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Buchinfo

In der Schloss-Schule ist einiges los. Prüfungsarbeiten verschwinden aus dem Tresor, ein Fahrrad wird geklaut, im Gewölbekeller spukt es … Und nachdem dann auch noch überall verdächtige Büroklammern auftauchen, steht für die unzertrennlichen Freundinnen Simone und Sina fest: Wir müssen handeln! Als Ermittlerteam SiSi stürzen sie sich Hals über Kopf in die Detektivarbeit …

Autorenvita

Zimmermann Irene

© privat

Irene Zimmermann lebt in Baden-Baden und ist seit den neunziger Jahren erfolgreich auf dem Kinder- und Jugendbuchmarkt vertreten, zuerst mit Kinderkrimis, dann in der Kultserie "Freche Mädchen – freche Bücher!", in der sie diverse Bestseller schrieb. Viele ihrer Bücher wurden übersetzt, u.a. ins Türkische, Italienische und Chinesische, insgesamt in 14 Sprachen.

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 Irene Zimmermann – SiSi – und die Spur der grünen Büroklammer – Planet Girl

Fahl scheint der Mond. Zwölf Glockenschläge dröhnen dumpf durch die Nacht, verhallen über der Stadt.

Die Gestalt, die geduckt an der niedrigen Mauer entlang schleicht, hält plötzlich inne, lauscht, presst sich tief in die angrenzende Buchenhecke, als die Scheinwerfer eines Autos die Straße für Sekunden hell erleuchten. Kurze Zeit später löst sich die Gestalt wieder aus der Dunkelheit, huscht über die Straße, in den Hof. Sie zögert, umrundet dann aber das weitläufige Gebäude, bis sie schließlich vor dem Hintereingang steht. Vorsichtig öffnet sie die schwere Holztür einen Spaltbreit, verharrt erneut, lauscht angestrengt … Doch außer dem klagenden Schrei eines Käuzchens ist nichts zu hören. Ein lautloses Lachen verzieht das geschwärzte Gesicht. Alles ist so, wie besprochen.

Der blasse Mond taucht Hof und Gebäude in unwirkliches Licht. Leise fällt die Tür ins Schloss. Niemand ist mehr zu sehen.

1

»Und?«

Siebzehn Augenpaare starren mich erwartungsvoll an, als ich ins Klassenzimmer stürme. Na ja, genau genommen sind es nur fünfzehn, denn Timo und Alessandro in der letzten Reihe hängen mal wieder über ihren Smartphones und werden wohl frühestens in der nächsten Pause mitkriegen, dass die Prüfungsergebnisse schon vorliegen. Mit Schwung schließe ich die Tür hinter mir.

»Lass sofort hören!«, ruft Sina mir entgegen.

Sie ist meine beste Freundin und trägt, wie die meisten von uns, ein knallrotes T-Shirt mit der Silhouette eines Schlösschens und dem Aufdruck Schloss-Schule.

»Bitte, Simone, jetzt red doch endlich!«

Am liebsten würde ich es ja noch ein bisschen spannender machen. Aber gleich läutet es zur ersten Stunde und die Darling ist immer auf die Minute pünktlich. Die Darling heißt eigentlich Renate Schulze-Emmerling und ist unsere Englischlehrerin. Wir haben ihr den Spitznamen Darling verpasst, weil sie sämtliche Schüler der Schloss-Schule so nennt. Sie gehört nämlich zu den Lehrern, die sich keine Namen merken können.

Also, die Darling könnte jeden Moment aufkreuzen und deshalb sollte ich mich besser kurz fassen. Aber dann schwinge ich mich doch erst mal lässig aufs Pult, lasse die Beine baumeln und ziehe ein Gesicht, als hätte ich vergessen, was ich eigentlich sagen wollte. Und sofort protestieren einige sehr laut.

