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rderisches Verlangen

 

Alia Cruz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2013 Sieben Verlag, 64354 Reinheim

Umschlaggestaltung: © Andrea Gunschera

 

ISBN-Taschenbuch: 978-3-864431-41-8

ISBN-eBook-PDF: 978-3-864431-42-5

ISBN-eBook-epub: 978-3-864431-43-2

 

www.sieben-verlag.de

 

Inhaltsverzeichnis

 

1. Kapitel

 

2. Kapitel

 

3. Kapitel

 

4. Kapitel

 

5. Kapitel

 

6. Kapitel

 

7. Kapitel

 

8. Kapitel

 

9. Kapitel

 

10. Kapitel

 

11. Kapitel

 

12. Kapitel

 

13. Kapitel

 

14. Kapitel

 

Die Autorin

 

Shadow Force 01: Raven

1

 

 

R

ebecca drehte sich vor dem Spiegel in der kleinen Boutique. Seufzend ließ sie die Schultern hängen. Ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte ihr, dass es kurz vor Ladenschluss war und sie hatte immer noch kein Kleid für die Singleparty gefunden. Was bei ihrer Größe immer ein schwieriges Unterfangen war. Die Kleider waren einfach nicht für einsachtzig große Frauen gemacht. Sie versuchte, ihre kurzen braunen Haare zu glätten, die durch das ständige Anprobieren ganz zerzaust waren.

Sie hörte Schritte hinter sich. Genervt drehte sie sich um und hatte schon den passenden Spruch auf den Lippen, um die Verkäuferin wegzuschicken, aber sie konnte sich gerade noch stoppen. Es war nicht die Verkäuferin, sondern ein Mann im Nadelstreifenanzug.

„Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich glaube, ich gebe die Suche auf.“ Rebecca hatte das Namensschild an seinem Anzug bemerkt, also arbeitete er auch in der Boutique. Gesehen hatte sie ihn in dem kleinen Laden aber noch nicht, so ein Mann wäre ihr aufgefallen. Sie seufzte erneut, dieses Mal nicht wegen der Kleidersuche, sondern wegen Gregor. So hieß er laut Schild auf seinem Anzug. So stellte sie sich ihren Traummann vor. Groß, schlank, mit einem umwerfenden Lächeln und dunklen Haaren. Rebecca merkte, dass sie ihn zu lange anstarrte. Er hatte die Augenbrauen ein wenig nach oben gezogen, lächelte aber immer noch. Das ließ ihn jünger aussehen. Sie straffte die Schultern. Für einen Flirt war keine Zeit. Sie brauchte dringend ein Kleid und überhaupt waren Männer derzeit in ihrem Leben nicht eingeplant. Zu viel Arbeit. Die Karriere hatte Vorrang. Immer.

„Wie wäre es mit einem Glas Sekt?“, fragte er.

„Ichja warum nicht.“

Mit dem roten und ihrer Meinung nach viel zu kurzen Fummel folgte sie ihm nach vorn. Die Verkäuferin war nicht mehr da. Wahrscheinlich hatte sie Feierabend gemacht. Sie war also mit Gregor allein. Im Verkaufsraum stand eine gemütliche Sitzecke und Rebecca nahm darauf Platz. Gregor verschwand hinter einer Tür mit der Aufschrift „Privat“ und war kurze Zeit später mit zwei Gläsern Sekt wieder da. Das Sakko hatte er ausgezogen.

„Es tut mir leid, dass ich Sie aufhalte, Sie wollen sicher den Laden schließen.“ Er schien zwar nicht der Typ zu sein, der sich von einer Kundin zu Überstunden drängen ließ und schließlich hatte er ihr den Sekt angeboten, aber Rebecca wollte höflich sein. So war sie immer. Höflich und distanziert. Ihr selbst kam es zwar nicht so vor, aber ihre Freundin Kathrin hatte oft genug darauf hingewiesen. Erst vor ein paar Tagen, als sie sich entschlossen hatten, auf diese Singleparty zu gehen. Kathrins Worte hallten jetzt noch in ihren Ohren: „Du musst mal ein bisschen auftauen, immer nur Versicherungen vermitteln kann doch nicht dein ganzer Lebensinhalt sein. Fang an, mal ein bisschen Spaß zu haben!“

Aber sie hatte Spaß. Ihr Job bereitete ihr Freude. Sie verdiente verdammt gutes Geld, hatte ein schönes Häuschen und ihr Traumauto, den Porsche Boxster, vor der Tür. Was wollte sie mehr?

„Da ich der Inhaber des Ladens bin, habe ich bereits geschlossen.“ Gregor lächelte sie erneut unwiderstehlich an.

„Oh.“

„Keine Angst, du kannst jederzeit gehen, ich dachte nur, dass du vielleicht einen Sekt vertragen könntest und du siehst so nachdenklich aus. Ich kann gut zuhören.“

Kein direkter Annäherungsversuch. Er war einfach nur umwerfend nett. Warum sollte sie ihm nicht vertrauen? Rebecca nahm einen großen Schluck Sekt und entspannte sich endlich.

