VOLKER HENNING

SCHIFF AHOI!

oder

Eine Kreuzfahrt, die ist lustig …


ROMUH-Verlag

© ROMUH - Verlag (April 2015)

Volker Henning, Rückertstraße 2, 36448 Bad Liebenstein

Telefon 036961/​72924

Fax 036961/​31286

e-mail: volkerhenning@t-online.de

www.volker-henning.de

Cover und Innencartoon “RABE”,

Ralf Böhme, Bad Liebenstein

Alle Rechte der Verbreitung, der Fotokopie und des

Nachdrucks vorbehalten

Gesamtherstellung:

sperberDRUCK & WERBUNG, Bad Salzungen

ISBN 978-3-943494-15-0

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

Gewidmet allen begeisterten

Kreuzfahrtreisenden

auf den Meeren

dieser Welt

Die Kleinen Antillen (Auszug)

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Die Helden des Romans

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Weitere Bücher

1

Die Blätter von unserem Walnussbaum hinter dem Haus begannen langsam zu welken und braun zu werden. Etliche waren schon herabgefallen und bedeckten das noch satte Grün des Rasens. Vor zwei Wochen hatte ich damit begonnen, lange Triebe aus der Krone herauszuschneiden, damit der Baum in unserem kleinen Garten nicht gar zu übermächtig wird. Es war unübersehbar Herbst geworden im bayrischen Schnabelwaid. Die Morgensonne warf ihre wärmenden Strahlen auf den nahen Craimoosweiher und ließ die Laubbäume an dessen Ufer in den buntesten Farben erstrahlen.

Wieder einmal war der Kaffee viel zu stark geraten. Er schmeckte fürchterlich bitter. Eigentlich wie immer, wenn meine Hilde das Frühstück zubereitete. Wenn die gute Frau schon jedesmal vier gehäufte Messbecher Kaffeepulver für unsere zwei Tassen Kaffee nehmen musste, warum kippte sie dann nicht endlich mal etwas mehr Wasser in die Maschine? Die Antwort auf diese Frage bleibt für mich auch noch heute ein Mysterium, obwohl ich sie mir schon seit Jahren jeden Morgen am Frühstückstisch stelle. »Weil dann doch immer zwei Tassen übrig bleiben würden, Alfred! Jeder von uns trinkt doch nur immer eine Tasse. Warum soll ich denn soviel Kaffee kochen, wenn wir ihn hinterher dann wegschütten?« Diese Logik war durch nichts und niemanden zu widerlegen. Also trank ich den Bretterknaller mit eiserner Disziplin. Auch heute noch. Jeden Morgen, den der liebe Gott werden lässt …

Der Wetterbericht versprach wieder einen wunderschönen Herbsttag. Also ließ ich mir durch einen Streit am frühen Morgen über den effizienten Einsatz von Aldi-Kaffee auch nicht die Stimmung verhageln. Im Großen und Ganzen ging es uns nämlich gut. Wir waren beide gesundheitlich fit, die Rentenkasse zahlte pünktlich und wir hatten ein Dach über dem Kopf, das zu einem bescheidenen Einfamilienhaus gehörte. Viel mehr braucht man nicht zum Glücklichsein, dachte ich, während ich mit dem Handrücken mir über den Mund wischte. Zufrieden mit der Welt schlug ich meinem Frühstücksei den Kopf ab. Nun, wenigstens das war, im Gegensatz zum Kaffee, gut geraten. Hilde hatte es genau auf den Punkt gekocht, nicht zu hart und nicht zu weich. Die goldgelbe Farbe des Dotters ließ an meinem geistigen Auge eine Schar glücklicher Hühner vorbeimarschieren, die mir alle freundlich zunickten, obwohl ich gerade im Begriff war, eines ihrer Möchtegern-Kinder zu verzehren. Hilde schien zumindest beim Eierkochen ein weitaus glücklicheres Händchen zu haben als beim Zubereiten des Kaffees.

»Alfred, sag mal, kriegst du nicht auch so langsam wieder Fernweh?«, fragte Hilde und biss dabei in ihr Marmeladenbrötchen. »Hast du dir denn schon mal Gedanken darüber gemacht, wo wir nächstes Jahr unseren Urlaub verbringen wollen?« Sie hatte die Tageszeitung aufgeschlagen, nahm genüsslich einen kräftigen Schluck von ihrem noch kräftigeren Kaffee und schaute mich erwartungsfroh an. Der Zeigefinger ihrer rechten Hand wies dabei auf eine Anzeige des lokalen Reiseunternehmens “Semmel-Tours”, das in großen Lettern und bunten Bildern wieder einmal darum warb, den nächsten Urlaub doch bei den “Semmels” zu buchen. “Lassen Sie sich Ihren Urlaub nicht durch andere versemmeln - Kommen Sie zu uns!”, stand über der Werbeanzeige, die braungebrannte Urlauber am weißen Strand vor türkisfarbenem Ozean zeigte.

»Seit wann darf ich denn unser Urlaubsziel aussuchen, Hilde? Das hat es ja überhaupt noch nie gegeben. Bisher hast du doch immer festgelegt, wohin wir fahren«, wagte ich ihr entgegen zu halten, während ich an der Tasse nippte, worauf sich meine Mundwinkel leicht angewidert nach unten zogen.

