Das Landhaus am Rhein, Band 4


Erstes Capitel.

Die Sage erzählt von einem Riesenkinde, das den pflügenden Bauer sammt Pflug und Pferd für Spielzeug hielt, in die Schürze nahm und davon trug.

Aehnlich erging es Manna.

Weit hinausgetragen, weltvergessend und weltüberwindend war all die Tage und Nächte ihr Denken gewesen, daß ihr das Treiben der Menschen wie Kinderspiel vorkam. Das Leben ist eitel Spiel, nur der Tod ist ernst.

So denkend stand Manna früh am Morgen nach dem Geburtstage Rolands am Fenster; sie sah in die Landschaft, sie dachte an die Menschen, aber Alles erschien ihr weit, weit entfernt.

Die Klosterglocke, die beim ersten Morgenstrahl die Zöglinge geweckt hatte, lag ihr noch so in der Erinnerung, daß sie im Schlafe ihren Schall zu hören vermeinte und davon erweckt wurde. Sie hatte sich erst besinnen müssen, wo sie denn sei.

Du bist daheim. – Wo ist daheim?

Alles war noch ruhig in der Villa, Manna allein wachte und mit ihr das zahllose Heer der Vögel im Garten.

Sie ging in den Park, sie empfand eine Unruhe, sie schaute um, als fühlte sie den Blick, der auf ihr ruhte. Auch Erich war am frühen Morgen erwacht und stand am Fenster. Aber er hütete sich wohl, durch Zeichen kund zu geben, wen er gesehen.

Er hatte das Fenster geöffnet und Manna gewahrt. Leise zog er sich zurück und dachte sich, die erfahrene Herbheit vergessend, in die Seele des Mädchens, das aus klösterlicher Abgeschiedenheit in das so reich ausgestattete elterliche Haus zurückgekehrt war.

Es läutete im nahen Dorfe und es läutete von allen Enden, diesseits und jenseits am Ufer, stromauf, stromab.

Manna verließ den Park und kehrte in das Haus zurück, um ihr Gebetbuch zu holen. Auf dem Flur hörte sie, wie Fräulein Perini den Dienern Auftrag gab, die Zimmer für die Tochter des Landrichters bereit zu halten. Manna hatte es auf den Lippen, der vormaligen Erzieherin zu klagen, wie sie sich eine unwahre Beziehung auferlegt, denn sie fürchtete Lina's Ankunft, deren flatterhaftes Wesen ihr am gestrigen Tage so störend gewesen; aber sie hatte sich vorgesetzt, Alles in sich allein zu überwinden, und es war ihr Entschluß, Lina gradaus zu bitten, sie jetzt nicht zu besuchen; sie war es sich schuldig, jetzt allein zu bleiben.

Da kam ein Bote mit einem Briefe von Lina, die bedauerte, daß ihr nicht möglich sei, die längere Gastfreundschaft auf Villa Eden anzunehmen. Sie bat Manna um ein Wort der Beruhigung, daß sie ihr deßhalb nicht zürne. Manna war froh, nun ohne Verletzung frei sein zu können.

Die Glocke läutete wieder und Manna ging zur Kirche.

Fräulein Perini war stolz und glücklich; die Anderen mochten Manna mit Allerlei zu gewinnen suchen, sie allein konnte mit ihr zur Kirche gehen.

»Haben Sie noch immer die Gewohnheit, Morgens nicht gern zu sprechen?« fragte Fräulein Perini.

Manna nickte still.

Als die Messe zu Ende war und die Beiden mit einander die Kirche verließen, sagte Fräulein Perini, daß sie Manna bei dem Pfarrer einführen wolle, der erst während ihrer Abwesenheit hieher versetzt war.

Manna bat, sie allein gehen zu lassen. Sie ging nach dem Pfarrhause. Sie schien erwartet worden zu sein, denn der Pfarrer kam ihr auf der Treppe entgegen und begrüßte sie mit einem Segensspruche. Er führte sie an der Hand in sein Zimmer.

Manna mußte sich auf das Sopha setzen. Sie begann:

»Fräulein Perini wollte mich bei Ihnen, hochwürdiger Herr, einführen. Das muß man bei einem fremden Manne, aber Sie sind kein fremder Mann, Sie sind ein Diener unserer heiligen Kirche.«

Der Pfarrer legte die Spitzen der feinen Hände auf einander und sagte mit ruhigem Tone:

»Sie sind auf dem rechten Weg, halten Sie ihn inne. Die Weltlinge kommen in einen Ort, sind fremd, wildfremd, sie wissen nicht, ob hier ein Mensch ist, der gleiche Gedanken hegt wie sie, und unter ihnen sind auch nicht zwei Menschen, die das Gleiche denken bei denselben Worten; sie haben kein Band der Einigung, sie flattern in der Schwebe wie das Sonnenstäubchen. Sie aber, treten Sie in das entlegenste Dorf, Sie sind daheim, da ist ein Haus und darin ein Mann, der Ihres Geistes, der Sie als Bruder, als Vater begrüßt; denn er ist hingesetzt von einem Höhern, und Sie sind hergeführt von einem Höhern. Seien Sie mir doppelt willkommen, da Sie dieses sogleich wußten. Klopfe an meine Thür, es wird Dir aufgethan zu jeder Zeit; klopfe an mein Herz, es ist Dir aufgethan. Ich habe kein eigen Haus, kein eigen Herz, mein Haus ist dem, der mir nachfolgt, und mein Herz dem, der es bewegt.«

Der Pfarrer hielt eine Weile inne, er betrachtete Manna, die die Augen geschlossen hatte, wie wenn sie nicht in die Sonne schauen könne, nicht in das Antlitz, auf welches der Geist sich niederläßt. Der Pfarrer mochte ahnen, wie sie bewegt war, er verweilte absichtlich auf der allgemeinen Betrachtung, ohne ins Persönliche überzugehen, er wollte den Zwiespalt zwischen der Tochter und dem Vater nicht erweitern; Manna dagegen war zurückhaltend, denn sie hatte nur dem Klostergeistlichen den ersten Grund ihrer Opferbereitschaft gebeichtet und hatte die Erlaubniß erhalten, es fortan zu verschweigen.

Beide waren zurückhaltend und Beide wußten nicht, daß sie nichts vor einander zu verheimlichen hatten. Der Pfarrer legte ihr freundlich die Hand aufs Haupt und sagte:

»Ja, daß Sie allein gekommen und wissen, warum Sie allein gekommen, das überhebt uns jeder Verständigung, wie es die Weltlinge nennen. Verständigung!« wiederholte er lachend. »Und sie verstehen einander doch nie, die Gebildeten, wie sie sich nennen, oder die Selbstgebildeten, wie sie sich nennen sollten, denn sie glauben, daß sie sich selbst zu etwas machen. Freilich sie bedürfen der Empfehlung von einem Andern, der muß sagen, das ist der und der und er ist so und so; wir aber, wir bedürfen keiner Empfehlung, keiner Einführung. Sprechen Sie mit mir von Allem, von Heiligem und Verkehrtem, von allem Großen und allem Kleinen. Wenn man Sie in der Welt beunruhigt und heimatlos macht, wissen Sie, hier ist Ruhe und Heimat. Da drüben hat Ihr Vater ein Warmhaus für Pflanzen, die nicht heimisch sind in unserm Klima; diese Stube ist ein Warmhaus für die Pflanze des heiligen Glaubens, die nicht heimisch dort ist. Ich hebe keinen Stein auf, gegen Niemand, aber ich sage und Sie wissen es, diese Pflanze ist vom Himmel in uns gebracht und ist in dieser Welt in fremdem Klima.«

Der Pfarrer blieb am Fenster stehen und schaute hinaus; Manna saß auf dem Sopha.

