Über das Buch:
Jack O‘Malley ist Feuerwehrmann. „Brenzlige“ Situationen gehören zu seinem Alltag. Als eine Serie von Brandanschlägen die Stadt überzieht, kämpft Jack an vorderster Front. Wer ist der Täter, der seine Tatorte mit Popcorn und roten Wandschmierereien markiert? „Mörder“, „Feiglinge“, „Lügner“ - sind damit die Feuerwehrleute gemeint? Ein brandgefährlicher Fall, der den kriminalistischen Sachverstand des gesamten O´Malley-Clans erfordert. Doch Jack bekommt auch Hilfe von anderer Seite. Seine Kollegin Cassie hatte den Helm zwar an den Nagel gehängt, als ein Flammeninferno fast ihr Schicksal wurde. Nachdem sie aber Zeuge eines neuen Anschlages geworden ist, eilt sie Jack zu Hilfe. Und bei Jack fühlt sie sich durchaus wohl ...

Über die Autorin:
Seit 1996 hat sich Dee Henderson mit nur zwei Romanserien in die Spitze der christlichen Schriftsteller in den USA geschrieben. Dem Erfolg entsprechend hat die Tochter eines Pfarrers ihren Beruf als Finanzbeamtin an den Nagel gehängt und lebt als Schriftstellerin bei Chicago.

6

Jack zog die Handgelenkgurte seiner Handschuhe zu, als Löschzug 81 vor dem Haus ausrollte und ein kleines Stück dahinter hielt, damit Wagen 65 den Hydranten erreichen konnte. Sie würden sich das Wasser teilen, wobei Wagen 65 es weiterleitete, damit sie vier Angriffslinien aufstellen und den Wasserdruck gleich halten konnten.

Der Leiterwagen von Einheit 81 schoss mit heulenden Sirenen um die Ecke und hielt auf der Ostseite des Hauses. Die Rettungseinheit kam von der Straßenseite, wo die Löschzüge standen. Das Feuer hatte bereits das Dach durchbrochen. Jack schwang sich vom Sitz auf den Boden, erleichtert, dass sie alle Löschfahrzeuge im Einsatz hatten. Sie würden alle Männer brauchen. Und viele Meter Schlauch, um den Brand zu löschen.

War das Haus bewohnt oder leer? Jacks Blick wanderte über Dutzende Schaulustige, auf der Suche nach dem einen oder anderen Nachbarn, der vielleicht darüber Auskunft geben konnte. Zwei Polizisten waren da und auch ein Journalist hatte den Weg zum Brandort schon gefunden.

„Sie ist hineingegangen, um die Schlafzimmer zu durchsuchen.“ Jack schnappte die Worte eines besorgt klingenden älteren Herrn auf, der jetzt neben dem Hauptbrandmeister stand. „Ich soll Ihnen sagen, dass sie im Uhrzeigersinn sucht. Sie hat das extra betont.“

„Wer?“

In diesem Augenblick sah Jack den Wagen. Es gab keine zwei Menschen, die eine blaue Limousine mit weißen Streifen fuhren und auf der Stoßstange den Aufkleber eines Chili-Kochwettbewerbs kleben hatten: Feuerwehrleute mögen’s heiß.

„Cassie!“, brüllte Jack, während das Adrenalin in seine Adern jagte. „Ist sie wieder aus dem Haus herausgekommen?“ Er versuchte, den Klang der Verzweiflung aus seiner Stimme zu verbannen, während er seine Sauerstoffflasche packte. Er schob sich die Halterung über die Schultern und rückte das Gerät auf seinem Rücken zurecht. Bruce und Nate wandten sich von den Schläuchen ab und schnappten sich Brandschutzdecken und zusätzliche Sauerstoffflaschen, denn die Prioritäten hatten sich sofort verlagert.

Die beiden Kollegen von der Rettungsmannschaft 81 waren schon auf dem Weg zum Eingang des Hauses.

„Nein. Sie ist jetzt drei Minuten drinnen“, sagte der alte Mann.

Jack wusste, dass sie keine andere Wahl gehabt hatte als hineinzugehen, wenn die Möglichkeit bestand, dass noch Menschen im Gebäude waren. Das Wort „Angst“ beschrieb nur unzureichend das Gefühl, das sich in ihm breit machte. Dachpfannen fielen zu Boden und zerschlugen mit einer Funkenexplosion auf der Auffahrt.

„Jack, Reserverettung.“ Frank stellte sein Funkgerät ein und zog die Aufmerksamkeit des Oberbrandmeisters von Löschzug 81 auf sich. „Fünf gehen rein. Reißt das Dach auf, aber löscht noch nicht, solange wir nicht sicher sein können, dass es nicht über dem Suchtrupp einstürzt.“

„Niemand zu Hause!“ Der Polizist, der sich einen Weg in die Garage gebahnt hatte, war erfolgreich gewesen. Kein Auto. Wer immer hier lebte, war im Urlaub. Jack hätte am liebsten laut geflucht. Cassie konnte das nicht wissen. Und das bedeutete, dass sie sich die Zeit nehmen würde, jedes Schlafzimmer zu durchsuchen, wenn es irgend möglich war.

Sie wusste, wie ein Feuer sich bewegte und atmete. Sie kannte die Gefahren. Aber das war ein zweischneidiges Schwert. Sie würde bis zum letzten Moment drinnen bleiben. Und der Rauch würde sie unterkriegen. Nach achtzehn Monaten auf dem Abstellgleis konnte sie ihre eigenen Grenzen nicht mehr richtig einschätzen. Stress, Hitze, Rauch ... sie hätte längst wieder draußen sein müssen.

Bruce und Nate waren an seiner Seite, als er auf das Haus zu rannte. Er wünschte, Ben wäre schon wieder im Dienst. Er würde das Gebäude nicht eher verlassen, bis er sie gefunden hatte, und jetzt hätte er die Stärke des Mannes gut gebrauchen können.

* * *

Die Farbe warf Blasen. Jack sog zischend die Luft hinter seiner Maske ein, als der Strahl seiner Lampe den Anblick erleuchtete, den er befürchtet hatte. Wenn sie diese Wände durchbrachen, würden die Flammen sie umzingeln. Sobald Sauerstoff den Kern des Feuers erreichte, würde es tosend aufflammen. Das Gebäude stand kurz vor dem Untergang.

