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Über den Author

David Livingstone (1813 – 1873) wurde in Blantyre, Schottland geboren. Seine Familie war arm, und so musste er sich schon früh als Baumwollspinner verdingen. Zu Beginn der 30er-Jahre hatte er genügend Geld gespart, um in Glasgow die Universität zu besuchen. Hier widmete sich der Schotte neben dem Medizinstudium seinem bereits in der Kindheit geweckten theologischen Interesse. Tief beeindruckt von der Bekanntschaft mit dem Missionar Robert Moffat entschloss er sich, als Glaubensbote nach Afrika zu gehen, nachdem sich sein Traum, in China zu arbeiten, wegen des ersten Opiumkrieges zerstreut hatte.

Dr. Heinrich Pleticha (1924 – 2010) lebte und arbeitete in Würzburg als Lehrer und später als Honorarprofessor. Als anerkannter Experte auf dem Gebiet der Entdeckungs- und Reiseliteratur war er Autor und Herausgeber zahlreicher Sachbücher. In der Edition Erdmann ist er u.a. Herausgeber von Mungo Parks Reisen ins innerste Afrika und von Henry Morton Stanleys Wie ich Livingstone fand.

Zum Buch

Eine schmucklose Platte im Boden der Westminster-Abtei in London kennzeichnet das Grab von David Livingstone. Was zunächst unspektakulär anmutet, ist in Wahrheit die höchste Auszeichnung, die außer Kolumbus keinem anderen Entdecker der Weltgeschichte zuteilwurde. Der furchtlose Schotte hat sie sich hart erarbeitet. Sohn eines Baumwollspinners, eignete er sich im Selbststudium medizinische und theologische Kenntnisse an und ging 1840 als Missionar nach Südafrika. In drei abenteuerlich-strapaziösen Reisen gelang ihm, was noch keinem Forscher vor ihm geglückt war: Er entdeckte den Ngamisee im Norden des ehemaligen Betschuanalandes, erforschte in einem 4000 Kilometer langen Marsch bis nach Luanda den oberen Sambesi, brach von dort zu einer Expedition quer durch den Kontinent zur Ostküste auf und stieß schließlich auf die nach Queen Victoria benannten Victoriafälle.

Was ursprünglich als missionarischer Aufenthalt gedacht war, legte rückblickend das Fundament für den Werdegang zu einem der bedeutendsten abendländischen Afrikaforscher überhaupt: 1840 gründet der junge abenteuerlustige Livingstone im Kapland eine Missionsstation, die er jedoch schon bald zugunsten eines reinen Forscherdaseins wieder aufgibt. Der Erfolg gibt ihm Recht. Von einem leidenschaftlichen Entdeckergeist und einer nie nachlassenden Bereitschaft getrieben, sich auf unwägbare Lebenssituationen einzulassen, spürte er in den Jahren 1849 bis 1856 den an der Nordgrenze der Wüste Kalahari gelegenen Ngamisee sowie die Victoriafälle auf, und durchquert so zu Fuß, zu Pferd und mit Booten der Eingeborenen mehrere tausend Kilometer südafrikanisches Land.

DIE 100 BEDEUTENDSTEN ENTDECKER

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David Livingstone

David Livingstone

Reisen und Entdeckungen im südlichen Afrika

Von der Kalahari zu den Victoria-Fällen

1849 – 1856

Herausgegeben von Heinrich Pleticha

Mit 27 Abbildungen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.marixverlag.de/Edition_Erdmann

INHALT

David Livingstone – Leben und Werk

REISEN UND ENTDECKUNGEN IM SÜDLICHEN AFRIKA VON DER KALAHARI ZU DEN VICTORIA-FÄLLEN

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Worterklärungen

Quellen und Literatur

DAVID LIVINGSTONE – LEBEN UND WERK

Nur eine schmucklose Platte im Boden der Westminster-Abtei in London kennzeichnet das Grab des Afrikaforschers David Livingstone. Und doch hat Großbritannien ihm damit höchste Ehren erwiesen; denn er ruht hier im Pantheon des Britischen Reiches an der Seite seiner Könige. Eine solche Auszeichnung wurde – bis auf Kolumbus – keinem anderen Entdecker zuteil. Livingstone hat sie verdient. Wenn er als der bedeutendste Afrikaforscher und als einer der größten Entdecker überhaupt bezeichnet wird, so sind solche Superlative durchaus berechtigt. Merkwürdigerweise sind seine Leistungen aber keineswegs allgemein bekannt, erreichten seine Reisewerke bei Weitem nicht die Auflagen und den Popularitätsgrad anderer Klassiker der Entdeckungsliteratur und erinnert sich ein breites Publikum heute an seinen Namen nur noch im Zusammenhang mit der sogenannten Errettung durch Henry Morton Stanley.

Dabei ist nicht nur die wissenschaftliche Leistung des Forschers höchst beachtenswert, sondern auch sein Lebensweg von der frühesten Jugend bis zu seinem einsamen Tod in Zentralafrika. Es ist ein Weg von seltener Geradlinigkeit und ohne Kompromisse, der von einem armseligen Haushalt in Schottland bis zur letzten Ruhestätte in der Westminster-Abtei führt.

Livingstone wurde am 29. März 1813 in Blantyre in der Nähe von Glasgow in Schottland geboren. Er stammte aus einer alten Bauernfamilie, doch hatte schon der Großvater seinen kleinen Besitz verkauft und sich in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen Arbeit in einer der damals gerade aufblühenden Baumwollspinnereien gesucht. Der Vater verdiente sein Geld als Teekrämer, die Mutter musste mehr schlecht als recht die Kinder versorgen. Kein Wunder also, dass David schon mit zehn Jahren in die Fabrik geschickt wurde, um durch seinen kleinen Verdienst zur Verminderung der familiären Sorgen beizutragen. Livingstone berichtete in der Einleitung zu seinem nachfolgend abgedruckten ersten großen Reisewerk selbst über diese harten Jahre. Seine Erinnerungen sind dabei etwa vergleichbar mit den Autobiografien Heinrich Schliemanns oder Maxim Gorkis. Lesehunger und Lernbegier des Jungen beeindruckten tief.

Mit einem Teil des ersten Wochenverdienstes kaufte er sich ein Lehrbuch der lateinischen Sprache. Am Abend nach der Arbeit besuchte er von acht bis zehn Uhr eine Feierabendschule, die von den Fabrikbesitzern eingerichtet worden war. Dann studierte er daheim bis Mitternacht weiter, und oft riss ihm, wie er erzählt, die Mutter das Buch aus den Händen, weil er um sechs Uhr früh wieder mit der Arbeit beginnen musste. Nebenbei verschlang er in seiner Lesewut alle Bücher, die er nur auftreiben konnte, vor allem naturwissenschaftliche Werke und Reiseliteratur. Weniger interessierten ihn theologische Werke und religiöse Erbauungsbücher, sehr zum Missfallen des Vaters, der seine Ansicht von der Notwendigkeit solcher Lektüre sogar mit dem Stock durchzusetzen suchte. Dann aber fielen ihm Thomas Dicks »Philosophie der Religion« und »Philosophie eines künftigen Lebens« in die Hände, und diese Werke eröffneten ihm die Erkenntnis, dass sich Religion und Wissenschaft durchaus vereinen ließen und nicht im Gegensatz zueinander stehen mussten, wie er bisher angenommen hatte.