»Okay, okay!« Ich hole aus meinem Rucksack ein zusammengefaltetes Blatt und auf der Stelle wird es im Klassenzimmer mucksmäuschenstill. Sogar unsere Technikfreaks sind vorübergehend wieder in der Wirklichkeit angekommen, denn Alessandro schüttelt bloß den Kopf, als Timo ihm sein Smartphone vor die Nase hält, und schaut mich neugierig an. Im Zeitlupentempo falte ich den Zettel auf.

»In meiner Eigenschaft als stellvertretende Schulsprecherin der Schloss-Schule kann ich euch Folgendes mitteilen …« Ich räuspere mich und zwinkere Sina zu, die es anscheinend kaum noch aushält vor lauter Spannung.

»Simone …«, fleht sie.

Ich räuspere mich erneut. »Ehm, tut mir leid, ich hab gerade den Faden verloren.« Triumphierend reiße ich dann die Arme hoch und rufe: »Ja! Wir haben es geschafft! We are the champions!«

Cem und Dicky-Daniel stehen da bereits auf ihrer Bank und klatschen einander ab. Sina kommt auf mich zu, fällt mir überglücklich um den Hals und die ganze Klasse grölt: »We are the champions!«, so als ob wir die Weltmeisterschaft gewonnen hätten.

Bis auf einmal ein schriller Pfiff ertönt. Fabio!

»Eh, woher weißt du das überhaupt?«, meckert er rum. »Kannst du das irgendwie beweisen?«

»Du bist ein echter Vollpfosten!«, brüllt Jan.

Damit meint er natürlich Fabio. Hätte ich mir auch denken können, dass der mal wieder grätschen muss. Scheint in letzter Zeit überhaupt seine Lieblingsbeschäftigung zu sein. Und immer gegen mich! Sina behauptet, das würde nur daher kommen, weil er in mich verliebt sei. Und Jungs könnten nicht zu ihren Gefühlen stehen und müssten sie deshalb anders zeigen. Das hat sie aus einem schlauen Buch, ändert aber auch nichts an der Tatsache, dass Fabio komplett unmöglich ist. Und überhaupt, wenn Liebe so aussieht, verzichte ich gern darauf.

»Also los, Simone, dann leg uns mal Beweise vor!« Fabios Stimme krächzt, als er das sagt. Ein paar Mädchen kichern und er kippelt nervös mit seinem Stuhl hin und her.

»Willst du die Punkte nachrechnen? Ist jetzt nicht dein Ernst?«, gebe ich ungläubig zurück.

Er läuft knallrot an und geht erst mal auf Tauchstation. Ist auch angebracht bei seinen Mathenoten, die echt unterirdisch sind. Ich schnappe mir ein Stück Kreide und schreibe mit sehr großen Buchstaben an die Tafel:

Wir haben 6820 von 7000 möglichen Punkten

»Ist aber nur die vorläufige Punktzahl!«, rufe ich, während ich die Zahlen mit roter Kreide umkringle. »Für diejenigen, die es ganz genau wissen wollen: Die Zahl stammt von Herrn Bossert. Und unser Schulleiter wird es ja wohl wissen, oder?« Das geht in Fabios Richtung, doch von ihm kommt natürlich mal wieder null Reaktion. Von mir aus. »Wir sollen die Punktzahl aber noch für uns behalten, hat er gesagt«, füge ich hinzu. »Was ich euch gerade verraten habe, ist nämlich inoffiziell und es gibt noch eine Zweitkorrektur.«

Dürfte aber kein Problem werden, denn immerhin sieht man nach der Erstkorrektur schon eindeutig, dass wir im Klassenwettbewerb unserer Stadt einen der vorderen Plätze belegen. Zumindest war der Bossert gestern Abend am Telefon völlig aus dem Häuschen. Vor Begeisterung, versteht sich. Was auch kein Wunder ist, immerhin geht es darum, welche der sieben Schulen in der Stadt in den nächsten Jahren geschlossen werden. Unsere Schule ist es jedenfalls nicht; so viel steht schon mal fest.

