Alois Theodor Sonnleitner


Die Höhlenkinder im Steinhaus



Dritter Band der "Höhlenkinder - Trilogie"

Impressum




Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-945667-90-3


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Neunundzwanzigstes Kapitel - Hans sucht sich eine Frau



An Eva war ein Wunder geschehen. Jetzt, wo es galt, den wiedergewonnenen, schwerkranken Mann gesund zu pflegen, riß ihr starker Wille den schwachen Körper vom Lager empor. Anfangs konnte sie nur auf kurze Zeit ihr Bett verlassen und verlangte dann von Hans bald dies, bald das, wovon sie glaubte, daß es dem Kranken wohltäte. Sie flößte ihm warme Milch ein und dampfende, würzige Kräutertränke. Immer wieder erneuerte sie die Wärmsteine, mit denen sie sein Lager heizte. Peter mußte schwitzen und wurde davon so schwach, daß er sein Lager nicht verlassen konnte. So lag er wochenlang. Bei den ersten Gehversuchen klagte er über Schmerzen in allen Gelenken. Er verriet dem Sohn, in welchem Winkel der Bärenhöhle er seinen Labetrunk verborgen hatte. Der würde ihn kräftigen und heilen. Auch Eva hoffte es. Da Peter aber Schmerzen in den Gelenken fühlte, gab sie ihm davon nichts zu trinken, sondern rieb ihrem Mann damit täglich die Gelenke ein. Schon nach einer Woche ließen die Schmerzen merklich nach.

Und weil Eva die Ursache des Übels der kalten Nacht auf der Klammhöhe zuschrieb, die dem Körper ihres Mannes zu viel Wärme entzogen hatte, wollte sie seinem Leib recht viel Wärme zukommen lassen. Heiße Bäder sollte er haben. Hans mußte die Waschkammer unter dem Laubengang in eine Badestube verwandeln, den Fußboden mit einem Lattenrost aus Lärchenholz belegen und alle Mauerfugen sorgfältig vermörteln. Neben Evas kleinem Waschtrog wurde ein größerer Badetrog aus gut verfalzten Lärchenbohlen aufgestellt. Die offene Feuerstelle wurde mit verkeilten Steinen überwölbt, die den Raum lange warmhalten sollten.

In das Badewasser kamen erhitzte Steine. Zischend und singend stiegen von den Heizsteinen die Dampfbläschen auf, und die Badestube füllte sich mit heißem Nebel, in dem Peter verweilen mußte, bis Hans die Heizsteine aus dem heißen Wasser entfernt hatte. Dann mußte der Kranke in die Wohnstube; dort wurde er trockengerieben, in Tücher gehüllt und ins Bett gesteckt. Einmal wöchentlich kam er ins heiße Bad; nachher war er jedesmal sehr matt und vor allem hungrig; er bekam kräftig zu essen, und anschließend schlief er lange und tief. Langsam setzte die Genesung ein.

Auch Eva erstarkte zusehends. Der Wunsch, den Mann und Vater ihres Sohnes wieder gesund zu sehen, zwang sie, ihre eigene Schwäche zu überwinden.

Noch ehe der Sommer verging, stand Eva wieder vor dem Kochherd und bereitete für Peter, wonach er Verlangen hatte: Brote, mit Speck belegt und auf Speck gebacken, in Teig gebratenes Selchfleisch, Forellen in zerlassener Butter, gesäuertes Kitzfleisch, würzige Gemüsesuppen, Eierfladen mit Heidelbeermus, Eicheltrank mit Milch und Honig in reicher Abwechslung, alle Tage ein Festessen, das gab Peter wieder Kräfte. Die beiden Genesenden verbrachten die wärmste Tageszeit im Sonnenschein auf dem "Gang", von dem aus sie die Gärten und Felder der Sonnleiten überschauen konnten, wo jetzt Hans allein alle Arbeit tat. Die Mutter ahnte wohl, welche Hoffnungen der Sohn für sich an die Genesung der Eltern knüpfte.

