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James R. Brockman

Oscar Romero

topos premium

Eine Produktion der Verlagsgemeinschaft topos plus

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Verlagsgemeinschaft topos plus

Butzon & Bercker, Kevelaer

Don Bosco, München

Echter, Würzburg

Lahn-Verlag, Kevelaer

Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern

Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)

Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Tyrolia, Innsbruck

Eine Initiative der

Verlagsgruppe engagement

www.toposplus.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8367-0007-8

Der Titel der Originalausgabe lautet:

2015 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer

Für
Maura Clarke,
Jean Donovan,
Ita Ford,
Dorothy Kazel
und alle, die in El Salvador
für das Evangelium
ihr Leben gelassen haben

Inhalt

Vorwort der ersten Auflage

Vorwort zur zweiten Auflage

Vorbemerkung des Autors

Geleitwort von P. Jon Sobrino SJ

Abkürzungen

I

Der neue Lotse

 

Februar–Mai 1977

II

Vom Schreiner zum Bischof

 

1917–1976

III

Die Stimme des Volkes

 

Juni–Juli 1977

IV

Der Leib Christi in der Geschichte

 

August–Dezember 1977

V

Die Stärke des Hirten

 

Januar–Juni 1978

VI

Die Kirche und die Organisationen

 

Juli–Dezember 1978

VII

Kirche, Volk und Regierung

 

Januar–Mai 1979

VIII

Die Kirche in der nationalen Krise

 

Juni–Oktober 1979

IX

Der 15. Oktober und danach

 

Oktober 1979–Januar 1980

X

Die letzten Wochen

 

Februar–März 1980

Anhang: Die Mörder Romeros

Anmerkungen

Literatur

Vorwort der ersten Auflage

Vor drei Jahrzehnten überraschte Papst Johannes XXIII. die Welt, als er ein allgemeines Konzil aller Bischöfe einberief – das erste dieser Art, seit ein Vatikanisches Konzil vor mehr als einem Jahrhundert in Rom zustande gekommen war. Das Zweite Vatikanische Konzil, so sagte der Papst, würde die Aufgabe haben, die Kirche zeitnah werden zu lassen. Papst Johannes’ Gründe dafür waren einfach. Die zeitgenössische Welt ging ihre eigenen Wege, und der Einfluss der katholischen Kirche war gering. Das Evangelium Jesu Christi hätte wie Hefe im Teig der Gesellschaft wirken sollen; aber der Kirche des 20. Jahrhunderts wollte es nicht gelingen, diese Hefe unter den Teig zu schaffen. Sie würde ihre eigenen Strukturen, ihre eigene Haltung reformieren müssen. Sie würde die Welt, der sie Rettung anbot, besser verstehen lernen müssen. Und sie würde zu ihren eigenen Quellen in der Frohbotschaft Jesu Christi hinabsteigen müssen.

Von 1962 bis 1965 versammelten sich die katholischen Bischöfe der ganzen Welt viermal über längere Zeit im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Sie stellten ein Buch von Dokumenten über Kirche und Welt zusammen und kehrten dann nach Hause zurück, um dort zu versuchen, das Erarbeitete in Kraft zu setzen. In Lateinamerika begannen die Bischöfe bald darauf mit der Vorbereitung einer Bischofsversammlung für 1968 in Medellín, Kolumbien. Anlässlich dieser Versammlung wollten sie ihren Weltteil unter die Lupe nehmen und die Antwort der Kirche auf die Situation im eigenen Lande im Lichte des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Ausdruck bringen.

Als die Bischöfe Lateinamerikas das Augenmerk auf ihre eigenen Länder richteten, sahen sie ein Gebiet mit 300 Millionen Menschen, die meist katholisch, aber arm und unterdrückt waren. Unterernährung und früher Tod waren das Schicksal von Millionen, vor allem von Kindern. Die moderne Wirtschaft und die gesellschaftliche Entwicklung trugen eher dazu bei, das Leben der meisten Einwohner zu verschlechtern denn zu verbessern. Die Kirche, so erklärten die Bischöfe, könne einer solchen Situation nicht länger zustimmen und müsse ihre Stimme erheben, um die Befreiung des Volkes zu verkünden. Ungerechtigkeit sei nicht Gottes Wille.

Oscar Romero lebte sein Leben inmitten der Armut und Ungerechtigkeit Lateinamerikas. Er wurde Priester vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil und Bischof nach Medellín. Als Erzbischof von San Salvador wurde er Oberhaupt der Kirche seines Geburtslandes. Aber als Erzbischof wurde er auch zum Mann der Armen, wurde ihr Fürsprecher, als keine andere Stimme das Recht der Armen einzufordern wagte. Er litt mit ihnen und gab sein Leben für sie hin.

35 Jahre nach seinem Tod ist Romero weltberühmt geworden als einer, der lieber sterben wollte, als der Stimme seines Gewissens und seines Herzens auszuweichen. Seit seinem Tod wird sein Grab täglich besucht, und viele Menschen holen sich dort Kraft. Oft kommen sie von weit her. Einer dieser Pilger war Papst Johannes Paul II. Meist aber sind es die einfachen armen Leute aus El Salvador; sie tragen ihren Erzbischof im Herzen.

Dieses Buch versucht, seine Geschichte zu erzählen.

Vorwort zur zweiten Auflage

35 Jahre nach der Ermordung Oscar Romeros während eines Gottesdienstes hat der Theologenrat der vatikanischen Heiligsprechungskongregation im Januar 2015 seinen Tod als Martyrium anerkannt. Von da an ging alles sehr schnell: Das Seligsprechungsverfahren, das im März 2013 kurz nach der Papstwahl durch Papst Franziskus neuen Anschub erhielt, führte dieser schliesslich im Februar 2015 zum Abschluss. Aber nicht zu vergessen bleibt, dass schon Papst Benedikt XVI. während seiner Brasilien-Reise 2007 zur Überzeugung gekommen war, dass Oscar Romero die Seligsprechung verdient hätte.

Mit der Seligsprechung am 23. Mai 2015 in San Salvador nahm ein Verfahren sein Ende, auf das die Landsleute Romeros seit Jahren gewartet hatten. Für sie war Romero seit seinem Tode Märtyrer und wurde immer als solcher verehrt.

Der Paulusverlag, der bereits 1990, zehn Jahre nach dem gewaltsamen Tode Romeros, die Biografie von James R. Brockman veröffentlichte, hat sich dazu entschlossen, die Seligsprechung Romeros zum Anlass zu nehmen, sein Leben und Wirken als Anwalt der Armen mit einer zweiten Auflage zu würdigen.

Zu den Personen, die Oscar Romero nahestanden und ihn kannten, zählt neben dem Autor dieses Werkes auch der bekannte Befreiungstheologe P. Jon Sobrino SJ, der uns freundlicherweise das Geleitwort zur zweiten Auflage zur Verfügung gestellt hat. Ihm gilt unser besonderer Dank.

