Über den Autor:
Hubertus-Kraft Graf Strachwitz

 

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Hubertus-Kraft Graf Strachwitz wurde am 18. Dezember 1870 in Gleiwitz geboren. Nachdem einer Ausbildung als Rechts- und Regierungsreferendar wurde er Priester. In seiner Familie waren geistliche Berufe nicht unüblich. Bei ihm wurde bereits früh der Keim dazu gelegt, wie er selbst erzählt: „...Daher standen meine viel frommen Tanten voll seelischer Begehrlichkeit an meiner Wiege und brachten ihre heiße Sehnsucht, in mir einst einen Priester der Kirche zu sehen, als unerbetenes Patengeschenk dar ... Meine Mutter, eine sächsische Protestantin, äußerte nichts, sie war gewohnt, alles Gott zu überlassen. Sie lächelte wohl über den Eifer der Tanten. Dann nahm sie mich in die Arme, zeichnete ein Kreuz über die kleine Stirn und nannte mich Kraft Gottes ...“

In den zwanziger Jahren machte Graf Strachwitz sich mit Romanen aus der Welt der Kirche und des Adels einen Namen als Schriftsteller. Der schlesische Adelsroman aus dem 19. Jahrhundert „Sidonia" (1950) und seine Autobiographie (Bd. l Wie ich Priester wurde, 1931, Bd. II Eines Priesters Weg durch die Zeitenwende, 1935) geben ein gutes Bild soziologischer und kulturhistorischer Verhältnisse.

Graf Strachwitz starb am 20. Mai 1957 in Bad Tölz, wo er sich schon vor dem Zweiten Weltkrieg niedergelassen hatte.

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Die Speckkartoffeln


Hubertus-Kraft Graf Strachwitz


Anthologie


Fünf Kurzgeschichten

aus den „Goldenen Jahren“

des 20. Jahrhunderts

speckkartoffeln

Original-Auflage Verlag Hermann Rauch. Wiesbaden, 1923

Neuauflage Machandel Verlag, C. Erpenbeck, Haselünne, 2015

Umschlag und Gestaltung der Neuauflage: C. Erpenbeck

unter Verwendung von Foto-Material der Webseite

www.cgtextures .com

Deko-Element innen: www.shutterstock .com

ISBN 978-3-95959-000-6



Anmerkung:

Dieser Nachdruck entspricht in Inhalt und Rechtschreibung der historischen Vorlage. Lediglich die Zeichensetzung wurde ein wenig dem heutigen Gebrauch angepasst.

Die Speckkartoffeln

 

„Martha – Martha!“ dröhnte die Stimme des Pfarrherrn Matthias Gottwald ungeduldig durch den Flur nach der offenstehenden Küchentür hinüber, der ein ganz wunderlicher Geruch gebratenen Specks entströmte. „Martha, hörst du nicht?“

Martha, die bejahrte, ein wenig verhutzelte Pfarrwirtin hörte wohl, aber sie steckte eben schwer sinnend ihre angeprökelte Nase in die Pfanne hinein. Speck, gebratenen Speck, seit vier Jahren den ersten wieder im Pfarrhause, und heute abend gab es Speckkartoffeln, nicht für sie, beileibe nicht, höchstens einige Krumen. Alles war für ihn, den Herrn, den immer gütigen. In Friedenszeiten war es seine Lieblingsspeise. Wie würde er sich freuen und seine Äuglein blinken lassen.

„Martha – Martha!“ „Nun ja doch, was gibt´s denn?“ Dabei schob sie genau berechnend wie ein Kupferstecher die Pfanne nach der Mitte der Feurung, wo die Eisenringe glühten. „Was gibt´s denn?“

„Nichts, ich will heute Abend nur Tee und trocken Brot haben, – sonst nichts, absolut nichts.“ Mit diesem energischen Ausruf fiel ebenso rasch drüben die Tür des Wohnzimmers ins Schloß. Eine Stille trat ein, in der man nur den Speck prutzeln und spritzeln hörte. Der Stiel der Pfanne erzitterte in Marthas knochiger Hand; nichts will er – wieder einmal seine Marotte – grade heute muss er auf die verhirnte Idee verfallen, sich zu kasteien ... Sie war versucht, die Pfanne umzudrehen und den speckigen Inhalt pritzelnd und prasselnd in die Glut zu schütten. Aber das durfte sie der guten Frau Wagner nicht antun, die es sich abgespart hatte, um dem Herrn Pfarrer auch einmal eine irdische Freude zu bereiten. Selbst essen – schon der Gedanke schien ihr strafbar, zusammenschmelzen und aufheben, da verlor sie zuviel. Also er musste doch essen. Sie stellte die Schüssel mit den Speckkartoffeln einfach vor ihn hin, der Geruch würde es ihm schon antun, ihn überlisten –, dann aß er sie doch auf, trotz aller Furcht, sein Gewicht ständig zu vermehren. Sie wollte überhaupt nicht, dass er Pfunde abgebe, dann würden die Leute im Städtchen meinen, sie könne nicht ordentlich kochen. Resolut brachte sie die Pfanne wieder über die Glut und bereitete die Speckkartoffeln vor.