Bei aller Behendigkeit wäre Hans mit dem Absicheln des reifen Getreides nicht rechtzeitig fertig geworden; die Körner wären überreif auf dem Felde ausgefallen, hätte er sich die Arbeit nicht vereinfacht. Seine Rechte war vom Sicheln wie gelähmt. Er mußte ihr einen Ruhetag gönnen, im Hammerwerk. Dort brauchte er nur einen glühenden, gebogenen Eisenstab langsam unter den selbsttätigen Hammer nachzuschieben. Es entstand eine armlange Sichel mit dünngeklopfter Schneide. Dieses lange Grasmesser wollte er mit beiden Armen in weitem Schwung führen. Er schäftete es in ein gespaltenes Eichenstämmchen, an dem er zwei seitlich abstehende Aststummel als Handgriffe gelassen hatte. So vollkommen das neue Gerät aussah, erst mußten Schneide und Spitze sanft gebogen und dem Zweck angepaßt werden, wenn Hans aufrecht schreitend damit mähen sollte, ohne den Boden zu treffen.

Das neue Gerät bewährte sich gut. Von Zeit zu Zeit mußte er die Schneide mit einem feucht gehaltenen Splitter aus Quarzsandschiefer schärfen, eine geringe Mühe, denn der junge Mann wurde mit dem Getreideschnitt an einem Tag fertig, ohne nachher besonders müde zu sein.

Als Hans auf dem Bockskarren die ersten Getreidegarben eingeführt und sie auf dem glattgetretenen, sauber gekehrten Boden unter dem Laubengang ausgelegt hatte, kamen Vater und Mutter und halfen. Beim Dreschen zu dritt gab Hans den kräftigen Vorschlag, Peter und Eva folgten. Glücklich lächelten sie einander an: So fröhlich und gemeinsam hatten sie schon lange nicht mehr gearbeitet! Nach dem Dreschen holte Eva ihr größtes Sieb, Hans schaufelte die ausgedroschenen Körner hinein und rüttelte es, daß der sanfte Klammwind Spreu und winzige Unkrautsamen davontrug.

Als die Alpenrosen blühten und die Vogelmütter auf ihren Eiern saßen, erwachte in Hans unwiderstehlich die Sehnsucht nach der großen Welt. Halbfertig lag sein Schmalboot im Gras der ehemaligen Triftbucht; der See aber war verschwunden, sein Boden mit Huflattich, Pestwurz und Sauerampfer überwuchert, die aus angeschwemmten und angewehten Samen aufgegangen waren. Der Eingang zur Klamm war undurchdringlich mit Schwemmholz verlegt, durch das der Klammbach still seine ungezählten Arme sickern ließ; sie vereinigten sich in der Klamm wieder zur schäumenden Ache.

Eva verstand die Unrast ihres Sohnes. In stillen Dämmerstunden war sie seine Vertraute. Wie sie ihm einst Märchen erzählt hatte, so sagte sie ihm jetzt alles Ernste, was ihres Lebens Weisheit war, und verschwieg nichts. Sie wurde Hansens Anwalt beim Vater, alle seine Bedenken zerstreuend.

Sooft der Sohn auszog, den Weg in die Welt zu finden, bestand sie darauf, daß er sein bestes Gewand aus weichgewalktem Bockleder anzog. Sie schmückte seinen Hut aus Buchenschwamm mit Goldprimeln und füllte den Rucksack mit Wegzehrung für mehrere Tage.

Als er endlich den lange gesuchten Übergang gefunden hatte und wiederholt tagelang nicht nach Hause kam, betete Eva voll Zuversicht um die Erfüllung ihres heißen Wunsches.

Eines stillen Sommerabends saß sie, die Katze im Schoß, mit Peter auf ihrem Lieblingsplatz vor der Tür des Obergeschosses; unverwandt schaute sie zu den Klammwänden hinüber. Sie ahnte etwas.

Brennend rot sank die Sonne zwischen Henne und Spitz. Zartes Gewölk prangte in rotem Gold, gedämpft tönte das Läuten des Schlagwerks vom Geißengarten herüber, die Baumkronen im Kastaniengarten schwankten leicht im Abendwind, und auf dem höchsten Wipfelzweig der Hausfichte flötete eine Goldamsel.

