugen wie ein Spin-Doktor

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Mathias Ulmann

Spin it!

Denken und überzeugen wie ein Spin-Doktor

Frankfurter Societäts-Medien GmbH

Frankenallee 71  81

60327 Frankfurt am Main

Geschäftsführung: Oliver Rohloff

Erste Auflage

Frankfurt am Main 2015

ISBN 978-3-95601-146-3

Bookshop und weitere Leseproben unter:

www.fazbuch.de

Copyright

Frankfurter Societäts-Medien GmbH

Frankenallee 71  81

60327 Frankfurt am Main

Umschlag

Anja Desch, Frankfurt Business Media GmbH –

Der F.A.Z.-Fachverlag, 60327 Frankfurt am Main

Titelmotiv

Saskia Immig

Satz

Wolfgang Barus, Frankfurt am Main

Alle Rechte, auch des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

E-Book-Herstellung
Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort: Die Welt gehört uns!

I. Was ist eigentlich ein Spin-Doktor?

1. Schlechter Ruf eines kaum bekannten Berufes

a. Geschichte und Schauergeschichten des Begriffs

b. Funktion und Nutzen des Spin-Doctorings

c. Der Krieg der Spins

Soundbites

2. Die strategische Kunst der Vermittlung

a. Ein klares Bild des Leitbilds

b. Ein schöner Rahmen

c. Ein guter Plan

Soundbites

II. Wie sieht die Welt für einen Spin-Doktor aus?

1. Die schönen Seiten der chaotischen Zeiten

a. Veränderung der Veränderung

b. Falsche Reaktionen auf echte Herausforderungen

c. Hebel trotz Nebel

Soundbites

2. Das digitale Zeitalter als Demokratisierung des Marketings

a. Konsumenten sind Staatsbürger

b. CEOs sind Politiker

c. Das permanente Campaigning

Soundbites

III. Wie denkt ein Spin-Doktor?

1. Vom Ende und Ganzen her denken

a. Immer den Überblick behalten

b. Die Problematisierung ist die Lösung

c. Langfristig und vom Ende her denken

Soundbites

2. Kreativ und kombinatorisch denken

a. Auf das Kombinieren kommt es an

b. Mit List und Tücke

c. Die Sache mit der Intuition

Soundbites

IV. Wie schreibt ein Spin-Doktor?

1. Macht, Worte und Wortschmiede 165

a. Die Macht der Worte

b. Sinn und Zweck

c. Verdichtung und Auslassung

Soundbites

2. Argumentation und Wirkungsmacht des Wortes

a. Redeaufbau und Argumentationskette

b. Herz schlägt Kopf

c. Das Recht des Schlausten

Soundbites

Danksagung

Glossar

Literatur

Der Autor

Fußnoten

Für Léa und Éva, meine zwei Sonnen

Für Tatjana, meine Spin-Doktorin

Vorwort
Die Welt gehört uns!

Ein sehr guter Freund von mir, ein langjähriger Weggefährte und gleichzeitig einer der besten weltweiten Experten zum Thema „Moslem-Bruderschaft“, hat mir vor langer Zeit die folgende Anekdote erzählt. Ein berühmter Politikwissenschaftler saß einmal mit einem Kollegen bei einer guten Flasche Wein beim Abendessen zusammen. Nach dem Kaffee, den er so schnell wie möglich zu sich nahm, wollte der Professor sich verabschieden und sagte ohne Umschweife: „Ich muss los, aber es muss vorher noch raus: Wir haben uns intensiv ausgetauscht und ich bin dabei viel ärmer geworden.“

Der Professor hatte nicht nur viel mehr von seinem Wissen preisgegeben als neues bekommen: er hatte obendrein seine Zeit verloren. Ich weiß es zu schätzen, dass Sie, lieber Leser, mir die Ehre erweisen, mir ein klein wenig Ihrer kostbaren Zeit zu widmen. Für mich wird es daher auf den kommenden Seiten überaus wichtig sein, dass sich diese Investition nach der Lektüre für Sie gelohnt hat.

Als Spin-Doktor hat man sowieso extrem wenig Zeit. Dem „Boss“ zu begegnen, kommt nicht allzu oft vor. Er/​sie hat strukturell nie wirklich „einen Moment Zeit“. Es muss alles schnell gehen. Man hat zur Sache zu kommen, sehr präzise zu antworten und immer einen Mehrwert zu liefern. Die Beiträge, die wir täglich produzieren, müssen kurz, prägnant und nützlich sein, sie müssen selbstverständlich die Lage genau beleuchten und im Endeffekt die Entscheidungsfindung erleichtern. In der Kürze liegt die Würze, ein wesentliches Merkmal des Arbeitsoutputs eines Spin-Doktors.

In dem vorliegenden Fall, sind Sie, lieber Leser, mein „Boss“. Wenn Sie dieses Buch nach der Lektüre beiseitelegen, sollten Sie sich unterhalten und reicher fühlen. Ich weiß natürlich, dass Sie immer weniger Zeit haben, oder, besser ausgedrückt, dass Sie immer weniger davon übrig haben, nach all den Meeting-Marathons, der E-Mail-Flut und den leider viel zu seltenen und kostbaren Familien-Momenten.

Die moderne Welt steckt voller Möglichkeiten, aber parallel dazu fehlt uns immer mehr die Energie und auch die Zeit, um diese zu erkennen und voll auszuschöpfen. Fülle und Knappheit: Unsere Epoche ist wirklich voll von Paradoxien. Wir haben so viele Informationen zu unserer Verfügung wie noch nie in der Geschichte der Menschheit, aber die Planbarkeit der Welt hat sich dennoch nicht verbessert. Big Data ist in aller Munde, aber Big Drama ist leider in aller Köpfe. Nichts ist mehr sicher, alles ist mehrdeutig geworden. Social Media hat immens dazu beigetragen, Ägypten vom Mubarak-Regime zu befreien, wird aber in China als Unterdrückungsinstrument eingesetzt. Die Nutzung der Internet-Technologien kann Schwarmintelligenz fördern, aber auch Schlammschlachten verursachen. Es sieht so aus, als wäre der Widerspruch das Hauptmerkmal unserer digitalen Welt.

Es gibt viele Artikel und Bücher, die über diese unsere schöne neue Welt und ihre Entwicklungen berichten, viele Texte und Prognosen, deren Autoren mit dramatischen Beschreibungen wetteifern. Ich nenne diese Neigung den „Krieg der Komparative“. Sie, lieber Leser, haben es bestimmt auch gelesen, unsere Welt wird „schneller“, „komplexer“, „unkontrollierbarer“, „innovativer“, „gefährlicher“, „unüberschaubarer“ und so weiter. Ich für meine Person beziehe mich lieber auf Immanuel Kant und seine „zwei Formen der sinnlichen Anschauung“, nämlich Zeit und Raum. Unter diesem Gesichtspunkt sind zwei Entwicklungen am Werk: die Beschleunigung der Zeit und die Verkleinerung des Raums. Es ist nicht sehr kompliziert, aber die Kombination dieser zwei Phänomene macht es allerdings relativ komplex.