Jack folgte den Leuten der Rettungseinheit 81 die Treppe hinauf, während Bruce und Nate sich verteilten, um den ersten Stock zu durchsuchen.

Wo war sie?

Die Flammen hatten die Decke im Griff, ein dunkelrot glühendes Monster, das wie eine Welle durch den dicken Rauch rollte und sich von der Farbe speiste. Die beiden Männer vom Rettungsteam drangen gemeinsam in den Rauch vor, um die ganze Breite der Diele mit ihren Körpern förmlich zu durchkämmen. Jack war sich der Realität durchaus bewusst. Sie hofften, über Cassie zu stolpern.

Sie kroch auf allen Vieren. Der Feuerwehrbeamte in ihm zollte ihrer Intelligenz Beifall, aber der Mann in ihm, der sie im Krankenhaus besucht hatte, hätte am liebsten geweint. Sein heller Scheinwerfer streifte einen ungewohnt blauen Gegenstand. Mit der linken Hand hielt sie einen Teddy umklammert. Kein Wunder, dass sie weitergesucht hatte. Die Kollegen von der Rettungseinheit wickelten sie in eine Brandschutzdecke, um sie vor fallender Glut zu schützen, hoben sie auf und übergaben sie an ihn.

Jack bemühte sich, die heilenden Hauttransplantate an ihren Armen nicht zu berühren, als er ihr Gewicht im Arm spürte. Cassie krümmte sich unter Hustenanfällen. Auf keinen Fall würde sie die Treppe hinuntergehen können, ohne zu stürzen. Er legte sie über seine Schulter und machte kehrt, um den Weg die Treppe hinunter, den er gekommen war, zurückzugehen. Dabei hatte er nur einen Gedanken – sie so schnell wie möglich aus dem Haus zu bringen.

In dem Augenblick, als er die Eingangstür durchschritten hatte, riss er sich die Maske vom Gesicht. Er verlagerte Cassie, schob die Schutzdecke zur Seite und war bestürzt, als er zum ersten Mal deutlich ihr Gesicht sehen konnte. Tränen strömten über ihre Wangen und sie rang würgend nach Luft. Eine versengte Lunge konnte tödlich sein. „Wo ist der Rettungswagen?“

„Hier.“

Die Stiefel fühlten sich wie Blei an seinen Füßen an, während er am liebsten gerannt wäre.

Cole war ebenso zur Stelle wie zwei Sanitäter aus dem nahe gelegenen Krankenhaus. Jack war dankbar, dass es Neal und Amy waren, die Dienst hatten. Sie waren Profis in Bezug auf Brandwunden. Als er Cassie behutsam ablegte, wünschte er trotzdem, sein Bruder Stephen hätte den Notruf entgegengenommen.

Jack hörte den Befehl, den Brand zu löschen, und damit war ihm klar, dass seine Männer und die Rettungsleute in Sicherheit waren. Ein unglaubliches Getöse folgte, als das Wasser zu strömen begann.

Cassie weigerte sich, auf der fahrbaren Krankentrage liegen zu bleiben. „Heiß“, protestierte sie.

Während Cole ihr vorsichtig die Jacke auszog, bemerkte Jack die Brandflecke im Leder. Sie brauchte eine neue Jacke zu Weihnachten.

Amy schob eine Sauerstoffmaske über die Hustenanfälle.

Jack streifte seine Handschuhe ab. Er knöpfte die Manschetten an Cassies Bluse auf und rollte vorsichtig ihre Ärmel hoch. Die heilenden Narben an beiden Armen waren gerötet, entzündet von der Hitze, wobei der rechte Arm deutlich schlimmer aussah als der linke. Neal reichte Kühlkissen herüber und Jack legte sie an Cassies Unterarme. Sie zuckte zusammen.

„Besser“, flüsterte sie.

Jack hob ihr Kinn an, um nach frischen Verbrennungen zu suchen. Ihre Augen tränten, und sie konnte nur blinzeln. Behutsam entfernte er ihre Brille, erleichtert, dass sie nicht zerbrochen war. Die Erschöpfung, die er früher am Abend bei ihr gesehen hatte, überfiel sie nun mit voller Wucht. „Das Haus war leer, Cassie. Die Familie ist im Urlaub.“

Man konnte ihre Erleichterung beinahe mit Händen greifen.

Neal schob einen Eisbeutel unter ihren Nacken, um sie abzukühlen. „Warte, Cassie, die Augentropfen werden helfen.“ Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht und öffnete vorsichtig ihre Lider, um die Tropfen zu verabreichen. Dann tupfte er die tränenden Augen mit steriler Gaze ab. „Lass sie tränen und sich reinigen.“

Ein Hustenanfall ließ sie sich zusammenkrümmen.

Es tat weh, ihr zuzuhören.

Jack musste zu seinen Männern zurück, aber er wollte nicht von ihrer Seite weichen. Er konnte nur ahnen, wie schwierig es für sie gewesen sein musste, dem Feuer erneut die Stirn zu bieten.

Eine feste Hand senkte sich auf seine Schulter. Jack blickte auf und sah seinen Hauptbrandmeister neben ihm, den Blick auf Cassie gerichtet. „Kompanie 26 ist in einer halben Minute hier“, sagte Frank. „Wir sind genug Leute. Bleib bei ihr. Lass mich wissen, wenn sie etwas braucht. Egal, was.“

Jack nickte dankbar.

Neal berührte leicht seinen Arm, und Jack sah zu ihm hinüber. Neal hatte Cassies Finger aufgebogen, um ihr die Armbanduhr abzunehmen. An Fingern und Handfläche der linken Hand hatte sie Brandblasen, einige davon bereits offen und roh. Jack erkannte das Muster: Sie hatte einen Türknauf angefasst. Seine eigene Hand zog sich mitfühlend zusammen.

