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Cover

Klappentext

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

Impressum

Atlan – Das absolute Abenteuer

 

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Band 9

 

Herr in den Kuppeln

 

Hans Kneifel

Kurt Mahr

 

 

 

Am Ende des vierten Jahrtausends: Das Generationenraumschiff SOL befindet sich noch immer in der Gewalt des geheimnisvollen Herrn in den Kuppeln. Rund 100.000 Menschen und Außerirdische an Bord müssen scheinbar hilflos mitansehen, wie das Schiff von Robotern demontiert wird. Ihnen selbst droht das lebenslange Exil auf einer fremden Welt.

Nur Atlan, der uralte Arkonide, kann die SOL noch retten. Mit Hilfe der sogenannten Schläfer nimmt er den ungleichen Kampf gegen den mächtigen Gegner auf.

Atlan und seine Gefährten setzen auf dem Planeten Mausefalle VII alles daran, das drohende Unheil aufzuhalten. Gleichzeitig wehren sich die Menschen der SOL gegen ihr Schicksal – die finale Schlacht um den Hantelraumer beginnt ...

Prolog

 

Im Dezember des Jahres 3586 übergibt Perry Rhodan das terranische Fernraumschiff SOL offiziell an die Solaner, jene Menschen, die an Bord des Hantelraumers geboren wurden und diesen längst als ihre Heimat betrachten. Kurz darauf bricht das Schiff mit rund 100.000 Menschen und Außerirdischen in die Weiten des Weltraums auf. Über zwei Jahrhunderte lang bleibt es verschollen.

Dann jedoch – im Jahr 3791 – gelangt der relativ unsterbliche Arkonide Atlan auf die SOL. Auch von ihm fehlte nach seinem Verschwinden mit dem geheimnisvollen Kosmokratenroboter Laire mehr als zweihundert Jahre lang jede Spur.

Bereits die ersten Tage auf dem Hantelraumer machen deutlich, dass es Atlan alles andere als leicht haben wird, denn um den kosmischen Auftrag zu erfüllen, den ihm die geheimnisvollen Geisteswesen jenseits der Materiequellen mitgegeben haben, muss er zunächst einmal die chaotischen Zustände an Bord beseitigen. Die SOL ist in die Gewalt eines starken Zugstrahls geraten, der sie unaufhaltsam in ein fremdes Sonnensystem hineinzieht, das die Solaner Mausefalle taufen. Dort droht dem Schiff die Demontage durch ein Heer von Robotern und den Solanern das lebenslange Exil.

Atlan schafft es, die sogenannten Schläfer zu wecken, eine Gruppe von besonders befähigten Solanern, die einst in biologischen Tiefschlaf versetzt wurden, um dem Hantelraumer in zukünftigen Notsituationen beistehen zu können. Gemeinsam mit ihnen dringt er nach Mausefalle VII und bis zum Herrn in den Kuppeln vor, dem geheimnisvollen Gebieter des Maschinenheers. Zur gleichen Zeit erreichen die ersten Demontageschiffe die SOL, und den dortigen Menschen läuft die Zeit davon ...

1.

 

02.14 Uhr.

Pechschwarze, kantige Granitblöcke durchstießen die Ebene aus weißem Sand. Der Himmel war von wolkenlosem Blau, die Kette der Hügel dahinter wurde vom rötlichen Gelb der Sonne überstrahlt. Das Gelände atmete aus jedem Quadratmeter uralte Geschichte. Zwischen den Steinen wuchsen seltsam knorrige Pflanzen von ungewöhnlichem Grün. Ein Windstoß wehte eine mächtige Staubwolke über die Szenerie. Sie sah aus wie eine weiß gischtende Brandungswelle.

Aus dem auf breiter Front heranrollenden Wirbel schwebte mit weit auseinandergebreiteten Schwingen ein Flugsaurier. Seine ledrige Haut glänzte mattschwarz. Am reglosen Himmel tauchte ein winziges, flimmerndes Lichtpünktchen auf. Es schien sich zu nähern, wurde größer. Der allgegenwärtige Glanz der Sonne erzeugte einen irisierenden Reflex auf dem Ding, das in einer flachen Parabel auf die Anhäufung der schwarzen Felsbrocken zuraste.

Dumpfer, schier endlos nachhallender Donner rollte über das verlassene Land. Der Saurier kippte seine Flügel und ließ sich von den heißen Winden nach oben reißen. Aus dem blitzenden Punkt waren inzwischen zwei Kugeln geworden, die durch ein zylinderförmiges Mittelteil miteinander verbunden waren. Das Objekt taumelte haltlos hin und her und blieb schließlich über der weißen Wüste stehen.

Die Konstruktion sah aus wie die SOL.

Es war die SOL!