Mit dem Hyperschallflugzeug X-51A ist es möglich, die Strecke Sydney-New York in weniger als zwei Stunden zurückzulegen. Die neuen Trading-Instrumente arbeiten in Millisekunden, Geld hat keinen Geruch und kennt wahrscheinlich kein Geschwindigkeitslimit. Aber was spielt dies für eine Rolle, wenn wir sowieso per Video Messaging zwischen New York und Sydney direkt kommunizieren können? Ich kann sogar an mich selbst eine Nachricht in die Zukunft schicken.1 Gewiss, diese atemberaubende Beschleunigung einerseits und die Verkleinerung andererseits macht uns das Leben nicht unbedingt einfacher und die Bestimmung seines Sinns manchmal sogar schwieriger. Diese – nicht so – schöne neue Welt gibt uns nicht nur immer weniger Zeit, sondern verursacht uns auch immense Kopfschmerzen. Wie kann man eigentlich einen kühlen Kopf bewahren, wenn die Welt auf dem Kopf zu stehen scheint?

Die moderne Gesellschaft verlangt seit Ende des 18. Jahrhunderts von uns, dass wir Herren und Herrinnen unseres eigenen individuellen Lebens werden. Der Mensch ist freier geworden und liegt doch überall in Ketten von Fakten und Ereignissen, die ihn überfordern. Autonomie und Fremdbestimmung – schon wieder ein Paradox – ist nicht unbedingt die beste Mischung. Steigende Anforderungen und Belastungen sind die Folge. Erwerbstätige haben zum Beispiel 18 Mal mehr Krankheitstage als vor neun Jahren, dies ist Fakt, wie die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin bewiesen hat. Wir haben in der Tat immer öfter das Gefühl, dass diese Welt uns nicht mehr wirklich gehört und uns nicht einmal zuhört. Es ist eine Außenwelt, die außer Kontrolle geraten ist und nicht mehr unsere ist. Diese Welt scheint keinen richtigen Sinn und klare Richtung mehr zu haben. Woran soll ich denken in Anbetracht, dass es so viel zu denken gibt? Was soll oder kann ich tun, da so viel zu tun ist? „Piloten-Lähmung“ könnte dieses neue Syndrom heißen, das uns mit diesem fremdbestimmten Gefühl ausfüllt und uns am Handeln hindert. Diese Welt, die niemandes Welt ist, ist zu jedermanns Problem geworden.

Ich will hier aber keine Panikmache betreiben – immerhin ein alter Trick der Spin-Doktoren –, sondern eine schlichte Beobachtung anstellen: Bedeutung und Wirkung unserer Aktionen scheinen nicht mehr so klar zu sein. Beschleunigung und Verkleinerung der Welt kombinieren sich und machen diese Welt nahezu unlesbar. Sinn und Zweck dieses Buches, welches Sie in der Hand halten, ist es, sinnstiftend zu sein und so unsere Handlungsfähigkeit zu stärken, ja manchmal sogar wieder zu erlangen. Dieses Buch soll dazu beitragen, diese Welt wieder zur unsrigen, also verständlicher und beherrschbarer zu machen. Die folgenden Kapitel sollen Mut und Lust machen, die neue Welt zu erkunden, zu erschließen und wieder als schön zu empfinden.

Permanenter Wandel, Dauerbeobachtung, ständige Unsicherheit und wachsende Komplexität, Mobilisierungszwang und Meinungsmache: All das kennen die Spin-Doktoren. Die wesentlichen Dimensionen, die unser digitales Zeitalter charakterisieren, sind ebenfalls weit davon entfernt, den Spin-Doktoren unbekannt zu sein, ganz im Gegenteil. Dies ist die eigentliche Hauptthese des vorliegenden Buches: Die Digitalisierung des Marketings entspricht einer Demokratisierung des Marketings, da Konsumenten durch mehr Information und Bewertungsmöglichkeiten gleichzeitig mehr Meinungsmacht erhalten haben. Die Digitalisierung ist eine Revolution in der Medienlandschaft und im Wirtschaftsleben, da jeder Konsument seine Meinung veröffentlichen und mitteilen kann. Wenn der Kunde damals „König“ war, dann ist er jetzt Staatsbürger geworden. Damit müssen Unternehmen für ihre Marken mehr Verantwortung übernehmen und streben somit stärker nach Legitimität. Die Spin-Doktoren kennen sich bezüglich der demokratischen Willensbildung ziemlich gut aus, so dass alle Manager von ihnen lernen können. Es gilt, die digitale Revolution und ihre Antriebskräfte ernst zu nehmen. Wie in der französischen Revolution gelten die Prinzipien Freiheit (an Information und Meinung), Gleichheit (ein Mensch, eine Stimme – jede Bewertung im Internet zählt) und Brüderlichkeit (formiert sich in Communities und Netzwerken). Werden diese ignoriert, droht die digitale Guillotine. Der König Kunde ist tot, es lebe der Staatsbürger Kunde!

Auch wissen die Kommunikationsprofis aus der Politik, dass die beste Art und Weise, Ungewissheiten und Unsicherheiten zu besiegen, darin besteht, Handlungsbereitschaft und Dynamik zu ermöglichen. Sie wissen, dass es darum geht, ein Minenfeld in ein Spielfeld zu verwandeln. Die Spin-Doktoren haben verstanden, dass die Entscheidungsträger immer ihren Handlungsrahmen selbst definieren sollten. Es ist keine Hybris, es ist eine sehr proaktive Einstellung, welche die Bedingungen eines erfolgreichen Handelns stark verbessert. Es gibt in der Politik und in der Wirtschaft nichts Schlimmeres als Stillstand und Lähmung.

Unsere Aktionen sind teilweise sinnlos geworden? Aber Sinn an sich „ergibt“ sich nicht einfach. Sinn müssen wir uns selbst geben. Es ist wie die Welt, wir müssen sie erobern wollen und ihr Potential nutzen, damit sie überhaupt lesbar und sinnvoll wird. Es gibt nie eine Garantie für den Erfolg unseres Handelns, aber nichts zu unternehmen, würde mit Sicherheit eine Garantie für Misserfolg sein. Die Welt dreht sich zu schnell? Nein! Die Welt dreht sich nicht, die Welt wird gedreht. Womit? Mit dem Spin! Mit Wahrnehmungs- und Handelsrahmen, welche die Realität greifbar, veränderbar und sinnvoll machen.

