1 Eine von Pferden gezogene, elegante Kutsche
2 Abendgarderobe, Festkleidung
3 Sockel
4 Lebensmittelladen, Feinkostladen
5 Nachttisch
6 Eine große Kiste aus Holz mit einem Deckel Sie stand in der Küche. Nachts schlief das Dienstmädchen darin und tagsüber benutzte man sie als Arbeitsfläche.
7 (österr.) Januar
8 Ein Kleid aus einem ziemlich durchsichtigen Stoff, den man für elegante Sommerkleider verwendete
9 (österr., schweiz.) Reifeprüfung, Abitur
10 Kommandant-Anwärter
11 Schmutziger Deutscher
12 Hefegebäck
13 Ein kleines, längliches Zimmer
14 Ankleidetisch
15 (südd., österr.) Zimmervermieterin
16 (österr.) Februar
17 Sturmabteilung (im Nationalsozialismus)
18 Sich nach etwas sehnen
19 Engelbert Dollfuß (*1892 †1934), u. a. Österreichischer Bundeskanzler
20 Kurt Alois Josef Johann Edler von Schuschnigg (*1897 †1977), während der Zeit des austrofaschistischen Ständestaates Bundeskanzler von Österreich
21 Während des Austrofaschismus das Zeichen der Österreichischen Republik, 1953 der Staatsflagge gleichgestellt
22 Bürgersteig
23 Eine Organisation, die sich bemühte, für Kinder eine Einreisebewilligung nach Palästina zu bekommen, und ihre Reise dorthin auch finanzierte
24 Tschechoslowakische Republik
25 Schutzstaffel (im Nationalsozialismus)
26 Anlässlich des Chanukkafestes anzuzündende Kerzen
27 Kunststoff
Bevor es Plastik gab, war alles, was heute aus Plastik ist, aus Bakelit.
28 Dieses Jahr, in diesem Jahr, gegenwärtig
29 Respektive: besser gesagt, beziehungsweise
30 Jüdisches Lichterfest, ungefähr um die Weihnachtszeit, wobei acht Tage lang Kerzen angezündet werden, jeden Tag eine mehr (wörtl.: Einweihung)
31 (österr.) Die Reifeprüfung ablegen
32 (österr.) Nachmittagskaffee, den man zwischen 16 und 17 Uhr zu sich nimmt
33 Der Stephansdom am Wiener Stephansplatz
34 Telegramm
35 (südd., österr. ugs.) pauken, büffeln
36 (österr.) Baskenmütze
37 Ein eleganter Stock mit silbernem Knauf
38 Vollendete Tatsache
Jakob Dannhauser
geb. 1835 in Innsbruck
Rosalie Freudenthal*
geb. 1839 in Posen
Nachkommen
Alfred, geb. 1865 in Innsbruck, verh. mit Uli
Alfred und Uli
Ditti, geb. 1894 in Wien, verh. mit Paul
Susi, geb. 1906 in Wien
Max, geb. 1867 in Innsbruck, verh. mit Elise
Max und Elise
Gabriel, geb. 1894, verh. mit Marcelle
Jacque, Noelle
Simon, Fredie
Jenny, geb. 1869 in Innsbruck, verh. mit Moritz (Beinhacker)
Adele, geb. 1872, in Wien
* Rosalies Schwester: Sofie
Julia, Berlin, Göteborg
Albrecht, Dora, 1900
Grethe, geb. 1874 in Wien, verh. mit Bernhard, Teplitz
Trude, geb. 1896, verh. mit Viktor, 1919; später, 1931, mit Adi**
Daisy (Evi), geb. 1927
** Adis Geschwister: Julius, Hanna und Rosa, Wien, und weitere in
Bielitz, Polen
Sohn von Julius: Hans, im 2. Weltkrieg ertrunken
Ernst, geb. 1876 in Wien, verh. mit Klara, Berlin
Ernst
Senta, geb. 1913
Bertha, geb. 1877 in Wien, verh. mit Heinrich
Bertha
Olga, 1898
Kurt, 1900, verh. mit Josephine
John, 1944, London
Hans, 1902
Magda,1906, verh. mit Kurt, Paris
Claude, 1940
Cover
Titel
Impressum
Zu diesem Buch
Vorwort der Autorin
Wien, 13. März 1890
Wien, 3. August 1891
Wien, 8. Mai 1893
Wien, 9. Mai 1893
Wien, 13. August 1893
Mariaschein, 10. November 1894
Mariaschein, 30. November 1897
Mariaschein, 5. Dezember 1897
Mariaschein, 8. Oktober 1902
Mariaschein, 1. November 1902
Mariaschein, 10. Mai 1905
Mariaschein, 30. November 1905
Teplitz-Schönau, 14. April 1907
Teplitz, 3. Dezember 1907
Teplitz, 8. Jänner 1908
Teplitz, 13. Juni 1908
Teplitz, 20. Juni 1908
Lyon, 6. März 1910
Teplitz, 19. Oktober 1911
Teplitz, 26. Jänner 1912
Teplitz, 15. August 1912
Teplitz, 5. März 1913
Berlin, 29. Juni 1913
Feldpostbrief, 19. November 1914
Teplitz, 9. Mai 1915
Feldpostkorrespondenzkarte, 17. August 1915
Teplitz, 20. August 1915
Teplitz, 2. September 1915
Feldpostkorrespondenzkarte, 7. Februar 1916
Teplitz, 23. Mai 1916
Feldpostkorrespondenzkarte, 12. November 1916
Feldpostkorrespondenzkarte, 3. Jänner 1917
Wien, 10. März 1917
Feldpostkorrespondenzkarte, 26. November 1917
Teplitz, 18. Februar 1918
Teplitz, 23. Oktober 1918
Teplitz, 15. November 1918
Wien, 6. Februar 1919
Berlin, 3. März 1919
Teplitz, 10. Juni 1919
Wien, 27. Juni 1919
Teplitz, 23. November 1919
Teplitz, 5. Mai 1920
Wien, 9. September 1920
Wien, 15. Oktober 1920
Wien, 16. März 1921
Wien, 9. November 1921
Wien, 27. April 1922
Wien, 6. Juni 1922
Teplitz, 30. November 1922
Wien, 15. Dezember 1922
Wien, 13. Dezember 1923
Berlin, 9. Mai 1925
Teplitz, 21. Oktober 1925
Wien, 5. März 1926
Wien, 3. April 1926
Wien, 20. Februar 1927
Wien, 3. April 1929
Teplitz, 5. April 1929
Teplitz, 20. Oktober 1930
Abschrift Im Namen der Republik!
