Über das Buch:
Seit dem schändlichen Tod ihres Mannes ist Olivia Aberdeen gesellschaftlich ruiniert. Deshalb willigt sie dankbar ein, als die beste Freundin ihrer Mutter ihr anbietet, bei ihr auf der berühmten Belle Meade Plantage zu leben. Olivia hofft auf die Stelle als Hausdame, aber ihre Erwartungen werden bitter enttäuscht. Rasch merkt sie: Sie ist auf Belle Meade mehr geduldet als gewollt. Doch so schnell lässt Olivia sich nicht unterkriegen. Sie will zeigen, was in ihr steckt. Genauso Ridley Adam, der zeitgleich mit ihr nach Belle Meade gekommen ist. Er will von dem berühmten Pferdetrainer des Gestüts alles lernen, was es über Pferde zu wissen gibt. Doch Ridley hat ein dunkles Geheimnis. Sollte es ans Tageslicht kommen, würde er alles verlieren: seine Anstellung, seinen Traum vom eigenen Gestüt, seine Hoffnung auf eine Zukunft mit der Frau, in die er insgeheim verliebt ist …

Über die Autorin:
Tamera Alexander ist für ihre historischen Romane schon mehrfach mit dem Christy Award ausgezeichnet worden, dem bedeutendsten christlichen Buchpreis in den USA. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei erwachsenen Kindern in Nashville.

5

Ridley blinzelte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Überrascht stellte er fest, dass er Blut an der Hand hatte, aber noch mehr überraschten ihn die Gefühle, die ihm mit einem Mal die Kehle zuschnürten. Ein etwas älter aussehender und unbestreitbar lebendiger Robert Green schritt mit einer weißen Schürze um den Bauch und mit einem leichten Humpeln auf ihn zu.

„Was zum Kuckuck ist hier drinnen los? Grady, sag mir sofort, was hier vor sich geht, oder ich spreche mit dem General. Dieses Mal wirft er dich bestimmt hinaus!“

„O-Onkel Bob“, stammelte der Mann und deutete auf Ridley, dem auffiel, mit welchem Namen er Robert Green ansprach. „Hier ist schon wieder einer, den Renfroe geschickt hat. Er ist gekommen, um uns auszuspionieren!“

Robert Green schaute Ridley mit dunklen Augen an. „Stimmt das, Sir?“

„Nein, Sir“, sagte Ridley. „Das stimmt nicht.“

„Was wollen Sie dann hier?“

Ridley entdeckte in den Augen des Mannes nicht das geringste Anzeichen dafür, dass er ihn erkannte. Er wusste, dass er sich ein wenig verändert hatte. Hauptsächlich hatte er an Gewicht verloren, aber er arbeitete daran, es wieder zuzulegen. Gewicht und Muskeln zu bekommen, war jedoch kein leichtes Unterfangen, da Fleisch so rar und so teuer war. „Ehrlich gesagt bin ich hier, weil ich mit Ihnen sprechen will, Mr Green, über …“ Er zögerte und warf einen Blick auf Grady. „Über eine private Angelegenheit, Sir.“

Green schaute ihn eine Minute lang argwöhnisch an. „Grady, geh und wasch dir das Blut weg. Und lass dir dann von Rachel das Kinn nähen.“

Mit einem leisen Knurren gehorchte Grady, warf Ridley aber im Gehen noch einen finsteren Blick zu, der ihm sagte, dass diese Sache noch nicht vorbei sei. Ridley erwiderte seinen Blick.

„Sie haben etwas von einer privaten Angelegenheit gesagt, Sir“, fragte ihn Green, sobald sie allein waren. Sein Tonfall war misstrauisch und seine Miene verriet, dass er ihn immer noch nicht erkannte.

Trotzdem erfüllte Ridley eine Leichtigkeit, die er sich selbst nicht richtig erklären konnte. Es war, als sähe er einen alten Freund wieder. Er hatte in letzter Zeit nicht mehr viele Freunde gehabt. „Es ist lange her, Mr Green.“ Er räusperte sich, da seine Stimme sich ganz anders als sonst anhörte. „Aber ich erinnere mich immer noch an Ihren Kaffee, Sir. Und an das Wildfleisch, von dem Sie mir in jener Nacht etwas abgaben … in den Bergen“, fügte er leise hinzu. „So einen guten Kaffee und so ein gutes Fleisch hatte ich vorher lange nicht bekommen. Und seitdem auch nicht mehr.“

Green kniff die Augen zusammen, wodurch seine buschigen Augenbrauen noch weiter abstanden. „Guter Gott“, flüsterte er schließlich. „Das kann doch nicht sein.“ Er schaute Ridley forschend ins Gesicht. Wärme trat in seine Augen. „Leutnant Cooper? Sind Sie das hinter diesen ganzen Haaren und dem struppigen Vollbart?“ Lächelnd reichte Green ihm die Hand. Ridley erwiderte seinen kräftigen Händedruck. Einige Sekunden lang konnte Ridley nur ihre Hände anstarren und daran denken, wie lang es her war, seit er diesen Mann gesehen hatte und wie viel seitdem passiert war. Und nun hatte er ihn gefunden, um ihn um etwas ganz Besonderes zu bitten.