Die Spin-Doktoren wissen, wie dies geht. Sie sind nicht nur Spezialisten der Vermittlung von Positionen, sondern auch und vor allem Meister der Ausrichtung und der Rezeption einer politischen Vision. Ihr Ziel ist die positive Wahrnehmung ihres Auftraggebers und die günstige Aufnahme seiner Botschaften und Standpunkte. Um dies zu erreichen, versuchen sie die Lage positiv zu präsentieren und zu „drehen“. Daher kommt der Begriff „Spin“.

Der Spin-Doktor „spinnt“ aber nicht, ganz im Gegenteil. Sein Job ist todernst. Er liefert strategische Analysen und kann die Meinungsumschwünge deuten und nutzen. Seine wichtigsten Produkte sind vorteilhafte Deutungsrahmen („Framing“) und griffige Worte („Soundbites“). Kaum ein anderer Beruf hat ein so schlechtes Image wie der des Spin-Doktors, was es in diesem Buch allerdings zu diskutieren gilt. Doch so paradox es klingen mag, können die Politikberater trotzdem für viele Führungskräfte in der Wirtschaft als Vorbild fungieren. Man sollte ihre Überzeugungskraft und Strategiefähigkeit hinter ihrem unverdient schlechten Ruf erkennen und für sich nutzen. Ihre Wortgewandtheit ist nur ein winziger Teil ihrer Kunst, welche riesige Vorteile in einer Welt bringen kann, wo das Schaffen von Aufmerksamkeit und Motivation schwerer denn je geworden ist.

Für die Spin-Doktoren ist die Welt einfach: Die öffentliche Meinung ist die „Königin“ der Welt und die Realität ist nur eine Kette von Ereignissen, die man mehr oder weniger gestalten kann. Die Digitalisierung der Wirtschaft und der Gesellschaft hat beide in eine riesige Bühne verwandeln. Alles wird öffentlich und alles wird diskutiert, alle müssen beeinflusst und begeistert werden. Die Meinungsbildung ist umso wichtiger geworden, je geringer die globale Aufmerksamkeit geworden ist. Immerhin prasseln jeden Tag ungefähr 10.000 Werbebotschaften auf uns ein, und 800.000 Webseiten werden pro Tag neu kreiert. Eigentlich hat die Digitalisierung die Grenzen zwischen allen Branchen relativiert. Die Angebote sind alle nur einen Klick voneinander entfernt, und alle wirtschaftlichen Akteure kämpfen um ein paar Sekunden unserer Aufmerksamkeit und schließlich unsere Kaufentscheidung.

Das digitale Zeitalter hat das Marketing und das Geschäftsleben in einen riesigen Krieg zwischen unterschiedlichen Storytelling umgewandelt. Manager können darin umso wahrscheinlicher gewinnen, wenn sie lernen, wie ein Spin-Doktor denkt und seine Vermittlungskompetenz zielgenau einsetzt. Die Überzeugungskraft ist die schaffende Kraft unserer Epoche und bildet das ungeschriebene Gravitationsgesetz unserer medialen Realität.

Das digitale Zeitalter ist das Zeitalter der Konsumenten, die über den bloßen Verbraucher-Status hinaus gewachsen sind: Sie sind gleichzeitig Ressource, ja Ideengeber, weiterer Innovationen. Sie können mitteilen, mitreden und mitgestalten. Die Konsumenten sind Nutzer geworden: Sie „nutzen“ Computer und Interfaces, aber vor allem ihren Verstand, ihre Stimme und ihre Kritik. Sie brauchen nicht nur Argumente, sondern auch Gründe und nicht nur Botschaften, sondern auch Tatsachen. Die Digitalisierung trägt auch die immer stärker werdende Verzahnung von Politik und Wirtschaft in sich. Die Konsumenten sind Bürgerinnen und Bürger, die extrem bewusst umwelt-, gesellschafts- und gesundheitsbewusst denken, kaufen und sich austauschen.

Die Digitalisierung hat die Herrschaft der öffentlichen Meinung in das Wirtschaftsleben gebracht und für immer dort verankert. Es gibt keine mögliche Rückkehr, man muss lernen, wie die Meinungsbildung genau funktioniert, wie man Vision definiert und Unterstützung sammelt, wenn man Karriere machen will, eine Firma führen will und Produkte oder Services verkaufen möchte. Spin-Doctoring ist kein Geheimnis und kein Luxus. Es ist aber ein Muss.

Spin macht Politik, aber auch Wirtschaft. Spin setzt im Endeffekt jede Macht ein – aber auch wieder ab. Der Spin ist heutzutage im Grunde genommen überall am Werk: während der Bundestagswahl natürlich, aber auch bei der Einführung eines neuen Smartphone-Modells oder bei der Rede des Vorstandsvorsitzenden nach einer Unternehmensübernahme. Die konkreten Beispiele sind zahlreich, hier seien zwei vorgestellt: Wenn Gruner+Jahr „vom Zeitschriftenhaus zum Inhaltehaus“ wird, dann haben wir es definitiv mit einem Spin zu tun, der die Modernisierung des Verlags gut verpacken und der Erschließung des Marktes durch bezahlte Inhalte, aber auch mit einem Commerce-Modell den Weg ebnen sollte. Wenn BASF erklärt „we create chemistry“, dann haben wir es offensichtlich mit einem Spin zu tun, der die Position dieses führenden Unternehmens in Richtung Innovation („create“) ausbauen will und sich parallel von reiner Chemikalienproduktion distanzieren möchte, welche die Umwelt, aber auch das Wachstum in der Ernährungssparte des Unternehmens gefährden könnte.

Wir alle können Spin einsetzen, und deshalb ist mir dieses Buch ein Anliegen, damit wir auf der Basis der Kompetenzen und Werkzeuge der Spin-Doktoren unseren Spin selbst gestalten und formulieren können. Das Buch wird weder Ihr Leben verändern, noch ist es ein neues Werk à la Machiavelli. Es geht mir vielmehr darum, einen kleinen Leitfaden zu liefern für eine praxisorientierte Art und Weise zu denken, zu schreiben und zu reden, um im digitalen Zeitalter Erfolg zu haben. Ich setze also den Akzent auf einen Punkt, auf den jede Führungskraft wirklich achten dürfte, wenn sie ihren Aufgaben gerecht werden und eine treibende Kraft bleiben will, statt getrieben zu werden.

Dieses Buch soll als Anleitung dienen, um Fähigkeiten zu entwickeln und selbst zum Spin-Doktor zu werden. Dieses Buch komprimiert die Kernmerkmale und Kernfähigkeiten der Spin-Doktoren. Es ist kein Ratgeber, vielmehr ein Mutgeber. Es ist kein Rezeptbuch, vielmehr ein Kursbuch. Um den Zugang zum Inhalt selbst zu erleichtern, habe ich vier einfache und alltagstaugliche Leitfragen formuliert, die sich gleichzeitig als Portrait des Spin-Doktors lesen lassen.

