Worterklärungen

1 Eine von Pferden gezogene, elegante Kutsche

2 Abendgarderobe, Festkleidung

3 Sockel

4 Lebensmittelladen, Feinkostladen

5 Nachttisch

6 Eine große Kiste aus Holz mit einem Deckel Sie stand in der Küche. Nachts schlief das Dienstmädchen darin und tagsüber benutzte man sie als Arbeitsfläche.

7 (österr.) Januar

8 Ein Kleid aus einem ziemlich durchsichtigen Stoff, den man für elegante Sommerkleider verwendete

9 (österr., schweiz.) Reifeprüfung, Abitur

10 Kommandant-Anwärter

11 Schmutziger Deutscher

12 Hefegebäck

13 Ein kleines, längliches Zimmer

14 Ankleidetisch

15 (südd., österr.) Zimmervermieterin

16 (österr.) Februar

17 Sturmabteilung (im Nationalsozialismus)

18 Sich nach etwas sehnen

19 Engelbert Dollfuß (*1892 †1934), u. a. Österreichischer Bundeskanzler

20 Kurt Alois Josef Johann Edler von Schuschnigg (*1897 †1977), während der Zeit des austrofaschistischen Ständestaates Bundeskanzler von Österreich

21 Während des Austrofaschismus das Zeichen der Österreichischen Republik, 1953 der Staatsflagge gleichgestellt

22 Bürgersteig

23 Eine Organisation, die sich bemühte, für Kinder eine Einreisebewilligung nach Palästina zu bekommen, und ihre Reise dorthin auch finanzierte

24 Tschechoslowakische Republik

25 Schutzstaffel (im Nationalsozialismus)

26 Anlässlich des Chanukkafestes anzuzündende Kerzen

27 Kunststoff
Bevor es Plastik gab, war alles, was heute aus Plastik ist, aus Bakelit.

28 Dieses Jahr, in diesem Jahr, gegenwärtig

29 Respektive: besser gesagt, beziehungsweise

30 Jüdisches Lichterfest, ungefähr um die Weihnachtszeit, wobei acht Tage lang Kerzen angezündet werden, jeden Tag eine mehr (wörtl.: Einweihung)

31 (österr.) Die Reifeprüfung ablegen

32 (österr.) Nachmittagskaffee, den man zwischen 16 und 17 Uhr zu sich nimmt

33 Der Stephansdom am Wiener Stephansplatz

34 Telegramm

35 (südd., österr. ugs.) pauken, büffeln

36 (österr.) Baskenmütze

37 Ein eleganter Stock mit silbernem Knauf

38 Vollendete Tatsache

Stammbaum

Jakob Dannhauser
geb. 1835 in Innsbruck

Rosalie Freudenthal*
geb. 1839 in Posen


Nachkommen

Alfred, geb. 1865 in Innsbruck, verh. mit Uli


Alfred und Uli

Max, geb. 1867 in Innsbruck, verh. mit Elise


Max und Elise

Gabriel, geb. 1894, verh. mit Marcelle

Jacque, Noelle

Simon, Fredie

Jenny, geb. 1869 in Innsbruck, verh. mit Moritz (Beinhacker)

Adele, geb. 1872, in Wien

* Rosalies Schwester: Sofie

Julia, Berlin, Göteborg

Albrecht, Dora, 1900

Grethe, geb. 1874 in Wien, verh. mit Bernhard, Teplitz

Trude, geb. 1896, verh. mit Viktor, 1919; später, 1931, mit Adi**

Daisy (Evi), geb. 1927


Grethe

Trude und Adi

Daisy (Evi)