»Ist dir der Kaffee schon wieder zu stark, Alfred? Ich hab aber jetzt mal einen halben Löffel Kaffeepulver weniger genommen.« Und ohne meine Antwort abzuwarten, flötete sie weiter: »Im nächsten Jahr, darfst du eben mal bestimmen, wo es hingeht. Da halte ich mich schön zurück. Nicht, dass du mir hinterher wieder vorwirfst: Hätte ich doch nur nicht auf dich gehört! Wären wir doch bloß woanders hingefahren …!«

Sofort fiel mir der Urlaub vor zwei Jahren auf Kreta ein. Ja, stimmt genau. Den hatte Hilde damals ausgesucht. Und ich hatte ihn dann bei den “Semmels” gebucht. Dass die Griechen immer gerne mal ein Gläschen Wein trinken, das wussten wir spätestens seit dem Gassenhauer von Udo Jürgens. Dass aber so ein besoffener Traktorfahrer ausgerechnet mir am zweiten Urlaubstag schon ins Mietauto brummte, das hatten die Damen und Herren von “Semmel-Tours” nicht vorhergesehen.

Das Resultat der ungewollten Karambolage war niederschmetternd: Wirtschaftlicher Totalschaden am Auto! Und das bei dreihundert Euro Selbstbeteiligung. Obwohl mich keinerlei Schuld am Unfall traf, hatte mir dieses Ereignis natürlich die Stimmung für den Rest des Urlaubs gründlich versemmelt.

Selbstverständlich kann ein deutscher Urlauber nichts dafür, wenn ein Grieche meint, einmal im Monat der Lustigste auf dem Traktor zu sein. Zum Beispiel, wenn er nach schwerer Arbeit aus seinen Weinbergen zurück nach Hause fährt, wo auf seinem Weg dann eine Taverne liegt, die zu einem Schlummertrunk einlädt. Da muss das Gefährt eben mal ein oder zwei Stunden warten, bevor es weiterfahren darf.

Wobei meine Hilde eine klitzekleine Schuld an dem Dilemma wohl doch traf, weil es ja ihre Idee war, den Urlaub in Griechenland zu verbringen.

Ich wollte da gleich nicht hin. Aber einen Vorwurf habe ich ihr deshalb noch nie gemacht, weil es sie bestimmt kränken würde.

Auch an dem Malheur im vergangenen Jahr hatte sie so gut wie keine Schuld. Jedenfalls wieder keine direkte. Aber sie hatte das Reiseziel ausgesucht. Ich wollte von Anfang an nicht nach Afrika. Wer fliegt schon im August freiwillig nach Namibia? Zugegeben, das Land war zu Kaiser Wilhelms Zeiten bis 1915 mal eine deutsche Kolonie, weshalb in weiten Teilen der Bevölkerung heute immer noch deutsch gesprochen wird. Das sogenannte “Südwesterdeutsch”, in das sich zwischenzeitlich aber viele Wörter aus dem Afrikaans, dem Englischen und den Bantu-Sprachen eingeschlichen haben. So hatten wir zumindest keine Verständigungsschwierigkeiten. Aber bei “Afrika” denkt doch jeder sofort an Schlangen, Skorpione, Löwen und anderes Grobzeug. Von der Affenhitze dort ganz zu schweigen.

Dabei hatte uns das Reisebüros “Semmel-Tours” vor dem Urlaubsantritt noch gewarnt: “Verzehren Sie in Afrika kein rohes Gemüse oder Salat, was der Koch unter fließendem Wasser abgewaschen hat. Das Wasser sieht zwar auf den ersten Blick sauber aus, tief im Inneren aber, da tummeln sich wahre Heerscharen und Armeen von Kleinstlebewesen, wie Bakterien und Bazillen, die den Touristen nur an den Kragen wollen!” Wieviel Wahrheit in dieser Warnung lag, sollten wir schon sehr bald erfahren.

Die dreistündige Safari-Bus-Tour durch die Wüste Namibias war interessant und sehenswert. Nur hätte ich vorher im Hotel keinen Salat essen dürfen. Mir fielen sofort “Semmels” mahnende Worte ein. Doch da war es bereits zu spät. Eine ganze Kompanie der berüchtigten Bazillen-Armee hatte sich offensichtlich schon in meinem Magen festgesetzt, war zum Großangriff übergegangen und fest entschlossen, bis zum Ausgang durchzumarschieren. Infolgedessen nahm dann auch mein Gesicht sehr rasch eine gelbgrüne Farbe an, worauf sich Hilde nach vorne zum Busfahrer begab und darum bat, den Wagen am Wegesrand kurz anzuhalten.

»Bitte können Sie den Bus mal für einen kurzen Moment stoppen«, flüsterte Hilde dem Fahrer ins Ohr, während sie sich über seine rechte Schulter beugte. »Mein Mann, der Alfred, sitzt hinten auf der Rückbank und der muss mal ganz nötig …«

Der Busfahrer sah Hilde mit großen Augen an und sagte etwas unwirrsch: »Das ist hier zu gefährlich, gnädige Frau. Wegen der vielen Raubtiere, die ringsum auf Beute lauern. Ihr Mann muss warten, bis wir die “Kambaku-Safari-Lodge” erreicht haben!«

»Das geht nicht!«, entgegnete Hilde forsch und baute sich drohend vor dem Fahrer auf. »Solange kann er es nicht mehr aufhalten! Wenn Sie also partout nicht anhalten wollen, dann müssen Sie eben morgen früh Ihren Bus gründlich reinigen.