Nach ihrer Lektüre reifte in dem Mann der Plan, als Missionar nach China zu gehen. Es war kennzeichnend für Livingstones praktische Auffassung, dass er zugleich beschloss, sich eine solide medizinische Ausbildung zu verschaffen, um für den erstrebten Beruf besser geeignet zu sein. So kaufte er sich einige ältere medizinische Werke und setzte mit ihnen zuerst einmal sein Selbststudium fort. Er war inzwischen vom Ansetzer zur Spinnmaschine aufgerückt, an der er zwar angestrengter arbeiten musste, dafür aber besser entlohnt wurde. »Die mühsame Arbeit des Baumwollspinnens, zu welcher ich in meinem 19. Lebensjahr befördert wurde, war ausnehmend streng für einen hageren Jüngling von schwächlichem Körperbau«, erklärte er selbst. Während er seine Maschine bediente, legte er die Bücher auf ihr zurecht, um nebenbei lesen zu können.

Der bessere Lohn ermöglichte es ihm, im Sommer genügend für den Unterhalt der Familie zu verdienen und im Winter an der Universität Glasgow Vorlesungen über Medizin und Theologie zu besuchen. Er hoffte, sein Ziel ohne fremde Unterstützung erreichen zu können, schloss sich aber auf Empfehlung einiger Freunde schließlich einer Missionsgesellschaft in London an. »Sie sendet weder die bischöfliche noch die presbyterianische Kirche noch die der Independenten, sondern das Evangelium Christi zu den Heiden.« Auch diese Entscheidung war kennzeichnend für Livingstone, der sich in religiösen Fragen weitgehende Unabhängigkeit bewahren wollte. Wir begegnen dieser mit Toleranz gepaarten Einstellung immer wieder in seinen Büchern. Selten nur fallen kritische Worte über eine christliche Religionsgemeinschaft oder über Andersgläubige, und wenn, dann dürfen wir sicher sein, dass sie einem berechtigten, wohlüberlegten Urteil entspringen.

Die Missionsgesellschaft unterstützte den jungen Mann, der in Glasgow seine medizinischen Studien mit einer Arbeit über die Anwendung des Stethoskops abschloss. Sein Plan, nach China zu gehen, scheiterte allerdings an den politischen Verhältnissen; denn der sogenannte Opiumkrieg verhinderte jede missionarische Tätigkeit. Dafür lernte er aber Robert Moffat (1795–1883) kennen, der im Auftrag der »Missionary Society« schon 1816 nach Südafrika gegangen war und 1820 bei den Betschuanen in Kuruman eine Missionsstation gegründet hatte. Er galt als einer der besten Kenner Südafrikas und der dortigen Verhältnisse und lenkte Livingstones Aufmerksamkeit auf das noch weitgehend unerschlossene Gebiet. Dieser nahm die Anregung dankbar auf, vertiefte noch ein Jahr seine theologische Ausbildung und schiffte sich 1840 nach Afrika ein.

Die folgenden Jahre verbrachte er zuerst als Missionar und Arzt auf der Station Moffats, der selbst noch bis 1843 in England weilte. Seine wenige freie Zeit verwandte er auf naturwissenschaftliche Studien und das Erlernen der Eingeborenendialekte. Kleinere Reisen in die Gegend nördlich von Kuruman überzeugten ihn, dass sich dort ein neues, günstiges Betätigungsfeld bot, und so gründete er eine erste eigene Station in Mabotsa. 1844 heiratete er Mary Moffat, eine Tochter des Missionars, die mit ihm zusammen 1845 weiter nördlich nach Tschowane zog, wo sich Livingstone bei dem Bahuena-Häuptling Setschele niederließ. Eine schwere Dürreperiode zwang ihn aber, die Station 1847 nach Kolobeng im westlichen Betschuanenland zu verlegen.

Sein Bericht über die Arbeit in Kolobeng gibt zugleich einen erschütternden Einblick in die Mentalität der in dieser Gegend lebenden verwilderten Buren, die nicht mit den Bewohnern des Kaplandes gleichgesetzt werden dürfen. Für sie waren die Eingeborenen nur Wild, das man jagen konnte. Sie gingen auf Sklavenfang aus und wollten natürlich jede missionarische Tätigkeit in ihren »Jagdgründen« verhindern. Livingstone erzählt von ihrem Überfall auf seine Station. Er klagt dabei nicht an, betrauert nur den Verlust seiner Bücher, die von den Horden zerrissen worden war. Doch er erkannte, dass er vorerst nicht länger in Kolobeng bleiben konnte, und entschloss sich deshalb im Juni 1849, zu Beginn der für Reisen in Südafrika günstigen Jahreszeit, eine größere Entdeckungsreise durch die Kalahari zu unternehmen und den Ngami-See zu suchen, von dessen Vorhandensein er durch Jäger und Eingeborene Kenntnis erhalten hatte. Die Kosten für das Unternehmen trugen überwiegend die beiden englischen Elefantenjäger Oswell und Murray, die ihn begleiteten.

Livingstone nahm auch seine Familie mit auf die Reise. Für ihn hatten diese wie auch alle folgenden Expeditionen von vornherein friedlichen Charakter. In den Eingeborenen sah er Freunde und Brüder, was ihn jedoch nicht hinderte, nötigenfalls auch sehr energisch aufzutreten. Gewalt verabscheute er, und deshalb kam es auf seinen Reisen auch nur selten zu Zusammenstößen, die sich durchwegs bereinigen ließen. So kann es auch kaum größere Gegensätze geben als ihn und Henry Morton Stanley. Livingstone suchte die Begegnung, war sich bei allen Reisen seiner eigentlichen missionarischen Aufgabe voll bewusst. Stanley dagegen suchte häufig genug Konfrontation und setzte seinen Willen mit Gewalt durch. Niemand wird dessen Leistungen schmälern wollen, seine entdeckungsgeschichtlichen Werke faszinieren auch heute noch, aber sie bleiben letzten Endes typische Zeugnisse eines sogenannten Willensmenschen, wobei er vielfach das Geschehen bewusst dramatisierte, während Livingstone nur sehr zurückhaltend berichtet und wissenschaftliche und historische Details geschickt in die Darstellung einbaut. So können seine Werke auch als Quellen zur Geschichte Afrikas im 19. Jahrhundert dienen.