Teplitz, 7. Februar 1931
Teplitz, 11. September 1931
Teplitz, 8. Mai 1932
Wien, 18. August 1932
Berlin, 15. August 1933
Wien, 17. September 1933
Wien, 15. Feber 1934
Teplitz, 23. Mai 1934
Teplitz, 6. Juni 1934
Wien, 6. Juni 1934
Wien, 10. Juli 1934
Wien, 27. Juli 1934
Wien, 28. September 1934
Teplitz, 1. Oktober 1934
Wien, 4. Oktober 1934
Wien, 20. September 1936
Wien, 15. November 1936
Teplitz, 2. März 1937
Teplitz, zum 19. Februar 1938
Teplitz, 6. April 1938
Wien, 3. Mai 1938
Lyon, 15. Juni 1938
Wien, 10. Juni 1938
Wien, 30. Juni 1938
Teplitz, 1. Juli 1938
Wien, 18. September 1938
Wien, 20. September 1938
Wien, 1. Oktober 1938
Prag, 12. Oktober 1938
Lyon, 6. November 1938
Telegramme
Wien, 15. November 1938
New York, 19. Dezember 1938
Prag, 30. Januar 1939
Göteborg, 28. Februar 1939
Prag, 17. März 1939
Wien, 20. März 1939
Wien, 23. April 1939
Abschied von Wien
Göteborg, 25. April 1939
Wien, 25 April 1939
Prag, 27. April 1939
Göteborg, 2. Mai 1939
Göteborg, 15. Mai 1939
Berlin, 18. Mai 1939
Göteborg, 28. Mai 1939
Göteborg, 30. Mai, 1939
Wien, 7. Juni 1939
Haifa, 4. Juni 1939
Prag, 9. Juni 1939
Prag, 11. Juni 1939
Tel Aviv, 15. Juli 1939
Göteborg, 4. September 1939
Prag, 13. Oktober 1939
Prag, geschrieben am 13. Oktober, abzugeben am 24. November 1939
Göteborg, 20. September, für den 24. November 1939
Verona, 14. November 1939
Göteborg, 25. November 1939
Göteborg, 15. Jänner 1940
Berlin, 3. Februar 1940
Verona, 19. März 1940
Tel Aviv, 9. April 1940
Göteborg, 15. Mai 1940
Göteborg, 1. Juni 1940
Tel Aviv, 11. Juni 1940
Askerud, Närke, Schweden, 14. Juli 1940
Göteborg, 18. September 1940
Prag, 3. Oktober 1940, zum 24. November
Göteborg, 10. November 1940
Göteborg, 15. Dezember 1940
Bnei-Brak, 15. Jänner 1941, zum 19. Februar
Prag, 12. Februar 1941, zum 19. Februar
Göteborg, 5. März 1941
Bnei-Brak, 8. März 1941
Göteborg, 14. Mai 1941
Göteborg, 22. Juni 1941
Prag, 21. Juli 1941
Göteborg, 2. September 1941
Prag, 12. Dezember 1941
Göteborg, 28. Dezember 1941
Göteborg, 31. Dezember 1941
Prag, 24. März 1942
RASC, Middle East Forces, 16. April 1942
Göteborg, 26. Mai 1942
Prag, 29. Juni 1942
Prag, 16. Juli 1942
Göteborg, 16. Juli 1942
Göteborg, 18. August 1942
Göteborg, 9. September 1942
Göteborg, 29. November 1942
Berlin, 15. Dezember 1942
Göteborg, 26. Dezember 1942
Tiberias, 11. Januar 1943
Göteborg, 13. Februar 1943
Göteborg, 3. März 1943
Army Form B 104-82 (Pal.)