Da schallte ein Juchzer durch die Abendstille. Von der Klammhöhe kam er, und die fernen Salzwände warfen den Jubelschrei zurück. Das war das verabredete Zeichen, daß Hans eine Frau gefunden hatte, eine Frau nach dem Herzen der Mutter. Das Geschlecht der Sonnleitner sollte fortbestehen.

Das war die Geschichte der Sonnleitner-Leute. Eine der Ur-Urenkelinnen Evas ist die Mutter des Erzählers: ein Mensch, der lieber gelitten hat, als daß er andere hätte leiden lassen. Mutter Marias Haare sind silberweiß geworden im Kampf gegen Unglück und Plage, die sie und die Ihrigen beinahe zu Boden gezwungen hätten, wenn ihre vorsorgende, opferfreudige Liebe nicht gewesen wäre.

Wir alle sind Nachkommen von Höhlensiedlern. Die Vorfahren eines jeden von uns haben den gleichen weiten Weg zurückgelegt. Wir haben die Sehnsucht nach dem Licht geerbt, die Lust am Schaffen und das Verständnis für die Sprache der Dinge um uns her. Die Freude an neuen Erkenntnissen, die Liebe zum Schönen, die Arbeit für andere und damit für uns selbst, das sind unsere Seligkeiten. Widerwärtigkeiten und Hemmnisse entmutigen uns nicht.

 

 

Inhalt




Erstes Kapitel - Einander gut sein bis zum Tod

Zweites Kapitel - Feuer dran!

Drittes Kapitel - Eisen

Viertes Kapitel - Das Blockhaus

Fünftes Kapitel - Der Schneefresser

Sechstes Kapitel - Brandstätten auf der Sonnleiten

Siebentes Kapitel - Bau des Steinhauses

Achtes Kapitel - Mutterschaft

Neuntes Kapitel - Der kleine Hans

Zehntes Kapitel - Der Röhrbrunn

Elftes Kapitel - Gärten

Zwölftes Kapitel - Der Sonnleitnerhof

Dreizehntes Kapitel - Hansls Rollschlitten

Vierzehntes Kapitel - Klein-Eva

Fünfzehntes Kapitel - Zu spät!

Sechzehntes Kapitel - Verwaiste Katzen

Siebzehntes Kapitel - Hansl wird hart

Achtzehntes Kapitel - Evas Wasseruhr

Neunzehntes Kapitel - Der findige Hansl

Zwanzigstes Kapitel - Sehnsuchtsmärchen

Einundzwanzigstes Kapitel - Brechelbank und Hanslbank

Zweiundzwanzigstes Kapitel - Die Mühle am Bach

Dreiundzwanzigstes Kapitel - Das Obergeschoß

Vierundzwanzigstes Kapitel - Der Hakenpflug

Fünfundzwanzigstes Kapitel - Gesäuertes Brot

Sechsundzwanzigstes Kapitel - Stillstand und Rückschritt

Siebenundzwanzigstes Kapitel - Klammbach-Durchbruch

Achtundzwanzigstes Kapitel - Auf kalter Höhe

Neunundzwanzigstes Kapitel - Hans sucht sich eine Frau

 

 

Erstes Kapitel - Einander gut sein bis zum Tod



Peters Genesung zog sich länger hin, als Eva geglaubt hatte. Mehr als der Blutverlust schwächte ihn der dauernde Aufenthalt im geschlossenen Raum. Sein Schlafbedürfnis war geschwunden, er lebte in einem Zustand unruhigen Wachträumens, sprach mit sich selber, war einmal am Verzweifeln und ein anderes Mal voller Hoffnungen und Pläne, was er erfinden und arbeiten wollte. Das spröde Grauzeug, das sich in den Ofenschlacken gezeigt hatte, weil er das braune Sumpferz als Baustein verwendet hatte, wollte er schmiedbar machen. Vielleicht war das das Eisen, aus dem Ähnls harte Messer und Beile, die Säge und die Sichel bestanden hatten, die nun mit dem Alten unter den Trümmern des Steinschlags in der Klamm lagen. Peters Worte klangen so klug, so wohlüberlegt, daß Eva weinen mußte, wenn sie an die Möglichkeit dachte, der flackernde Geist des Erfinders könnte verlöschen.