In Kapitel I „Was ist eigentlich ein Spin-Doktor?“ definiere ich ausführlich diesen kaum bekannten Beruf mit schlechtem Ruf und die mehr denn je notwendige strategische Kunst der Vermittlung, welche diese Meister der Überzeugung kennzeichnet.

In Kapitel II „Wie sieht die Welt für einen Spin-Doktor aus?“ zeige ich, dass unsere ziemlich chaotische neue Welt dringend strategische Orientierung braucht und dass wir diese von den Spin-Doktoren übernehmen könnten, da die Digitalisierung unseres Geschäftslebens dessen Demokratisierung und Medialisierung bedeutet, zwei Prozesse, welche ein Spin-Doktor perfekt beherrscht.

In Kapitel III „Wie denkt ein Spin-Doktor?“ erkläre ich, wie zentral es ist, vom Ende und vom Ganzen her zu denken, genauso wie es erforderlich ist, kreativ, kombinatorisch und praxisorientiert zu sein, um neue Ideen und Begriffe bieten zu können.

In Kapitel IV, „Wie schreibt ein Spin-Doktor?“ präsentiere ich die Fähigkeit des Spin-Doktors schlechthin, und zwar seine große Stärke, was die Verdichtung und die Auslassung von Inhalten angeht, sowie seine Geschicklichkeit bezüglich Argumentation und Wirkung, da der Spin-Doktor niemals umsonst schreibt oder reden lässt.

Auf einen Nenner gebracht: „Spin it!“ ist ein Buch zum Nachdenken, aber auch zum Handeln. Es enthält keine typischen Anwendungstipps, weil jede Situation anders ist, es bietet aber ideenreiche Denk- und Schreibmuster, die jeder einsetzen kann. Ein hoffentlich nützliches Buch. Es ist ein Buch, das Sinn und Mut machen soll und – warum nicht – das auch die Zeit bereichern will. Ebenso hoffe ich, dass es ein lesenswertes Buch für eine lebenswerte Welt darstellt. Die Welt hat sich und uns vielleicht radikal verändert, aber wir dürfen den Willen nicht aufgeben, die Welt zu verändern.

Die Welt gehört uns! Let’s spin it!

Mathias Ulmann

Hamburg, März 2015

I. Was ist eigentlich ein Spin-Doktor?

Ich werde in diesem Kapitel den Beruf des Spin-Doktors vorstellen, damit jeder sich ein genaues Bild von dieser Profession machen kann, von der leider nur wenig mehr als ihr schlechtes Image bekannt ist. Ich bin fest davon überzeugt, vielen eine Freude machen zu können, indem ich diesen Meister der Überzeugung und der strategischen Kunst der Vermittlung präsentiere. Ich werde also erklären, warum der Spin-Doktor als inspirierendes Beispiel betrachtet werden kann. Ich werde zeigen, dass in den schnelllebigen Zeiten unserer schönen neuen Welt die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Spin-Doktors relevant und nützlich sein könnten. Jeder Geschäftsführer, Manager, Start-Upper, Selbständige und jeder, der eine Vision braucht, seine Kollegen bzw. seine Kunden begeistern und seine Branche prägen will, sollte diese Fähigkeiten nicht nur kennen, sondern auch und vor allem einsetzen können.

1. Schlechter Ruf eines kaum bekannten Berufes

„Der Beginn der Weisheit ist die Definition der Begriffe.“

Sokrates

In dem von der Gesellschaft für Konsumforschung 2014 publizierten Image-Ranking der Berufe hätten die Spin-Doktoren höchstwahrscheinlich sehr schlecht abgeschnitten. Sie wären wohl zwischen dem eher schlechten Platz 32 der Politiker und dem kaum besseren Platz 30 der Werber gelandet. Die Spin-Doktoren, als Spezialisten der Politikvermittlung, kombinieren und übernehmen die schlechten Imagewerte beider Berufe. So ist es nicht erstaunlich, dass sie im allgemeinen Ansehen der Bevölkerung recht weit unten rangieren. Man muss auch sagen, dass nicht viele Menschen wirklich wissen, was ein Spin-Doktor eigentlich macht. Diejenigen, die es wissen und darüber schreiben und berichten, stehen ihnen meistens ziemlich kritisch gegenüber und behaupten offen, dass die Spin-Doktoren ungeniert der Demokratie schaden.

Hinzu kommt, dass die Berufsbezeichnung „Spin-Doktor“ in der deutschen Sprache vorbelastet ist, was die Sache nicht einfacher macht. Es scheint offensichtlich, dass Spin-Doktoren „spinnen“ und dass sie als Experten des Spektakels und der Manipulation viel Unfug verbreiten und dadurch unser fragiles politisches System gefährden. Was die Sache noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass das Wort eine starke Konnotation mit dem Ekeltier schlechthin hat, der Spinne, und die Aversion gegen dieses Tier sich auf den Berufsstand überträgt. Diese fragwürdigen Personen sind darüber hinaus wahrscheinlich Spezialisten im Spinnen von zweifelhaften Netzen und im Aufbauen von dubiosen Netzwerken. „Nomen est Omen“, der Name ist also wirklich Programm. All diejenigen, die sich dem Schutz und der Verteidigung der Demokratie verschrieben haben, befinden sich im Recht, wenn sie die Machenschaften dieser geheimnisvollen Strippenzieher anprangern. Meiner Auffassung nach beruht die oberflächliche Wahrnehmung der Spin-Doktoren in der Öffentlichkeit auf einem irrtümlichen Verständnis des demokratischen Willensbildungsprozesses, besonders bezüglich der Techniken, um die Öffentlichkeit zu überzeugen und zu mobilisieren.

Um unbeschwert zu arbeiten, können die Spin-Doktoren aber nicht komplett im Verborgenen bleiben, sonst werden sie der Heuchelei verdächtigt und noch mehr Misstrauen in der Gesellschaft ernten. Nein, der Berufsstand der Spin-Doktoren selbst braucht keinen „Spin“ und keine Rehabilitierung. Dagegen erscheint aber ein größeres Maß an Klarheit über ihre Arbeitsweise ratsam zu sein. Nur auf diese Weise können ihre spezifische Besonderheit und ihre hoch spezialisierten Fähigkeiten in unserer vernetzten Gesellschaft verständlich und nutzbar gemacht werden. Damit folge ich dem erleuchtenden Rat von Sokrates und beginne dieses Kapitel mit der Definition des Wortes „Spin“ und werde zunächst eine kurze genealogische Begriffsklärung vornehmen. (a. „Geschichte und Schauergeschichten des Begriffs“). Danach erläutere ich die Merkmale dieses Berufsstandes, die sich hinter dessen schlechten Ruf verstecken (b. „Funktion und Nutzen des Spin-Doctorings“). Abschließend argumentiere ich, warum unsere neue schöne digitale Welt dringend Spin-Doktoren braucht, um wieder lesbar und handhabbar zu werden (c. „Der Krieg der Spins“).