Geraume Zeit wurde kein Wort gesprochen.

Manna war ergriffen von dieser edlen Bereitwilligkeit.

Schüchtern fragte sie, wie sie sich zu all den Menschen verhalten solle, die sich in freundlicher Weise ihrem Elternhause angeschlossen und sich der Bildung rühmen dürften.

»Sie fragen gut und bestimmt, das ist Zeichen der Reife,« erwiderte der Pfarrer. »Was Sie thun sollen? Lächeln sollen Sie zu all den Großthuereien! Diese Weltweisen thun groß und sind so klein in ihrem Dünkel, daß die Welt nicht mehr Verstand besitze und von nicht mehr Weisheit regiert werde, als ihr Verstand ausmißt; sie wiegen Gott nach dem Gewichte ihres Gehirns.«

Es war plötzlich ein anderer Ton, in dem der Pfarrer sprach, ein heftiger, anstürmender, so daß Manna erschrocken zusammenfuhr. Der Pfarrer, der das wohl merkte, faßte sich wieder und sagte:

»Sie sehen, ich bin noch schwach und lasse mich zu Heftigkeit hinreißen. Sie werden sie nun auch kennen lernen, die sogenannten Vernunfthelden, oder eigentlich die Vernunftschwächlinge, die nie bekehrt werden können, denn ihnen fehlt der Muth, der zur Demuth werden kann.«

Der Pfarrer glaubte, daß Manna verstehe, wie er damit auf Erich ziele; er wollte vorerst nicht näher eingehen, aber sie sollte vorbereitet sein. Jetzt wendete er sich lächelnd, setzte sich und sagte:

»Doch verlieren wir uns nicht so weit. Sprechen Sie.«

Manna klagte, wie schwer es ihr werde, noch ein Jahr der Prüfung durchmachen zu sollen, sich in der Welt zu bewegen, um sich von ihr abzulösen.

Der Pfarrer beruhigte sie, indem er sagte:

»Sie wollen den Schleier nehmen, er ist bereits über Sie gebreitet und über die Welt, unsichtbar für Andere. Alles in der Welt berührt nicht Sie selbst, es ist ein Schleier zwischen Ihnen und der Welt; und dieser Schleier fällt erst, wenn der Tod uns erlöst.«

Er ging behutsamer als Prancken zu Werke, er wollte nicht gegen Erich kämpfen, und dadurch vielleicht erst ein Interesse in Manna wecken, er lobte ihn, aber in jener mitleidigen Weise, die der auf Positivem Stehende so leicht einnimmt.

Als Manna fragte, warum der Pfarrer nicht seinen Einfluß darauf gewendet, daß Erich nicht ins Haus gekommen, entgegnete er, wie er sich dieses Eifers freue, aber man müsse Vieles gewähren lassen in der Welt, und gegen den Vater wäre jeder Kampf im Voraus vergebens; dazu habe Roland seinen eigenen Willen eingesetzt. Uebrigens sei Erich, wenn auch ein vollendeter Ketzer, doch von einer gewissen Anerkennung des Heiligen, obgleich viel Hochmuth in dieser Anerkennung läge.

Ohne Ueberleitung sagte der Pfarrer, Manna möge heimkehren, man werde sie zu Hause erwarten. Sie solle nie verhehlen, daß sie bei ihm gewesen, aber er verzeihe ihr im Voraus, wenn sie ihn oft geraume Zeit vernachlässige; er verbleibe unverbrüchlich der Ueberzeugung, daß ihre innerste Seele dem heiligen Glauben zugewendet bleibe.

»Nun gehen Sie,« schloß er, »und wissen Sie, daß ich für Sie bete.«

Manna sah ihn groß an. »Ich werde für Dich beten« – wie oft hatte sie dies Wort gehört, ohne einen Zweifel daran zu hegen; jetzt kam es ihr ganz neu vor, die Frage zuckte durch ihre Seele: Kann man denn für einen andern Menschen beten?

Das Räthsel, das Roland in ihre Seele geworfen, ging neu auf, und wuchs zum Räthsel ihres Lebens.

Sie wollte fragen, ob Kinder für die Sünden der Eltern büßen müssen, ob nicht vielmehr das Kind für die Eltern sühnen kann. Sie wollte dem Pfarrer das Alles sagen, er sollte ihr helfen, aber da er jetzt wiederholte: »Nun gehen Sie, mein Kind!« wendete sie ihr fragendes Auge von ihm ab und ging.

Zehntes Capitel.

Die Cabinetsräthin erwies sich dankbar und gut unterrichtet, sie zeigte Sonnenkamp einen Brief ihres Mannes, worin dieser schrieb, daß der Fürst mit großer Befriedigung den Bericht über die Stiftung gelesen hatte. Der Fürst sprach die Absicht aus, die Villa und die berühmten Treibhäuser und Obstpflanzungen Sonnenkamps in Augenschein zu nehmen. Das sollte allerdings noch geheim gehalten werden, aber es war doch gut, daß Sonnenkamp unterrichtet war. Er ließ die Bitte zurückgehen, daß man vom Besuche des Fürsten telegraphisch Nachricht geben möge.

Wie gefangen kam er sich nun in seinem Besitzthum und im Umkreise desselben vor. Er hatte nie daran gedacht, bevor er ins Bad reiste, die Villa zu verlassen; aber jetzt war es ihm, als würde er plötzlich fortgerissen und der Fürst käme gerade während seiner Abwesenheit.

Er gab genaue Anordnungen und versprach sogar einen besonderen Lohn für schnellste Beförderung eines aus der Residenz ankommenden Telegramms; aber Tag um Tag verging, es kam nichts.

Alles war wieder im ruhigen Geleis, nur Sonnenkamp war in beständiger fieberischer Erregtheit; Prancken wollte abreisen, Sonnenkamp bat, daß er bleibe; im Vertrauen theilte er ihm mit, welchen Besuch er erwarte.

Prancken ertrug es geduldig, daß Manna jede entscheidende Annäherung ablehnte; er war froh, daß sie Erich mit offenbarem Widerwillen behandelte, denn Manna hatte nach den Tagen des harmlosen und lustigen Lebens wieder in strenger Selbstpeinigung sich zurückgezogen und ganz offenkundig, wenn sie Erich begegnete, verfinsterte sich ihr Blick.