Vejbystrand, 3. August 1943
Göteborg, 29. Oktober 1943
Göteborg, 31. Dezember 1943
Bnei-Brak, 27. Februar 1944
Berlin, 3. April 1944
Vejbystrand, 18. Juni 1944
Bnei-Brak, 18. September 1944
Göteborg, 5. November 1944
Bnei-Brak, 25. November 1944
Göteborg, 26. Dezember 1944
Göteborg, 14. Jänner 1945
Bnei-Brak, 23. Feber 1945
Göteborg, 27. März 1945
Göteborg, 28. April 1945
Göteborg, 10. Mai 1945
Göteborg, 11. Juni 1945
Vejbystrand, 16. Juli 1945
Göteborg, 4. November 1945
Göteborg, 31. Dezember 1945
Kurt Spielmann, London, 20. Jänner 1946
Wien, 22. Feber 1946
An Viktor Bermeiser, Wien
Göteborg, 12. März 1946
Göteborg, 15. März 1946
Göteborg, 7. April 1946
Bnei-Brak, 25. Mai 1946
Epilog
Worterklärungen
Stammbaum
Daisy Koeb
Liebste Mama
Die Geschichte einer Familie
Mariposa Verlag Berlin
Daisy Koeb wurde 1927 in Wien geboren. Wie viele jüdische Kinder musste sie im Frühjahr 1939 ihre Heimat verlassen. Die Eltern schickten sie nach Schweden, um sie vor den Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen. Ihnen selbst gelang es kurz darauf, illegal nach Palästina auszuwandern. Erst am 23. Mai 1946 sahen sich Mutter und Tochter im Hafen von Haifa wieder. Die übrige Familie ist in alle Winkel der Erde zerstreut worden, viele Verwandte sind in Konzentrationslagern umgekommen.
Was blieb, waren Briefe, in denen sich das Schicksal der Autorin und das der ihr nahestehenden Menschen widerspiegelt. Es sind sehr persönliche Zeilen aus den Jahren 1890 bis 1946, die Daisy Koeb veröffentlicht hat. Sie zeigen, wie der Wunsch der Familie, ein ganz normales Leben zu führen, zunehmend erschwert und während der Kriegsjahre und des Terrors der Nationalsozialisten schließlich gänzlich zunichte gemacht wird. Doch es gibt auch die unerschütterliche Hoffnung, die insbesondere die junge Evelyn – kurz Evi –, wie die Autorin sich im Buch nennt, immer wieder auszudrücken vermag.
Daisy Koeb lebt heute in Rishon-Lezion, Israel. Die Originaldokumente befinden sich in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem.
Als ich vor einigen Jahren pensioniert wurde, machte ich es mir zu einer meiner ersten Aufgaben, endlich in alten Papieren und Dokumenten Ordnung zu schaffen. Dabei fielen mir Briefe in die Hände, die meine Eltern mir während des Krieges aus dem damaligen Palästina geschrieben hatten, aber auch solche, die ich ihnen geschrieben hatte, sowie Briefe meiner Großmutter an mich oder an meine Eltern und einige Briefe von Geschwistern meiner Großmutter und Geschwistern meines Vaters.
Einige Tage später hatte ich die Briefe gelesen. Es fällt mir schwer zu schildern, was während des Lesens in mir vorging: Ich weiß nur, wie aufgewühlt ich war. Und nun stand ich vor einem Dilemma: Was sollte ich tun mit den Briefen, in denen sich mein eigenes und das Schicksal mir nahe stehender Menschen während solch schwerer Zeiten widerspiegelte?
Meine Kinder sprechen zwar Deutsch, aber ich wusste, dass sie nicht imstande sein würden, die verschiedenen Handschriften zu lesen; meine Großmutter schrieb meist noch Kurrent. Sie würden die Briefe wahrscheinlich eines Tages einfach wegwerfen. Sollte ich dies vielleicht schon selber tun, oder gab es eine Möglichkeit, die Geschichte unserer Familie in einer Form zu erhalten, die sie auch meinen Kindern zugänglich machen würde?
Und so entstand dieses Buch. Aus den Erzählungen meiner Großmutter und ihrer Geschwister während meiner Kindheit, aus den Berichten meiner Mutter, aus den Briefen der Kriegsjahre und aus Aufzeichnungen in den Tagebüchern meiner Kindheit und Jugend webte ich die Geschichte derer, die mit mir so unendlich eng verbunden waren und von denen keiner mehr am Leben ist. Es ist auch meine eigene Geschichte.
Daisy Koeb
Grethes ältester Bruder, Alfred, der im Alter von über siebzig Jahren nach New York kam, arbeitete mehr als zehn Jahre in einer Fabrik und legte sich Malen als Hobby zu. Er starb 1957, seine Frau Uli folgte ihm 1962.
Alfreds taube Tochter, Susi, heiratete. Sie wurde 1983 überfahren und erlag ihren Verletzungen.
Susis Schwester, Ditti, war jahrelang Einkäuferin für ein renommiertes New Yorker Modehaus. Sie starb Anfang der sechziger Jahre.
Max’ Enkelkinder, Jacques und Noelle, leben in Lyon, seine Urenkel in Lyon, London, Sidney und Berlin. Es gibt auch zehn Ururenkel.
Bertha starb 1962 in Schweden. Ihre Tochter Olga folgte ihr 1972 und Magda, die in Paris lebte, 1994. Magdas Sohn Claude ist in Paris verheiratet und die Nachkommen von Berthas Sohn Kurt leben in England.
Clara, die Witwe von Ernst, verschwand spurlos gegen Ende des zweiten Weltkrieges. Alle Nachforschungen verliefen erfolglos und es ist anzunehmen, dass sie bei einem Luftangriff auf Berlin ums Leben kam. Durch das Rote Kreuz kam die Nachricht, dass ihre Tochter Senta an Tuberkulose gestorben war.
Adis Geschwister kamen fast alle im Holocaust um. Nur sein Bruder Julius lebte noch bis 1954 in New York.
Trude arbeitete bis zum Alter von 72 Jahren als Physiotherapeutin bei der israelischen allgemeinen Krankenkasse. Sie heiratete 1954 ein drittes Mal und verwitwete 24 Jahre später. Erst mit 92 Jahren ging sie in ein Altenheim, wo sie 1994, mit fast 98 Jahren, starb.
