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Mason Currey

ÜBER DEN AUTOR

Mason Currey wurde in Pennsylvania geboren und studierte an der University of North Carolina. Acht Jahre lang arbeitete er als Redakteur bei Zeitschriften, nebenher unterhielt er den beliebten Blog »Daily Routines«, aus dem das Buch Musenküsse entstand. Er lebt in Los Angeles.

Besuchen Sie die Website www.musenkuesse.de

ÜBER DAS BUCH

Wie gestalten Künstler ihren Tag?
Was kann man sich bei ihnen abschauen?
Und was sollte man besser sein lassen?

88 Alltagsstrategien von Schriftstellern, Komponisten, Malern, Filmemachern und anderen kreativen Berühmtheiten, in unterhaltsamen Miniaturen beschrieben von Mason Currey.

INHALT

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ü––äüü–Musenksse  Mason Currey  Die tglichen Rituale berhmter Knstler  Aus dem Amerikanischen von Anna-Christin Kramer

Für Rebecca

»Wer enträtselt Wesen und Gepräge des Künstlertums? Wer begreift die tiefe Instinktverschmelzung von Zucht und Zügellosigkeit, worin es beruht!«

 

Thomas Mann, Tod in Venedig

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Franz Kafka

James Joyce

Marcel Proust

Samuel Beckett

Erik Satie

Vincent van Gogh

Pablo Picasso

Jean-Paul Sartre

Dmitri Schostakowitsch

Igor Strawinski

Georgia O’Keeffe

Francis Bacon

Simone de Beauvoir

Thomas Wolfe

Patricia Highsmith

Federico Fellini

Ingmar Bergman

Sigmund Freud

Gustav Mahler

Richard Strauss

Henri Matisse

Joan Miró

Gertrude Stein

Ernest Hemingway

F. Scott Fitzgerald

William Faulkner

Arthur Miller

Truman Capote

Edith Sitwell

Thomas Hobbes

Voltaire

Benjamin Franklin

Wolfgang A. Mozart

Ludwig van Beethoven

Immanuel Kant

Jane Austen

Alice Munro

Umberto Eco

Günter Grass

Woody Allen

David Lynch

Stephen King

Twyla Tharp

Marina Abramović

Gerhard Richter

Jonathan Franzen

David Foster Wallace

John Adams

Charles Schulz

Carson McCullers

Haruki Murakami

Toni Morrison

Philip Roth

John Updike

Andy Warhol

Willem de Kooning

Frank Lloyd Wright

Alexander Graham Bell

Albert Einstein

Paul Erdős

Louis Armstrong

Glenn Gould

Knut Hamsun

Georges Simenon

Vladimir Nabokov

Le Corbusier

Ayn Rand

George Orwell

T. S. Eliot

W. B. Yeats

Agatha Christie

Thomas Mann

Karl Marx

William James

Pjotr I. Tschaikowski

Frédéric Chopin

Leo Tolstoi

Mark Twain

Herman Melville

Charles Darwin

Søren Kierkegaard

Charles Dickens

Honoré de Balzac

Franz Liszt

Franz Schubert

Samuel Johnson

Johann W. von Goethe

Friedrich Schiller

 

Anhang

VORWORT

Anderthalb Jahre lang stand ich fast jeden Morgen um 5:30 Uhr auf, putzte mir die Zähne, kochte Kaffee, setzte mich an den Schreibtisch und schrieb darüber, wie einige der bedeutendsten Köpfe der letzten vier Jahrhunderte ebenjene Aufgabe angingen – wie sie die Zeit fanden, ihre Arbeit bestmöglich zu erledigen, wie sie ihre Tagesabläufe so organisierten, dass sie möglichst kreativ und produktiv sein konnten. Ich erhoffte mir neue Blickwinkel auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten und Laufbahnen; unterhaltsame, triviale Skizzen des Künstlers als Gewohnheitstier. »Sage mir, was du isst, und ich sage dir, was du bist«, schrieb einmal der französische Gastrosoph Jean Anthelme Brillat-Savarin. Mich interessiert viel mehr, wann du isst und ob du hinterher ein Nickerchen hältst.