Chart Deccon erzitterte. Er spürte einen ständigen Strom prickelnder Energie, die sich in seinen Körper ergoss. Der High Sideryt lag in tiefem Schlaf, einem Schlaf, der beinahe schon einer Bewusstlosigkeit glich und doch voll von furchtbaren Träumen war. Er stöhnte auf, wälzte sich hilflos hin und her, gefangen in einer Traumphase, in der er die Illusion für die Wirklichkeit hielt.

Auf einem niedrigen Tisch aus schwarzem Holz und mit einer dunkelgrauen Platte aus Metall stand ein Spezialakku. Von seinen Anschlüssen führten biegsame Schläuche bis zu den Elektroden auf der Haut des riesigen Mannes. Chart Deccon gab ein würgendes Geräusch von sich, hustete und schnappte nach Luft – doch er wachte nicht auf, blieb unentrinnbar in seinem Traum gefangen.

Die Situation des Hantelraumers stellte sich nach wie vor kritisch dar, auch wenn der Streik der Buhrlos fürs Erste vorüber schien. Die Weltraummenschen hatten den Magniden und dem High Sideryt zahlreiche gefüllte Akkus mit eingesammeltem E-kick geliefert.

Außerhalb des Schiffes herrschte derweil kurzfristig eine einigermaßen entspannte Lage. Zwar bewegten sich noch immer verschiedene kosmische Trümmer schneller oder langsamer an der SOL vorbei, drehten sich und taumelten Mausefalle VII entgegen, aber dem Schiff selbst war noch nichts geschehen.

Auch innerhalb des Hantelraumers hatte sich eine trügerische Ruhe ausgebreitet. Seit Stunden hatte es keine offenen Auseinandersetzungen mehr, keine gewaltsamen Zusammenstöße zwischen SOLAG und Rebellen gegeben. Die Besatzung der SOL schien den Atem anzuhalten, und die Magniden, die in der Zentrale Dienst taten, fassten ihre Eindrücke in einem einzigen Satz zusammen:

Es herrschte die Ruhe vor dem nächsten Sturm!

Die Beleuchtungskörper in der Zentrale des High Sideryt waren heruntergedimmt worden. Das düstere Mobiliar und die stumpf glänzenden Körper der Wachroboter ließen das Innere der Klause dadurch noch finsterer und bedrohlicher erscheinen. Nur die Bildschirme, die teilweise aktivierten Monitoren und Interkome, erzeugten die Illusion von Bewegung und sorgten für ein geisterhaftes Zwielicht.

Vor zwei Stunden war Chart Deccon erschöpft in seinen schwarzen Sessel gefallen. Er hatte sich nur kurz ausruhen und E-kick tanken wollen, aber dann hatte ihn die Müdigkeit übermannt.

Ein neuer Traum ließ ihn bebend, nach Luft schnappend und schweißüberströmt hochschrecken. Er blinzelte, kam nur langsam zu sich. Ächzend stand er auf und blieb vor seinem Sitz stehen; der schwere Körper schwankte hin und her, noch immer im Echo des Traums gefangen.

Mit schmatzenden Lauten lösten sich die Sensoren der E-kick-Leitungen von der Haut des High Sideryt. Er blickte mit unter schweren Tränensäcken verborgenen Augen auf die Schirme, doch da war nichts, was ihn beunruhigen sollte.

Nachdem er in schweigender Konzentration versucht hatte, die Mattigkeit aus Körper und Verstand zu vertreiben, fühlte er sich seltsam leicht. Hustend ging er die Stufen der Podeste hinunter. Seine Blicke irrten durch den im Halbdunkel liegenden Raum, und abermals wurde ihm bewusst, wie einsam er war und in welch auswegloser Lage sich er und die SOLAG befanden.

Deccon wandte sich um, seine Schritte brachten ihn in die Nähe der halb automatischen Kombüse. Als er das Schott erreicht hatte, das für seine breiten Schultern viel zu schmal erschien, zuckte er zusammen.

Alarm!

Mit wenigen Sätzen und in einem Tempo, das niemand seinem unförmigen Körper zugetraut hätte, war er an dem breiten Kontrollpult. Die dicken, wie geschwollen aussehenden Finger fuhren auf die Tasten herab. Sofort aktivierten sich die Monitoren der Außenbeobachtung.

Der High Sideryt stand da im zuckenden Rotlicht der Warnlampen, das durchdringende Wimmern der Sirenen in den Ohren, und er wusste, dass in diesen Minuten die lange erwartete Gefahr nach seiner SOL griff.

Er warf einen schnellen Blick auf die Digitalziffern seines Armbandchronometers.