Sonnenkamp ging unruhig durch den Park, durch den Obstgarten und die Treibhäuser; seine alte Liebhaberei, mit dem übergeworfenen sackartigen Gewande in der schwarzen Erde zu wühlen, trieb er mit größter Vorsicht. Er saß im Warmhause und wie er so sinnend in sich versunken saß, da ging es wie ein wundersames Säuseln durch die Luft, ein leises, kaum hörbares Knistern ward vernehmbar und laut rief Sonnenkamp:

»Sie ist aufgebrochen!«

Die Victoria regia hatte sich entfaltet. Er sah die Blüthe, er freute sich ihrer und doch schüttelte er ärgerlich den Kopf: Warum konntest Du nicht warten und in dem Moment, wo der Fürst dastand, aufbrechen? Die Natur müßte man zwingen können!

Er schickte sofort einen Wagen zur Cabinetsräthin. Sie kam und fand das ganze Haus, selbst Frau Ceres im Anstaunen der wunderbaren Blüthe.

Sonnenkamp erklärte ihr, wie die Victoria regia am ersten Tage schneeweiß blüht, in der Nacht die Blüthe sich schließt, in der zweiten Nacht wieder aufbricht, aber dann in rosenrother Farbe. Alle vier Tage geht eine neue Blüthe auf und die abgeblühte Blume senkt sich unter Wasser.

Er nahm die Cabinetsräthin bei Seite, sie sollte das Ereigniß sofort nach Hofe berichten. Jetzt war bestimmte Veranlassung, daß der Fürst käme.

Noch am Abend traf die Nachricht ein, daß der Fürst und die Fürstin am andern Tage eintreffen werden; sie würden es aber sehr übel vermerken, wenn man für den Besuch, der nur als eine Zufälligkeit erscheinen sollte, etwas vorbereite.

Sonnenkamp seufzte vor sich hin. Wenn Alles zufällig sein soll, dann bringt der Fürst das Adelsdiplom nicht, das bedarf ja der Vorbereitung und vieler Förmlichkeiten. Vielleicht aber ist Alles schon im Geheimen geschehen, der Cabinetsrath darf nur nichts davon verrathen.

Die unterrichtete Nachbarin hielt das nicht für wahrscheinlich und Sonnenkamp war damit die Freude verdorben. Also immer und immer muß man Neues thun! Immer warten und sorgen!

Mit der größten Selbstbeherrschung nahm er sich vor, keinerlei Verstimmung und Ungeduld erkennen zu lassen.

Am Morgen nach einer fast schlaflosen Nacht verkündete Sonnenkamp, daß heute Niemand das Haus verlassen dürfe und wie befehlend, sagte er Frau Ceres, sie möge heute nicht krank sein. Er ging zur Professorin und bat sie, die Ehrenformen des Hauses zu übernehmen; ihr gestand er, wen er heut erwarte, denn vor ihr, sagte er, könne er keinerlei Geheimniß haben.

Die Professorin schauerte in sich zusammen, ihr Blick sprach: Und das wagst Du mir zu sagen, die ich doch weiß . . .

Aber sie bezwang sich und stellte sich Herrn Sonnenkamp zur Verfügung.

Die Professorin trug heute zum ersten Mal eine Broche mit dem Pastellbilde ihres verstorbenen Mannes, und nun wollte Frau Ceres wieder all ihren Schmuck anlegen; es gelang nur schwer, sie zu überzeugen, daß sie einfach gekleidet sein müsse.

Vom Cabinetsrath aus der Residenz kam ein Telegramm, daß die Fürstlichkeiten abgereist seien.

Nun war es entschieden.

Auch Erich, Roland und Manna wurden unterrichtet. Erich wollte auf seinem Zimmer bleiben.

»Sie erwarten wol, daß Sie gerufen werden?« sagte Prancken scharf.

»Ich erwarte nichts als Freundlichkeit, wo ich mir keiner Verletzung bewußt bin,« erwiderte Erich.

Prancken machte eine kaum merkliche wegwerfende Bewegung des Kopfes, ihm war es entschieden: der Mensch muß fort, der Mensch wird lästig; diese Lehrersfamilie hat sich eingenistet wie Raupen in einem Bienenstock, da hilft nichts als Ausräuchern.

Prancken war der Ruhige, er war Kammerherr und Baron von Prancken und Alle umher waren nichts als armselige Unterwürflinge.

Nicht minder ruhig als Prancken, aber aus ganz anderem Grunde erschien Manna. Sie verwarf es, daß man von der Ankunft sterblicher Menschen sich so in Hast und Unruhe versetzen lasse. Sie war äußerlich ruhig, innerlich aber bangte sie. Was soll dieses Jagen nach Ehre von Anderen und nun gar hier?

Sie wagte schüchtern, die Bitte auszusprechen, daß sie sich zurückziehen dürfe. Man konnte ihr die Bitte nicht gewähren.

Prancken sagte, sie werde sich nach Ueberwindung der ersten Förmlichkeiten am Hof wohl fühlen und Sonnenkamp setzte hinzu, sie werde an der Seite des beliebtesten Cavaliers Freude und Ehre empfangen.

Manna schaute nieder; da kam Roland herbei. Er trug ein vollständig weißes Sommergewand.

Er war voll Uebermuth und redete Manna zu, sie solle nicht furchtsam sein, die Fürstlichkeiten seien überaus huldreich und nach den ersten Worten sei man mit ihnen wie unter Kameraden.

Auf dem flachen Dache des Hauses stand Lutz ausschauend, jetzt kam er rasch herunter und rief:

»Sie kommen!«

Alles zerstreute sich, als ob man Niemand erwartet hätte.

Zwei Wagen fuhren in den Hof. Sonnenkamp eilte die Freitreppe hinab, aber auf der untersten Stufe strauchelte er, er mußte sich am Geländer festhalten.

Was ist denn das?

Ein schwarzes Gesicht!

Ist das Einbildung oder Wirklichkeit?

»Kommen Sie, kommen Sie!« rief Prancken, der ihm nachgeeilt war. »Die Fürstlichkeiten erheben sich bereits.«

Er kam noch glücklich am Wagen an und hatte die Gunst, dem Fürsten beim Aussteigen die Hand reichen zu dürfen. Die Fürstin stieg an der andern Seite des Wagens mit Hilfe Pranckens aus; sie sprach einige huldreiche Worte, wie sie sich freue, einmal den Ort und den Mann in seinem Hause zu sehen, von wo er so viel Schönes und Gutes dem Volke schaffe.

Die Fürstin, die mit besonderem Eifer die Wohlthätigkeits-Anstalten des Landes pflegte, betrachtete sich zu Dank verpflichtet für die großen Leistungen Sonnenkamps. Sie hätte zwar lieber gesehen, wenn er die bedeutenden Summen den von ihr gegründeten Anstalten zugewiesen hätte. Es war ein entschiedener Fehler Pranckens, daß er das nicht beachtet hatte.

Ein kaum merklicher Ton der Mißlaune drang durch, indem die Fürstin sagte, sie freue sich, wenn immer neue Anstalten gegründet würden.

Frau Ceres war mit Manna herbeigekommen.

Die Fürstin sprach einige Worte zu ihr und sagte dann Manna, sie gleiche ihrem Bruder wenig, nur die Augen hätte sie gleich mit ihm. Sie fragte nach Roland.