Green verstärkte seinen Griff um Ridleys Hand. „Jeden Tag habe ich für Sie gebetet, Sir, bis der Krieg vorbei war. Auch danach noch habe ich Gott gebeten, Sie für die Freundlichkeit zu belohnen, die Sie mir erwiesen haben. Aber …“ Er lachte und sein grau melierter Bart spannte sich über seinem Kinn. „Ich kann nicht glauben, dass Sie hier stehen. Direkt vor mir!“ Er atmete aus. „Gott hat Sie beschützt. Ja, Sir, das hat er. Er hat meine Gebete erhört.“

Ridley ließ seine Hand los und die Wärme, die er gefühlt hatte, kühlte ein wenig ab. „Danke für Ihre Gebete, Mr Green. Aber …“ Er atmete schnell aus und schaute sich um, um sich zu vergewissern, dass sie allein waren. „…ich würde die Zeit, die ich in Andersonville verbracht habe, nicht als ‚Gott hat mich beschützt‘ beschreiben.“

Greens Gesicht wurde ernst, als er ihn jetzt anschaute. Daraus schloss Ridley, dass er diesen Namen schon gehört hatte.

„Wie lange waren Sie dort, Sir?“

„Vierzehn Monate. Sie hielten mich zuerst in Richmond fest. Als im darauffolgenden Frühling das Gefängnis geöffnet wurde, brachten sie mich nach Georgia hinab.“

„Wie haben sie Sie erwischt?“

„Durch einen Hinterhalt an dem Morgen, an dem wir uns trennten. Auf dem Weg zurück ins Lager.“

Die Falten neben Greens Augen und Mund vertieften sich. „Andersonville“, flüsterte er und wandte den Blick ab. „Der General spricht mit mir nicht viel über den Krieg. Aber manchmal, wenn Männer, mit denen er im Krieg gedient hat, hier sind so wie heute, unterhalten sie sich. Ich habe also einiges über dieses Gefängnis gehört.“ Er sah Ridley wieder direkt an. „Es tut mir leid, dass Sie dort waren, Sir, und dass man Sie gefangen genommen hat. Das tut mir von ganzem Herzen leid.“

Ridley war für die Ehrlichkeit in Greens Antwort dankbar, aber gleichzeitig weckte sie in ihm ein starkes Unbehagen und er konnte es nicht erwarten, das Thema zu wechseln. „Was wurde aus Ihnen? Nach jener Nacht?“

„Ich habe die Lieblingspferde des Generals bis zum Kriegsende versteckt. Ich musste sie immer noch von Zeit zu Zeit in ein neues Versteck bringen, aber diese Pferde, die ich dank Ihrer Großzügigkeit behalten durfte, sind der Grund, warum Belle Meade heute so gut dasteht, Sir. Denn durch sie hatte der General ein Startkapital nach dem Krieg. Das verdanken wir Ihnen.“

Ridley schüttelte den Kopf. „Belle Meade verdankt seinen jetzigen Erfolg Ihnen, Mr Green. Nicht nur, weil Sie das damals für den General getan haben, sondern auch wegen Ihrer Gabe im Umgang mit Pferden. Ich habe damals gesehen, wie Sie mit den Vollblütern umgingen. Ich muss allerdings zugeben …“ Ridley lächelte. „Am Anfang war es mir fast ein bisschen unheimlich, als ich sah, wie die Tiere einfach so zu Ihnen kamen. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen.“

Green senkte den Kopf. „Danke, Sir. Das ist sehr nett von Ihnen, aber … das bin nicht ich. Ich mache nur das, wozu Gott mich hierhergestellt hat. Das ist alles.“

Diese Aussage rührte etwas in Ridley an und er erinnerte sich, dass Green ihm erzählt hatte, wie er als kleiner Junge einst im Stall bei den Pferden geschlafen hatte. Ridley wusste ohne jeden Zweifel, dass er an dem Ort war, an dem er sein sollte. Wenigstens für eine Weile. Um von Robert Green zu lernen.

Er hoffte nur, Mr Green würde seinem Vorschlag zustimmen.

Ein Pferd wieherte in der Box neben ihnen und steckte den Kopf durch die Öffnung. Ridley glaubte, den schwarzen Hengst zu erkennen. „Olympus?“, fragte er.

„Sie haben ein gutes Gedächtnis, Herr Leutnant.“ Green ging hinüber und streichelte dem Tier den Hals. Er drehte sich zu Ridley herum. „Ich bin wirklich froh, Sie wiederzusehen, aber was führt Sie den weiten Weg hierher nach Nashville? Sagten Sie nicht, dass Sie aus South Carolina kommen?“

Ridley erzählte ihm, dass er zunächst nach Hause zurückgekehrt war und dort gehört hatte, dass seine jüngeren Brüder im Krieg gefallen waren. Dann erzählte er ihm von seinem Vater. „Er war nur noch ein Schatten des Mannes, den ich vier Jahre vorher verlassen hatte. Sein ganzer Körper war von Tuberkulose zerfressen. Und er …“ Die Worte blieben Ridley fast im Halse stecken. „Er war mir gegenüber immer noch genauso bitter, auch am Ende seines Lebens.“

„Wegen der Entscheidung, die Sie getroffen hatten“, sagte Green leise.

Ridley nickte und konnte auch jetzt noch vor sich sehen, wie ihn sein Vater auf seinem Sterbebett angeschaut hatte. Derselbe Schmerz wie damals breitete sich in seinem Herzen aus. „Ich glaube, er gab mir auch die Schuld am Tod meiner Brüder. An seiner Stelle hätte ich vielleicht genauso gefühlt.“

Einige Sekunden vergingen, ohne dass einer von beiden etwas sagte. Durch den offenen Eingang hörte man immer wieder Lachen und Bruchstücke von Gesprächen.

„Was ist mit Ihrer Mutter?“

„Sie starb vor ein paar Jahren bei der Entbindung eines kleinen Mädchens. Sie verließen uns beide gemeinsam. Der Pfarrer sagte, dass er das irgendwie passend fände, aber … das habe ich nicht wirklich geglaubt. Das glaube ich immer noch nicht.“ Ridley verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein und hatte es erneut eilig, das Thema zu wechseln. „Vor etwas über zwei Monaten starb mein Vater. Ich beerdigte ihn, verkaufte das Haus und das wenige, das von unserem Hof noch übrig geblieben war, und ging weg.“

„Wohin wollen Sie jetzt gehen?“

„In den Westen. Ins Colorado-Territorium. Aber vorher brauche ich etwas. Von Ihnen, Mr Green. Wenn Sie einverstanden sind.“

Green runzelte die Stirn.