Am 1. August entdeckte die Reisegesellschaft tatsächlich den Ngami-See. Es war ein beachtenswerter Erfolg für den damals in der wissenschaftlichen Welt noch völlig unbekannten fünfunddreißigjährigen Missionar, der zugleich sein Leben von Grund auf verändern sollte; denn von nun an widmete er sich in zunehmendem Maß der geografischen Forschung. So zog er in den beiden folgenden Jahren nochmals mit der Familie in die Kalahari, erreichte 1850 wieder den Ngami-See und kam 1851 zu dem Makololo-Häuptling Sebituane. Da er aber erkannte, dass dieses Reisen mit Frau und Kindern ihn behinderte und die Familie zugleich gesundheitlich gefährdete, gab er seine Missionsstation endgültig auf und schickte seine Angehörigen nach England zurück, während er selbst im Juni 1852 jene große Reise antrat, die ihn berühmt machen sollte und den Hauptinhalt des folgenden Buches bildet.

Die Kenntnis des südlichen Afrika war um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch ausgesprochen dürftig. Die Portugiesen hatten lediglich den Unterlauf des Sambesi bis zu den Quebrabasaschnellen, also knapp fünfhundert Kilometer flussaufwärts, erforscht. Der Versuch Francisco de Lacerdas, Ende des 18. Jahrhunderts einen Weg quer durch das südliche Afrika zu finden, war gescheitert, der Forscher selbst hatte am Meru-See den Tod gefunden. Livingstone beabsichtigte, den Lauf des Sambesi näher zu erforschen und zugleich einen geeigneten Weg von den Wohngebieten der Makololo zur Westküste zu finden und damit gleichzeitig die Missionsarbeit zu erleichtern. Von Kapstadt aus ging er zuerst nach seiner alten Station Kolobeng und von da auf der ihm schon bekannten Route nordwärts nach Linyanti, dem Hauptort der Makololo. Sekeletu, der Sohn Sebituanes, unterstützte diese Pläne mit beachtenswerter Weitsicht.

Von Linyanti aus zog Livingstone, wie wir im Folgenden ausführlich lesen, erst am Sambesi aufwärts, überquerte die Wasserscheide zwischen Sambesi und Kongo, wandte sich dann beim Dilolo-See nach Nordwesten und erreichte schließlich nach erheblichen Strapazen Ende Mai 1854 die portugiesische Niederlassung Loanda an der Atlantikküste. Die Reise war zwar ein wesentlicher Beitrag zur Erforschung Afrikas, doch bewies sie gleichzeitig, dass sich die verfolgte Route praktisch nicht nutzen ließ. Kurz entschlossen kehrte Livingstone deshalb auf dem fast gleichen Weg wieder nach Linyanti zurück und wandte sich im November 1855 nach Osten, um dem Sambesi abwärts bis zum Indischen Ozean zu folgen. Gleich zu Beginn dieses neuen Reiseabschnitts entdeckte er die großen Wasserfälle des Sambesi, die er nach seiner Königin Victoria-Fälle benannte. Ende Mai 1856 erreichte er die Ostküste des Erdteils bei Quilimane und hatte damit innerhalb von vier Jahren das südliche Afrika als erster europäischer Reisender durchquert.

Mit der Rückkehr in die Heimat schließt unser Buch. Seine Berichte machten den sechsundvierzigjährigen Forscher mit einem Schlag berühmt und brachten ihm hohe Auszeichnungen, lenkten ihn aber gleichzeitig für einige Jahre von seinen ursprünglichen wissenschaftlichen und humanitären Zielen ab; denn die britische Regierung ernannte ihn zum Konsul für Ostafrika mit Sitz in Quilimane. Doch war man in London klug genug, ihn nicht zu eng an die Kolonialverwaltung zu binden, sondern die nötige Freiheit für kleinere Forschungsaufgaben zu lassen und ihn vor allem im Kampf gegen die Sklaverei zu unterstützen. So unternahm er in den Jahren von 1858 bis 1864 acht kleinere, meist weniger beachtete Reisen, auf denen er den Unterlauf des Sambesi genauer erforschte und den Schire flussaufwärts bis zum Njassa-See verfolgte und zweimal den Rowuma befuhr. Da spektakuläre Erfolge ausblieben, regten sich die üblichen Neider. Unsachliche Kritik vergällte ihm 1864 einen Aufenthalt in der Heimat. Um so begieriger griff er daher den Vorschlag der Königlichen Geographischen Gesellschaft auf, das große Rätsel der Nilquellen lösen zu helfen.

1858 hatten Richard F. Burton und John H. Speke den Tanganjika-See und kurz danach Speke den Victoria-See entdeckt, es war ihnen aber nicht gelungen, die Trennung der Flusssysteme von Nil und Kongo zu klären. So reiste Livingstone 1865 in einem Alter, in dem andere Forscher sich längst zur Ruhe setzten, weil sie sich den Strapazen nicht mehr gewachsen fühlten, erneut nach Ostafrika. Hier knüpfte er bewusst an die vorangegangenen kleinen Unternehmungen an, und statt von Sansibar aus auf dem üblichen Karawanenweg nach Westen zu ziehen, fuhr er erneut den Rowuma aufwärts bis zum Njassa-See und zog an dessen Westufer vorbei nach Norden. Eine nach England gelangte Nachricht, er sei hier ermordet worden, konnte glücklicherweise von einer rasch ausgeschickten Suchexpedition widerlegt werden. Unter schwierigen Umständen erreichte Livingstone im April 1867 das Südende des Tanganjika-Sees. Überall stieß er dabei auf die grauenvollen Spuren arabischer Sklavenjäger. Seine viel zu wenig bekannten posthum veröffentlichten Tagebücher sind eine schwere Anklage gegen diese Verbrechen und erschüttern noch heute jeden Leser.

Vom Tanganjika-See aus wandte er sich westwärts, gelangte noch im November des gleichen Jahres zum Meru-See und im Juli des darauffolgenden zum Bangweolo-See. Von da aus kehrte er wieder nach Norden zurück, wo er in Ujiji, dem Endpunkt des Karawanenwegs am Ostufer des Tanganjika-Sees Nachschub an Lebensmitteln und Medikamenten vorzufinden hoffte. Aber diese Vorräte waren gestohlen worden. Statt daraufhin die an sich schon lange und erfolgreiche Expedition abzubrechen und an die Ostküste zurückzukehren, beschloss er trotzdem, erneut in das Gebiet westlich des Sees vorzustoßen und dort die Flusssysteme zu erkunden.

Livingstone war zu diesem Zeitpunkt der Lösung des Problems sehr nahe, wenn er auch seine Aufmerksamkeit zu stark auf mögliche Quellflüsse des Nils konzentrierte und die Möglichkeit einer Verbindung dieser Flüsse mit dem Kongo außer Acht ließ. Immerhin gelangte er westwärts bis Nyangwe, einem wichtigen Stützpunkt der Sklavenhändler am Lualaba, den er für den Oberlauf des Nils hielt. Unruhen der Eingeborenen und Intrigen der Sklavenhändler verhinderten eine Weiterfahrt flussabwärts und damit die Erkenntnis, dass es sich hier um einen der Quellflüsse des Kongo handelte, wie erst neun Jahre später Stanley beweisen sollte.