Kaum war der frühzeitig gefallene Schnee verschwunden, zog Eva mit ihrem flachen Besenrechen, der gelegentlich auch als Heugabel diente, aus, das abgeworfene Laub zu sammeln, Trockenfutter für die Scheckin. Zum Befördern flocht sie an einem Regentag einen hohen geräumigen Buckelkorb, den sie an Fellstreifen über die Schultern hängen konnte. Beim Laubrechen fand sie eine Menge abgefallener Nüsse, Kastanien, Mispeln, Beeren, auch Holzbirnen und zwei abgeworfene Rehkrickel. Sie breitete die Früchte zum Trocknen auf den Fußböden der drei Hütten aus, später wollte sie sie nach und nach auf erhitzten Steinplatten dörren.

Endlich, zur Zeit der ersten Fröste, besserte sich Peters Zustand, seine Eßlust nahm zu, sein Schlaf wurde ruhiger. Die Ziege hatte längst aufgehört, Milch zu geben, und Eva mußte für Peter allerlei dünne Suppen kochen. Als Zukost reichte sie gebratene Kastanien. Als die Scheckin unausgesetzt meckerte, weil sie das Eingesperrtsein nicht gewöhnt war, brachte Eva die Geiß auf die Grableiten und band sie an eine krumme Föhre, an der sie äsen sollte. Die Scheckin meckerte trotzdem weiter; ihr Geschrei wurde von den Mischlingen gehört, den Nachkommen der zahmen Geiß, die einst die Ahnl bei ihrer Flucht in den Heimlichen Grund mitgebracht hatte, und von den Steinböcken im Gewand. Und als Eva das dritte Mal ihre Scheckin heimholen kam, fand sie oberhalb der Föhre gröbere Losung, offenbar von einem Bock. Von da an wurde die Geiß wieder ruhig und erfreute ihre Pflegerin durch einen gesegneten Appetit. Die Tageszeit, die Eva für Außenarbeiten nützte, verschlief Peter oder verträumte sie wachend.

Wenn Eva dann, von der Tagesarbeit erschöpft, sich zu ihm setzte und von der Zukunft sprach, wie sie ihr vorschwebte, da überbot er sie an Plänen. Die Siedlung im Pfahlbau werde er durch ein neues Heim ersetzen, die Hüttenwände zeigten ja vielfach Risse im Lehmbelag. Ihr ganzes Gefüge war durch die wachsenden Eckbäume gelockert.

Die toten Pfähle neben ihnen wuchsen nicht mit. Die Sonnige Leiten am Fuß der Südwand, in deren Höhlen die Bären hausten, war für Peter ein Ort der Sehnsucht geworden. Dort, wo im Schutz der Südwand keine Lawinengefahr drohte, wo die Tage milder waren als im Talgrund, reiften die Kastanien, die Walnüsse, die Mispeln, Quitten, Wildbirnen und Wildäpfel. Er beneidete die Bären um den besten Platz an der Sonne, und er haßte sie als gefährliche Mitbewohner des Heimlichen Grunds. Mitten im Winter, wenn sie in den Höhlen schliefen, werde er sie mit Feuer und Rauch vertreiben. Ja, und dann wolle er die Bärenhöhlen durch einen starken Vorbau nach außen erweitern und dort mit Eva hausen. Ja, so werde es sein … Eva wußte, daß der Genesende seine Kräfte überschätzte, aber sie widersprach ihm mit keinem Wort.

Am nächsten Tag schneite es, da verließ Peter zum erstenmal die Hütte. Er freute sich an den Spuren, die er, den Hofzaun entlanggehend, im Neuschnee hinterließ. Spurschnee! Jagdzeit!

Vor dem Lagerplatz der Ziege, die nur durch das vorspringende Dach und eine Wand vor dem Schnee geschützt war, blieb Peter stehen. Die langentbehrte frische, prickelnde Luft berauschte ihn; er war länger im Freien geblieben, als ihm zuträglich war, ein Rückfall seiner körperlichen Schwäche blieb nicht aus.