20. Mai 3791 ... gut zwei Stunden nach Mitternacht.

»Zentrale!«, rief er. »Schlaft ihr? Einsatz für sämtliche Kommandos. Alles, was eine Waffe abfeuern kann, soll sich bereit machen!«

Hinter einigen großen Asteroiden und jenseits eines bizarren Konglomerats aus durchlöchertem Glas und Metall waren eine Reihe kleiner, fremdartiger Raumschiffe hervorgeschossen. Wie ein regelloser Schwarm wütender Insekten hatten sie die Entfernung zwischen ihren vermutlich als Ortungsschutz dienenden Verstecken und dem Hantelraumer in so kurzer Zeit zurückgelegt, dass jede Gegenwehr zu spät kam. Die Raumschiffe beschleunigten und verzögerten mit abenteuerlichen Werten.

»Verstanden«, kam es aus der Zentrale. Die Lautsprecher knackten. Chart Deccon schaltete den Alarm ab, während die Magniden aufgeregt hin und her rannten, Befehle erteilten, Schaltungen vornahmen und die einzelnen Schiffsbezirke auf das vorzubereiten versuchten, was zwangsläufig geschehen würde.

Gebannt beobachtete Chart Deccon, wie sich der Schwarm der dicht entlang der Bordwände fliegenden fremden Raumer über die gesamte SOL verteilte.

»Sie greifen alle drei Schiffsteile gleichzeitig an«, stieß er gepresst hervor. Seine Hand krampfte sich um das Metallkästchen auf seiner Brust.

Ununterbrochen wechselte er von einer Kameraeinstellung zur anderen. Die Aufnahmegeräte befanden sich an allen möglichen Stellen der Außenhülle, meistens geschützt in kleinen Vertiefungen verborgen. Sie zeigten schonungslos, wie die ersten Schiffe andockten. Sie waren mit maschinenhafter Präzision gesteuert worden und saßen wie hässliche Warzen auf der Hülle der SZ-1, des SOL-Mittelteils und der SZ-2.

»Mitten in der Nacht«, stieß Wajsto Kolsch hervor. »Und sie sind so schnell und zielstrebig, als wüssten sie genau, wo sie ansetzen müssen.«

Der muskulöse Magnide mit dem kurz geschorenen Haar erteilte einigen Vystiden-Anführern über Funk Befehle. Tatsächlich hatte der Angriff der Roboter das Schiff mitten in der ruhigeren Phase des Bordalltags getroffen. Das bedeutete üblicherweise, dass die meisten Solaner schliefen. Die Korridore waren leer, die Beleuchtung gedimmt oder ganz ausgeschaltet, um Energie zu sparen.

»Nun macht schon! Wo sind unsere Leute?«, grollte die heisere Stimme des High Sideryt.

Vom Alarm aus dem Schlaf oder aus den diversen Freizeitbeschäftigungen gerissen, kamen nacheinander alle Magniden in die Zentrale der SOL gehastet. Vier von ihnen hatten sich turnusmäßig dort aufgehalten. Sowohl Kolsch und Arjana Joester als auch Gallatan Herts und Nurmer waren von dem überraschenden Angriff der Maschinen völlig überrumpelt worden. Aus keiner der Ortungsabteilungen war auch nur der geringste Hinweis eingetroffen. Die Schiffe der Roboter, vom Licht der Sonne Mausefalle angestrahlt, warfen tiefschwarze, drohende Schatten auf die Oberfläche der SOL.

Die fremden Fahrzeuge hatten sich offenbar mit einer Art von magnetischen Greifern an der Außenhülle des Hantelraumers festgeklammert und ihre Schleusen geöffnet. Ein nicht enden wollender Strom von unförmigen, eckigen Robotern ergoss sich daraus wie dickflüssiger Sirup über die SOL. Unverzüglich und mit einer geradezu beängstigenden Präzision fingen die Maschinen an zu arbeiten.

»Bei allen Sternengöttern«, keuchte Chart Deccon. »Wir müssen etwas unternehmen!«

Die Maschinen aktivierten eine Reihe von Energieschirmen. Über einzelnen Stellen der Außenhülle wuchsen flimmernde, annähernd halbkugelförmige Kuppeln in die Höhe und isolierten jene Gebiete, auf denen die Roboter gelandet waren. Binnen weniger Minuten waren die drei Elemente der SOL von Schutzschirmen übersät. Auf der sonnenabgewandten Seite des Schiffskörpers leuchteten die Blasen in schwachem Rot. Dort, wo die Strahlen Mausefalles auf sie fielen, war dagegen ein Spiegeleffekt zu beobachten.

Derweil hetzten die ersten bewaffneten Kommandos durch die Korridore. Vystiden und schwer gepanzerte Haematen kauerten auf Schwebe- und Antigravplattformen. Einige Haematen hatten bereits Raumanzüge angelegt, die Helme aber noch nicht geschlossen. Dass es zu Kampfhandlungen kommen würde, war sicher. Es ging nun vor allem darum, allzu große Zerstörungen und irreparable Schäden im Schiff zu vermeiden.