a. Geschichte und Schauergeschichten des Begriffs

Zunächst erscheint es mir hilfreich, Ihnen einen kleinen Exkurs zur Entstehungsgeschichte des Begriffes zu liefern und dessen Bedeutung kurz zu skizzieren. Wie so oft in solchen Fällen gibt es auch hier drei unterschiedliche Versionen, die auf zwei verschiedene Ursprünge zurückgehen. Oft wird auf das zweite Fernsehduell zwischen Ronald Reagan und seinem damaligen demokratischen Konkurrenten um das Präsidentenamt, Walter Mondale, hingewiesen. Am Tag nach der Debatte, am 21. Oktober 1984, taucht der Begriff zum ersten Mal auf, und zwar in einem Leitartikel in der New York Times aus der Feder von Jack Rosenthal (und nicht von William Safire, wie es irrtümlich in Wikipedia zu lesen ist). In seinem Artikel mit der Überschrift „Das Duell der Spin-Doktoren“ spricht Rosenthal von „… einem Dutzend Männern in guten Anzügen und Frauen in seidenen Kleidern, die sich behutsam unter die Reporter mischten und (angeblich) exklusive Informationen verbreiteten.“ Lee Atwater, Reagans Berater, hat sich schon zwei Wochen vorher, also kurz nach dem ersten TV-Duell, in die Geschichtsbücher eingetragen, als er seine Kollegen mit den Worten: „go out and spin this afterward …“ aufforderte, Reagans Brillanz und Schlagfertigkeit zu rühmen und natürlich immer wieder zu betonen.

Der Streit um die Urheberschaft ist aber damit noch lange nicht beendet, weil andere behaupten, der Schriftsteller Saul Bellow habe den Begriff schon im Jahr 1977 anlässlich einer Vorlesung über Thomas Jefferson verwendet. Nicht unerwähnt darf die Tatsache bleiben, dass der Ausdruck „spin a yarn“ schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts in „A New and Comprehensive Vocabulary of the Flash Language“ dokumentiert und mit Sicherheit viel älteren Ursprungs ist. Es bedeutet so viel wie „Seemannsgarn spinnen“, was nicht mehr und nicht weniger heißt, dass der Ursprung des Begriffs auf wenig Glaubwürdigkeit basiert und alles andere als schmeichelhaft für die Spin-Doktoren ist.

Die Spin-Doktoren gehören demnach der Spezies der Geschichtenerzähler, der Schwadroneure und Schönredner an. Die Spin-Doktoren brauchen keine Sachargumente oder Zahlenkaskaden. Sie setzen vielmehr darauf, mit den Emotionen der Menschen zu spielen, und hierbei handelt es sich tatsächlich um den gravierendsten Vorwurf: Sie sprechen nicht unsere Vernunft, sondern unseren Bauch an. Sie erfinden und konstruieren Sachverhalte, die so gar nicht existieren, sie schaffen keine relevanten Informationen, sondern nur günstige Interpretationen. Sie sagen nicht genau, was passiert ist, sondern was ihrer Meinung nach hätte passieren sollen. Auf diese Weise sorgen sie für eine gewisse Desorientierung des Denkens, was letztlich auch zu einer Art Denkverbot führen könnte. Sie respektieren nicht die Realität, sie umgehen sie und sie missachten sie manchmal sogar. Ihre Tätigkeit hat noch weitreichendere Folgen, da sie gewissermaßen eine neue Realität schaffen, welche den Interessen ihrer Auftraggeber entspricht. Im Endeffekt verfälschen sie die Beziehung zwischen Politik und Bürger und sind maßgeblich verantwortlich für den Verfall der politischen Kultur, was unter anderem zu einer zunehmenden Politikverdrossenheit führt. Die Spin-Doktoren sind ein Paradebeispiel für die „Spektakularisierung“ unserer Gesellschaft, weil sie die Politik auf Wortspiele und Bilderschlachten reduzieren. Aus dieser Perspektive betrachtet wird Spin-Doctoring zu einem Synonym für Mediatisierung, Kommerzialisierung und Boulevardisierung der Politik. Oder anders gesagt: Es bedeutet eine Amerikanisierung der Politik, was in Deutschland nicht gerade als Kompliment angesehen wird.

Spin-Doktoren betrachten demnach Politiker als Ware und die Politik als bloße Verpackung. Man braucht also keine Programme und Debatten mehr, sondern nur noch Slogans und Spektakel. Glanz statt Substanz, Image statt Inhalt, Pragmatik statt Programmatik und Angriff statt Argument: Dafür stehen die Spin-Doktoren. Deshalb stellen sie keine geringe Gefahr für ein gesundes Funktionieren unserer Demokratie dar. Sie sind Profis der Rhetorik, die teilweise sehr erfolgreich mit Worten jonglieren. Sie sind gewiss die neuen Sophisten, die mit ihrem trügerischen und unheilvollen Sirenengesang die Politik dazu verleiten, auf dem Riff der Demagogie aufzulaufen. Sie beherrschen den präzisen Sprachgebrauch und sie setzen diese Fähigkeit ein, um die Gedanken der Menschen zu lenken. Eigentlich „spinnen“ die Spin-Doktoren gar nicht – sie wissen genau, was sie tun!

Im Grunde genommen ist ihr Ziel angeblich recht einfach und klar definiert: Sie manipulieren zielgerichtet die Medien, um die Wahrnehmung der Menschen im Sinne und im Interesse ihrer Auftragsgeber zu beeinflussen. Die Spin-Doktoren sind durch und durch manipulativ. Für sie ist alles Image, folglich genügt es, die Wahrnehmung der Menschen in ihrem Sinne zu gestalten, um die Probleme zu lösen. In diesem Zusammenhang stellt sich ihre Expertise im Erschaffen von einprägsamen Formulierungen als von zentraler Bedeutung heraus. Es geht aber nicht nur um bloße Worte oder griffige Slogans, es geht auch um die Rahmenbedingungen der Wahrnehmung, es geht um die Filter der Realität. Und dies ist keine Lappalie, ist kein Spiel mit Worten, es ist extrem ernst. Weil, im Endeffekt, unsere Zeit genauso funktioniert: mit Worten, Bildern und Emotionen. Spin-Doktoren passen sehr gut in unsere Gesellschaft, und ihre Macht wächst deshalb ständig, genauso wie ihr Trickarsenal. So stellt sich zunehmend die Frage, wer Koch und wer Kellner ist. Es scheint so, als seien die beratenden Dienstleister als Kellner der politischen Kommunikation in die Küche der politischen Inhalte eingezogen. „Alarm!“, schreien die Feinde der Spin-Doktoren an dieser Stelle. Diese befürchten, dass die Spin-Doktoren die Politik entleeren, um auf diese Weise leichter an die Stelle der herkömmlichen Entscheidungsträger treten zu können. So oder so ähnlich lautet die schwarze Legende, die über die Spin-Doktoren verbreitet wird.