Ridley atmete tief ein und nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Ich bin gekommen, um Sie zu fragen, ob Sie mir zeigen können, wie man mit Pferden umgeht. Ich will lernen, so mit Pferden zu arbeiten wie Sie. Ich will lernen, wie man sie dazu bringt, das zu tun, was man will.“

Green begann hellauf zu lachen. „Guter Gott, Sir … ich bekäme eher eine Frau dazu, das zu tun, was ich will, als diese Vollblutpferde. Wenn ich eine Frau hätte. Was ich aber nicht habe.“ Sein Lächeln verschwand, aber das Funkeln in seinen Augen nicht. „Ich bringe diese Pferde nicht dazu, etwas zu tun, Sir. Ich höre ihnen nur zu und lasse mir von ihnen sagen, was sie brauchen. Dann helfe ich ihnen, das zu tun, wozu Gott sie geschaffen hat. Kräftig und ausdauernd zu laufen. So schnell wie der Wind.“

Ridley trat näher zur Tür der Pferdebox. „Können Sie mir das beibringen? Kann ich von Ihnen lernen, wie Sie …“ Er kam sich ein bisschen albern vor, die Worte tatsächlich auszusprechen. „… ihnen zuhören?“

Green seufzte. „Um so etwas hat mich noch nie jemand gebeten.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht einmal sicher, ob ich das jemandem beibringen kann. Aber vor allem“, seine Miene wurde ernst, „bin ich nicht sicher, ob Sie bereit sind, es zu lernen … Sir.“

„Natürlich bin ich dazu bereit. Ich bin den ganzen Weg aus South Carolina zu Fuß hierhermarschiert. Und …“ Ridley hatte mit niemandem darüber gesprochen. Jetzt darüber zu reden, weckte in ihm plötzlich Erinnerungen, die er lieber für immer ruhen lassen würde. „Als ich in Andersonville war, verlor ich an manchen Tagen nur deshalb nicht den Verstand und den Mut, weil ich mir vorstellte, von Ihnen zu lernen, Mr Green. Und weil ich davon träumte, von dort wegzugehen und den Süden für immer zu verlassen.“

Green sprach sehr lange kein Wort. Er schaute Ridley nicht einmal an. Er streichelte nur weiterhin dem Pferd die Stirn. Schließlich hob er den Blick. „Ich nehme an, Sie wissen, was der General denkt. In Bezug auf den Krieg, meine ich. Und die Unionsarmee.“

Ridley dachte an General Hardings Bart und daran, was Olivia Aberdeen ihm erzählt hatte. Er dachte auch an das Risiko, das Robert Green einginge, wenn er zustimmte. Er hatte sich das schon öfter überlegt. Er hatte es nur nie im Beisein von Mr Green getan, doch jetzt sah er die Risiken in einem ganz anderen Licht.

Ridley nestelte an einem Astloch an der Seite der Pferdebox herum. „Ich glaube nicht, dass General Harding freundlich auf die Idee reagieren würde, mich hierzuhaben.“

„Leutnant Cooper, das trifft die Sache nicht einmal annähernd. Wenn ich Ja sage und der General erfährt, wer Sie sind, beziehungsweise wer Sie waren“, Green atmete aus, „sind wir beide schnell von hier fort. Vielleicht sogar tot. Nicht durch die Hand des Generals. So ein Mann ist er nicht. Aber einige andere Männer hier können sehr nachtragend sein.“ Er seufzte und rieb sich den Bart. „Ich habe mein ganzes Leben auf Belle Meade verbracht. Jeder, den ich kenne, lebt hier. Ich kann nirgendwo anders hin, Sir. Und ich will auch nicht. Das hier ist mein Zuhause.“ Seine Hand, die immer noch die Stirn des Pferdes streichelte, hielt inne. „Und … wenn der General mich bleiben lässt, habe ich auch nichts dagegen, hier zu sterben.“

Zum zweiten Mal beneidete Ridley diesen Mann um das, was er hatte. Aber er sah auch sehr deutlich, wie viel für Green auf dem Spiel stand. Als er die Antwort dieses Mannes im feuchten Glanz seiner Augen sah, richtete sich Ridley auf. „Das verstehe ich, Mr Green. Und ich mache Ihnen aus Ihrer Entscheidung nicht den geringsten Vorwurf.“ Eine tiefe Enttäuschung erfüllte ihn, aber Ridley bemühte sich nach Kräften, sich das nicht anmerken zu lassen. „Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, Sir. Und“, er hielt ihm die Hand hin, „für alles, was Sie mir in jener Nacht in den Bergen gaben.“

Green drückte seine Hand jetzt fester als vorher. „Und was war das, Herr Leutnant?“

Ridley fühlte, wie seine Augen zu brennen begannen. „Hoffnung“, flüsterte er, obwohl sich seine Kehle bei diesem Wort zuschnürte. Er ging zu der Stelle, an der er vorher seinen Rucksack fallen gelassen hatte, und hob ihn auf. Ein letztes Mal sah er zurück, nickte dankend und ging zur Tür.

Sobald er draußen war, atmete er tief ein. Das war es also. Er seufzte. Mittlerweile waren weniger Leute auf dem Hof. General Harding stand immer noch mit einigen Männern in der Nähe des Vollblüters, aber Olivia Aberdeen konnte Ridley nirgends entdecken. Die Truhe, die er neben der Tür abgestellt hatte, war fort und ihn erfüllte ein unerklärliches Bedauern, als er an sie dachte. Er fragte sich, ob sie hier finden würde, was sie sich erhoffte.