Vorbemerkung des Autors

Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Ausgabe des 1982 erschienen Bandes: The Word Remains: A Life of Oscar Romero. Für diese Neuausgabe konnte ich auf verschiedene Quellen zurückgreifen, die mir früher nicht zugänglich waren. Teile des Buches habe ich gründlicher ausgearbeitet, andere zusammengefasst, sofern es angebracht schien; ich habe versucht, die Übersetzungen der spanischen Zitate zu verbessern, den Stil des Buches im Allgemeinen etwas aufzupolieren und die Fehler der ersten Ausgabe richtigzustellen.

Die Verhältnisse in El Salvador zur Ausgabezeit des ersten Buches legten nahe, die Identität verschiedener im Text genannter Personen und solcher, die mir Informationen mitteilten, geheim zu halten. Die Notwendigkeit der Geheimhaltung besteht nach wie vor; deshalb bleiben gewisse Personen ungenannt, manche von ihnen auf eigenen Wunsch.

Vielen bin ich Dank schuldig – zu vielen, um sie hier einzeln nennen zu können. Sie haben mir Informationen geliefert, haben korrigiert, vorgeschlagen, ermutigt, haben mich beherbergt, als ich beide Bücher vorbereitete. Leser des vorliegenden Buches, welche Fehler im Sachverhalt oder in der Interpretation feststellen, verdienen meine Dankbarkeit, wenn sie mich auf diese aufmerksam machen, damit ich sie in meiner weiteren Arbeit ausmerzen kann.

Geleitwort von P. Jon Sobrino SJ

Am 25. Februar 1980, einen Monat vor seiner Ermordung, begann Monsignore Romero die Geistlichen Exerzitien des heiligen Ignatius mit einer Gruppe ihm nahestehender Priester. Über seine Erfahrung schrieb er in seinem spirituellen Tagebuch einen sehr kurzen Text – im Original keine Seite lang –, worin er von dem Gespräch mit seinem Beichtvater Pater Azcue berichtet. In diesem Text scheinen die drei Probleme auf, die ihn in diesem grundlegenden Lebensabschnitt beschäftigten:

1.)Sein spirituelles Leben,

2.)die Möglichkeit eines gewaltsamen Todes,

3.)seine konfliktreiche Lage innerhalb der Bischofskonferenz.

Monsignore gibt das Grundlegende dieses Austausches mit Pater Azcue, dessen Kommentare und seine eigenen Gedanken wieder.

Diesem Text seines Tagebuchs werde ich einige seiner Worte aus genau diesen Tagen hinzufügen, die er in Predigten und Interviews zum Ausdruck brachte und welche in seinem Tagebuch nur kurz erwähnt werden. Durch die Zeit und die Umstände, in welchen sie geschrieben wurden, durch die Lauterkeit, womit Monsignore sich ausdrückte und durch die behandelten Themen nähern wir uns Monsignore Romero von innen her. Im Folgenden führe ich die drei Themen an, welche er mit Pater Azcue besprochen hatte.

Voller Aufrichtigkeit, Zartgefühl und Hingebung vor Gott

„Pater Azcue kam und wir alle beichteten. Ich brachte zwei Befürchtungen zum Ausdruck: mich nicht mehr so sehr um meine Exerzitienbeichten und meine gewöhnlichen Beichten sowie mein geistliches Leben zu kümmern. Er beriet mich, indem er meinte, dass da Skrupel über das Beichten sein könnten, die innere Neigung aber das Wichtigste wäre; und was die geistigen Übungen betreffe, wäre es gut, mir einen Plan für meine Spiritualität zu errichten, jedoch ohne mich demselben zu unterjochen; dass hier wie anderswo Leben und Geist all meine Tätigkeit beseelen müssten.“

Der Bezug zu Gott ist hier implizit; aber der theologische Zusammenhang ist offensichtlich. Gleichzeitig grenzt seine Lauterkeit psychologisch an Skrupel. Und alles lässt verstehen, dass Monsignore für die Aussagen Pater Azcues empfänglich und auf sie eingestellt war. Das Wichtigste ist die innere Einstellung – im Innern Gott zur Verfügung zu stehen – und die Freiheit, sich nicht an Pläne für spirituelle Praktiken zu versklaven, so notwendig sie auch sein mögen, da der Geist weht, wo er will.

Der Dialog mit Pater Azcue handelte von spirituellen Praktiken. Für jene, die Monsignore kannten, ist offensichtlich, dass dieses Gespräch theologisch eine grössere Dimension einnahm. Wenige Tage zuvor, in der Predigt des 20. Februar, sprach Monsignore ausdrücklich – feierlich – von Gott.

„Kein Mensch kennt sich, solange er nicht Gott begegnet ist … Wer, geliebte Brüder, wird mir sagen, dass die heutige Predigt dazu führen könnte, dass ein jeder von uns Gott begegnet und wir die Freude über seine Majestät und unsere Nichtigkeit erleben würden.“

Dieses Bewusstsein der Hingabe an Gott war Teil seines Wesens, weit über den nüchternen Worten sein spirituelles Leben betreffend. Und wo auch immer wir Ereignissen begegnen, glaube ich, dass dies ihm entscheidend gestattete, ein aussergewöhnliches menschliches Wesen zu sein, das sich gegenüber jeglichen Menschen verwandeln konnte. Monsignore verwies auf etwas Höheres und Wertvolleres für Gläubige und Ungläubige, insofern sie dem Menschlichen gegenüber offen waren.

Man wird mit guten Gründen sagen, dass das, was die grosse Aufmerksamkeit auf Monsignore Romero zog, seine Nähe zum Volk war, sichtbar, berührbar, gar quantifizierbar, sein Erbarmen und seine Vorhersagungen, seine Hoffnung und sein Kreuz. Doch in all diesem Sein und Tun Monsignores befindet sich ein „Mehr“ und ein „Besser“: Er umschloss alles und umarmte alle. Ich bin überzeugt, dass es so war; denn Monsignore suchte nie sich selbst, sondern immer Gott. Und die Leute stellten das fest. Damit nähern wir uns erstmals Monsignore Romero von innen her.

Der Tod war angemeldet

„Meine weitere Befürchtung betrifft meine Lebensrisiken. Es fällt mir schwer, einen gewaltsamen Tod zu akzeptieren, der unter diesen Umständen sehr möglich ist. Sogar der Nuntius von Costa Rica hat mich während dieser Woche vor Gefahren gewarnt. Der Pater hat mir Mut gemacht, indem er mir sagte, ich solle mein Leben Gott übergeben, wie immer es auch enden möge. Die unbekannten Umstände werden mit Gottes Gnade durchstanden werden. Er unterstützte die Märtyrer, und falls nötig, würde ich ihn beim letzten Atemzug mir nahe spüren. Doch wertvoller als der Moment des Sterbens ist es, sich ihm während des ganzen Lebens hinzugeben und für ihn zu leben.“

Von den drei Dingen, die er mit Pater Azcue besprach, ist der gewaltsame Tod – Monsignore, wenn er von sich selber sprach, gebrauchte aus offensichtlicher Bescheidenheit nie das Wort Martyrium – das bekannteste Thema, worüber die Gelehrten am meisten informiert sind. Ich kann mich nicht erinnern, dass er in der Öffentlichkeit je von seinen Gefühlen in Bezug auf eine Ermordung gesprochen hätte, noch dass er je gesagt hätte, dass er sich fürchte, obwohl es verständlich ist, dass er es tat. Es genügt jetzt, sich einiger seiner Worte bezüglich seines gewaltsamen Todes zu erinnern, die uns helfen, Monsignore Romero von innen her kennenzulernen.