„Evelyn“ heiratete schon 3 Monate, nachdem sie nach Palästina kam. Sie studierte und arbeitete anschließend 30 Jahre lang als Englischlehrerin an einer Schule, danach noch viele Jahre ehrenamtlich. Sie verwitwete 1992, hat eine Tochter, zwei Enkelkinder und zwei Urenkel.
Liebste Mama, liebstes Adelchen!
Gestern zogen wir in unsere neue Behausung in der Baumgasse ein, und jetzt kommt mir erst so recht zu Bewusstsein, wie eng alles in der Kollergasse war. Außerdem hatte ich dort schon keine ruhige Minute mehr, seit vor einigen Wochen der Boden des Badezimmers, kurz nachdem Adi es verlassen hatte, einstürzte und ein Stockwerk tiefer landete. Ich schrieb Euch nichts davon, weil ich Euch nicht aufregen wollte. Wäre Adi noch im Bad gewesen, hätte er sich den Hals brechen können. Wir mussten die Feuerwehr holen, die den Raum mit Balken stützte und die Tür versiegelte, so dass wir nicht mehr hinein konnten.
Hier haben wir zwei schöne, große Zimmer, eine Küche, ein Vorzimmer und ein Badezimmer. Die Hauptmieter, Herr und Frau Storfer, bewohnen ein drittes Zimmer und haben sich aus dem Kabinett eine zweite Küche gemacht. Die Hausmeisterin stammt zufälligerweise aus Teplitz und ist vielleicht deshalb sehr nett zu mir.
Wir wohnen wieder im 3. Bezirk, etwas entfernter vom Ring, aber noch immer zentral genug. Evi wird weiter jeden Nachmittag mit ihren Freundinnen im Stadtpark spielen können. Was ihr weniger gut gefällt ist, dass sie in eine andere Schule gehen muss. Noch dazu ist sie hier die einzige Jüdin in der Klasse, was mir ein bischen Angst macht. Das führt auch mit sich, dass ihr Religionsunterricht gemeinsam mit den jüdischen Kindern anderer Schulen am Nachmittag stattfindet. In der Löwengasse gab es viele jüdische Schülerinnen. Hoffentlich wird sie sich in der Schule wohlfühlen.
Es wird einige Tage dauern, bis alle Kisten leer und die Schränke voll sein werden. Ich habe noch enorm viel zu tun, wollte Euch aber nicht ohne Nachricht lassen. Beim Schreiben ruhe ich mich auch aus, und ein Plauderstündchen mit Euch ist immer erfrischend.
Seid umarmt von
Euerer Trude
Liebes Berterl!
Trude schrieb uns schon, dass Magda nach Paris gefahren ist, so dass uns Dein Brief nicht als Überraschung kam. Es tut sowohl Adele wie mir sehr leid, dass Du so unglücklich darüber bist, doch kann ich Dich verstehen. Ich war ja auch ganz außer mir, als die Kinder nach Palästina gehen wollten. Andererseits aber hat Magda dort die Gelegenheit, endlich in ihrem Beruf als Kindergärtnerin zu arbeiten, und wer weiß, vielleicht wird es ihr möglich sein, sich in Frankreich ein besseres Leben aufzubauen als in Österreich. Auch ist Paris nicht gar zu weit von Wien entfernt, und Ihr werdet einander hoffentlich oft besuchen können.
Vor Kurzem kam ein Brief von Max, in welchem er schreibt, dass seine Gesundheit sehr zu wünschen übrig lässt. Wenn er, dessen Briefe sonst immer voller Humor sind, das zugibt, muss es ernst sein, und wir machen uns große Sorgen um ihn. Vielleicht kannst Du Alfred fragen, was er darüber weiß? Es ist anzunehmen, dass Max ihm Näheres geschrieben hat.
Die Kinder fühlen sich in der neuen Wohnung wohl, worüber Du noch besser Bescheid wissen wirst als wir. Aber leider hat Evi ihre Schule nicht gern, und Trude meint, dass sie ihr sogar Angst einjagt. Besonders die Handarbeitslehrerin hat an dem Kind so viel auszusetzen, dass Evi jeden Mittwoch früh erbricht; an diesem Tag hat sie eine doppelte Handarbeitsstunde. Natürlich stellt sie sich dann ungeschickt an.
Alles Liebe,
Deine treue Grethe
Vielgeliebtes Kleinchen,
liebstes Evileinchen!
Dass die Aufschrift ich gewählt,
Ist ’ne Keckheit ohnegleichen;
Denn ich dürft’, wie man erzählt,
Kaum Dir bis zur Schulter reichen!
Doch Du wirst es mir verzeih’n,
Mir, die in vergang’nen Tagen
Dich, mein gutes Evilein,
Auf den Armen rumgetragen!
Ob ich in den Schlaf Dich sang,
Oder später Mär um Märe
Dir erzählte stundenlang,
S’ist mir, als ob’s heute wäre;
Auch wie ich mit Dir getollt,
Scheinbar erst verlor die Puste,
Wenn Du fangen mich gewollt,
Somit mich ergeben musste;
Seh noch niemals finden Dich,
Wenn Du Dich beim Spiel versteckt hast!
Dass Du geistig, körperlich,
Dich indes enorm gestreckt hast,
Das hatt’ ich im Rückblick hold
Für den Augenblick vergessen,
Doch nun sei Dir Ehr’ gezollt,
Deiner Reife angemessen!