Die Sonne war weiter über den Himmel gezogen und die Luft hatte sich ein wenig abgekühlt. Ein Duft nach Schinken und frisch gebackenem Brot stieg ihm in die Nase und ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Sein Magen war leer, aber das war nichts im Vergleich zu der Leere und Einsamkeit in seinem Herzen. Er marschierte los und dachte an Petey und Alfred und an seinen Vater, an seine Mutter und an die kleine Emily – die Schwester, die er nie gekannt hatte. Wie sehr er es vermisste, einen Ort zu haben, den er …

„Es ist nicht leicht, das zu lernen, Leutnant Cooper.“

Ridley verlangsamte seine Schritte, als die Stimme hinter ihm zu ihm durchdrang. Er versuchte, die Worte zu verstehen. Dann drehte er sich um und sah Robert Green im Türrahmen des Stalls stehen.

„Und es dauert seine Zeit“, fügte Green hinzu.

Der Mann lächelte nicht, stellte Ridley fest, aber das hinderte ihn nicht daran, plötzlich lächeln zu wollen. „Zeit habe ich genug, Sir.“ Wenn auch nicht unbegrenzt, überlegte er, aber er wusste, dass er schnell lernen konnte, wenn er es wirklich wollte.

„Und Sie müssen sie wirklich wollen.“ Green schaute ihn unnachgiebig an. „Diese … Gabe, wie Sie es nannten.“

„Ja.“ Ridley ging zu ihm zurück. „Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.“

„Sie müssen auch tun, was ich sage. Haben Sie damit ein Problem?“

Ridley lächelte. „Nein, Sir. Damit habe ich kein Problem.“

„Können Sie gut mit einer Peitsche umgehen?“

„Ich kann sogar sehr gut mit einer Peitsche umgehen. Schon als Junge konnte ich …“

„Hier werden Sie dieses Ding nicht benutzen.“ Green schaute ihn durchdringend an. „Wir setzen nie eine Peitsche bei einem Pferd ein. Oder einen Stock. Ich hoffe also, dass Sie Geduld haben. Viel Geduld.“

Ridley schwieg. Er ahnte, dass Green bereits wusste, dass Geduld nicht gerade seine starke Seite war. „Ich bin auch bereit, das zu lernen, Sir.“

„Es reicht nicht, dass Sie dazu nur bereit sind. Sie müssen es wirklich wollen. Es muss von hier drinnen kommen.“ Green berührte seine Brust. „Und das ist nicht leicht.“

Ridley nickte. „Verstanden.“ Obwohl er nicht ganz sicher war, dass er es wirklich verstanden hatte, wollte er das nicht zugeben. Er wollte und musste lernen, was nur Robert Green ihn lehren konnte.

Green kam auf ihn zu. „General Harding ist kein perfekter Mensch, Herr Leutnant. Niemand ist perfekt. Aber er ist ein guter Mann. Er ist immer fair zu mir und ich habe das Gefühl, in seiner Schuld zu stehen.“ Green schaute zum Haupthaus hinüber, wo General Harding jetzt mit einigen anderen Männern auf der Veranda stand. „Aber so, wie ich es sehe“, er seufzte, „stehe ich auch in Ihrer Schuld, wenn ich daran denke, was Sie für mich und für den General getan haben. Ich werde Ihnen also alles beibringen, so gut ich kann. Aber eines muss klar sein, Leutnant Cooper: General Harding ist derjenige, der hier die Leute einstellt und entlässt. Ich bin bereit, Ihnen den Umgang mit Pferden zu zeigen, aber nicht hinter dem Rücken des Generals. Außerdem schätze ich, dass Sie ein bisschen Geld gut vertragen könnten, solange Sie hier sind.“

Ridley verstand die nicht ausgesprochene Frage und nickte. „Ich habe eine kleine Summe gespart, aber das ist nicht viel. Eine bezahlte Arbeit wäre nicht schlecht.“

Green dachte eine Weile nach. „Dann müssen Sie mit dem General sprechen und ihn offiziell um Arbeit bitten. General Harding ist sehr wählerisch, wenn es darum geht, wen er einstellt. Ich habe heute schon einen Mann weggeschickt. Er war ein Einzelgänger. Leicht aufbrausend. Er hätte nicht hierhergepasst.“ Green deutete zum Haus, wo Harding stand. „Sie sagen dem General, dass Sie mit mir gesprochen haben und dass ich einverstanden bin. Aber wenn er Nein sagt“, Green zuckte die Achseln, „dann kann ich Ihnen nicht helfen. Denn Sie können nur von mir lernen, wenn Sie mit den Pferden arbeiten. Und diese Pferde gehören dem General. Es ist also nur fair, dass er das letzte Wort hat.“

Obwohl ihm dieser neue Blickwinkel, den Green hier einwarf, nicht gefiel, sah Ridley, dass ihm keine andere Wahl blieb. Er hielt ihm die Hand hin und Green schlug ein. „Einverstanden. Ich kann es nicht erwarten, mit ihm zu sprechen.“

„Sie werden ihn bald sprechen können. Normalerweise sitzt er von morgens bis abends im Sattel und ist auf der Plantage unterwegs. Aber bevor aus der ganzen Sache etwas werden kann, müssen Sie mir eines versprechen, Leutnant Cooper. In diesem Punkt werde ich keinen Millimeter nachgeben.“

Ridley schaute ihn abwartend an. „Und das wäre?“

„Egal, was passiert, Sie dürfen nie jemandem erzählen, auf welcher Seite Sie im Krieg gekämpft haben, Sir. Und General Harding darf nie erfahren, dass wir uns damals in den Bergen getroffen haben.“

