Simon Peng-Keller

Vignette

Rituale
für den
Feierabend

KREUZ-Logo

Impressum

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: agentur IDee

Umschlagmotiv: © shutterstock

Innengestaltung: agentur Idee

ISBN (E-Book) 978-3-451-80027-6

ISBN (Buch) 978-3-451-61215-2

Inhalt

I. Wozu Abendrituale?

II. Vom Geheimnis stärkender Rituale

III. Rituale der Heimkehr

IV. Rituale des Feierabends

V. Rituale der Nachtruhe

I.
Wozu Abendrituale?

Vignette

Schlaflos, unruhig und arbeitsbesessen sind Menschen nicht erst heute. Schon frühere Generationen kämpften mit diesen Zivilisationskrank- heiten. Dennoch: Schlaflosigkeit und innere Unruhe werden heute zusätzlich genährt. Gesellschaftliche und technologische Entwicklungen relativieren den Rhythmus von Tag und Nacht, von Arbeit und Ruhe. Wer ständig aktiviert ist und es verlernt hat abzuschalten, droht auszubrennen. Die Beschleunigungstendenzen unserer Gesellschaft machen gute Abendrituale dringlich: Rituale, die helfen, uns nach einem gefüllten Tag zu verlangsamen und in eine auf uns abgestimmte Work-Life-Balance zu finden.

Rituale sind wichtig, weil der Abend eine anspruchsvolle Übergangszeit ist. Elementare Empfindungen und Bedürfnisse treffen hier aufeinander: Müdigkeit und Hunger, Anspannung und der Wunsch nach Erholung, die Sehnsucht nach intensivem Leben und das Bedürfnis nach Schlaf.

Rituale können dazu beitragen, Belastendes loszulassen, uns zu ordnen und neu zu orientieren. Es wohnt ihnen eine eigentümliche Kraft inne. Doch können sie sich auch abnützen oder erstarren. Sie bedürfen des achtsamen Vollzugs und der spielerischen Kreativität, um elastisch zu bleiben und lebensförderlich zu wirken. Wie ein Kunsthandwerk, das seine kreative Kraft nur dann verströmt, wenn es mit Enthusiasmus und Freude ausgeübt wird.

Die folgenden Seiten sprechen eine zweifache Einladung aus: zum einen die Rituale, die unseren Alltag bereits prägen, bewusster wahrzunehmen und achtsamer zu vollziehen; zum anderen überlebte Rituale loszulassen und passendere zu suchen.

Eine Vielfalt von rituellen Formen kann unseren Feierabend positiv prägen: Familienrituale, Paarrituale, Vereinsrituale und andere mehr. Dieses Buch fokussiert solche Rituale, die wir alleine vollziehen. Sie betreffen uns alle, in welcher Lebenslage wir uns auch befinden. Bewusst vollzogene Rituale geben dem Abend eine besondere Färbung. Sie schaffen Abstand zum Arbeitsalltag und öffnen uns nicht zuletzt für die spirituelle Tiefendimension unseres Lebens.

Der Abend ist die Schwelle zwischen Tag und Nacht. Abendrituale helfen, diese Schwelle achtsam zu überschreiten. Die Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten lässt sich in drei Phasen einteilen:

Jede Phase hat ihre eigenen Rituale. Ich behandle sie deshalb in drei Hauptabschnitten nacheinander. Um dafür ein gutes Fundament zu haben, gehe ich zuvor dem Geheimnis stärkender Rituale nach. Es kann in allen beschriebenen Rituale gefunden werden.

II.
Vom Geheimnis stärkender Rituale

Vignette

Wer dieses Büchlein über Abendrituale in der Hand hält, bringt, so vermute ich, bereits vielfältige Erfahrungen mit. An diese Erfahrungen möchten die folgenden Gedanken und Impulse anknüpfen. Vielleicht müssen diese Erfahrungen zuerst ins Bewusstsein geholt werden. Viele Alltagsrituale vollziehen wir unbewusst. Manche Rituale, die uns in einer bestimmten Phase unseres Lebens wichtig waren, haben wir vergessen. Wir tragen Erfahrungsschätze in uns, die wir uns bewusst machen und aus verborgenen Tiefen heben können. Sie bilden die Grundlage für verheißungsvolle Entwicklungen. Doch worin liegt das Geheimnis von Alltagsritualen?

Woher stammt ihre besondere Kraft? Welchen Sinn hat es, neue Rituale zu suchen und sie im eigenen Leben zu verankern? Angesichts der Tatsache, dass viele Lebensabläufe bereits stark ritualisiert sind, stellt sich auch die Frage, ob wir uns nicht eher um eine Entritualisierung unseres Lebens als um den Aufbau von neuen Ritualen bemühen sollten.

Eines ist sicher: Um die stärkende Kraft von Ritualen zu entdecken und bewusst zu nutzen, müssen wir uns über Sinn und Grenzen von Alltagsritualen Klarheit verschaffen.

Alltagsrituale

Gute Gewohnheiten sind, so meinte der Philosoph Arnold Gehlen einmal, Muskeln der Seele. Sie geben ihr Spannkraft und Elastizität. Um sie auszubilden, braucht es Rituale, und zwar solche, die fest in unserem Alltag verankert sind. Alltagsrituale vermissen wir, wenn wir sie vergessen oder verhindert sind.

Alle Rituale leben von einem klaren Ablauf und von der Wiederholung. Sie sind symbolische Handlungen, in denen sich Lebenszeit verdichtet. Sie zeichnen sich durch einen klaren Rahmen aus: räumlich und zeitlich. In religiösen Ritualen werden Anfang und Ende oft mit einer Glocke markiert und der Raum durch Kerzen und symbolische Gegenstände gestaltet.

Rituale kennen unterschiedliche Formen des Beteiligtseins. Manchmal sind wir es, die ein Ritual aktiv vollziehen. In bedeutsamen Momenten wird ein Ritual an uns vollzogen. So etwa bei der Taufe und bei Geburtstags- oder Abschiedsfeiern: Wir werden getauft, gefeiert und verabschiedet. Gewichtige Rituale stellen den Empfänger oder die Empfängerin ins Zentrum. Sie erinnern auf diese Weise daran, dass das Wesentlichste im Leben Gabe ist.

Viele Rituale symbolisieren Geschenkhaftes. Sie wollen aus dem Geist der Gabe vollzogen werden und werden so selbst zum Geschenk.

Inspirierende Erfahrungen