Man muss allerdings zugeben, dass es tatsächlich Beweise gibt, die zeigen, wie einige Spin-Doktoren von ihrer eigentlichen Funktion wegdriften und ihr Können missbrauchen. Eine kleine, aber für sich selbst sprechende Anekdote findet am 11. September 2001 im Londoner Verkehrsministerium statt, das aufgrund der Insolvenz eines privatisierten Eisenbahnunternehmens unter Druck stand. Die Spezialberaterin von Verkehrsminister Stephen Byers, Jo Moore, schickte um 14 : 45 Uhr eine E-Mail, in der sie die Angriffe auf das New Yorker World Trade Center mit den Worten kommentiert, dass „das Ereignis gut sei, um schlechte Nachrichten zu begraben“. „Burying news“ ist ein sehr alter Trick. In diesem Fall hat Jo Moore allerdings überstürzt gehandelt und Gelegenheit mit Opportunismus verwechselt. Damit hat sie einen sehr alten Fehler begangen. Ihre E-Mail wird weitergeleitet und ihr Handeln wird öffentlich. Der infolge des Anschlags beginnende Krieg gegen den Terror lenkt zwar zwar von den Problemen des Ministeriums ab, dem Image ihres Berufstandes hat sie aber einen Bärendienst erwiesen. In den Schlagzeilen geht es nun um einen Krieg gegen Terroristen, aber auch gegen Staaten, die dem Terrorismus Hilfe und Unterschlupf gewähren. Eine groß angelegte und langfristige Kampagne gegen die sogenannte „Achse des Bösen“ kann beginnen. Dieser Begriff wurde übrigens von David Frum, einem republikanischen Redenschreiber und Spin-Doktor geprägt.

Aber der wahre Meister, um einen Krieg zu verkaufen, ist John Rendon. Obwohl er kaum bekannt ist, ist er einer der geschicktesten und effektivsten Spin-Doktoren. Er definiert sich selbst als „Krieger der Information und Manager der Wahrnehmung“. Das ehemalige Mitglied der Demokratischen Partei gilt als Meister von Informationskriegen, ja geradezu als seine Inkarnation. Er hat mit der US-Intervention in Panama im Jahr 1989 begonnen, mit Kuwait weitergemacht und dann mit Irak seine Kunst verfeinert.

In den Medien werden aber andere Spin-Doktoren öfter erwähnt und immer scharf kritisiert und sogar denunziert. Da wäre zunächst Karl Rove der „Bobby Fischer der Politik“, auch „Baby Genius“ genannt, der zwanzig Züge vorausplanen konnte und von dem böse Zungen behaupten, „das Gehirn von Bush II“ gewesen zu sein. Rove kann sich aber bei weitem nicht messen mit dem berüchtigten Gepetto von „Pinocchio“ Tony Blair, Alastair Campbell. Dieser wurde auch „Cynical Ali“ genannt, eine ironische Anspielung auf „Chemical Ali“, Ali Hasan al-Madschid, Vetter von Saddam Hussein und verantwortlich für die Giftgaseinsätze im Nordirak.

Wir müssen aber noch einen weiteren Ansatz beleuchten, um die Etymologie und die genaue Bedeutung des Begriffs „Spin“ zu klären. „Spin“ ist auch ein Begriff aus dem Sport und steht für die Drehung eines rotierenden Balls. In groben Zügen bezeichnet er die Reibungskraft zwischen Luft, Stoff oder Boden und der Balloberfläche, die zu einer Bahnablenkung führt. Ob beim Fußball, Tennis oder Billard: Ziel bleibt es, die Richtung und die Schnelligkeit des Balles zu kontrollieren, um das Ziel besser zu treffen und/​oder so seinen Gegenspieler zu überraschen. Drall geht also Hand in Hand mit Geschicklichkeit.

Die Spin-Doktoren spielen mit Effet und versuchen auf diese Weise, den Dingen immer den einen für sie günstigen Drehimpuls zu geben. In welcher Richtung sich eine Debatte oder ein Wahlkampf entwickelt, darum geht es ihnen vor allem. Das Hauptziel besteht darin, die Geschehnisse in die gewollte Richtung zu lenken. Der „Spin“ soll eine positive Interpretation der Ereignisse und der Reden liefern und zu der gewünschten Richtung der Diskussion führen. Sie wissen ganz genau, dass man nicht alles vermitteln oder zeigen kann. Der Dreh zeigt also nur eine Facette der Sache, eine Facette, die ein günstiges Licht auf ihre Meister werfen kann, eine Facette, die auf jeden Fall eine Berichterstattung im Sinne ihrer Auftragsgeber provozieren soll.

In der Politik gilt: Wer dreht, der gewinnt. Die Kritiker betonen, dass das Einzige, was die Spin-Doktoren wirklich drehen, sei die Wahrheit. Spin-Doktoren stehen für das interessengeleitete Zurechtbiegen der Tatsachen. Die „Prinzen der Finsternis“ wären also auch die „Könige der Lügen“ und damit also schlichte Wahrheitsverdreher. Um nur ein Beispiel zu geben, sei auf die fünfzehnjährige Krankenschwester Nayirah hingewiesen, die im Al-Adnan-Krankenhaus in Kuwait-Stadt arbeitete und am 10. Oktober 1990 vor dem Amerikanischen Kongress als Zeugin aussagte. Nayirah beschreibt mit Tränen in den Augen: „Ich habe gesehen, wie die irakischen Soldaten (…) die Säuglinge aus den Brutkästen nahmen, die Brutkästen mitnahmen und die Kinder auf dem kalten Boden liegen ließen, wo sie starben.“

Aber in Wirklichkeit hat Nayirah dort gar nicht gearbeitet, und die von ihr beschriebenen Vorfälle haben niemals stattgefunden. Nayirah heißt in Wirklichkeit tatsächlich Nayirah, das stimmt, aber man sollte nicht unterlassen, ihren Nachnamen zu nennen: Sie heißt mit vollständigem Namen Nayirah Al-Sabah, Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington, Saud bin Nasir Al-Sabah. Sie wurde gebrieft von Lauri Fitz-Pegado, einer Managerin von Hill & Knowlton, ein Konzern, der vom militärischen Establishment beauftragt worden war. Dies war nicht der erste der gefälschten Kriegsgründe, und es sollte nicht der letzte bleiben. Die Verteufelung des Kriegsgegners ist ein wesentliches Element des Spin-Doctoring.