Pater Azcue sagte er ausdrücklich, dass sein gewaltsamer Tod „sehr möglich“ sei, und sehr wahrscheinlich schien er Monsignore sehr möglich. Schon in der Predigt vom 7. Januar 1979 hatte er gesagt: „Man hat mich diese Woche gewarnt, dass auch ich vorsichtig sein müsse, dass irgendetwas es auf mein Leben abgesehen habe.“ Wie soeben erwähnt, meldete ihm der Nuntius von Costa Rica im Februar 1980 die Ankunft von Pilgern und in einem Interview im Monat März erwähnte er gegenüber einem Journalisten: „Ich bin öfters mit dem Tod bedroht worden.“ In seiner letzten Predigt im kleinen Krankenhaus am 24. März, bekannte Monsignore wie in einem Ausbruch des Vertrauens, dass ihm nach dem Leben verlange, dem wahren Leben, und dass er deshalb den Tod annehme:

„Wer sich von der Gefahr abschotten will, wird das Leben verlieren; wer sich aber um der Liebe Christi willen dem Dienste am Nächsten weiht, wird leben wie das Weizenkorn, das nur scheinbar stirbt. Stürbe es nicht, bliebe es allein.“

Ausser Lebensbedrohungen war er während drei Jahren Ziel von Angriffen und Verfolgungen, übler Nachreden und täglicher Verleumdungen, Zerstörung von notwendigen und sehr beliebten kirchlichen Orten, die ihm nahestanden (Kathedrale, Kirchen, Seminar, klösterliche Residenzen, katholische Schulen, die UCA) und von Arbeitsinstrumenten (die Druckerei des Erzbistums, die YSAX). Und vor allem war die Ermordung von sechs Priestern (eines Jesuiten und fünf Diözeseanpriestern) schmerzhaft und warnend. Der Tod war angemeldet.

Ebenso musste er mit dem Hass der Mächtigen leben. Sie verziehen ihm nichts und bereuten weder den Schaden, den sie den Armen zufügten, noch den Hass Monsignore gegenüber. 35 Jahre nach seinem Tod wissen wir nicht, wie viele ihn um Vergebung baten. Sicher haben es einige getan.

Monsignore Urioste, sein Generalvikar, wiederholt bis heute, dass „Monsignore Romero der beliebteste und am meisten gehasste Salvadorianer“ war. Es ist klar, dass er der beliebteste war, der im Volk Frohsinn und Würde erweckte. Es ist aber ebenso offensichtlich, dass ihn viele sehr gehasst hatten: Machthaber, Unterdrücker und Mörder, Todesschwadronen, Militär und Sicherheitskorps, Regierende und Politiker – die lokalen sowie jene des Nord-Imperiums – und viele öffentliche Medien.

Gewiss, er hat sie angeprangert und je nach dem nachdrücklich des Totschlags, des Diebstahls und der Lüge beschuldigt, öffentlich und sich völlig seines Handelns bewusst, ohne die notwendigen Worte zu verschönern, die Risiken auf sich nehmend, treu bis zum Ende. Er vergalt nie Böses mit Bösem; nie hasste er jene, die ihn hassten. Nicht aus Enthaltsamkeit, sondern weil er anders nicht konnte: Es kam aus der Tiefe seines Wesens. Kurz vor seinem Tode, in seiner Predigt am 16. März, sagte er: „Es tut mir leid, ohne mich zu erzürnen, wenn man mich beleidigt und verleugnet … Mögen sie wissen, dass ich nichts nachtrage, ihnen nicht grolle.“

Monsignore konnte die Last des Hasses etlicher Menschen deshalb ertragen, weil er die Leiden der Armen, der Unterdrückten, der Opfer auf sich nahm, und sie trugen sie mit ihm. Wer auf diese Weise liebt und geliebt wird, kann niemanden hassen. Er kann nur alle lieben.

Im Interview, das er Excelsior gewährte, entspringen die Worte Monsignore Romeros über seinen angekündigten Tod wie ein Wasserfall der Aufrichtigkeit, der Liebe und der Hoffnung:

„Wenn sie mich umbringen, werde ich im salvadorianischen Volk auferstehen. Ich sage dies ohne jegliche Wichtigtuerei, mit der grössten Demut. Als Hirte bin ich durch göttlichen Auftrag verpflichtet, das Leben jenen zu geben; die ich liebe, also allen Salvadorianern, sogar jenen, die mich ermorden werden. Falls ihre Drohungen sich erfüllen, übergebe ich Gott mein Blut für die Erlösung und Auferstehung von El Salvador. Möge mein Blut Samen der Freiheit und Zeichen der Hoffnung sein, die sich bald verwirklichen werden. Mein Tod, wenn er von Gott angenommen wird, sei der Befreiung meines Volkes gewidmet, als ein Zeugnis der Hoffnung für die Zukunft. Sofern es ihnen gelingt, mich umzubringen, sagt ihnen, dass ich den Tätern verzeihe und sie segne.“

Pater Azcue gegenüber sagte er gelassen: „Es fällt mir schwer, einen gewaltsamen Tod anzunehmen.“ Aber Monsignore akzeptierte ihn. Diese Art zu leben war eine weitere Charakteristik des Monsignore Romero von innen her.

Im Streit mit seinen bischöflichen Mitbrüdern und in Treue zum Evangelium

„Ein weiterer Aspekt meiner spirituellen Reflexionen, was auch den Dialog mit meinen Arbeitskollegen betrifft, war meine Reibung mit den andern Bischöfen. Ich orientierte mich sehr an dieser Überlegung: Wenn sie mich kritisieren, welche Alternative schlagen sie mir vor? Und ich habe festgestellt, dass nur die Grundlagen des Evangeliums wichtig sind, die nicht alle verstehen können. In gewissen Fällen lässt man sie fallen; aber man kann nicht aufhören, dem Evangelium radikal zu folgen. Diese Grundsätzlichkeit hat schon seit jeher Unvereinbarkeiten und gar schmerzhafte Divergenzen verursacht.“

Über die ernst zu nehmenden Spannungen mit den Bischöfen der Bischofskonferenz sprach er nicht öffentlich, wohl aber privat. In der Zurückgezogenheit teilte er dieses Problem P. Azcue und seinen Exerzitiengefährten mit. Er lebte auch in grosser Spannung mit der vatikanischen Hierarchie.