Und das, mein lieber Herr Busfahrer, wird für Sie eine Scheißarbeit werden! Im wahrsten Sinne des Wortes.«

Der Fahrer drosselte die Geschwindigkeit, offenbar wog er ab, was für ihn wohl schlimmer wäre. Die Gefahr, einen Touristen an die Löwen zu verlieren, oder das Säubern des Busses, was ihn mit Sicherheit wohl mehr anstinken würde. Er entschied sich für das kleinere Übel und trat auf die Bremse.

»Gott sei dank!«, stöhnte ich schweißüberströmt und stürzte mit halb heruntergelassener Hose ins Freie. Ich sprang hinter den Bus und setzte mich mitten auf den Fahrweg.

Ob die afrikanischen Raubtiere nun alle schon um diese Uhrzeit gefrühstückt hatten oder ob es der extreme Geruch war, den der Bus an seinem Heck plötzlich verbreitete, es ließ sich jedenfalls weit und breit kein Löwe sehen. Alle Viecher, selbst Schlangen und Skorpione zogen es in diesem Moment vor, lieber in sicherer Deckung zu bleiben.

Als der Bus gegen Ende der Tour auf einer leichten Anhöhe nochmals anhielt, wo unsere Safari-Gruppe eine ganze Horde vieler kleiner putziger Erdmännchen bestaunen konnte, die sich zwischen dürrem Gras und rotem Felsgestein tummelten, nahm das Unheil dann doch noch seinen Lauf. Hilde, die ängstlich im Schatten des Busses an der Fahrertür stand, hatte ihre Hände zu einem Trichter geformt und rief mir mahnend hinterher: »Alfred, geh mit deiner Kamera nicht so dicht dran an die Tiere. Ich hab irgendwo mal gelesen, dass die Erdmännchen während der Paarung sehr wild und aggressiv sein sollen!«

Das war mal wieder typisch Hilde! Überängstlich war sie ja schon immer, dachte ich, während ich mich langsam in gebückter Haltung vorwärtsbewegte, um die kleinen, putzigen Kerlchen nicht zu verschrecken. Ganz langsam, ohne jede hektische Bewegung, nahm ich die Schutzkappe vom Objektiv und begann zu filmen. Was sollten die Tiere? Beißen? Das glaubte Hilde doch wohl selber nicht. So drollig, wie die aussahen. Und näher, immer näher ging ich mit der Kamera an die kleine Schar. Nein, wie niedlich, wie herzig die Tierchen doch waren. Die würden doch nun wirklich keiner Menschenseele was zu Lei …«

Und just in diesem Moment sprang mir doch ein Mitglied der Erdmännchenfamilie mit einem Satz genau vor die Gummi-Linse, um sich kurz darauf in meiner Nase festzubeißen. Mit lautem Aufschrei wälzte ich mich zur Belustigung der anderen Safari-Gäste hierauf im Staub Afrikas, wo ich zunächst mit beiden Händen versuchte, das bissige Tierchen von meinem Gesicht abzuschütteln. Niemals, in meinem ganze Leben nicht, hatte ich so viele Fotoapparate plötzlich auf einen Haufen gesehen. Jeder der mitreisenden Urlauber wollte den besten Schnappschuss und die gefährlichste Szene im Kasten haben. Wenn schon kein Löwe zu sehen war, der einem den Garaus machte, dann wenigstens ein wildgewordenes Erdmännchen. Da gibt sich der geübte Fotograf dann auch schon mal mit weniger zufrieden …

Zugegeben, die Spritze vom Notarzt gegen die Tollwut, die man mir hinterher in Windhoeck verabreichte, die war mehr als doppelt so teuer wie in Deutschland. Aber dafür konnte sie ja auch ihre Wirkung noch vor Ort entfalten. Und die sechs Stiche beim Nähen der Bisswunde, die taten auch nicht weh. Nur der blöde Verband an der Nase, den ich dann auch bei der Ausreise noch tragen musste, der hat die Beamten während der Passkontrolle am Fluhafen doch etwas irritiert.

Damals schwor ich mir: Nie wieder fahre ich nach Afrika. Nicht wegen der vielen Löwen, Schlangen und Skorpione. Nein, diese Tiere sind harmlos. Die nehmen sogar Reißaus, wenn man sich ihnen entgegenstellt. Oder hockt. Vor den Erdmännchen sollte man sich in Acht nehmen! Das sind die wahren Bestien, die Monster, die Killermaschinen. Die sind noch viel schlimmer als Krokodile. Ich lasse mich von den possierlichen Kerlchen nicht mehr blenden. Ich nicht …!