»Puh!«, kichert Sina, als ich mich wieder setze. »Du, ich hab heute Nacht geträumt, wir hätten alle total miese Arbeiten abgegeben und würden auf verschiedene Schulen verteilt. Du in die Goetheschule und mich wollten sie in die Einstein stecken. Ich krieg jetzt noch ’ne Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Äh … Sag mal, hast du ’ne Ahnung, warum Frau Schulze-Emmerling noch nicht da ist? Es ist nämlich schon zehn nach acht.«

Ich verkneife mir ein Grinsen. Typisch Sina! Sie ist die Einzige in der Klasse, die Frau Schulze-Emmerling sagt. Und außer ihr ist bestimmt auch noch niemandem aufgefallen, dass die Darling heute Verspätung hat. Wobei das allerdings etwas ist, was wir problemlos verkraften.

Linda ist mittlerweile nach vorn getänzelt. Sie ist die Älteste von uns (Kunststück, wenn man die Klasse wiederholt) und kennt nur ein Thema …

Sina stößt mich an, ich nicke. »Party«, flüstern wir dann gleichzeitig.

»Party!«, ruft Linda und schnalzt mit den Fingern. »Leute, das schreit doch nach einer irren Party!«

»Grillen!«, johlen ein paar von den Jungs. »Wir wollen aber grillen!«

Sie tippt sich an die Stirn und schreibt an die Tafel

Klassenparty! Klassenparty! Klassenparty!

»Grillen ist doch öde«, behauptet sie. »Ich stell mir da was total Abgefahrenes vor, mit Musik und so … Lasst euch mal was Geniales einfallen und dann wird abgestimmt.«

Doch dazu ist es bereits zu spät; die Darling kommt ins Klassenzimmer gehumpelt. Seit Wochen läuft sie mit Krücken. Angeblich hat sie sich beim Tangotanzen verletzt.

»Ist bloß, weil wir ’ne Party machen«, erklärt Linda, weil die Darling mit ihrer Krücke irritiert auf das Gekrakel an der Tafel deutet. »Sie als unsere Klassenlehrerin sind natürlich auch eingeladen. Vielleicht können Sie bis dahin ja wieder tanzen.«

»Eh, ist doch noch gar nichts entschieden!«, protestiert Daniel. »Wir wollen grillen!«

Linda schneidet eine Grimasse, genauer gesagt, sie fletscht hinter dem Rücken von der Darling die Zähne und zielt mit dem Kreidestummel in Richtung Daniel.

»Lass das, Darling!«

Trotz ihrer Krücken hat sich die Schulze-Emmerling blitzartig zu Linda umgedreht, deren Zähnefletschen daraufhin in ein verlegenes Grinsen übergeht. Pech nur, dass die Kreide schon unterwegs ist (und dazu noch auf einer Flugbahn, die so bestimmt nicht vorgesehen war), haarscharf an der Darling vorbeizischt und dann nicht Daniel trifft, sondern Fabio. Finde ich aber auch nicht übel.

»Lass den Quatsch und geh auf deinen Platz! Außerdem …« Die Darling verstummt und setzt sich erst mal. »Ich muss euch etwas mitteilen. Bedauerlicherweise keine sehr angenehme Sache. Ich hätte uns das liebend gern erspart.«

Bei so einer Ankündigung zuckt ja wohl jeder zusammen und geht mal schnell die letzten Tage durch. Mir fällt prompt ein, dass ich neulich in der Mittagspause die Darling und den Neubauer, unseren Mathelehrer, nachgemacht habe. War ’ne super Vorstellung, alle haben sich schlapp gelacht. Ungünstig nur, falls einer von den Lehrern das womöglich mitgekriegt hat. Ich meine, wer hat schon Lust, sich selber zuzuhören? Vor allem, wenn jemand ständig ›quasi‹ sagt wie der Neubauer. Aber das ist doch noch lange kein Grund, so ein Gesicht zu ziehen wie die Darling, die jetzt wirklich aussieht, als würde gleich die Welt untergehen.