Die Du kaum elf Jahre buchst
Und mit ausgesproch’ner Neigung
Heut schon mutig Dich versuchst
In der Pegasusbesteigung,
Pfuschst mir arg ins Handwerk zwar,
Doch das soll mich nicht verdrießen,
Möcht’ im Gegenteil sogar
Deinen Aufstieg mit genießen,
Möcht’ als flotte Reit’rin Dich
Jenes Flügelrössleins seh’n,
Das, regiert ganz meisterlich,
Gern Dich trägt in lichte Höh’n!
Doch voran wünsch ich Dir jetzt,
Dass Dein Leben kummerfrei
Und von nun an bis zuletzt
Eine heit’re Dichtung sei!
1000 Geburtstagsküsse,
Adele
Liebste Ulla!
Vor genau einem Monat fuhr ich nach Wien, um mir endlich die neue Wohnung der Kinder anzuschauen. Dadurch wurde ich Augenzeugin des Einmarsches der deutschen Truppen und des jubelnden Empfangs, den die Wiener Hitler bereiteten.
Ich kann Dir mein Entsetzen kaum schildern! Als Ihr nach Schweden übersiedeltet, schriebst Du mir, dass Ihr Euch in Berlin nicht bedroht gefühlt und es nur auf Albrechts ausgesprochenes Drängen hin verlassen hattet. Ach, wie gut habt Ihr daran getan! Wie glücklich wäre ich, die Kinder nicht mehr in Wien zu wissen! Wie bitter bereue ich, sie von der Emigration nach Palästina abgehalten zu haben!
Für Juden ist Wien eine Stätte des Grauens geworden. Sie werden auf den Straßen zusammengefangen und gezwungen, die Krukenkreuze21 und Aufrufe der Schuschnigg-Regierung, die auf Mauern und Trottoire22 gemalt sind, wegzureiben. Dazu müssen sie sich niederknien und die Hände in scharfe Lauge tauchen, was schwere Verbrennungen verursacht. Die Wiener stehen daneben und erfreuen sich des Schauspiels. Sie verspotten die Leute, lachen, spucken sie an und versetzen so manchem alten Mann auch noch einen Fußtritt. Viele der Juden werden dann auf Lastwagen geladen und manche verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Ich zittere, wenn ich an Adi denke!
Auch jüdische Frauen und Kinder werden verspottet, belästigt und sogar verprügelt. Ich war außer mir, als ich sah, wie Evi sich an den Wänden entlangschlich, wenn sie doch einmal auf die Straße musste. An allen Litfaßsäulen sind Hetzplakate vom „Stürmer“ angeschlagen, und die Leute stehen davor und amüsieren sich köstlich. Es will mir nicht in den Kopf, dass sich die Wiener so benehmen!
Auch in den Wohnungen sind die Juden nicht sicher. SA-Männer brechen oft mitten in der Nacht ein und verschleppen Familienmitglieder. Bis jetzt sind meine Kinder wie durch ein Wunder verschont geblieben, aber wie lange noch? Wie dem Adi schon längst, ist jetzt jedem klar, dass ein Jude unter Hitler keine Bleibe hat, doch wohin sollen die Menschen gehen?
Schon um vier Uhr früh bilden sich lange Schlangen vor ausländischen Konsulaten, jedoch will kein Land die armen Juden hereinlassen; so kann nicht einmal Trude, die doch in der Tschechoslowakei geboren wurde und viele Jahre tschechische Staatsbürgerin war, die Rückreisebewilligung hierher bekommen. Ich kann vor Angst und Aufregung kein Auge schließen, und die schlaflosen Nächte machen mich krank.
Wien ist ein Meer von Hakenkreuzfahnen, die wie Riesenspinnen im Wind flattern. Schulen und Betriebe sind geschlossen und die Wiener flanieren am Ring, so wie wir es in unserer Jugend taten, wenn es etwas zu feiern gab. Warf ich wirklich jemals Veilchen in des Kaisers Kutsche auf dieser selben Ringstraße? Das muss in einem anderen Leben gewesen sein, in einer anderen Welt!
Deine unglückliche Kusine Grethe
Liebste Mama, liebstes Adelchen!
Heute habe ich Euch leider etwas Unerfreuliches mitzuteilen: Evi liegt im St.-Annen-Kinderspital; sie hat Scharlach. Gestern, mitten am Vormittag, läutete es plötzlich an der Tür, und als ich öffnete, stand das Kind da und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sie glühte wie ein Backofen und war ganz verwirrt durch das hohe Fieber. Es ist das reinste Wunder, dass sie in diesem Zustand aus der Schule nach Hause fand. Ich kann nicht begreifen, wie man sie ohne Begleitung weggehen lassen konnte.
Wir waren in einem furchtbaren Dilemma! Ihr werdet verstehen, wie schwer es uns fiel, Evi unter den herrschenden Umständen ins Spital zu schicken. Doch sonst wäre das Krankenzimmer versiegelt und ich mit dem Kind isoliert worden, an der Wohnungstür hätte man eine Warnungstafel angebracht. Ich glaube, die anderen Parteien hätten uns gelyncht! Wir zittern auch jetzt, dass noch jemand im Haus Scharlach bekommt und man uns als Juden beschuldigt, die Krankheit eingeschleppt zu haben. Es kamen Leute vom Gesundheitsamt und desinfizierten die Wohnung und das Stiegenhaus. Ich hoffe, dass das die Mieter beruhigt.