2

Ich durfte also unser Urlaubsziel für nächstes Jahr bestimmen. Was für eine Steigerung in unserem fünfundvierzigjährigen Eheleben! Ja, ich würde es Hilde zeigen. Ich würde ihr einen Urlaub bescheren, den sie nie vergessen würde. Einen, den sie noch nie erlebt hatte …

»Hilde, ich glaube, dass die “Semmels” uns einfach kein Glück bringen,« sagte ich, während ich meine Blutdrucktablette mit dem letzten Schluck Kaffee hinunterspülte. Selten hatte diese so gallenbitter geschmeckt, wie an diesem Morgen. Unstrittig lag es wieder mal am Kaffee, der fast kalt geworden war, mit der Folge, dass sich bei mir alle Löcher zusammenzogen. »Lass uns nächstes Jahr mal was ganz anderes machen, Hilde, »stieß ich mühsam hervor. »Ich werde mich darum kümmern. Lass dich einfach mal überraschen …«

»Wenn du mit “kein Glück” den Autocrash auf Kreta vor zwei Jahren und den Nasenbiss in Namibia vom letzten Jahr meinst, dann kannst du schon recht haben, Alfred. Dann überleg dir mal was Schönes. Wir müssen uns ja nicht jedes Jahr den Urlaub versemmeln lassen.« Hilde faltete die Zeitung fein säuberlich zusammen und wischte sich mit dem Taschentuch die Himbeermarmelade vom Mund. Dann stand sie auf, stellte das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine und sagte: »Na, da bin ich aber mal sehr gespannt, wohin mich Herr Alfred Koslowski aus Schnabelwaid im nächsten Jahr führen wird. Und vor allem, was für ein Missgeschick ihm dann wieder passiert. Ich werde den Eindruck nämlich nicht los, als würde dieser Mann das Unglück im Urlaub regelrecht anziehen.«

Zwei Wochen später hatte ich unser Traumziel gefunden. In einem Katalog über Kreuzfahrtreisen, und wieder bei “Semmel-Tours”. Im Schaufenster des Reisebüros hing ein Angebot, dem ich mich einfach nicht entziehen konnte. Begeistert griff ich zu. Sechzehn lange Tage Seeurlaub auf einem Kreuzfahrtschiff durch die Karibik zu den Kleinen Antillen. Das ganze Paket, einschließlich Hinflug, für schlappe eintausenddreihundert Euro pro Person. Wow! Was für ein Superschnäppchen …

Der einzige Wermutstropfen war, dass es sich bei diesem Knaller um eine Innenkabine handelte, die im Unterdeck des Schiffes lag. Aber sind wir doch mal ehrlich: Wozu, bitte schön, hätten wir denn eine Außenkabine oder Balkonkabine gebraucht? Tagsüber würden wir auf den Kleinen Antillen herumspazieren und in der Nacht, da hat ein Mensch in unserem Alter die Augen zu und schläft. Deshalb, so meine Schlussfolgerung, sei eine Innenkabine genau richtig und alles andere nur rausgeschmissenes Geld!

Bei soviel Glück hinsichtlich der Auswahl unseres nächsten Urlaubsziels, wollte ich meine Frau natürlich nicht länger im Ungewissen lassen. Noch am gleichen Abend ließ ich deshalb die Katze aus dem Sack: »Hilde, ich habe unser Reiseziel für das nächste Jahr gefunden! Wir werden uns einschiffen,« verkündete ich stolz beim Abendessen.

Bei dem Wort “einschiffen” blieb Hilde der Bissen im Halse stecken, so dass sie laut zu hüsteln begann. »Jetzt spinnst du aber wirklich, Alfred! Also ich meinerseits leide noch nicht an Inkontinenz. Wenn du deine Blase nicht im Griff hast, geh zum Doktor oder kauf dir das Arzneimittel mit den Kürbiskernen aus der Fernsehwerbung!«

»Was du schon wieder denkst, Hilde!«, entfuhr es mir ärgerlich. Ich nahm einen Schluck von meinem Kräutertee und zog, verwirrt über soviel Unkenntnis, die Augenbrauen hoch. Dann sprach ich im Ton eines Unterstufenlehrers, der dazu berufen ist, seinen Schützlingen das ABC beizubringen: »Hilde, ich meine damit, dass wir uns auf einem Kreuzfahrtschiff einschiffen werden. Mit diesem Schiff sind wir dann sechzehn Tage in der Karibik unterwegs.«

»Schön, Alfred. Aber warum soll ich mich denn auf einem Kreuzfahrtschiff einschiffen?« Hilde hatte sich wieder gefangen und ihren Hustenreiz überwunden. »Pinkelt man sich dort ein, weil man vielleicht befürchten muss, dass der Kahn untergehen könnte?« Hilde stand die Furcht ins Gesicht geschrieben. Sie griff nach ihrem Taschentuch, um sich den Angstschweiß von der Stirne zu tupfen.