Unter den Schutzschirmen wurden die Roboter aktiv. Die meisten waren kastenförmig und tappten auf vier kurzen, mehrgelenkigen Beinen über das Metall der Außenhülle. Ihre Arme enthielten als Endglieder messerscharfe Werkzeuge und Vorrichtungen, die an Schweißgeräte erinnerten. Die Maschinen waren durch vielfältige Farbmarkierungen im unteren Drittel ihrer Körper gekennzeichnet. Linsen und Sinnesorgane saßen dagegen oberhalb ihrer Gliedmaßen.

Die Magniden erkannten schnell, dass die Roboter überaus behutsam vorgingen. Sie rissen die Hülle des Hantelraumers nicht einfach mit Gewalt auf, sondern trennten einzelne Platten entlang jener molekularen Verbundnähte ab, an denen sie vor vielen Jahrhunderten aneinandergefügt worden waren. Trotz aller Vorsicht legten sie dabei ein erschreckendes Tempo vor. Die aufgespannten Schutzschirme verhinderten, dass durch ihre Tätigkeit die Luft aus dem Schiff entwich. Immerhin ließ das darauf schließen, dass sie ein Mindestmaß an Rücksicht auf die Solaner nahmen, denn die Roboter selbst benötigten keinen Sauerstoff.

»Die Demontage der SOL hat begonnen«, flüsterte der High Sideryt tonlos.

»Das war zu erwarten«, gab Gallatan Herts zurück. »Seit den Ereignissen um den Quader mussten wir mit so etwas rechnen.«

»Meine Freude darüber, dass wir mit unseren Befürchtungen recht behalten haben, hält sich dennoch in Grenzen.«

»Wir haben nicht genug Soldaten, um mit dieser Menge von Robotern fertig zu werden«, mischte sich Palo Bow ein. Sein Gesichtsausdruck war nicht mehr nur mürrisch, er wirkte so, als ob er bereits mit dem Schicksal der SOL abgeschlossen hätte.

»Das wird sich noch zeigen«, knurrte Brooklyn starrsinnig.

Es bereitete keinem der Magniden Mühe, die Konsequenz dieser neuen und möglicherweise letzten Attacke zu erfassen. Dem Gegner standen fraglos weitaus mehr als 100.000 Roboter zur Verfügung – und diese Anzahl hätte bereits ausgereicht, jedem Solaner eine Maschine zuordnen zu können. Zudem waren die Roboter höchstwahrscheinlich in der Lage, die Angriffe von Ferraten und Buhrlos, die über keinerlei schwere Waffen verfügten, mühelos abzuwehren. Gewiss, die SOL war riesig, und es würde sehr lange dauern, bis die Maschinen sie auch nur teilweise demontiert hatten. Allerdings war nicht auszuschließen, dass die unbekannten Herren des Mausefalle-Systems weitere Schiffe mit noch mehr Demontage-Einheiten schickten.

Hatte damit der letzte Akt in der ebenso langen wie wechselvollen Geschichte der SOL begonnen?

»Selbst Atlan hat sich an diesem Gegner die Zähne ausgebissen«, stellte Deccon fest. »Er ist ein Gefangener des Planeten. Oder sogar schon tot. Oder er hat uns von Anfang an hinters Licht geführt. Ich schließe selbst das inzwischen nicht mehr aus.«

Unterdessen hatten sich mehrere Kommandos endgültig formiert. Von der Zentrale wurden den SOLAG-Angehörigen die wichtigsten Ziele zugewiesen. Die Mannschaften waren bis an die Zähne bewaffnet und scheuchten jeden, der sich auf ihrem Weg sehen ließ, aus den Korridoren zurück in die Quartiere. Unaufhörlich klangen Stimmen auf und schilderten, was außerhalb der voll besetzten Zentrale geschah.

»Hat einer von euch versucht, mit den Maschinen in Funkkontakt zu treten?«, wollte der High Sideryt wissen. Lyta Kunduran wandte sich Deccon zu.

»Natürlich«, gab die Jüngste unter den Magniden zurück. »Ich versuche es ununterbrochen, seit ich hier bin.«

Die trügerische Ruhe der Nachtphase war endgültig vorbei. Immer weitere Gruppen von Ahlnaten und Ferraten hasteten ihren zugewiesenen Positionen entgegen. Alle drei Teile der SOL waren betroffen; die Roboter machten keinen Unterschied zwischen den SOL-Zellen und dem Mittelteil, schienen das ganze Schiff gleichzeitig auseinandernehmen zu wollen.