Widerstrebend ergab er sich darein, die beste Jagdzeit ungenützt verstreichen zu lassen. Inzwischen schmolz der Schnee; Nachtfröste setzten ein, denen das letzte Laub erlag. Als wieder frostfreie Tage kamen, erholte sich Peter wenigstens soweit, daß er mit Evas Netzen in der Umgebung des Pfahlbaus fischen konnte. Ja, eines Tages unternahm er in voller Jagdausrüstung, begleitet von Schnapp, eine Floßfahrt nach der Moorleiten.

Als Beute brachte er einen lebenden Igel heim, den Schnapp in einem hohlen Baum schlafend gefunden hatte. Eva schlug vor Staunen die Hände über dem Kopf zusammen. Sie tippte Peter mit dem Finger an die Stirn: "Ja, bist du denn nicht gescheit? Soll ich dir den Igel braten?"

"Nein, nicht braten, der bleibt am Leben. Die Ahnl hat auch einen Igel im Stall gehabt. Der fängt die Mäuse weg und das Ungeziefer!"

Der Igel gewöhnte sich bald an seine neue Umgebung, verschlief die Tage, strolchte nachts umher und durchstöberte jeden Winkel nach Asseln und anderem Kleingetier.

Nach wenigen Tagen stellte er sich, wenn Eva das Essen brachte, als Bettler bei ihr ein und kratzte mit den Vorderpfoten an ihren Fußknöcheln. Mit einem Happen Fischfleisch, den sie ihm reichte, trollte er sich, kehrte aber bald wieder zurück und ließ seine kleine rosige Zunge spielen. Hielt Eva aber einen Bissen zu hoch, so wurde er zornig und fauchte gewaltig, als wäre er wer weiß wie groß.

An milden Wintertagen, an denen das Herdfeuer die Stube genügend erwärmte, saß Eva am Webstuhl. Aber die abgenützte Webwalze machte die Arbeit zur Qual. Peter begann, einen neuen Webstuhl zu bauen, zuerst ein vierbeiniges Gestell zum Auflegen des Rahmens, so daß Eva von oben auf die liegend gespannten Schichten der Einser- und Zweierfäden sehen und die Webnadel leicht durch die Fadenfächer hin und her führen konnte. Aber an die Webwalze wollte er nicht heran. Das Fadenheben beim Fachwechsel mußte anders gehen, fand er.

Je mehr Peter sich in die neue Aufgabe vertiefte, desto häufiger verbrachte er die Zeit zwischen den Mahlzeiten allein in seiner Pfahlhütte, wo er mit Holzkohle auf Mergelplatten allerlei Entwürfe zeichnete. Er kehrte zum Schiebekamm zurück, bei dem an den Enden der Zinken die Zweierfäden befestigt waren. Aber statt der groben Zinken, mit denen sich die Bastfäden nur locker verweben ließen, wollte Peter dicht gereihte, dünne Zinken verwenden. Das brauchten keine hölzernen zu sein, es konnten auch Fadenschlingen sein, die am Kammstab festgebunden wurden und die Zweierfäden so unterfingen, daß diese hochgehen mußten, wenn der Kammstab in die Höhe gezogen wurde.

Zunächst baute Peter aus vier daumendicken Stäben einen Webrahmen, so breit wie eine halbe Armlänge. Die Längsseiten machte er dreimal so lang. Die Längsfäden wickelte er der Länge nach um den Rahmen, so daß eine Lage Fäden über dem Rahmen, die andere unter ihm eine Schicht bildeten. Die oberen Fäden sollten als Einserfäden in gleicher Lage bleiben, die unteren als Zweierfäden gehoben und gesenkt werden.

Dann schnitt er den Kammstab zurecht, lang genug, um quer auf beiden Längsseiten des Rahmens aufzuliegen. In der Hochstellung konnte er durch untergeschobene Klötze gehalten werden. Hierauf knüpfte Peter zunächst einen Faden ans linke Ende des Kammstabes, zog ihn hinter dem ersten oberen Längsfaden herunter, unterfing mit ihm den ersten unteren Längsfaden, zog ihn zwischen dem ersten und zweiten Einserfaden wieder hinauf und knüpfte ihn so an dem Kammstab fest, daß der untere Längsfaden in einer fingerlangen Schlinge ruhte; dies wiederholte er der Reihe nach, bis die Schiingenführung jedes unteren Längsfadens zwischen zwei oberen Längsfaden durchging und alle Schlingen oben am Kammstab festgeknüpft waren. Jetzt lagen alle Einserfäden in den Zwischenräumen der Fadenzinken.