** Adis Geschwister: Julius, Hanna und Rosa, Wien, und weitere in

Bielitz, Polen

Sohn von Julius: Hans, im 2. Weltkrieg ertrunken

Ernst, geb. 1876 in Wien, verh. mit Klara, Berlin


Ernst

Senta, geb. 1913

Bertha, geb. 1877 in Wien, verh. mit Heinrich


Bertha

Olga, 1898

Kurt, 1900, verh. mit Josephine

John, 1944, London

Hans, 1902

Magda,1906, verh. mit Kurt, Paris

Claude, 1940

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Zu diesem Buch

Vorwort der Autorin

Wien, 13. März 1890

Wien, 3. August 1891

Wien, 8. Mai 1893

Wien, 9. Mai 1893

Wien, 13. August 1893

Mariaschein, 10. November 1894

Mariaschein, 30. November 1897

Mariaschein, 5. Dezember 1897

Mariaschein, 8. Oktober 1902

Mariaschein, 1. November 1902

Mariaschein, 10. Mai 1905

Mariaschein, 30. November 1905

Teplitz-Schönau, 14. April 1907

Teplitz, 3. Dezember 1907

Teplitz, 8. Jänner 1908

Teplitz, 13. Juni 1908

Teplitz, 20. Juni 1908

Lyon, 6. März 1910

Teplitz, 19. Oktober 1911

Teplitz, 26. Jänner 1912

Teplitz, 15. August 1912

Teplitz, 5. März 1913

Berlin, 29. Juni 1913

Feldpostbrief, 19. November 1914

Teplitz, 9. Mai 1915

Feldpostkorrespondenzkarte, 17. August 1915

Teplitz, 20. August 1915

Teplitz, 2. September 1915

Feldpostkorrespondenzkarte, 7. Februar 1916

Teplitz, 23. Mai 1916

Feldpostkorrespondenzkarte, 12. November 1916

Feldpostkorrespondenzkarte, 3. Jänner 1917

Wien, 10. März 1917

Feldpostkorrespondenzkarte, 26. November 1917

Teplitz, 18. Februar 1918

Teplitz, 23. Oktober 1918

Teplitz, 15. November 1918

Wien, 6. Februar 1919

Berlin, 3. März 1919

Teplitz, 10. Juni 1919

Wien, 27. Juni 1919

Teplitz, 23. November 1919

Teplitz, 5. Mai 1920

Wien, 9. September 1920

Wien, 15. Oktober 1920

Wien, 16. März 1921

Wien, 9. November 1921

Wien, 27. April 1922

Wien, 6. Juni 1922

Teplitz, 30. November 1922

Wien, 15. Dezember 1922

Wien, 13. Dezember 1923

Berlin, 9. Mai 1925

Teplitz, 21. Oktober 1925

Wien, 5. März 1926

Wien, 3. April 1926

Wien, 20. Februar 1927

Wien, 3. April 1929

Teplitz, 5. April 1929

Teplitz, 20. Oktober 1930

Abschrift Im Namen der Republik!

Teplitz, 7. Februar 1931

Teplitz, 11. September 1931

Teplitz, 8. Mai 1932

Wien, 18. August 1932

Berlin, 15. August 1933

Wien, 17. September 1933

Wien, 15. Feber 1934

Teplitz, 23. Mai 1934

Teplitz, 6. Juni 1934

Wien, 6. Juni 1934

Wien, 10. Juli 1934

Wien, 27. Juli 1934

Wien, 28. September 1934

Teplitz, 1. Oktober 1934

Wien, 4. Oktober 1934

Wien, 20. September 1936

Wien, 15. November 1936

Teplitz, 2. März 1937

Teplitz, zum 19. Februar 1938

Teplitz, 6. April 1938

Wien, 3. Mai 1938

Lyon, 15. Juni 1938

Wien, 10. Juni 1938

Wien, 30. Juni 1938

Teplitz, 1. Juli 1938

Wien, 18. September 1938

Wien, 20. September 1938

Wien, 1. Oktober 1938

Prag, 12. Oktober 1938

Lyon, 6. November 1938

Telegramme

Wien, 15. November 1938

New York, 19. Dezember 1938

Prag, 30. Januar 1939

Göteborg, 28. Februar 1939

Prag, 17. März 1939

Wien, 20. März 1939

Wien, 23. April 1939

Abschied von Wien

Göteborg, 25. April 1939

Wien, 25 April 1939

Prag, 27. April 1939

Göteborg, 2. Mai 1939

Göteborg, 15. Mai 1939

Berlin, 18. Mai 1939

Göteborg, 28. Mai 1939

Göteborg, 30. Mai, 1939

Wien, 7. Juni 1939

Haifa, 4. Juni 1939

Prag, 9. Juni 1939

Prag, 11. Juni 1939

Tel Aviv, 15. Juli 1939

Göteborg, 4. September 1939

Prag, 13. Oktober 1939

Prag, geschrieben am 13. Oktober, abzugeben am 24. November 1939

Göteborg, 20. September, für den 24. November 1939

Verona, 14. November 1939

Göteborg, 25. November 1939

Göteborg, 15. Jänner 1940

Berlin, 3. Februar 1940

Verona, 19. März 1940

Tel Aviv, 9. April 1940

Göteborg, 15. Mai 1940

Göteborg, 1. Juni 1940

Tel Aviv, 11. Juni 1940

Askerud, Närke, Schweden, 14. Juli 1940

Göteborg, 18. September 1940

Prag, 3. Oktober 1940, zum 24. November

Göteborg, 10. November 1940

Göteborg, 15. Dezember 1940

Bnei-Brak, 15. Jänner 1941, zum 19. Februar

Prag, 12. Februar 1941, zum 19. Februar

Göteborg, 5. März 1941

Bnei-Brak, 8. März 1941

Göteborg, 14. Mai 1941

Göteborg, 22. Juni 1941

Prag, 21. Juli 1941

Göteborg, 2. September 1941

Prag, 12. Dezember 1941

Göteborg, 28. Dezember 1941

Göteborg, 31. Dezember 1941

Prag, 24. März 1942

RASC, Middle East Forces, 16. April 1942

Göteborg, 26. Mai 1942

Prag, 29. Juni 1942

Prag, 16. Juli 1942

Göteborg, 16. Juli 1942

Göteborg, 18. August 1942

Göteborg, 9. September 1942

Göteborg, 29. November 1942

Berlin, 15. Dezember 1942

Göteborg, 26. Dezember 1942

Tiberias, 11. Januar 1943

Göteborg, 13. Februar 1943

Göteborg, 3. März 1943

Army Form B 104-82 (Pal.)