„Wir bringen dich ins Krankenhaus, Cassie.“ Er streichelte die Innenseite ihres rechten Handgelenks und spürte ihren ungleichmäßigen Puls. „Jemand wird sich die Blasen anschauen.“

Ihre Augen öffneten sich, und in einer unkoordinierten Bewegung hob sie die rechte Hand, um die Sauerstoffmaske beiseite zu schieben. „Nein. Kein Krankenhaus.“

In ihrem Blick lag Angst, aber es führte kein Weg am Krankenhaus vorbei. Ein Arzt musste sie untersuchen, nicht nur wegen der Blasen, sondern wegen ihrer Lunge. Einen Streit mit ihr konnte er nicht gebrauchen, nicht in dieser Sache. „Cole.“ Er wandte sich an den einzigen Menschen, auf den sie hören würde.

Amy versuchte sie dazu zu bewegen, dass sie die Maske wieder aufsetzte, aber Cassie schob sie fort. Sie versuchte, den Kopf so zu drehen, dass sie Cole sah. „Nein. Ich gehe nicht.“

Der Mann war ihr Hauptbrandmeister gewesen. Was sie gemeinsam erlebt hatten, ging viel weiter zurück als der Brand im Pflegeheim, und Jack konnte das wortlose Gespräch zwischen den beiden fast sehen. Schließlich nickte Cole. „Tu, was du hier tun kannst, Neal. Sie geht nicht ins Krankenhaus.“

Ungläubig drehte Jack sich um. Er war wütend auf Cole. Aber ein Blick von ihm brachte Jack zum Schweigen, noch ehe er etwas sagen konnte.

Cassie schloss die Augen und ließ zu, dass Amy ihr die Sauerstoffmaske wieder aufsetzte.

Jack trat zur Seite, damit Neal ungehindert seine Arbeit tun konnte. „Cole ...“ Er war bereit, seinen Standpunkt mit Nachdruck zu vertreten.

„Kann ich meine Brille haben?“, murmelte Cassie.

Jack blickte auf das Gestell, das er in der Hand hielt. Die Gläser waren mit Ruß verschmiert. Wenn er ihr die Brille gab, stieß Cassie sie vielleicht versehentlich herunter und dann konnte sie zerbrechen. „Später, Cassie. Du kannst im Moment sowieso nichts sehen.“

Sie klopfte auf die Brusttasche ihrer Bluse. „Hier. Die Einzige.“

„Ich werde sie nicht verlieren.“

Sie öffnete die Augen und blinzelte ihn an. „Schwörst du?“

Wäre es nicht um eine Brille gegangen, hätte er über die Verärgerung in ihrer Stimme gelacht. „Ich verspreche, dass ich sie nicht verliere.“

Sie glaubte ihm nur widerwillig. Jack streckte die Hand aus und drückte sanft ihr Fußgelenk. Er verstand, warum sie sich an so etwas Banales klammerte. Nach dem Brand im Pflegeheim hatte sie drei Wochen lang mit verbundenen Augen dagelegen. Ohne Brille konnte sie kaum etwas sehen. „Versprochen, Mädchen.“

„Cassie?“ Neal beanspruchte ihre Aufmerksamkeit. „Ich muss diese Hand säubern. Es wird brennen.“

Sie nickte nur. Jack nahm an, dass das alles relativ war. Ein Brennen rangierte auf dem Schmerzbarometer wahrscheinlich nicht sehr weit oben, verglichen mit dem, was sie durchgemacht hatte.

Jack wandte sich wieder seinem Freund zu und senkte die Stimme. „Sie braucht einen Arzt, Cole.“

„Wem sagst du das.“

„Aber warum ...“

„Sie müsste schon todkrank sein, bevor sie noch einmal freiwillig einen Fuß in ein Krankenhaus setzt.“

Jack vermutete, dass er wahrscheinlich genauso empfinden würde, wenn er über ein Jahr mit wenigen Unterbrechungen ständig in Krankenhäusern verbracht hätte. „Das ändert nichts an der Tatsache, dass ein Arzt sie untersuchen muss.“

„Deshalb werde ich einen finden, der Hausbesuche macht.“ Cole deutete zu dem Feuer hinüber. „Eins von seinen?“

Jack zwang sich, seine Aufmerksamkeit auf das Problem zu richten, mit dem sie es hier zu tun hatten. „Feuer in den Wänden“, bestätigte er. „Die Chancen stehen gut, dass wir seine Unterschrift finden.“

„Das Haus gehört Peter Wallis.“ Die sachliche Bemerkung bekam besonderes Gewicht durch die Bedeutung dieser Information.

„Dem Vorstandsvorsitzenden der Bezirksfeuerwehr?“

Cole nickte.

Jack spürte, dass sich langsam eine Antwort auf die noch offene Frage des Tatmotivs herauskristallisierte.

„Das tat weh.“

Als er Cassies Worte vernahm, drehte Jack sich um. Er sah den vom Schmerz verkniffenen Zug um ihren Mund.

„Wir haben’s gleich geschafft“, tröstete Neal. Er hatte ihre Hand gereinigt und versorgte gerade eine Blase, die sich zwischen kleinem Finger und Ringfinger gebildet hatte. Jack trat wieder an ihre Seite und berührte mit der Hand ihre Schulter.

Cassie schob die Sauerstoffmaske zur Seite. „War es Brandstiftung?“

„Sieht so aus.“ Jack schubste die Maske wieder an ihren Platz und wünschte, sie wäre eine bessere Patientin. Sie ignorierte ihn.

„Er hat das Feuer gelegt“, murmelte sie.

„Was?“

Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.

„Hast du etwas gesehen, Cassie?“, drängte Cole. „Irgendetwas?“

„An der Auffahrt. Hat das Feuer beobachtet. Komisch, wie er zugesehen hat“, flüsterte sie. „Ein großer Mann, braune Jacke, Jeans.“ Sie sah auf ihre Hand hinunter. „Ich konnte ihn nicht gut sehen. Er stand im Schatten.“

Jack warf Cole einen Blick zu. Sie hatten gehofft, dass jemand den Mann sehen würde, aber Cassie – Jack hatte Angst davor, was das bedeutete. Sie hatte ihn gesehen, und das bedeutete, dass er sie auch gesehen hatte.