6

Olivia, meine Liebe, bitte nimm doch noch eine zweite Portion.“ Elizabeth deutete zu der Dienerin, die neben Olivia stand und eine Schüssel mit Kartoffelbrei in der Hand hielt. „Du isst ja weniger als ein Vögelchen.“

Das junge schwarze Mädchen versuchte, eine zweite Ladung Kartoffelbrei auf ihren Teller zu geben, aber Olivia hob abwehrend die Hand. „Es war köstlich, danke. Aber ich hatte schon genug.“ Sie war froh, dass Elizabeth nicht weiter darauf einging, wie sie es bei dem Büffelsteak getan hatte. Sie nippte an ihrem Wasser und versuchte, Cousine Lizzie nicht anzustarren, die neue Hausdame, die an diesem Tag kurz vor ihr auf Belle Meade angekommen war. Aber da die junge Frau ihr am Tisch direkt gegenübersaß, war es eine gewisse Herausforderung, sie nicht immer wieder anzuschauen.

Olivia sah auf ihr eigenes graues Kleid hinab, das sie vor dem Essen angezogen hatte. Obwohl es verknittert war, war es immer noch in einer besseren Verfassung als das Kleid, das sie auf dem Weg hierher getragen hatte. Eine Dienerin hatte bereits das schwarze Kleid geholt, um es zu waschen und zu nähen, und ihr versichert, dass es morgen früh wieder in ihrem Schrank hängen würde.

Am Tisch herrschte eine angeregte Stimmung und es wurde über die verschiedensten Themen gesprochen. Die temperamentvolle Unterhaltung stand im völligen Gegensatz zu der üblichen Etikette bei offiziellen Abendessen, an denen Olivia früher in diesem Haus teilgenommen hatte. Aber ihr wurde bewusst, dass sie noch nie an einem Familienessen auf Belle Meade teilgenommen hatte. Die schmerzliche Erkenntnis, woran das gelegen haben könnte, trug nicht dazu bei, dass sie sich wohler fühlte.

Sie war eine Außenseiterin.

Jeder hier am Tisch dachte bestimmt das Gleiche. Sogar Tante Eli-zabeth, die nach dem langen Tag müde wirkte, behandelte sie eher wie einen Ehrengast als wie jemanden, der auf Dauer hier wohnen würde. Selene behandelte sie mit einer höflichen Freundlichkeit und Aufmerksamkeit, die fast wehtat. Und Mary …

Olivia warf einen verstohlenen Blick auf die jüngste Hardingtochter. Mary Harding schaute sie fast überhaupt nicht an, verstand sich aber trotz des Altersunterschieds bestens mit Lizzie. Selbst jetzt hatten die beiden die Köpfe zusammengesteckt und lächelten und flüsterten über etwas.

Lizzie war älter, als Olivia erwartet hatte. Mitte dreißig, hatte Eli-zabeth ihr anvertraut. Lizzies Eltern waren gestorben und sie hatte nie geheiratet. Die Hoffnung, dass eine Frau in diesem Alter noch einen Mann finden würde, war in diesen Tagen sehr gering, da es durch den Krieg nur sehr wenige Männer gab. Aber die junge Frau schien wirklich sehr nett zu sein.

Die größte Kritik, die Olivia an Cousine Lizzie üben könnte, war, dass sie um eine dritte Portion Zimtäpfel gebeten hatte. Aber die Äpfel schmeckten wirklich köstlich. Sie waren perfekt zubereitet. Genauso wie alles andere. An dieser Frau gab es also kaum etwas auszusetzen.

Alles an dem Essen war so, wie Olivia sich ein echtes Familienessen vorstellte. Ganz anders als die Mahlzeiten in ihrer Kindheit, die still, schweigend und gesittet abgelaufen waren. Niemand hatte über einen anderen gesprochen. Man hatte jeden aussprechen lassen. Ohne Ausgelassenheit. Ohne fröhliches Gelächter wie hier.

Da sie das einzige Kind eines älteren Ehepaares gewesen war, hatte sie ein solch lebendiges, herzliches Familienessen nie erlebt und würde es bei dem schlechten Ruf, den Charles ihr hinterlassen hatte, wahrscheinlich auch nie erleben. Diesen Ruf würde sie genauso wenig wieder loswerden, wie er vor einer Woche den Strick losgeworden war, der ihm um den Hals gelegt wurde.

Beim Gedanken an Charles, bei der Erinnerung daran, wie er gestorben war, wand sie sich innerlich. Sie wollte nicht wieder heiraten. Warum also vergeudete sie auch nur einen flüchtigen Gedanken da-ran, sich eine solche Szene zu wünschen? Aber wenn sie sich am Tisch umschaute und das Lächeln, die Herzlichkeit, die Vertrautheit und die entspannte Atmosphäre sah, in der diese Familie miteinander umging, wusste sie den Grund.

Sie hatte früher so große Hoffnungen gehabt, wie schön eine Ehe und eine Familie für sie sein könnten.

Als Mädchen hatte sie davon geträumt. Als junge Frau war sie darauf vorbereitet worden. Aber als frisch verheiratete Frau hatte sie schnell erfahren, dass nichts so war, wie sie es sich vorgestellt hatte.

Wahrscheinlich käme dennoch der Tag, an dem sie wieder heiraten würde. Und sei es auch nur, um den Leuten, die hier am Tisch saßen und ihre Gesellschaft tolerierten, nicht zur Last zu fallen. Aber sie betete, dass bis zu diesem Tag noch viel Zeit vergehen würde. Mindestens ein Jahr, wenn nicht sogar zwei, die übliche Trauerzeit für eine Witwe.