Vejbystrand, 3. August 1943

Göteborg, 29. Oktober 1943

Göteborg, 31. Dezember 1943

Bnei-Brak, 27. Februar 1944

Berlin, 3. April 1944

Vejbystrand, 18. Juni 1944

Bnei-Brak, 18. September 1944

Göteborg, 5. November 1944

Bnei-Brak, 25. November 1944

Göteborg, 26. Dezember 1944

Göteborg, 14. Jänner 1945

Bnei-Brak, 23. Feber 1945

Göteborg, 27. März 1945

Göteborg, 28. April 1945

Göteborg, 10. Mai 1945

Göteborg, 11. Juni 1945

Vejbystrand, 16. Juli 1945

Göteborg, 4. November 1945

Göteborg, 31. Dezember 1945

Kurt Spielmann, London, 20. Jänner 1946

Wien, 22. Feber 1946

An Viktor Bermeiser, Wien

Göteborg, 12. März 1946

Göteborg, 15. März 1946

Göteborg, 7. April 1946

Bnei-Brak, 25. Mai 1946

Epilog

Worterklärungen

Stammbaum

Daisy Koeb

Liebste Mama

Die Geschichte einer Familie

Mariposa Verlag Berlin

Zu diesem Buch

Daisy Koeb wurde 1927 in Wien geboren. Wie viele jüdische Kinder musste sie im Frühjahr 1939 ihre Heimat verlassen. Die Eltern schickten sie nach Schweden, um sie vor den Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen. Ihnen selbst gelang es kurz darauf, illegal nach Palästina auszuwandern. Erst am 23. Mai 1946 sahen sich Mutter und Tochter im Hafen von Haifa wieder. Die übrige Familie ist in alle Winkel der Erde zerstreut worden, viele Verwandte sind in Konzentrationslagern umgekommen.

Was blieb, waren Briefe, in denen sich das Schicksal der Autorin und das der ihr nahestehenden Menschen widerspiegelt. Es sind sehr persönliche Zeilen aus den Jahren 1890 bis 1946, die Daisy Koeb veröffentlicht hat. Sie zeigen, wie der Wunsch der Familie, ein ganz normales Leben zu führen, zunehmend erschwert und während der Kriegsjahre und des Terrors der Nationalsozialisten schließlich gänzlich zunichte gemacht wird. Doch es gibt auch die unerschütterliche Hoffnung, die insbesondere die junge Evelyn – kurz Evi –, wie die Autorin sich im Buch nennt, immer wieder auszudrücken vermag.

Daisy Koeb lebt heute in Rishon-Lezion, Israel. Die Originaldokumente befinden sich in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem.

Vorwort der Autorin

Als ich vor einigen Jahren pensioniert wurde, machte ich es mir zu einer meiner ersten Aufgaben, endlich in alten Papieren und Dokumenten Ordnung zu schaffen. Dabei fielen mir Briefe in die Hände, die meine Eltern mir während des Krieges aus dem damaligen Palästina geschrieben hatten, aber auch solche, die ich ihnen geschrieben hatte, sowie Briefe meiner Großmutter an mich oder an meine Eltern und einige Briefe von Geschwistern meiner Großmutter und Geschwistern meines Vaters.

Einige Tage später hatte ich die Briefe gelesen. Es fällt mir schwer zu schildern, was während des Lesens in mir vorging: Ich weiß nur, wie aufgewühlt ich war. Und nun stand ich vor einem Dilemma: Was sollte ich tun mit den Briefen, in denen sich mein eigenes und das Schicksal mir nahe stehender Menschen während solch schwerer Zeiten widerspiegelte?

Meine Kinder sprechen zwar Deutsch, aber ich wusste, dass sie nicht imstande sein würden, die verschiedenen Handschriften zu lesen; meine Großmutter schrieb meist noch Kurrent. Sie würden die Briefe wahrscheinlich eines Tages einfach wegwerfen. Sollte ich dies vielleicht schon selber tun, oder gab es eine Möglichkeit, die Geschichte unserer Familie in einer Form zu erhalten, die sie auch meinen Kindern zugänglich machen würde?

Und so entstand dieses Buch. Aus den Erzählungen meiner Großmutter und ihrer Geschwister während meiner Kindheit, aus den Berichten meiner Mutter, aus den Briefen der Kriegsjahre und aus Aufzeichnungen in den Tagebüchern meiner Kindheit und Jugend webte ich die Geschichte derer, die mit mir so unendlich eng verbunden waren und von denen keiner mehr am Leben ist. Es ist auch meine eigene Geschichte.

Daisy Koeb

Epilog

Grethes ältester Bruder, Alfred, der im Alter von über siebzig Jahren nach New York kam, arbeitete mehr als zehn Jahre in einer Fabrik und legte sich Malen als Hobby zu. Er starb 1957, seine Frau Uli folgte ihm 1962.

Alfreds taube Tochter, Susi, heiratete. Sie wurde 1983 überfahren und erlag ihren Verletzungen.

Susis Schwester, Ditti, war jahrelang Einkäuferin für ein renommiertes New Yorker Modehaus. Sie starb Anfang der sechziger Jahre.

Max’ Enkelkinder, Jacques und Noelle, leben in Lyon, seine Urenkel in Lyon, London, Sidney und Berlin. Es gibt auch zehn Ururenkel.

Bertha starb 1962 in Schweden. Ihre Tochter Olga folgte ihr 1972 und Magda, die in Paris lebte, 1994. Magdas Sohn Claude ist in Paris verheiratet und die Nachkommen von Berthas Sohn Kurt leben in England.

Clara, die Witwe von Ernst, verschwand spurlos gegen Ende des zweiten Weltkrieges. Alle Nachforschungen verliefen erfolglos und es ist anzunehmen, dass sie bei einem Luftangriff auf Berlin ums Leben kam. Durch das Rote Kreuz kam die Nachricht, dass ihre Tochter Senta an Tuberkulose gestorben war.

Adis Geschwister kamen fast alle im Holocaust um. Nur sein Bruder Julius lebte noch bis 1954 in New York.

Trude arbeitete bis zum Alter von 72 Jahren als Physiotherapeutin bei der israelischen allgemeinen Krankenkasse. Sie heiratete 1954 ein drittes Mal und verwitwete 24 Jahre später. Erst mit 92 Jahren ging sie in ein Altenheim, wo sie 1994, mit fast 98 Jahren, starb.