Nach Meinung der Kritiker2 sind die Wahrheit verbiegenden Spin-Doktoren bloße Sophisten, die in unserer Demokratie keine Daseinsberechtigung haben sollten. Sie spielen nicht nur mit der Bedeutung von Aussagen, sondern mit der Stabilität und der Zukunftsfähigkeit unseres politischen Systems. Eigentlich sind sie gar keine Vermittler von Politik, sondern Vorboten der Apokalypse. Im Endeffekt sind sie keine Kommunikatoren, sondern einfach Propagandisten. Hiermit können wir vielleicht unseren kleinen Überblick über den schlechten Ruf der Spin-Doktoren abschließen. Es geht hier um das Totschlagargument schlechthin: die „Reductio ad Propaganda“. Karl Rove und Alistair Campbell wären die neuen Joseph Goebbels und Kurt Hager, die neuen Minister für Propaganda und geistige Mobilmachung. Nicht mehr und nicht weniger.

Diese Fülle von Kritik ist zu plakativ, zu scharf und doch nicht klar genug, also somit wenig hilfreich. Alles, was übertrieben ist, ist überflüssig, schlimmer noch: naiv. Leider hält sich dieses schlechte Image hartnäckig. Warum eigentlich sollten man also diese Hexenmeister des verdrehten Wortes mit dem schlechten Ruf als Vorbild nehmen wollen? Aus einem schlichten und einfachen Grund: Dieses Bild ist irreführend und falsch. Diese überkritische Bewertung verhindert eine korrekte Einschätzung und ein adäquates Verstehen der Funktionsweise unserer Demokratie. Es verhindert auch, was uns an dieser Stelle besonders interessiert, nämlich eine Nutzbarmachung der Methoden eines lehrreichen und spannenden Berufes. Spin-Doctoring steht nicht im Gegensatz zu unserer Demokratie, sondern ist vielmehr ein Teil davon, ein wichtiger und fester Bestandteil sogar.

b. Funktion und Nutzen des Spin-Doctorings

Diktaturen brauchen keine Spin-Doktoren, welche die Diskussionen beeinflussen und gestalten: es gibt dort keine Diskussionen. Totalitarismen brauchen keine Meinungsgestaltung: Es gibt unter ihrer Herrschaft nur eine Meinung, nur eine Linie, nur eine Wahrheit, nämlich die der Partei oder der „wahren“ Religion. Spin-Doktoren sind dort arbeitslos, weil einfach nutzlos. Man benötigt keine Kampagnen und keinen „Spin“, wenn Wahlen vorgetäuscht und nur eine Farce sind. Man braucht keine Mobilisierung, wenn die Bürger starr vor Angst sind. Spin-Doktoren sind ein reines Produkt unserer modernen, demokratischen Gesellschaft. Sie sind die logische Konsequenz des politischen Kampfes, der die Vielfältigkeit der Einzelnen und der Meinungen ermöglicht und sogar braucht. In der Tat, eine Demokratie ohne staatsbürgerliche Beteiligung und Engagement ist keine Demokratie. Die Verschiedenheit der Beteiligten ist eine Bedingung der Demokratie und des Politischen an sich, wo es wichtig ist, die Perspektive des anderen zu verstehen, zu respektieren, und wo es erlaubt und möglich ist, sie auch verändern zu wollen.

Ohne Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten gibt es keinen Pluralismus. Und ohne Pluralismus auch keinen Spin. Unsere Demokratie lebt von Debatten, und Spin ist nur die Kunst, diese Debatten zu gestalten und zu beeinflussen. Die Kritiker haben ein falsches Bild der Spin-Doktoren, weil sie ein verfälschtes Bild von Politik haben. Politik ist nichts anderes als die Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten und, was noch wichtiger ist: des Zusammenlebens. Wir reden nur mit Leuten, mit denen wir etwas teilen, mit denen wir einen gemeinsamen Nenner haben. So gesehen ist die Kultur des Debattierens nichts anderes als der soziale Klebstoff schlechthin. Debatten sind etwas, das uns näher bringt, in der Politik genauso wie am Arbeitsplatz. Die richtige Entscheidungsfindung lebt von Austausch und Diskussion. Nennen wir es Wahl oder Management, es geht immer darum, Optionen auf den Tisch zu legen und die meisten Menschen für eine dieser Optionen zu mobilisieren. Der Spin-Doktor dreht die Diskussion, um die Leute zu bewegen. Und alle müssen „spinnen“, d. h. sich in eine bestimmte Richtung bewegen und mobilisieren. Wer eine Organisation führen oder beeinflussen will, muss vorher die Vorschläge gestalten und parallel dazu den Kriterienkatalog für ihre Bewertung formatieren. Wer seine Mannschaft motivieren will, muss begeistern und den Erwartungshorizont skizzieren, und zwar in einer Art und Weise, dass die Mitarbeiter selbständig ihre Ausrichtung vollenden. Diskussionen gestalten, ihnen einen Rahmen geben und Kräfte mobilisieren, all das kann der Spin-Doktor gewährleisten. Aber nicht nur er kann es.

Spin kann überall eingesetzt werden, weil alles Politik ist, oder besser ausgedrückt: weil alles politisch ist. Das Politische ist nicht nur das, was in der Regierung oder in den Parlamenten täglich passiert (das ist genau genommen „die Politik“). Das Politische ist auch das, was das Arbeitsleben ständig strukturiert. Jeder hat Interessen oder Ziele, die er durchsetzen möchte, eine Vision, die er mitteilen will. Jeder braucht Koalitionen, um Veränderungsprozesse vorantreiben zu können. Jeder Manager muss ein Klima schaffen, in dem seine Kollegen über sich hinaus wachsen können. Das Arbeitsleben ist politisch, weil es für und von Menschen gemacht ist. Es geht wie noch niemals zuvor um die Menschen. In der Tat hat das digitale Zeitalter jedes Business in ein „People Business“ verändert. Und Menschen brauchen Gründe, um etwas zu tun oder zu denken und um sich neu zu orientieren. Nur überzeugende Gründe können Menschen bewegen, und nur klar definierte Visionen können den Einzelnen in eine soziale Kraft verwandeln. Und darum geht es bei dem Spin: nicht die Wahrheit und auch nicht die Wörter drehen, sondern die Menschen sich drehen lassen, damit sie Aufmerksamkeit, Energie und Einsatzbereitschaft entfalten können.

In der Wirtschaftsliteratur wird viel über Prozess- und Change-Management geschrieben, aber nicht genug über die Mobilisierung der Humanressourcen an sich. Wir reden hier nicht von Motivation, die extrem wichtig ist, oder von reiner Rhetorik, die sehr nützlich ist, sondern von Überzeugung. Und das ist genau das, was ein Spin-Doktor leisten kann und soll: Menschen überzeugen. Wer in der Politik weiterkommen will, sollte sich auch überzeugend ausdrücken – oder er ist falsch am Platz. Überzeugung bedeutet für den Spin-Doktor nicht nur argumentative und rhetorische Überwindung von Kontrahenten, sondern auch und vor allem, Menschen und Bürger von bestimmten Ansichten zu überzeugen.