„Ich weiß nicht, irgendwie fühle ich mich in letzter Zeit ein wenig leer und lustlos. Ich habe einen tollen Job als Versicherungsmaklerin und ab Montag bin ich für zwei Wochen in Baden-Baden in einem Rennstall, um dort alles zu versichern. Mein Leben ist aufregend. Morgen Abend gehe ich mit einer Freundin auf diese Singleparty hier in der alten Oper in Köln. Aber …“

„Aber?“

Sie konnte es nicht aussprechen. War sie einsam? Das war es, was ihr auf der Zunge gelegen hatte. Stattdessen sagte sie: „Ich hatte noch nie Sex in einer Umkleidekabine.“

Verdammt. Sie stürzte den restlichen Sekt hinunter. Was hatte sie da gerade gesagt? Was war nur in sie gefahren?

Gregor lachte kurz, stand auf und hielt ihr die Hand hin. „Das können wir ändern.“

Rebecca zögerte. Sie hatte in der letzten Zeit nur gearbeitet. Natürlich war sie keine Jungfrau mehr mit ihren 27 Jahren und Affären mit Kunden hatte sie durchaus gehabt. Gregor setzte sich wieder. „Hey. Ich würde es gern tun, aber ich glaube, das ist nicht das, was du brauchst.“

Sie sah ihn an. Sie kannte den Mann nicht und er kannte sie nicht. „Woher willst du wissen, was ich brauche?“

„Menschenkenntnis. Was du brauchst, ist ein gutes Essen und ein Gespräch.“ Er lächelte. „Und ein Kleid für die Party.“

Er stand auf und verschwand zwischen den Kleiderständern. Schon nach einer Minute war er wieder da. „Das hier ist das Richtige!“

Er hielt ein schwarzes Cocktailkleid in die Höhe. Es war schlicht, aber elegant und gefiel ihr auf Anhieb. Sie musste es gar nicht erst anprobieren, um zu wissen, dass es ihr hervorragend stehen würde.

„Ich nehme es. Und auch dein Angebot essen zu gehen nehme ich an.“ Warum sollte sie es leugnen? Einen weiteren einsamen Abend auf der Couch oder am PC zu verbringen war nicht gerade verlockend. Sie hätte zu Kathrin fahren können, aber soweit sie wusste, hatte die heute eine Verabredung mit einem Typen. So war ihre Freundin. Sie konnte sich immer und überall einen Mann aufreißen, schlief einmal mit ihm und das war es dann. Wie sich eben herausgestellt hatte, tat Rebecca sich schwer damit. Gregor packte das Kleid ein, weigerte sich aber, Geld anzunehmen. Sie einigten sich darauf, dass Rebecca wenigstens das Essen bezahlen durfte und schon kurze Zeit später saßen sie beim Italiener um die Ecke.

Es wurde ein netter Abend. Als Rebecca kurz vor Mitternacht ihr Haus betrat, fühlte sie sich gelöst und viel besser. Aber kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, war da wieder dieses Gefühl. Die Stille in ihrem Haus, die Leere, brachte sofort das dumpfe Gefühl zurück. Sich über sich selbst ärgernd warf sie ihre Schlüssel mit einem lauten Knall auf das Schränkchen im Flur. Der Anrufbeantworter blinkte. Sechs Anrufe von Kathrin. Der letzte erst vor ein paar Minuten. Sie schnappte sich das Telefon und auf dem Weg ins Schlafzimmer drückte sie die Kurzwahl für Kathrins Nummer.

„Na endlich! Wo hast du dich denn rumgetrieben?“

„Ich habe mir ein Kleid gekauft. Du willst doch unbedingt auf diese Singleparty.“

„Bis Mitternacht hat keine Boutique auf.

Rebecca antwortete nicht. Was hätte sie sagen sollen? Kathrin hätte sich nur über sie lustig gemacht. Sie hatte eine Gelegenheit für schnellen Sex mit einem attraktiven Mann sausen lassen, stattdessen war sie wie eine Langweilerin nur mit ihm essen gegangen.

„Hallo! Bist du noch dran?“

„Natürlich“, beeilte sich Rebecca zu sagen. „Wie war dein Abend?“

„Großartig. Dieser Hugh Jackman-Verschnitt aus dem Computerladen war einsame Spitze. Er hat mich direkt auf meinem Küchentisch vernascht.“

Rebecca schloss die Augen. Es folgte ein detaillierter Bericht mit allen Einzelheiten. Sie hörte sich geduldig die neueste Folge aus dem spannenden Sexleben der Kathrin Wendel an. Trotzdem liebte sie ihre Freundin. Kathrin hatte ein Kosmetikinstitut und Rebecca war ihre Kundin gewesen. Irgendwann hatten sie sich angefreundet und gingen gemeinsam aus. Sie konnte Kathrin vertrauen, dennoch schaffte Rebecca es auch heute wieder nicht, mit ihr über ihre Einsamkeit zu sprechen. Kathrin schien es auch nicht wirklich zu bemerken, im Gegensatz zu Gregor.

„Wirst du ihn wiedersehen?“

„Rebecca, du weißt doch, dass ich nicht an einer Beziehung interessiert bin, natürlich nicht.“

Die ernsthafte Entrüstung in der Stimme ihrer Freundin brachte Rebecca zum Lachen. Kathrin war eine Nummer für sich.