Cole kramte seinen Schlüssel aus der Hosentasche. „Bring sie auf die Wache, sobald sie transportfähig ist, und nimm ihre Aussage auf“, sagte er leise. „Ich komme mit ihrem Wagen hin.“

7

Jack wusste, dass Cole sein Auto als mobile Kommandozentrale benutzte. Ihm war jedoch nicht klar gewesen, dass es deshalb kaum Platz für Mitfahrer gab. Hinten im Wagen lagen leere Farbdosen, die er für das Sammeln von Beweisstücken benutzte, Metallsiebe, um Asche zu durchsuchen, Schaufel, Harke, Stemmeisen, Mülltüten, eine große rote Werkzeugkiste und mehrere Rollen Plastikfolie, um Beweismaterial zu schützen.

Jack regelte die Lautstärke des Notruffunks herunter und konzentrierte sich auf den Verkehr, auch wenn er aus dem Augenwinkel Cassie auf dem Sitz neben ihm im Blick behielt. „Lass den Sauerstoff drauf.“

„Mir geht es gut.“

„Du hustest immer noch nach jedem zweiten Wort.“

„Ich hab schon öfter Rauch geschluckt. Die Atemwege sind fast wieder frei.“

Er hob ironisch die Augenbrauen. „Das merke ich.“

Sie setzte die Maske wieder auf.

Ihre schlanke Gestalt versank förmlich in Coles Jacke. Cassies Körper hatte von überhitzt auf unterkühlt umgeschwenkt, während er versuchte, mit dem Adrenalinstoß fertig zu werden. Jack fühlte sich ausgesprochen verantwortlich für sie. Cassie war seiner Fürsorge anvertraut worden, und er war nicht besonders glücklich darüber. Schließlich war er kein Sanitäter.

Sie hätte mindestens noch eine Stunde unter Neals und Amys professioneller Aufsicht bleiben sollen. Aber sie hatte darauf bestanden, dass sie mitfahren konnte, und sie aufhalten zu wollen war so, als würde man sich einer Dampfwalze in den Weg stellen.

„Du hast gar nicht gesagt, dass ich nicht hätte hineingehen sollen.“

Jack drehte den Kopf lange genug zur Seite, um sie anzusehen. Er war überrascht, dass ihre Stimme verärgert klang. Er hatte ihre Brille sauber gemacht, und hinter den Gläsern wirkten ihre Augen riesig. Sie waren noch immer rot und tränten vom Rauch, so dass sie wieder blinzeln musste. Dadurch sah sie richtig süß aus. „Weil ich glaube, dass du richtig gehandelt hast.“ Er fragte sich, warum sie dachte, er würde ihre Entscheidung missbilligen. Er mochte zwar an diesem Abend zehn Jahre gealtert sein, und bis sie aufhörte zu husten, würde er jedes Mal mitleiden, aber ihre Entscheidung war richtig gewesen. „Du musstest hineingehen.“

„Ich wollte nicht.“

Jack streckte den Arm aus und achtete sorgfältig darauf, nicht ihre linke Hand zu berühren, die in ein kaltes Handtuch gewickelt war. Stattdessen berührte er ihre dreckige Jeans am Knie. „Aber du bist trotzdem reingegangen.“ Bewunderung und anhaltende Angst schwangen in seinen Worten mit. Das Feuer hatte sie einmal erfasst, und trotzdem war sie hineingegangen. Und wieder hatte es sie verletzt, weil sie nicht rechtzeitig da gewesen waren, um ihr zu helfen. „Dadurch bist du ein noch größerer Held.“

„Heldin.“

„Aber du stehst jederzeit deinen Mann, wenn es um Brandbekämpfung geht“, widersprach er.

„Danke.“ Es klang erfreut ... sogar etwas gerührt.

„Du bist eine von uns. Auch wenn du nicht annähernd so oft bei uns bist, wie wir uns das wünschen würden.“

„Die Jungs rücken mir ein bisschen zu sehr auf die Pelle“, sagte sie leise. „Und für ihre Familien ist es schwierig.“

Es schmerzte Jack, das zu hören, obwohl er Verständnis dafür hatte. Sie war die wandelnde Erinnerung an das, wovor sich alle Angehörigen fürchteten. „Das ist keine Absicht.“

„Es ist einfach so. Ich beklage mich nicht.“

„Und für dich ist es auch nicht einfach, all das, was du einmal hattest, um dich herum zu haben.“

„Stimmt.“ Sie zog Coles Jacke zurecht. „Ich stinke nach Rauch. Das vermisse ich überhaupt nicht.“

Sie hatte einen guten Aufhänger gewählt, um ihrer Unterhaltung eine leichtere Wendung zu geben. „Das gilt für uns beide.“ Das Fahrzeug roch inzwischen wie ein ausgetretenes Lagerfeuer. Nicht gerade die optimale Methode, um Eindruck auf eine Dame zu machen.

„Hast du gesehen, was mit meiner Lederjacke passiert ist?“

Jack war froh, dass sie nicht gefragt hatte, wie die Jacke aussah. Das Leder hatte gute Arbeit geleistet und die Glut abgehalten, war dabei aber hoffnungslos ruiniert worden. „Cole hat sie. Ich glaube, er hat sie in dein Auto gelegt.“

Sie hob das kalte Handtuch vorsichtig an, um ihre Brandblasen zu betrachten.

„Fang bitte nicht an, mit den Verbänden zu spielen und Neals Arbeit zunichte zu machen.“ Das kalte Handtuch hielt die Gaze nass und die Verbrennungen feucht, ein wichtiger Faktor für den Heilungsprozess.

„Jetzt entspann dich mal! Es sind nur Blasen. Nach ein, zwei Tagen hat sich da Hornhaut gebildet.“

„Was haben sie dir gegen die Schmerzen gegeben?“

„Keine Ahnung, aber was immer es war, es wirkt.“

„Deine Sprache wird undeutlich.“

„Um diese Uhrzeit bekomme ich schon unter normalen Bedingungen kein vernünftiges Wort heraus, also ist es wahrscheinlich kein großer Verlust.“ Ihre Stimme brach weg, als ein neuerlicher Hustenanfall einsetzte.