Man sah ihn jetzt auf der Treppe, er sprach heftig in Erich hinein, er solle mit ihm gehen; aber Erich und die Mutter baten, er solle allein vorangehen. Er ging und wurde von den Fürstlichkeiten sehr liebreich bewillkommt.

Der Fürst ging nach dem Hause. Auf der Freitreppe standen die Professorin und Erich. Mit raschem Schritt ging der Fürst auf die Professorin zu und sagte, ihr beide Hände reichend, wie er sich freue, sie wiederzusehen, und auf das Pastellbild der Brosche deutend, fügte er hinzu, daß er diesem Manne ein dankbares Andenken bewahre, er trage sein Bild im Herzen. Erich schien kaum bemerkt zu werden; ein Blick der Mutter sagte dem Fürsten: »Sprich mit meinem Sohn,« und der Fürst wendete sich an Erich mit den Worten:

»Hoffentlich haben Sie, lieber Dournay, einen bessern Schüler als Ihr seliger Herr Vater an mir hatte.«

Erich wußte nichts zu erwidern, er verbeugte sich still. Jetzt trat Prancken vor und fragte:

»Wollen Hoheit zuerst den Park und die blühende Victoria regia oder das Haus in Augenschein nehmen?«

»Fragen Sie die Fürstin,« wurde erwidert.

Mit großer Gewandtheit bewegte sich nun Prancken nach der andern Gruppe und erhaschte den Blick Manna's, der ihm überall hin folgte. Was ist jetzt Erich? Dort steht der arme Mensch; es ist lächerlich, daran zu denken, daß er neben einem Prancken etwas bedeuten mag.

Die Fürstin sagte, daß sie nach der Fahrt im Freien lieber ins Haus eintrete.

Man begab sich nach dem Balconsaal, wo ein Frühstück bereit stand. Sonnenkamp hatte die Kühnheit, zu sagen, daß die erhabenen Fürstlichkeiten mit dem einfach Unvorbereiteten, das ein schlichter Mann zu bieten vermag, vorlieb nehmen möchten.

Frau Ceres hatte die Gunst, rechts neben dem Fürsten zu sitzen, zu seiner Linken befahl er die Professorin; die Fürstin saß zwischen Sonnenkamp und Roland.

Erich fand in einem der begleitenden Cavaliere einen ehemaligen Kameraden, der sich mit ihm unterhielt.

»Sie müssen nun bald eintreten,« wendete sich der Fürst an Roland.

Sonnenkamp sah ihn starr an. Der Fürst weiß ja, wann Roland eintreten soll. Er erwartete jeden Augenblick, daß der Fürst einem Kammerherrn winke, er möge ihm das Adelsdiplom überreichen, aber es geschah nicht. Der Fürst unterhielt sich angelegentlich mit der Professorin und sprach sein Bedauern aus, daß eine so edle und geistig belebende Dame dem Hof entzogen sei. Man stand bald wieder auf und Sonnenkamp war glücklich, wie der Fürst Alles besichtigte und Treibhaus und den Park und die kunstvolle Obstzucht mit hohem Lobe rühmte. Plötzlich fragte der Fürst die Professorin:

»Wo ist denn Ihre Schwägerin, die schöne Claudine?«

»Sie ist hier bei uns, sie wohnt mit mir in dem Hause, das Herr Sonnenkamp uns eingeräumt hat.«

»Besuchen wir sie,« sagte der Fürst.

Nun ging es durch die neue Thür über die Wiese nach dem grünen Hause.

Claudine war überrascht, aber sie bewahrte ihre gute Haltung.

Der Fürst sagte, er könne sich gar kein Harfenspiel vorstellen, ohne Fräulein Claudine mit ihren langen Locken dazu zu denken, wie sie auf einem Tabouret saß und die Harfe im Arme hielt; es sei eine seiner liebsten Jugend-Erinnerungen, wie er sie im Zimmer seiner Mutter gesehen und gehört habe; das sei die schönste Romantik seiner Kindheit. Wiederholt sprach er seine Dankbarkeit gegen die Schwester seines Lehrers aus und pries Herrn Sonnenkamp glücklich, zwei so edle Frauen zu Nachbarn zu haben.

Der Fürst hatte das ernste Bestreben, die Menschen glücklich zu machen, und er glaubte sie durch porzellanene Redeblumen zu beglücken; er war überzeugt, daß Tante Claudine von diesem Tage an ein Genügen und eine Freude ohne Gleichen empfinden werde.

Er blieb lange in dem grünen Häuschen und befahl zuletzt, daß die Wagen hieher kämen, damit man von hier wieder abreise.

Erich, der nicht zum Mitgehen aufgefordert worden, war auf der Villa zurückgeblieben und unterhielt sich mit dem fürstlichen Lakaien, einem großen Mohr, genannt Adams, der eine phantastische Livree trug.

Der Mohr wurde bald zutraulich. Erich erfuhr nur abgerissen einzelne Thatsachen aus seinem Leben. Er war als kühnster Springer und Mann von ungeheurer Stärke Mitglied einer Reiterbude gewesen. Der Bruder des Fürsten, der eine Reise in Amerika gemacht, kaufte ihn los und nahm ihn mit nach Europa. Jetzt war er der Lieblingslakai des Fürsten. Während er sprach, sah er immer nach der Villa; sein rollendes Auge schien etwas zu suchen.

Erich sprach zum ersten Mal in seinem Leben einen Menschen, der Sklave gewesen; es bewegte ihm dies das Herz und doch konnte er ein Bangen nicht überwinden, zumal da der Neger so unruhig war, als hätte er etwas in sich zu bekämpfen.

Während Erich mit dem Neger sprach, war im grünen Hause von ihm die Rede. Die Tante lenkte mit Geschick das Gespräch auf ihn und erzählte dem Fürsten, welch ein Mann Erich geworden. Als man nun nach dem Wagen ging, sagte der Fürst ganz laut zur Professorin:

»Wo ist denn Ihr Herr Sohn? Sagen Sie ihm, daß ich ihm gern einmal beweisen möchte, wie ich mich unserer Jugendkameradschaft erinnere.«

Die Fürstlichkeiten fuhren davon. Der große Mohr, der auf dem Rücksitz saß, schaute lange rückwärts.

Sonnenkamp war sehr verstimmt. Er sagte zu Prancken, dieser Besuch des Fürsten habe eine unbegreifliche Wendung genommen; er verstehe das nicht. Er gab nun den Verdruß kund, daß er, der Herr des Hauses, eigentlich am wenigsten beachtet worden sei; es mochte ihn aber noch etwas Anderes beunruhigt haben.

Als man nach der Villa zurückkehrte, ging Manna auf Erich zu und sagte ihm:

»Der Fürst hat Ihrer Mutter einen besonderen Gruß an Sie aufgetragen und Sie sollen sich erinnern, daß Sie sein Jugend-Kamerad gewesen.«

»Das einzig Erfreuliche an der fürstlichen Gnade ist für mich, daß Sie, Fräulein Manna, mir die Botschaft überbringen,« entgegnete Erich.

Alle staunten über diese Zutraulichkeit zwischen Manna und Erich. Prancken lachte höhnisch über die gewandte Keckheit des Schulmeisters.

