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Prolog

In jeder Kultur gibt es Mythen über die Entstehung unserer Welt. In einer dieser uralten Geschichten war auch von der Erschaffung der Schwiegermutter die Rede. Über Jahrtausende wurde diese Geschichte mündlich weitergegeben, nur leider wurde sie nie aufgezeichnet und ging verloren, weswegen Genaueres darüber nicht bekannt ist. Wir vermuten, dass die Erzählung ungefähr so lautete:

Irgendwann in grauen, staubigen Urzeiten überfiel die Natur aus heiterem Himmel eine Idee. Sie hatte gerade das Schnabeltier, den Kolibri und die fleischfressende Pflanze erfunden und war überhaupt in ziemlich bizarrer Laune.

»Hmm«, murmelte sie vor sich hin. »Ich nenne es ›Schwiegermutter‹, so viel ist schon mal klar, aber wem hänge ich es nur an?«

Die Natur blätterte ihr großes Buch der Arten und Gattungen durch, denn sie war vergesslich und konnte sich oft nicht einmal merken, was sie erst am Vortag erschaffen hatte.

»Es müsste eine Spezies sein, deren Weibchen sich nicht bis zum Tod unentwegt vermehren, sondern eine recht lange Zeit beschäftigungslos in der Gegend herumhocken.« Die Natur biss sich auf die Unterlippe. Die Quallen fielen schon mal aus, die vermehrten sich ja das ganze Jahr über ohne Pause. Dasselbe galt für die Ziegen, wenn auch ihr Gemecker ziemlich passend wäre.

Die Natur sah nachdenklich zu den Wolken hinauf. »Perfekt wäre es, wenn die Weibchen eine hormongebeutelte Übergangszeit hätten, in der sie für jede Überraschung gut sind.«

Kurz blieb sie bei den Elefanten hängen, aber die Vorstellung, »Schwiegermutter« dort zu installieren, zusammen mit der Lautstärke des Elefantengetrötes, ließ die Natur ­schaudern.

»Dann kriege ich ja überhaupt kein Auge mehr zu«, schimpfte sie vor sich hin. Aber da war doch noch diese ­andere Spezies, die der Natur schon beinahe entfallen war.

»Das letzte Mal, als wir sie gesehen haben«, überlegte sie, denn sie neigte anfallartig zum Pluralis Majestatis, »da konnten sie reden. Und das ist immerhin nicht ganz so laut wie das Gejaule aus dem Urwald.« Die Natur, die sehr empfindliche Ohren besaß, verzog schmerzvoll das Gesicht. »Außerdem«, und nun blätterte sie eifrig weiter, »wird das Reden in den Händen von ›Schwiegermutter‹ schärfer sein als ein anständiger Faustkeil. Wo waren sie denn bloß?«

Kurzzeitig verharrte die Natur beim Karpfen. Bei seinem Anblick klingelte irgendetwas in ihrem Hinterkopf. Aber da sie nicht genau sagen konnte, was, und sich bald furchtbar langweilte, setzte sie endlich ihre Lesebrille auf und stieß … auf die Menschen.

»Ich wusste doch, dass ich sie irgendwo dazugeheftet hatte«, sagte sie, fischte das Blatt aus der Klarsichthülle, die sich die Menschen mit den Kakerlaken teilten, und buchstabierte sich durch die Gebrauchsanleitung.

»Das ist es«, grunzte sie zufrieden und pflanzte aufatmend die Schwiegermutter mitten zwischen die Menschen.

Sie hörte ihnen eine Weile zu und presste sich schließlich die Hände auf die Ohren. »Wisst ihr, damit ihr mal eine Weile die Klappe haltet, schenke ich euch demnächst vielleicht noch so eine Gehirnausbeulung vorn. Damit könnt ihr so nützliche Dinge erfinden wie das Handy und Facebook«, drohte sie und wandte sich mit Grausen ab.

Tja – und jetzt haben wir den Salat.

Schwierig oder nicht?
Das sagt die Wissenschaft.

Mythen sind wie Märchen – sie sind wahr und unwahr zugleich. Man darf ihren Inhalt also nicht mit einer Tatsachenbeschreibung verwechseln. Dennoch sagen sie oft mehr über den Homo sapiens aus als Zahlen und Daten, denn sie arbeiten menschliche Urängste erzählerisch auf.

Aber natürlich soll es hier auch um knallharte Fakten gehen. Was also weiß die Wissenschaft über die Spezies Schwiegermutter?

Etymologie

Fangen wir bei der Bezeichnung an. Viele glauben, der Begriff »Schwiegermutter« habe dieselben Wurzeln wie das Wort »schwierig«. Das erscheint auf den ersten Blick plausibel, ist aber in Wahrheit nicht der Fall. Das Wort »schwierig« kommt von »schwer« und dieser Begriff geht nach Meinung von Experten auf das althochdeutsche »sueran« zurück, was »Schmerz empfinden« bedeutet. Diesen Wortstamm findet man zum Beispiel heute noch in dem Wort »Geschwür«.