Ihre Stimme klingt tonlos, als sie fortfährt: »Ich weiß doch, wie viel Mühe ihr euch bei den Prüfungen letzte Woche gegeben habt. Ihr habt euch wochenlang vorbereitet, seid freiwillig an so vielen Nachmittagen in die Schule gekommen, wenn noch irgendwo Lücken waren. Und jetzt diese Katastrophe.«

Katastrophe …? Welche Katastrophe? Plötzlich schauen alle zu mir her. Sina flüstert mir fassungslos zu: »Aber du hast doch behauptet, wir hätten …«

»Natürlich haben wir! Der Bossert hat es mir am Telefon gesagt!«, gebe ich zurück. Aber jetzt bin ich gewaltig verunsichert. Ich kann das nicht geträumt haben, nein, auf gar keinen Fall. Ich weiß genau, ich habe mit ihm gesprochen. So ein Telefonat kann man sich doch nicht einbilden.

»Vielleicht beruhigt es euch, zu erfahren, dass die Polizei bereits eingeschaltet ist«, sagt die Darling.

Wie bitte? Polizei? Was hat denn die Polizei mit unserer Prüfung zu tun?

Endlich scheint die Darling mitbekommen zu haben, dass sie sich vielleicht klarer ausdrücken sollte, denn sie seufzt. »Entschuldigt, aber seit einer halben Stunde bin ich völlig durcheinander. Also, von vorne. Ihr habt hervorragend abgeschnitten bei den Vergleichstests mit den anderen Schulen. Die Erstkorrektur hat 6820 Punkte ergeben. Damit würdet ihr mit Sicherheit auf einem der ersten drei Plätze liegen. Welche Konsequenzen sehr positiver Art das hätte, brauche ich nicht nochmals zu erläutern. Wir alle haben gewusst, es geht um das Weiterbestehen unserer Schule. Womit allerdings niemand rechnen konnte: Heute Nacht wurde eingebrochen. Alle Prüfungsarbeiten lagen im Tresor, wie es Vorschrift ist. Aber unglücklicherweise konnte der Tresor mal wieder nicht abgeschlossen werden. Ein dummer technischer Defekt, der in unregelmäßigen Abständen auftritt und den keine Wartungsfirma bis jetzt beheben konnte.«

»Aber kein Mensch klaut Prüfungsarbeiten!«, protestiert Cem und alle pflichten ihm bei. »So blöd kann wirklich keiner sein!«

Die Darling kriegt jetzt immerhin schon wieder ein kleines Lächeln hin. »Nein, normalerweise klaut niemand Prüfungsarbeiten«, gibt sie zu. »Der Einbrecher hatte es bestimmt auf Geld oder Wertgegenstände abgesehen.«

Tonia kreischt auf. »Und was ist mit dem Geld für unsere Klassenfahrt? Sagen Sie jetzt bloß nicht, dass das auch weg ist. Na klar, ist doch logisch! Oh Mist!«

Ein Aufstöhnen geht durch die Klasse. Was aber auch kein Wunder ist. Wir haben uns schließlich die letzten Monate gewaltig angestrengt, um unsere Klassenkasse zu füllen. Fast alle haben bei unserer Theater-AG mitgemacht, zehn Vorstellungen gab es und 980 Euro sind zusammengekommen, für unsere Klassenfahrt. Die können wir jetzt wohl vergessen, denn die Darling zieht schon wieder ein total bekümmertes Gesicht.

»Der Verlust des Geldes wäre zwar ärgerlich, aber in diesem Fall nicht gar so tragisch. Nein, ihr könnt beruhigt sein, ich habe es längst zur Bank gebracht. Was vielleicht sogar ein Fehler war. Hätte der Einbrecher Geld erbeutet, so würden die Arbeiten wahrscheinlich noch im Tresor liegen. Vermutlich hat er sie nur aus lauter Wut mitgenommen. Und leider sind sie nicht so leicht zu ersetzen«, meint sie, während sie im Klassenbuch einträgt, wer an diesem Vormittag fehlt. »Bedauerlicherweise ist die Polizei auch noch keinen Schritt weiter.«

Helen meldet sich. »Gibt es vielleicht irgendwelche Lösegeldforderungen?«

»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass unsere Arbeiten entführt wurden?«, ruft Linda und verdreht die Augen. »Auf so eine Idee kommt nur ein Verrückter oder …«