Herr Matthias Gottwald ging indessen in seinem Wohn- und Studierzimmer unruhig auf und ab. Sein sonst so gutmütiges, freundliches, rund geformtes Angesicht erweckte heute den Anschein ernster Bekümmernis. Der Pfarrherr blieb vor dem Spiegel stehen, der über einer rötlichen Mahagonikommode hing und betrachtete prüfend seine Erscheinung. War er nicht doch ein wenig schlanker geworden? Er knöpfte den etwas knappen Rock über der Brust zusammen und presste sich ein. Doch – ein wenig! Er fuhr mit dem Zeigefinger zwischen Kragen und Doppelkinn. Saß der Kragen nicht bequemer als früher? Ein starker Sektpropfen hätte wohl Platz – aber früher auch. Er schlug mit den Händen um sich, drückte seinen Leib wie einer, der sich massieren will; aber es half nichts.

„Schrecklich“, stöhnte er, „wenn ich auch nicht unförmig bin, so doch unverändert. Mir wohl gleich, aber als Festredner ... kann es sein?“ Er schielte nach einem Schreiben hinüber, das wie weggeworfen auf der schrägen Platte eines altmodischen Sekretärs lag, „der schreibt`s, eine unangenehme Sache!“

Pfarrer Gottwald hielt nämlich für sein Leben gerne Festreden und sonstige Ansprachen. Sein starker Körperbau, der warme Klang seiner Stimme, der leichte Fluß seiner Rede prädestinierten ihn hierfür geradezu. Da er studiert hatte und auch sonst ein guter Kerl war, wurde er in weiten Kreisen eingeladen, als Festredner aufzutreten: wenigstens vor dem Kriege. Nun aber seit langen Jahren nicht mehr. Die verehrten Konfratres sahen mit einer gewissen Mißbilligung auf seine unveränderte Korpulenz. Er wehrte sich gegen diese Krankheit, wie man es spöttelnd nannte; er aß Kriegskost und ging selbst dem sauren Kriegsbier aus dem Wege – aber er war ein Stubenhocker, ein Bücherwurm, ein Schriftsteller; und sobald ihn die Seelsorge beurlaubte, schob er sich unter die Schreibtischplatte und arbeitete, arbeitete acht bis zehn Stunden am Tage, da konnte er freulich nicht abnehmen. Im Gegenteil, der Körper wuchs vom vielen Sitzen. Außerdem betrog ihn die Martha beim Essen. Sie kochte immer noch was Gutes und sparte es sich selbst vom Munde ab. Er merkte es kaum; es mundete ihm, und schon wieder saß er am Schreibtisch,

Aber Festreden halten; das galt ihm als Bewegung. Da mußte er auf die Bahn gehen, Fahrkarten lösen, sie einknipsen lassen, da mußte er in den Eisenbahnwagen klettern, umsteigen, ankommen, sich begrüßen lassen, dann stundenlang stehen, reden und schließlich das Festessen schlucken. Nun aber seit Jahren war es still, es gab keine Feste mehr. Bis heute – dort lag der Brief seines spillerigen langen Freundes, des Pfarrers Dr. Schmidt, drüben über den Bergen in der reich bevölkerten Kreis- und Industriestadt. „... wir wollen das Fahnenweihfest des katholischen Jünglingsvereins feiern. Ich bitte dich, in deiner gewohnten frischen Weise die Festrede zu halten. Doch in Anbetracht dessen, daß in hiesiger Gegend zum ersten Male seit Menschengedenken ein katholisches öffentliches Volksfest gefeiert wird, hoffe ich, daß du dir endlich ein kriegsgemäßes Äußeres beigelegt hast; denn ich fürchte sonst die losen Münder der sozialdemokratischen Jugend. Die Festrede soll auf dem Turnplatz vor etwa 3000 Menschen steigen. Also sieh dich vor, damit du nicht nur dem Munde, sondern auch deinem Äußeren nach sozial wirkst.“

Das war ein Hieb, der saß! Aber er würde reden ohne Zweifel; er wollte sich kasteien, nichts essen, nur trocken Brot und Tee.