Passt doch zur Schwiegermutter, könnten manche jetzt denken, aber tatsächlich lässt sich diese Wortverwandtschaft nicht belegen. Beide Teile des Begriffs »Schwiegermutter« sind nämlich älter als »sueran«. »Mutter« ist ein uraltes Wort mit indogermanischen Wurzeln und mit »Swigar« bezeichnete man schon sehr früh die Mutter des Ehepartners. Der Schwiegervater hieß damals übrigens »Sweher« und das »swig« ­beziehungsweise »sweh« in diesen beiden Wörtern bedeu­tete schlicht und ergreifend »durch Heirat verbunden«.

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Das lässt vielleicht darauf schließen, dass man der »Schwieger« lange Zeit keine mütterlichen ­Gefühle zuschrieb.

Interessant ist, dass die beiden Wortteile »Schwieger« und »Mutter« erst im 16. Jahrhundert zusammengesetzt wurden, also vergleichsweise spät in der Geschichte unserer Sprache. Das lässt vielleicht darauf schließen, dass man der »Schwieger« lange Zeit keine mütterlichen Gefühle zuschrieb. Möglicherweise standen bei der »Verbindung durch Heirat« eher rechtliche Aspekte im Vordergrund. Einen Hinweis darauf gibt das englische Wort für Schwiegermutter, »mother-in-law«. Es betont, dass die Schwiegermutter damals vor dem Gesetz der leiblichen Mutter gleichgestellt war.

Die Franzosen sind, im Gegensatz zu den nüchternen Engländern, geradezu poetisch, wenn es um ihre Schwiegermütter geht. In Frankreich heißen sie »belle-mère«, also »schöne Mutter«, und die Schwiegertochter nennt man dort »belle-fille«, »schönes Mädchen«.

Verbessert diese positive Wortwahl die verwandtschaftlichen Beziehungen? Darüber gibt es keine Studien. Aber vielleicht kann ein Blick auf die Statistik zeigen, ob sie Einfluss auf die Zahl der Eheschließungen in den beiden Ländern hat. Lassen sich französische Liebespaare von den klangvollen Namen blenden? Heiraten sie unbeschwerter als englische Lover?

Die Zahlen zeigen: Das Gegenteil ist der Fall. Im Ranking der Eheschließungen liegt Großbritannien vor Frankreich. Es gibt also keinen Zusammenhang zwischen Wortwahl und Heiratsquote. Daher muss es auch nicht beunruhigen, dass viele Deutsche ihrer Schwiegermutter gern unfreundliche Zweitnamen verpassen: Schwiemu, Schwiegertiger, Schwiegermonster, Schwiegerdrache oder sogar Frau Hölle.

Biologie

Die Wortherkunft verrät also nichts über das wahre Wesen der Schwiegermutter. Ist ein Blick ins Tierreich hilfreicher? Leider nicht, denn die meisten Tiere fallen als Vergleichsobjekt von vornherein aus.

Beispiel Schildkröte: Wenn man seine Eier irgendwo im Sand vergräbt und danach einfach abhaut, hat das unter ­anderem die Konsequenz, dass man nicht weiß, wer von dem ganzen Nachwuchs, der sich da am Strand tummelt, der ­eigene ist. Und natürlich kennt man dann auch seine Schwiegerkinder nicht.

Man sollte Schildkröten wegen dieses Verhaltens übrigens nicht vorschnell verurteilen. Viele legen um die zweihundert Eier, da kann man schon verstehen, dass sie ihren Elternpflichten nur ungern nachgehen. Außerdem verzehren Schildkröten auch immer mal wieder ein Jungtier. Es speist sich sicher unbeschwerter, wenn man nicht lange über den Verwandtschaftsgrad nachdenkt.

Aber selbst wenn sich Tiereltern aufopfernd um ihren Nachwuchs kümmern, wie zum Beispiel die meisten Vogelpaare, ist es bei ihnen doch üblich, dass Eltern und Kinder sich nach der Aufzuchtphase aus den Augen gehen oder fliegen. Denn spätestens im nächsten Jahr kommt meist eine neue Generation zur Welt und die pflanzt sich nach kurzer Zeit selbst fort. Alt- und Jungtiere haben dann vor allem die Brutpflege im Kopf, die Pflege verwandtschaftlicher Beziehungen ist für sie unwichtig.