So aber kehrte er nach Ujiji zurück. Seine lange Abwesenheit und Aussagen von Eingeborenen hatten in Europa erneut das Gerücht von seiner Ermordung aufkommen lassen und schwere Besorgnis ausgelöst. Deshalb sandte der New Yorker Zeitungsverleger James Gordon Bennett im November 1869 Henry Morton Stanley, einen seiner rührigsten jungen Reporter, auf die Suche nach Livingstone. Dieser kam nach verschiedenen Zwischenaufenthalten erst im Herbst 1870 nach Sansibar und zog von da aus mit einer großen Hilfskarawane in das Innere. Er erreichte Ujiji nur fünf Tage, nachdem Livingstone vom Lualaba zurückgekehrt war.

Man kann über dieses erste Afrika-Unternehmen Stanleys denken, wie man will, und es auch als den raffiniert aufgezogenen Coup eines Reportes bezeichnen, zwei große Vorzüge aber wird niemand leugnen können: Livingstone erhielt dadurch endlich den dringend benötigten Nachschub gerade zur rechten Zeit, um neuen Lebensmut zu gewinnen. Das spürt man deutlich aus seinen Tagebuchaufzeichnungen vom 28. Oktober. Und mehr noch, zwischen den beiden ungleichen Männern keimte eine echte Freundschaft auf, Stanley wurde zum Schüler Livingstones, dessen Werk er mit der Erforschung des Kongo weiterführte.

Gemeinsam umfuhren die beiden das Nordufer des Tanganjika-Sees, danach kehrte Stanley wieder nach Osten zurück, während sich Livingstone standhaft weigerte, ihn zu begleiten. Der zähe alte Schotte, der schon krank und möglicherweise auch vom Tod gezeichnet war, wollte um jeden Preis sein Werk vollenden. Allein blieb er im Inneren des Erdteils zurück und wartete nur auf neuen Proviant, den ihm Stanley von der Küste aus schicken sollte. Am 19. März 1872, fünf Tage nach der Abreise Stanleys und am Tag seines 59. Geburtstages, schrieb er in sein Tagebuch: „Mein Jesus, mein König, mein Leben, mein Alles. Dir weihe ich von Neuem mein ganzes Leben. Nimm mich an und gewähre mir, mein erbarmender Vater, mein Leben zu vollenden, ehe dieses Jahr seinen Lauf vollbracht hat. In Jesu Namen bitte ich es. Amen, so sei es.«

Seine Bitte sollte sich nicht erfüllen. Er zog erst einmal an der Ostseite des Tanganjika-Sees südwärts erneut bis zum Bangweolo-See und umwanderte, stets nach den Nilquellen suchend, dessen Osthälfte. Aber die Strapazen dieser letzten Reise waren zu viel für den geschwächten Körper. Am 27. April 1873 vermerkte er ein letztes Mal in seinem Tagebuch: »Völlig erschöpft und bleibe – erholen …« In der Hütte eines Eingeborenendorfes machte er Rast. Dort fanden ihn am Morgen des 1. Mai seine schwarzen Diener vor dem Bett kniend, der Kopf ruhte auf den gefalteten Händen. Der Tod hatte ihn im Gebet überrascht.

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David Livingstones Reisen 1841–1873

Die treuen Diener unter der Führung von Susi und Chuma begruben sein Herz unter einem Baum und balsamierten den Leichnam auf primitive Weise ein. Dann transportierten sie ihn heimlich und unter größten Strapazen zur Küste, eine Tat tiefster Treue, die noch ein letztes Mal bewies, wie beliebt Livingstone bei seinen Leuten gewesen war! Die kleine Karawane erreichte den Indischen Ozean, und ein Schiff brachte den toten Forscher in die Heimat, wo er am 18. April 1874, ein Jahr nach seinem Tod, in der Westminster-Abtei beigesetzt wurde.

Die folgende Ausgabe bringt den etwas gekürzten Text der ersten deutschen Übersetzung seiner »Missionary Travels and Researches in South Africa« (London 1857) von 1858. Die Kürzungen beschränken sich dabei überwiegend auf nur für die Erscheinungszeit interessante und wesentliche naturkundliche Angaben sowie auf einige theoretische Erörterungen zu den bis dahin ungeklärten geografischen Problemen. Die Substanz des eigentlichen Reiseberichts blieb unangetastet. Berichtigt wurde die Rechtschreibung der alten Ausgabe, beibehalten dagegen die Namenschreibung.

Heinrich Pleticha

REISEN UND ENTDECKUNGEN IM SÜDLICHEN AFRIKA

VON DER KALAHARI ZU DEN VICTORIA-FÄLLEN

ERSTES KAPITEL

Die allgemeinen Weisungen, welche ich von den Direktoren der Londoner Missions-Gesellschaft erhielt, veranlassten mich, sobald ich Kuruman und Lattakoo erreichte, welches damals wie noch heutzutage ihre am weitesten vom Kap landeinwärts gelegene Station war, meine Aufmerksamkeit nordwärts zu richten. Ich hielt mich daher nicht länger in Kuruman auf, als für die Rast meiner Zugochsen notwendig war, die von der langen Reise von der Algoa-Bucht her ziemlich abgetrieben waren, brach dann in Begleitung eines anderen Missionars nach dem Bakuena- oder Bakwain-Land auf, und fand Setschele mit seinem Stamm in Schokuane angesiedelt. Kurz darauf kehrten wir wieder nach Kuruman zurück; da jedoch unsere Zwecke durch eine zeitweise Exkursion dieser Art durchaus nicht zu erreichen waren, so nahm ich mir vor, so bald wie möglich einen neuen Streifzug ins Innere anzutreten. Nach einem etwa dreimonatigen Aufenthalt in Kuruman, welches eine Art Hauptstation in diesem Land ist, kehrte ich nach einem Ort zurück, welcher ungefähr fünfzehn englische Meilen südlich von Schokuane liegt und Lepelole (jetzt Litubaruba) hieß. Um mir eine möglichst genaue Kenntnis der Landessprache zu verschaffen, schloss ich mich hier ungefähr ein halbes Jahr lang von allem Umgang mit Europäern ab und verschaffte mir durch diese mir auferlegte schwere Probe eine Einsicht in die Lebens- und Denkweise, die Gesetze und die Sprache jenes Teils der Betschuanas, die man Bakuena nennt – Kenntnisse, welche mir in meinem Verkehr mit denselben von unberechenbarem Vorteile waren.