»Also Hilde, jetzt hör mir mal gut zu. Wenn wir auf ein Kreuzfahrtschiff gehen und dort eine Kabine beziehen, dann haben wir uns nur symbolisch eingeschifft. Man nennt das Betreten eines Schiffes und das Beziehen einer Bordkabine in Seefahrtkreisen “einschiffen”. Auch braucht heute niemand mehr Angst zu haben, dass so ein Schiff untergeht.«

»Wieso denn nicht? Und was war mit der Titanic? Haben sich die Passagiere damals nicht auch vor Angst in die Hose gemacht, als der Kahn plötzlich im Eismeer unterging?«

»Ja, schon, vielleicht. Das kann ja sein. Das Schiff war ja angeblich auch unsinkbar. So hatte man das jedenfalls vorher überall in der Presse und im Radio verkündet. Vielleicht hat sich da wirklich der eine oder andere vor Schreck eingepinkelt, als das Schiff in der Nacht plötzlich auf einen Eisberg lief … Mein Gott Hilde, was rede ich denn da für einen Unsinn. Du verstehst aber auch gar nichts von der Schifffahrt! Zum Glück wird sich das aber im nächsten Jahr ändern.« Leicht verwirrt über das, was ich gerade von mir gegeben hatte, erhob ich mich vom Tisch und holte mir eine zweite Tasse Tee. Irgendwie brauchte ich jetzt eine kleine Auszeit in Form einer Denkpause. Doch diese währte nicht lange …

»Alfred, und was ist, wenn unser Kapitän auch bei Nacht und Nebel auf einen Eisberg zusteuert?«

»In der Karibik gibt es keine Eisberge, Hilde.« Ich war der Verzweifelung nahe und verfluchte inzwischen, dass das Reisebüro von “Semmels-Tours” ausgerechnet dieses Superschnäppchen an die Schaufensterscheibe geheftet hatte. Warum war ich nicht einfach dort vorübergegangen? Ich hätte eigentlich wissen müssen, dass eine Schiffsreise bei Hilde aufgrund von Vorurteilen und Unkenntnis nur auf Unverständnis traf.

Hilde hatte sich mit den Gefahren, die auf See lauern, noch nicht ganz abgefunden und brachte ein weiteres Szenario ins Spiel: »Und was ist, Alfred, wenn unser Schiff mal sehr nah an einer von den kleinen Antillen vorbeifährt und dabei einen Felsen im Meer rammt? So wie die TOSCA-Concardio in Italien? Die ist doch auch auf eine kleine Insel aufgelaufen, oder nicht?«

»Hilde, auf der TOSCA-Concardio wurde der Kapitän durch eine junge Frau auf der Kommandobrücke vom Navigieren abgelenkt. Heute darf sich ein Kapitän im Dienst nicht mehr vom weiblichen Geschlecht ablenken lassen. Auch du könntest einen Seeoffizier nicht mehr bezirpsen und aus der Fassung bringen. Höchstens mit deinem unqualifizierten Gerede über die Seefahrt …« Ich verlor langsam die Geduld und versuchte genervt, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

»Also Alfred! Was, bitte schön, soll denn das jetzt wieder heißen? Du findest mich wohl nicht mehr attraktiv?«

»Doch, doch Hilde. So habe ich es ja auch nicht gemeint«, versuchte ich sie zu beschwichtigen. »Ich denke nur, dass selbst du mit deinem Liebreiz heute kein Schiff mehr zum Kentern bringen könntest. Weil nämlich die TOSCA-Concardio den Kapitänen sämtlicher Kreuzfahrtschiffe auf der ganzen Welt ein mahnendes Beispiel war. Heute gilt: Weiber sind auf der Kommandobrücke ein absolutes Tabu. Wer dagegen verstößt, der fliegt!« Wahrscheinlich hatte ich mich wieder etwas missverständlich ausgedrückt, denn Hilde setzte umgehend nach: »Was, Alfred, der fliegt? Als Flugkapitän bei der Lufthansa? Das darf er dann wohl noch …?«

Ich sah meine Geduld auf eine harte Probe gestellt. »Hilde, ich gebs auf! Ich meine damit: Der wird rausgeschmissen! Für den ist die Seefahrt gelaufen. Der muss sich dann sofort einen neuen Job suchen. Und wenn er Glück hat, dann landet er vielleicht noch irgendwo als Tellerwäscher in der Bordküche, so wie die vielen Philippinos, die auf den Schiffen arbeiten.«

Für Hilde wurde die Sache langsam immer rätselhafter. »Die kleinen Philippinos? Waren das denn früher auch mal alles Kapitäne, die man wegen irgendwelcher Verstöße in die Küche strafversetzt hat?«

»Rede doch keinen Unsinn, Hilde. Vielleicht hatten ja viele von den Philippinos daheim auf ihren eigenen Fischkuttern mal die Kapitänsmütze auf. Was weiß ich? Als sie sich noch selber mit Fischfang über Wasser halten mussten. Jetzt waschen die aber lieber Teller ab. Das bringt mehr Geld.«

»Ja, ja, das ist die berühmte Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär. Die hab ich schon mal irgendwo gelesen.« Hilde schien erleichtert, dass sie bei diesem Thema endlich wieder mitreden konnte. »Sowas soll es wirklich schon gegeben haben. Ich glaube, das war in Amerika. Du wärst damit bestimmt nicht zu Reichtum gekommen. Abwaschen ist ja noch nie deine Stärke gewesen …«

Rumms, da war sie wieder, die Retourkutsche. Immer wenn Hilde sich nicht mehr zu helfen weiß und sich in die Enge gedrängt fühlt, ergreift sie die Flucht nach vorn und schießt aus sicherer Entfernung erbarmungslos zurück.