Ich kann nur hoffen, dass man Evi ebenso treu pflegen wird wie ein nichtjüdisches Kind, denn Ärzte und Schwestern müssen doch auch Menschen sein. Ich wollte, ich hätte mein Mäderl schon wieder bei mir!
Euere Trude
Liebe Grethe, liebe Adele!
Da es mir schwer fiel, die Gräuelnachrichten in den hiesigen Zeitungen über Wien zu glauben, hab ich mich aufgesetzt und bin hingefahren, um mich selbst von der Wahrheit zu überzeugen. Es hat mich ja auch zu Alfred und Bertha gezogen, denn so jung werden wir nicht mehr zusammenkommen. Fast sofort aber wandte sich der Gast mit Grausen, und deshalb bin ich schon wieder zu Hause in Lyon. Die Wirklichkeit in Wien übertrifft an Brutalität leider alles, was ich vorher darüber gehört hatte. Je weniger ich Euch über das Leben der armen Juden dort erzähle, desto besser!
Trude hat mich gebeten, beiliegenden Brief an Euch weiterzuleiten, um die Zensur zu umgehen. Mir geht es gesundheitlich nicht gerade großartig, aber ich werd mich schon durchwursteln.
Gehabt Euch wohl!
Max
Liebste Mama, liebstes Adelchen!
Max hat versprochen, Euch diesen Brief von Lyon zu schicken, sobald er hinkommt. Wir alle freuen uns so sehr über seinen Besuch und wollten, er bliebe länger, doch kann ihm niemand verdenken, dass es ihn von hier wegtreibt.
Uns ist sehr traurig zumute! Gestern hat sich ein guter Freund aus dem Fenster gestürzt und war, zu seinem Glück, gleich tot; er hat Frau und zwei Kinder zurückgelassen.
Der Vater von Evis Freundin Vera, der Frauenarzt, wurde kürzlich verhaftet und nach Dachau geschickt. Er ist Jude, seine Frau Katholikin; wir haben beide sehr gern. Vor einigen Tagen traf ich sie auf der Landstraße. Sie ging wie eine Schlafwandlerin und die Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie mir erzählte: „Gerade hat mich meine Mutter hinausgeworfen, weil ich mich nicht scheiden lassen will. Mein Bruder hat mich angespuckt!“ Dabei hat ihr Mann die ganzen Jahre hindurch die Familie unterstützt und war ihnen ein guter Schwiegersohn und Schwager.
Paul Jäger, dem Sohn Eurer Kusine Helene, wurden in Dachau Tuberkelbazillen injiziert. Dann durfte er nach Hause gehen, wo er eine Woche später starb.
Frau Müller, die Du, Mama, bei uns kennen gelernt hast, bekam aus Dachau eine Urne mit der Asche ihres Mannes per Post zugeschickt: Er sei an Lungenentzündung gestorben. Sie musste das Porto bezahlen!
Ihr könnt Euch sicher die hier herrschende Atmosphäre vorstellen. Meldungen und Gerüchte fliegen hin und her: Dem sei das passiert, jenem jenes; die Deutschen hätten vor, heute so zu handeln, morgen wieder anders; beim chinesischen Konsulat wären Visen zu bekommen; nein, die Chinesen gäben keine Einreisebewilligung mehr. Es ist zum Verrücktwerden!
Natürlich will jetzt jeder hinaus, ganz egal wohin. Nur will uns leider kein Land aufnehmen! Man kann angeblich ein Visum nach Shanghai und in einige südamerikanische Länder für sehr viel Geld kaufen, doch auch das soll mit Schwierigkeiten verbunden sein. Adi rennt sich die Füße ab, damit wir nach Palestina einreisen könne – wenn nicht legal, dann eben illegal –, und hat uns jedenfalls für einen solchen Transport angemeldet. Wir haben uns auch um ein Visum nach England bemüht, Adi als Butler und ich als Köchin, aber unser Ansuchen wurde abgelehnt. Die Vereinigten Staaten kommen nicht in Frage, denn mit dem dort herrschenden Quotensystem, das nach Geburtsländern geht, käme Adi, der doch in Polen geboren ist, noch jahrelang nicht an die Reihe. Einfach zu versuchen, illegal über die Grenze zu fliehen, scheint uns mit Evi zu gefährlich. Außerdem riskiert man, dann wieder zurückdeportiert zu werden. Manchen gelingt es! So sind z. B. Dr. Emil Popper und seine Frau von Belgischen Freunden in einem Koffer über die Grenze geschmuggelt worden und sind jetzt in Brüssel.
Um wenigstens Evi in Sicherheit zu bringen, haben wir sie bei der israelitischen Kultusgemeinde für einen Kindertransport ins Ausland angemeldet, da verschiedene Länder angeblich Kinder aufnehmen. Natürlich würden wir sie nur dann allein wegschicken, wenn alle Stricke reißen. Doch vor allem muss das Kind erst gesund aus dem Spital kommen.
Gott sei Dank geht es ihr ja schon besser! Seit gestern liegt sie in der Abteilung für Genesende und die Ärzte sagten mir, dass das Ärgste vorbei sei. Wenn es nur zu keinen Komplikationen kommt! Ich hoffe, dass die Kinder, welche doch in dieser Abteilung nicht mehr so apathisch wie Schwerkranke sind, nicht entdecken, dass Evi Jüdin ist, und sie in Ruhe lassen.