„Evelyn“ heiratete schon 3 Monate, nachdem sie nach Palästina kam. Sie studierte und arbeitete anschließend 30 Jahre lang als Englischlehrerin an einer Schule, danach noch viele Jahre ehrenamtlich. Sie verwitwete 1992, hat eine Tochter, zwei Enkelkinder und zwei Urenkel.

Wien, 15. November 1936

Liebste Mama, liebstes Adelchen!

Gestern zogen wir in unsere neue Behausung in der Baumgasse ein, und jetzt kommt mir erst so recht zu Bewusstsein, wie eng alles in der Kollergasse war. Außerdem hatte ich dort schon keine ruhige Minute mehr, seit vor einigen Wochen der Boden des Badezimmers, kurz nachdem Adi es verlassen hatte, einstürzte und ein Stockwerk tiefer landete. Ich schrieb Euch nichts davon, weil ich Euch nicht aufregen wollte. Wäre Adi noch im Bad gewesen, hätte er sich den Hals brechen können. Wir mussten die Feuerwehr holen, die den Raum mit Balken stützte und die Tür versiegelte, so dass wir nicht mehr hinein konnten.

Hier haben wir zwei schöne, große Zimmer, eine Küche, ein Vorzimmer und ein Badezimmer. Die Hauptmieter, Herr und Frau Storfer, bewohnen ein drittes Zimmer und haben sich aus dem Kabinett eine zweite Küche gemacht. Die Hausmeisterin stammt zufälligerweise aus Teplitz und ist vielleicht deshalb sehr nett zu mir.

Wir wohnen wieder im 3. Bezirk, etwas entfernter vom Ring, aber noch immer zentral genug. Evi wird weiter jeden Nachmittag mit ihren Freundinnen im Stadtpark spielen können. Was ihr weniger gut gefällt ist, dass sie in eine andere Schule gehen muss. Noch dazu ist sie hier die einzige Jüdin in der Klasse, was mir ein bischen Angst macht. Das führt auch mit sich, dass ihr Religionsunterricht gemeinsam mit den jüdischen Kindern anderer Schulen am Nachmittag stattfindet. In der Löwengasse gab es viele jüdische Schülerinnen. Hoffentlich wird sie sich in der Schule wohlfühlen.

Es wird einige Tage dauern, bis alle Kisten leer und die Schränke voll sein werden. Ich habe noch enorm viel zu tun, wollte Euch aber nicht ohne Nachricht lassen. Beim Schreiben ruhe ich mich auch aus, und ein Plauderstündchen mit Euch ist immer erfrischend.

Seid umarmt von
Euerer Trude

Teplitz, 2. März 1937

Liebes Berterl!

Trude schrieb uns schon, dass Magda nach Paris gefahren ist, so dass uns Dein Brief nicht als Überraschung kam. Es tut sowohl Adele wie mir sehr leid, dass Du so unglücklich darüber bist, doch kann ich Dich verstehen. Ich war ja auch ganz außer mir, als die Kinder nach Palästina gehen wollten. Andererseits aber hat Magda dort die Gelegenheit, endlich in ihrem Beruf als Kindergärtnerin zu arbeiten, und wer weiß, vielleicht wird es ihr möglich sein, sich in Frankreich ein besseres Leben aufzubauen als in Österreich. Auch ist Paris nicht gar zu weit von Wien entfernt, und Ihr werdet einander hoffentlich oft besuchen können.

Vor Kurzem kam ein Brief von Max, in welchem er schreibt, dass seine Gesundheit sehr zu wünschen übrig lässt. Wenn er, dessen Briefe sonst immer voller Humor sind, das zugibt, muss es ernst sein, und wir machen uns große Sorgen um ihn. Vielleicht kannst Du Alfred fragen, was er darüber weiß? Es ist anzunehmen, dass Max ihm Näheres geschrieben hat.

Die Kinder fühlen sich in der neuen Wohnung wohl, worüber Du noch besser Bescheid wissen wirst als wir. Aber leider hat Evi ihre Schule nicht gern, und Trude meint, dass sie ihr sogar Angst einjagt. Besonders die Handarbeitslehrerin hat an dem Kind so viel auszusetzen, dass Evi jeden Mittwoch früh erbricht; an diesem Tag hat sie eine doppelte Handarbeitsstunde. Natürlich stellt sie sich dann ungeschickt an.

Alles Liebe,
Deine treue Grethe

Teplitz, zum 19. Februar 1938

Vielgeliebtes Kleinchen,

liebstes Evileinchen!

Dass die Aufschrift ich gewählt,
Ist ’ne Keckheit ohnegleichen;
Denn ich dürft’, wie man erzählt,
Kaum Dir bis zur Schulter reichen!
Doch Du wirst es mir verzeih’n,
Mir, die in vergang’nen Tagen
Dich, mein gutes Evilein,
Auf den Armen rumgetragen!
Ob ich in den Schlaf Dich sang,
Oder später Mär um Märe
Dir erzählte stundenlang,
S’ist mir, als ob’s heute wäre;
Auch wie ich mit Dir getollt,
Scheinbar erst verlor die Puste,
Wenn Du fangen mich gewollt,
Somit mich ergeben musste;
Seh noch niemals finden Dich,
Wenn Du Dich beim Spiel versteckt hast!
Dass Du geistig, körperlich,
Dich indes enorm gestreckt hast,
Das hatt’ ich im Rückblick hold
Für den Augenblick vergessen,
Doch nun sei Dir Ehr’ gezollt,
Deiner Reife angemessen!
Die Du kaum elf Jahre buchst
Und mit ausgesproch’ner Neigung
Heut schon mutig Dich versuchst
In der Pegasusbesteigung,
Pfuschst mir arg ins Handwerk zwar,
Doch das soll mich nicht verdrießen,
Möcht’ im Gegenteil sogar
Deinen Aufstieg mit genießen,
Möcht’ als flotte Reit’rin Dich
Jenes Flügelrössleins seh’n,
Das, regiert ganz meisterlich,
Gern Dich trägt in lichte Höh’n!
Doch voran wünsch ich Dir jetzt,
Dass Dein Leben kummerfrei
Und von nun an bis zuletzt
Eine heit’re Dichtung sei!