»Klar, so was gibt es!«, unterbricht Helen sie. »Im Ernst, ich hab mal gelesen, dass eine Perserkatze entführt wurde und gegen ein Lösegeld von einer Million …«

»Ha, ha, ha! Eine Million für meine Mathearbeit!«, grölt Fabio und trommelt sich mit beiden Fäusten gegen die Brust. »Da kommt bestimmt ’ne fette Lösegeldforderung!«

»Darling, nichts gegen deine Mathearbeit«, säuselt die Schulze-Emmerling und muss grinsen, »aber an eine Lösegeldforderung glaube ich eher nicht. Ich fürchte, als dem Dieb klar wurde, was er da in der Hand hält, hat er die Arbeiten prompt im nächsten Mülleimer entsorgt.«

»Und das, wo ich endlich mal einen richtig tollen Aufsatz geschrieben habe!«, ruft Cem. Er hat den Kopf auf die Hände gestützt und klingt ziemlich frustriert. »Ich hab mir so viel Mühe gegeben, dass es hinhaut! Ehrlich, Leute, wenn ihr mich fragt: Ich finde das alles echt beschissen!«

»Sagt man zwar nicht«, meint die Darling, »aber du hast leider recht. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder findet man den Einbrecher und er zeigt uns freundlicherweise, wo er die Arbeiten gelassen hat, oder wir müssen die Prüfung nochmals schreiben. Da die erste Möglichkeit höchst unwahrscheinlich ist – die Polizei macht uns absolut keine Hoffnungen –, bleibt vermutlich nichts anderes übrig, als uns nochmals auf die Prüfungen zu stürzen. Ladies and gentlemen! Bitte keinen verfrühten Optimismus, es gibt auf jeden Fall neue Aufgaben und meistens sind die nicht unbedingt einfacher.«

Der Lärm, der dieser Ankündigung folgt, ist noch um einiges heftiger als unser Jubel vorhin. Natürlich sind wir alle empört. Und wie! Aber Aufregen nützt nichts. Ich melde mich und schlage vor, dass wir schon mal alle Papierkörbe in der Schule durchsuchen sollten.

»Darling, das ist verlorene Zeit. Wir fangen besser mit einer kurzen Wiederholung an, ein paar Minuten haben wir ja noch. Grammatikheft, Seite 68, Thema Zeitenbildung.« Sie lächelt mich an. »Darling, it’s your turn! Würdest du uns bitte verraten, in welchen Fällen wir das Present Perfect verwenden?«

Ich zucke zusammen. Present Perfect …? Ist im Moment leider nicht auf meinem Radar. Aber mit Sinas Hilfe kriege ich schließlich eine Antwort hin, die man so ungefähr gelten lassen kann.

»Ich fass es nicht!«, stöhnt Linda auf und wirkt dabei, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. »Alles noch mal lernen?«

Mir geht es ähnlich. Ich glaube auch kaum, dass wir ein weiteres Mal so gut abschneiden werden. Denn mal ehrlich, wir haben uns den Stoff für die Prüfung ja nur so reingepaukt und inzwischen den größten Teil längst wieder vergessen, Sina mal ausgenommen. Sie ist die Einzige, die sich wirklich alles merken kann. Bei mir jedenfalls ist die Zeitenbildung schon wieder sonst wohin verschwunden. Allerdings nicht nur die, sondern auch mein Grammatikheft, wie ich gerade feststelle. Unter den missbilligenden Blicken der Darling wühle ich in meinem Rucksack herum.

»Hier«, flüstert Sina und schiebt ihr Grammatikheft in die Bankmitte.

»Aber irgendwo muss es sein«, flüstere ich zurück. »Heute Morgen habe ich es noch gesehen. Ganz bestimmt.«

Als die Darling zur Tafel humpelt, um ein paar besonders schwierige Übungssätze anzuschreiben, durchforste ich meinen Rucksack ein zweites Mal. Ich stoße auf einen zerdrückten Schokoriegel und den Spitzer, den ich seit Tagen vermisse, aber das Grammatikheft bleibt verschwunden.