Man spricht nicht oft von diesen Dingen, vor lauter übertriebenem Respekt und Furcht angesichts der Hierarchie, d. h. einer sakraler Macht gegenüber. Wenn man jedoch diesen Konflikt verheimlicht, kann man Monsignore Romero nicht von innen her begreifen. Mit diesem Konflikt musste er sich weitgehend und sehr ernsthaft abplagen. Und die Art und Weise, wie er dies gelebt hat, führt uns ins Innere seiner Treue zum Volk, zum Evangelium und zu Gott. Betrachten wir es kurz.

Erinnern wir uns einiger Tatsachen. 1978, zusammen mit Monsignore Rivera, veröffentlichte Monsignore Romero den Dritten Hirtenbrief über „Die Kirche und die populären politischen Organisationen“ – eine wunderbare Predigt. Zur selben Zeit publizierten die übrigen Bischöfe zum selben Thema eine sehr kurze und substanzlose Botschaft, einen inhaltlich entgegengesetzten Text. Die Botschaft erfreute die Machthaber, während der Hirtenbrief deren Ungerechtigkeiten und ihre Falschheit aufdeckte.

Nach seinem Tod am 30. März nahm keiner der Bischöfe ausser Monsignore Rivera an seinem Begräbnis teil. Und viele Jahre später, im März 1996, kritisierte ihn Monsignore Revelo während eines Mittagessens mit Johannes Paul II., indem er Monsignore Romero für 70 000 Tote verantwortlich machte. Mit Ausnahme von Monsignore Rivera waren alle Bischöfe des Landes klar und öffentlich gegen Monsignore Romero, einige auf sehr feindliche, ungerechte und manchmal plumpe Art und Weise.

Dieser Konflikt liess ihn sehr leiden. Man muss sich nicht wundern, dass am Ende der Versammlung von Puebla im Februar 1979, während einer Versammlung der Bischöfe um Medellín, Theologen und Sozialwissenschaftlern, Monsignore Romero sich mir bewegt näherte, beinahe unter Freudentränen, und mir sagte: „Wie gut tut mir das Zusammensein mit meinen bischöflichen Kollegen, meinen Brüdern.“

Paul VI. empfing Romero zweimal. Im März 1977, nach der Ermordung von Pater Rutilio Grande am 12. März, empfing ihn der Papst mit Zuneigung und viel Verständnis und ermunterte ihn, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. „Mut“ sprach er, indem er ihm seine Hände entgegenstreckte. Monsignore war sehr dankbar und sehr getröstet, wie auch anlässlich seines zweiten Besuches im Juni 1978.

Unter den Kardinälen der vatikanischen Kurie war Kardinal López Trujillo ein ausgesprochener Gegner, der in seinem Widerstreit bis zur Grobheit gehen konnte. Nach einem guten Anfang mit Kardinal Baggio, Präfekt der Bischofskongregation, erlebte Monsignore Romero Augenblicke grosser Anspannung. Die klaren Anschuldigungen Monsignore Romeros gegen die Regierung, die Oligarchie und das salvadorianische Militär verursachten dem Vatikan diplomatische Probleme mit den Regierungen von El Salvador und bald auch mit den Vereinigten Staaten. Bezüglich der letzteren schreibt Monsignore in seinem Tagebuch zurückhaltend, dass der Kardinal Cassaroli ihm die Besorgnis der Vereinigten Staaten mitgeteilt habe. „Er enthüllte mir, dass der Botschafter der Vereinigten Staaten ihn mit gewisser Besorgnis aufgesucht habe, ‚weil ich in der Linie einer Volksrevolution stand, während die Vereinigten Staaten die Regierung der christlichen Demokratie unterstützten‘.“

Der Vatikan wollte enge Beziehungen zu diesen Mächten und versuchte, die von Monsignore Romero verursachten Probleme zu bewältigen. Man schob zwischen zwei Möglichkeiten hin und her. Die eine war, ihn von seinem erzbischöflichen Sitz zu entfernen, womit Monsignore sich einverstanden erklärte; jedoch wünschte er, falls sie ihn entfernten, dass sie dies mit Anstand vollzögen, „damit mein Volk nicht leide“ – ich zitiere aus dem Gedächtnis. Die zweite Lösung wäre gewesen, ihm einen Auxiliarbischof sede plena, mit vollen Machtbefugnissen, beizustellen.

Johannes Paul II. traf er zweimal im Vatikan. Sein erster Besuch am 7. Mai 1979 verdient eine besondere Erklärung. Monsignore verliess diese Begegnung bestürzt und traurig. Im Hinblick auf die sehr ernste Lage des Landes und der Kirche, auf die Ermordung von Bauern und Priestern, auf mögliche offene Kriege, ersuchte Monsignore mithilfe verschiedener Personen während mehrerer Tage – „ich bettelte“, sagte er –, eine Unterredung mit dem Papst, erfolglos. Nach vielen Versuchen erreichte er ein Gespräch mit ihm. In seinem Tagebuch schreibt er in kontrollierter Sprache, dass der Papst ihm „viel Ausgewogenheit und Besonnenheit anriet, vor allem bei konkreten Anklagen; dass es besser sei, sich an die Prinzipien zu halten, weil es riskant war, Fehlern oder Täuschungen zu verfallen“. Aufgrund seiner Erfahrung des Kommunismus in Polen beharrte der Papst auf der Einheit der Bischöfe, was Monsignore Romero in seinem Tagebuch wie folgt kommentierte: „Ich habe ihm auch erklärt, dass dies mein grösster Wunsch sei, dass er aber dessen Rechnung trage, dass eine Vereinigung nicht vorgetäuscht werden dürfe, sondern auf dem Evangelium und der Wahrheit beruhen müsse.“ Auch der Papst bezog sich wie bereits erwähnt auf Berichte des apostolischen Besuches von Monsignore Quarracino, „welcher eine im Ganzen heikle Situation erkennt und … als Lösung der pastoralen Mängel und des Fehlens der Einheit der Bischöfe einen apostolischen Verwalter mit Vollmacht“ empfahl. Monsignore folgerte im Tagebuch, dass, „auch, wenn ich auf den ersten Blick nicht ganz befriedigt sein konnte, glaube ich doch, dass es ein im Grossen und Ganzen nützlicher Besuch war“.

Ich bin überzeugt, dass anlässlich dieses ersten Besuches Monsignore beim Papst nicht das gesuchte Verständnis fand, sondern schlussendlich Vorwürfe. Und er musste den Eindruck haben, dass er ihn dem Marxismus gegenüber für naiv hielt, als ob der Papst gewusst hätte, wie diesen zu handhaben, weil er in Polen gelebt hatte, nicht aber Monsignore Romero, obschon dieser in El Salvador gute Kenner des Marxismus und der Marxisten kannte, mit welchen Monsignore sich beriet, um in seiner Amtsführung richtig vorzugehen. Ich glaube nicht, dass Monsignore in seinen letzten drei Jahren naiv gewesen wäre.