Martha trat ein und deckte den Tisch. Der Pfarrherr nahm ein Buch zur Hand, setzte sich unter die Lampe mit abgewandtem Gesicht. Er erwartete eine wortreiche Rede, in der ihm das Unsinnige seiner Handlung vorgehalten würde: es hülfe doch nichts, er würde nur seiner Gesundheit schaden, die Sachen müßten verderben. Aber nichts von alledem. Schweigsam gegen jede sonstige Gewohnheit verrichtete Martha ihre Arbeit und verließ das Zimmer. Gottwald las weiter. Er hatte keine Sehnsucht nach trockenem Brot. Auf einmal stieg ihm etwas Spickiges aus der Richtung des Eßtisches her in die Nase. – „Nanu?! –“ Es dampfte seinem Gesicht entgegen. – „Wie, wie?“ Er blähte die Nasenflügel mißtrauisch auf, er hatte doch nur Brot verlangt. Roch es nach Gebratenem, dann hatte Martha ihn betrogen. Er würde ihr schellen – damit sprang er auf und wollte rücklings am Eßtisch vorbei, aber der wundersame Geruch zog seine Nase und mit ihr das Gesicht herum und da – „Potztausend – Speckkartoffeln!“ Eine riesige Schüssel Speckkartoffeln, dampfend, pritzelnd, duftend. Er starrte sie zu Tode erschrocken an, als wenn eine Handgranate vor ihm läge, deren Zünder bereits in Brand gesetzt war. Speckkartoffeln! Dieses Weibsbild, diese Martha, eine Verführerin, eine Eva! – Er wehrte mit den Händen ab, es durfte nicht sein, die Festrede, er sollte doch sozial wirken. Seine Augen suchten den Brief seines Freundes, um eine Dosis Widerstandskraft zu gewinnen; aber mit unheimlicher Magie zog es ihn wieder der Schüssel zu. Wie der Dampf schmunzelte, die Spreckgriesen ihn anlachten, die braune Tunke mit den Fettaugen lockte … da, auf einmal „ich pfeife der Festrede“, und dann saß er am Tisch, fältelte die weiße Serviette um den starken Leib und streckte die Gabel nach der dicksten Speckkartoffel oben aus.

Draußen schlug die Gangglocke an. Niemand öffnete. Martha war wie gewöhnlich während des Abendessens in den Keller hinabgestiegen. Herr Matthias Gottwald legte die Gabel wieder hin, schritt auf den Gang hinaus und öffnete die klobige Holztür. Der alte Lautermann hockte vor ihm mit abgestümmelten Gliedern, einem verzottelten Barte und triefenden Bettleraugen:

„Herr, erbarmt Euch eines Armen!“

Pfarrer Gottwald griff in die Tasche.

„Nicht doch“, ächzte der Lautermann, „ich habe Hunger.“

„Hunger hast du“, fast ratlos sah der Pfarrer auf ihn. Doch auf einmal kam ihm ein gesegneter Gedanke. Martha war nicht da. Er stürzte nach seinem Zimmer, griff nach der gefüllten Schüssel, spießte die Gabel oben in die spickigen Kartoffeln ein und trug alles dem Lautermann hin, schob ihm noch einen Stuhl zurecht und eilte in sein Studierzimmer zurück, als wenn er ein Unrecht begangen hätte. – Der betrachtete ganz verwirrt, fast ängstlich um sich blickend, die gefüllte Schüssel Speckkartoffeln; dann aber machte er sich daran wie ein ganz Heißhungriger, aß alle auf, ließ keine übrig und schleckte mit gieriger Zunge höchst appetitlich den Speck aus der Schüssel. Dann trug er sie drüben an die Tür und klopfte:

„Vergelt´s Gott viel tausendmal, Herr Pfarrer! Habt´s doch gut. Ja, ja, wir armen Kerls! In Gottes Namen!“

Stellte die Schüssel auf einen Stuhl und schon eiligst durch den Gang nach der Haustür ab, als ob er das Erscheinen des gestrengen Fräulein Martha fürchtete.

Pfarrer Matthias Gottwald langte die Schüssel inzwischen nach dem Tisch hinüber und betrachtete sie mit einem nassen und einem trockenen Auge. Ja, der Lautermann, der würde nun im Städtchen erzählen, ich äße jeden Abend Speckkartoffeln. Das war der Dank! Er stand auf und sagte dem Freunde in der Kreisstadt die Festrede zu.