Wer einen Garten hat, lebt schon im Paradies.

Aba Assa

JÜRGEN FLIEGE

Männer
wachsen im
Garten

… wo das stille Glück wartet

Ein Ratgeber für eine erfüllte
zweite Lebenshälfte

Inhalt

1    Männer wachsen im Garten

2    Das Lachen der Frauen

3    Die Rosenschere als Waffe

4    Der Garten meiner Kindheit

Ein Trauma findet seine Ursache

5    Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

6    Papa ante Garten-Portas!

7    Meditation für Anfänger

Kleine Einführung ins ZEN

8    Midlife-Crisis

Das Leben ist auch nur ein Kreis

9    Schwerter zu Pflugscharen und Rosenscheren

10  Der Garten Eden

Noch so ein Archetyp

11  Der Gartenzaun

Der kleine Limes

12  Der Baum

Kleine Einführung in den Schamanismus

13  Die Entdeckung der Schönheit

14  Anbetung

Kleine Einführung ins Staunen

15  Das Knien der Männer

Kleine Einführung in die Demut

16  Die Entdeckung der Kleinigkeit

Kleine Einführung in die Bescheidenheit

17  Das Kümmern der Männer

Kleine Einführung ins Christentum

18  Die Steine des Friedens

Kleine Einführung in Steinzeitspiritualität

19  Das Wasser

Kleine Einführung in den Taoismus

20  Das Schweigen der Männer

Kleine Einführung ins Mönchstum

21  Der Gartenweg

Kleine Einführung ins Pilgerwesen

22  Unkraut/Heilkraut

Kleine Einführung in die Apotheke Gottes

23  Der Misthaufen

Kleine Einführung in die natürliche Sündenlehre

24  Der Kirchgarten/Friedhof

Die Entdeckung des Himmels

 

1

Männer wachsen im Garten

Willst du für eine Stunde glücklich sein, so betrinke dich.

Willst du für drei Tage glücklich sein, so heirate.

Willst du für acht Tage glücklich sein, so schlachte ein

Schwein und gib ein Festessen. Willst du aber ein Leben

lang glücklich sein, so schaffe dir einen Garten.

Chinesisches Sprichwort

Ich entspanne wenn ich überlege, wie ich

meinen Garten neu gestalten könnte.

Dieter Thomas Heck

Dumme rennen.

Kluge warten.

Weise gehen in den Garten.

Rabindranath Tagore

Auch Männer wachsen, langsam, aber dann auch gewaltlos. Und Männer erfahren im Wachstum in ihrer Lebensmitte eine erstaunliche Wandlung. Sie waren in ihrer ersten Lebenshälfte immer auf einer Art Kreuzzug für ihre ganz persönliche Macht unterwegs. Sie waren Kämpfer, um zu siegen. Ganz gleich für wen. Aber immer auch für sich selbst. Sie mehrten ihren Einfluss auf den verschiedensten Feldern und waren ständig damit beschäftigt. Währenddessen schlugen sie auch noch so manches eitle bunte Pfauenrad vor den Frauen und zeigten kurz ihre prächtigen Federn: Seht her! Ein starker Mann bürgt für starken Nachwuchs! Stark in den Lenden und mit einem prall gefüllten Konto versuchten sie Eindruck zu machen. Eros und Macht. Jetzt aber, mitten im Leben, wachsen sie nur jenseits ihrer Siege und auch jenseits ihrer Niederlagen in ein neues unbekanntes Leben hinein. Während sie auf der Heimreise aus den Wirtschaftskriegen und den Schützengräben einer oft aggressiv auftretenden Industrie und ihrer Märkte sind, aber noch mitten im Leben stehen, gibt es für sie noch einmal einen gehörigen oft unvermuteten Wachstumsschub: Bei der als harmlos geltenden Gartenarbeit wachsen sie tief drin zu ganz passablen Mitmenschen und Mannsbildern heran. Sie erkennen endlich, dass ein Haus ohne Blumen und ohne Garten nur eine Art Verschlag ist, der vor Wind und Wetter schützt. Aber es ist kein Haus, keine Heimat. Da gehört mehr zu. Jetzt auf einmal verehren sie Schönheit und Ordnung. Sie werden zu Ästheten. Und sie haben nun auch die Geduld für die nötige Pflege aller schönen Dinge. Was sind Männer selber doch für komische Pflänzchen! Sie wachsen erst im Herbst zu voller Blüte und Reife heran, zu einer Zeit, in der das Lametta ihrer Siege wie welkes Eichenlaub von ihren Revers zu Boden fällt. Jetzt, wo alles fällt, tauchen bei ihnen auf einmal kleine ungeahnte Knospen unter dem verschwundenen Blätterwerk auf. Und jetzt, im Frühherbst ihres Lebens, sind ihnen auch ihre Wurzeln näher als sie früher einmal schienen. Sie interessieren sich für ihre Herkunft. Sie recherchieren in alten Papieren und Fotos und arbeiten ganze Stammbäume aus. Sie graben nach ihren Vorfahren. Sie entwickeln einen umfassenden Sinn für Heimat. Nicht nur an ihren Früchten wollen sie erkannt und entsprechend geliebt werden. Das war früher. Jetzt kommt die Liebe zu ihren Wurzeln dazu. Und dieses Interesse an der Fülle des Lebens wird bei den Männern mit jedem Jahr deutlicher! Voltaire lässt seinen Candide, der nach einem abenteuerlichen Leben und dem Scheitern seiner philosophischen Hoffnungen, sich aufs Land zurückziehen und dort zur Einsicht kommen, dass „wir unseren Garten bestellen müssen“. Männer wachsen und reifen im Garten.