Und der nächste Mann, den sie heiraten würde – falls sie bei der Wahl ein Wort mitreden könnte –, wäre ganz anders als Charles. Am besten schwach, dick und dumm. Kaum fähig, seine Stimme ihr gegenüber zu erheben. Geschweige denn, seine Hand. Wenn sie Glück hatte, würde sie eine freundliche Zuneigung ihm gegenüber empfinden. Nicht die tiefe Liebe und Sehnsucht, von der sie früher geträumt hatte. Das waren die kindischen Träume eines kleinen Mädchens gewesen, das es nicht wusste, und einer jungen Frau, die noch keine Ahnung von der Realität des Lebens hatte.

Olivia betrachtete die Stoffserviette auf ihrem Schoß, strich die Falten glatt und spielte mit dem kunstvollen H, das in eine Ecke gestickt war. Andere Eigenschaften, die sie sich bei einem Mann wünschte, wenn sie mitbestimmen dürfte, waren Loyalität und Ehrlichkeit. Und er wäre natürlich selbstverständlich aus den Südstaaten und setzte sich dafür ein, alles wiederaufzubauen, was zerstört worden war, als die Konföderation den Krieg verlor.

Ein fröhliches Lachen erscholl am Tisch und holte Olivia in die Gegenwart zurück. Sie glaubte, ihren Namen gehört zu haben. Sie hob den Kopf und sah, dass Elizabeth sie beobachtete, genauso wie alle anderen.

„Ich wollte dich nur fragen, Olivia, ob du diese Geschichte des Generals schon gehört hast? Sie ist ziemlich amüsant und passt heute Abend sehr gut zu unserem Dessert, das unsere Susanna so perfekt zubereitet hat.“

Olivia blinzelte. „Ah …“ Da sie absolut keine Ahnung hatte, wovon Tante Elizabeth sprach, zwang sie sich zu einem Lächeln, während die junge Dienerin vor jeden eine Schüssel mit Weincreme stellte. „Ich glaube nicht, Tante Elizabeth. Aber ich würde sie sehr gern hören!“

Aus der befriedigten Miene des Generals und der Art, wie er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte, schloss Olivia, dass sie richtig geantwortet hatte. Da sie es nicht erwarten konnte, das Dessert mit Schlagsahne zu kosten – es war so leicht und luftig, eine ihrer Lieblingsspeisen –, wartete sie, bis Elizabeth den ersten Bissen genommen hatte, wie die Etikette es vorschrieb.

„Mein verstorbener Vater, John Harding“, begann der General, „führte ein ziemlich abenteuerliches Leben, wie meine Familie sehr gut weiß. Er baute nicht nur die Grundlage für das, was heute Belle Meade ist, sondern trug auch entscheidend zum Aufbau der Stadt Nash-ville bei. Er und meine Mutter hatten regelmäßig lokale und nationale Würdenträger zu Gast und bei mehreren Gelegenheiten …“

„Oh, mach schneller, Papa“, drängte Mary. „Komm zum guten Teil.“

„Und vergiss nicht, Opa Hardings Stimme nachzuahmen“, fügte Selene hinzu.

Er hielt eine Hand hoch. „Geduld, meine Töchter, Geduld.“ Dann zwinkerte er ihnen zu.

Olivia sah die anderen Damen lächeln und lächelte ebenfalls. Doch dann bemerkte sie, dass General Harding sie anschaute.

„Ich nehme an, du hast von David Crockett gehört, Olivia? Dem berühmten Bärenjäger und Abgeordneten im Kongress von Tennessee?“

Sie nickte. Jedes Kind in Tennessee wusste, wer David Crockett war.

„Kurz, bevor Crockett Tennessee verließ, um nach Texas zu gehen …“ General Harding beugte sich vor. „… war er zu Gast bei meinen Eltern. Hier auf Belle Meade.“ Sein Lächeln wurde wehmütig. „Mr Crockett war ein faszinierender Geschichtenerzähler, meine Damen. Nach dem Essen saßen wir stundenlang am Tisch und lauschten andächtig seinen Geschichten. Eines Abends“, er grinste, „servierte meine Mutter, Susan, das gleiche Dessert.“

Wie auf Kommando schaute jeder auf seine Schüssel und richtete dann seinen Blick wieder auf ihn.

„Als Crockett meinen Vater fragte, was das sei, antwortete mein Vater …“ General Harding senkte das Kinn ein wenig. „,Die Damen nennen es Weincreme, glaube ich, Mr Crockett‘“, sagte er mit tieferer Stimme und stark ausgeprägtem Dialekt. „,Schmeckt es Ihnen?‘“

Selene, Mary und Lizzie kicherten. Elizabeths Augen funkelten und Olivia musste ebenfalls grinsen.

„Crockett“, erzählte der General mit normaler Stimme weiter, „der als gewitzter Mann überall bekannt war, erwiderte: ‚Das kann ich nicht genau sagen. Ich habe sie probiert, aber wo bleibt der Wein zu der Creme?‘“

Alle am Tisch lachten und Olivia stimmte mit ein. Ihre Spannung legte sich ein wenig. Der General sah sich am Tisch um und schloss sie in seinen Blick mit ein.

Elizabeth nahm den ersten Bissen von der Weincreme und die anderen am Tisch folgten ihrem Beispiel. „Olivia, du hättest den Vater des Generals kennenlernen müssen. Er war so freundlich, so zuvorkommend in seinem Auftreten und in seinen Worten.“

„Und wie lautete sein Motto, Mädchen?“, fragte der General.