„Und warum müssen wir dann Sonntagabend unbedingt auf diese Singleparty?“

„Weil man da die besten Sexbekanntschaften macht. Kein Mensch geht auf eine Singleparty, um nach einer ernsthaften Beziehung zu suchen.

Kathrin hatte wohl ein Abo auf den entrüsteten Tonfall. „Du weißt aber, dass ich Montagmorgen nach Baden-Baden aufbrechen muss?“

„Natürlich, aber ich verstehe nicht, dass du das wirklich durchziehen willst. Zwei Wochen in einem Rennstall. Nicht, dass du da Boxen ausmisten musst.

Das Abo lief weiter. „Es ist ein lukrativer Auftrag und ich komme mal raus.“ Vielleicht war es wirklich das Beste, Köln mal für ein paar Tage zu verlassen. Danach würde es ihr sicher besser gehen. „Ich werde nichts trinken und am Montag gleich früh losfahren.“

„Wie du willst, Süße. Wir sollten so gegen 21:00 Uhr da sein. Nicht zu früh, denn die besten Gäste kommen nie pünktlich, aber auch nicht zu spät. Ich will nicht, dass man mir die besten Männer vor der Nase wegschnappt. Und Rebecca …?“

„Ja?“

„Du reißt dir dieses Mal auch einen Typen auf. Das wird dir guttun. Versprich mir das.“

„Mal sehen. Ich gehe jetzt schlafen.“

Kathrin gab sich mit einem Seufzer zufrieden und sie verabschiedeten sich. Jetzt war Rebecca wirklich schlecht drauf. Diese dämliche Singleparty rückte immer näher. Hätte sie sich doch nie darauf eingelassen.

2

 

 

E

s war eine der größten Singlepartys in Köln.

Rebecca und Kathrin waren durch Beziehungen an die Eintrittskarten gekommen. Als sie eintraten, war es bereits brechend voll.

„Ich hätte gedacht, dass es noch ein wenig leerer wäre“, sagte Kathrin und schnappte sich ein Glas Champagner vom Tablett des vorbeieilenden Kellners. Rebecca hielt nach einem Wasser Ausschau. Sie hatte sich entschlossen, mit dem Auto zu fahren. Morgen hatte sie eine lange Fahrt vor sich, da wollte sie heute auf Alkohol verzichten.

Sie sahen sich ungeniert um. Aber da waren sie nicht die Einzigen. Die Männer waren in der Überzahl, wie Kathrin zufrieden bemerkte. Rebecca nestelte immer wieder an diesem Button herum, den sie am Empfang bekommen hatten. „Ich finde diese Dinger albern.“

Das ist nun mal eine Singleparty. Außerdem hilft es mir. Wenn ich betrunken bin, brauche ich nur auf den Button zu schauen und ich weiß wieder, wie du heißt.“

Rebecca lachte. Leider hatte sie bisher noch keinen Typen entdeckt, der ihr gefallen hätte und an Kathrins unruhigem Blick erkannte sie, dass es ihrer Freundin wohl genauso ging. Sie konnte sich auch keinen schön trinken, da sie mit dem Auto hier war. Nicht, dass sie das jemals getan hätte.

Sie betrachtete das Ambiente. Die Party fand in der ehemaligen Oper statt, die jetzt nur noch für solche Events öffnete. Dank der Horroreintrittspreise konnten sich die Betreiber der ehemaligen Oper wohl leisten, nur noch viermal im Jahr die Pforten zu öffnen. Jede Party stand unter einem anderen Motto. Die heutige hieß „Picasso“. Alles war mit Bildern des Malers dekoriert. Aber nicht nur Kunstdrucke von Picasso dienten der Dekoration, man hatte auch einen Künstler der Stadt gewinnen können, auf der Party auszustellen. Soweit Rebecca wusste, war Robert Eagle der neue Stern am Kunsthimmel. Er hatte den Kubismus, der von Picasso und Georges Braque begründet worden war, wieder aufleben lassen. Außerdem zeichnete sich Eagle durch Vielseitigkeit aus. Ebenso wie Picasso malte er, war aber auch Grafiker und Bildhauer. Rebecca vermutete, dass sein Name ein Künstlername war. Er war auf jeden Fall Deutscher, das hatte sie gelesen, und dass er heute hier erwartet wurde. Leider war in keinem der Berichte, die sie gegoogelt hatte, ein Bild von ihm gewesen. Kathrin schien die gleichen Gedanken zu haben.

„Sag mal, glaubst du, dass dieser Robert Eagle wirklich auftaucht? Der lebt doch angeblich total zurückgezogen.“ Rebecca zuckte mit den Schultern, während Kathrin fortfuhr: „Ich mag seine Kunst, besonders seine Skulpturen. Ich würde den Typen zu gern mal kennenlernen.“

„Seit wann stehst du auf Künstler?“

„Findest du nicht, dass seine Werke sehr erotisch sind?“

Rebecca hob die Augenbrauen. Sie kannte natürlich nicht alles von Eagle, aber was hier ausgestellt war, war ihrer Meinung nach nicht besonders erotisch. „Kann es sein, dass du jedes Kunstwerk der Welt irgendwie erotisch findest? Für dich ist doch sogar die Freiheitsstatue ein Sexsymbol.“

Kathrin lachte. „Na ja, wie sie da den Arm mit der Fackel in die Höhe reckt als hätte sie gerade einen Orgasmus gehabt.“

Rebecca schüttelte den Kopf, musste aber auch grinsen. In Zusammenhang mit der Freiheitsstatue hatte sie noch nie an einen Orgasmus gedacht. Ob Kathrin wohl dabei den Arm hochwarf?