Ich ertrug den Dämpfer mit Fassung. »Hilde, jetzt gib aber mal Ruhe. Wozu haben wir denn einen Geschirrspüler? Den räume ich doch jeden Tag ein und aus, freiwillig. Da hast du dich doch noch nie drum zu kümmern brauchen. Und überhaupt, was hat denn der blöde Geschirrspüler mit unserer Kreuzfahrt zu tun? Im nächsten Jahr fahren wir jedenfalls in die Karibik! Und da wirst du ganz viel lernen, sowohl über die allgemeine Seefahrt als auch über das Leben an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Du wirst sehen, sich auf einem Schiff einzuschiffen, das wird richtig Spaß machen …

3

Versandhauskataloge können von Vorteil sein, wenn man darin etwas entdeckt, nach dem man lange schon Ausschau gehalten hat und was dort äußerst günstig angepriesen wird. Sie können sich aber auch als “Einkaufsfalle” entpuppen, zum Beispiel dann, wenn man einen Artikel für wenig Geld erwirbt und hinterher feststellen muss, dass die gekaufte Ware nur von minderer Qualität ist. Dann kauft man am Ende doppelt und hat mehr als das Dreifache ausgegeben.

So etwa erging es Hilde mit ihrem neuen Koffer. Und wegen des Koffers machte sich Hilde ernsthaft Gedanken. »Ich brauche unbedingt eine neue Reisetasche, wenn ich mich schon für sechzehn Tage auf einem Kreuzfahrtschiff einschiffen soll. Sechzehn Tage sind eine lange Zeit, dazu kommen noch mindestens fünfzehn lange Abende, an denen ich nicht immer das Gleiche anhaben will. Auch muss man als Frau ständig darauf gefasst sein, dass einen der Kapitän zum Kapitäns-Dinner einlädt. Am Ende sitzt der erste Mann des Schiffes neben mir, beugt sich zu mir herüber und flüstert: “Guten Abend, gnädige Frau. Haben Sie nicht gestern schon im Spielcasino das gleiche Abendkleid getragen? Sie sehen darin immer wieder ganz entzückend aus”. Und das, lieber Alfred, das wäre doch wirklich peinlich. Oder etwa nicht?«

Wo meine Hilde nun mal recht hatte, da hatte sie recht. Und eine solche Blamage wollte sie sich ersparen. Also hielt sie Ausschau nach einem Koffer, der ihre gesamte Garderobe aus ihrem schwedischen Kleiderschrank fassen sollte, samt den vielen Schuhen, die in einem Schuhschrank der gleichen Möbelfirma lagern. Und Schuhe hatte Hilde jede Menge, wobei ihr alle sehr ans Herz gewachsen waren. Sie würde es daher wohl kaum über selbiges bringen, nur ein einziges Paar davon zu Hause zu lassen. Was nützt einer Frau schon das schönste Kleid, wenn sie nicht auch das passende Schuhwerk dazu trägt? Da kann sie doch gleich daheim bleiben. Folglich benötigte meine Frau also einen großen Koffer, einen sehr großen, einen riesengroßen …

Zu beachten war in diesem Zusammenhang auch, dass unsere Kreuzfahrt in Guadeloupe beginnen sollte, der größten Insel der Kleinen Antillen. Dort würde unser Schiff mit dem gelben Schornstein vor Anker liegen und darauf warten, von uns bestiegen zu werden. Für uns als Kreuzfahrtgäste bedeutete dies, dass wir zunächst mit dem Flugzeug den Atlantik zu überqueren hatten. Hildes Koffer sollte also auch ohne Inhalt schon sehr leicht sein, damit er nicht einen Großteil seines späteren Gesamtgewichts für sich selbst vereinnahmte.

Und sie wurde fündig. In einem Katalog, der uns irgendwann einmal ins Haus flatterte. »Vergeuden Sie auf Ihrer Reise kein Gramm Freigewicht! Diese riesige Reisetasche ist ideal für Flugreisen bis dreißig Kilogramm Gepäckgrenze. Bei vielen Taschen verbrauchen Sie schon große Teile Ihres Freigewichts alleine nur für die „Verpackung“ Ihres Gepäcks. Bei dieser Reisetasche dagegen transportieren Sie weniger als dreißig Gramm Ballast pro Liter Stauraum. Dennoch hält das extrem robuste Nylongewebe mühelos auch ruppigen Gepäckbändern stand. Ihr perfekter Reisebegleiter also für den Flieger und das Auto!«

Mit anderen Worten, diese Reisetasche war ein ultraleichter, faltbarer und robuster Kindersarg, ohne jedwedes sperriges Gestänge, dafür mit Kantenschutz und reißfesten Tragegurten zum bequemen Schultern. Nirgendwo aber stand, dass das Teil auch ideal für ein Schiff war.

Misstrauisch sah ich mir im Internet die Bewertungen an, die andere Käufer dem “perfekten” Reisebegleiter gegeben hatten: Einer schrieb: »Nach dreimaliger Benutzung waren schon zwei Kunststoffschienen, die an der Unterseite der Tasche angebracht sind, gebrochen. An Überladung kann es nicht gelegen haben, da die Reisetasche mit weniger als dreißig Kilogramm Gewicht auf Flugreisen benutzt wurde. Reparatur nicht möglich. Hände weg von dem Stück! Nur Schrott!«

Ein anderer Kunde wusste zu berichten: »Wir benutzten die Tasche nur zwei Mal. Eine der drei Rollen ist beim Ziehen über das Straßenpflaster gleich kaputt gegangen. Das Ende vom Lied war, dass auch noch der Nylonstoff einriss und der Tascheninhalt im Straßendreck gelandet ist. Nie wieder! Großer Mist!!«