1000 Geburtstagsküsse,
Adele

Teplitz, 6. April 1938

Liebste Ulla!

Vor genau einem Monat fuhr ich nach Wien, um mir endlich die neue Wohnung der Kinder anzuschauen. Dadurch wurde ich Augenzeugin des Einmarsches der deutschen Truppen und des jubelnden Empfangs, den die Wiener Hitler bereiteten.

Ich kann Dir mein Entsetzen kaum schildern! Als Ihr nach Schweden übersiedeltet, schriebst Du mir, dass Ihr Euch in Berlin nicht bedroht gefühlt und es nur auf Albrechts ausgesprochenes Drängen hin verlassen hattet. Ach, wie gut habt Ihr daran getan! Wie glücklich wäre ich, die Kinder nicht mehr in Wien zu wissen! Wie bitter bereue ich, sie von der Emigration nach Palästina abgehalten zu haben!

Für Juden ist Wien eine Stätte des Grauens geworden. Sie werden auf den Straßen zusammengefangen und gezwungen, die Krukenkreuze21 und Aufrufe der Schuschnigg-Regierung, die auf Mauern und Trottoire22 gemalt sind, wegzureiben. Dazu müssen sie sich niederknien und die Hände in scharfe Lauge tauchen, was schwere Verbrennungen verursacht. Die Wiener stehen daneben und erfreuen sich des Schauspiels. Sie verspotten die Leute, lachen, spucken sie an und versetzen so manchem alten Mann auch noch einen Fußtritt. Viele der Juden werden dann auf Lastwagen geladen und manche verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Ich zittere, wenn ich an Adi denke!

Auch jüdische Frauen und Kinder werden verspottet, belästigt und sogar verprügelt. Ich war außer mir, als ich sah, wie Evi sich an den Wänden entlangschlich, wenn sie doch einmal auf die Straße musste. An allen Litfaßsäulen sind Hetzplakate vom „Stürmer“ angeschlagen, und die Leute stehen davor und amüsieren sich köstlich. Es will mir nicht in den Kopf, dass sich die Wiener so benehmen!

Auch in den Wohnungen sind die Juden nicht sicher. SA-Männer brechen oft mitten in der Nacht ein und verschleppen Familienmitglieder. Bis jetzt sind meine Kinder wie durch ein Wunder verschont geblieben, aber wie lange noch? Wie dem Adi schon längst, ist jetzt jedem klar, dass ein Jude unter Hitler keine Bleibe hat, doch wohin sollen die Menschen gehen?

Schon um vier Uhr früh bilden sich lange Schlangen vor ausländischen Konsulaten, jedoch will kein Land die armen Juden hereinlassen; so kann nicht einmal Trude, die doch in der Tschechoslowakei geboren wurde und viele Jahre tschechische Staatsbürgerin war, die Rückreisebewilligung hierher bekommen. Ich kann vor Angst und Aufregung kein Auge schließen, und die schlaflosen Nächte machen mich krank.

Wien ist ein Meer von Hakenkreuzfahnen, die wie Riesenspinnen im Wind flattern. Schulen und Betriebe sind geschlossen und die Wiener flanieren am Ring, so wie wir es in unserer Jugend taten, wenn es etwas zu feiern gab. Warf ich wirklich jemals Veilchen in des Kaisers Kutsche auf dieser selben Ringstraße? Das muss in einem anderen Leben gewesen sein, in einer anderen Welt!

Deine unglückliche Kusine Grethe

Wien, 3. Mai 1938

Liebste Mama, liebstes Adelchen!

Heute habe ich Euch leider etwas Unerfreuliches mitzuteilen: Evi liegt im St.-Annen-Kinderspital; sie hat Scharlach. Gestern, mitten am Vormittag, läutete es plötzlich an der Tür, und als ich öffnete, stand das Kind da und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sie glühte wie ein Backofen und war ganz verwirrt durch das hohe Fieber. Es ist das reinste Wunder, dass sie in diesem Zustand aus der Schule nach Hause fand. Ich kann nicht begreifen, wie man sie ohne Begleitung weggehen lassen konnte.

Wir waren in einem furchtbaren Dilemma! Ihr werdet verstehen, wie schwer es uns fiel, Evi unter den herrschenden Umständen ins Spital zu schicken. Doch sonst wäre das Krankenzimmer versiegelt und ich mit dem Kind isoliert worden, an der Wohnungstür hätte man eine Warnungstafel angebracht. Ich glaube, die anderen Parteien hätten uns gelyncht! Wir zittern auch jetzt, dass noch jemand im Haus Scharlach bekommt und man uns als Juden beschuldigt, die Krankheit eingeschleppt zu haben. Es kamen Leute vom Gesundheitsamt und desinfizierten die Wohnung und das Stiegenhaus. Ich hoffe, dass das die Mieter beruhigt.