Kathrin organisierte sich einen weiteren Champagner und war dann sofort wieder bei Rebecca. „Sag mal, hast du schon was Brauchbares entdeckt?“

„Nein, aber du wolltest doch hier unbedingt ein sexuelles Abenteuer anleiern. Ich bin ab morgen sowieso unterwegs.“

„Stimmt ja. Aber mal eine Frage, wann hast du eigentlich zuletzt Sex gehabt? Ich habe dir schon so oft gesagt, dass dir ein kleines Abenteuer guttun würde. Du gefällst mir in letzter Zeit nicht mehr.“

Nicht alle Probleme der Welt lassen sich mit Sex lösen.

Kathrin tat den Einwand mit einer lässigen Handbewegung ab. „Du siehst umwerfend in dem schwarzen Kleid aus. Mach was draus, Süße!“

Rebecca lächelte und schwieg. Im Gegensatz zu Kathrin sprach sie nicht gern über ihre sexuellen Eskapaden. Selbst wenn sie mit Gregor geschlafen hätte, wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, es Kathrin in jeder Einzelheit zu erzählen. „Lass uns tanzen gehen, bevor ich hier festwachse.“

Kathrin stellte ihr noch volles Champagnerglas beiseite. „Gute Idee.“

Auf der Tanzfläche hatten sich schon einige Pärchen eingefunden. Rebecca fragte sich, ob sich die Leute hier kennengelernt hatten. Dann wären sie ja recht flott gewesen.

Wie immer bewegte Kathrin die Hüften äußerst aufreizend. Ihr ganzer Körper strahlte pure Erotik aus. Rebecca war da etwas zurückhaltender, außerdem fiel es ihr auf ihren High Heels recht schwer, vernünftig im Rhythmus der Musik zu bleiben. Hoffentlich machte sie sich nicht zum Affen.

Das war die reinste Fleischbeschauung hier. Männer standen um die Tanzfläche herum und begafften die Frauen. Einer schaute auf Kathrin und verfolgte gierig jede ihrer Bewegungen. Der Typ war groß, schlank, mit breiten Schultern. Er hatte einen grauen, geschmackvollen Anzug an. Seine dunkelbraunen Haare waren streng zurückgegelt. Eigentlich mochte sie so etwas nicht, aber dem Typen stand es. Selbst im schummrigen Licht konnte Rebecca erkennen, dass er strahlend hellblaue Augen und einen leichten Silberblick hatte. Aber auch das stand ihm hervorragend. Sie beugte sich ein wenig zu Kathrin runter.

„Hey, sieh dich jetzt nicht so auffällig um, aber links von dir an der Säule steht ein Typ im grauen Anzug und beobachtet dich die ganze Zeit.“

Kathrin tanzte erst mal weiter und nach einer halben Minute drehte sie sich beim Tanzen unauffällig. „Wow, was ist das denn für ein Highlight?

„Hab ich mir doch gedacht, dass er dir gefällt.“

„Der trägt aber keinen Namensbutton.“

„Vielleicht hat er ihn abgemacht, würde ich ja auch am liebsten tun.“

Kathrin drehte sich so, dass sie ihn genauer ansehen konnte und Rebecca entfernte sich ein wenig von ihr. Sie wollte ihre Freundin nicht bei der Jagd stören.

Durch die kleine Drehung konnte sie jetzt zum ersten Mal das DJ-Pult richtig sehen. Und jetzt hatte auch sie jemanden gefunden, der ihr gefiel. Sie beschloss, weiter zu tanzen und den Typen ein wenig näher zu betrachten. Sie hatte nicht vor, sich etwas aufzureißen, aber einen schönen Menschen zu beobachten, war ja nicht verboten. Kathrin würde sicher für den Rest des Abends beschäftigt sein.

 

*

 

Kathrin steigerte ihren Hüftschwung noch ein wenig und war zufrieden, als sie bemerkte, dass der Mann im grauen Anzug seinen Blick von ihr nicht abwendete.

Zwischendurch wurde er von zwei Männern und einer Frau angesprochen. Er gab zwar eine Antwort, sah aber Kathrin weiter dabei an. Das ermutigte sie, ihn anzulächeln. Seine Reaktion war, sein Sektglas anzuheben, und ihr zuzuprosten.

Sie schritt langsam und sinnlich auf ihn zu. Er grinste und Kathrins Herz machte einen mächtigen Hüpfer. Den Typen ins Bett zu kriegen, wäre ein absoluter Traum.

„Guten Abend.“ Er küsste sie rechts und links auf die Wange.

Er roch so verdammt gut. Das musste „Fahrenheit“ sein. Für sie immer noch das männlichste Parfum auf Erden. Aber sie würde sicher Genickstarre bekommen, denn er war mindestens einsneunzig und Kathrin nur einsachtundfünfzig. Aber sie liebte nun mal große Männer. Er trug tatsächlich keinen von diesen Buttons.