Fügen wir hinzu, dass er in Rom viel Unterstützung und Verständnis bei Pater Arrupe und Kardinal Pironio fand, welche sich ähnlichen Situationen dem Unverständnis gegenübersahen. Es genügen die folgenden Worte, die er am 9. Mai schrieb:

„Der Kardinal Pironio empfing mich auf derart brüderliche und herzliche Art, dass diese einzige Begegnung genügte, um mich mit Trost und Mut zu erfüllen. Ich stellte ihm vertraulich meine Situation in meiner Diözese und dem Heiligen Stuhl gegenüber dar. Er öffnete mir sein Herz, indem er mir sein eigenes Leiden darstellte, wie tief er die Probleme Lateinamerikas fühlt und dass sie vor dem Höchsten Ministerium der Kirche nicht ganz verstanden würden und man jedoch weiterhin arbeiten und, soweit möglich, über die Wahrheit unserer Realität informieren müsse. Und er sagte mir: ‚Das Schlimmste, das du tun kannst, ist, dich entmutigen zu lassen.‘ – ‚Mut, Romero!‘, sagte er mir oft.“

Die Bedeutung dieses Zitats besteht nicht im genauen Wissen um den Stand der Dinge in Rom, sondern in der Kenntnis über das Innere Monsignore Romeros. Deshalb haben wir grosszügig zitiert.

Einen zweiten Besuch bei Johannes Paul II., am 30. Januar 1980, verliess er sehr ermutigt. „Der Papst, ich spürte es, war sehr einverstanden mit allem, was ich sagte, und am Schluss umarmte er mich sehr brüderlich und sagte mir, dass er täglich für El Salvador bete … Darin habe ich die Bestätigung und die Kraft Gottes für mein armes Amt gefühlt.“

Einige Jahre später, nach dem Tod Monsignores, am 6. März 1983, besuchte Johannes Paul II. sein Grab in der Kathedrale und lobte ihn mit folgenden Worten: „In diesen Wänden ruhen die sterblichen Reste Monsignore Óscar Arnulfo Romeros, eifriger Hirte, den die Liebe zu Gott und der Dienst an den Brüdern zur gewaltsamen Hingabe des Lebens führten.“

Abschliessend sei bemerkt, dass seine Beziehungen zur kirchlichen Hierarchie unklar waren. Monsignore Romero erlebte dies leidvoll und in voller Treue zum Evangelium.

P. Jon Sobrino SJ

Abkürzungen

ANEP

Asociación Nacional de la Empresa Privada – Nationale Vereinigung Privater Unternehmer

BPR

Bloque Popular Revolucionario – Revolutionärer Volksblock (Koalition von Volksorganisationen)

CEDES

Conferencia Episcopal de El Salvador – Salvadorianische Bischofskonferenz

CELAM

Consejo Episcopal Latinoamericano – Lateinamerikanischer bischöflicher Rat

ECA

Estudios CentroamericanosZentralamerikanische Studien

FAPU

Frente de Acción Popular Unificado – Front vereinigter Volksaktion (Zusammenschluss von Volksorganisationen)

FARO

Frente de Agricultores de la Región Oriental – Front der Landwirte im östlichen Landesgebiet (seit 1976 eine nationale Organisation)

FECCAS*

Federación Cristiana de Campesinos Salvadoreños – Christliche Vereinigung salvadorianischer Bauern

FPL

Fuerzas Populares de Liberación – Volksbefreiungsgruppe

LP-28

Ligas Populares 28 de Febrero – Volksliga vom 28. Februar (Koalition von Volksorganisationen)

ORDEN

Organización Democrática Nacionalista – Demokratisch-nationalistische Organisation (Regierungsorganisation zur Unterdrückung unabhängiger Organisationen auf dem Lande)

UTC*

Unión de Trabajadores del Campo – landwirtschaftliche Arbeitergewerkschaft

*(nach dem Zusammenschluß 1975 verwendeten FECCAS und UTC oft die kombinierte Form: FECCAS-UTC)

I

Der neue Lotse

Februar–Mai 1977

Am 22. Februar 1977 saßen zwei Priester aus San Salvador im Gefängnis in Guatemala City, von den Erfahrungen der vorangegangenen vier Tage noch etwas benommen. Bewaffnete Männer hatten sie einzeln ohne Vorwarnung gefangen genommen und aus El Salvador ausgewiesen – und der Polizei von Guatemala übergeben, die sie nun gefangen hielt.

Einer war Amerikaner, Bernard Survil aus der Diözese Greensburg, Pennsylvania. Seine Pfarreiangehörigen im Stadtteil Lourdes von San Salvador kannten ihn als Padre Bernardo. Am 18. Februar, als er soeben in seine Wohnung zurückgekehrt war, wurde er um ca. 19.30 Uhr von vier Männern gepackt. Sie entschuldigten sich und behaupteten, nur Befehle auszuführen; sie schleppten ihn zur Grenze und nach Guatemala.

Auf dem Weg nach Guatemala City begegnete Survil einem weiteren Priester, auch er ein Gefangener: Willibrord Denaux, Belgier aus der Diözese Brügge. Die Bewohner des Stadtteils San Antonio Abad in San Salvador, wo er fünf Jahre lang gewirkt hatte, nannten ihn Padre Guillermo. Die Denaux gefangen genommen hatten, waren unsanfter vorgegangen als jene, denen Survil in die Hände gefallen war. Sie hatten ihn nackt auf die bloßen Sprungfedern eines Bettes gebunden, wo er zwanzig Stunden lang liegenbleiben musste, ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne auch nur auf die Toilette gehen zu dürfen. Während dieser Zeit verhandelten seine Peiniger darüber, wie sie ihn erschießen und in den Fluss Lempa werfen wollten. Gefesselt und mit verbundenen Augen hatten sie ihn nach Guatemala gebracht, und jetzt war eines seiner Augen wegen der Misshandlungen verbunden.

Beide Priester hatten ihr Geld und ihre Dokumente verloren, Denaux dazu noch seine Uhr und seinen Wagen. Die Guatemalteken hatten beide Männer als „Ausländer ohne Papiere“ ins Gefängnis geworfen, zusammen mit einem Ex-Jesuiten, Juan José Ramírez, der eine Woche zuvor aus El Salvador ausgewiesen worden war, nachdem man ihn geschlagen und mit Elektroschocks misshandelt hatte.1 Jetzt sollten die drei aus Guatemala ausgewiesen werden.