„Ich wünschte, du wärest zum Arzt gegangen.“

„Mitten in der Nacht hätten sie mich nicht nach Hause gehen lassen.“

„Und das wäre so schlimm?“

„Ja.“

Es war keine echte Erklärung, aber die Gefühle hinter den Worten waren intensiv. Ihr Zuhause war für sie jetzt entscheidend. Er speicherte diese Tatsache ab. Träumte sie von dem Feuer, und half die Geborgenheit ihres eigenen Bettes ihr zu schlafen?

„Was machen deine Unterarme?“

„Sie tun weh.“

Sie hob die Hand, hielt dann aber inne. „Wenn ich mir bloß die Augen reiben könnte.“

„In meiner Hemdtasche ist ein sauberes Taschentuch, wenn du magst.“ Jack hätte es herausgeholt und ihr gegeben, aber seine Hände waren alles andere als sauber.

Cassie lehnte sich herüber und zog das Tuch mit ihrer rechten Hand hervor. „Danke.“ Sie nahm ihre Brille ab und wischte sich über die Augen.

„Brauchst du noch Augentropfen?“

„Wenn wir auf der Wache sind.“ Sie setzte die Brille wieder auf.

Jack machte kreisende Bewegungen mit den Schultern und unterdrückte ein Gähnen, so gut es ging. Es war ihm peinlich zuzugeben, dass Adrenalin ihm alle Energie entzog.

„Ich kann nicht behaupten, dass ich das Aufstehen mitten in der Nacht vermisse.“

Er hörte den Humor hinter ihren Worten. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte fünf Minuten nach Mitternacht. Heute Nacht würde es mit dem Schlafen wieder nichts werden. Allmählich wurde das zur Gewohnheit. Als er noch in den Zwanzigern gewesen war, hatte ihm so etwas nicht viel ausgemacht. Jetzt, mit bald vierunddreißig Jahren, spürte er jede Minute Schlaf, die er nicht bekam. „Wenigstens brauchte ich deinetwegen nicht mit aufzuräumen.“

„Na prima.“

„Was?“

Sie hob das rechte Knie und stützte den Fuß gegen das Handschuhfach. „Das hier waren meine bequemen Tennisschuhe.“ In dem Stoff ihres rechten Schuhs war direkt über ihrem kleinen Zeh ein Loch.

„Sie sehen so aus, als wären sie schon vor dieser Aktion reif für die Mülltonne gewesen.“

„Ich mag alte Schuhe. Neue Kleider, aber alte Schuhe.“ Sie zog mit einem Finger an den Schnürsenkeln. „Weißt du, wer meine Armbanduhr hat?“

„Ist in meiner Tasche“, versicherte er.

„Ich fühle mich, als hätte ich Einzelteile von mir überall verstreut. Ich bin nicht sicher, was mit den Essensresten ist, die ich nach Hause mitnehmen wollte. Wahrscheinlich habe ich die Tüte auf den Rücksitz geworfen, als ich den Brandgeruch bemerkt habe, und jetzt ist alles im Wagen ausgelaufen.“

„Cole wird sich darum kümmern.“

„Ich hoffe, er merkt, dass der Tank leer ist.“

„Bestimmt merkt er das.“

„Kommt Cole ins Büro? Oder bleibt er noch eine Weile am Einsatzort?“

„Ich nehme an, er wird sich dort aufhalten, bis er einen ersten Blick ins Haus werfen und das Gebäude sichern kann. Aber in jedem Fall bringe ich dich nach Hause. Du sollst mit der Hand nicht Auto fahren.“

„Das wäre nett. Ich muss mir die Haare waschen und etwas anderes anziehen.“

„Du siehst aus, als wärst du einem Feuer entkommen.“

„So fühle ich mich auch. Sieh zu, dass wir niemandem begegnen, der mich kennt, denn die Sache hier zu erklären, würde eine Ewigkeit dauern.“

Jack bog in den Gebäudekomplex von Wache 81 ein und fuhr auf den Parkplatz hinter dem Gebäude. Er parkte den Geländewagen neben Coles Privatwagen. „Du bleibst sitzen. Ich mach dir die Tür auf.“

Die kalte Luft wirbelte herein, als er die Fahrertür öffnete und ausstieg. Er ging um das Fahrzeug herum und öffnete die Beifahrertür. Cassie legte ihre unverletzte Hand auf seine Schulter, um das Gleichgewicht zu halten, während sie von ihrem Sitz kletterte. Er lehnte sich vor, um es ihr leichter zu machen. Sie hatte Schmerzen, und er wünschte, er hätte das Recht, sie in den Arm zu nehmen und den Schmerz mit seinen Küssen zu lindern. Ihre Hand drückte seine Schulter. „Guck nicht so.“

„Wie denn?“

„So interessiert“, murmelte sie.

„Bin ich aber.“

„Dein Timing ist fürchterlich.“

Er hatte nicht gedacht, dass sie leicht in Verlegenheit zu bringen war, aber jetzt war sie es. „Ich glaube, mein Timing ist völlig in Ordnung“, lächelte er sanft und fuhr mit dem Daumen an ihrem Kinn entlang. „Aber ich lasse dir etwas Zeit, um darüber nachzudenken.“ Bevor sie zurückweichen konnte, drehte er sich um und übernahm die Führung. „Komm hier entlang.“

Das Licht am Hintereingang der Feuerwache brannte. Jack schloss mit seinem Schlüssel auf und hielt die Tür dann geöffnet, so dass Cassie hindurchgehen konnte. Er verbrachte hier mehr Zeit als zu Hause, und es war ein gemütlicher, wenn auch etwas spartanischer Ort. Sie gingen einen breiten Korridor hinunter, über den gefliesten Boden, vorbei an Wänden aus Betonstein. Der Gang war mit Haken für Mäntel und Jacken versehen. Rechts ging es in eine geräumige Küche mit einem riesigen Kühlschrank, einem Herd, zwei Spülen, zwei Mikrowellengeräten und einer großen Arbeitsplatte. Diejenigen, die Küchendienst hatten, bereiteten Mahlzeiten für fünfzehn bis zwanzig Personen zu.