„Möchtest du ein Glas Champagner, Kathrin?“

„Sehr gern … und wie ist dein Name?

Er winkte einen Kellner heran. Schnell hatte sie ein Glas in der Hand und stieß mit ihm an.

„Du machst eine verdammt gute Figur beim Tanzen.“

Sein Lächeln haute sie aus den Schuhen. Normalerweise war sie die Flirtexpertin und im Aufreißen von Sexdates machte ihr so schnell keiner was vor. Hier war auf einmal alles anders. Sie fühlte sich unsicher. Tanzten da tatsächlich Schmetterlinge in ihrem Bauch? So hatte sie sich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt.

„Danke.“ Mehr brachte sie nicht heraus und nahm schnell einen extragroßen Schluck aus der Champagnerflöte.

„Ich bin Robert Eagle.“

Kathrin hustete. Der dritte Schluck Champagner blieb ihr fast im Hals stecken. Das konnte doch wohl nicht wahr sein.

Lachend klopfte er ihr leicht auf den Rücken und sie beruhigte sich. Die Berührung seiner Hand prickelte ihre Wirbelsäule entlang.

„Freut mich, dich kennenzulernen“, konnte sie nach einigen Sekunden sagen. „Ich bewundere deine Arbeit.“ Auf einmal hatte sie einen Heidenrespekt vor ihm. Er schien das zu bemerken.

„Hey, ich bin inkognito hier und das soll auch so bleiben. Ich wollte ehrlich sein bei meiner Vorstellung, aber ich wollte dich nicht beeindrucken und in Ehrfurcht erstarren lassen.“

War sie in Ehrfurcht erstarrt? Wahrscheinlich schon. Wie peinlich, Heinrich! Erst jetzt bemerkte sie, dass sie einen Schritt nach hinten gegangen war. Ihr fiel nichts anderes ein, als zu lächeln. Verdammt, sie war doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Ihr Kopf war wie blockiert.

„Sollen wir irgendwohin gehen, wo es nicht ganz so laut ist?“ Er fasste sie sanft am Arm.

„Ja, gern.“ Rebecca würde sicher allein zurechtkommen. Die Berührung an ihrem Arm brannte wie Feuer. Vielleicht konnten sie irgendwohin gehen, wo sie sich löschen konnte. Sie schüttelte den Kopf über ihre wirren Gedanken.

„Alles in Ordnung?“

„Ja, natürlich.“ Sie folgte ihm eine Treppe hinauf. Früher waren hier die Logenplätze für die Operngäste, jetzt konnte man hier sehr gut die Tanzfläche beobachten. Sie ließen sich in die Sessel fallen und er zog den Vorhang zu. Erst jetzt bemerkte sie, dass er unterwegs wohl irgendwo eine Flasche Champagner mitgenommen hatte. Gut. Bei dem Typen musste sie sich Mut antrinken.

 

*

Rebecca taten sehr schnell die Füße weh. Sie sah sich um und stellte fest, dass Kathrin und der Anzugtyp verschwunden waren. Bei so einem heißen Kerl konnte Kathrin auch auf keinen Fall Nein sagen.

Der DJ war auf einer kleinen Bühne untergebracht und um sein Pult standen ein paar Tische und Cocktailsessel. Rebecca bahnte sich den Weg durch die tanzenden Menschen. Die Tanzfläche wurde immer voller und einige knutschten wild. Sie fragte sich, wie viele sich hier heute verliebten und wie viele One-Night-Stands es heute Nacht gäbe. Wahre Liebe fand man selten auf einer Singleparty oder in einer Disco, da war sie sicher.

Sie ließ sich in einen der Sessel fallen und sofort eilte ein Kellner auf sie zu. Eins musste man diesem Event lassen, der Service war erstklassig.

Sie versuchte, es sich so bequem wie möglich zu machen, was ein wenig schwierig war in dem engen Kleid. Mit dem Wasserglas in der Hand beobachtete sie weiter den DJ. Natürlich war sie da nicht die Einzige. Er war sich durchaus bewusst, dass er verdammt gut aussah und die Frauen nicht zufällig um sein Pult standen. Zum Ende des Events würde er sich sicher eine von ihnen aufreißen. Ob er sich fühlte wie ein Rockstar mit seinen Groupies?

War sie jetzt zum Groupie eines DJs mutiert?

Aber was hätte sie sonst anfangen sollen? Kathrin würde sie sicher heute nicht mehr wiedersehen.

Sie beobachtete, wie er geschickt an seinem Rechner rumhantierte. Den Kopfhörer hatte er nur an einem Ohr. Rebecca saß seitlich von ihm, sodass sie hauptsächlich sein Profil zu sehen bekam. Zwischendurch drehte er sich ein wenig zu ihr, denn dort stand seine Cola, von der er ab und zu einen Schluck nahm. Er war mindestens fünf Jahre jünger als sie, also Anfang zwanzig. Aber wenn sie sich die Frauen um ihn herum ansah, waren die sicher alle in ihrem Alter, wenn nicht sogar noch älter. Da konnte sie auf jeden Fall mithalten. Wieder musste sie sich in Erinnerung rufen, dass sie nicht hier war, um sich einen Mann aufzureißen. Das Motto lautete: Nur schauen, nicht anfassen.

Er griff relativ häufig zu seiner Cola. Täuschte sie sich oder schielte er jedes Mal dabei zu ihr herüber?

Eine Idee nahm in ihrem Kopf Gestalt an. Sie wartete, nach zwanzig Minuten war es so weit. Die kleine Flasche war leer. Rebecca stand auf und beugte sich über die kleine Theke an seinem Pult.

„Soll ich dir eine neue Cola holen? Du scheinst sehr durstig zu sein.“

Er lachte. Schlagartig verwandelte sich sein Gesicht auf eine sexy Weise, sodass sie ihn am liebsten geküsst hätte. Als hätte er auf diesen Einsatz von ihr gewartet. „Wie wäre es, wenn ich dich begleite?“

Rebecca war überrascht, mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet. „Musst du nicht am Pult bleiben?“

„Hey, auch mir steht eine Pinkelpause zu und ich kann den Rechner hier so einstellen, dass er Songs hintereinander abspielt.“

„Na dann.“ Rebecca trat einen Schritt zurück und er klappte die Theke auf. „Wo soll es hingehen?“

„In den Backstagebereich. Da gibt es die Cola umsonst.“

Wahrscheinlich nicht nur die Cola. Sie folgte ihm. Mit Genugtuung stellte sie fest, dass die restlichen Frauen sie neidisch ansahen. Ha! Gewonnen!

Er führte sie über die kleine Bühne und steuerte eine Eisentür an. Mit einem Schlüssel, den er aus der Hosentasche seiner knallengen Jeans kramte, öffnete er. Galant ließ er ihr den Vortritt. Der Backstagebereich bestand aus einem Flur, in dem Tische mit Getränken und einem Buffet aufgebaut waren. Türen gingen von diesem Flur ab. Wahrscheinlich waren das früher die Garderoben der Künstler gewesen. Er ging nun wieder vor und an der vierten Tür auf der linken Seite blieb er stehen. Mit einem weiteren Schlüssel öffnete er. Rebecca trat ein. Ein Rucksack stand auf einem Frisiertisch mit Spiegel. An der Garderobe hing eine Lederjacke, und eine Couch gab es in diesem Raum. Sie hörte, wie er hinter ihr die Tür abschloss. Für einen Moment war ihr ein wenig mulmig zumute.

Was tat sie hier bloß? Gestern noch wäre sie fast mit Gregor in der Umkleidekabine gelandet und jetzt verschwand sie mit einem jüngeren Mann in dessen Garderobe. Sie drehte sich um und schon waren alle Bedenken fortgewischt. Eine kleine Lampe in der Ecke tauchte den Raum in angenehmes Licht, und ehe sie sich versah, küsste er sie.

Der Kuss war zärtlich und das gefiel ihr. Er ließ sich viel Zeit und das bescherte ihr ein gutes Gefühl. Kein Rumgezupfe an ihr, es fühlte sich nicht an, wie eine schnelle Nummer. Rebecca war sich trotzdem bewusst, dass es genau das war. Noch könnte sie die Sache beenden, schoss es ihr durch den Kopf. Aber wie würde sie dann dastehen? Sie war eine erwachsene Frau und keine Sechzehnjährige. Vielleicht hatte Kathrin ja auch recht und nach der schnellen Backstagenummer würde es ihr endlich besser gehen.

Seine Hände wanderten an ihrem Körper entlang. Er streichelte hier, und da, und Rebecca tat es ihm gleich. Sie griff ihm in die vollen dunkelbraunen Haare, glitt mit dem Finger seinen Nacken hinab und fühlte, wie er erschauderte. Sie zog ihm das schwarze T-Shirt aus der Jeans und freute sich, als sie seine harten Bauchmuskeln fühlte. Mit den Fingerspitzen wanderte sie weiter zu seinem Rücken und glitt mit den Nägeln seine Wirbelsäule hinunter. Ihre Zungen wollten sich einfach nicht voneinander lösen. Im Gleichschritt und sich immer noch küssend gingen sie zur Couch und erst dort löste er sich von ihr.

Er ließ seinen Blick über ihren Körper schweifen und sagte: „Du bist so wunderschön. Seit du dich in die Nähe des Pults gesetzt hast, wollte ich wissen, wie du nackt aussiehst.“

Das konnte er haben. Rebecca zog ihr Kleid aus. Bis auf einen Tanga hatte sie nichts darunter. Ehrfürchtig stand er vor ihr.

„Wow.“

Dieses Wort löste in ihrem Körper ein wohliges Prickeln aus. Seine Muskeln am Bauch wurden durch das Licht hervorgehoben. Rebecca hätte stundenlang darauf starren können. Er fasste sie sanft unter dem Kinn an und strich zärtlich mit dem Daumen über ihre Haut. Dann zog er ihr Gesicht heran und küsste sie wieder. Rebecca verlor fast die Selbstbeherrschung. Mit dieser Zärtlichkeit machte er sie wahnsinnig. Dieser Moment war wunderschön.

Während ihre Zungen sich eingehender unterhielten, öffnete sie seine Jeans und befreite seine Erektion aus den engen Boxershorts. Eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf warnte sie, danach würde sie sich nicht besser, sondern eher schlechter fühlen. Aber da war auch dieses kleine Teufelchen auf ihrer Schulter und die Stimme von Kathrin in ihrem Kopf, dass sie endlich mal lernen musste, den Moment zu genießen. Denn dieser Moment war perfekt. Sie wollte diesen Mann und noch viel mehr wollte sie die Gefühle, die er in ihr auslöste. Dennoch fehlte hier etwas, darüber machte sie sich keine Illusionen. Das war reiner Sex, sonst nichts. Die Gefühle waren rein erotischer Natur. Weder er noch sie würden nachher Nummern austauschen und sich wiedersehen. Er musste ihren Konflikt bemerkt haben, denn er fragte: „Was ist? Möchtest du lieber aufhören?“

Verdammt noch mal, sie war eine erwachsene Frau!

„Nein.“ Und dann übernahm sie das Kommando. Sie wollte nicht länger warten, nachdenken und nachher doch einen Rückzieher machen. Sie delegierte ihn sanft auf die Couch. Ihr Tanga war vollkommen durchnässt, sie war schließlich scharf auf ihn, und sie musste es jetzt einfach für sich selbst tun. „Hast du ein Kondom hier?“

Er deutete mit dem Kinn zu seinem Rucksack auf dem Frisiertisch. „Du hast es aber eilig.“

Rebecca kramte in seinem Rucksack, fand eine ganze Packung und kam mit einem Kondom wieder zurück. Während sie es ihm überstreifte, sah sie ihm in die braunen Augen. Jetzt wusste sie auch, was ihn so attraktiv machte. Seine Augen waren groß und hatten einen jungenhaften, naiven Ausdruck. Der Typ hatte es faustdick hinter den Ohren, das wusste Rebecca, aber man musste ihn einfach lieb haben. Zumindest für eine Nacht.

Wieder mit einer unglaublichen Zärtlichkeit befreite er sie aus ihrem Tanga. Seine Berührungen waren federleicht, im Grunde nur eine Andeutung, sie waren ein Hauch, der ihre Nerven vibrieren ließ. Sie lechzte nach mehr. Er umfasste sie an den Hüften und langsam ließ sie sich an ihm hinabgleiten. Sie überlegte kurz, ob noch mehr Leute hier im Backstagebereich waren, sie wollte ihn nicht in Schwierigkeiten bringen. Also unterdrückte sie ein Stöhnen. Sie saß auf ihm und stützte sich mit den Armen an der Couchlehne ab. Er lächelte und das ließ ihn noch jünger aussehen. Sie konnte es nicht abstreiten, es gefiel ihr, was sie hier tat, obwohl da irgendwo in ihrem Inneren ein negatives Gefühl war. Jetzt fühlte sie sich großartig, aber was würde in ein paar Stunden sein? Sie verbot sich, weiter daran zu denken und diesem Gefühl nachzugeben.

„Das sieht so gut aus. Du bist so schön.“

Seine Stimme war rau. Sein Blick wurde unruhig, schweifte in die Ferne und sie wusste, dass er nur noch wenige Sekunden benötigen würde.

Sie schaute auf seine Bauchmuskeln. Die waren es, die sie bei Männern so antörnten und das half auch jetzt. Sie hatte den perfekten Männerbody unter sich und es lief alles zu ihren Bedingungen. Ihr Tempo, ihre Lieblingsstellung.

Sie kam. Zwei Sekunden nach ihm. Dieses Mal war es ihr egal, sie schrie auf. Der Orgasmus war kurz, aber heftig. Erschütterte sie einen Moment bis in ihr tiefstes Inneres.

Wieder küsste er sie zärtlich. Rebecca erwiderte den Kuss. Es war wunderschön gewesen.

Schweigend zogen sie sich an. Erst an der Tür zum großen Saal ließ er ihre Hand los. Noch ein sanfter, zärtlicher Kuss.

„Danke.“

Seine Stimme war immer noch rau. Er schloss auf und Rebecca folgte ihm noch zwei Schritte, dann blieb sie stehen und er ging weiter zum DJ-Pult. Einmal drehte er sich noch um und trotz der Dunkelheit konnte sie erkennen, dass er ihren Namen mit den Lippen formte.

Dabei hatte sie ihm gar nicht gesagt, wie sie hieß.

Doch dann hob er kurz ihren Button in die Luft und lächelte. Er hatte sich also ein Andenken von ihr mitgenommen. Rebecca lächelte zurück, nur seinen Namen, den wusste sie nicht.

 

*

 

Kathrin begann, sich zu entspannen.

Fernab der Tanzfläche und den anderen Menschen saß sie mit Robert Eagle im Separee. Ein weiteres Glas Champagner hatte zu ihrer Beruhigung beigetragen. Robert hatte sein Sakko ausgezogen und das weiße Hemd ließ erahnen, wie perfekt seine Oberkörpermuskulatur sein musste. Das war alles zu schön, um wahr zu sein. Künstler hatte sie schon immer bewundert und nun saß sie hier mit einem. Noch dazu war dieser Künstler so perfekt wie ein Männermodel.

„Da du ja weißt, was ich beruflich so treibe, wie wäre es, wenn du mir verrätst, welcher Tätigkeit du nachgehst?“

Okay, er wollte sich also ganz normal mit ihr unterhalten. Kathrin hätte nichts dagegen gehabt, wenn er direkt hier über sie hergefallen wäre, aber das war wohl nicht seine Absicht. Zumindest nicht in nächster Zeit. Oder wäre es möglich, dass sie ihm so gut gefiel, dass er sich tatsächlich ernsthaft für sie interessierte? Er konnte doch bestimmt tausend Frauen haben. Vielleicht hatte er das auch.

„Ich betreibe ein kleines Kosmetikinstitut in der Stadt.“

„Oh, das ist ja interessant. Nur für Frauen?“

Seine Mimik und Körpersprache signalisierten ernsthaftes Interesse. Kathrin hatte mal einen Kurs zu diesem Thema belegt.

„Nein, auch für Männer. Vor Jahren noch war es für Männer uncool, ein Kosmetikstudio aufzusuchen. Aber die Zeiten haben sich geändert und ich bin froh darüber. Männer machen einen großen Teil meiner Kundschaft aus.“

„Das kann ich mir vorstellen, besonders seit jedes Kind mit dem Begriff Metrosexualität was anfangen kann.“

„Ja, das stimmt. David Beckham hat uns noch mal neue Kundschaft beschert.“ Kathrin fühlte sich immer sicherer, das war ihr Terrain, ihr Thema.

„Vielleicht komme ich mal vorbei und lasse mir das Gesicht peelen.“

Bei jedem anderen hätte sie vermutet, dass es nur so dahergesagt war, aber sein Tonfall ließ keinen Zweifel offen, dass er es ernst meinte.

„Sehr gern. Einfach vorher anrufen.“

„Hast du eine Visitenkarte für mich?“

Kathrin kramte in ihrer Abendtasche. Zum Glück hatte sie als Geschäftsfrau immer und überall ihre Visitenkarten dabei. Auch das hatte sie in einem Seminar gelernt. Als er die Karte entgegennahm, fiel ihr auf, dass er wunderschöne Hände hatte. Sehr gepflegt, mit schlanken Fingern. Ob das typisch für Künstler war? Da sie noch keinen persönlich kennengelernt hatte, wusste sie nicht, ob es überhaupt typische Merkmale für Künstler gab.

„Darf ich fragen, was du auf dieser Singleparty machst? Wenn ich dich so ansehe, denke ich nicht, dass du unbedingt mit so einem Button durch die Gegend laufen musst.“

Kathrin lachte. „Na ja, es ist eines der bekanntesten Events der Stadt. Da sollte man nicht fehlen, oder?“

„Du bist also nicht auf der Suche nach deinem Traummann?“

„Ich denke, dass suchen generell der falsche Weg ist.“

„Aber sagt man nicht: Wer suchet, der findet?

„Ich denke, dann möchte ich lieber von einem Suchenden gefunden werden.“

Jetzt lachte er und entblößte ebenmäßige weiße Zähne. Kathrin fragte sich, ob wirklich alles an diesem Kerl perfekt war. Kein Wunder, dass er sie eingeschüchtert hatte.

„Ich mag es, wenn Frauen mit sich und ihrem Leben zufrieden sind. Und ich gebe dir recht, man sollte nicht krampfhaft suchen, das artet irgendwann in Verzweiflung aus.“

„Sprichst du aus Erfahrung?“ Kathrin musste einfach fragen.

Er zögerte ein wenig. „Ich glaube, ich hatte mir irgendwann mal eingeredet, dass ich die perfekte Frau finden muss. Ein Haus bauen, Kinder zeugen und was man sonst so tut. Aber die Kunst hat mir gezeigt, dass es viele Wege gibt, um glücklich und zufrieden zu leben. Falls mir also doch noch die Frau meines Lebens begegnet, würde ich mich freuen, ansonsten wird es mich aber nicht ins Unglück stürzen.“

Das Gespräch nahm immer interessantere Formen an. „Ich gebe dir vollkommen recht. Mein kleiner Laden bedeutet mir wahrscheinlich genauso viel wie dir die Kunst, wenn ich das mal vergleichen darf.“

„Natürlich. Es ist dein Lebensinhalt, es macht dir Spaß, du tust es aus dem Wunsch nach Selbstverwirklichung heraus. Selbstverständlich lässt sich das mit meinem Schaffen als Künstler vergleichen. Auch du erschaffst etwas. Du holst das Beste aus den Menschen heraus und machst sie glücklich.“

So hatte sie es noch nie betrachtet. Aber wenn sie darüber nachdachte, gab es ihr ein gutes Gefühl, zu denken, dass sie Menschen glücklich machen konnte. Aber vielleicht waren ihre Hochgefühle auch dem Champagner zuzuschreiben. Und dieser war mit Sicherheit schuld daran, dass sie nun fragte: „Aber was ist mit Sex, wenn man solo ist? Alles kann der Beruf nicht kompensieren, oder?“

Lässig schlug er die Beine übereinander und sah sie lange an. Er nickte. „Stimmt. Nichts auf dieser Welt ist mit gutem Sex vergleichbar. Jeder Orgasmus ist einzigartig. Im Grunde ist jeder Orgasmus ein Kunstwerk.“

Das führte Kathrin zu der Frage, ob er im Bett ebenfalls ein Künstler war, sie traute sich aber nicht, sie auszusprechen.