Und das wird auch nicht mehr enden. Die nachreifenden Männer werden so lange auf diesen eigenen Gartenwegen gehen, bis sie eines guten Tages bereit sind, sich selbst diesem Prozess des Wachsens und Vergehens ganz auszusetzen. Es wird dann auch für sie wahr, was sie längst wahrgenommen haben: Es gibt kein Ende. Es gibt keinen Tod. Alles ist Übergang! Alles hängt von der Perspektive ab. Wer solche Augen hat zu sehen, der kann auch in einem Komposthaufen die Voraussetzungen des kommenden Frühlings erkennen. Das Ende ist längst schon ein neuer Anfang.

Die Schönheit und die Reife des Mannes wachsen nicht mehr wie früher sichtbar irgendwie in die Höhe, von unten nach oben oder in die Breite und in die Länge. Männer wachsen jetzt nicht mehr im Quantitativen. Sie wachsen während dieser persönlichen Herbstzeit von innen nach außen. Schönheit und Reife kommen aus seinem bisher unbekannten Inneren. Sie kommen von Herzen. Sie sind seine neue, zweite Bestimmung. Schönheit und Reife wachsen leise heran. Gerade zu der Zeit, in der die Kraft seiner Hände und Füße und seines kühlen Verstandes, auf die der Mann während seines aktiven Lebensabschnitts so viel gab, nicht mehr so bestimmend sind. Schönheit und Reife, das sind Ausdrücke eines neuen umfassenden Gefühls, ein Teil von allem zu sein. Es ist das Gefühl, ein im Tiefsten von der Natur abhängiges Leben schaffen zu können.

Was aber gibt es für ein Männerleben ohne Sieg und Niederlagen? Wie sieht das aus? Was wartet auf den Mann jenseits der alles dominierenden Muskel- und Hirnmassen? Es wartet ein gelungenes rundes Leben auf ihn. Der Kreis eines Männer-Lebens will sich vollenden und ergibt erst mit dieser Vollendung einen Sinn. Diese Vollendung wirkt wie ein letzter Baustein als Krone in einem Deckengewölbe, der alles zusammenhält. Alles steht auf einmal am richtigen Ort zur richtigen Zeit.

Ganze Lebensabschnitte und einzelne Erinnerungen wirken wie einzelne Satzteile und einzelnstehende Worte, die auf einmal, wenn sie richtig zusammengestellt werden, einen Satz bilden und Sinn ergeben. Alles macht auf einmal Sinn. Und „Sinn machen“, das wird sich zeigen, bedeutet in seiner umfassenden universalen Tiefe „Liebe machen“. Alles sorgt sich endlich um alles! Alles ist für Alles da. Das nennt man: Leben und Lieben im wirklich umfassenden Sinn! Jetzt endlich wird erfahrbar, dass einfach alles Alles lieben kann. Das alte Muster, dass zum Lieben eines Mannes das Erobern gehört, ist vergangen. Die neue Erfahrung einer umfassenden Hingabe ergänzt die frühen Jahre. Und diese alle Erwartungen aufgebende umfassende Liebe, diese lange verborgene natürliche Mystik, lehren sie nun schweigend ihre Enkelkinder, mit denen an der Hand sie in ihre Gärten ziehen. Die Kleinen haben alles wahrgenommen. Die Kleinen sind ihr ganzes Glück. Und der Tag wird kommen, an dem die Kleinen die Alten imitieren werden.

Die neuen vom Leben tiefergelegten Männer sind also auf einer höheren Ebene die alten Männer geblieben. Sie sagen, wo es langgeht. Einmal Mann, immer Mann! Das Land braucht keine neuen Männer. Das Land braucht Männer.

 

2

Das Lachen der Frauen

Erfahrungen sammelt man wie Pilze:

Einzeln und mit dem Gefühl,

dass die Sache nicht ganz geheuer ist.