In gewissem Sinne ist das hier also ein oberflächliches Buch. Es beschäftigt sich mit den Umständen, unter denen sich Kreativität entfaltet, nicht mit dem Ergebnis; es fragt, wie etwas geschaffen wurde, und nicht, was es bedeutet. Trotzdem ist es natürlich auch ein persönliches Buch. (John Cheever war der Meinung, dass man selbst in einem Geschäftsbrief etwas aus seinem Innersten preisgibt – und ist da nicht etwas dran?) Mit den Fragen, die diesem Buch zugrunde liegen, ringe auch ich selbst: Wie kann man kreativ arbeiten und sich gleichzeitig einen Lebensunterhalt verdienen? Ist es besser, sich einem Projekt voll und ganz zu widmen, oder sollte man jeden Tag ein bisschen Zeit dafür freischaufeln? Und wenn es so aussieht, als wäre nicht genug Zeit für all seine Vorhaben, muss man dann auf bestimmte Dinge verzichten (Schlaf, geregeltes Einkommen, saubere Wohnung), oder könnte man effizienter werden, mehr in weniger Zeit erledigen, »schlauer arbeiten, nicht schwerer«, wie mein Vater immer sagt? Sind Komfort und Kreativität einfach nicht kompatibel, oder trifft vielleicht genau das Gegenteil zu: Ist ein gewisses Maß an Komfort für kontinuierliches kreatives Arbeiten unentbehrlich?

Ich werde auf den folgenden Seiten keine Antworten auf diese Fragen präsentieren (wahrscheinlich gibt es die auch nicht, vielleicht muss einfach jeder seinen eigenen zweifelhaften Kompromiss finden). Aber ich werde versuchen, Beispiele dafür zusammenzustellen, wie einige geniale und erfolgreiche Persönlichkeiten mit diesen Herausforderungen umgegangen sind. Ich wollte zeigen, dass große kreative Visionen auf kleinen, täglichen Schritten basieren, dass sich Arbeitsgewohnheiten auf die Arbeit selbst auswirken und andersherum.

Zwar trägt dieses Buch den Untertitel Die täglichen Rituale berühmter Künstler, mein eigentliches Interesse galt jedoch deren Alltagsroutinen. Routine: Das klingt zunächst gewöhnlich, ja gedankenlos; einer Routine folgt man automatisch. Aber eine Alltagsroutine ist immer auch eine bewusste Entscheidung, beziehungsweise eine ganze Reihe an Entscheidungen. Wenn man mit ihr umzugehen weiß, gleicht sie einem exakt geeichten Mechanismus, der Zugang zu einer ganzen Bandbreite an beschränkten Ressourcen verschafft: Zeit (die beschränkteste aller Ressourcen), Willensstärke, Selbstdisziplin, Optimismus. Eine feste Routine lenkt geistige Energie in geregelte Bahnen und hält Stimmungsschwankungen fern. Eins von William James’ Lieblingsthemen. Er ging davon aus, dass der Mensch einen Teil seines Lebens auf Autopilot stellen möchte. Indem er sich bestimmte Gewohnheiten aneignete, könne er »seinen Geist befreien, sodass er zu interessanteren Tätigkeiten aufsteigen möge«. Ironischerweise war James selbst ein chronischer Aufschieber und konnte sich nie an einen geregelten Tagesablauf halten.

Zufälligerweise entstand auch die Idee zu diesem Buch während eines inspirierenden Abschweifens. An einem Sonntagnachmittag im Juli 2007 saß ich alleine in den staubigen Büroräumen der kleinen Architekturzeitschrift, für die ich damals arbeitete, und mühte mich an einem Artikel ab, der am nächsten Morgen fällig war. Aber anstatt mich reinzuknien und es hinter mich zu bringen, vergnügte ich mich auf der Website der New York Times, räumte höchst pedantisch meinen Schreibtisch auf, machte mir Nespressos in der Büroküche, kurz: Ich verschwendete den Tag. Das Dilemma war mir nicht neu. Ich bin ein klassischer Morgenmensch und kann mich vormittags bestens konzentrieren, aber nach dem Mittagessen bin ich praktisch zu vergessen. An diesem Nachmittag machte ich mich im Internet auf die Suche nach den Arbeitsgewohnheiten anderer Autoren, um mich wegen meiner ungünstigen Vorlieben (wer will schon jeden Morgen um 5:30 Uhr aufstehen?) nicht ganz so schlecht zu fühlen. Ich wurde schnell fündig und war bestens unterhalten. Mir kam der Gedanke, dass jemand diese Anekdoten sammeln und zusammenstellen sollte – und so entstand der Blog »Daily Routines«, den ich noch am selben Nachmittag startete (den Artikel schrieb ich in panischer Hast am nächsten Morgen), und jetzt auch dieses Buch.