»Wo waren Sie denn?« fragte Sonnenkamp im verweisenden Ton.

»Ich glaubte nicht folgen zu sollen; inzwischen hat es mich interessirt, mich mit dem Diener des Fürsten zu unterhalten.«

Sonnenkamp sah ihn seltsam an, dann ging er nach seinem Treibhause.

Prancken verkündete laut, daß er nun auch abreise; er erwartete offenbar, daß Manna Einsprache erhebe, aber sie sagte nichts. So ritt er davon und hinterließ eine seltsam verwirrte Stimmung auf der Villa.

Elftes Capitel.

Ein Blitz zuckt am nächtlichen Himmel auf und verschwindet wieder; einen Augenblick war Alles grell beleuchtet, dann aber sieht man erst recht, wie dunkel es ist. So auch war es, nachdem die Fürstlichkeiten weggegangen waren. Ein Jedes vermied den Andern und ging seinen eigenen Weg.

Niemand aber sprach seine Enttäuschung ehrlicher aus, als der Kammerdiener Joseph, und der Haushofmeister gab ihm Recht; er konnte aber nicht viel sagen, denn er hatte den Mund voll von den Leckerbissen, die weggeräumt wurden; er nickte nur immer stumm mit dem Kopfe und wurde ganz roth dabei. Joseph aber sagte:

»Nicht einmal ein Trinkgeld haben sie hinterlassen! Was ist nun von der ganzen Herrlichkeit da? Nichts. Und bei Hofe ist nicht besser gedeckt und bedient und reichlicher aufgetragen. Schämen sollten sie sich! Nicht einmal ein Trinkgeld zu hinterlassen!«

Ja, so war's.

Niemand als vielleicht Tante Claudine, an die man gar nicht gedacht hatte, konnte sich an etwas Wirklichem freuen.

Sonnenkamp sann und grübelte, womit er den offenbaren Umschlag in der gnadenvollen Stimmung des Fürsten veranlaßt haben könnte. Es empörte sein Innerstes, daß er so abhängig sein sollte von der Laune, vom Blicke eines Andern – er, der Mann, der frei und herrschmächtig waltete. Er vergegenwärtigte sich noch einmal den ganzen Verlauf des Besuches und jetzt glaubte er es gefunden zu haben. Es war nur ein Zupfen an den Handschuhen, das Kunde gegeben hatte; aber es war unzweifelhaft, da war es. Er hatte dem Fürsten gesagt, wie er sich freue, aus derselben Quelle wie der gnädige Herr neue Gesundheit zu trinken, und da der Fürst ihn fragend ansah, hatte er hinzugesetzt, daß er ebenfalls nach Karlsbad reise und dort jeden Tag das Glück haben könne, das Antlitz seines Fürsten zu begrüßen. Ja, da war es, daß der Fürst einen raschen, staunensvollen Blick ihm zuwendete und an den Handschuhen zupfte.

Es war ein entschiedener Fehler, bekannte sich Sonnenkamp, daß er nicht Zurückhaltung genug gehabt, denn von der Badereise des Fürsten war ja noch nichts officiell bekannt gemacht; es war voreilig und verrieth etwas von Kundschafterei, daß Sonnenkamp davon sprach. Konnte denn der Fürst das nicht freundlich aufnehmen? Hatte Sonnenkamp nicht die Sache in einer guten und, wie ihm schien, sogar anmuthigen Wendung berührt?

Weiter ging sein Denken und neue Anzeichen stellten sich heraus. Hatte denn der Fürst nicht zu Tante Claudine gesagt:

»Hier bei Ihnen ist es mir herzlich wohl, hier treffe ich Alles in der gewohnten, durch nichts unterbrochenen Verfassung.«

Der Fürst schien beleidigt, daß heimliche Vorbereitungen für sein Eintreffen geschehen waren. Ist denn das aber nicht allgemeine Sitte gegen die Fürstlichkeiten?

Und jetzt wendete sich Sonnenkamps Aerger aufs Neue nicht gegen sich, sondern gegen den Fürsten.

Der Fürst sollte doch bedenken, daß er lange in der fremden Welt gelebt, und die Professorin hätte Alles besser bedenken müssen, sie war ja Hofdame gewesen; auch Prancken hätte es bedenken müssen, er ist ja Kammerherr.

Zum ersten Male ging ihm auf, wie wunderlich, daß diese Menschen alle den Ehren-Humbug so ernst behandeln; aber freilich, er besteht nur dadurch, daß Eines vor dem Andern sich den Anschein gibt, als hege es andächtige Verehrung dafür.

Eine kurze Weile dachte er daran, den ganzen Plan aufzugeben. Wozu sich adeln lassen? Wozu in Hofkreise eintreten? Warum sich eine ständige Gebundenheit auferlegen? Er war stolz darauf, eine freie Natur zu sein, und nun sollte er sich uniformiren lassen, Schritt und Tritt, Bewegung und Wort nach der Hofsitte messen? Lieber wollte er bleiben, wer er ist, stolz in sich, und die ganze Gesellschaft offen verachten, wie er sie doch eigentlich im Stillen verachtet.

Schmerzlich fühlte er, daß er bereits zu weit gegangen; ein Rückzug war eitel Schande. Und wie lange hatte er Frau Ceres mit dieser Hoffnung vertröstet, welche Verbindlichkeiten hatte er gegen Prancken und vor Allem gegen Roland! Was sollte aus ihm werden, wenn er nicht in den Adelstand eintritt? Soll vielleicht Roland selbst und seine Nachkommen wieder arm werden können? Nein, der Adel muß gewonnen werden. Aus dem kühn eroberten Besitzthum wird ein Fideicommiß gegründet, so daß von Geschlecht zu Geschlecht seine Nachkommen nicht mehr der Ehre und des Reichthums entkleidet werden können; das Landhaus und die Burg bleiben als festes unveräußerbares Besitzthum in der Familie.

Etwas aus seiner eigenen Vergangenheit stieg in Sonnenkamp auf und laut sagte er vor sich hin:

»Du bist Deinem Kinde schuldig, das von ihm abzuwenden, was Dich dahin gebracht hat.«

Fest und entschieden kehrte er wieder ins Haus und that vor Allen sehr beglückt von diesem Besuch. Ja, als Joseph ihm erzählte, die Fürstlichkeiten hätten kein Trinkgeld hinterlassen, spendete er ein reichliches mit dem Zusatze, daß Prancken damit beauftragt gewesen; die Diener sollten in der ganzen Umgegend verbreiten, daß der Fürst dagewesen und reiche Trinkgelder hinterlassen habe. Das wird alle Umwohnenden neidisch machen und mit Neid werden sie es immer weiter verbreiten, und das Beste dabei ist doch noch, daß Alle betrogen sind.

Sonnenkamp pfiff leise vor sich hin und das war ein untrügliches Zeichen, daß er überaus heiter und zufrieden war. Er widmete seine besondere Aufmerksamkeit der Tante, lobte ihre Bescheidenheit und den großen Blick des Fürsten, der sie richtig zu würdigen wisse. Es schien ihn wahrhaft zu ergötzen, wie die Menschen das Lob ablehnen und doch heimlich gekitzelt davon sind.