Ich kann nur hoffen, dass man Evi ebenso treu pflegen wird wie ein nichtjüdisches Kind, denn Ärzte und Schwestern müssen doch auch Menschen sein. Ich wollte, ich hätte mein Mäderl schon wieder bei mir!

Euere Trude

Lyon, 15. Juni 1938

Liebe Grethe, liebe Adele!

Da es mir schwer fiel, die Gräuelnachrichten in den hiesigen Zeitungen über Wien zu glauben, hab ich mich aufgesetzt und bin hingefahren, um mich selbst von der Wahrheit zu überzeugen. Es hat mich ja auch zu Alfred und Bertha gezogen, denn so jung werden wir nicht mehr zusammenkommen. Fast sofort aber wandte sich der Gast mit Grausen, und deshalb bin ich schon wieder zu Hause in Lyon. Die Wirklichkeit in Wien übertrifft an Brutalität leider alles, was ich vorher darüber gehört hatte. Je weniger ich Euch über das Leben der armen Juden dort erzähle, desto besser!

Trude hat mich gebeten, beiliegenden Brief an Euch weiterzuleiten, um die Zensur zu umgehen. Mir geht es gesundheitlich nicht gerade großartig, aber ich werd mich schon durchwursteln.

Gehabt Euch wohl!
Max

Wien, 10. Juni 1938

Liebste Mama, liebstes Adelchen!

Max hat versprochen, Euch diesen Brief von Lyon zu schicken, sobald er hinkommt. Wir alle freuen uns so sehr über seinen Besuch und wollten, er bliebe länger, doch kann ihm niemand verdenken, dass es ihn von hier wegtreibt.

Uns ist sehr traurig zumute! Gestern hat sich ein guter Freund aus dem Fenster gestürzt und war, zu seinem Glück, gleich tot; er hat Frau und zwei Kinder zurückgelassen.

Der Vater von Evis Freundin Vera, der Frauenarzt, wurde kürzlich verhaftet und nach Dachau geschickt. Er ist Jude, seine Frau Katholikin; wir haben beide sehr gern. Vor einigen Tagen traf ich sie auf der Landstraße. Sie ging wie eine Schlafwandlerin und die Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie mir erzählte: „Gerade hat mich meine Mutter hinausgeworfen, weil ich mich nicht scheiden lassen will. Mein Bruder hat mich angespuckt!“ Dabei hat ihr Mann die ganzen Jahre hindurch die Familie unterstützt und war ihnen ein guter Schwiegersohn und Schwager.

Paul Jäger, dem Sohn Eurer Kusine Helene, wurden in Dachau Tuberkelbazillen injiziert. Dann durfte er nach Hause gehen, wo er eine Woche später starb.

Frau Müller, die Du, Mama, bei uns kennen gelernt hast, bekam aus Dachau eine Urne mit der Asche ihres Mannes per Post zugeschickt: Er sei an Lungenentzündung gestorben. Sie musste das Porto bezahlen!

Ihr könnt Euch sicher die hier herrschende Atmosphäre vorstellen. Meldungen und Gerüchte fliegen hin und her: Dem sei das passiert, jenem jenes; die Deutschen hätten vor, heute so zu handeln, morgen wieder anders; beim chinesischen Konsulat wären Visen zu bekommen; nein, die Chinesen gäben keine Einreisebewilligung mehr. Es ist zum Verrücktwerden!

Natürlich will jetzt jeder hinaus, ganz egal wohin. Nur will uns leider kein Land aufnehmen! Man kann angeblich ein Visum nach Shanghai und in einige südamerikanische Länder für sehr viel Geld kaufen, doch auch das soll mit Schwierigkeiten verbunden sein. Adi rennt sich die Füße ab, damit wir nach Palestina einreisen könne – wenn nicht legal, dann eben illegal –, und hat uns jedenfalls für einen solchen Transport angemeldet. Wir haben uns auch um ein Visum nach England bemüht, Adi als Butler und ich als Köchin, aber unser Ansuchen wurde abgelehnt. Die Vereinigten Staaten kommen nicht in Frage, denn mit dem dort herrschenden Quotensystem, das nach Geburtsländern geht, käme Adi, der doch in Polen geboren ist, noch jahrelang nicht an die Reihe. Einfach zu versuchen, illegal über die Grenze zu fliehen, scheint uns mit Evi zu gefährlich. Außerdem riskiert man, dann wieder zurückdeportiert zu werden. Manchen gelingt es! So sind z. B. Dr. Emil Popper und seine Frau von Belgischen Freunden in einem Koffer über die Grenze geschmuggelt worden und sind jetzt in Brüssel.

Um wenigstens Evi in Sicherheit zu bringen, haben wir sie bei der israelitischen Kultusgemeinde für einen Kindertransport ins Ausland angemeldet, da verschiedene Länder angeblich Kinder aufnehmen. Natürlich würden wir sie nur dann allein wegschicken, wenn alle Stricke reißen. Doch vor allem muss das Kind erst gesund aus dem Spital kommen.

Gott sei Dank geht es ihr ja schon besser! Seit gestern liegt sie in der Abteilung für Genesende und die Ärzte sagten mir, dass das Ärgste vorbei sei. Wenn es nur zu keinen Komplikationen kommt! Ich hoffe, dass die Kinder, welche doch in dieser Abteilung nicht mehr so apathisch wie Schwerkranke sind, nicht entdecken, dass Evi Jüdin ist, und sie in Ruhe lassen.