Linker Hand befand sich die Lounge, in der die Feuerwehrleute sich aufhalten konnten, wenn sie Freiwache hatten, dahinter lagen die Schlafräume. Die Architekten hatten die historische Anordnung der Wache geändert und die Schlafsäle in den ersten Stock verlagert, so dass die beliebte Stange abgeschafft werden konnte. Zu viele Männer hatten sich beim Landen auf dem Betonboden Schienbeinverletzungen zugezogen, als dass sich diese Tradition rechtfertigen ließ.

Geradeaus ging es zu den Fahrzeughallen, einem riesigen Teil des Gebäudes, knapp sechzehn Meter lang, zwölf Meter breit und mit sechs Meter hohen Decken und sich schnell hebenden Toren. Obwohl die Hallen so groß waren, wirkten sie immer noch eng, wenn zwei Löschzüge, ein Leiterwagen und zwei Rettungsmannschaften gleichzeitig einfuhren.

Vorsichtig zog Jack den Mantel von Cassies Schultern. „Alles in Ordnung?“ Sie nickte nur. Ihre frischen Tränen konnte sie nicht verbergen. Ihre Arme taten schrecklich weh. „Es tut mir so Leid, Cassie.“

Sie schniefte und lächelte. „Kannst du mir Tempotaschentücher organisieren?“

„Und Augentropfen und noch eine Kühlpackung.“

„Coles Büro?“

Jack stellte überrascht fest, dass sie nie hier gewesen war. „Nebenan bei den Bezirksbüros. Halt dich links, wenn du in die Fahrzeughalle kommst und geh durch den Verbindungskorridor. Sein Büro ist links hinter dem Konferenzraum.“

Er sah ihr nach, wie sie mit langsamen, bedächtigen Schritten die entsprechende Richtung einschlug. Er konnte nichts anderes tun, als ihre Schmerzen so gut wie möglich zu lindern und zu hoffen, dass die Sache heute ihr keine Albträume bescherte.

Auf der Wache war es ruhig. Irgendwo lief ein Radio, und die gedämpften Geräusche eines Fernsehers drangen aus der Lounge herüber. Bevor er zum Medikamentenschrank ging, blieb Jack einen Augenblick vor der Pinnwand stehen, um den Magneten zu verschieben, der seine An- oder Abwesenheit markierte. Er holte Augentropfen, Brandsalbe und einen frischen Kühlbeutel für Cassies Hand.

Sie hatte auf ihrem Weg durch das dunkle Bürogebäude die Lichter angeschaltet.

Nirgendwo war Platz, um noch einen weiteren Schreibtisch in das voll gestopfte Großraumbüro zu packen. Letzten Monat hatten sie versucht, durch den Notausgang einen Schreibtisch für den Verbindungsmann der Polizei hineinzuquetschen, und damit eine hitzige Debatte ausgelöst, ob die Feuerwehr sich an den Buchstaben des Gesetzes halten solle oder eher an den Geist des Gesetzes, indem man sicherstellte, dass die Notausgänge nicht versperrt waren.

Die Pragmatiker von der Brandstiftungsabteilung meinten, wenn Feuerwehrleute, die nur wenige Meter entfernt waren, nicht mit dem Brand fertig würden, wäre ein Notausgang mit mehr als einem halben Meter Platz davor auch keine Hilfe. Der Schreibtisch wurde aufgestellt.

Jack fand Cassie in Coles Büro. Sie hatte sich auf seinem Bürostuhl niedergelassen und hing darin so, dass es für sie bequem war. Es war kühl in diesem Gebäude. Jack wünschte, er hätte daran gedacht, aus seinem Schließfach ein Sweatshirt für sie zu holen.

„Wie ich sehe, hat er seinen Arbeitsplatz gestaltet“, bemerkte Cassie.

Von Kindern gemalte Bilder mit Feuerwehrmännern und Löschfahrzeugen klebten in einer ziemlich wilden Zusammenstellung an der Wand.

„Er hat eine Unterrichtsreihe in den Schulen der Umgebung gehalten.“ Jack zog einen Stuhl unter einem kleinen Beistelltisch hervor, drehte ihn herum und stellte die Sachen ab, die er mitgebracht hatte. Die Bilder passten nicht zu dem Stapel Bücher auf dem Tisch. Zwei davon – Die Untersuchung des Brandortes und Brandursachen erkennen – erkannte Jack als Studienmaterial, das Cole derzeit in seinem Unterricht an der Akademie benutzte.

„Wie lauten die jüngsten Zahlen? Elf Prozent aller Brände durch jugendliche Brandstifter?“

„Eher fünfzehn Prozent.“

„Autsch.“

Jack nahm die Schachtel mit Papiertaschentüchern und legte sie auf Cassies Schoß. „Augentropfen.“

Widerstrebend zog sie ihre Brille ab. „Ertränk mich nicht.“

Jack grinste angesichts der Warnung. „Kannst du nicht schwimmen?“

„Nicht lustig.“

„Schlechter Witz. Leg den Kopf in den Nacken.“

Sie lehnte den Kopf zurück, kroch dabei aber tiefer in den Sessel und sah nach oben. Er lächelte, bezweifelte aber, dass sie seinen Gesichtsausdruck ohne Brille überhaupt erkennen konnte. „Traust du mir nicht?“

„Was glaubst du?“ Widerwillig lehnte sie sich weiter nach hinten.

Der erste Tropfen ging daneben, die nächsten vier Tropfen trafen so ungefähr, weil sie ihm mit ihrem Blinzeln das Zielen erschwerte. Er brachte es nicht über sich, ihre Augen selbst aufzuhalten. „Fertig.“

Sie sagte nichts, sondern zog nur ein Papiertuch aus der Schachtel ... und dann noch eins und noch eins.

Er war weise genug, ebenfalls zu schweigen, während sie sich die Augen trocknete und ihre Brille wieder aufsetzte. Erleichtert stellte er fest, dass die Rötung der Bindehaut nachließ. „Was möchtest du trinken. Wasser? Saft?“

„Irgendetwas mit Zucker. Sieh mal nach, ob noch etwas von Coles Lieblingssaft da ist: Ananas-Orange.“

Jack öffnete den kleinen Kühlschrank, der unter dem Beistelltisch stand. Er fand zwei Flaschen Saft und öffnete eine für sie.