Auf dieser zweiten Reise nach Lepelole – welches beiläufig gesagt von einer Höhle dieses Namens so heißt – begann ich Vorbereitungen zu einer Niederlassung und leitete einen Graben zur Bewässerung von Gärten aus einem Strom ab, welcher damals reichlich floss, jetzt aber ganz trocken ist. Als diese Vorbereitungen schon ziemlich weit gediehen waren, wandte ich mich nordwärts, um die Bakaa und Bamangwato sowie die Makalaka zu besuchen, welche zwischen dem 22. und 23. Grad südlicher Breite wohnen. Das Bakaa-Gebirge war vorher von einem Handelsmann besucht worden, der mit allen seinen Leuten dem Fieber erlag. Als ich den nördlichen Teil dieser Basalthügel in der Nähe von Letlotsche umging, war ich nur zehn Tage von dem unteren Teil des Zouga entfernt, welcher auch unter dem Namen Ngami-See bekannt ist; wäre ich also nur auf Entdeckungsreisen ausgegangen, so hätte ich schon damals (1842) jenen See entdecken können. Der größte Teil dieser Reise über Schokuane hinaus wurde zu Fuß gemacht, weil die Zugochsen krank geworden waren. Einige unserer Begleiter, welche erst neuerdings zu uns gestoßen waren und nicht wussten, dass ich einigermaßen mit ihrer Sprache bekannt war, unterhielten sich so, dass ich es hören konnte, über mein Aussehen und meine Kräfte folgendermaßen: »Er ist nicht stark, er ist ganz hager und erscheint nur stämmig, weil er sich in diese Säcke (die Beinkleider) gesteckt hat; es wird ihn bald aufreiben.« Da wallte in mir das hochländische Blut auf und machte mich gleichgültig gegen die Strapazen, sie allesamt mehrere Tage nacheinander in ihrem geschwindesten Schritt zu erhalten, bis ich sie andere und entsprechendere Ansichten über meine Leistungsfähigkeit als Fußwanderer unter sich austauschen hörte.

Auf dem Rückweg nach Kuruman, als ich mein Gepäck nach der beabsichtigten Niederlassung bringen wollte, traf mich die Nachricht, dass jener Stamm der Bakuena, der sich mir so freundlich erwiesen hatte, durch die Barolongs aus Lelepole vertrieben worden sei, sodass vorerst meine Aussichten auf die Gründung einer Ansiedelei daselbst vereitelt waren. Es war eine jener periodischen Fehden um den Besitz von Hornvieh ausgebrochen, welche seit unvordenklichen Zeiten hier landesüblich zu sein scheinen, und hatte die Beziehungen der Stämme untereinander so sehr umgewandelt, dass ich mich von Neuem aufmachen musste, um mich nach einer passenden Örtlichkeit zu einer Missionsstation umzusehen.

Da mehrere Leute vom Stamm der Bamangwato mich nach Kuruman begleitet hatten, musste ich sie und ihr Eigentum wieder an ihren Häuptling Sekomi zurückgeben. Dies machte abermals eine Reise zu dem Wohnort dieses Häuptlings nötig, wobei ich zum ersten Mal eine Entfernung von mehreren Hundert englischen Meilen auf Ochsen reitend zurücklegte.

Zum Rückweg nach Kuruman wählte ich mir das schöne Tal von Mabotsa (25° 14′ südlicher Breite, 26° 30′ östlicher Länge?), weil es der Sitz einer Missionsstation war, und dorthin siedelte ich im Jahr 1843 über. Hier trug sich ein Ereignis zu, bezüglich dessen ich in England häufig befragt worden bin und das ich, ohne die lästigen Fragen von Freunden, lieber für mich behalten hätte, um es einst in meinen alten Tagen meinen Kindern zu erzählen. Die Bakatla des Dorfes Mabotsa wurden sehr von Löwen beunruhigt, welche bei Nacht in die Viehhürden einbrachen und ihnen die Kühe zerrissen, ja sogar am hellen Tag die Herden angriffen. Letzteres war eine solch ungewöhnliche Begebenheit, dass die Leute sich behext wähnten; sie glaubten, wie sie zu sagen pflegten, von einem benachbarten Stamm in die Gewalt der Löwen übergeben worden zu sein. Einmal zogen sie aus, um die Tiere anzugreifen; da sie aber im Vergleich zu den Betschuanas im Allgemeinen bei derartigen Anlässen ein ziemlich feiger Menschenschlag sind, so kehrten sie wieder nach Hause zurück, ohne einen Einzigen erlegt zu haben.