Die Besuchstage sind eine Qual, so sehr wir sie auch herbeisehnen. Der Hof des Spitals ist voller Eltern, die alle auf die geschlossenen Fenster starren, hinter denen die Kinder stehen. Es vergehen immer einige kostbare Minuten, bevor wir Evi entdecken. Dann entwickelt sich ein Frage-und Antwortspiel in der Zeichensprache zwischen ihr und Adi. Ich kann da nicht mithalten, denn ich habe diese „Stummerlsprache“ nie erlernt und bin außerdem viel zu aufgeregt, um mich darauf konzentrieren zu können. Das Kind ist so abgemagert und schaut so elend aus, dass ich mich nur danach sehne, sie endlich wieder in die Arme schließen zu können. Dazu kommt die Angst, man könnte erkennen, dass wir Juden sind und uns – im besten Fall – vom Hof jagen. Neben uns stehen oft Väter in SA-Uniform. Ich weiß, dass Adi sich jedes Mal zitternden Herzens auf den Weg dahin macht, aber er spricht nicht über die Gefahr und würde sich den Besuch nicht nehmen lassen. Wenn ich ihn bitte, doch zu Hause zu bleiben, erinnert er mich stets daran, dass ja nur er sich mit Evi verständigen kann. Wäre das Kind nur schon wieder bei uns!
Ihr Lieben, ich bin ja so froh, dass Ihr das in der Tschechoslowakei nicht mitmachen müsst. Meine Sehnsucht nach Euch ist unendlich!
In inniger Liebe,
Eure Trude
Liebstes Greterl, liebstes Adelchen!
Gestern erhielt ich einen Brief von Magda. Sie wird bald heiraten! Ihrem Schreiben nach hat sie sich die Sache sehr lange überlegt, da der junge Mann um ein Jahr jünger ist als sie. Trude, der sie sich brieflich anvertraut hatte, machte ihr aber Mut und so gab sie ihr Jawort. Gebe Gott, dass mein Kind endlich ein wenig Glück im Leben hat!
Ihr Verlobter, Kurt Hirsch, ist auch Flüchtling, stammt aber aus Deutschland und ist schon seit 1933 in Paris. Ich weiß nicht, was er beruflich macht, doch scheint er regelmäßig zu verdienen. Magda verließ ja leider sehr schnell den Posten, der sie nach Frankreich lockte. Man hatte ihr Arbeit als Kindergärtnerin zugesagt, doch verwendete man sie einfach als Dienstmädchen. Jetzt ist sie Gouvernante bei einem kleinen Mäderl.
Kurt und Josephine gelang es vor drei Tagen, nach England abzureisen. Gute Freunde verschafften ihnen eine Stellung als Butler und Köchin auf einem Gut. Ich bin glücklich, sie in Sicherheit zu wissen, obwohl ich sie sehr vermisse. Auch Olga, meine Stütze seit jeher, soll Wien in zwei Wochen verlassen. Ich darf gar nicht daran denken, so weh tut mein Herz bei dem bloßen Gedanken! Sie hat mit Hilfe der hiesigen evangelischen Gemeinde die Einreisebewilligung nach Schweden bekommen und wird in der Nähe von Göteborg als Dienstbote arbeiten. Bald werde ich ganz allein sein.
Alfred und Uli wollen mit Susi in die Vereinigten Staaten, doch nehme ich an, dass sie Euch das schon selbst geschrieben haben. Habt Ihr je gewusst, dass Ulis Eltern einige Jahre in New York lebten und sie eigentlich dort auf die Welt kam? Obwohl Uli als ganz kleines Kind wieder nach Wien zurückkehrte, ist sie durch ihre Geburt dort amerikanische Staatsbürgerin, und daher wurde der ganzen Familie die Einreise bewilligt. Sonst hätten so alte Leute gar keine Chance, von Behinderten wie Susi überhaupt nicht zu reden. Ditti und Paul sind seit einem Monat in Uruguay.
Wir sind alle glücklich, dass Evi morgen endlich aus dem Spital entlassen werden soll. Sie hat uns wirklich große Sorgen gemacht. Jetzt soll es nur auch Truderl und Adi gelingen, sich und das Kind bald in Sicherheit zu bringen. Trude sagte mir, ihr versuchtet alles, um für alle drei eine Einreiseerlaubnis in die Tschechoslowakei zu bekommen. Hoffentlich werden Euere Anstrengungen bald mit Erfolg gekrönt.
Ich habe noch viel für Olgas Abreise vorzubereiten, auch will ich Evi einen Kuchen zum Empfang backen. Deshalb mache ich für heute Schluss.
Seid innigst umarmt von
Eurer treuen Schwester Bertha
Liebstes Evileinchen!
Gottlob, dass Du wieder daheim bei Deinen guten Eltern und auf dem Wege der Besserung bist. Meine heutigen Zeilen sollen Dich willkommen heißen. Wäre ich bei Euch gewesen, dann hätte ich Kränze an die Türe gewunden; so kann ich es nur im Geiste tun.
Nun heißt es, das Versäumte in Bezug auf tüchtig Schnabulieren nachzuholen, damit Du bald wieder das kräftige und stämmige Mädel wirst, das Du vor der bösen Krankheit gewesen bist. Ach, könnten wir Dich nur schon bei uns haben, wir würden Dich gewiss ordentlich aufpäppeln!
Gestern ist Deine Omi aus Prag zurückgekehrt. Sie hatte dort leider nur Anstrengungen, Laufereien etc. und müsste jetzt wirklich vierzehn Tage ausspannen und sich ihrer Erholung widmen. Aber sie findet doch keine Ruhe, ehe sie Euch bei sich weiß. Möge es ihr nur gelingen!