Hilde war vom Kauf nicht abzubringen. »Die blöden Urlauber haben eben das Gepäckstück nicht richtig behandelt. Wahrscheinlich haben sie die Tasche mutwillig über hohe Steintreppen gezogen. Das ist nämlich alles nur eine Frage des sorgsamen Umgangs. Ob man seine Tasche liebevoll behandelt oder ob man ein Liederjahn ist. Bei mir wird sie ewig halten, Alfred, das wirst du sehen …!«

Nach einer Woche wurde Hildes Tasche mit der Post geliefert. Ich bemerkte, dass ihre Augen beim Anblick des guten Stückes genauso glänzten, wie das rote Nylongewebe. Und da sie rasch Gewissheit darüber haben wollte, dass der “Kindersarg” auch mühelos den gesamten Inhalt ihres Kleiderschrankes in sich aufnehmen konnte, hatte sie gleich nach dem Frühstück damit begonnen, ihre Neuanschaffung bis zum Bersten mit einer Unmenge alter Hand- und Betttücher zu füllen und die “Revolution des Reisegepäcks” hiernach stolz durch die gesamte Wohnung zu ziehen.

»Alfred, ich werde jetzt mal einen Belastungstest durchführen. Ich will doch mal sehen, ob die Reisetasche auch wirklich so stabil ist, wie es der Katalog versprochen hat.« Sie zog die Tasche vom Schlafzimmer an die Treppe und versetzte ihr einen Tritt mit dem Fuß. Das Gepäckstück stürzte mit großer Wucht die Stufen hinab, wo es mit lautem Gepolter in der ersten Etage unseres Hauses hart auf den Steinfliesen aufschlug.

Hilde war vom Testergebnis begeistert. Selbst die bundesweit bekannte “Stiftung Warentest” hätte in puncto Produktprüfung von ihr noch etwas lernen können. Alle Rollen hielten der Probe stand, ebenso die fest im Boden eingenähten Metallschienen. Nicht die geringste Spur eines Risses war im Gewebe zu sehen. Dieser Test war ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie ein hochwertiges Qualitätsprodukt erstanden hatte.

»Alfred, deine Zweifel waren vollkommen unbegründet!«, flötete es mir von unten aus dem Flur entgegen. Hilde lag auf den Knien und nahm jeden Quadratzentimeter ihres roten Ungetüms unter die Lupe. »Wenn meine Reisetasche diesen Sturz unbeschadet überlebt hat, dann kann ich mit ihr getrost bis ans Ende der Welt fliegen. Und nicht nur das. Ich kann auf jedem Flughafen dieser Erde mit ihr umsteigen, so viel und so oft ich will. Diese Tasche war die klügste Anschaffung seit dem Kauf unseres Staubsaugers.«

Ich weiß nicht, was Hilde in diesem Moment dazu bewog, ausgerechnet den Staubsauger als Vergleich heranzuziehen. Seit sich nämlich vor einigen Wochen einmal aus Versehen die Fransen unseres Perserteppichs in der rotierenden Bürste so verfangen hatten, dass das Gerät hinterher in Flammen aufging, stand sie mit diesem Ding auf Kriegsfuß. Seit diesem Vorfall darf ich nun die Wohnung absaugen, weil Hilde der Meinung ist, dass ein Mann mit technischen Geräten besser umzugehen weiß. Um sie in dieser Hinsicht mal vom Gegenteil zu überzeugen, würde ich mit unserem neuen Staubsauger ja liebend gerne auch einmal über die Teppichfransen saugen. Aber das geht jetzt nicht mehr, weil Hilde alle Fransen vor Wut abgeschnitten hat, so dass ich wahrscheinlich bis ans Ende meiner Tage für das Staubsaugen zuständig sein werde.

Der Tag, an dem wir zu unserer Kreuzfahrtreise aufbrechen sollten, rückte näher. Hilde hatte bereits zwei Tage vor unserer Abreise ihren unkaputtbaren knallroten textilen Überseekoffer mit allem vollgestopft, was ihr Kleiderschrank hergab. Es schien, als wäre es ihr doch tatsächlich gelungen, entgegen alle Regeln der Physik, ihre gesamte Garderobe in einhundertzehn Litern Koffervolumen unterzubringen.

»Alfred, wir haben uns doch im letzten Sommer so eine digitale Kofferwaage gekauft,« pustete sie mich völlig außer Atem an. »Du weißt schon, das Ding, wo man den Koffer dranhängt und sofort erkennt, wie schwer er ist. Ich glaube, wir dürfen nur dreißig Kilogramm Freigepäck mitnehmen. Weißt du zufällig, wo wir mit dem guten Stück hingekommen sind?« Hilde hatte die rote Reisetasche aufs Bett gewuchtet, sie saß erschöpft auf dem Bettrand und wischte sich schwer atmend mit der linken Hand den Schweiß von der Stirn.

Zufällig wusste ich noch, wo die Waage lag. Ein Griff in das unterste Schubfach unserer Schlafzimmerkommode genügte und kurz darauf hing das Ungetüm am Haken. “34,6 kg”, leuchtet es auf dem grünen Display des Hightech-Messgerätes. Hilde wurde blass. Ihr war deutlich anzusehen, dass es in ihrem Kopf jetzt zu arbeiten begann.