Nun ist es wohl bekannt, dass, wenn aus einem Rudel Löwen auch nur ein Einziger getötet wird, die übrigen sich den Wink zunutze machen und diesen Teil des Landes meiden. Das nächste Mal nun, als die Herden wieder angegriffen wurden, zog ich mit den Leuten aus, um ihnen Mut einzuflößen, damit sie durch Erlegung eines dieser Räuber sich die übrigen vom Hals schaffen sollten. Wir fanden die Löwen auf einem kleinen Hügel, der etwa eine Viertelmeile lang und mit Bäumen bedeckt war. Wir bildeten einen Kreis von Männern um den Hügel, und die Leute rückten nach und nach dicht zusammen, während sie miteinander den Hügel hinaufstiegen. Ich war noch unten auf der Ebene mit einem eingeborenen Schulmeister namens Mebalwe, einem ausgezeichneten Mann; da sah ich einen der Löwen auf einem Felsstück innerhalb des nun geschlossenen Kreises von Männern sitzen. Mebalwe feuerte auf ihn, noch ehe ich es konnte, und die Kugel traf auf den Felsen, auf welchem das Tier saß. Der Löwe biss nach der getroffenen Stelle, wie ein Hund nach einem Stecken oder Stein schnappt, der nach ihm geschleudert worden ist; dann sprang er davon, brach durch den sich öffnenden Kreis und entwischte unbelästigt. Die Männer scheuten sich, ihn anzugreifen – vermutlich, weil sie an Hexerei glaubten. Als der Kreis wieder geschlossen worden war, gewahrte ich zwei andere Löwen in demselben; allein wir scheuten uns zu feuern, um nicht die Menschen zu treffen, und sie ließen auch diese Tiere ausbrechen. Hätten die Bakatla nach dem dortigen landesüblichen Brauch gehandelt, so wären die Löwen bei ihrem Versuch, die Kette zu durchbrechen, mit Speeren erlegt worden. Wir sahen wohl, dass wir die Leute nicht dazu bringen konnten, einen der Löwen zu töten, und machten uns daher wieder auf den Heimweg nach dem Dorf; als wir aber um das Ende des Hügels herumgingen, sah ich eines dieser Raubtiere wie zuvor auf einem Felsstück sitzen, nur hatte es diesmal einen kleinen Busch vor sich. Da es nur etwa dreißig Schritt von mir entfernt war, zielte ich durch das Gebüsch hindurch auf seinen Leib und feuerte beide Teile auf ihn ab. Da schrien die Männer: »Er ist getroffen! Er ist getroffen!« Andere riefen: »Er hat auch von einem anderen Schützen eine Kugel bekommen! Lasst uns zu ihm hingehen!« Ich hatte niemanden außer mir auf den Löwen feuern sehen, bemerkte jedoch, wie der Löwe hinter dem Busch seinen Schweif voll Grimm ganz steil in die Höhe richtete, wandte mich daher zu den Leuten und sagte: »Wartet ein wenig, bis ich wieder geladen habe.« Während ich aber die Kugeln in den Lauf stieß, hörte ich einen Schrei. Ich schrak zusammen, blickte mich halb um und sah den Löwen gerade im Begriff, auf mich loszuspringen. Ich stand auf einer kleinen Anhöhe, er packte mich im Sprung an der Schulter und wir beide stürzten miteinander auf den Boden nieder. Er brüllte dicht an meinem Ohr entsetzlich und schüttelte mich dann, wie ein Dachshund eine Ratte schüttelt. Diese Erschütterung verursachte eine Betäubung, etwa wie diejenige, welche eine Maus fühlen muss, nachdem sie zum ersten Mal von einer Katze geschüttelt worden ist. Sie versetzte mich in einen träumerischen Zustand, worin ich keine Empfindung von Schrecken und kein Gefühl von Schmerz verspürte, obschon ich mir vollkommen dessen bewusst war, was mit mir vorging. Dieser Zustand glich demjenigen, den Patienten unter dem Einfluss einer nur teilweisen Narkose durch Chloroform beschreiben, sie sehen die ganze Operation, aber fühlen das Messer nicht. Diese eigentümliche Lage war nicht das Ergebnis irgendeines geistigen Vorgangs. Das Schütteln hob die Furcht auf und ließ keine Regung von Entsetzen beim Umblick nach dem Tier aufkommen. Es mögen wohl alle Tiere, welche von den großen Fleischfressern getötet werden, diesen eigentümlichen Zustand empfinden; und ist dies der Fall, so erkennen wir darin eine gnädige Vorkehrung unseres allgütigen Schöpfers zur Verminderung der Todesqual. Als ich mich umdrehte, um das Gewicht abzuschütteln, denn der Löwe hatte mir eine Tatze auf den Hinterkopf gesetzt, sah ich seine Augen auf Mebalwe geheftet, welcher aus einer Entfernung von zehn bis fünfzehn Schritten auf ihn zu feuern versuchte. Sein Gewehr mit Feuerschloss versagte aber auf beiden Läufen. Der Löwe verließ mich nun augenblicklich und griff Mebalwe an, den er in den Schenkel biss. Ein anderer Mann, dem ich früher einmal das Leben gerettet hatte, als er von einem Büffel in die Luft geschleudert worden war, versuchte nun, den Löwen mit dem Speer niederzustoßen, während er Mebalwe biss. Jetzt verließ das Tier Mebalwe und packte den anderen an der Schulter, allein in diesem Augenblick wirkten die beiden Kugeln, die er erhalten hatte, und er brach verendend zusammen. Das Ganze war eine Sache von wenigen Augenblicken und wohl eine Wirkung des Todeskampfes. Um nun den Zauberbann an ihm aufzuheben, machten die Bakatla am folgenden Tag ein großes Freudenfeuer über dem Körper des erlegten Löwen, der nach ihrer Aussage der größte gewesen sein sollte, welchen sie je gesehen hatten. Das Tier hatte mir nicht nur den Knochen zu Splittern zermalmt, sondern am Oberarm auch noch elf Zahnwunden hinterlassen.

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»Sein Gewehr mit Feuerschloss versagte aber auf beiden Läufen«

Eine Wunde von den Zähnen dieses Tieres gleicht einer Schusswunde, hat gewöhnlich eine sehr starke Eiterung und Schorfbildung zur Folge und verursacht Schmerzen, welche man noch lange nachher periodisch in dem verletzten Körperteil fühlt. Ich trug bei jener Gelegenheit eine Jacke von gewürfeltem schottischem Wollzeug (Tartan), welche nach meinem Dafürhalten das ganze Gift von den Zähnen aufsaugte, die mir das Fleisch durchbohrten; denn meine beiden Kampfgenossen hatten die eigentümlichsten Schmerzen auszustehen, während ich nur mit der Unbequemlichkeit eines steifen Gelenkes im Oberarm davonkam. Der Mann, den der Löwe an der Schulter gepackt hatte, zeigte mir seine Wunde, die in demselben Monat des darauffolgenden Jahres in der Tat von Neuem aufgebrochen war – ein merkwürdiger Punkt, welcher die Aufmerksamkeit der Forscher gewiss verdient.

Ich schloss mich an den Stamm an, welcher Bakuena heißt, und dessen Häuptling, ein gewisser Setschele, damals mit seinen Leuten an einem Ort namens Schokuane wohnte. Mich überraschten schon von Anbeginn die Intelligenz dieses Mannes und die auffallende Art und Weise, wie wir beide uns gegenseitig voneinander angezogen fühlten. Da dieser merkwürdige Mann nicht allein das Christentum angenommen hat, sondern auch dessen Lehren seinem Volk auslegt, so will ich hier einen kurzen Abriss seiner Lebensgeschichte geben.

Sein Urgroßvater Motschoasele war ein großer Reisender und der Erste, von welchem die Bakuena je die Kunde von dem Dasein weißer Männer erhielten. Zu seines Vaters Lebzeiten passierten zwei weiße Reisende, die nach meinem Dafürhalten Dr. Cowan und Kapitän Donovan gewesen sein müssen (im Jahr 1808) das Land und fuhren den Limpopo-Fluss hinab, wo sie mit ihrer ganzen Reisegesellschaft vom Fieber aufgerieben wurden. Die Regenmacher jener Gegend fürchteten, ihre Wagen möchten den Regen vertreiben und ließen dieselben daher in den Fluss werfen. Dies ist die wahrheitsgetreue Schilderung des Ausgangs jener Expedition, wie sie mir von dem Sohn des Häuptlings erzählt wurde, in dessen Dorf sie umkamen. Er erinnerte sich, noch als Knabe von einem ihrer Pferde gegessen zu haben, und sagte, es schmecke wie Zebrafleisch.

Als Setschele noch ein Knabe war, wurde sein Vater, der ebenfalls Motschoasele hieß, von seinem eigenen Volk ermordet, weil er sich die Weiber seiner reichen Unterhäuptlinge angeeignet hatte. Die Kinder blieben verschont, und ihre Freunde luden Sebituane, den Häuptling der Makololo, welcher sich damals in dieser Gegend befand, ein, sie wieder in ihre Stelle als Häuptlinge einzusetzen. Sebituane umzingelte bei Nacht die Stadt der Bakuena, und morgens bei Tagesgrauen verkündigte sein Herold mit lauter Stimme, er sei gekommen, den Tod des Motschoasele zu rächen. Darauf schlugen alsbald Sebituanes Leute um die ganze Stadt herum laut auf ihre Schilde, was einen panischen Schrecken unter den Einwohnern verursachte. Diese stürzten wie aus einem brennenden Theater aus der Stadt hinaus, während die Makololo sich ihrer Wurfspeere gegen die erschrockenen Bakuena mit jener Geschicklichkeit bedienten, durch die sie berühmt sind. Sebituane hatte seinen Leuten die Weisung gegeben, die Söhne des Häuptlings zu schonen; und einer derselben traf den Setschele und brachte ihn dadurch in Gewahrsam, dass er ihn durch einen wuchtigen Schlag auf den Kopf mit einem Knüppel bewusstlos niederwarf. Der Usurpator wurde hingerichtet und Setschele, in seine Häuptlingswürde wieder eingesetzt, fühlte sich sehr zu Sebituane hingezogen. Die hier erwähnten Umstände führten mich endlich, wie späterhin allmählich sich zeigen wird, nach dem neuen wohlbewässerten Land, wohin eben dieser Sebituane mir vor vielen Jahren vorangezogen war.