Survil und Denaux schrieben Briefe an Erzbischof Luis Chávez y González, der sich als Erzbischof von San Salvador in den Ruhestand versetzen ließ, und an den Klerus. Als sie ihre Erlebnisse beschrieben, versuchten sie zu verstehen, was mit ihnen geschehen war. „Es scheint mir“, so schrieb Survil, „dass mit aller Kraft versucht wird, die Einheit, welche Erzbischof Chávez mittels so verschiedener Talente in der Erzdiözese geschaffen hat, unmittelbar zu zerschlagen.“

Und Denaux schrieb: „Es scheint, dass für die Kirche von El Salvador der Augenblick der Prüfungen, der Wüste, gekommen ist. Aber eines Tages wird dies zum Paradies führen, in das Königreich unseres Herrn, das aus uns allen bestehen wird: das Königreich der Liebe, des Friedens, der Gerechtigkeit und des gegenseitigen Verstehens. Ich bitte den Herrn, er möge Euch die Kraft geben, diese Einheit und Zusammenarbeit mit dem neuen Erzbischof – und miteinander – zu erreichen.“2

Am Tag, da die beiden Priester ihre Briefe schrieben, wurde der neue Erzbischof von San Salvador, Oscar Arnulfo Romero, in einer einfachen Feier in der Kirche von San José de la Montaña neben dem Priesterseminar eingesetzt. Die Zeiten forderten einen nahtlosen Übergang von dem einen Erzbischof zum anderen. Auf Grund der Spannung in ganz El Salvador, besonders zwischen Kirche und Regierung, hatte man von einer feierlichen Einsetzung in der Kathedrale unter Beisein von Regierungsvertretern abgesehen.

Romero bestieg das Schiff mitten im Sturm. Nicht nur waren Survil, Denaux und Ramírez ausgewiesen worden – etwa sechs Wochen zuvor hatte die Regierung zwei jesuitische Seminaristen ausgewiesen, die um Entlassung aus dem Orden gebeten hatten und auf die Befreiung von ihren Gelübden warteten. Sie hatten mit Bauernorganisationen zusammengearbeitet. Am 29. Januar hatte die Regierung auch einen Kolumbianer, Mario Bemal, Pfarrer von Apopa, einer kleinen Stadt in der Nähe von San Salvador, verhaftet und ausgewiesen.3 Und am 13. Januar hatte ein Sprengkörper den Wagen und die Garage von Pater Alfonso Navarro zerstört und das Pfarrhaus stark beschädigt.4

Die Ausweisungen folgten auf monatelange Unruhen und zunehmende Spannungen. Die Regierung Oberst Arturo Armando Molinas hatte 1975 ein gemäßigtes Landreformgesetz verabschiedet. Es war den Landbesitzern und Geschäftsleuten, die seit Generationen über El Salvador geherrscht hatten, gelungen, diese Reform derart zu verwässern, dass sie nur schleppend vorankam. Als der Kongress 1976 das erste Reformprojekt guthieß und 150.000 Morgen Land – im Besitz von 250 Personen – unter 12.000 Bauernfamilien verteilte, wehrte sich die herrschende Klasse dagegen, was ihr ein leichtes war, da ihr die bedeutendsten Zeitungen, fast alle Rundfunk-Studios und alle Fernseh-Stationen gehörten. Zwar würde den Besitzern der rechtmäßige Marktwert ihres Landes vergütet, und diese Reform entschärfte auch die wachsenden Spannungen unter den Bauern, die sich auf unzureichenden Grundstücken oder mit Taglöhnerarbeit während der Erntezeit durchschlagen mussten; die Grundbesitzer aber klagten, dies sei der Anfang des Kommunismus. Im Oktober jenes Jahres gab Präsident Molina ihrem Begehren nach und ließ das Programm untergehen.5

Für die Bauern, welche auf die Reform hin gearbeitet hatten, war dies ein harter Rückschlag. Das Gesetz in El Salvador anerkannte keine regierungsunabhängigen Bauerngewerkschaften; trotzdem hatten die Bauern Gewerkschaften gebildet. Zwei davon waren christlichen Ursprungs; FECCAS (christliche Föderation salvadorianischer Bauern) und UTC (Feldarbeitergewerkschaft). Die Christdemokraten hatten in den sechziger Jahren die Anfänge von FECCAS unterstützt; doch die Führung hatte sich nach links treiben lassen. Die 1974 gegründete UTC hatte sich 1975 mit FECCAS vereinigt.6 Doch für die meisten ihrer bäuerlichen Mitglieder waren FECCAS und UTC keine Ideologie, sondern ganz einfach Hoffnung auf ein angemessenes Stück Land zum Leben und Bebauen. Die landbesitzende Oligarchie aber sah hinter diesen Organisationen Lenin und den leibhaftigen Teufel.

Die Erzdiözese von San Salvador, seit 1938 von Erzbischof Luis Chávez geführt, unterstützte das Recht der Bauern, sich zu organisieren und politischen Druck auszuüben. Die politische Natur dieser Organisationen verursachte der Hierarchie Unbehagen, da ihnen einige Mitglieder des Klerus angehörten; dem einen oder andern Jesuiten tat es nicht besonders leid, die zwei leidenschaftlich der Bauernsache zugetanen Seminaristen gehen zu lassen.

Es genügte, dass die Kirche bei den Bauern Ideen wie soziale Gerechtigkeit und das Recht auf organisierten Zusammenschluss befürwortete; damit brachte sie den Zorn der herrschenden Klasse über ihr Haupt und ganz speziell auf die Köpfe der Landpfarrer. Anfangs Dezember 1976 wurde Eduardo Orellana, ein Großgrundbesitzer in der Gegend von Aguilares im Norden San Salvadors, während eines Wortgefechts mit einer Gruppe von FECCAS-Mitgliedern erschossen. Meldungen zufolge war er zufällig von seinem eigenen Bruder getötet worden;7 die anwesende Polizei hatte nichts unternommen, wo sie doch sonst im allgemeinen mit Begeisterung Bauern festnimmt oder angreift, kaum dass ein Grundbesitzer sich beklagt. Von Organisationen der Geschäftsleute und Grundstücksbesitzer wurde als Tatsache in die Welt gesetzt, dass „ein bekannter Anführer“8 von FECCAS und UTC Don Eduardo, „einen gutherzigen Mann“,9 umgebracht habe. In Zeitungsannoncen bestanden sie darauf, dass „Horden“ der FECCAS und UTC die Hacienda Orellanas angegriffen hätten, von „einheimischen und ausländischen Dritte-Welt-Priestern ständig zur Verletzung nicht nur des Gesetzes, sondern auch grundlegender Prinzipien des Christentums aufgewiegelt“.10 (Die Bezeichnung „Dritte-Welt-Priester“, ein Lieblingswort der Oligarchie, scheint von einer Priestergruppe in Argentinien herzurühren, die sich „Priester für die Dritte Welt“ nannte.) Gemäß Zeitungsannoncen predigten diese Priester Hass, Umsturz und Klassenkampf.11