Der Blog war eher zwanglos: Ich postete Beschreibungen von Tagesabläufen, wenn sie mir in Biografien, Porträts, Nachrufen oder Ähnlichem begegneten. Für das Buch habe ich die Sammlung erheblich erweitert und überarbeitet, ohne auf die Knappheit und Vielstimmigkeit zu verzichten, die das Original so spannend machten. Soweit möglich, sprechen alle Personen für sich selbst, sei es durch Briefe, Tagebucheinträge oder Interviews. Manchmal habe ich auch eine Zusammenfassung aus mehreren Sekundärquellen gestrickt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es dieses Buch ohne die Recherche und die Werke Hunderter Biografen, Journalisten und Forscher, aus denen ich schöpfen konnte, nicht geben würde. Sämtliche Quellen finden sich am Ende des Buches und dienen hoffentlich auch der weiterführenden Lektüre.

Während der Arbeit ging mir eine Stelle aus einem Essay V. S. Pritchetts aus dem Jahr 1941 nicht aus dem Kopf. Pritchett fällt der immense Fleiß des großen englischen Historikers Edward Gibbon auf – selbst während seines Militärdienstes fand Gibbon Zeit, seine Studien fortzuführen, schleppte auf Märschen Horaz mit und las sich in seinem Zelt in heidnische und christliche Theologie ein. »Unter dem Strich«, schreibt Pritchett, »sind alle großen Männer gleich. Sie arbeiten pausenlos. Sie verschwenden keine einzige Sekunde. Es ist höchst deprimierend.«

Welchem aufstrebenden Autor oder Künstler ist dieses Gefühl noch nie begegnet? Die Leistungen vergangener Größen sind mal ermutigend, mal völlig deprimierend. Aber Pritchett hat natürlich nicht ganz recht. Auf jeden fröhlichfleißigen Gibbon, der ununterbrochen arbeitete, anscheinend nie – wie wir Normalsterbliche – an sich selbst zweifelte oder die Hoffnung verlor, kommt ein William James oder ein Franz Kafka, große Geister, die Zeit verschwendeten, vergeblich auf Inspiration warteten, quälende Blockaden und Trockenperioden durchmachten, von Zweifeln und Unsicherheiten geplagt wurden. Die meisten in diesem Buch beschriebenen Personen wählten jedoch einen Mittelweg, sie widmeten sich täglich ihrer Arbeit, waren aber nie ganz von ihrem Fortschritt überzeugt und immer auf der Hut vor dem einen Ruhetag, der den Fluss unterbrechen könnte. Sie alle schafften sich Zeit für ihre Arbeit. Sie unterschieden sich nur darin, wie sie dafür ihr Leben strukturierten.

In diesem Buch geht es um diese Unterschiede. Und ich hoffe, dass sie meine Leser eher ermutigen als deprimieren. Während des Schreibprozesses habe ich oft an eine Zeile aus einem Brief von Franz Kafka an Felice Bauer aus dem Jahr 1912 gedacht. Frustriert von den beengten Wohnverhältnissen und dem stumpfsinnigen Broterwerb, beschwerte er sich: »[D]ie Zeit ist kurz, die Kräfte sind klein, das Bureau ist ein Schrecken, die Wohnung ist laut und man muss sich mit Kunststücken durchzuwinden suchen, wenn es mit einem schönen geraden Leben nicht geht.« Der arme Kafka! Aber wer von uns erwartet schon ein schönes, geradliniges Leben? Für die meisten von uns ist es oft eine einzige Plackerei, und Kafkas Kunststücke sind weniger ein letzter Ausweg als eine Idealvorstellung. Ein Hoch aufs Durchwinden.

Franz Kafka

(1883–1924)

1908 bekam Kafka eine Stelle bei einer Unfallversicherung in Prag. Er hatte das Glück, in der begehrten Tagesschicht zu landen, und arbeitete von 8:00 oder 9:00 Uhr morgens bis 14:00 oder 15:00 Uhr. Obwohl er es damit weit besser getroffen hatte als bei seiner alten Versicherung, wo er oft Überstunden machen musste, fühlte Kafka sich immer noch gehemmt. Er wohnte mit seiner Familie in einer beengten Wohnung und konnte sich nur dann aufs Schreiben konzentrieren, wenn alle anderen schliefen. 1912 schrieb er an Felice Bauer: »[D]ie Zeit ist kurz, die Kräfte sind klein, das Bureau ist ein Schrecken, die Wohnung ist laut und man muss sich mit Kunststücken durchzuwinden suchen, wenn es mit einem schönen geraden Leben nicht geht.« Im selben Brief beschreibt er auch seinen Tagesablauf:

üääüFranz Kafka und Felice Bauer 1917 in Budapest, kurz vor Ende ihrer fnfjhrigen, hauptschlich per Brief gefhrten Beziehung

Franz Kafka und Felice Bauer 1917 in Budapest, kurz vor Ende ihrer fünfjährigen, hauptsächlich per Brief geführten Beziehung

Von 8 bis 2 oder 2 Bureau, bis 3 oder ½ 4 Mittagessen, von da ab Schlafen im Bett (meist nur Versuche, eine Woche lang habe ich in diesem Schlaf nur Montegriner gesehn mit einer äußerst widerlichen, Kopfschmerzen verursachenden Deutlichkeit jedes Details ihrer komplicierten Kleidung) bis ½ 8, dann 10 Minuten Turnen, nackt bei offenem Fenster, dann 1 Stunde Spazierengehn allein oder mit Max oder mit noch einem andern Freund, dann Nachtmahl innerhalb der Familie (ich habe 3 Schwestern, eine verheiratet, eine verlobt, die ledige ist mir, unbeschadet der Liebe zu den andern, die beiweitem liebste) dann um ½ 11 (oft wird aber auch sogar ½ 12) Niedersetzen und Schreiben und dabeibleiben je nach Kraft, Lust und Glück bis 1, 2, 3 Uhr einmal auch schon bis 6 Uhr früh. Dann wieder Turnen, wie oben, nur natürlich mit Vermeidung jeder Anstrengung, abwaschen und meist mit leichten Herzschmerzen und zuckender Bauchmuskulatur ins Bett. Dann alle möglichen Versuche einzuschlafen, d. h. unmögliches zu erreichen, denn man kann nicht schlafen (der Herr verlangt sogar traumlosen Schlaf) und dabei gleichzeitig an seine Arbeit denken und überdies die mit Bestimmtheit nicht zu entscheidende Frage mit Bestimmtheit lösen wollen, ob den nächsten Tag ein Brief von Ihnen kommen wird und zu welcher Zeit. So besteht die Nacht aus zwei Teilen, aus einem wachen und einem schlaflosen und wollte ich Ihnen darüber ausführlich schreiben und wollten Sie es anhören, ich würde niemals fertig werden. Natürlich ist es dann kein besonderes Wunder, wenn ich im Bureau am morgen gerade knapp noch mit dem Ende meiner Kräfte zu arbeiten anfange. Vor einiger Zeit stand auf einem Korridor, über den ich immer zu meinem Schreibmaschinisten gehe, eine Bahre, auf der Akten und Drucksorten transportiert werden, und immer wenn ich an ihr vorübergieng, schien sie mir vor allem für mich geeignet und auf mich zu warten.

James Joyce

(1882–1941)

»Wenig tugendhaft, mit leichter Neigung zu Ausschweifungen und Alkohol«, so eine Eigenbeschreibung des irischen Schriftstellers. In seinem Alltag herrschte kaum Ordnung, geschweige denn Disziplin. Wenn ihn niemand weckte, stand Joyce am späten Vormittag auf und nutzte den Nachmittag (»wenn der Kopf am klarsten ist«) zum Schreiben oder für etwaige berufliche Verpflichtungen; oft unterrichtete er Englisch oder gab Klavierstunden, um sich seine Brötchen zu verdienen. Abends ging er mit Freunden in Restaurants oder Cafés. Diese Abende endeten gelegentlich damit, dass Joyce, der äußerst stolz auf seine Stimme war, in den frühen Morgenstunden an der Bar alte irische Volkslieder schmetterte.

Eine genauere Beschreibung seines Tagesablaufs stammt aus dem Jahr 1910, als er mit seiner Frau Nora, den zwei Kindern und seinem verantwortungsvolleren kleinen Bruder Stanislaus, der der Familie schon öfters über finanzielle Durststrecken hinweggeholfen hatte, im italienischen Triest wohnte. Joyce hatte bisher noch keinen Verleger für Dubliner gefunden und gab private Klavierstunden. Der Biograf Richard Ellmann beschreibt Joyce’ Tag so:

Er wachte gegen 10:00 Uhr auf, da hatte Stanislaus schon längst gefrühstückt und das Haus verlassen. Nora brachte ihm Kaffee und Brötchen ans Bett, und er blieb, mit den Worten seiner Schwester Eileen, »von Gedanken erdrückt« bis etwa 11:00 Uhr liegen. Manchmal schaute sein polnischer Schneider vorbei, setzte sich auf die Bettkante und redete in einem fort, während Joyce zuhörte und nickte. Gegen 11:00 Uhr stand er auf, rasierte sich und ging ans Klavier (dessen Ratenzahlung auf wackeligen Beinen stand). Es war nicht ungewöhnlich, dass sein Spiel von einem Geldeintreiber unterbrochen wurde. Joyce wurde über den Besuch informiert und gefragt, was getan werden solle. »Herein mit ihnen«, antwortete er resigniert, als ob eine ganze Armee vor der Tür stände. Der Geldeintreiber trat ein, mahnte wenig erfolgreich eine baldige Zahlung an und wurde dann gekonnt in ein Gespräch über Musik oder Politik verstrickt. Danach ging Joyce zurück ans Klavier, bis Nora ihn unterbrach. »Weißt du, dass du jetzt eine Stunde geben musst?« oder »Du hast schon wieder ein schmutziges Hemd an«, worauf er seelenruhig erwiderte: »So ist das eben jetzt.«

Um 13:00 Uhr wurde zu Mittag gegessen, anschließend unterrichtete Joyce von 14:00 bis 19:00 Uhr oder länger. Dabei rauchte er lange, dünne Zigarren, sogenannte Virginias, und trank in den Pausen schwarzen Kaffee. Etwa zwei Mal wöchentlich machte Joyce früher Feierabend, um mit Nora in die Oper oder ins Theater zu gehen. Sonntags ging er hin und wieder zum griechischorthodoxen Gottesdienst.

Joyce wird hier während einer wenig produktiven Schreibphase porträtiert. 1914 dagegen steckte er mitten in der Arbeit an Ulysses und schrieb tagtäglich unermüdlich. Er hielt sich aber immer noch an die zeitliche Aufteilung, die ihm am meisten lag: nachmittags schreiben, abends mit Freunden trinken. Er brauchte die allabendlichen Pausen, um seinen Kopf von der anstrengenden, akribischen Schreibarbeit freizubekommen. (Nachdem Joyce einmal in zwei Arbeitstagen nur zwei Sätze zu Papier gebracht hatte, antwortete er auf die Frage hin, ob er nach den richtigen Worten suche: »Nein, die Wörter habe ich schon. Ich suche nach der perfekten Reihenfolge.«) Joyce beendete das Werk schließlich im Oktober 1921 nach sieben Jahren, die »zerstreut wurden«, wie er es nannte, von »acht Krankheiten und neunzehn Umzügen, von Österreich in die Schweiz, nach Italien, nach Frankreich«. Insgesamt schätzte er, »dass ich fast 20 000 Stunden an Ulysses gearbeitet habe«.

Marcel Proust

(1871–1922)

»Es ist wahrhaftig abscheulich, sein ganzes Leben dem Schreiben eines einzigen Buchs unterzuordnen«, erklärte Proust 1912. Die Beschwerde ernst zu nehmen fällt schwer. Von 1908 an bis zu seinem Tod widmete Proust sein ganzes Leben der Arbeit an seinem Monumentalwerk über Zeit und Erinnerung, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, das schlussendlich in sieben Bänden und fast anderthalb Millionen Wörtern veröffentlicht wurde. 1920 beschloss Proust, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen, damit er sich ausschließlich auf seine Arbeit konzentrieren konnte, und verbrachte von da an im Grunde den Rest seines Lebens im berühmten Korkzimmer seiner Pariser Wohnung, schlief tagsüber, arbeitete nachts und ging nur dann vor die Tür, wenn er Fakten und Eindrücke für seinen ihn völlig beanspruchenden Roman sammeln musste.

Er wachte am Nachmittag auf – meist gegen 15:00 oder 16:00 Uhr, manchmal auch erst um 18:00 Uhr – und steckte sich zunächst etwas Legras-Pulver an, mit dem er sein chronisches Asthma behandelte. Oft »rauchte« er nur ein paar Prisen der Opium-Mischung, gelegentlich tat er dies allerdings stundenlang, bis das Zimmer völlig verqualmt war. Dann klingelte er nach seiner langjährigen Haushälterin und Vertrauten Céleste, damit sie ihm den Kaffee brachte. Das allein war schon ein Ritual für sich. Céleste kam mit einer silbernen Kanne herein, die zwei Tassen starken schwarzen Kaffee enthielt, dazu brachte sie ein Porzellankännchen mit reichlich heißer Milch und auf einer Untertasse ein Croissant – immer aus derselben Bäckerei. Wortlos stellte sie alles auf dem Nachttisch ab und ließ Proust alleine, der sich dann einen Café au Lait zubereitete. Céleste wartete in der Küche, ob Proust erneut klingeln würde, was bedeutete, dass er ein zweites Croissant (das sie stets bereithielt) und ein frisches Kännchen heißer Milch wünschte.