Diese beiden Beispiele aus dem Tierreich verdeutlichen drei ganz grundlegende Unterschiede zwischen dem Homo sapiens und den meisten anderen Tieren: Da ist einmal die ­Sache mit der Jungenaufzucht. Kaum ein anderes Tier bringt im Laufe seines Lebens so wenige Nachkommen zur Welt wie der Mensch. Zweitens: Kaum ein anderes Tier braucht für die Aufzucht so lange. Und drittens gibt es für die Weibchen fast aller Tierarten kein Leben nach der Kinderphase. Tiere kennen nämlich keine Wechseljahre. Sie bekommen Nachwuchs, bis sie dafür zu schwach sind, und dann sterben sie in der Regel bald. Da bleibt keine Zeit, sich um die Partner des Nachwuchses und möglicherweise auch noch um deren Kinder zu kümmern. Deswegen sind auch Großmütter im Tierreich nahezu unbekannt. Nur bei wenigen Arten – Walen, in Gefangenschaft gehaltenen Schimpansen und Elefanten – konnte man bisher beobachten, dass sich ältere Weibchen um die Betreuung von Jungtieren kümmern, die nicht ihre ­eigenen sind.

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Bei diesen Menschenaffen, die eng mit uns verwandt sind, nehmen die Männchen zur »Brautschau« gern ihre Mutter mit. Deren Anwesenheit verbessert nämlich den Sexerfolg der Söhne gravierend.

Gibt es Schwiegermütter also wirklich nur bei den Menschen? Oder ist da vielleicht einiges noch unerforscht?

Dafür könnte eine neuere Beobachtung an Bonobos sprechen: Bei diesen Menschenaffen, die eng mit uns verwandt sind, nehmen die Männchen zur »Brautschau« gern ihre Mutter mit. Deren Anwesenheit verbessert nämlich den Sexerfolg der Söhne gravierend. Je höher der Rang der Mama, desto mehr Sex hat der Filius. Aber Achtung, lieber nicht ­nachmachen: Es gibt keine Studien darüber, ob das beim Homo sapiens ebenfalls funktioniert.

Ethnologie

Weil das menschliche Jungtier extrem lang für seinen Reifeprozess benötigt, entwickelten Wissenschaftler die sogenannte »Großmutter-Hypothese«. Danach bringen Omas ihrer Familie evolutionär betrachtet enorme Vorteile. Bei ­einer so langen Aufzuchtphase kann den Eltern schließlich viel passieren und da kann es lebensrettend für den Nachwuchs sein, wenn im Falle eines Falles ein erfahrenes Weibchen zur Brutpflege bereitsteht. Forscher beobachteten etwa beim ­Jäger- und Sammlervolk der Hadza in Tansania, wie Großmütter jungen Müttern das Leben erleichterten und sie bei der Nahrungsbeschaffung entlasteten. Die Kinder der Frauen, die so unterstützt wurden, waren größer, schwerer und überlebensfähiger als die Kinder von Müttern, die diese familiäre Hilfe nicht hatten.

Es gibt allerdings auch Studien, die diese Theorie ein Stück weit einschränken, zum Beispiel diese: Evolutionsbiologen haben 2003 ostfriesische Kirchenbücher analysiert, in denen Geburten aus dem 18. und 19. Jahrhundert dokumentiert sind. Hier zeigte sich, dass die Anwesenheit einer Großmutter nur dann positive Auswirkungen auf den Nachwuchs hatte, wenn es sich dabei um die Mutter der Mutter handelte. Lebte hingegen die Mutter des Vaters im selben Haushalt, sank die Überlebensrate ihrer Kinder. Warum das so ist, dafür haben die Wissenschaftler noch keine schlüssige Erklärung gefunden.

Psychologie

Psychologen kennen viele Gründe für die gegenseitige Abneigung von Schwiegermüttern und Schwiegerkindern. Früher war es vor allem das oft schlechte Verhältnis zwischen Schwiegersohn und Schwiegermutter, das im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Betrachtungen stand. In Anlehnung an Freud vermutete man, dass das Altern der Schwiegermutter den Mann an das Altern der eigenen Frau erinnern würde.

Heute stehen Konflikte zwischen Schwiegermüttern und Schwiegertöchtern im Vordergrund, vermutlich auch, weil sie ein beliebtes Thema in Frauenzeitschriften darstellen. Als Ursachen nennen Psychologen Neidgefühle, die ihre Wurzeln in mangelndem Selbstwertgefühl auf einer oder auf beiden Seiten haben. Auch unterschiedliche Familien- und Rollenvorstellungen können Fremdheitsgefühle entstehen lassen, ebenso Generationenkonflikte und Trennungsschmerz.

Wenn man das alles liest, könnte man meinen, dass ­zwischen Schwiegermüttern und ihren Schwiegerkindern fast ausnahmslos Krieg herrscht. Aber das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Eine Studie an der Fernuniversität Hagen zeigte, dass Schwiegermütter viel besser sind als ihr Ruf. Und auch Umfragen haben in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen, dass die Hälfte bis zwei Drittel der Befragten mit ihrer Schwiegermutter ganz zufrieden sind.