Du hast ja so viel mitgemacht, mein armes Haserl, aber sei getrost, jetzt wird mit Gottes Hilfe alles wieder gut werden. Es kann nicht immer so bleiben, denn auf Regen folgt Sonnenschein! Heute früh sind wir durch ein tüchtiges Donnerwetter geweckt worden, und es goss in Strömen; jetzt sitze ich hier bei strahlender Sonne: Das beweist die Richtigkeit des Sprichwortes! So geht es auch im Leben, darum verlier nur nicht die Hoffnung und den Mut.
Omi ist in der Stadt, und wenn sie zurückkommt, wird sie gewiss anschreiben wollen. Ich sende Dir einen innigen Genesungskuss.Grüße Mutti und Papi, Tante Bertha und Olga und sei herzlich umarmt von
Deiner Adele
Mein liebes Mädi!
Natürlich will ich auch ein wenig mit Dir plaudern, obwohl ich gerade erst an Deine Eltern geschrieben habe. Ich schließe mich dem Wunsch der lieben Adele an, Dich recht bald ganz gesund zu wissen. Nur tüchtig essen, so wie früher, damit du wieder unser fesches, strammes Mädi wirst. Je schneller Du gesund wirst, desto rascher werden wir uns sehen. Hast Du viel Besuch? Hoffentlich hast Du keine großen Schmerzen mehr! Liest Du noch viel? Ich freue mich immer so sehr, wenn ich von Dir selbst Nachricht bekomme.
Also recht gute Besserung wünscht Dir
Deine Omi
Liebste Mama, liebstes Adelchen!
Leider gibt es nichts Neues zu berichten. Überall läuft man gegen geschlossene Türen, lebt aber von einer ungewissen Hoffnung. Alle Transporte, die bis jetzt nach Palästina gingen, waren voll belegt und niemand weiß, wann wieder einer gehen soll. Auch mit Kindertransporten herrscht Ungewissheit. Und was Evis Ausreise nach England betrifft, wo sie schon einen Platz in einem Kinderheim zugesichert hatte, so kam jetzt eine Verordnung heraus, dass für jedes Flüchtlingskind hundert englische Pfunde hinterlegt werden müssen. Damit fällt auch dieser Plan ins Wasser. Wir hatten ein Angebot durch die israelitische Kultusgemeinde, Evi von einer Familie in Belgien adoptieren zu lassen. Die Leute haben ihr Photo gesehen und wollen sie gern haben. Selbstverständlich kommt Adoption nicht in Frage! Trotz allem lassen wir den Kopf nicht hängen, irgendeine Lösung wird sich schon ergeben.
Vorgestern begann das neue Schuljahr, und alle jüdischen Kinder wurden in speziellen Schulen konzentriert. Dadurch hat Evi einen etwas längeren Schulweg, traf aber zu ihrer Freude wieder mit ihren Freundinnen aus der Löwengasse zusammen. Ich glaube ja nicht, dass es zu einem normalen Unterricht kommen wird, da in den Klassen ein ständiges Kommen und Gehen herrscht.
Evis Freundin fuhr vor einigen Wochen in die Schweiz. Da sie ein Mischling ist, hatte sie in der Schule viel von Seiten der Mitschüler und Lehrer auszustehen, bis ihre Mutter sie mit einer Gruppe evangelischer Kinder wegschickte. Und dann, vor zwei Tagen, erschien sie plötzlich wieder. Man hatte sie in einer Familie untergebracht, in der sowohl der Pflegevater wie seine Frau blind waren. Das arme Kind war so unglücklich, dass es sich einfach in den Zug setzte und nach Wien zurückfuhr.
Dies bestärkte meinen Vorsatz, Evi wenn möglich in ein Heim und nicht zu einer Familie zu schicken. Besser, sie wäre eine unter vielen, als der Willkür irgendwelcher fremden Menschen ausgesetzt. Leider, leider, hängt das nicht nur von uns ab, und wir müssen die erste Gelegenheit ausnutzen, sie im Ausland unterzubringen. Wäre es doch schon so weit!
Adis Bruder Julius ist mit seiner Frau über die Grenze nach Italien geflüchtet, sie haben inzwischen in Verona Unterkunft gefunden. Ihr ältester Sohn blieb in der Schweiz, wo er zufällig auf Skiurlaub war, als die Deutschen in Österreich einmarschierten. Dem zweiten Sohn gelang es, sich illegal nach Palästina einzuschmuggeln, und die Tochter landete in England. Wenigstens eine Familie, die sich in Sicherheit bringen konnte! Rosa und Hanna und deren Männer bemühen sich ja auch auszuwandern, leider bis jetzt, so wie bei uns, ohne Erfolg. Doch konnte Rosas sechzehnjähriger Sohn mit Hilfe der Jugendaliyah23 nach Palästina kommen und lebt dort in einem Kibbutz.
Es tut uns leid, Mama, dass Du unseretwegen so viel Laufereien und Aufregungen hast. Dabei fürchte ich, dass uns die Tschechen am Ende doch nicht hineinlassen werden. Sie haben im Moment mit dem Problem des Sudetenlandes alle Hände voll zu tun. Adi und Evi lassen Euch innigst grüßen.
Seid umarmt von
Eurer Trude
Liebste Mama, liebstes Adelchen!
In aller Eile nur diese Karte, um Euch mitzuteilen, dass Evi jetzt legal von Adi adoptiert werden konnte. Der Vertrag wurde gestern „pflegschaftsbehördlich bestätigt und genehmigt“.