Die Besuchstage sind eine Qual, so sehr wir sie auch herbeisehnen. Der Hof des Spitals ist voller Eltern, die alle auf die geschlossenen Fenster starren, hinter denen die Kinder stehen. Es vergehen immer einige kostbare Minuten, bevor wir Evi entdecken. Dann entwickelt sich ein Frage-und Antwortspiel in der Zeichensprache zwischen ihr und Adi. Ich kann da nicht mithalten, denn ich habe diese „Stummerlsprache“ nie erlernt und bin außerdem viel zu aufgeregt, um mich darauf konzentrieren zu können. Das Kind ist so abgemagert und schaut so elend aus, dass ich mich nur danach sehne, sie endlich wieder in die Arme schließen zu können. Dazu kommt die Angst, man könnte erkennen, dass wir Juden sind und uns – im besten Fall – vom Hof jagen. Neben uns stehen oft Väter in SA-Uniform. Ich weiß, dass Adi sich jedes Mal zitternden Herzens auf den Weg dahin macht, aber er spricht nicht über die Gefahr und würde sich den Besuch nicht nehmen lassen. Wenn ich ihn bitte, doch zu Hause zu bleiben, erinnert er mich stets daran, dass ja nur er sich mit Evi verständigen kann. Wäre das Kind nur schon wieder bei uns!

Ihr Lieben, ich bin ja so froh, dass Ihr das in der Tschechoslowakei nicht mitmachen müsst. Meine Sehnsucht nach Euch ist unendlich!

In inniger Liebe,
Eure Trude

Wien, 30. Juni 1938

Liebstes Greterl, liebstes Adelchen!

Gestern erhielt ich einen Brief von Magda. Sie wird bald heiraten! Ihrem Schreiben nach hat sie sich die Sache sehr lange überlegt, da der junge Mann um ein Jahr jünger ist als sie. Trude, der sie sich brieflich anvertraut hatte, machte ihr aber Mut und so gab sie ihr Jawort. Gebe Gott, dass mein Kind endlich ein wenig Glück im Leben hat!

Ihr Verlobter, Kurt Hirsch, ist auch Flüchtling, stammt aber aus Deutschland und ist schon seit 1933 in Paris. Ich weiß nicht, was er beruflich macht, doch scheint er regelmäßig zu verdienen. Magda verließ ja leider sehr schnell den Posten, der sie nach Frankreich lockte. Man hatte ihr Arbeit als Kindergärtnerin zugesagt, doch verwendete man sie einfach als Dienstmädchen. Jetzt ist sie Gouvernante bei einem kleinen Mäderl.

Kurt und Josephine gelang es vor drei Tagen, nach England abzureisen. Gute Freunde verschafften ihnen eine Stellung als Butler und Köchin auf einem Gut. Ich bin glücklich, sie in Sicherheit zu wissen, obwohl ich sie sehr vermisse. Auch Olga, meine Stütze seit jeher, soll Wien in zwei Wochen verlassen. Ich darf gar nicht daran denken, so weh tut mein Herz bei dem bloßen Gedanken! Sie hat mit Hilfe der hiesigen evangelischen Gemeinde die Einreisebewilligung nach Schweden bekommen und wird in der Nähe von Göteborg als Dienstbote arbeiten. Bald werde ich ganz allein sein.

Alfred und Uli wollen mit Susi in die Vereinigten Staaten, doch nehme ich an, dass sie Euch das schon selbst geschrieben haben. Habt Ihr je gewusst, dass Ulis Eltern einige Jahre in New York lebten und sie eigentlich dort auf die Welt kam? Obwohl Uli als ganz kleines Kind wieder nach Wien zurückkehrte, ist sie durch ihre Geburt dort amerikanische Staatsbürgerin, und daher wurde der ganzen Familie die Einreise bewilligt. Sonst hätten so alte Leute gar keine Chance, von Behinderten wie Susi überhaupt nicht zu reden. Ditti und Paul sind seit einem Monat in Uruguay.

Wir sind alle glücklich, dass Evi morgen endlich aus dem Spital entlassen werden soll. Sie hat uns wirklich große Sorgen gemacht. Jetzt soll es nur auch Truderl und Adi gelingen, sich und das Kind bald in Sicherheit zu bringen. Trude sagte mir, ihr versuchtet alles, um für alle drei eine Einreiseerlaubnis in die Tschechoslowakei zu bekommen. Hoffentlich werden Euere Anstrengungen bald mit Erfolg gekrönt.

Ich habe noch viel für Olgas Abreise vorzubereiten, auch will ich Evi einen Kuchen zum Empfang backen. Deshalb mache ich für heute Schluss.

Seid innigst umarmt von
Eurer treuen Schwester Bertha

Teplitz, 1. Juli 1938

Liebstes Evileinchen!

Gottlob, dass Du wieder daheim bei Deinen guten Eltern und auf dem Wege der Besserung bist. Meine heutigen Zeilen sollen Dich willkommen heißen. Wäre ich bei Euch gewesen, dann hätte ich Kränze an die Türe gewunden; so kann ich es nur im Geiste tun.

Nun heißt es, das Versäumte in Bezug auf tüchtig Schnabulieren nachzuholen, damit Du bald wieder das kräftige und stämmige Mädel wirst, das Du vor der bösen Krankheit gewesen bist. Ach, könnten wir Dich nur schon bei uns haben, wir würden Dich gewiss ordentlich aufpäppeln!

Gestern ist Deine Omi aus Prag zurückgekehrt. Sie hatte dort leider nur Anstrengungen, Laufereien etc. und müsste jetzt wirklich vierzehn Tage ausspannen und sich ihrer Erholung widmen. Aber sie findet doch keine Ruhe, ehe sie Euch bei sich weiß. Möge es ihr nur gelingen!