Er ging immer lächelnd umher; erfreute sich, wie er das allgemeine Phantom der Ehre zerstören konnte. Dieser Fürst war von Verehrung, Huldigung, Unterwürfigkeit umgeben – glaubt er, daß er in der That geehrt ist? Was thut's? Er sieht sich geehrt und das ist genug. Wer wird fragen, mit was die Münze legirt ist, wenn man die Dinge der Welt dafür bekommen kann?

Die ganze Verdüsterung, die der Besuch des Fürsten hervorgebracht, verflog wie der Nebel, der sich am Sommermorgen über die ganze Gegend lagert; ja der Nebel ist ein Zeichen des hellen Wetters, er wird zum Thau, und Alles glitzert und schimmert.

Eine neue Bewegung kam in das ganze Haus, die Vorbereitungen zur Badereise wurden gemacht. Auch Erich hatte ohne Weiteres sich bereit erklärt, er glaubte verpflichtet zu sein, Roland nicht mehr zu verlassen.

Sonnenkamp hatte seine besondere Lust am Badeleben; da ist Freiheit, leicht sich fügende Gesellschafts-Verbindung; das ist doch der eigentliche Punkt, wo die festgesessenen Menschen sich hinausbegeben und, ohne daß sie es wollen, auch von ihrer philisterhaften Gebundenheit erlöst werden. Er schlug jeden Einwand des Doctor Richard nieder, indem er keck behauptete, der Leibarzt des Fürsten habe ihm Karlsbad angerathen. Dorthin kam der Fürst mit Gefolge, dorthin kamen Bella und Clodwig, dort mußte sich Alles entscheiden, die Adelserhebung, die Verlobung Pranckens.

Manna war beunruhigt, daß sie, kaum ins elterliche Haus zurückgekehrt, schon wieder in eine neue Fremde versetzt werden sollte. Roland erzählte ihr, wie schön es war, als Erich im vergangenen Jahre die Badereise ablehnte; er konnte nicht genug berichten, wie es ihn anfangs gekränkt, daß er den Freuden entsagen solle, wie es ihm aber dann die glückseligste Zeit geworden, so allein mit Erich lebend Tag und Nacht mit ihm wandern, Alles mit ihm empfinden. Am hellen Tage, in der linden Nacht war es damals schön gewesen, jetzt in der Erinnerung war es noch glänzender, noch wonniger. Manna wurde nachdenklich: der Mann hat sich die Freuden der Zerstreuung versagt, um selber seine Pflicht zu erfüllen und einen Andern zur Pflichterfüllung anzuleiten? Eine Erkenntniß von der sittlichen Kraft Erichs ging in ihr auf; auch er kann entsagen.

»Ach,« rief Roland, »Du kannst Dir gar nicht denken, welche Glückseligkeit es ist, so allein wochenlang mit Erich hier auf der Villa zu sein.«

Manna lächelte, sie begrüßte indeß Erich immer zutraulicher; eine gewisse Uebereinstimmung in der Kraft der Entsagung, um dem eigenen Innern zu genügen, dämmerte in ihr. Sie war entschlossen, dem Reichthum zu entsagen; sie wußte, welch ein Flecken darauf ruht, sie wollte mit Aufopfern ihrer selbst Alles das sühnen und betrachtete sich als Opfer. Wie das vollzogen wird, war ihr nicht klar, sie überließ es der heiligen Satzung, aber in diesem Entschlusse war sie freundlich gegen den Vater. Es lag ein Ausdruck wehmüthiger Güte in all ihrem Thun und Reden; sie war versöhnt, als lebte sie in einer höhern Welt, als wäre Alles bereits gesühnt, und sie selber war das Sühnopfer.

Sonnenkamp freute sich dieser Milde seines Kindes, sie erschien ihm als eine Sinnesänderung; er glaubte, daß die jugendliche Lebenslust den Vorsatz in ihr besiegt, und so oft er ihr nahte, war eine Milde und Dankbarkeit in seinem Wesen, daß selbst Manna davon gerührt wurde. Es erschien ihr immer mehr, als ob ihr Opfer bereits von den höheren Mächten angenommen wäre, da der Vater so zarter, so versöhnender, so gütiger Natur geworden.

Seelenbewegungen der verschiedensten Art lebten in den Menschen, die in die Wagen stiegen, um ins Bad zu reisen.

Wer kann vorher ermessen, welche Umstimmung sie Alle erfahren?

Zwölftes Capitel.

Die Saison in Karlsbad war glänzend; noch selten waren so viel vornehme und so viel abenteuerliche Gäste hier versammelt gewesen. In die Klasse der abenteuerlichen, aber auch in die der vornehmen zugleich gehörte Sonnenkamp, der mit großem Gefolge gekommen war, mit Frau und Tochter, Sohn, Hofmeister, Gesellschafterin und mehreren Dienern, die er aber bescheidentlich nicht in Livree, sondern in einfacher bürgerlicher Kleidung gehen ließ.

Der fürstliche Hof, Clodwig und Bella waren bereits eine Woche im Bade, als das Haus Sonnenkamp ankam.

Am selben Tage reiste ein ebenso bescheidener als wohlangesehener Gast ab; Erich traf ihn noch, als er den letzten Becher am Sprudel trank. Es war Weidmann. Unter der Badgesellschaft war noch mehrere Tage die Rede davon, daß der Fürst diesen Präsidenten seines Abgeordnetenhauses, den unbeugsamen Oppositionsmann, zweimal zur Tafel geladen und mehrmals beim Morgengang angesprochen hatte. Die Statistik schwankte nur, die Einen behaupteten, die Morgenansprache sei zweimal, die Anderen dagegen, sie sei dreimal geschehen.

Wieder war die Begegnung zwischen Erich und Weidmann nur eine vorübergehende, und Erich scheute sich zu wiederholen, daß er Weidmann einmal besuchen werde.

Bella war sehr aufgeheitert, aber ihre Belebung war mehr äußerliche Unruhe; sie sagte Erich, es sei schön, daß man nun wochenlang tagtäglich mit einander verkehren würde; sie erwartete große Erheiterung davon und war so unbefangen, ihn damit zu necken, daß, wenn ein Wohlthätigkeits-Concert gegeben werde, wobei sie spiele, er singen müsse.

Clodwig machte bald seinen jungen Freund mit einem alten bekannt. Es war dies ein vielseitig gebildeter Banquier aus der großen Handelsstadt, den er alljährlich im Bade traf, und dann waren die beiden alten Herren viele Stunden des Tages beisammen. Der Banquier war bei siebzig Jahren jugendlich unruhig, von eben so viel Lernbegierde als Mittheilungslust. Clodwig behielt seine bemessene Ruhe, er sprach fast nie während des Gehens; wenn er etwas zu sagen oder seinem mittheilsamen Freunde zu erwidern hatte, blieb er stehen.