Setschele heiratete die Töchter von dreien seiner Unterhäuptlinge, welche aus Anlass ihrer Blutsverwandtschaft ihm in seinem Unglück beigestanden hatten. Dies ist eine der üblichen Weisen, um sich der Lehnspflicht eines Stammes zu versichern. Die Regierungsform ist patriarchalisch, und jeder Mann ist kraft der Vaterschaft Häuptling über seine eigenen Kinder. Sie erbauen ihre Hütten um die seinige herum, und je höher die Zahl seiner Kinder steigt, desto mehr wächst auch sein Ansehen. Daher gelten Kinder als eine der größten Segnungen und werden immer liebevoll behandelt. Beinahe im Mittelpunkt eines jeden Hüttenkreises befindet sich ein Ort, eine sogenannte Kotla mit einer Feuerstelle; hier arbeiten, essen oder sitzen sie beisammen und plaudern über die Tagesneuigkeiten. Ein armer Mann schließt sich an die Kotla eines Reichen an und gilt als ein Kind des Letzteren. Ein Unterhäuptling hat eine Anzahl solcher Kreise um sich her, und die Ansammlung von Kotlas um die große, die sich im Mittelpunkt des Ganzen befindet und die des bedeutendsten Häuptlings ist, bildet die Stadt. Der Hüttenkreis unmittelbar um die Kotla des Häuptlings besteht aus den Hütten seiner Weiber und denjenigen seiner Blutsverwandten. Er fesselt die Unterhäuptlinge an sich und seine Regierung dadurch, dass er, wie wir es bei Setschele gesehen haben, ihre Töchter heiratet oder ihre Verheiratung mit seinen Brüdern veranlasst. Die Verwandtschaften mit angesehenen Familien sind unter ihnen sehr beliebt. Trifft man auf eine Gesellschaft von Fremden und wird die Verwandtschaft des Vornehmsten unter ihnen mit irgendeinem Oheim eines gewissen Häuptlings nicht von seinen Begleitern sogleich gebührend laut kundgegeben, so hört man ihn sicher denselben zuflüstern: »Sagt dem Fremden, wer ich bin.« Dies führt gewöhnlich dazu, dass man einem einen Teil seines Stammbaumes an den Fingern herzählt, und endet mit der wichtigen Ankündigung, dass der Anführer des Trupps ein entfernter Vetter irgendeines wohlbekannten Herrschers ist.

Setschele war auf diese Weise in seine Häuptlingswürde eingesetzt worden, als ich seine Bekanntschaft machte. Bei der ersten Gelegenheit, wo ich den Versuch machte, einen öffentlichen Gottesdienst zu halten, bemerkte er mir, es sei unter seinem Volk üblich, wenn demselben irgendein neuer Gegenstand vorgetragen werde, Fragen darüber zu stellen, und daher bat er mich um die Erlaubnis, mir in diesem Fall ebenfalls Fragen vorlegen zu dürfen. Als ich mich vollkommen bereit erklärte, ihm auf alle seine Fragen zu antworten, erkundigte er sich, ob meine Vorfahren auch schon etwas von einem künftigen Gericht gewusst hätten. Ich bejahte diese Frage und begann ihm das Schauspiel »des großen weißen Thrones und den Anblick dessen zu schildern, der darauf sitzen soll und vor dessen Antlitz Himmel und Erde vergehen werden usw.« Er sagte: »Du erschreckst mich – diese Worte machen alle meine Gebeine erbeben – ich habe gar keine Kraft mehr in mir; aber meine Vorfahren lebten ja zu derselben Zeit wie die deinigen, und wie kommt es, dass sie uns nicht früher Kunde von diesen entsetzlichen Dingen gebracht haben? Sie wanderten alle dahin in der Finsternis, ohne zu wissen, wohin sie gingen.« Ich zog mich aus der Verlegenheit, indem ich ihm die geografischen Schranken im Norden und die nur allmähliche Ausbreitung unserer Kunde vom Süden schilderte, zu dem wir erst durch Schiffe Zugang erhalten mussten; und ich drückte ihm meinen festen Glauben aus, dass, wie Christus verheißen habe, die ganze Welt noch einmal durch das Evangelium werde erleuchtet werden. Er deutete nach der großen Wüste Kalahari und sagte: »Du kannst nie durch dieses Land hindurch zu den Stämmen kommen, welche jenseits desselben wohnen; es ist dies – gewisse Jahreszeiten ausgenommen, wo eine ungewöhnliche Menge Regen fällt und Wassermelonen deshalb besonders gut gedeihen – sogar für uns Schwarze unmöglich. Selbst wir, die wir doch die Gegend kennen, würden ohne jene umkommen.« Ich versicherte ihn nochmals meines festen Glaubens an die Worte Christi, und so schieden wir.

Sobald Setschele eine Gelegenheit zum Lernen hatte, machte er sich mit einem solchen Fleiß ans Lesen, dass er, der wegen seiner Vorliebe für die Jagd zuvor verhältnismäßig hager gewesen war, nun aus Mangel an Leibesbewegung ganz korpulent wurde. Oswell erteilte ihm den ersten Unterricht in den Buchstaben, und er erlernte das Alphabet am ersten Tag meines Aufenthalts in Tschonuane. Er war in jeder Hinsicht ein ungewöhnlicher Mann unter seinem Volk, denn ich kam nie in die Stadt, ohne dass er mich bat, mir einige Kapitel aus der Bibel vorlesen zu dürfen.

Setschele fuhr drei Jahre lang fort, sich beharrlich zu unserem Glauben zu bekennen; und da ich endlich mehrere der Schwierigkeiten dieser eigentümlichen Lage begriff und zugleich Mitleid mit den armen Weibern fühlte, die bei Weitem die besten unserer Schüler waren, so drängte es mich gar nicht, von ihm so rasch zu verlangen, dass er durch die Taufe ein volles Bekenntnis ablege und sich aller seiner Weiber bis auf ein einziges entledige. Zudem war sein hauptsächlichstes Weib gerade diejenige Person des ganzen Stammes, von welcher am wenigsten zu erwarten war, dass sie je etwas anderes werden würde, als eine von Grund auf unsaubere Jüngerin der alten Schule. Seither hat sie sich, wie ich höre, in mancher Hinsicht sehr gebessert; allein ich habe sehr häufig mit angesehen, wie Setschele sie aus der Kirche fortschickte, damit sie wenigstens einen Rock anziehe, und wie sie jedes Mal mit herunterhängender Unterlippe davonging, das leibhaftige Bild unaussprechlichen Ekels über seine neuen Ansichten.