Cassie nahm sie mit einem leisen „Danke“ entgegen. Dann machte sie sich daran, mit der Spitze des einen Schuhs den anderen an der Ferse abzustreifen, um sich der Tennisschuhe zu entledigen. „Mag Cole eigentlich den Job bei der Brandstiftung?“, fragte sie, während sie sich im Büro umsah und an dem kalten Saft nippte.

Jack hatte das seltsame Gefühl, dass Cassie noch nicht über das Feuer reden wollte. Er stellte seine Saftflasche auf dem Tisch ab und faltete die Hände über der Brust. „Er ist gut.“

„Das war mir klar. Er ist unheimlich gründlich. Was macht die neueste Zusammenlegung von Stationen?“

Es war eindeutig eine Hinhaltetaktik. „Es bedeutet schon eine Umstellung. Man muss die Namen der neuen Straßen und Gebäude im erweiterten Bezirk lernen. Auf der Wache ist mehr los. Insgesamt fahren wir etwa zwanzig Prozent mehr Einsätze, und für die bezahlten Bereitschaftsleute ist es stressig. Wir werden wahrscheinlich einen oder zwei von ihnen fest anstellen und im Schichtdienst ganztägig einsetzen. Auf der anderen Seite ist es gut, einen zusätzlichen Löschzug zu haben.“

„Und mit den Leuten von Kompanie 65 kommt ihr klar?“

„Es ist eine Art freundschaftlicher Wettbewerb“, erwiderte Jack lächelnd. Die Übungen der letzten Monate waren mörderisch gewesen, weil beide Mannschaften versucht hatten, die jeweils andere zu übertreffen, aber sie alle wurden dadurch bessere Feuerwehrleute. „Sie haben sich schon ganz gut eingewöhnt.“

Wenn er doch nur ihre Körpersprache, ihren Gesichtsausdruck entziffern könnte, dann würde er besser verstehen, was los war. Er hatte eine Ahnung, was seine Schwestern so dachten, aber Cassie war ein Rätsel für ihn. „Was ist los?“

„Was?“

„Du machst Smalltalk. Dieser Ort macht dich nervös.“

Sie wandte den Blick ab. Er wartete.

Sie fingerte an der umgeschlagenen Manschette ihrer Bluse herum. Es war eine viel sagende Geste. Er legte den Kopf ein wenig schief und überlegte, warum. Sie war noch nie zuvor in Coles Büro gewesen. Sie rückte nicht mit der Sprache heraus, und er konnte sich den Grund nicht erklären. Schließlich gewann die Neugier die Oberhand über den Beschützerinstinkt. „Hast du eigentlich den Pflegeheimbericht gelesen?“

„Das Angebot gab es. Aber ich habe abgelehnt.“

„Hat mich nur interessiert.“ Bei seinen Besuchen im Krankenhaus hatte sie nie über das Feuer von damals reden wollen. Bei Ash war es genau umgekehrt. Das Feuer war das Einzige, worüber ihr Partner sprechen wollte.

Der Brand des Pflegeheims war unglücklich gelaufen, was die Ausbreitung des Feuers betraf. Zwei der automatischen Feuermelder waren defekt gewesen, so dass das Feuer sich festsetzen und ausweiten konnte, bevor die anderen Feuermelder Alarm schlugen. Zwei Patienten waren gestorben, sechs vom Rauch schwer verletzt, und Cassie hatte einen dauerhaften Preis bezahlt. Es war Brandstiftung gewesen. Der Mann, der diesen und drei andere Brände gelegt haben sollte und per Haftbefehl gesucht wurde, war vor zwei Monaten bei einem Autounfall in New Jersey ums Leben gekommen.

Cassie rutschte auf ihrem Stuhl herum. „Was musst du für deinen Bericht wissen?“ In ihren Worten klang eine Verbissenheit mit, ein Widerstreben, ihn anzusehen, eine Anspannung, die über ihre Körpersprache hinausging. Sie wollte jetzt nicht über das Feuer nachdenken. Er machte ihr keinen Vorwurf, wenn er an den Flur dachte und daran, wie sie mit dem Teddy in der Hand zu krabbeln versucht hatte.

„Was hast du gesehen?“

„Nicht viel.“

„Willst du lieber morgen darüber reden?“

„Mit all den Leuten hier? Nein danke.“ Jack sah, wie sie den Raum mit ihren Blicken maß und sich auf ihrem Stuhl nach vorne schob, während sie überlegte, ob sie aufstehen und herumlaufen sollte. Dann entschied sie sich dagegen und lehnte sich wieder zurück. „Ich bin müde, Jack. Wirklich erschöpft. Aber mir ist klar, wie der Kerl euch unter Druck setzt. Das ist sein wievieltes Feuer? Das dritte?“

„Das sechste“, erwiderte Jack leise. Er sah ihren erstaunten Blick.

„Du machst keine Witze.“

„Dies war sein zweites Wohnhaus.“ Jack fand einen leeren Notizblock. „Ich muss ganz genau wissen, was du gesehen hast. Von Anfang an.“

Ihre Antwort klang deutlich gedämpft. „Ich habe den Rauch gerochen, als ich die Buchhandlung verließ.

„Wer waren die Schaulustigen beim Feuer, als du dort ankamst?“

Jack ließ sich Zeit, als er sie durch den Abend führte, bis zu dem Zeitpunkt, als sie sie im Haus gefunden hatten. Teilweise war das gemäßigte Tempo seiner Fragen darauf zurückzuführen, dass er sie nicht mit einer Frage bedrängen wollte, bevor sie dafür bereit war. Der schwerer wiegende Grund war jedoch, dass ihre Antworten ihm den Atem verschlugen.

Das Feuer war bereits in vollem Gange gewesen, als sie das Haus betreten hatte. Ihre Beschreibung des Schlafzimmers mit der blockierten Tür war beängstigend. Wie leicht hätte ein Balken hinter ihr herabstürzen und ihr den Weg zurück versperren können.

„Erzähl mir noch mal von dem Mann, den du gesehen hast.“

„Er stand neben der Eiche, nahe der Kurve in der Auffahrt.“

Cole hatte Popcorn in der Nähe der Eiche gefunden. Diese Tatsache erwähnte Jack nicht. Die Unterschrift des Brandstifters wurde streng geheim gehalten, selbst vor jemandem wie Cassie.