Die Zeitungskampagne griff die schwachen Punkte der Kirche und der genannten Organisationen an, indem sie hervorhob, dass einige der Priester (wie die Hälfte des salvadorianischen Klerus) Ausländer waren und dass FECCAS und UTC keinen rechtlichen Status hatten. Während der größte Teil der Welt über diesen Mangel an rechtlichem Schutz für Arbeiter erröten würde, bestärkte dies die salvadorianische Oligarchie lediglich in ihrer Überzeugung, dass die betreffenden Organisationen umstürzlerischen Tätigkeiten nachgingen.12 Außerdem scheuten sich die Oligarchen nicht, die Leserschaft auf Artikel 157 der salvadorianischen Verfassung aufmerksam zu machen:

Klerus und Laien ist es untersagt, in welcher Form auch immer politische Werbung zu machen, indem sie religiöse Beweggründe anführen oder den religiösen Glauben des Volkes missbrauchen. Während religiöser Zeremonien und Unterweisungen soll in den Kirchen keine Kritik an staatlichen Gesetzen, an der Regierung oder an einzelnen Beamten geübt werden.13

Inmitten solcher Spannungen ließ Luis Chávez y González, der sich nach 38 Jahren als Erzbischof von San Salvador in den Ruhestand versetzen lassen wollte, einen Klerus zurück, der sich gemäß den Richtlinien des Zweiten Vatikanischen Konzils und der lateinamerikanischen Bischofsversammlung in Medellín 1968 verpflichtet wusste, auf der Seite der Armen und Unterdrückten zu stehen. Diese Erbschaft sollte für seinen Nachfolger wichtig werden.

Der erzdiözesane Klerus unterstützte Arturo Rivera y Damas, Weihbischof seit 1960, zur Nachfolge von Chávez. Rivera hatte großen Einfluss auf die Ausrichtung der Pastoralpraxis in der Erzdiözese gehabt. Er war beliebt, sprach mit ruhiger Stimme und war doch stark und standhaft. Der wohlhabenden Schicht von San Salvador und der von ihr beherrschten Regierung aber war Rivera unerwünscht. Sie wollten keinen, der wie Erzbischof Chávez weitermachen, ja vielleicht noch weitergehen würde. Etliche sahen in ihm einen weiteren jener kommunistischen Priester, einen, der die Bauern und die unteren Bevölkerungsschichten mit Reden von Gerechtigkeit und Befreiung aufwiegeln würde. Sie würden sich mit einem der bekannten Konservativen zufriedengeben – eigentlich mit einem jeden, außer – eben – mit Rivera.

Rom wählte Oscar Arnulfo Romero, den früheren Weihbischof von San Salvador, seit zwei Jahren Bischof der kleinen Ortschaft Santiago de María. Gelegentlich schrieb oder sprach er fromm über die Soziallehre der Kirche. Als Weihbischof von San Salvador, besonders auch als Redakteur der diözesanen Zeitung Orientación, hatte er seinen Konservatismus unter Beweis gestellt. Die etwa vierzig Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Regierung und Armee und die paar Damen der Gesellschaft, die der Apostolische Nuntius, Gesandter des Vatikans, über die Wahl zu Rate gezogen hatte, waren allesamt mit der Erwählung Romeros einverstanden.14

Am 10. Februar 1977 veröffentlichte La Prensa Gráfica in San Salvador ein kurzes Interview mit dem zukünftigen Erzbischof. „Wir müssen wachsam nach althergebrachter Art die Mitte suchen, aber nach Gerechtigkeit streben“, sagte dieser. Die priesterliche Aufgabe sei „in hohem Maße religiös und transzendent“, andererseits aber „sollte die Regierung einen Priester, der für soziale Gerechtigkeit einsteht, nicht als Politiker oder Umstürzler ansehen, wenn er seine Aufgabe in der Politik zum Allgemeinwohl wahrnimmt“. Die letzten Worte hätten manche Leser aufhorchen lassen dürfen, aber das lächelnde Antlitz des in seinem Garten sitzenden und von Glückwunschüberbringern umringten Bischofs in Santiago de María wirkte beruhigend.

Die meisten Salvadorianer hatten in jenem Februar 1977 andere Dinge im Kopf. Die Präsidentenwahlkampagne näherte sich ihrem Ende. Stichtag für die Wahl war der 20. Februar. General Carlos Humberto Romero (mit Erzbischof Romero nicht verwandt), Kandidat der Regierungspartei, früherer Verteidigungsminister und Minister für Öffentliche Sicherheit, vertrat die Ansicht jener, für die Privatbesitz geheiligt war und die Menschen anderer Meinung unterdrückt wissen wollten. Oberst Ernesto Claramount, Kavallerie-Offizier im Ruhestand, war Kandidat der vereinigten Opposition. Nach Jahren betrügerischer Wahlen fragten sich die Salvadorianer, ob es diesmal anders würde. Es sollte nicht anders werden.

Berichte über schwerwiegenden Betrug wurden bereits vor der Zählung der Stimmzettel laut. Für die Regierung agierende Personen fügten Namen hinzu und verdoppelten Namen auf Wahllisten; sie stopften Wahlurnen aus; militärisches und ziviles Personal schüchterte die Wähler in den Wahllokalen ein; Beobachter aus der Opposition wurden in den Wahllokalen bedroht, verhaftet, angegriffen, und es wurde ihnen nicht gestattet, die Zählung zu beobachten. Die Regierungspartei koordinierte ihre Aktionen mit Rundfunk-Stationen; die Opposition registrierte lediglich sechs Sendestunden, die sie später zwei nordamerikanischen Untersuchungs-Unterausschüssen des Kongresses unterbreitete. Mit zunehmenden Berichten über Betrug in den Tagen nach der Wahl häuften sich auch die Proteste, obwohl seitens der Regierung die Resultate noch nicht veröffentlicht worden waren.15

Am 21. Februar, dem Tag nach den Wahlen und Tag vor Oscar Romeros Ernennung zum Erzbischof von San Salvador, schickte dieser einen Brief an die Priester der Erzdiözese. Er war sich bewusst, dass die Mehrheit des Klerus über seine Ernennung unglücklich war, und der Brief war ein freundschaftliches Angebot: „Ich möchte zu Euch vom Geist der Zusammenarbeit sprechen, den ich Euch anbiete und den ich mir von Euch wünsche, so dass wir die uns von Christus verliehene Ehre teilen mögen – die Ehre nämlich, ihm beim Aufbau seiner Kirche zu helfen, jeder in seiner eigenen Berufung.“

Weiter gab Romero zu bedenken, dass sie als gemeinsam wirkende Priester der Freundschaft bedürften „auf der Grundlage des Glaubens an die sakramentale Wirklichkeit, die uns eins sein lässt mit dem Priestertum Christi, uns die menschliche Wärme des Verstehens, der gegenseitigen Hochachtung und Vergebung, der Aufrichtigkeit, der Loyalität und all der menschlichen Tugenden gibt, die unsere übernatürliche Gemeinschaft auf natürlicher und psychologischer Ebene fördern.“ Als er Bischof wurde, hatte er beschlossen, immer „das Beste meines bescheidenen Dienens den Priestern zu schenken und immer dialogbereit zu sein, wie ein gewöhnlicher Freund“. Nur so könne er Missverständnisse und Vorurteile zerstreuen, fügte er hinzu, „und den Reichtum eines legitimen Pluralismus in pastoraler Einheit sammeln“. Romero schloss mit zwei Einladungen: zur Übernahme der Kathedrale am Samstag, den 5. März, sowie zu einem festlichen Diner am Montag, den 7. März. Außerdem bot er ihnen Gastfreundschaft im Seminar an, wann immer sie dies wünschten.