Selene schaute Mary an, deren Löffel mitten in ihrer Bewegung erstarrte. „,Wenn du dich ein wenig mehr angestrengt hättest‘“, sagten sie wie aus einem Munde und sogar Lizzie stimmte mit ein, da ihr die Familiengeschichte offenbar vertraut war, „,hättest du bestimmt ein bisschen mehr erreicht.‘“

Wieder lachten alle. Und wieder kam sich Olivia vor, als stünde sie draußen am Fenster und schaue nur hinein.

„Selene …“ Der General trank einen Schluck von seinem Kaffee. „War das heute deine junge Freundin Roberta, die ich hier gesehen habe?“

„Ja, Vater.“

„Hast du sie endlich überredet zu reiten?“

Selene schüttelte den Kopf. „Sie wollte kaum einen Fuß in den Stutenstall setzen, geschweige denn, sich so weit hineinwagen, dass sie eine Stute berührt hätte. Oder gar auf ihr geritten wäre. Sie behauptet steif und fest, die Pferde wollten ihr wehtun.“

Alle am Tisch lachten. Alle außer Olivia.

„Wenn sie das nächste Mal hier ist …“ Der General schaute seine älteste Tochter gezielt an und in seiner Stimme lag eine feste Entschlossenheit. „Musst du mich das wissen lassen. Dann sorge ich persönlich dafür, dass sie sich in einen Sattel setzt und reitet. Jede junge Frau sollte reiten und mit einem Pferd umgehen können. Wir müssen uns unseren Ängsten stellen, statt vor ihnen wegzulaufen. Du kannst ihr gern ausrichten, dass ich das gesagt habe.“

Schweigen kehrte am Tisch ein, als nehme sich jeder die Aussage des Generals zu Herzen. Olivia wandte ihren Blick nicht von ihrer Dessertschale ab und betete inbrünstig, dass niemand von ihr verlangen würde zu reiten.

„Wie geht es Ihrem Sohn, General?“, fragte Cousine Lizzie in das Schweigen hinein.

„John Junior geht es sehr gut. Danke der Nachfrage, Lizzie. Er und seine Frau und ihre Kinder fühlen sich auf der Stones River Farm bei Nashville sehr wohl. Sie waren erst vor einer Woche zum Essen hier.“

Olivia hätte fast vergessen, dass der General einen Sohn von seiner ersten Frau hatte, die früh verstorben war. Elizabeth hatte ihn in ihren Briefen oft erwähnt, aber Olivia war ihm noch nie begegnet.

„Selene hat heute einen besonderen Brief bekommen“, verkündete Elizabeth mit verschwörerischer Stimme. Olivia blickte auf.

Selene aß weiter ihre Nachspeise. Ein leichtes Lächeln war ihre einzige Antwort.

„Das stimmt“, antwortete der General. „Aber bekommt sie solche Briefe nicht regelmäßig? Ich habe allein in diesem Monat schon mindestens vier Verehrer weggejagt. Keiner von ihnen hat meine Tochter verdient.“

Elizabeth schüttelte den Kopf. „Du bist viel zu streng mit den Herren.“

Der General trank einen weiteren Schluck von seinem Kaffee und tat diese Bemerkung mit einer Handbewegung ab. „Von wem ist wohl dieser besondere Brief gekommen? Verratet es mir nicht, lasst mich raten! Vielleicht von einem … Metzger?“

Seine Bemerkung löste ein neues Gelächter aus.

„Oder von einem Bäcker?“

„Vater“, sagte Selene in einem gespielt strengen Tonfall.

„Oder vielleicht von einem Kerzenmacher?“, setzte er nach.

Olivia beobachtete diese Szene und war dankbar für den Themenwechsel. Sie genoss die Weincreme, stellte aber fest, dass Mary an dem verspielten Wortwechsel nicht teilnahm.

„Mein lieber Mann.“ Elizabeth lachte. „Du kannst sicher erraten, von wem der besagte Brief kam.“

„Ja, das könnte ich“, antwortete er mit einem leichten Lächeln. „Aber meine Tochter soll es mir sagen. Ich will sie den Namen des Mannes aussprechen hören.“

Olivia hörte den Ernst in der Stimme des Generals und täuschte ein starkes Interesse an ihrer Weincreme vor, während sie trotzdem unauffällige Blicke auf die anderen warf.

Selenes Wangen erröteten. Sie legte ihren Löffel beiseite und schaute ihren Vater über den Tisch hinweg an. „Sein Name ist General William Hicks Jackson, wie du sehr wohl weißt, Vater.“ Ein Lächeln zog über das Gesicht der jungen Frau, das mehr aussagte als alle Worte.

„Ach, ja.“ General Harding schob sich einen Löffel voll Weincreme in den Mund. Aus seiner Miene zu schließen, genoss er den Geschmack. „Ich glaube, ich habe von diesem Mann schon gehört. Aber ich wollte wissen, was meine Tochter für ihn empfindet.“ Sein Blick wurde liebevoll. „Man sieht einer Frau immer an, was sie für einen Mann empfindet, wenn sie seinen Namen ausspricht. Entweder tut sie es mit Zuneigung, weil sie stolz auf ihn ist. Oder mit einem Zögern, weil sie sich für ihn schämt.“

Am Tisch wurde es still und Olivia hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Sie konzentrierte ihren Blick auf ihr Dessert und wagte es nicht, zu atmen.

„Und ich höre“, fuhr der General fort, „dass du sehr stolz bist auf deinen General William Hicks Jackson.“

Olivia öffnete die Lippen und atmete langsam und leise ein und aus.

Selene schmunzelte. „Er ist nicht mein General, Vater.“

„Vielleicht ist er das noch nicht“, erwiderte der General. „Aber ich habe den Eindruck, dass er es sehr gerne wäre. Warum auch nicht? Natürlich …“ Sein Lachen war kurz und vielsagend. „… muss er dafür erst mich überzeugen.“

Olivia bekam endlich wieder Luft. Sie hob den Kopf und sah Selene strahlend und hoffnungsvoll lächeln, während Mary unauffällig etwas von ihrer Wange wischte.