„Hast du noch etwas an ihm bemerkt, abgesehen von deinem ersten Eindruck“ – Jack überprüfte seine Notizen, um ihre Worte genau wiederzugeben – „groß, braune Jacke mit aufgesetzten Taschen, Jeans, schwarze Sportschuhe, nicht unter oder Anfang zwanzig, vielleicht Ende dreißig oder Anfang vierzig?“

„Wie er da stand und das Feuer beobachtete. Es war nicht so, als wäre er vor Staunen oder Schrecken erstarrt. Ich hatte eher den Eindruck, als dächte er darüber nach, als würde er ganz bewusst zusehen und nachdenken.“

„Würdest du ihn erkennen, wenn du ihn noch einmal sähest?“

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. „Vielleicht. Ich hatte gehofft, du würdest das nicht fragen.“

„Willst du lieber dem Polizeizeichner eine Beschreibung geben?“

„Ich habe ihn nicht deutlich genug gesehen, um es in Worte fassen zu können. Es war einfach ein Eindruck.“

„Du könntest dir die Fotos morgen ansehen.“ Sie müssten dann eine Verzögerung bei ihrer Arbeit in Kauf nehmen, aber Cole würde Verständnis dafür haben.

„Nein.“ Sie wippte mit dem Sessel vor und zurück. „Hol die Brandstifterfotos und plündere auf dem Weg irgendwo ein Schokoladendepot.“

Jack klappte den Notizblock zu. Er konnte ihren Widerwillen verstehen und lächelte mitfühlend. Um diese Uhrzeit hätte er auch keine Lust gehabt, die Fotobücher durchzugehen. „Mal sehen, was ich tun kann.“

Er ging, um den Schlüssel für den Schrank zu holen, in dem das Fotoarchiv untergebracht war. Um Süßigkeiten zu finden, musste er den Schreibtisch der Empfangsdame ausrauben. Sie hatte immer Schokolade und Bonbons auf dem Tisch stehen – und im Laufe des Tages blieben viele Kollegen gerne dort stehen.

Er trug die beiden dicken Fotoalben und die Tüte mit Süßigkeiten zurück in Coles Büro. „Snickers oder Milky Way?“

Cassie öffnete das erste Album und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. „Die Tüte kannst du hier lassen.“

Jack legte die Süßigkeiten auf den Tisch und zog scherzhaft an einer ihrer Locken. „Danke.“

„Geh weg.“

Mit einem leisen Lachen überließ er sie ihrer Arbeit.

Während er durch das stille Feuerwehrgebäude zurück zu den Schlafsälen ging, um endlich ein frisches Hemd anzuziehen, zog er sein Mobiltelefon heraus und wählte eine Nummer. „Cole?“

„Eine Sekunde, Jack.“ Im Hintergrund hörte er gedämpft ein Gespräch zwischen Cole und Bruce. „Okay. Was hast du von Cassie erfahren können?“

„Ich faxe die Notizen gleich zum Wagen des Hauptbrandmeisters. Am besten liest du sie selbst. Ich habe Seite vier markiert. Dieses Feuer klingt irgendwie anders – heißer, schneller, wahrscheinlich ein anderer Brandbeschleuniger.“

„Warte einen Moment, ich hole das Papier.“

Jack zog sich das verrauchte Hemd vom Leib und warf es zu seinem Seesack hinüber.

„Sie hat seine Schuhe gesehen“, sagte Cole.

„Ich wünschte, sie hätte sein Gesicht gesehen. Sie sieht sich gerade die Bilder an, aber ich glaube nicht, dass etwas dabei herauskommt.“

„Wir haben ein Problem, Jack. Sie hat ihn gesehen.“

Jack hörte Coles Worte und wusste, dass sein Freund schon einen Schritt weiter war und aus den Informationen Schlüsse zog, aber er konnte nicht folgen. Wie konnte er Cole fragen, wovon er redete, ohne wie ein völliger Idiot dazustehen? Jack seufzte. Es gab Tage, an denen er das Gefühl hatte, im falschen Film zu sein. „Sorry, ich stehe auf der Leitung.“

„Sie hat seine Schuhe gesehen.“

„Okay ...“ Wenn er jetzt sagte, dass sie einen Schuhtick hatte, würde man ihn wirklich für verrückt halten.

„Ihr würden nicht die Schuhe auffallen, ohne auch sein Gesicht zu sehen.“

„Weißt du, was du da sagst?“ Jack ließ sich auf die Bettkante fallen, überwältigt von dem Gedanken.

„Ich wette, sie könnte dir sagen, ob der Kerl einen Ring an der Hand hatte, die er in die Tasche gesteckt hat“, erwiderte Cole. „Sie hat ihn gesehen. Besser, du machst es dir gleich klar: Cassie tut, was sie für richtig hält, und nicht unbedingt das, was tatsächlich richtig ist.“

Jack würde seinen Job als Oberbrandmeister an den Nagel hängen und sich wieder darum kümmern, dass das Wasser den richtigen Druck hatte, damit er beim Löschen nicht umgerissen wurde. Für die psychologischen Aspekte einer leitenden Position war er einfach nicht geschaffen. „Cole ...“

„Ich werde mindestens noch eine Stunde hier brauchen. Wo ist sie?“

„In deinem Büro und sieht die Brandstifterakten durch.“

„Sie wird dir alles geben, was sie kann, ohne ihre eigene Grenze zu überschreiten.“

Jack fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich glaube, du solltest das hier besser selbst übernehmen.“

„Ich würde nur wütend werden. Setz dich hin und versuch ihr die Informationen aus der Nase zu ziehen. Sie hat ein gut funktionierendes Gewissen, du musst es nur piesacken, dann rückt sie schon damit heraus.“

„Cole.“

„Keiner verlangt, dass du es gerne tust. Aber du musst es tun. Das gehört dazu, wenn man leiten will. Und Jack – wenn du sie zum Weinen bringst, werde ich ärgerlich. Überleg dir also gut, was du sagst.“

Jack rieb sich den Nacken und trat gegen den metallenen Spind. „Dann geh ich mal und rede mit ihr. Ich ruf dich wieder an.“