Nun zog er mit der Linken den Kammstab hoch und sah mit Freude, daß alle unteren Längsfäden gleichzeitig von den Zinken emporgezogen wurden, so daß sie sich an zwei Stellen mit den oberen Längsfäden kreuzten. Hinter und vor jeder Kreuzung bildeten die Fäden je ein Fach. Quer durch dieses Fach führte Peter die lange Webnadel mit dem der Länge nach aufgewickelten Arbeitsfaden, den er an den ersten Einserfaden geknüpft hatte.

Als er aber den Kammstab senkte, blieben die Zweierfäden mit den Einsern fast in gleicher Höhe, und sie sollten doch wieder hinuntergehen und den Arbeitsfaden überkreuzen und von ihm ein neues Fach bilden! Da half Peter nach, indem er seine Rechte am oberen Ende des Rahmens ins Fach zwischen die beiden Fadenschichten schob und so die Zweierfäden hinunterzwang. Durch das Fach, das nun vor der neuen Fadenkreuzung entstanden war, zog er wieder den Arbeitsfaden ein. Das Gewebe wuchs! Weil aber die Gänge des Arbeitsfadens zu weit voneinander eingezogen waren, mußten sie mit dem Anschlagkamm aneinandergeschoben werden.

Endlich war der Erfinder mit dem neuen Gerät zufrieden und übergab es Eva. Sie machte große Augen, dankte und sprach vor sich hin: "So hab ich's mir auch gedacht." Peter mußte lachen. Sie hatte sich's auch so gedacht! Mehr als ihr karger Dank freute ihn, daß sie sofort zu weben begann. Es ging so lange gut, bis die vom Zug des Webkammes gedehnten Zweierfäden schlaff wurden. Da half sie sich, indem sie alles Garn mit einem klebrigen Brei aus Kastanienmehl und Wasser anfeuchtete und trocknen ließ. Das machte die Fäden straffer und widerstandsfähiger. Was sie dann mit Geduld und Sorgfalt zustande brachte, war ein steifes Gewebe von der Breite einer Armlänge. Solche Webstücke konnte sie aneinandernähen und Kleider daraus machen! Vorher aber mußte das Gewebe durch Bürsten mit Weberkarden aufgeraut und der trockene Kleister daraus entfernt werden. Jetzt erst war das Zeug geschmeidig und dicht.

Peter trachtete, die ungleiche Spannung des Garns überhaupt zu verhindern. Unverdrossen baute er einen neuen Webrahmen, dessen Breitenhölzer an den Enden Falze bekamen. Mit diesen umfaßten sie die Innenseiten der Längshölzer und konnten an ihnen nach außen geschoben und durch Holznägel festgesteckt werden.

Der raue Winter war schon fast vorbei. Die untergehende Sonne hatte sich dem Winterhorn genähert, und der Tag der Sonnwende stand bevor. Die Eisdecken des Moorsees und des Klammbachsees gleißten im Widerschein des tiefstehenden Sonnenballs. Peter, der sich nun ganz gesund fühlte, rüstete sich, die Bären zu belagern und erging sich in großartigen Reden. Schon teilte er die Bärenfelle zwischen Eva und sich.

Da nahm sie sich ein Herz, faßte seine Rechte mit beiden Händen und sprach mit einem Ernst, der ihn aufhorchen ließ: "Die Sonne ist am Winterhorn. Morgen ist Sonnenwend. Komm mit mir nach den alten Höhlen. Dort zünd ein Feuer an, und vor dem Sonnenbild dank dem Herrgott, daß er dich und mich erhalten hat."

Peters Gesicht hellte sich auf.

"Und dort sag laut, daß du immer mit mir gut sein willst, immer gut, hörst du? Auch ich werde geloben, daß ich dein gutes Weib sein werde, solange ich lebe. Sag, Peter, willst?"