* * *

Nach dem Dessert erhob sich General Harding von seinem Platz an der Stirnseite des Tisches und das Gespräch verstummte. „Bevor wir heute Abend diesen Tisch verlassen, möchte ich gerne einen Toast aussprechen, meine Damen, wenn ihr es irgendwie schafft, zwei Minuten mit dem Plappern aufzuhören.“

Elizabeth und die anderen lachten über die gespielte Strenge in seiner Stimme, aber Olivia dachte wieder an Charles und ihr verging das Lachen.

Der General hob sein Wasserglas. „Auf Miss Lizzie Hoover, die schöne Tochter meiner Cousine, die so freundlich war zuzustimmen, diesen geschäftigen Haushalt zu koordinieren und dafür zu sorgen, dass er weiterhin so gut läuft.“ Er blickte ans andere Ende des Tisches. „Du wirst zweifellos dazu beitragen, die Last, die meine liebe Frau schon viel zu lang auf ihren zarten Schultern trägt, zu verringern.“

Elizabeths fröhliche Miene trübte sich für einen Moment und sie runzelte ihre Stirn. Dann lächelte sie schnell wieder.

„Ich bin dir dankbar, Lizzie“, fuhr der General fort, „dass du nicht nur als unsere Hausdame zu uns kommst, sondern auch, um Teil unserer Familie zu sein. Darauf wollen wir trinken!“

Die Kristallgläser wurden, begleitet von einem freundlichen Lachen und geflüsterten Willkommensworten, angestoßen und Olivia lächelte, bis es fast wehtat.

„Und jetzt …“ Der General drehte sich um. „Ein zweiter Toast.“

Ihr Gesicht wurde warm.

„Auf Olivia, die Tochter der liebsten Freundin, die meine Frau je hatte …“

Und der Frau eines Verräters an der Konföderation, dessen Namen ich nicht über die Lippen bringe, hörte Olivia ihn im Geiste sagen und war sich fast sicher, dass sie diese Worte in seinen Augen las.

„Gott gebe Rebecca ewigen Frieden“, fügte der General leise hinzu. „Olivia, wir heißen dich auf Belle Meade herzlich willkommen … und sprechen dir unser Beileid für deinen kürzlichen Verlust aus und unser Mitgefühl für alles, was du in den letzten Tagen durchmachen musstest.“

Olivias Griff verkrampfte sich um ihr Glas. Danke, flüsterte sie.

„Ich hoffe, dich erwartet eine freundlichere Zukunft, und ich vertraue darauf, dass du dich hier schnell einlebst und dass du es genießen wirst, in einer so hübschen – und lebhaften – Umgebung zu wohnen.“ Mit einem Lächeln hob er sein Glas, auch wenn es bei Weitem nicht so herzlich war wie beim ersten Mal. „Auf Olivia!“

Die Kristallgläser klirrten wieder und alle nippten an ihrem Wasser, während die Geräusche der Dienstboten im Nebenzimmer an ihre Ohren drangen.

Elizabeth drückte Olivias Arm. „Livvy, wir sind alle so froh, dass du hier bist.“ Elizabeths Blick wanderte über den Tisch. Die anderen Frauen lächelten und nickten. Alle außer Mary, die den Kopf hängen ließ und den Blick ähnlich abwandte wie ihr Vater.

Olivia versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie unwohl sie sich fühlte. „Danke, Tante Elizabeth. Ich danke auch Ihnen, General Harding.“ Sie schaute ihn an. „Dass Sie so freundlich und großzügig sind und ich bei Ihnen wohnen darf. Das werde ich nie als selbstverständlich betrachten … Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.“

Nach dem Essen konnte sie es kaum erwarten, wegzukommen und in ihr Zimmer zu flüchten. Müde, enttäuscht und auf eine Weise resigniert, die sie nicht beschreiben konnte, dankte sie Elizabeth noch einmal für das Essen und entschuldigte sich dann.

„Livvy?“ Tante Elizabeth deutete auf Selene, Mary und Cousine Lizzie, die die Köpfe zusammensteckten. „Die Mädchen planen nächste Woche einen Ausflug in die Stadt. Vielleicht möchtest du sie begleiten?“

Das Letzte, was Olivia wollte, war, irgendjemanden in der Stadt wiederzusehen, besonders nach dem, was heute Morgen passiert war. Sie bemerkte die nicht gerade subtile Ablehnung in Marys Augen und sah auch Selenes Miene an, dass sie nicht sehr begeistert war, auch wenn sie es besser verbarg. Dass sie mit ihr nicht unbedingt in der Öffentlichkeit gesehen werden wollten, war unübersehbar.

Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Danke für die Einladung, aber … ich kann mir im Moment nichts vorstellen, das ich in der Stadt bräuchte.“

Erleichterung trat in Marys Augen. Und auch in Selenes.

„Das ist verständlich“, erwiderte Selene sanft und entschuldigend. „Da du ja gerade erst hier angekommen bist.“

„Ja, genau“, nickte Olivia. Sie machte den Mädchen wegen ihrer Gefühle keinen Vorwurf, musste sich aber doch sehr beherrschen, um nicht zu zeigen, wie verletzt sie war.

Sie hatte kaum das Foyer erreicht, als sie General Harding ihren Namen sagen hörte. Sie setzte wieder ein Lächeln auf und drehte sich um. „Ja, Herr General?“

„Könnte ich dich bitte in meinem Büro sprechen, Olivia? Ich verspreche dir, dass es nicht lange dauern wird.“