»Was ist mit dem verdammten Funkverkehr?«, schrie Deccon unbeherrscht. »Muss ich hier jedem die Würmer einzeln aus der Nase ziehen?«

Die Bilder auf den riesigen Schirmen wechselten. Inzwischen steuerte eine Automatik die Auswahl der Blickwinkel und der Richtungen, in die die Kameras und Linsen filmten. Hinter den Raumschiffen, den Energieblasen und den insektengleich umherwimmelnden Robotern sahen die Magniden die in unmittelbarer Nähe von Mausefalle VII schwebenden kosmischen Trümmer und den sternenbesetzten Hintergrund.

»Ich versuche sämtliche Frequenzen«, reagierte Lyta Kunduran verärgert. »Ich konzentriere die Sendeenergie direkt auf die Schiffe und die ausgeschleusten Roboter. Nichts!«

Einer der Bildschirme blendete Aufnahmen aus der Feuerleitzentrale der SOL ein. Die dort diensthabenden Frauen und Männer justierten die Zieloptik eines Doppelstrahlengeschützes im Ringwulst des Mittelteils und richteten es auf die Angreifer. Es war einer der wenigen Projektoren, die mit einem Strahlschuss haarscharf an der Wölbung der SZ-2 vorbei eines der feindlichen Raumschiffe oder sogar die Roboter anvisieren konnten, ohne gleichzeitig die Hülle der SOL zu beschädigen.

Langsam wanderte das Ziel in das Gitter der Visierlinien. Ebenso langsam schob sich die Vergrößerung des Zielbereichs den Betrachtern entgegen. Der Treffer würde ziemlich genau an der durch Mausefalle auf der SZ-2 künstlich verursachten Tag-Nacht-Grenze einschlagen. Die Strahlen der Sonne erzeugten auf der Oberfläche der SOL eine scharfe Linie aus Licht und Schatten.

»Feuer!«, sagte Chart Deccon grimmig.

Der unbekannte Vystide, der in der Leitzentrale saß, löste den Schuss aus. Schnell hintereinander verließen mehrere Energiesalven die Mündungen der beiden Projektoren und schlugen in den Schutzschirm der Roboter und die Hülle eines der Begleitschiffe ein. Eine ruckartig expandierende Glutwolke versperrte für lange Sekunden die direkte Sicht. Trümmerteile und Metallfetzen wirbelten umher. Einige Roboter wurden direkt von den Energiestrahlen getroffen, die anderen lösten ihre Gliedmaßen von der Oberfläche der SOL und stoben in allen Richtungen auseinander. Aber schon in der nächsten Sekunde näherte sich von der Seite ein weiteres Schiff, dockte unmittelbar neben dem Strahlengeschütz an und öffnete seine Luken.

Roboter quollen heraus. Ein Schutzschirm wölbte sich schlagartig über dem Waffenprojektor.

Noch während der Vystide versuchte, durch eine Drehung und einen weiteren Feuerstoß die neue Gefahr zu beseitigen, fingen die Maschinen an, das Geschütz zu demontieren.

»Verdammt!«, fluchte Chart Deccon. Er widerstand der sinnlosen Versuchung, selbst hinauszustürmen und in einen Kampf einzugreifen, der längst keiner mehr war. Man musste kein High Sideryt sein, um zu erkennen, dass sich die Maschinen auf diese Weise nicht besiegen ließen.

Und wie gewohnt griff auch SENECA nicht ein.

Die Nachricht von der beginnenden Demontage würde sich schnell innerhalb des Schiffes herumsprechen. Derselbe ohnmächtige Zorn, der Chart Deccon und die Magniden erfüllte, würde dann auch einen Großteil der rund 100.000 Solaner erfassen. Das Chaos, davon war Deccon überzeugt, würde sich weiter verschlimmern und schließlich ein Niveau erreichen, das eine Kontrolle unmöglich machte. Wenn es so weit kam, war die SOL unrettbar verloren!

Deccon würde eine schiffsweite Durchsage machen, der Besatzung die Situation schildern und alle zur Ruhe aufrufen. Das würde ihnen womöglich etwas Zeit verschaffen.

Keiner der zahllosen Roboter und nicht ein einziges der Begleitschiffe antworteten auf die intensiven Versuche, sie über Funk zu erreichen. Dass sie die Sprüche empfingen, stand außer Zweifel. Sie antworteten lediglich nicht.

Ein neues Geräusch legte sich über das allgegenwärtige Murmeln und Summen der SOL, jenen technischen Atem, den man nicht bewusst wahrnahm und der doch stets da war und davon kündete, dass man sich im Schoß des Hantelraumers sicher und geborgen fühlen konnte. Der neue Ton ging von Hunderten verschiedenen Stellen der Außenhaut aus. Wie in einem wertvollen Möbelstück, in dem Holzwürmer knirschend und knackend ihr zerstörerisches Werk verrichteten, war er überall zu hören. Die begleitenden Vibrationen wurden von den unermüdlich arbeitenden Werkzeugen der Roboter erzeugt.