Da drückte er ihre Rechte, und mit aller Entschlossenheit sprach er schlicht und laut: "Ja, Eva!"

Am nächsten Tage fuhren sie, mit ihren besten Pelzen angetan, über die blanke Eisdecke des Klammbachsees. Eva saß auf dem Schlitten, die Stirnbinde mit bunten Federn und Ebereschendolden geschmückt, vor sich den Feuertopf, dem bläulicher, nach Wacholderbeeren duftender Rauch entstieg; und Peter lief auf seinen knöchernen Schlittschuhen hinter dem Schlitten her. Er trieb ihn vorwärts, die Arme gegen die Rückenlehne gestemmt, die er aus einem armdicken Waldrebenbogen hergestellt hatte.

Am Sonnstein angelangt, verließen sie das Eis, sammelten am Rande des Urwalds dürres Holz und schichteten es vor den alten Höhlen auf. Als der feurige Sonnenball sich zum Gipfel des Winterhorns senkte, züngelten die ersten Flammen an den harzigen Nadeln empor. Gerötet vom Widerschein der untergehenden Sonne, umweht vom würzig duftenden, bläulichen Rauch standen die groß gewordenen Kinder des Heimlichen Grunds Hand in Hand. Dann stiegen sie zum Heiligtum in Evas alter Höhle auf.

Vor dem Sonnenbild knieten sie nieder.

Eva begann feierlich vorzusprechen, und Peter sprach ihr Satz für Satz nach: "Gott, du hast uns vor den Menschen da draußen errettet, wir danken dir. Du hast uns am Leben erhalten, als die Wasser kamen, wir danken dir. Du hast uns die Gewalt gegeben, uns der Bären und der Geier zu erwehren, wir danken dir!

Vater! Wir sehen dich nicht, aber wir sehen, was du hast werden lassen und werden läßt. So erkennen wir dich. Du gibst allen deinen Geschöpfen Licht und Wärme durch deine Sonne.

Dein Hauch bringt die Wolken. Sie tränken die Erde und laben alles Lebendige. Du läßt alle satt werden von dem, was du erschaffen hast. Dein Atem durchweht auch uns. Du willst das Leben und liebst alles Lebendige. Du bist unser Vater, wir sind deine Kinder. Wir lieben dich, wir wollen, daß du an uns Freude habest. Darum tun wir, was dein Wille ist. Wie du gut bist zu allem, was da lebt, wollen auch wir gut sein einer dem andern. Was dem einen gehört, gehöre dem andern. In Arbeit, in Schmerz und Leid wollen wir uns beistehen bis zum Tode!"

Eva faßte Peters Rechte und hielt sie umklammert. Seine Hand erwiderte den Druck der ihren. Peter und Eva küßten sich.

So war vor Gott der Ehebund geschlossen worden.

Zweites Kapitel - Feuer dran!



Von nun an lebte Eva als Peters Frau in seiner geräumigen Hütte. Ihr verlassenes Heim diente als Vorratshaus für Heu und Brennholz. Da Peter sich Evas Fröhlichkeit erhalten wollte, achtete er auf ihr Mienenspiel. Aus ihrem Gesicht las er unwillkürlich Zustimmung oder Ablehnung. Evas Gefühl für das, was sich gehört, ging auch in Peters Wesen über. Ihrem Sinn für das Schöne, von dem ja Ordnung und Sauberkeit untrennbar sind, versuchte Peter sich anzupassen. Der tägliche Gebrauch von Seifenbrei und Kamm wurde auch ihm zum Bedürfnis. Beim Essen aus gemeinsamer Schüssel strich er sich das Mus nicht mehr mit der Hand in den Mund, sondern benützte den plumpen irdenen Löffel. Auch die Fleischbrocken schob er nicht mehr mit der Hand in den Mund, sondern spießte sie auf ein spitzes Stäbchen. Wenn Eva morgens und abends mit Gott und den Ahnen Zwiesprache hielt, war Peter zwar nur schweigsamer Gefährte, aber er dachte mit, was sie sprach, und wurde unter Evas Einfluß anders, ruhiger, ordentlicher.