»Da musst du wohl oder übel wieder etwas aus deinem roten “Kindersarg” auspacken«, sagte ich und grinste etwas schadenfroh.

Es vergingen zwei weitere Stunden, in denen aus- und wieder eingepackt wurde. Zwischendurch wog sie ihr Gepäckstück, packte es erneut aus und wieder ein, bis sie endlich dessen Sollgewicht erreicht hatte. »Alfred, ich habs geschafft!« rief sie freudig. Die Tasche wiegt jetzt genau 29,8 kg.« Hilde hatte das Ungetüm in den Flur gezerrt und lag erschöpft und pritschbreit auf ihrem Bett.

Genau wie Hildes Gepäckstück, war auch ich erleichtert. Meinen kleinen Hartschalenkoffer hatte ich im Nu gefüllt. Sechzehn Tage auf See, das bedeutete für mich: Siebzehn Unterhosen, acht Unter- und acht Oberhemden, vier T-Shirts, zwei lange sowie eine kurze Hose, ein Jacket für den Gala-Abend mit dem Kapitän, dazu eine Badehose, acht Paar Strümpfe und letztlich noch einige Taschentücher. Was das Schuhwerk betraf, steckte ich ein Paar feste Schuhe sowie ein Paar Sandalen in eine Plastiktüte und positionierte diese am hinteren Rand des Koffers neben dem Kulturbeutel. Viel mehr werde ich wohl nicht brauchen, dachte ich, weder auf hoher See noch zum Herumspazieren auf den Inseln. Hilde hatte natürlich deutlich mehr eingepackt. Vielleicht auch deshalb, weil sie befürchtete, dass die Kleinen Antillen doch etwas größer ausfallen könnten, als es ihr Name versprach.

Am Abend vor dem Abreisetag begann ich damit, unser Gepäck im Auto zu verstauen. Als erstes wuchtete ich Hildes Überseekoffer in den Kofferraum. Damit war dessen Aufnahmekapazität restlos erschöpft. Mit Mühe fand ich noch einen Platz für meine Video-Kamera in der hinteren Ecke neben dem Warnkreuz und dem Sanitätskasten. Die Kamera sollte natürlich auch wieder mit dabei sein, um all die schönen und unvergesslichen Eindrücke für die Nachwelt festzuhalten. Mein kleines graues Hartschalenköfferchen fand auf dem Rücksitz gerade noch eine Lücke.

In der Nacht schlief ich unruhiger als sonst, was der Vorfreude auf unsere erste Kreuzfahrtreise zu schulden war. Ich lag lange wach, schaute ständig auf die Uhr und wälzte mich im Bett von einer auf die andere Seite. Endlich, weit nach Mitternacht, war ich eingeschlafen.

Am nächsten Morgen standen wir gegen vier Uhr auf. Schließlich wollten wir nicht in Hektik aufbrechen. Unser Flieger nach Gouadelupe sollte vom Frankfurter Flughafen planmäßig um 12.30 Uhr starten. Ich hatte mir ausgerechnet, dass wir für die Fahrt mit dem Auto ungefähr drei Stunden benötigen würden. Zudem hatte man sich als Fluggast immer zwei Stunden vor Abflug einzufinden, so dass es ausreichen würde, unser geliebtes Schnabelwaid gegen sechs Uhr hinter sich zu lassen.

Und so saßen wir nach der Morgentoilette um fünf Uhr am Kaffeetisch und überprüften zwischen Leberwurst, Marmelade, Käse und bitterem Kaffee, ob wir auch nichts vergessen hatten.

»Hilde, hast du deinen Reisepass eingesteckt?«, fragte ich, während ich an der Tasse nippte. Deren Inhalt schmeckte wieder einmal so abscheulich, dass sich meine Mundwinkel von ganz alleine und ohne Betätigung eines Gesichtsmuskels nach unten zogen.

»Den hab ich in meiner Handtasche, Alfred. Hast du deinen Pass und die anderen Reiseunterlagen?«

»Hab ich, Hilde. Ich hab an alles gedacht. Ich hab das Bargeld, die Krankenversicherungskarten und die MASTER-Card. Ich hab alles am Mann, Hilde.«

»Und die Flugtickets?«

»Auch die Hilde. Glaub mir, ich hab alles eingepackt, was wir an Dokumenten brauchen.«

»Müssen wir nicht vor der Abreise noch die Banderolen von der Schifffahrtsgesellschaft ausfüllen und an die Koffer hängen, damit das Flugpersonal in Frankfurt unser Gepäck auch in den richtigen Flieger verfrachtet, Alfred?«

»Verflixt! Ich hab doch gewusst, dass ich was vergessen habe. Gut, dass wir so früh aufgestanden sind. Wo sind denn die Dinger?«

»Na, bestimmt bei den Reiseunterlagen, die du vom Reisebüro gekriegt hast. Sag mal, Alfred, mit welchem Reisebüro verreisen wir denn eigentlich dieses Jahr?«

»Mit den “Semmels”, wie immer,« sagte ich leicht genervt.

»Aber ich denke …. Du wolltest doch diesmal … Hast du nicht gesagt, dass ….?«