Als er endlich die Taufe von mir begehrte, fragte ich ihn einfach, wie er, der doch die Bibel in seiner Hand habe und sie zu lesen imstande sei, glaube, dass er handeln müsse. Er ging nach Hause, gab jedem seiner überflüssigen Weiber eine neue Kleidung und alle seine eigenen Habseligkeiten, die sie für ihn in ihren Hütten zu verwahren pflegten, schickte sie damit zu ihren Eltern zurück und ließ diesen sagen, er habe den Weggeschickten keinerlei Vergehen vorzuwerfen, sondern entäußere sich ihrer nur, weil er den Willen Gottes zu befolgen wünsche. An dem Tag, wo er und seine Kinder getauft wurden, kam eine Menge Volk, um dieser Feierlichkeit beizuwohnen. Etliche glaubten, infolge einer törichten Verleumdung, welche die Feinde des Christentums im Süden ausgestreut hatten, die Bekehrten würden nun einen Absud vom »Gehirn toter Menschen« trinken müssen, und waren sehr erstaunt, dass man zur Taufe nur Wasser anwandte. Da ich mehrere von den alten Männern während des Gottesdienstes wirklich Tränen vergießen sah, so befragte ich sie nachher um die Ursache ihres Weinens. Sie weinten darüber, dass es mit ihrem Vater ein solches Ende genommen habe.

Sie schienen zu glauben, ich habe einen bösen Bann über ihn geworfen und er sei mir nun ganz verfallen. Hier begann nun ein Widerstand, wie wir ihn zuvor nicht gefunden hatten. Alle die Freunde der weggeschickten Weiber wurden die Widersacher unserer Religion. Der Besuch der Schule und Kirche verminderte sich bis auf sehr wenige außer der eigenen Familie des Häuptlings. Sie alle behandelten uns zwar noch mit achtungsvollem Wohlwollen, aber dem Setschele selbst sagten sie Dinge, derentwegen er nach seiner eigenen Aussage, wenn sie ihm früher gesagt worden wären, an den Tollkühnen unversöhnliche Rache genommen haben würde. Er war eine schmerzliche Erfahrung, nach alldem, was wir getan hatten, unsere Arbeiten so wenig gewürdigt und anerkannt zu sehen; allein wir hatten den guten Samen ausgesät und hegen keinen Zweifel, dass derselbe noch einmal aufgehen wird, obwohl wir es vielleicht nicht erleben werden, ihn Früchte tragen zu sehen.

Ich breche diese Schilderung des Häuptlings ab und fahre damit fort, eine ebenso flüchtige von unserem Verkehr mit seinem Volk, den Bakuena, zu geben. Als wir uns zuerst unter ihnen niederließen, hatten wir ihnen ein kleines Stück, soviel wie zu einem Garten hinreichte, abgekauft, obschon dies in einem Land kaum notwendig war, wo der Gedanke, Land zu kaufen, ein ganz neuer war. Sie hatten erwartet, dass wir um Überlassung eines passenden Platzes nachsuchen und von demselben sodann sogleich Besitz ergreifen würden, wie es von jedem anderen Mitglied des Stammes geschah. Allein wir erklärten ihnen, wir sollten jedem Anlass zu künftigen Streitigkeiten vorbeugen, wenn das Land einmal im Wert gestiegen sein oder wenn ein törichter Häuptling zur Regierung gelangt sein würde, der, wenn wir große oder kostbare Gebäude darauf errichtet hätten, etwa auf das Ganze Ansprüche zu erheben versucht wäre. Diese Gründe wurden für stichhaltig angesehen. Wir bezahlten daher einen Wert von ungefähr fünf Pfund Sterling an Waren für ein Stück Grund und Boden, und es wurde ein Übereinkommen getroffen, dass ein ähnliches Grundstück jedem anderen Missionar und an jedem anderen Platz, wohin der Stamm übersiedeln möge, zugeteilt werde. Die einzelnen Bedingungen dieses Kaufes klangen dem Ohr dieser Leute zwar seltsam, wurden aber trotzdem vom Stamm bereitwillig angenommen.

Der Ort, wo wir uns zuerst unter den Bakuena niederließen, heißt Tschonuane, und er wurde zufällig während des ersten Jahres unseres dortigen Aufenthalts von einer jener langen Dürren heimgesucht, welche von Zeit zu Zeit sogar in den allerbegünstigsten Bezirken von Afrika vorkommen.

In unserem zweiten Jahr fiel aber wiederum kein Regen. Im dritten folgte dieselbe außerordentliche Dürre. Während dieser beiden Jahre fielen buchstäblich keine zehn Zoll Regen, und der Kolobeng trocknete ganz aus; es kamen so viele Fische um, dass die Hyänen aus der ganzen Gegend sich zu diesem Labsal versammelten und doch nicht imstande waren, die faulenden Massen aufzuräumen. Ein großer alter Alligator, der unseres Wissens niemals Unheil angerichtet hatte, wurde hoch auf dem Trockenen unter anderen Opfern im Schlamm gefunden. Das vierte Jahr war gleich ungünstig, da nicht einmal genügend Regen fiel, um das Getreide zur Reife zu bringen. Es war eine schwere Heimsuchung. Als das Wasser sich verzog, gruben wir im Bett des Flusses immer tiefer und gaben uns Mühe, nur so viel Wasser zu bekommen, um die Obstbäume für bessere Zeiten am Leben zu erhalten, allein es war vergeblich.

Es wollte also kein Regen fallen; die Bakuena glaubten, ich habe Setschele mit irgendeinem zauberhaften Bann gefeit, und schickten mir abends häufig Deputationen, aus den ältesten, ratgebenden Männern des Stammes bestehend, welche mich dringend anflehten, ich möchte ihm erlauben, doch nur einige wenige Regenschauer zu machen. »Das Getreide wird hinsterben, wenn du es verweigerst, und wir werden zerstreut werden. Lass ihn nur dieses eine Mal Regen machen, und wir wollen alle, Männer, Weiber und Kinder, in die Schule kommen und singen und beten, solange du willst!« baten sie. Vergebens stellte ich ihnen vor, ich lasse Setschele ganz nach seinen eigenen Begriffen von Recht handeln, da er das Gesetz hierfür in der Bibel niedergelegt finde; und es war mir betrübend, in ihren Augen hartherzig zu erscheinen. Die Wolken sammelten sich oft verheißungsvoll über uns, und rollender Donner schien uns erfrischende Regengüsse bringen zu wollen; allein am folgenden Morgen stieg die Sonne wieder an einem klaren wolkenlosen Himmel auf; und selbst diese Anzeichen von trübem Wetter waren weit weniger häufig, als Tage voll Sonnenschein in London sind.