Du hast ja so viel mitgemacht, mein armes Haserl, aber sei getrost, jetzt wird mit Gottes Hilfe alles wieder gut werden. Es kann nicht immer so bleiben, denn auf Regen folgt Sonnenschein! Heute früh sind wir durch ein tüchtiges Donnerwetter geweckt worden, und es goss in Strömen; jetzt sitze ich hier bei strahlender Sonne: Das beweist die Richtigkeit des Sprichwortes! So geht es auch im Leben, darum verlier nur nicht die Hoffnung und den Mut.

Omi ist in der Stadt, und wenn sie zurückkommt, wird sie gewiss anschreiben wollen. Ich sende Dir einen innigen Genesungskuss.Grüße Mutti und Papi, Tante Bertha und Olga und sei herzlich umarmt von

Deiner Adele

Mein liebes Mädi!

Natürlich will ich auch ein wenig mit Dir plaudern, obwohl ich gerade erst an Deine Eltern geschrieben habe. Ich schließe mich dem Wunsch der lieben Adele an, Dich recht bald ganz gesund zu wissen. Nur tüchtig essen, so wie früher, damit du wieder unser fesches, strammes Mädi wirst. Je schneller Du gesund wirst, desto rascher werden wir uns sehen. Hast Du viel Besuch? Hoffentlich hast Du keine großen Schmerzen mehr! Liest Du noch viel? Ich freue mich immer so sehr, wenn ich von Dir selbst Nachricht bekomme.

Also recht gute Besserung wünscht Dir
Deine Omi

Wien, 18. September 1938

Liebste Mama, liebstes Adelchen!

Leider gibt es nichts Neues zu berichten. Überall läuft man gegen geschlossene Türen, lebt aber von einer ungewissen Hoffnung. Alle Transporte, die bis jetzt nach Palästina gingen, waren voll belegt und niemand weiß, wann wieder einer gehen soll. Auch mit Kindertransporten herrscht Ungewissheit. Und was Evis Ausreise nach England betrifft, wo sie schon einen Platz in einem Kinderheim zugesichert hatte, so kam jetzt eine Verordnung heraus, dass für jedes Flüchtlingskind hundert englische Pfunde hinterlegt werden müssen. Damit fällt auch dieser Plan ins Wasser. Wir hatten ein Angebot durch die israelitische Kultusgemeinde, Evi von einer Familie in Belgien adoptieren zu lassen. Die Leute haben ihr Photo gesehen und wollen sie gern haben. Selbstverständlich kommt Adoption nicht in Frage! Trotz allem lassen wir den Kopf nicht hängen, irgendeine Lösung wird sich schon ergeben.

Vorgestern begann das neue Schuljahr, und alle jüdischen Kinder wurden in speziellen Schulen konzentriert. Dadurch hat Evi einen etwas längeren Schulweg, traf aber zu ihrer Freude wieder mit ihren Freundinnen aus der Löwengasse zusammen. Ich glaube ja nicht, dass es zu einem normalen Unterricht kommen wird, da in den Klassen ein ständiges Kommen und Gehen herrscht.

Evis Freundin fuhr vor einigen Wochen in die Schweiz. Da sie ein Mischling ist, hatte sie in der Schule viel von Seiten der Mitschüler und Lehrer auszustehen, bis ihre Mutter sie mit einer Gruppe evangelischer Kinder wegschickte. Und dann, vor zwei Tagen, erschien sie plötzlich wieder. Man hatte sie in einer Familie untergebracht, in der sowohl der Pflegevater wie seine Frau blind waren. Das arme Kind war so unglücklich, dass es sich einfach in den Zug setzte und nach Wien zurückfuhr.

Dies bestärkte meinen Vorsatz, Evi wenn möglich in ein Heim und nicht zu einer Familie zu schicken. Besser, sie wäre eine unter vielen, als der Willkür irgendwelcher fremden Menschen ausgesetzt. Leider, leider, hängt das nicht nur von uns ab, und wir müssen die erste Gelegenheit ausnutzen, sie im Ausland unterzubringen. Wäre es doch schon so weit!

Adis Bruder Julius ist mit seiner Frau über die Grenze nach Italien geflüchtet, sie haben inzwischen in Verona Unterkunft gefunden. Ihr ältester Sohn blieb in der Schweiz, wo er zufällig auf Skiurlaub war, als die Deutschen in Österreich einmarschierten. Dem zweiten Sohn gelang es, sich illegal nach Palästina einzuschmuggeln, und die Tochter landete in England. Wenigstens eine Familie, die sich in Sicherheit bringen konnte! Rosa und Hanna und deren Männer bemühen sich ja auch auszuwandern, leider bis jetzt, so wie bei uns, ohne Erfolg. Doch konnte Rosas sechzehnjähriger Sohn mit Hilfe der Jugendaliyah23 nach Palästina kommen und lebt dort in einem Kibbutz.

Es tut uns leid, Mama, dass Du unseretwegen so viel Laufereien und Aufregungen hast. Dabei fürchte ich, dass uns die Tschechen am Ende doch nicht hineinlassen werden. Sie haben im Moment mit dem Problem des Sudetenlandes alle Hände voll zu tun. Adi und Evi lassen Euch innigst grüßen.

Seid umarmt von
Eurer Trude

Wien, 20. September 1938

Liebste Mama, liebstes Adelchen!

In aller Eile nur diese Karte, um Euch mitzuteilen, dass Evi jetzt legal von Adi adoptiert werden konnte. Der Vertrag wurde gestern „pflegschaftsbehördlich bestätigt und genehmigt“.