»Simone«, flüstert jemand.

Ich schaue hoch. Linda, die sich wieder so einigermaßen beruhigt hat, deutet mit dem Lineal in Richtung Tür, wo Fabio feixend in der dritten Reihe sitzt und sich mit einem knallgelb eingebundenen Heft Luft zufächelt. Das kann nur mein Grammatikheft sein! Am liebsten würde ich aufspringen und es ihm aus der Hand reißen, aber Sina flüstert mir warnend zu: »Darauf wartet er doch bloß.«

Ph, mache ich, aber nur innerlich, und drehe den Kopf zum Fenster. Viel gibt es draußen nicht zu sehen. Der Schulhof ist um diese Zeit leer, wenn man mal vom Hausmeister absieht, Herrn Wojciechowski. (Sina und ich gehören übrigens zu den wenigen, die seinen Namen unfallfrei aussprechen können.) Er sitzt auf einem Hocker und streicht den Fahrradständer neu.

»Eh, Simone!«, zischt Fabio.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er immer noch mein Grammatikheft herumschwenkt. Ich reagiere einfach nicht. Ich finde, man müsste ihm einen Denkzettel verpassen, damit er endlich merkt, wie bescheuert er ist. Und ich glaube, ich habe da auch schon eine geniale Idee.

2

Eigentlich hätten wir an diesem Montag bis zur sechsten Stunde. Eigentlich. Aber an diesem Tag ist nichts wie sonst: Alle Lehrer kommen zu spät in die Klasse und an Unterricht ist überhaupt nicht zu denken. Stattdessen reden wir uns die Köpfe heiß über den Einbruch. Ohne Ergebnis, wie man sich vorstellen kann. Die beiden letzten Stunden bekommen wir frei, wegen einer Konferenz mit der Polizei, wenn ich die Durchsage richtig verstanden habe.

Eine Weile noch stehen wir auf dem Pausenhof herum, wo inzwischen die wildesten Gerüchte umherschwirren. Kein Wunder, dass ich meinen Fabio-Denkzettelplan zwischendurch wieder vergesse. Erst als ich kurz nach zwölf mit Sina den Schlossberg hinunterrenne, erinnere ich mich daran. »Weißt du, was ich mir überlegt habe? Ich könnte Fabio …«

»Erzähl’s mir nachher. Vielleicht kriegen wir den Bus noch.«

Trotz eines Weltklassespurts fährt uns der Bus – mal wieder – vor der Nase weg.

»Straßenbahn?«, schlägt Sina vor. »Lass uns in die Fußgängerzone gehen. In drei Minuten fährt die nächste Bahn. Und zwar die Elf. Wir könnten aber auch die Vier nehmen, die müsste kurz vor halb fahren.«

»Dein Gedächtnis möchte ich haben«, seufze ich, als wir im Laufschritt in die Fußgängerzone einbiegen. Dass wir aber dann die Straßenbahn doch nicht erwischen, liegt an Sina. Sie bleibt plötzlich stehen und ruft erstaunt: »Eh, da ist doch dein Vater! Da vorne an der Buchhandlung!«

Ich bleibe ebenfalls stehen. Und könnte mich sonst wohin beißen! Warum habe ich das nur vergessen! Seit Tagen gibt es bei uns zu Hause kein wichtigeres Thema als diesen Fototermin in der Stadtbuchhandlung. Mein Vater hat nämlich einen neuen Krimi geschrieben. Jetzt wollen die Neustädter Nachrichten ein Interview mit ihm machen und natürlich auch Fotos, in der Buchhandlung, inmitten seiner Bücher. Meine Eltern finden, dass die ganze Familie auf dieses Foto gehört. Sie haben sogar ernsthaft darüber nachgedacht, dass ich dafür schulfrei kriegen sollte. Schulfrei finde ich prinzipiell zwar ganz in Ordnung, aber so ein Foto … Nein, lieber nicht.