Kaum hatte er diesen Brief geschrieben, wurde Romero Erzbischof von San Salvador. An jenem Nachmittag besuchten die Bischöfe als Gruppe den abgehenden Präsidenten Arturo Molina, der noch nicht wusste, dass Romero soeben Erzbischof geworden war. Wie sich Bischof Rivera später erinnern sollte, sagte Molina den Bischöfen, die Kirche sei vom rechten Pfad abgekommen und er wolle mit ihnen besprechen, wie sie wieder auf die rechte Fährte gelenkt werden könnte. „Ich versuchte, ihm zu erklären“, sagte Rivera, „dass die Kirche dem Zweiten Vatikanischen Konzil und Medellín treu zu sein versuche und dass was nun geschah das Ergebnis einer zunehmenden Bewusstwerdung der Kirche in dieser Gemeinschaft und in keiner Weise ein Abkommen vom rechten Weg sei.“16

Nach dem Treffen der Bischöfe mit dem Präsidenten reiste Erzbischof Romero nach Santiago de María, um seine Geschäfte in seiner ehemaligen und nun verwaisten Diözese zu ordnen und abzuschließen. Als das Ausmaß der Wahlbetrügereien immer augenfälliger wurde, organisierte die Opposition in San Salvador verschiedene Massenkundgebungen auf der Plaza Libertad. Am 24. Februar kündigte Claramount an, dass er bis zur Ausrufung eines ehrlichen Resultats auf dem Platz verbleiben würde. Mehrere tausend Personen begleiteten ihn. Proteststreiks in Fabriken, Warenhäusern und Transportgesellschaften brachten die Hauptstadt zum Stillstand. Am 26. Februar erklärte die Regierung General Romero zum Sieger mit einem Zwei-zu-Eins-Vorsprung.

Der nächste Tag war ein Sonntag, und die Menge auf der Plaza schwoll auf 40.000–60.000 Personen an. Pater Alfonso Navarro feierte eine Abendmesse auf dem Platz, und der größte Teil der Ansammlung löste sich nachher auf. Nach Mitternacht umzingelten Truppen mit Panzerwagen den Platz und gaben den übriggebliebenen 6.000 Personen zehn Minuten, sich zu zerstreuen. Viele gingen; aber die Truppen eröffneten das Feuer auf die 1.500 oder 2.000, die noch da waren. Die Menge floh zur Kirche El Rosario auf einer Seite des Platzes. Dort wurde sie bis etwa 4.00 Uhr morgens belagert, als Bischof Rivera, Erzbischof Chávez und das Rote Kreuz eine Unterbrechung erwirkten.17

Der erschöpfte Rivera befand sich auf dem Weg zurück ins Seminar, als er unvermittelt Erzbischof Romero antraf, der ihm erklärte: „Ich bin um Mitternacht in Santiago angerufen worden, und hier bin ich.“

Später sollte sich Rivera erinnern: „Ich erklärte ihm, woher wir soeben gekommen waren, dass er besser die Stadt nicht verlassen würde; denn die Zeiten forderten die Gegenwart des Hirten, und Entscheidungen müssten getroffen werden, die nur er treffen könne. Er erwiderte, dass er von nun an immer zur Hand sein werde.“18

Die Proteste dauerten den ganzen 28. Februar an, und Truppen schossen auf die Aufständischen. Die Regierung gab acht Tote zu; andere rechneten mit vierzig oder sechzig, wieder andere mit hundert bis dreihundert.19 Es war ein Tag, der sich in die salvadorianische Geschichte eingravieren sollte.

Priester und Ordensleute hatten für diesen Tag eine Pastoralkonferenz angesetzt, um sich mit dem Protestantismus in San Salvador zu beschäftigen. Wer im Exerzitienhaus Domus Mariae auftauchte, wendete seine Aufmerksamkeit bald drängenderen Dingen zu. Die Regierung hatte nun drei Priester, einen früheren Priester und die zwei früheren jesuitischen Scholastiker verhaftet und ausgewiesen. Am 21. Februar hatte die Nationalgarde den Pfarrer von Tecoluca in der Diözese San Vicente verhaftet und gefoltert und ihn mit einem Schädelbruch wieder freigelassen. Regierungsbeamte ließen durchblicken, dass mehrere Priester, die sich außerhalb des Landes aufhielten, nicht mehr zurückkehren dürften. Presseangriffe auf die Arbeit der Kirche häuften sich; im Vorjahr hatten sechs Sprengkörper die Jesuiten-Universität beschädigt; das Pfarrhaus von Opico war im Januar durchsucht worden. Sogar während der Klerus im Haus Domus Mariae tagte, meuterte die Menge über die betrügerisch gehandhabten Wahlen und das Töten auf der Plaza Libertad.

Rivera und Chávez sprachen von ihrem Erlebnis in der Kirche El Rosario am frühen Morgen des gleichen Tages. Die Bischöfe und Priester waren sich einig, dass die öffentliche Feier der Übernahme der Kathedrale, die für den 5. März festgesetzt war, aufgeschoben werden müsste. Das galt auch für das auf den 7. März festgelegte Diner mit dem Klerus. Die Erzdiözese würde zuerst einmal einen Tagesbericht herausgeben, der durch Rundfunk in der Erzdiözese ausgestrahlt werden sollte. Ein aus drei Priestern zusammengesetztes Notstandskomitee sollte jeden Morgen Zusammentreffen. Wer immer Beweise neuer Zwischenfälle erbringen konnte, war eingeladen, dies dem Erzbischof mitzuteilen. Auf diese Weise wurde die Erzdiözese zur wichtigen Informationsquelle und begann gewissermaßen, den falschen Informationen und der über die reguläre Presse, Radio und Fernsehen verbreiteten Propaganda entgegenzuwirken.20

Am 5. März kam die salvadorianische Bischofskonferenz in einer Sondersitzung zusammen. Es war die erste Versammlung nach dem ordentlichen halbjährlichen Dreitagestreffen im Januar. Der Präsident, Erzbischof Chávez, war in den Ruhestand getreten, und die Anwesenden kamen überein, dass der Vizepräsident, Bischof Pedro Amoldo Aparicio aus der Diözese San Vicente, das Präsidentenamt übernehmen sollte. Ferner waren anwesend: Bischof Rivera, Bischof Benjamín Barrera aus der Diözese Santa Ana, und Barreras Weihbischof, Marco René Revelo. Ein weiteres Mitglied, Bischof Eduardo Alvarez von der Diözese San Miguel, fehlte.