Der Banquier sagte Erich alsbald mit einer gewissen Geflissentlichkeit, daß er Jude sei. Clodwig mußte offenbar schon viel von Erich erzählt haben. Die rasche Art, wie der Freund Clodwigs sich nun Erich nahe stellte, fand indeß bei diesem nicht das entsprechende Entgegenkommen; jeder Dritte war ihm störend, denn er hatte sich sehr daraus gefreut, viel mit Clodwig zu verkehren, und nun nahm der Banquier einen guten Theil weg.

An den Frühstückstischen auf der alten Wiese war der Fürst und Gräfin Bella häufig Gegenstand des Gesprächs; man sagte, daß die Curmusik einen von ihr componirten Walzer spiele. Die Toilette der Gräfin Bella wurde gemustert, noch mehr aber war davon die Rede, daß der Fürst fast täglich mit ihr ging; er war dabei überaus heiter und man hörte ihn oft über die zierlichen Entgegnungen Bella's lachen. Auch Clodwig konnte sich vieler Gunstbezeugungen erfreuen.

Bella bildete einen besonderen Hof für sich; sie frühstückte mit einer gewählten Gesellschaft im Freien vor aller Welt, und ihr Tisch war stets mit den schönsten Blumen geschmückt.

Auch der Weincavalier und der Portraitmaler waren auf einige Zeit im Bade. Es war schon der vierte Curort, den der neue Baron von Endlich in diesem Sommer in seiner gewählten Eleganz mit seinem geheimen Album und seinen zierlichen Anekdoten erfreute. Er war, wie er oftmals wiederholte, natürlich nur nach Karlsbad gekommen, um seine hochverehrten Nachbarn zu begrüßen. Bella empfing ihn sehr kalt, auch Clodwig entschuldigte sich, daß er nicht viel Zeit habe. Er entschädigte sich dadurch, daß er unter allgemeiner Aufmerksamkeit einige Schachpartien mit einem berühmten anwesenden Schachspieler spielte.

Der Maler unterrichtete Erich eifrig über die Abenteuer der hier Heilung suchenden Männer und Frauen. Er fand Erich unbegreiflich naiv und unwissend.

Wenn Sonnenkamp dem mit Bella wandelnden Fürsten begegnete – und dies geschah an jedem Morgen – nickte ihm Bella huldreich zu, auch der Fürst begrüßte ihn mit einem Kopfnicken, hatte ihn aber trotz mehrtägiger Begegnung noch nicht angesprochen.

Der Cabinetsrath war ebenfalls im Gefolge des Fürsten, und mit ihm und einem vielerfahrenen Polizeirath, der den Fürsten immer aus der Ferne umkreiste, machte Sonnenkamp in der Regel seinen Morgengang.

Prancken, der selbständig wohnte, sich aber der Familie Sonnenkamp anschloß, war bald in das ganze Getriebe eingeweiht.

Eine schöne Spanierin, die tief schwarz gekleidet einsam daherging, einen dunklen Schleier auf dem Kopf trug und mit Niemand sprach, kämpfte mit Bella um den Preis der Aufmerksamkeit. Man sagte der Spanierin nach, daß sie das Unglück gehabt habe, nach den ersten Tagen ihrer Ehe zu entdecken, daß ihr Mann bereits anderweitig verheiratet war.

Frau Ceres erregte eine Empörung in der ganzen Badegesellschaft. Sie ließ sich Morgens in einem Handwagen zum Brunnen fahren, auf ihrem Schooße lag ein kleiner Hund und in der Hand hielt sie eine frische Rose.

Prancken bemühte sich immer sehr geflissentlich um sie, und Fräulein Perini war beständig neben ihrem Wagen.

Am Mittag ging Frau Ceres schön geschmückt den Promenadenweg.

Die ganze Badegesellschaft war empört und jeden Morgen richteten sich alle Blicke nach ihr, weil sie, die doch gesund war, sich im Gedränge fahren ließ. Frau Ceres freute sich dieser allgemeinen Aufmerksamkeit; daß sich darin Zorn kundgab, bemerkte sie nicht.

Manna mischte sich nur wenig in das morgendliche Badeleben; sie ging früh zur Messe und übte sich fleißig im Harfenspiel, wozu sie ein Zimmer auswählte, in welchem sie von Niemand gehört werden konnte. In der Kirche begegnete sie oft der verschleierten Spanierin, sie hatte ein Verlangen, sich der einsam Trauernden zu nähern, aber sie unterließ es; trug sie ja selbst Schweres genug in der Seele.

Prancken klagte viel über die außerordentliche Gnade des Fürsten, der ihn oft ganze Tage seinen Freunden entzog.

Sonnenkamp konnte sich, Dank den Bemühungen Bella's, rühmen, mitten in der auserwählten Gesellschaft zu stehen. Er kümmerte sich nichts darum, daß die vornehme Gesellschaft unter sich sagte, eine Badebekanntschaft verpflichte nicht zu ferneren Beziehungen; er hoffte, ja er glaubte mit Zuversicht, daß vielleicht noch hier die Entscheidung kommen würde, die ihn mit der vornehmen Welt in gleiche Linie versetzte; er benahm sich schon im Voraus mit Unbefangenheit als Gleicher unter Gleichen.

Bella hatte an einem Vergnügungsorte, wo sie sich länger aufhalten mußte, keine Ruhe, bis sie Jemand hassen und verfolgen konnte; dann erst war ihre Lustigkeit eine volle. In Ermangelung eines Andern mußte nun die Spanierin herhalten. Bella behauptete, die zur Schau getragene Einsamkeit der Spanierin sei eine Maske, es stecke nichts als eine Pariser Putzmacherin dahinter; trauernde junge Wittwe spielen, sei Comödie und es wirke sehr, sich mit Trauerkleidern und schwarzem Flor zu drapiren. Sie forderte nun die Männer ihres Kreises auf, die Schleier-Spanierin, wie sie sie gern nannte, zu verfolgen und zu zwingen, daß sie sich demaskire. Der Weincavalier erklärte sich dazu bereit, aber die Verhüllte zeigte sich mehrere Tage nicht mehr, sie war verschwunden. Der Weincavalier ließ durchschimmern, daß das verabredet sei; Bella war sehr vergnügt darüber, daß sich ihre Voraussetzung bestätigt hatte. Sie gab dem Weincavalier zu verstehen, daß das einen Glanz gebe, ein so ungewöhnliches Abenteuer gehabt zu haben, und so mußte er, um den Schein eines Abenteuers zu wahren und die Voraussetzung Bella's zu bestätigen, abreisen. Sie lachte hinter ihm drein, wie man sie noch gar nicht hatte lachen hören, als er am Morgen bei seinem letzten Frühstück zu verstehen gab, seine schnelle Abreise habe etwas Verschleiertes. Nun war Bella doppelt wohlgemuth.

Bella und Sonnenkamp gelangten in tagtäglichen, wochenlangen Verkehr, in eine ihnen selbst ungeahnte Beziehung. Im Grunde hatten sie eine Verwandtschaft oder Gemeinsamkeit, die in ihrer Weltverachtung bestand. Bella hatte eine tiefe Verachtung gegen das Hofleben, in dem sie sich doch so wohlig bewegte, Sonnenkamp zeigte ihr dagegen die Verächtlichkeit andrer Kreise. Beide erschienen sich als die Starken, denn sie fanden, daß sie den gleichen Weg gehen.