Erskine Caldwell

Es gab da immer ein großes Gelächter, besonders bei den reiferen und erfahreneren Damen. Immer wenn ich ihnen von der Bühne oder auch von einer Kirchenkanzel herab ans Herz legte, ihren nun in die mittleren Jahre gekommenen Männern lieber eine Rosenschere zum Geburtstag zu schenken, als irgendein noch so verlockendes elektronisches Spielzeug oder gar ein aufmunterndes Magazin aus dem Erotikshop, glucksten sie rum.

Da war und ist immer wieder lautes Kichern. Und da und dort auch ein befreiendes Gelächter. Denn so ein unvermutetes Geschenk setzt als direkte oder zwinkernde Botschaft der Frauen und ihrer geheimen Wünsche an ihre müden Männer, diese Männer nur zusätzlich unter Druck. Ich weiß wovon ich rede. Ich bin ein Mann. Das schwache männliche Geschlecht droht vollends einzuknicken.

Die kleine Rosenschere aber nimmt den Männern den Erwartungsdruck früherer Jahre. Sie liegt gut in der Hand. Sie schmeichelt. Ihre Stahlfeder ist gut geölt. Sie ist ein gutes und bewährtes Werkzeug. Sie stimmt der inneren Reife der Männer ganz ohne Worte zu. Sie erkennt und anerkennt, was ist. So eine geschenkte Rosenschere signalisiert also ein tiefes wortloses Verstehen, dass die Zeiten sich geändert haben und die Liebe auch und nun alles in der Stille reift. Frauen, die ihren reiferen Männern Rosenscheren schenken, sind die wahren Männerflüsterinnen.

Reife Männer lieben eben nicht mehr nur Frauen allein. Sie haben mit den Jahren im Umgang mit Frauen von ihnen etwas angenommen. Der Umgang färbte ab und Hingabe erst recht. Männer lieben die Frauen zwar weiterhin, aber sie lieben sie jetzt tiefer, umfassender. Sie fangen an, das Schöne nicht nur in den Proportionen einer Frau zu sehen, zu begehren und zu bewundern. Die Wespentaille hat ihre Dienste getan.

Die Männer beginnen jetzt generell, das Proportionierte und das Schöne in allen Dingen sehen zu lernen. Die Männer sind mit ihrer Rosenschere auf der Suche nach dem goldenen Schnitt. Sie schließen von nun an von ihren Frauen auf alles andere und von allem anderen zurück auf ihre Frauen. Frauen sind nun die Botschafterinnen des Schönen und Proportionierten, um mit dem Blick für das Schöne und Notwendige die Männer überhaupt und irgendwann noch zu erreichen. Und Männer sind endlich bereit, die endlich entdeckte, aufgedeckte Schönheit der Dinge auch zu pflegen.

Das war in meiner Herkunftsfamilie wohl genau die Zeit, in der sich mein Vater ein teures englisches Sakko aus englischem Tweed kaufte und ein neues Rasierwasser ausprobierte und überall in Haus und Hof Ordnung schaffte. Und keiner von uns, auch meine etwas burschikose Mutter nicht, konnte oder wollte verstehen, was in den sparsamen, kargen und sonst eher in sich gekehrten Mann gefahren war. Musste man sich Sorgen machen?

Rosenscheren und all die anderen Gartengeräte allerdings kaufte er sich leider selber. Meine Mutter war in meiner Erinnerung eben keine große Verführerin und Männerversteherin. Auch in dem Gartenschuppen, in dem alle Gartengeräte standen oder an der Wand hingen oder einfach herumflogen, allein wegen uns sechs Kindern, drei Mädchen, drei Jungen, und ein großes Tohuwabohu herrschte, wurde in diesen Lebensjahren meines Vaters verstärkt Ordnung geschaffen. „Pappa ante portas!“

Im Frühherbst ihres Lebens also beginnt in den Männern das Schönheits-Gen zu wirken. Es beginnt eine Zeit des reinen Betrachtens und Schauens. Die Augen werden zusammengekniffen, um störende Details zu übersehen.

Versteckte Strukturen kommen so besser zum Vorschein. Und dann fährt es fort mit einer Zeit des Aufräumens und Ordnens. Das war in all den früheren jüngeren Jahren anders, ganz anders gewesen. Da flogen überall in Haus und Hof, auf dem Boden, auf der Treppe, vor dem Bett die Sachen der Männer rum. Die Socken, die Zeitung, die Unterwäsche, auch Zigarettenkippen und manchmal je nach Herkunft und Sozialisation sogar halbausgetrunkene und nun schal riechende Biergläser!