Kurz darauf traf die nächste Hiobsbotschaft ein: Die ersten Roboter waren in die SOL eingedrungen. Ort des Geschehens war ein Korvettenhangar in der SZ-1.

Der Gegner wurde von fünf Vystiden und etwa dreißig Haematen erwartet. Als das erste, mehrere Quadratmeter große Stück der Innenverkleidung von den eindringenden Maschinen weggeschleppt wurde, sahen die Solaner dahinter das grelle Sonnenlicht Mausefalles, das eine breite Bahn durch den Hangar warf, bevor es auf die Rundung einer Korvette traf.

Blendende Helligkeit erfüllte den großen Raum, als die Vystiden das Feuer auf die Maschinen eröffneten.

2.

 

04.45 Uhr.

Homer Gerigk lehnte sich schweißgebadet und mit zitternden Gliedern gegen die Wand der ehemaligen Messe. Der Alarm und der Angriff der Demontageschiffe hatten ihn gerettet.

Diese Nacht war die bislang furchtbarste von allen gewesen, seit er sich von Atlan getrennt hatte und sich allein durch das Schiff bewegte.

Sie hetzten ihn. Die Mitglieder der SOLAG schienen in den letzten Tagen kaum ein anderes Ziel zu kennen, als ihn mit allen Mitteln zur Strecke zu bringen.

»Ich glaube, ich habe zum letzten Mal Glück gehabt«, murmelte er. Seine Roboter hatten sich rund um ihn herum gruppiert und schwiegen. Nur noch acht Exemplare seiner Leibwache waren übrig; den Rest hatte er während der Hetzjagd durch die SZ-1 verloren.

»Chart Deccon vergisst nichts«, flüsterte Gerigk. »Und er verzeiht keinen Fehler.«

Der Magnide litt seit Tagen Hunger. Seine Gesichtszüge waren eingefallen; die Haut hatte eine ungesunde Farbe angenommen. Das ehemals schwarze, lockige Haar schien nur noch eine ferne Erinnerung zu sein. Es war an den Schläfen weiß geworden und so verschmutzt, dass es in verfilzten Büscheln von seinem Schädel abstand. Das Jucken der Kopfhaut war unerträglich. Homer Gerigk trug längst nicht mehr die auffallenden weißen Kleidungsstücke eines Magniden, sondern eine normale, unauffällige Kombination, die er sich aus einem unbewachten Lager besorgt hatte.

Die dunkelbraunen Flecken in seinem Gesicht fühlten sich taub an, doch die äußerlichen Folgen der E-kick-Bestrahlungen interessierten ihn schon lange nicht mehr. Er brauchte dringend Nachschub, aber der erste Versuch, sich einen Akku voll E-kick zu besorgen oder gar einem Buhrlo etwas zu befehlen, würde vermutlich auch sein letzter sein.

»Sind sie weg?«, fragte er.

»Wir können keine Verfolger mehr orten«, gab einer der Roboter Antwort.

Um ihn herum herrschte schummriges Halbdunkel. Durch eine zerbrochene, schmutzige Glasscheibe fiel schwacher Lichtschein aus dem angrenzenden Korridor in sein provisorisches Versteck.

Homer Gerigk seufzte. Seine Macht war gebrochen. Es war ihm nicht mehr möglich, Einfluss auf andere oder gar auf die Geschicke des Schiffs zu nehmen.

Seit dem Attentat auf Chart Deccon war Gerigk zum gehetzten Flüchtling geworden.

»Das Kopfgeld, das Deccon auf mich ausgesetzt hat, macht die Hälfte der Solaner zu Jägern«, sagte er, nur um eine menschliche Stimme zu hören. Gerigk wusste, dass der High Sideryt jedem eine saftige Belohnung zahlte, der ihn zur Strecke brachte. Tot oder lebendig.

Während der zwei letzten Stunden waren Gerigk und seine verbliebenen Leibwächter durch ein System von verlassenen Kleinmagazinen, Rohren der Luftversorgung, eine verwahrloste Kombüse und eine erstaunlicherweise leere Wohnkabine geflüchtet, immer wieder aufgestöbert und weitergejagt von einigen Haematen und einem Pyrriden.

»Durchsucht die Kabine, durch die wir eben geflohen sind! Ich brauche Nahrungsmittel und ein Bad«, befahl er den ihn begleitenden Maschinen.

Zwei Roboter schwebten leise summend davon.

Homer Gerigks Knie gaben nach. Erschöpft rutschte er an der schmutzigen Wand hinab und blieb im Dunkeln sitzen. Als er noch seinen Platz unter den anderen Magniden innegehabt hatte, war sein Plan gewesen, die SOL auch weiterhin als Raumschiff zu nutzen, immer weiter zu fliegen bis zu einem fernen, weit außerhalb der Vorstellungskraft liegenden Ziel.

Die in all den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gestellte Frage, ob man landen oder weiterfliegen sollte, ob die Solaner auf einem geeigneten Planeten eine Kolonie gründen oder mit dem Schiff ihre lange Reise fortsetzen sollten – all das war auf einmal völlig bedeutungslos geworden.

Wie hatte es in den Alarmdurchsagen geheißen? Fremde Roboter greifen an und beginnen damit, die SOL zu demontieren!

Die Maschinen seiner Leibwache kamen zurück.

»Die Kabine ist frei«, sagte eine von ihnen. »Offensichtlich lebt dort ein Haemate, aber er ist in die Auseinandersetzungen mit den Demontageeinheiten verwickelt.«

»Gut. Ihr begleitet mich«, entschied Gerigk, rappelte sich in die Höhe und ging, so schnell er es noch vermochte, im Schutz seiner Leibwächter einen Teil des Fluchtwegs zurück. Er öffnete das Schott zu der entdeckten Kabine, schaltete die Beleuchtung ein und machte sich gierig über die wenigen vorhandenen Essensvorräte her.

Danach schaltete er den Interkom ein und verfolgte die freien Sendungen aus der Zentrale mit.

Er war müde und erschöpft, aber er rechnete sich aus, dass die Jagd auf ihn nach kurzer Unterbrechung weitergehen würde. Hier, an dieser Stelle des Schiffes, war er zum letzten Mal gesehen worden. Hier würden die Verfolger seine Spur wieder aufnehmen. Es kümmerte ihn nicht, ob er verräterische Spuren hinterließ. Hemmungslos bediente er sich der Ausstattung der winzigen Kabine.

Er riss sich die Kleidung herunter, duschte ausgiebig und ließ sich von den erstaunlich gut funktionierenden Massagedüsen durchkneten. Das heiße Wasser ließ ihn schläfrig werden, das kalte Wasser weckte ihn wieder auf. Aus der kargen Garderobe des Haematen, der wie er selbst nicht größer als knapp 1,80 Meter war, ergänzte er fehlende oder zerrissene Teile seiner Kleidung.

Er fand sogar ein Ersatzmagazin für seinen Strahler und steckte es ein. Danach fühlte er sich, als sei ihm das Leben neu geschenkt worden.

»Noch habe ich nicht verloren«, flüsterte er. »Noch hast du mich nicht erwischt, Deccon.«

Nachdenklich betrachtete er seine Roboter. Die Leibwache brachte immer wieder Verfolger auf seine Spur, gleichgültig, wo er Zuflucht suchte. Es war eine ermüdende, permanente Flucht, ein wahrer Teufelskreis. Die Maschinen, die ihn im entscheidenden Fall schützten und sein Leben verteidigten, kennzeichneten ihn deutlicher, als es alle anderen Merkmale getan hätten. Die Mitglieder der SOLAG kannten ihn und seine Roboter in vielen Fällen sogar persönlich. Andere hatten sein holografisches Bild gesehen. Die Kommandos, die ihn verfolgten, drangen rücksichtslos in die Gebiete anderer Gruppierungen ein, störten die Ruhe, verwüsteten die Anlagen und stöberten Solaner auf, die ihrerseits etwas zu verbergen hatten.

Und selbst diese Besatzungsmitglieder, obwohl ihnen Homer Gerigks Leben oder Tod vollkommen gleichgültig sein konnte, machten Jagd auf ihn.

»Undankbare Bande von Ignoranten«, stieß er hervor und betrachtete die bemerkenswerten Bilder des Interkoms. Der Lautsprecher, von ihm auf halbe Leistung gedrosselt, gab Anordnungen und Befehle, Kommandos und Informationen in rasend schneller Reihenfolge wieder. Offenbar waren Deccon und seine Magniden darauf aus, den Solanern zu zeigen, dass sie der Gefahr mit Entschlossenheit und Autorität begegneten.

Sie waren unfähig! Alle!

Trotz seiner intensiven künstlerischen Beschäftigung mit Hologrammen hatte er seine Pflichten und Aufgaben stets ernster genommen als alle anderen. Er war der herausragende Teil der geistigen Elite der SOLAG gewesen. Wer außer ihm hätte den fortschreitenden Zerfall der Technik und der Gemeinschaft an Bord der SOL verhindern können? Ganz sicher nicht der verfettete und nur auf den eigenen Vorteil bedachte High Sideryt.

»Wenn jemand kommt, lähmt ihn und bringt ihn ins Innere der Kabine!«, befahl er den Robotern. »Weckt mich in zwei Stunden.«

»Verstanden«, sagten drei Roboter gleichzeitig und schwebten in Position.

Homer Gerigk warf sich angezogen und mit der Waffe im Gürtel auf das zerwühlte Lager und war sofort eingeschlafen. Er musste ohnehin warten, bis sich die Situation für ihn verbessert hatte. Um seinen vage ausgereiften Plan ausführen zu können, musste er zunächst ein bisschen schlafen, denn so müde und erschöpft, wie er war, würde er nichts erreichen.

Er träumte von Robotern – und von einem fremden Planeten, der sich hinter einer undurchdringlichen Wolkendecke verbarg.

3.

 

05.10 Uhr.

Die Roboter ließen sich an einem Antigravstrahl von der Decke des Hangars herunter. Dankvord, Vystide und damit Bruder der zweiten Wertigkeit, hob als Signal seine Waffe, zielte auf die erste Maschine und krümmte den Zeigefinger.

Der Offizier, hinter dem sich drei der wenigen überhaupt noch einsatzfähigen Kampfroboter der SOL heranschoben, verbarg sich im Dunkel des Hangars. Sämtliche Leuchtkörper waren abgeschaltet worden. Sie erwarteten den Feind in der Finsternis, die in diesem Augenblick durch einen Hagel von Blitzen erhellt wurde. Die Solaner eröffneten aus ihren Verstecken und Deckungen heraus das Feuer. Der erste Roboter, eine drei Meter große Maschine mit wippenden Antennenbügeln auf der oberen Körperplatte, verging in einer mächtigen Explosion.

Schlagartig hüllten sich seine Kameraden in kugelförmige Schutzfelder, schossen jedoch nicht zurück.

Die Hochenergiestrahlen, die aus den Waffenarmen der Kampfroboter der SOL zuckten, schlugen in die Schirme ein und brachen sich dort in einem grellen Funkenregen.

»Nicht aufhören!«, schrie Dankvord. »Sie sind zu zerstören!«

Ununterbrochen pumpten die Kampfmaschinen ihre Waffenenergie in die Schutzschirme der Eindringlinge. Die kleinen Demonteure landeten auf dem Boden, bildeten weitere Schutzschirme aus und fingen sofort an, Trägerelemente mit ihren Schneidewerkzeugen zu bearbeiten.

Zehn Haematen, verteilt über die Hälfte des Raums, sprangen den eigenen Robotern zur Seite und konzentrierten ihr Feuer auf den unaufhaltsam näher rückenden Feind.

Ein Rudel von drei kleinen Demonteuren schwebte auf den nächsten Haematen zu. Der Mann war angesichts der Übermacht erstaunlich tapfer. Während Dankvord die glühend heißen Kampfstrahlen der SOL-Roboter über sich hinwegzischen sah, warf er immer wieder einen kurzen Blick zu den Soldaten hinüber, die er befehligte.

Die drei Maschinen kesselten den Mann ein, der wütend um sich feuerte. Schließlich waren ihre Schutzschirme so nahe, dass er den Finger vom Auslöser nehmen musste, um sich nicht selbst zu gefährden. Durch die Öffnung in der Decke kamen weitere Roboter, die ausnahmslos die typische Kastenform aufwiesen.

»Nein!«, gellte die Stimme des Haematen durch den Hangar, während sich die Welt um ihn herum in ein Irrenhaus verwandelte.

Einer der Demonteure griff durch seinen Schirm hindurch, als wäre er nicht vorhanden, und wand dem Soldaten die Waffe aus der Hand. Die anderen packten ihn an den Oberarmen, hoben ihn vom Boden auf und schwebten, allen Hindernissen geschickt ausweichend, auf die Hangardecke zu. Dort fehlten bereits mindestens zehn Abdeckplatten und ließen dahinter die von den Blitzen der Waffenstrahlen erhellten Montagegitter erkennen.

Auch auf die ineinander verschmolzenen Schirme der Mausefalle-Roboter prallten die Glutbahnen. Sie wurden scheinbar mühelos abgeleitet. Die Demonteure waren gegen die Waffen der SOL immun; es war sinnlos, sie weiterhin bekämpfen zu wollen. Trotzdem schossen die SOL-Roboter und die Männer weiter auf die Eindringlinge.

Der Hangar erzitterte unter mehreren Detonationen. Einige der Männer schrien voller Furcht und Entsetzen. Die Roboter näherten sich ohne erkennbare Hast, entwaffneten einen zweiten Soldaten und transportierten ihn ebenfalls ab, vermutlich im Schutz der Schirme in ihr Raumschiff.

Dankvord ließ seine schwere Energiewaffe sinken und zog sich Schritt um Schritt zurück. Verwirrt sah er, dass die Roboter geradezu fürsorglich mit den Solanern umgingen. Dabei waren sie allerdings von einer beharrlichen Zielstrebigkeit. Es gab keine überflüssige Geste, keine unnütze Bewegung.