Der Menschenverächter wird eine gewisse Unruhe der Vereinsamung nicht los; trifft er nun einen Andern, der gleich ihm gestimmt ist, so gibt ihm das eine Gewähr seiner Sinnesweise und diese Befriedigung kann zur Wurzel eines ganz neuen Verhältnisses werden. In solcher Weise vereinigen sich in niederen Sphären Gauner und in höheren kluge Staatsmänner, die alles ideale, alles gute und reine Streben für eitel Phrase ansehen; und in solcher Weise vereinigten sich Bella und Sonnenkamp.

Beide stimmten vollkommen darin überein, daß die ganze Gemeinschaft, alle Gesellschaft nichts als stillschweigende Uebereinkunft von Lügen sei; Niemand glaubt dem Andern, Niemand ehrt den Andern und Alles, was man als bedeutsam preist, ist nichts als ein Aufputz, ein Humbug, den man eben aufrecht erhält, so lange es geht; nur einige Tölpel von Lehrern und Ideenjägern glauben vielleicht noch an ihre selbstverfertigten Götzen.

Sonnenkamp erklärte, daß sie die erste Frau sei, in der er wirklichen Geistesmuth entdecke, und trotzdem Beide einverstanden waren, daß Alles, was man sich Schönes und Gutes sagt, nur Lüge und Uebereinkunft sei, empfanden Beide, daß dieser Ausspruch auf Wahrheit beruhte. Bella wußte, daß sie Muth hatte, und erkannte Sonnenkamp das Recht zu, diesen Muth zu legalisiren.

Er gab ihr wiederholt zu verstehen, daß er allein ihre große Natur begreife, ja er sagte einmal geradezu:

»Wer eine Frau hätte wie Sie und selber ein Mann wäre . . . eine erobernde Natur mit einer Frau wie Sie . . . richtete einen neuen Thron auf in der Welt. Ich hatte darauf verzichtet, eine zum Herrschen geborene Natur wie Sie kennen zu lernen.«

Er sagte das halb wie Höflichkeit, aber sie wußte, daß es voller Ernst war, und faßte es als Ernst. Sie war empört über die kleinliche Welt, wo sich die Einen an einer Intrigue, die Andern an dem gefallen, was sie Humanität nennen, das aber nichts ist als Sentimentalität.

So lag im Gruß der Beiden, auch wenn sie nur rasch an einander vorüberstreiften, immer ein viel Sagendes, auf geheimer Einigung Beruhendes. Sie sagten sich in kurzem Blicke: Wir allein sind die Starken und groß genug, um jede Tändelei zu verschmähen.

Es war an einem schönen Julimorgen, als Bella große Frühstückstafel hielt; sie hatte die Familie Sonnenkamp geladen und auch Manna erschien heute mit der Mutter. Der Cabinetsrath, der General-Adjutant und mehrere Männer und Frauen vom ersten Adel aller Länder waren ebenfalls anwesend.

Man bewunderte den reichen und geschmackvollen Blumenschmuck des Frühstückstisches.

Bella stellte Herrn Sonnenkamp als den geist- und erfindungsreichen Geber vor und mit großem Geschick zeigte sie den Gästen, wie Herr Sonnenkamp, bekannt als der größte Gartenkünstler, die Zusammenstellung der Blumen zu behandeln wisse.

Sonnenkamp war sehr zufrieden mit dem Eindruck.

Manna bemerkte mit Zagen, daß sie von der Blumenverschwendung, die hier im Orte stattfinde, verletzt sei; durch Massenzusammenstellung und gepreßte Gebundenheit zerstöre man den Charakter der Blumen, vor Allem der Rosen; man beleidige gewissermaßen diese zarten Wesen.

Erich entgegnete, daß ohne diese Blumen dem Leben hier ein Glanz und eine Heiterkeit fehlen würde; auch das Reinste und Schönste sei nicht vor Mißbrauch und Uebertreibung sicher, das dürfe uns aber den schönen Grundzug nicht verkennen lassen.

Das Gespräch verlief in Scherz und Heiterkeit und gewann jene frohe Spannung, die die Brunnencur und die Frische des Morgens hervorbringt, und dazu hatte man in einem langen Premierlieutenant aus einem der kleinsten deutschen Fürstenthümer auch eine Zielscheibe des Witzes. Der lange Lieutenant hatte offen gestanden, daß er nach dem Bade gekommen sei, um eine reiche Bürgerliche mit seinem Adel zu beglücken; er hatte das Bella vertraut und sie suchte ihn nun in allerlei scherzhafte Verbindungen zu bringen.

Der lange Lieutenant ließ sich's gefallen; er hatte einen stehenden Witz: er bedauerte »auf Ehre«, daß Roland nicht auch eine Tochter Sonnenkamps sei, er würde sie heiraten.

Manna erröthete, denn damit war offen gesagt, daß man sie als Braut Pranckens betrachtete.

Es wurde viel erzählt von zerrissenen, keck überspringenden, frivolen Lebensübergängen mancher Badegäste. Manna starrte drein und innerlich sagte sie sich: Es ist gut, den ganzen Wirrwarr der verkehrten Welt kennen zu lernen, bevor man sie verläßt.

Clodwig, Sonnenkamp, Erich, Roland und der Banquier unternahmen einen weiten Gang durch den Wald. Bella behielt Manna bei sich.

Da Prancken heut von jedem Dienst befreit war, blieb auch er bei ihnen.

Bella besprach mit Manna ihre Kleidung zur nächsten Reunion, denn sie hatte es dahin gebracht, daß Sonnenkamp mit seiner Familie zu einer solchen geladen wurde, in der nur der ausgesuchteste Adel Europa's sich zusammenfand. Manna hatte gebeten, daß sie zurückbleiben dürfe, aber dies wurde als durchaus unmöglich abgelehnt; sie willfahrte nun und wußte kaum, daß sie es gethan. Bella, die sich großer Menschenkenntniß rühmte, hatte ihrem Bruder oft gestanden, daß sie aus Manna nicht klug werde. Sie hatte sich in das Vertrauen derselben einzudrängen gesucht, aber Manna hörte sie meist nur lächelnd an, als ob sie zu einem ganz anderen Menschen spräche; auch jetzt hatte sie einen Blick, in dem etwas Abwesendes lag. Sie sprach hier zu Bella und Prancken und ihre Gedanken wanderten andere Wege, vielleicht gingen sie mit Denen, die jetzt durch den Wald wanderten . . .

Erich hatte sich zuerst Clodwig angeschlossen, und dieser lächelte, da der junge Mann ihm berichtete, daß er noch nie ein Badeleben mitgemacht und daß es ihn fast verwirre.

Bei einer Biegung des Weges trat Erich zurück und ließ Sonnenkamp mit Clodwig gehen. Der Verkehr mit Sonnenkamp hatte für Clodwig etwas Abstoßendes und Anziehendes zugleich. Er hatte einen solchen Mann noch nicht kennen gelernt; vor Allem erkannte er einen gewissen Muth, da der Mann sich gar kein falsches Mäntelchen umhing.