Sorry, kurze reuige Unterbrechung: Wer hatte das eigentlich während all der früheren Jahre für die Männer weggeräumt? Das waren oft genug Frauen gewesen, eigene oder auch angestellte. Wir reden wie selbstverständlich von Putzfrauen und Zugehfrauen. Sollte diese sogenannte rollenspezifische Arbeitsteilung des Verwüstens und des Aufräumen und Ordnens im Leben der reifen Männer der Vergangenheit angehören? Irgendetwas tut sich bei den Männern. Irgendetwas wird neu. Irgendetwas wechselt.

Auch Männer haben ihre Wechseljahre. Und das ist eben nicht nur eine Frage der Hormone, die die reifenden Männer zuerst um die Hüften herum rund und rundlich werden lassen. Und die Frauen werden nun eher knöchern und oft dürr, ihre Brüste sind nicht mehr so prall und da und dort tragen die Frauen allmählich auch ihre Bärte. Und dann und wann bis auf die Zähne. Was ist los?

Wenn ich von diesen stillen Beobachtungen auf den Bühnen oder Kanzeln erzählte, dann wich das leise Kichern und das oft auch höhnische Gelächter der versammelten Frauen, die ihren Fliege hören wollten, langsam einer erstaunlichen Stille. Das Sich-Anstoßen mit den Ellenbogen und das Zwischenrufen, oft lautstark über viele Tische, Stuhl- und Bankreihen hinweg, beruhigte sich zu einem stillen unwillkürlichen Nicken. Zustimmung lag auf einmal im Raum.

Männer, reife Männer, erwachsene Männer und das Gute in den Männern wachsen offenbar bei der Arbeit in ihren Gärten. Weniger bei den Gemüsebeeten, eher bei den Teilen des Gartens, die der reinen Schönheit und dem Genuss der Augen vorbehalten wurden. Es muss den Männern irgendwo zugestoßen sein. Irgendwo zwischen den oft rücksichtlosen und unmenschlichen Schlachtfeldern ihrer Berufungen und Berufe und dann ihrem späten Zuhause.

Wenn Männer unabhängig von ihrem Charakter oder ihrer sonstigen Bestimmungen und Position reif und gütig werden, dann muss das offenbar irgendwo zwischen vierzig und sechzig, zwischen Beruf und aufkommendem Berufsende, irgendwo da passiert sein. Das ist eine nicht ungefährliche Zeit, voller Orientierungslosigkeit, taumelnd erlebter Freistellungen und tief empfundener Selektion in ihrer Arbeitswelt. Aber ein Blick in die Scheidungsstatistiken deutet an, dass diese Turbulenzen über ein altes oder neues Selbstverständnis nicht aufs Berufsleben beschränkt bleiben. Wiederholungen sollen das alte Machomuster über die neue Zeit retten. Doch wo die Not wächst, wächst das Rettende bekanntlich auch. Das Leben sorgt auch für uns Männer und lässt uns reifen zu unserer Zeit.

Alles hat eben seine Zeit und seinen Ort. Auch das Reifen der Männer. Nicht umsonst sind die wahren Häuptlinge der atavistischen Stammeskulturen gereifte Männer. Das gilt für den legendären Indianerhäuptling Seattle genauso wie für die Hawaiianischen Weisen: The Elder! Und im Osten unserer Welt wird man erst unter einem Feigenbaum, einem Bodhi (sic), zu einem richtigen Buddha, jenseits der Lebensmitte!

Diese hier angedeuteten und noch unausgereiften Gedanken wollte ich in einem kleinen Fernsehinterview mit meiner kleinen Rosenschere kurz erläutern. Wenn man ein solches Ding auf der Bühne in der Hand hat, muss man nicht viel erklären. Fernsehen hat nicht viel Zeit. Bevor die Dinge noch ins Ohr gehen, gehen sie schon ins Auge. Die Rosenschere in meiner Hand war das Symbol für den neuen Mann. Sie war so etwas wie die kleine Schwester der großen Pflugscharen, aus denen Schwerter geschmiedet werden. Sie war das Symbol des kleinen Friedens auf Schrebergartenniveau! Die große Prophezeiung des Jesaja für die neue ewige Zeit des Friedens, in der Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden, ist eben nicht nur ein Symbol für die erhoffte und erwartete Entwicklung der Welt. Sie muss auch im Kleinen wahr sein.

Sie wird mit einer Rosenschere auf einmal und unwillkürlich in jedem Männerleben wahr. Die Endzeit naht in jedem Mann und wirft ihren individuellen friedfertigen Schatten. Aber wer hätte erwartet, dass diese Wahrheit sich so klein macht, dass sie wie eine unsichtbare Software in eine Rosenschere passt? Eine kleine Rosenschere mit einer großen Botschaft vom Frieden. Und genau da beginnt die Geschichte dieses Büchleins.