Der Spin-Doktor arbeitet mit Stimmungen, Meinungen und Wahrnehmungen, die er lenken und, wenn möglich, gestalten kann. Er ist schlechthin der Spezialist des Prozesses der politischen Willensbildung. Es gibt für ihn keine ewigen Wahrheiten, es gibt nur einen ständigen Wandel der transformativen Kräfte, welche die Realität gestalten. Der Auftrag des Spin-Doktors besteht genau darin, diese individuellen und öffentlichen Kräfte zu schaffen. Die Spin-Doktoren wissen genau, wie die Menschen ticken, wie sich ihre Meinungen bilden, ändern und verfestigen. Die Spin-Doktoren verstehen sich auf die kleinen Veränderungen des Mainstreams oder der herrschenden Weltanschauung. Es ist eine große Kraftanstrengung notwendig, damit sie das Denken und das Fühlen der Bürger beeinflussen können, damit sie ihre Programme und Ideen unter die potentiellen Wählerinnen und Wähler bringen.

Noch einmal, in diesem Buch soll es nicht darum gehen, den Spin-Doktor gegen seine Kritiker zu schützen. Vielmehr möchte ich einfach zeigen, was „Spin“ wirklich bedeutet und bewegen kann und welche Inspiration der Spin-Doktor für jeden Manager darstellen kann. Nein, „Spin“ klingt nicht wie Populismus oder Propaganda. Und ich bin der festen Überzeugung, dass der Spin-Doktor etwas Zentrales liefert, und zwar Gestaltungsmöglichkeiten. Der „Spin“ beschränkt sich nicht nur auf Rhetorik, sondern bezieht sich viel mehr auf die strategische Vermittlung der Zielsetzung. Es geht hier um Visionen, die Menschen überzeugen, und um Worte, die diese zu Taten bewegen. Es geht um Begriffe, die Gefühle und Motivationen auslösen, die anspornen und die Menschen tätig werden lassen. Antoine de Saint-Exupéry (1900  1944) hat es auf die schönste Weise zusammengefasst: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Nein, man muss nicht zum Arzt, wenn man Visionen hat, wie es Altkanzler Helmut Schmidt im Bundeswahlkampf 1980 mit treffender Ironie sagte. Ich bin allerdings der Meinung, wenn man eine Vision braucht, dann sollte man dringend zum Spin-Doktor.

Die erfolgreichen Wahlslogans wie „Mehr Demokratie wagen“ von Willy Brandt, „die Neue Mitte“ von Gerhard Schröder oder „Hope“ von Barack Obama sind nicht nur zentrale Grundsätze, es sind Visionen, die in eine bestimmte Richtung deuten, die an die Eigenverantwortung eines jeden appellieren. Man sollte nie die Kraft der Visionen unterschätzen, und das wissen die Spin-Doktoren ganz genau. Sie wissen aber auch, dass jedes politische Lager und jeder Politiker seine eigene Vision erläutern und verbreiten muss. Alle wetteifern um die Gunst der Bürger, alle wollen die Öffentlichkeit begeistern, die Bürger für sich gewinnen, um von ihnen ein Mandat zu bekommen. Nur das Volk kann ihnen sein Vertrauen schenken und dann, aber nur dann, sie mit einer Funktion betrauen. Macht kommt vielleicht von oben, aber Legitimität kommt definitiv von unten. Die Demokratie ist ein sehr auf Wettbewerb ausgerichtetes System, in dem die Politiker überzeugen müssen, bevor sie die Macht ausüben können.

Es reicht also nicht, eine Vision zu entwickeln, man muss sie von den Visionen der Kontrahenten scharf abgrenzen. Politik ist ein Krieg der Erzählungen, ein Kampf der Narrative. Derjenige, der mit der am meisten motivierenden Vision überzeugt, der gewinnt. Jeder Politiker, aber auch jeder Manager sollte sich eine Zukunftsvision zulegen, ein Bild der Welt von morgen, zu der er die Seinen hinführen will. Jeder Manager muss irgendwann seine eigene Position aufwerten, aber gleichzeitig die des Gegners abwerten. Diese Vision, diese Metaebene gerät unweigerlich mit anderen Narrativen in Konflikt. Am besten trägt jede Vision auch eine Gegen-Vision in sich, eine mögliche Zukunft, die vermieden werden soll. Jede Vision kann sich idealerweise als doppelschneidiges Schwert erweisen. Der Slogan „A change we can believe in“ von Obama war auf der einen Seite ein klarer Gesellschaftsentwurf, aber auf der anderen Seite auch eine direkte Anspielung auf die zahlreichen Lügen der Bush-Ära. Als die CDU/​CSU im Jahre 2009 mit dem Slogan „Wir haben die Kraft“ warb, wollte sie zu verstehen geben, dass die SPD nicht stark genug ist, um Deutschland aus der Krise zu holen.

Der Spin-Doktor verdreht nicht die Wahrheit, er versucht die Wahrnehmung der Realität zu gestalten, weil er ein Soldat im Kampf der verschiedenen Deutungen ist. Der Spin-Doktor weiß es selbst am besten, dass der politische Kampf auf dem Feld der Meinungen stattfindet. Es ist ihm bewusst, dass unterschiedliche Bewertungen desselben Ereignisses miteinander permanent kollidieren und im Wettstreit liegen. Er weiß, dass „die Realität“ an sich nicht existiert, und es klingt vielleicht seltsam, aber es ist eine Tatsache: Es gibt keine Tatsachen. Die Wirklichkeit konstituiert sich erst durch eine Vielfalt von Meinungen, Stimmungen und Befindlichkeiten des öffentlichen Diskurses, und zwar in den Köpfen der Menschen.

Realität im Sinne des Gegebenen und Vorhandenen gibt es für den Spin-Doktor tatsächlich nicht. Die Gestaltung der politischen Wirklichkeit ist eine fortwährende Aufgabe, die niemals vollständig gelöst werden kann. Politik erwartet keine endgültige Lösung, sondern sie ist ein unendlicher Prozess. Weil die soziale Wirklichkeit sich permanent ändert. Weil die Kontrahenten sich immer neu positionieren. Weil die Gesellschaft und die dominanten Meinungen und Interpretationen sich permanent wandeln. Weil Politik im Endeffekt, und dies muss noch einmal betont werden, von Menschen und für Menschen gemacht wird. Deshalb „drehen“ die Spin-Doktoren Begriffe und Wörter ständig, nicht zuletzt, weil die Welt sich permanent dreht und von Interpretationen gestaltet wird.

Einige Sozialwissenschaftler reden mit vollem Recht von der „gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit3