Jena. Östlich der Saale unterm Jenzig-Berg liegt der Geburtsort des Mittelaltermannes Urian.

Der Markt mit Stadtspeicher (1384) und Rathaus (1377).

Hinter solch einer Bohlen wand wurde das Tagebuch gefunden. Einritzungen aus dem Jahr 1619 – vom Mittelaltermann?.


Die Häuser des Gasthofs „Zur Noll“(1536/1579), Oberlauengasse. Hotel und Kneipengalerie. Urians letzte Herberge.


Obergeschoss der Herberge „Zur Noll“,­Vorsaal ­der ­Bohlenstube,­ wo der Mittelaltermann vermutlich wohnte.

Gasse „Im Sack“. Zwischen Noll-Kneipe (links) und Kloster verlief der Geheimgang.

1661 verlieren sich in diesem Gemäuer Urians Spuren.

Camsdorfer Brücke mit Landveste und Furt durch die Saale.

Auf Urians Spuren etwas erleben, essen, trinken und wohnen am Schauplatz dieser Geschichte!

Gasthof „Grüne Tanne“. Das Steinkreuz bezeichnete ab 1480 die Grenze Thüringens nach Osten sowie das Ende der Gerichtsbarkeit.

Stadtkirche „St. Michael“ (ab 1380) mit Einzeigeruhren.

Gasthof „Wein-Tanne“, Jenergasse. Erbaut in Urians Geburtsjahr.

Platanenhaus (1606), Unterlauengasse. Zeitweise wohnte darin die Familie des Mittelaltermannes.


Altdeutsches Gasthaus

seit 1509 im Herzen der Stadt Jena
Inhaber Dieter Freihoff
Holzmarkt 10 • 07743 Jena
Tel./Fax: 03641/443221
www.jembo.de

Erleben Sie typische Jenaer Gastlichkeit in der urgemütlichen ­Atmosphäre unseres traditionsreichen Hauses, das im Jahre 1509 erstmalig von Stadtchronisten erwähnt wurde. Zu einem frischen Pils oder erlesenen Weinen aus der Region werden Ihnen zünftige, Thüringer Gerichte, klassische Köstlichkeiten und Spezialitäten der Saison serviert. Nutzen Sie unsere liebevoll gestalteten Gast­räume für vergnügliche Stunden mit Familie und Freunden.

Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

Greifgasse am Markt. Allwöchent­lich ließ Urian als oberster Bornfeger reinigendes Bachwasser durchfließen.

Gasthaus „Zum Roten Hirsch“ (1509) am Holzmarkt, wo der erste Koch Thüringens arbeitete.

Rosensäle am Fürstengraben, Rückfront der Schankstätte „Zur Rosen“ in der Johannisstraße. In den Gewölben endete die heim­liche Bierleitung.

Weinbauernhaus „Im Sack“ (1596). Dem Wirt und Winzer lieferte Urian Saalefische.

Eine der ältesten und schönsten thüringischen Bohlenstuben mit Malereien aus der Zeit des Mittelaltermannes.

Markt mit Denkmal des Universitätsgründers „Hanfried“ und Stadtmuseum (1557).

Stadtmauer zwischen Pulverturm und Johannistor. Im Haus auf der Mauer fanden inmitten des Dreißigjährigen Krieges geheime Friedensverhandlungen statt, die scheiterten.

Pulverturm mit Resten der Befestigungsanlagen. Jenas Stadtmauer war rund 1800 Meter lang.

Paradies. Hierher schleppte Mechthild die Leichen der unter ihr verendeten Freier. Urian klärt das auf.

Jenas Paradies birgt manch rätselhaftes Gewächs: „Teufelsglied in Hexenscheide“ ward das unheimliche Naturwunder genannt.

Collegium Jenense. Gründungsstätte und über 300 Jahre Hauptort der Universität, vorher Dominikanerkloster (seit 1286).

Anatomieturm. Hier bestaunte Urian die Leichenöffnungen von Ermordeten aus dem Paradies. Später entdeckte Goethe daselbst den Zwischenkieferknochen des Menschen.

Die Teufelslöcher unterhalb der Kernberge. In dieser Höhle hatte Urians Vater eine unheimliche Begegnung mit einer Hexe.

Seit 1873

Herzlich Willkommen im Gasthaus

Gutbürgerliche Küche im ländlichen Stil. Spezialität: hausgeräucherte Forellen

Seit Übernahme des Gasthauses durch David Zeigner im Jahre 2000 verwöhnt Sie eine regionale und kreative Küche in der 1873 erbauten Ausflugsgaststätte. Selbstverständlich wurden über Jahre hin Traditionen bewahrt, wie unser „Rucksackgericht“.

Kunitzburg bei Jena. Bergab rollten die besoffenen Ausflügler am Himmelfahrtstag. Kind Urian wunderte sich darob.

Lange Straße 32
07751 Kunitz
Tel.: 03641-422482
Mobil: 0172-3739357

Heutiges Gasthaus – befand sich hier auch die Herberge, in der Urian nicht nur die Eierkuchen der Morgenmagd genossen hat?

Gotteshaus „Unseren lieben Frauen“ (14./15. Jh.), Wenigenjena. In der heutigen Schillerkirche geschieht etwas hochnotpeinliches.

Eisenberg. Der Mohr als Brunnenfigur am Markt. Ein Bein muss er dem kranken Grafen opfern, erleidet noch mehr Schmach.

Laasan. In dem unterhalb des Hufeisenbergrückens verborgen liegendem Dorf entdeckt Urian unglaubliches.

Oberschloss Kranichfeld. Unterm Erkerfenster zeigt ein Ritter sich und sein entblößtes Hinterteil samt Gemächte.

Mittelalterkunst: Leckarsch-Darstellung. In Stein gemeißelt prangt der verrenkte Ritter Wolfer un uzt damit seinen Bruder Lutger, genannt „Lutscher“.

Durch Jenas Wagnergasse reist Urian in prinzlichem Auftrag gen Westen, um das Bier zu suchen, das nicht besoffen macht.

Zahlreiche Grenzsteine aus der Zeit des Mittelaltermannes stehen bis heute an den Wegen durchs Thüringer Land.

Jena an der Saale, als Ort „Iahni“ 830/850 erstmals urkundlich erwähnt. 1236 wird das Stadtrecht erteilt. Urian lebt hier von 1582 bis vermutlich 1661. Unter einem dieser Dächer verlieren sich die ­Spuren des Mittelaltermannes – an der Schwelle zur angebrochenen ­Frühen Neuzeit…

Die Burg Greifenstein ist eine der größten Feudalburgen Deutschlands. Auf dem Hausberg gelegen, ist die Burg umgeben von ­einem einzigartigen Naturschutzgebiet, das nicht nur zum erholsamen Wandern einlädt. In der Burgschänke kann der Besucher eine vortreffliche Gastronomie im historischen Ambiente genießen.

Gaststätte „Burgschänke“ • Greifensteinstraße 3
07422 Bad Blankenburg • Tel.: 036741-25 88 • Fax: 036741-56 49 00
Mail: kontakt@burg-greifenstein.de •
www.burg-greifenstein.de

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr oder nach Vereinbarung.

Die Grenzsteine der Thüringer Kleinstaaterei behindern niemanden mehr. Urians Schwiegervater, der Saalefischer Fischer, ist längst verschwunden. Doch gleich neben dem Fluss lädt heute Jenas größtes Autohaus ein, die Wege und Straßen des jenschen Mittelaltermannes nun unter die Reifen zu nehmen…

Meier von der Scholle ist persönlich anwesend und präsentiert als Gambrinus auch Mittelalterbiere!

© Eberhard Schollmeier. 2008

Internationales

Berliner Bierfestival

Anfang August in
Berlin-Friedrichshain
zwischen Strausberger Platz und Frankfurter Tor

Auch in diesem Jahr veranstaltet von

PRÄSENTA GmbH Berlin

Geschäftsführer Lothar Grasnick
030/656 76 35 60
info@praesenta-Berlin.de
www.praesenta-berlin.de

Besuchen Sie die

72 S., gebunden, farbig illustriert
Bestell-Nr. 686 909 4

Alte Geschichten und Begebenheiten aus Deutschlands Mitte – neu und witzig erzählt von KLAUS FISCHER sowie großartig und reich illustriert von PETER MUZENIEK.

Der Redakteur und Autor Klaus Fischer hat die einst hehren alten Sagentexte mit Augenzwinkern für heutige erwachsene Leser neu erzählt. Es geht um Wunder, Witz, Liebe, Grusel, Lust, Leid, Kuppelei, Recht, List, Un­recht, Trauer, Freude, Durst, Hunger, Mord, Betrug, Neid, arm und reich, Krieg und Frieden – es war einmal? Im Anhang gibt es eine Übersicht über „His­torische Gast­stätten und einen Blick in Töpfe und Krüge“ des liebenswerten Landes. Erhältlich nur noch vom

amicus-Verlag, 96524 Föritz-Weidhausen, Fax: 03675/7581008, www.amicus-verlag.de Mail: amicus-verlag@t-online.de

DAS HÖRBUCH ZUM BUCH

amicus

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.
Kein Teil darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert, bearbeitet oder anderweitig genutzt werden. Jede Verwendung, die über den Rahmen des Zitatenrechtes bei korrekter Quellenangabe hinausgeht, ist ­honorarpflichtig und bedarf der Zustimmung des Verlages.

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme – ver­zeich­net diese ­Publikation in der Deutschen National­bibliografie.
http://dnb.ddb.de

Inhalt und alle Angaben ohne Gewähr. Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit vergangenen oder gegenwärtigen Personen wären rein zufällig.

Wörter, Wendungen nebst Rechtschreibung dieser Ausgabe in Art und Weise wie jenerzeit dortzulande volkstümlich üblich.

Autor: Klaus Fischer
Illustrationen: Peter Muzeniek, Sieglinde Kunath, Gero Hilliger
Reproduktionen: Klaus Winkler
Fotos: Klaus Fischer (DJV)
Bilder: Stadtarchiv Jena

© 2009 amicus-Verlag, Thüringen
www.amicus-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2009 by amicus-Verlag
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

Satz: www.DTPMEDIA.de Mathias Gawlich

ISBN 9783944039244


Collegium Jenense Anno 1661

zitat

vorwort

Anderthalbtausend Jahre Thüringen – ein stolzes Landes­jubiläum, zu dem sich auch dieses kleine Buch der ungewöhnlichen Art und Weise gesellen will. Es handelt von einem Manne aus dem späten, seinerzeit eigentlich schon verflossenen Mittelalter – Urian geheißen. Dieser einfache Thüringer, der aber auch ein Besonderling war, lädt zu ungewohntem Lese­stoff ein, zu einem Besuch in der Frühen Neuzeit.

Geboren am 10. 10. 1582 in Jena an der Saale, verlieren sich seine Spuren ein Menschenalter später im thüringischen Land. Hinterlassen hat er schriftlich Erinnerungen an sein Leben und an den Alltag in seiner Zeit. Nach mehreren hunderten von Jahren sind diese tagebuchähnlichen Aufzeichnungen wieder aufgetaucht und erscheinen nun leicht bearbeitet erstmals gedruckt. Schon 1691 hatte, wie überliefert, der Stadtschreiber Oswin Huber eine Veröffentlichung über ­„Urians leutlich Erlebtes“ geplant, was offenbar nicht zustande kam. Doch Hubers Bearbeitung des Urianschen Werkes blieb erhalten und bildet die Grundlage für dieses Buch. Wörter, Wendungen und Schreibweisen wurden nur gering dem heutigen Verständnis angepasst. Tatsachen und geschichtlichen Ereignissen galt es nachzuforschen. Vieles ist bekannt und verbürgt. So manches aber war bisher nicht geläufig, dieser ungewöhnliche Alltagsbericht wird verblüffen. Als Urian geboren wurde, war das Mittelalter dabei, sich davonzuschleichen und hinterließ uns Nachfahren viele Fragen und Geheimnisse. Dieses Buch öffnet ein Fenster, dahinter lebt der Mittelaltermann Urian – Ende des 16. Jahr­hunderts geboren, Mitte des siebzehnten verschollen. Im Guckloch der Geschichte liegen seine Tagebuchblätter und eine Bettler­trommel …

Nun kommt Urians fabulierter Nachlass heraus – Schilderungen über einen einfachen Mann mit einigen Besonderheiten, der mancherlei ungewöhnliches „leutlich“ erlebte. Was davon wahr war, was gesponnen ist – wer weiß, wer weiß? Doch vieles kann man nachvollziehen und sich vor Ort heute noch anschauen, denn es wird ein touristischer Anhang geboten, der erlaubt, ziemlich genau die meisten Spuren des Mittelaltermannes in Thüringen und darüber hinaus selbst zu verfolgen. Anfangs liest sich dieser Mischling aus Bericht und Aufsatz in seiner ungewohnten historischen, teils historisierenden Sprache recht mühsam. Man schrieb, so man es überhaupt konnte, wie man sprach und jeder so, wie er wollte und es verstand. Es gab keine rechtschreiberischen Besserwisser. Hat man sich nun erst einmal in Urians reichen Volksmund eingelesen, wird man durch eine schöne und lockere, auch frivole Erzählung voller Wissenwertem, Weisheit, Gutem wie Bösem, Spannung, Erotik und Witz gefesselt. Findet man für sich den richtigen Blick auf die Geschichte und die Geschichten um diesen Mittelaltermann und freundet sich mit dem kleinen, nachgelassenen Werk eines begabten Fabulierers von einst an, dann hat man Spaß an dieser literarischen Eulenspiegelei.

zeit braucht zeit

Erzählt wird also von einem Manne des Mittelalters, der geheißen ward URIAN. Doch, obwohl sich dieser Name vom Teufel herschreibt, ist unser Bursche ein Gutmensch gewesen, dessen erstaunlicher Lebenslauf voller Derbdrolligem nun allhiero ausgebreitet wird. Manches ist verwirrend, ohnglaublich und auch mal unbegreiflich und kaum stimmig, aber, es war wohl so gewesen. Und es ist von mir, der auch nicht alles verstanden hat, so in gefälliger Form wiedergegeben worden, wie es Urian am Ende seines Hierseins eigenhändig ursprünglich aufgeschrieben hatt.

Niemand seines Umfeldes wußte in jener Zeit von Urianen alles. Die Leute behausten gemarkig ihre Schollen im Saale-Tal oder Häuser in den verwinkelten Gassen, jeder kümmerte sich meistens um sich und die Seinen. Genaues kannt selten wer, geschweige ahnte man, was der Urian alles sehen, hören, schmecken, riechen und fühlen hat gemußt. Und er selbst wußt ja auch nicht, was kommen und ihm widerfahren würde.

Ab- und aufgeschrieben werden soll das also nune gleich, abschöpfend Urians ureigenster schriftlichen Aussagen, die enthüllen, welch wohlgelittener Bürger, Fami­lien­mensch, item auch Einsambold, er einst gewesen – seiner­zeit im alten Doringen = heutigentags freies Thüringen!

Die Mär kündet von einem, der vieles war und sein Lebtag Erlebnisse anhäufelte, die wohl kaum einem anderen Manne vor und nach ihm begegneten. Nichts menschliches, auch nichts unmenschliches, blieb ihm fremd. Alles wurzelt hierzulande im Dasein. Was ihn umgab und lenkte, waren die Wohllust und -last – meistens der anderen. Umher verdampften auf den Wirtshaus-Tischen Pfützen von Bier, Wein und Schnappiß, geschwängert von Braten-Glut und Pfeifen-Qualm. Aus den unteren Gefilden stieg Stank auf, vermischt mit Lenden-Dämpfen. Es war halt der Leibs-Dunst des Mittelalters, der noch viel mehr in seinen Falten und Runzeln hatte. Das Geschnäuf seiner Zeit waberte um Urahn Urian. In all diesen Läufften mußte er sich allweil zurechte finden.

Als er schon weit über ein menschliches Mitt-Lebensalter hinaus gediehen war und fünf Jahrzehnt in sich zurückschaute, ward er sich seines von Gott und dessen Teufelsgeschöpf wohl gemeinsam ausgehecktem Stande in dieser Zeit bewußt. Ausgerechnet er kurvte zwischen guten und bösen Menschen aller Geschlechter durchs Leben. Er mußt soviel erleben, wie es so geballt wohl kaum jemandem nochmal begegnet ist und werden wird!

Am Ende seiner Jahre hockte URIAN im Städtchen JENA zwischen all den Wegen des Lebens und schrieb sich erinnernd seine Erlebnisse mit (vermutlich) saurem Weine auf Zettel. Er versteckte sie, wie es scheint, im Gebälk seiner Bohlen-Stube über einer kneipigen Herberge in der obren Lauen-Gaß, die ihm Unterschlupf gab. Der Gast-Hof ward schlicht „Nolle“ genannt. Zurück blieb auch merkwürdigerweise eine BETTLER-TROMMEL, die später ­neben den Zetteln gefunden ward. Gehörte diese einst unsrem MITTELALTER-MANN?

An einer Stelle der Fabulierereien seitens Urians klingt der Gedanke durch: Später wollte er ein Buch aus seinen Erlebnis-Schilderungen machen, was just neu und sicher gefragt gewesen wäre. Doch, er verzettelte sich und sein Werk, vergaß sogar, seinen Lebens&Geistes-Erguß mit in die Gruft zu nehmen. Zum Glücke für uns neugierige Bolde von heute!

Jedenfalls: Ein Halbschock Jahre später war von jemanden jener Papier-Stapel aus Urians Hand im Gebälk der Wirtschaft gefunden worden. Für den Entdecker bot das aber nichts Weises weiter dar als Krixel und Krakel auf gilblichen Blättern. Nun in eine Truhe geworfen, moderte Urians Lebens-Beichte vor sich hin und verblaßte, bis man den papierenen Haufen erneut entdeckte. Drei Paar an Jahren waren indes vergangen.

Die neuerliche Finderin – Brünne geheißen – freute sich gar sehr, denn breitärschig und oft manch Unflat unter sich gehen lassend, brauchte die Kränkliche viel Papiere für ihre ziemliche Nothdurft. Eines Tages mußte Brünne mal dringend und nahm von dem in einer Ecke seit eh und je rumliegenden Stapel ein halbes Dutzend Blätter mit auf den Abtritt. Ein Glück für die Nachneugierigen, daß das Weib just nur einen Seech rauslaufen lassen mußte und für das Abwischen ihrer Brunschel Stücker drei Seiten von Urians für sie unsichtbaren Buchstaben-Erguß ausreichten.

Erleichtert knarrte Brünne danach die Stiege wieder rauf. Ihre Bohlen-Stube lag gleich über der Redirate der Herberge. Brünne hub an, oben wieder was in die Gurgel zu schütten, damit Schlund und Blase nit zu leer und trocken würden.

Heut becherte sie roten Wein rein. An ungeraden Tagen floß nämlich Weißwein in sie. Itze war ein gerader. Zum Glücke für Urianen und all uns Leut bis heut! Denn Brünne kippte den Humpen um und die rote Lache floß über die Hand-Schrift.

Justamentebene kommen Buchstaben und Sätze zum Vorschein!

Wie eine mit geheimer Tinte gepinselte Schrift entpuppt sich der Salm. Brünne wundert sich ob dieser für sie völlig neuen Art von Besoffenheit, doch ist sie nüchtern genug, um zu erkennen, welch geistvoller Schatz da plötzlich auf ihrer Kommode liegt. Als spannender Haufen entblätterten sich Blatt für Blatt die Papiere. Wurden sie beträufelt, konnt man alles fein gut ablesen. Als der Krug leer, aber der Stapel noch nit, entkorkte Brünne eine von einem Freier hiergelassne Flasche Franken-Wein. Doch dadermit wirkte der Zauber nimmer! Saale-Wein von den Hängen der Jenschen Berge mußt es sein. Roter dazu, dann klappte die Enthüllung wieder, wie Brünne schnell herausfand.

Als alle Flaschen leer getrunken, was schnell ging, da ja auch die Blätter beträufelt werden mußten, hatte Brünne außer Rebensaft auch Urians halben Lebens-Lauf verinnerlicht. Und pennte ein. Im Traume erschien dieser Urahn in ihrem Nüschel und bat um ihre Hülfe. Dergestalt sie ihm diene, seine Lebens-Beichte öffentlich zu machen und die noch vorhandenen Seiten in eine Gutenzwergsche Druckerey zu bringen, auf daß ein schriftgesetztes Buch gemacht werde! Hülfe Brünne, zürne er auch nit länger darob, daß sie sich mit einigen seiner Blätter ihres Schoßes Schlund un die Ursch-Riefe abgewischt hatte.

Frau Brünne wachte wieder auf. Hülfsbereit und weiter durstig torkelte sie die Stiege nunter in den Gast-Raum und erzählte dem Zapf-Wirte die wahre Mär von Urians Hinterlassenschaft hinterm Gebälk und von ihrem ernüchternden Traume.

Ein Herr hockte am Stamm-Tische und kriegte alles mit. Er entsann sich des Haufens gilblichen Papieres, den nämlich er einst zuerst oben hinter den Bohlen gefunden, aber nit beachtet hatte. Er war sofort erbötig, Urians Vermächtnis zu erfüllen und die Schriebse nune für die Nachwelt zu retten.

Schließlich kam (glücklicherweise) der gewichtige Stadt-Advokat und besondre Rathaus-Schreiberling Oswin Huber auf einen hölzern Becher Weißbier rein und ward in das in der Bohlen-Stube entdeckte Geheimnis eingeweiht. Der Amtliche blühte sofort auf.

„Iche bin der beste Mann für euch“, hub Huber an zu lallen, „diene seit alters unsrer schönen deutschen Sprache. Verstehe mich vorzüglichst aufs Hand- wie Mund-Werk, um solch Schreibseleien artig in leserliche Formen zu bringen und gedruckt zu bewahren.“

Man ward sich einig, Hubers Hülfe, Rat und Tat wie dessen Verbindungen nach oben müssen beansprucht werden, weil die Entdecker mit Brünnen an der Spitze nit so firm sin. Also erweiterte sich der Bund um den Griffel-Bändiger Huber. Außerdem gehörten dem Unternehmen an: der Herr Urfinder und stammgastliche Nichtsnutz, dessen Name nit überliefert ist, der Wirtsmann Häringer nebst einem arglosen taubstummen, halbblinden Kellner und die bezopfte Brünne als Leiterin der Tat-Sache. Zum Glücke lungerten keine weitren Gestalten in der Kneipe, sodaß Urians wiedergefundener Tagebuch-Schatz erschtemal geheim bleiben konnte.

Brünne übernahm allsogleich die Führung über den Bund und schmiß gleichemal eine Runde Bieres zur Bestallung des neuen Fähnleins – auf Wirts-Kosten. Oswin sagten alle zu, daß er als Urians Lebens-Forscher sowie Memoarius handeln solle, folglich als Schriftmächtiger das Buch unter seinem eigenen Bürgers-Namen herausbringen dürfte! Das gab der ganzen Sach nämlich ein amtlich-guts Gesichte. Auch würd geplant, als Druckerey samt Verlags-Anstalt was und wen Angesehenes und Lettern-Erfahrenes aus der Stadt einzubinden. Das solle allso der Huber erledigen.

Schließlich müßt das Buch ja für alle auch ein Geld-Geschäft und gut marketendert werden. Und sollte auch in naher wie ferner Zukunft ein rundwahrlich Bild vom hinterdamaligen Leben Urians und seiner Nachbarn rund um Jena bezeugen.

Huber hub hervor, wie sehr wichtig seine fähige Gestalt sei und urkundete alles auf einen Bier-Filz, was alle Verbandelten abhakten, kreuzten wie unterschrieben als Einverständniß.

Merschtenteels waren sie des ABC-Griffels gar nit mächtig, die neugebackenen Buchverleger.

Dem gewitzten Leser bis hierher – ob pfiffig-geneigt oder neugierig-unbedarft – sei nune gesteckt: alles, was auf den folgenden Seiten gesetzt steht, stammt nur in zwoter Hand von Oswin, dem Huber. Nimmer ward etwas erfunden. Alles ist wahr und haftig so aufgekritzelt und mit Feder-Kiel nebst Tinten-Faß abgeschrieben worden, wie es der Herr URIAN schriftlich hinterlassen hatt. Weil es ihm so widersprüchlich wirklichwahr wiederfahren ist, das spürt man. So etwas kann man sich niemalsnit ausdenken, geliebte und gelobte Leserschaft!

Euer Augen-Blick auf Urians Leben beginne nun!

WARNUNG: Haltet das Folgende den Augen und Ohren eurer unschuldigen Kinder bis hinauf zu den Halbwüchsigen bitte fern!

Wohlbekomm’s ansonsten!

Oswin Huber

Urians Geschichte

Zu frühe ist auch unpünktlich“, war die erste Lehre des Lebens, die der kleine Menschen-Wurm seinen Ältern gab, noch bevor seine Erden-Laufbahn gar begonnen. Er wollt erst rausschlüpfen, wenn sein Geburten-Tag gekommen. Wohlig warm schwamm er noch im Frucht-Wasser seiner schönen Meuder umher, soff un genoß die süße Lebens-Brühe, die ihn vor allem Unschlitt auf der Welt schützte. Die Geburt könnt noch warten.

Indes lauerte der werdende Vater dringlich auf den Sproß seines Saftes un ward arg ungeduldig, weil man ja nit wußte, ob da nune ein Säckchen oder ein Spältelein angerutscht kommt. Auch die niederkünftige Meuder wollt nit mehr länger den hochschwangrigen Kugel-Bauch rumschleppen un wünschte, daß sie das Bälglein bald aus dem Schoße in die Arme nehmen könnt.

Nur das unbekannte Weselein selbst schien zu wissen, wann es erscheint, denn noch dehnte es der Meuder Wanst, kugelte un purzelte in deren Leib umher, daß die Ursele geheißene junge Frau kaum eine Ruhe fand.

Doch dann waren offenbar die 267 Tage un Nächte vorbei, die des Menschen Natur-Werk zum leibsinneren Kinds-Wuchse anberaumt hat. Die Frucht einer Liebe begab sich nunmehr endlich auf den guten Rutsch gen erdiges Leben.

Am zehnten Oktobertage 1582 öffnet sich endlich Urseles Schlund un der von ihrem vor neun Monden beiwohnenden Gesponst per Spritz-Blitz als Stern in die Sichel gepflanzte Bankert flutscht ohne groß Gemähre raus. Die Hebe-Amme nimmt das glitschige Bälglein hoch, klatscht ihm einen Klaps. Es krähte auch gleich los, spuckte oben un unten un fror jämmerlich auf dieser Welt. Ritschratsch schnitt die Matrone mit scharfen Scheren-Schenkeln den bisherigen Lebens-Strick durch. Zum Glücke war sie so erfahren, daß sie auch wirklich die Nabel-Schnur absäbelte un nit etwa den winzigen Schnips, der den Kinds-Vater am meisten zu interessieren schien. Reineweg glücklich ließ der Mann sich von seinem Sohne mit frischem Strahl ins Gesichte pischen. Als der „Godsschalk“ geheißne Vater das Gliedchen erlebt un gesehn, gar befingert hatt, haute der Kerl gleich ab, verließ Stube, Frau Mutter un Kind, um sich zu bekneipen.

An seinem Stamm-Tische im Grünen Hecht schmiß er voller Stolz allerlei Leuten eine Runde Pisch-Bier. Dann ging er laut singend rüber in den Roten Hirsch. Es hatt sich in der Nachbarschaft schon rumgesprochen, welch Vater-Glück Godsschalken beschieden ward. Durstige Hände-Schüttler un Schultern-Klopfer zuhauf standen alsbalde vom Holz-Markte rüber schlange bis an den Tresen, wo der stolze Vater gleich selbst am Bier-Hahn hantierte. „Auf den kleenen Piep-Hahn ein großes Pisch-Bier“, grölten die Gäste un soffen umsonst auf den neuen, noch namenslosen Sohn von Jena an der Saale.

Am nächsten Morgen torkelte der Herr Vater wieder zu Hause rein un rief angesichts der nun gewaschnen, gesalbten un gewindelten Wenigkeit aus: „Ursele un Sohnunser – ich bin din un du bist min. Un mittendrinne soll unser Knabe sin. Wir werden allso alsbalde heuraten!“ Urian (der noch gar nit so hieß) war also dabei, als seine Ältern die Hochzeit feierlich wagten. Aber soweit is es noch nit.

Der Stadt-Schreiberling Oswin Huber formt nun aus dem Erzähl-Mus un den Gespinsten des Mittelalter-Mannes in gehöriger Artigkeit wohlfeil einen langen Laib, worein für wissenshungrige Leser aller Zeiten die seltsamen Geschichten aus Urians Leben verbacken sin. Beißet rein in den Ranft un knabbert euch durch bis zu dem am anderen Ende!

Nunalso ward der kleine Schmalhans da, lag in der Wiege un schlief merscht. Sechs Pfund Menschenkind-Bündel hingen an der Sack-Waage. Fünf Sechstel der Elle maß Erzeuger Godsschalk ab. Meuder Ursele nannt ihren spilligen Sproß liebevoll: „Meine Gräte.“

Fleißig gab sie ihm vom ersten Tag an die Mutter-Brust, steckte ihm ihre Warzen-Nippel ins Schnäuzchen. Un der Sohn zog mächtiglich. Mehrmals am Tage schmatzte er lange und lustvoll nacheinand Mutters Brüste leer un entwickelte sich obdessen prächtiglich. Er kam zu Stimme un plärrte allerhand Scherze aus dem Windel-Geschnür raus, trieb alsbald Ulk, wie man ihn von einem Säuglinge noch niemalsnit erlebte. Dieses Lust-Bündel zappelte in seinem Korbe rum un griff nach drei Lebens-Monden schon nach allem, was sich bewegte. Wo er auch nur eine Nachbarin in seiner Nähe erhaschte, zog Urian an ihrem Schürzen-Bande, grapschte nach dem Busen-Tuche un versuchte sogar, mit der großen Ziebe unter ihren Rock zu gelangen. Unersättlich gierte er nach Mutters Milch un lutschte, bis es ihr am Warzen-Teller un ihm im Mäulchen wehtat. Nur gut, daß Nachbars Grete just auch niedergekommen war un ihr Sünne geheißnes Mädel nit so viel soff wie Urseles Knabe. Un so verdingte sich Grete für ein paar Groschen je Mahl-Zeit als Amma. Sie kam täglich vorbei un stillte den Nimmersatt zusätzlich. Das war ein andrer Geschmack, den das Wänstlein sich genüßlich einverleibte.

Die Amma euterte ihn gern, gab es für sie doch neben einem Trink-Geld einen unerwarteten Lust-Gewinnst. Weil Grete nit mal drei Ellen in der Länge maß, ward der Weg zwischen Brust und Schoß bei ihr recht kurz. Sie klemmte sich also das Knäblein zwischen die spitzligen Hügel und schnappte des Zapplers Füße innderhalben ihrer Oberschenkel ein. Das bremste den Balg nit. Er wühlte un wirtschaftete da ungne rum, so die Beiden den Glitsch genossen. Mehr und mehr.

Eines Tages – die Ammen-Kullern waren leergesoffen un schier ein Liter im Schlunde zwischen den Rippen der Gräte verschwunden – gab Grete sich hin, vergaß den Sittstand un ließ den Jungen eingleiten, denn sie war am Ursprunge wie üblich nackig. Fast rutschte Kleini rein, sein Köpfchen hakte sich aber am Kitze fest, sonst wäre er der erschte Mensch gewesen, der rückwärts geboren ward, also wieder reinkriecht in einen Mutters-Leib.

„Jungke, ach Jungke“, stöhnte Grete, zog Urseles eigentümlichen Sohn aus dem Wuschel-Feld ihrer Scham-Ritz raus, leckte dessen Füße sauber ab un wickelte ihn, wie es Brauch war un sie es gut hat gekonnt. Des Knaben Körper wird dabei ganz bedeckt in ein Tuch gerollt. Die gestreckten Arme kommen mit hinein. Das Wickel-Band von oben bis unten hält die Einhüllung fest zusammen – fertig is die Docke, die dem Wohlwuchse des Säuglings wahrlich gut tut. In die Wiege gelegt, muß man eine Haube auf den Kopf des Kindes stülpen. Das alles taten Grete un die inzwischen wieder anwesende Meuder Ursele. Diese las sogleich vor, was der kluge Gesundheits-Mann Barth Scherrenmüller in einem Pamphlete allen Ammas und Meudern klug geheißen hatte:

Un dann so die Wiegen bewegt, soll die Amm oder die Meuder singen und lusperlich Stimmen machen, umb deß Willen, daß des Kinds Gemüth gekrefftiget un bestetiget werde in ainem guten ­Wesen un Stand. Un sie soll es nach irer Vermöglichkait schlafenn machenn!

Nach diesem Wöchnerinnen-Salm waren Gräte un Grete entschlummert. Ursele indes fand keine Ruh, fühlte sich unsittig, raunte es doch im Städtchen. Nach der Zeitung über die fröhliche Niederkunft hatt sich alsobalde nämlich das Mauls-Geschnäuf verbreitet, die Urs ließe bößerweise ihr Wänstlein von einer Amma säugen. Was in gewissen Kreisen verpönt is: Diese Sitte hätt sich bei vielen Wöchnerinnen breitgemacht, die nur ans eigene Breitlegen dächten. Nämlich nur, um ihrer Unenthaltsamkeit frönen zu können. Die nit stillt, kann sich dem Zumphe ihres Gatterichs hingeben. (Als ob Frisch-Entbundne das je gewollt!)

Leidern sögen die Kinder von den mietlichen Brust-Geberinnen oftemals häßlichste Krankheiten und schimpflichste Gebrechen mit ein, hieß es weiter. Nur, weil manche Milch-Mütter ihre Wänster an fremde, lasterhafte und schamlose Ammen gäben, käme Unheil über die Menschen! So wetterte manch studierter Kerl ohngedanklich daher, der selbst nie einen Samen-Faden in ein Weib-Ei zur Frucht hat keimen gelassen! Pfuius!

Ursele sah aber, daß mit Greten alles ordentlich war un diese, dem Spree-Walde entstammende Amma, genug bäuerliche Kraft in ihrer Mutter-Sahne hatte, was für den Gräterich dahero eine Gut-Tat war. Er mußt ja sowieso nit völlig auf seiner Meuder Milch verzichten. Außerdem dachte Ursele mit keiner Regung itzo an Beischlaf ihres Mannes Godsschalk. Das war dieser übrigens mitnichten – weder gottig, noch schalkhaft. Aber durstiglich! Für ihn war andauernd Himmelfahrts-Tag. Die Vaters-Freuden zinnten ihn nun schon dreier Tag un Nächt lang. Was meint in seiner Art: er strotzte voller Stolz, einen solchen Bolzen abgeschossen zu haben, aus welchem im Schlunde von Urseles Dose sein Sohn ersprossen. Godsschalk kippte also immer wieder viele Zinn-Becher un Holz-Humpen mit Hopfenmalz-Gesöff hinab, hatt schone längst die Übersicht verloren, wo er in der Kreide stand, seit er im Hirschen das Pisch-Bier ausgegeben hatt.

Wieder saß er gießend im Suff-Gewölbe un wähnte die Wirtsfrau Häringer als seine Amme, doch diese wollt ihn nimmer weiter füllen. Sie war nämlich eine gute Kneiperin, aber auch Ehe-Frau un Mutter von sieben Bälgern, wußt also: Ein frischer Vater gehört zu Weib un Kind! Deshalb meckerte sie Godsschalken voll, er solle endiglich nach Hause trollen un seine Erzeuger-Pflichten erfüllen. Die Brut sei geschlüpft, nunmehro müsse das Kind auch vom Hahn aufgezogen werden. Zuvörderst aber sei es ordentlich zu benennen. „Un heuraten wolle mer ooch“, lallte Godsschalk stolz. Er bezahlte großartig die Zeche, krabbelte aus dem Bier-Keller ans Tag-Licht un latschte quer durch Jena heeme.

„Nu muß der Gleene getäuft wern, weil jeds Menschlein erst durch dieses feuchte Sakramento in ein gottgefällig Leben tritt“, überlegte indes Mutter Ursele, während sie die Wiege schaukelte. Die Gefahren, denen die Lebelein der Neugeborenen ausgesetzt sin, machen es notwendig, die Taufe sobalde wie möglich nach dem Schlupfe zu spenden, wußte Ursele aus der Kirche. Nur durch die Tauferei wird das Kindlein in die christliche Glaubens-Gemeinschaft vor Gott un dessen Knechten aufgenommen, wird vor möglicher Verdammnis, Krankheit, Tod un Teufel geschützt. Dessertwegen wurd manch neuer, schwächlicher Erden-Wurm auch blitzegleich nach dem ersten Kräh in Not-Taufe genommen. Is kein Pfarrer allda, kann es ein ehrbarer Mann tun. Nötigenfalls auch eine unbescholtene Frau. Aber nur mit Wasser, gelle!

All das wußt auch Godsschalk, der allerdings noch arg benebelt gen Wohnstatt torkelte. An der Stadt-Mauer mußt er einen großen Fuchs schießen. Kaum hatt er sich verkotzt, drängelte es ihn, einen Abtritt zu nehmen. Doch kein Abort-Gestank wies den Weg dahin un so haufte er schließlich am Treppchen zum Leuter-Graben. Das war das Flüßchen, was gemeiniglich wochenends am Ober-Baume angestaut un, da die Stadt abschüssig lag, dann durch die Straßen un Gassen geleitet ward, um den Unflat einfach wegzuspülen. Ansonsten war das Bächlein reinlich, denn allerlei Fischlein tummelten sich im Kiesel-Bache. Weil Godsschalk schon wieder Durst verspürte, schöpfte er mit der Hand Wasser un schlürfte sich satt. Dahero füllte sich wieder sein Blaserich un wollt soforte neuerlich abgelassen werden.

Im Dunkeln stieß der frische Vater an ein steinernes Becken. Er holte seinen Zumph aus dem Hosen-Latze un brunzte da rein. Wieder erleichtert un nu vorne, hinten un obenraus frei von Drangsalen, schlich Godsschalk weiter, nit wahrend, daß er unter einem Kirchen-Kreuze im Banne eines Gottes-Hauses seine Wässer abgelassen un damit arg gefrevelt hatte! Zufrieden legte er sich aufs Ohr, wo er grade war un ahnte nit, er hatt sich in seiner Besoffenheit auf eenem Friedhofe gebettet. Selig verpennte er die Nacht, trabte dann im gräuenden Morgen los, um zu Hause nun aber wirklich ein guter Vater und baldiglicher Ehe-Gesponst zu sein. Leidern verpuffte dieser Entschluß des stolzen Godsschalks in weiteren Hinderlichkeiten.

Die Sonne wollt ihm an diesem trüben Morgen nit leuchten, suppte doch ein dicker Wabert von Nebeln, derowegen rundrum nichts zu erkennen war als die eignen Füße. Vorsichtig tappte Godsschalk weiter, dieweil sich der Fuselöl-Nebel in seinem Nüschel mit der Dunst-Glocke über den Wiesen verbreitete un ihm gar nit rechtwegs half, sein Haus mit Weib nebst Kind zu finden. Längst hatte er die Stadt verlassen. Ohne es zu merken, war er über eine Brücke beim „Paradies“, wie ein großer Garten vor der Stadt-Mauer genannt ward, nüber aufs andre Ufer der Saale geraten. Eine Halbstunde tappte er weiter un stand aufenmal vor einer Kalkbergs-Wand. Der Weg war weg! Beruhigend plätscherte es neben Godsschalken. Durch die milchige Luft tastete er sich auf dem Erd-Boden kriechend voran. Un fand eine Quelle, die seinen wieder entbrannten Durst löschte. Mit hohlen Händen schüsselte er das labsalige Naß in sich rein.

Wasn dasn? Godsschalk erschnupperte Brand-Geruch. Hin un her streckte er seinen Riech-Kloben, bis er ausmachen konnt, woher der holzrußige Odem kam. Inzwischen nüchterner, tappte er los, bemerkte dabei nit, daß er in eine Höhle geraten war! Plötzlich flimmerte ein flammiger Schein durch die Luft-Brühe. Kaum war er weitergestolpert, wahrte er ein Lager-Feuer, das hinterm Höhlen-Eingange mäßig loderte. Ein Hutzel-Weiblein hockte davor un briet an einem Spieße einen länglichen Fleisch-Balg, der gar nackig un hellhäutig aussah. Einen Kopf hatte der Bratling nit, aber Godsschalken schien es, als ragten Ärmchen und Beinchen raus un knisterten ihre feinen Fett-Tropfen aus Abhack-Löchern in die Glut. Das alles hatte Godsschalk im Blitzum gesehen. In ihm rasten Bilder un schlimme Ahnungen herauf: War das eine Menschen-Fresserin? Die Alte indes bemerkte ihn erst, als er aus dem nebeldickichten Schatten-Loche auf sie zukam.

„Mallefitz-Gauner, verschwinde wie der Schiß im Winde“, schrie die Hutzlige un geiferte wie Satans Braut. „Hier wird nit geglotzt un geklaut! Das Dingelchen freß iche ganz alleene. Erscht beiß ich zwischen die Beene, dann bohr ich Herz un Leber raus. Später fletsche ich die Bauch-Lappen, Ursch-Backen un den Brust-Stietz. Zum Schlusse knabber-schnorpsel ich das Rück-Rad puhle-puhle ab. Herrfein, Hornsaus – das wird ein Teufelsbraten-Schmaus!“

Gar lieblich trotz allem duftete der Brat-Leib, gar gemütlich knisterte das Knäckerchen, doch Godsschalk bemerkte das nit. Ihn würgelte der Anblick der gierigen Alten vor dem unschuldigen Zart-Fleische. Un im Augen-Blicke vermeinte er, sein eigen Kind in dem zu erkennen, was sich da schmurgelnd über den lüsternen Flammen am Spieße drehte! „Mein Sohn“, gellte es widerhallend.

Schon wollt die unheimliche Braterin weiterschwafeln, da brüllte der wieder nüchterne Godsschalk: „Halte ein, du Belzen-Magd!“ Er schrie durch die Höhle, daß eine Fleder-Maus herabfiel un sich in der Glut ihre Flügel versengte, bevor sie wie ein Geschoß brennend hinausflog aus der Höhle un in einen Heu-Haufen auf den Wöllnitzer Wiesen stürzte, der sofort zu lodern anfing, obwohl die Aue doch feucht geschwängert war vom Nebel.

„Schwafel-Dirne, verdammte! Was rollst du da am ­Spieße?“

„Ein Menschen-Kind schmatzt mir bestens“, hub die Warzige an, auch mein Drache liegt schon auf der Lauer.“ Das Wunder-Tier nickte un lefzte seine 7 Gebisse.

Godsschalk schleuderte einen Fels-Brocken gegen das Weib, das sich bückte un den Stein über sich hinwegfliegen ließ. Es rief: „Schwafel, schwafel, das erfürchtet un beleidigt miche niche! Lebenslang war ich vieler Geschwänzter Spritz-Braut. Ob Riesen-Sack oder Zwergen-Glied – allens kam auf mich, fuhr rein un raus, immer nur Nimmersatt! Habe brav mitgemacht, oft getropft. Dann aufm Kopfe gestanden. Hoffte, der Saft bleibt in der Wunde un läßt in Meiner was wachsen. Doch nein – nie sollt es sein. Blieb kinderlos un allein! Nischtenit kam ein Wänstlein aus meinem Wanste raus! Un desserthalben verkannibale ich mir zum Schlusse meiner Erden- un Höllentage nunmehro ein feins Leibchen ein. Wenigstens einmal soll ein Anderwesen in mir drinne sin – mit Häuten un Haaren! Un wenn ich verdaut hab un das Mahl ausgeschißt, dann wächst aus dem Geschmer im Grase sicherlich mein ewigliches Nachbild wieder her!“ Verdutzt un ohnmächtig hatte Godsschalk sich diesen Salm angehört, unfähig zu begreifen, welch Schicksals-Wucht ihn da getroffen. Er gedachte seines immer noch ungetauften, namenlosen Sohnes, der itze hoffentlich an der Brust von Ursele friedlich lag.

Godsschalk drängte es plötzlich hinfort zur Familie. Im Weggehen aber sah er nochmal zu der Jammergestalt, die weiter mit dem Spieße hantierte. Un wieder glaubte er, es drehe sich sein eigen Sprößling über dem Feuerfunken-Bette. Ihm ward unwohl, fiel ihm nun auch ein, daß just in dieser „Teufels-Löcher“ benamten Höhle einst ein Lind-Wurm gehaust hatte. Sollte es da Zusammenhänge geben? War die Alte des Drachen Gevatterin? Harrte ein weiterer Spieß auf ein nächstes, ja wohlbeleibteres Brate-Opfer, das dank seines Schnaps-Blutes noch besser schmecken un knuspriger brutzeln könnt als so ein Jungs-Knabe? War für ihn selbst allso eine Gefahr im Anzuge? Godsschalk ward es reeneweg schlecht. Es würgte ihn im Schlund, im Zumph un am Zampf. Aber, es kam nichts, weil er ja leer war schon seit Stunden. Doch da ballte sich in seinem Gedärm etwas zusammen. Allerlei Brei bahnte sich nune einen Weg durch seinen Ranzen. Godsschalk merkte, wie sich in ihm eine Luft-Blase stückerweise un recht wehetuend vorwärts wälzte un dem Ursch-Loche zustrebte. Es rumorte un grollte in ihm ein laut hörbares Wanst-Rammeln.

Die garstige Alte am Feuer glotzte auf einmal auch ungläubig un verdattert in der dunklen Höhle rum, schien nun selbst ob des därmlichen Grollens von Angst erfaßt zu sein. Vielleicht dachte sie auch, der uralte Drache käme aus des Berges Tiefe geschlichen.

Doch da löste sich knallartig die Spannung! Aus Godsschalkens Hintern platzte donnergleich eine Riesen-Wolke übelster Darm-Luft. Der Gestank schwängerte die Höhle. Süßölig strömte der Stunk nach oben, faulig sank der Stink nach unten. Dunst umhüllte das Lager-Feuer un wob um den am Spieße verbrutzelten Rostbrat-Menschrich vorbei. Godsschalk flog schräg durch die Höhle – ihm war die Hosen-Naht geplatzt. Wie die Hexe ihn eingänglich abgefordert hatte, war er wie ein Schiß im Winde abgedampft, weil seine Darm-Gase ihn durch einen Trichter-Schub hatten lossausen lassen!

Zum Glücke ging der Auftrieb zum Höhlen-Tor hin. Der Mann flog in hohem Bogen raus un landete kopfüber im Quellwasser-Becken. In diesem Augenblicke krachte es nochmal in der Höhle un die Felsen-Decke stürzte herab, versperrte nun den Eingang.

War die Hutzlige verschütt gegangen? Samt Braten-Spieß?

Man hat niemals wieder was von der lebenden Warze un ihrer Mahl-Zeit gesehen oder gehört. Die Höhle neben der Quelle unterhalb des Kernbergs allerdings is noch da. Man hüte sich, in diese Teufels-Löcher zu kriechen - auch, wenn es harmlos aussieht un kein Gestank un Brutzel-Duft mehr weht!

Godsschalk hat jedenfalls niemalsnit jemanden was von diesem Abendteuer erzählt. Außer viel später seinem Sohne, sonst könnt die Geschicht hier ja nit aufgeschrieben stehn, gellenie.

Was der Sproß erst heute herausfand, is, daß die Sach wahr sein muß. Die Alte war sicher eine Hexe gewesen un hatt gar nit mal so falsch geschwafelt. Denn, als der Knabe als großer Junge mit einem Spiel-Freunde später mal verbotnerweis in die Teufels-Löcher gekrochen is, fanden sie Asche von einem Feuer, Drehspieß-Gabeln un abgenagte Knochen von Hund, Katz, Maus, Ratz un Karnickel zwischen restlicher Holz-Kohle. Un ein krummes Gerippe – sollten das die Gräten der sagenhaften Alten sein, die hier mit ihrem Lind-Wurme als des Teufels Braut gehaust hatte? Vielleicht gar keine Bratmensch-Fresserin gewesen is? Möglicherweise war sie die Erfinderin der heutgen Rostbraterei?

Stücker zween Tage un ne Nacht is er fort gewesen. Nune taucht Godsschalk wieder zu Hause bei seinem Weibe auf, das durchweint an der Wiege hockt, wodrinnen das noch namenlose Bündel als Frucht ihrer Liebeleien quäkert. Der Vater will die Mutter nimmer beunruhigen un erzählt von der unterirdischen Begegnung in den Teufels-Löchern lieber nichts. Schwafelt stattdessen ihr vor, er wäre so lange unterwegens gewesen, weil er mit dem Pfarrers-Pastor allens beredt hätt, was die morgenfrühige Hochzeit un Kindstaufe anbetreffend sei. Der Frau Miene hellt sich auf – nune war es so weit: Die Familie würde also endlich vorm Schöpfer gebunden sein. Fein! Aber morgen schone? Ohjeh! Was ziehe ich an?

So klein, wie das Kirchlein drunten hinterm Damm-Wege war, ward auch die Heurat. Schnell waren die Eltern vermählt.

Un schon stund des Sprößlings Taufe an. Eigentlich ists Brauch, das Tauf-Wasser im Morgen-Grauen stumm von einer Quelle zu holen. Doch weiter nebelte das Wetter über die Saale-Auen, daß der Küster sich scheute, den weiten Weg unter die Sohlen zu nehmen. Kurzerhand schöpfte er aus der Brunnen-Schale vor der Kirch-Türe. Damit ward das Tauf-Becken nun leidlich gefüllt, was erlaubt war: ausnahmsweise Himmels-Regenwasser für die heilge Handlung zu nehmen. Wieso schimmerte es aber so bräunlich un muffte?

Auf dem Herweg zur Kirche „Unsern lieben Frauen“ ­hatte Godsschalk persönlich un recht umsichtiglich seinen Sohn eigenhändig getragen, was er auch für den Rückweg vorhatte. Er wollt nämlich nit, daß seinem Sprößlinge das geschähe, was mit Tillen seinerzeit vorkam.

Vater Klausi Eulenspiegel un sein Weib Anna hatten einst nämlich sittig der Hebe-Amme ihren Sohn zur Befördrung anvertraut. Un diese Schlumpe war biervoll mit Tillen im Arme in die Lache gefallen, wonach die Bade-Muhme den Stinke-Gnom nochmal überwaschen mußte. So ward Till dreimal an einem Tage getauft, was der Schelm später bis zum Erbrech immer wieder erzählte.

Nune war also Brünnes Gräterich dran. Leidern hatten die Ältern – da Anfänger im Kinderkriegen – bis hier un heut vergessen, sich einen wirklich feinen Namen für den Knaben auszufaseln. Als nune der Herr Paster leise nachfrug, wie er denn das kleine Gottes-Geschöpf benamsen sollt, da kam erschtemal keine Antwort. In Godsschalkens Nüschel wirbelten nur fuselige Gedanken rum. Wie war das denn nur gleich? Sein eigner blöder Vorname kam nit infrage. Auch Ursele fiel nix ein. „Was mit U würd mir gefalle“, murmelte sie. „Menschen, so gehet das nimmer“, rief der Pfarrer durchs göttliche Haus. „Nennen wir den Balg doch schlicht Fürchtegott! Das paßt immer. Ja, so will ich ihn taufene.“ Der Gotts-Knecht schöpfte mit dem Tauf-Löffel Wasser aus dem Becken un tröpfelte es über des Knaben noch schüttren Schopf. Dieser schrie ob der gelblichen, gar stinklichen Brühe un alle ums Tauf-Becken Stehenden hielten die Luft an, weil sie gewöhnlichen Pruhn neben dem gewöhnten Weihe-Duft erschnupperten.

Un auf einmal dröhnte von der Kanzel runter eine teuflische Stimme durch das Kirchen-Schifflein: „Hmm, wie angenehm: Schiffe, geschiffter Urin! Ja, URINIUS, er muß Urinius geheißen werden! Getauft mit dem Harne aus seines Vaters Blase – köstlich! Das versteht ihr nit? Ihr stockt? Nune gut. Dann nennet ihn nach mir: URIAN! Ja, so soll der Wanst von Teufelsgotts-Gnaden heißen!“ Un so geschah es; ohne, daß irgendewer was andres erreichen konnt. Himmel un Hölle hatten sich plötzlich verbündelt. Ja, so kam just Urian flugs zu seinem Namen URIAN, weil man unter der Aufregung glatt vergaß, „Fürchtegott“ auch noch ins Tauf-Buch zu schreiben. „Ich will mich um meinen unnigen Vornamen wahrlich nit scheren“, war Urians Überlegung, sobald solch Gedanke in seinem Kopfe reifen konnte. Das klang doch eigentlich gar nit schlecht oder unfein. Es steckten Kraft, Licht, Zeit un langes Leben drin. Ein derart Benamter mußte einfach ein uriger Mann werden. Dem ward wahrlich so, wie man weiterlesen wird …

Die Kindheit verlief dank der Fürsorge seiner Ältern un der Geborgenheit in seinem Geburts-Orte ziemlich gut un üblich.

Urian wuchs heran, hatt später kaum was drüber verlauten lassen. In seiner nachgelassnen Hand-Schrift kommt die Wänster-Zeit nit vor. Einmal erzählte er seinem Ehe-Weibe, er sei deshalb so gut gediehn, weil er als Junge jeden Tag zum Frühstück eine Tasse Eingebrocktes gegessen habe. Un das sollt ihr Nachwuchs auch gefälligst ohnbedingt mal kriegen. Johanne war einverstanden. In guten wie in schlechten Zeiten brachte sie die kleine Familie dann auch gut mit Eingebrocktem durch. Das is was ganz einfaches un billiges hier übliches: Man zerbreche altes Brot samt Rinde in mundgroße Stückchen, brocke diese in eine große Tasse, streue möglichst Zucker drüber un fülle mit Lorke auf. Schön auslöffeln!

Ihene, Jani, Jene, Jäna, Jena – die Leut nahmen es mit dem Geschreib nit so genau, wußten manchmal selbst nit, wie das Städtchen eigentlich heißt, in dem sie wohnten. Kaum einer konnt eh lesen un je schreiben. Es war ihnen auch egal, ob sie in die Saale oder Sahle spuckten oder pischten. Neben der Pferde-Schwemme wuschen sie ihre Wäsche. Flußauf selbstlich.

Fremdlinge wunderten sich sowieso: was für Spinner müssen hier leben, die sich für ihr Kaff neuerdings ausgedacht haben, hier gebe es Die 7 Wunder von Jena!

Nämlich wären das:

Chordurchgang unterm Altar der Stadtkirche

Schnapphans an der Rathausuhr

Siebenköpfiger Drache

Jenzig-Berg

Alte Camsdorfer Brücke

Fuchsturm

Weigelsches Haus