Oft ernährte Proust sich von nichts anderem. »Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass er praktisch nichts zu sich nahm«, schreibt Céleste in ihren Memoiren. »Ich kenne sonst niemanden, der von zwei Schalen Café au Lait und zwei Croissants am Tag lebt. Und manchmal sogar nur einem!« (Céleste wusste nicht, dass Proust hin und wieder essen ging, wenn er abends mal das Haus verließ, und es gibt Berichte, laut denen er dann riesige Mengen verdrückte.) In Anbetracht der spärlichen Ernährung und mangelnden Bewegung überrascht es nicht, dass Proust ständig fror. Er brauchte immer wieder frische Bettwärmer und weiche Wollpullis, die er sich übereinander um die Schultern hängte, damit ihn die Kälte nicht von der Arbeit ablenkte.

Mit dem Kaffee brachte Céleste ihm außerdem die Post auf einem Silbertablett. Bei Kaffee und Croissant öffnete Proust die Briefe und las Céleste ab und zu daraus vor. Danach sah er mehrere Tageszeitungen durch, wobei er sich nicht nur für Literatur und Kunst, sondern durchaus auch für Politik und Wirtschaft interessierte. Wenn Proust beschlossen hatte, abends auszugehen, begannen danach die entsprechenden Vorbereitungen: Telefonate führen, Auto bestellen, ankleiden. Sonst machte er sich nach dem Zeitungslesen direkt an die Arbeit, schrieb einige Stunden am Stück und klingelte nach Céleste, wenn er etwas brauchte oder sich unterhalten wollte. Manchmal redeten die beiden stundenlang, besonders dann, wenn Proust unterwegs gewesen war oder einen interessanten Besucher empfangen hatte. Er schien so gleichsam für seinen Roman zu proben und Nuancen und Andeutungen eines Gesprächs oder Treffens zu untersuchen, um sie später zu Papier zu bringen.

Proust schrieb ausschließlich im Bett. Einzig sein Kopf wurde von zwei Kissen gestützt, und um an das Schreibheft auf seinem Schoß zu gelangen, musste er sich umständlich auf einen Ellbogen stützen. Das einzige Licht stammte von einer schwachen, grün bespannten Nachttischlampe. Bei intensiver Arbeit verkrampfte sich sein Handgelenk, und seine Augen brannten. »Nach zehn Seiten bin ich erschöpft«, schrieb er. Wenn er müde wurde, nahm er eine Koffeintablette, und wenn er einschlafen wollte, musste er dem Koffein mit Veronal beikommen, einem barbitalhaltigen Beruhigungsmittel. »Du steigst gleichzeitig auf die Bremse und aufs Gas«, warnte ihn ein Freund. Proust war das egal – der schmerzhafte Schreibprozess schien ihm zu helfen. Er hielt Leiden für wertvoll und sah darin den Ursprung großer Kunst. Im letzten Band von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit schrieb er: »Es scheint fast so, als ob die Werke eines Schriftstellers, wie das Wasser in einem artesischen Brunnen, umso höher aufsteigen, je tiefer das Leid ist, das sein Herz durchlebt hat.«

»Nach zehn Seiten bin ich erschöpft.«

Samuel Beckett

(1906–1989)

1946 begann für Beckett ein intensiver kreativer Lebensabschnitt, den er später als »Belagerungszustand im Zimmer« bezeichnete. Im Laufe der folgenden Jahre schrieb er seine besten Werke – die Romane Molloy und Malone stirbt sowie das Stück, mit dem er schlagartig berühmt werden sollte, Warten auf Godot. Paul Strathern beschreibt Becketts Leben im Belagerungszustand so:

»«Samuel Beckett gegen Ende des Belagerungszustands im Zimmer, 1950

Samuel Beckett gegen Ende des »Belagerungszustands im Zimmer«, 1950

Hauptsächlich spielte es sich in seinem Zimmer ab. Abgeschottet von der Außenwelt, sah er seinen Dämonen ins Auge und versuchte, seine geistigen Vorgänge zu verstehen. Sein Tagesablauf hätte schlichter nicht sein können. Er stand am frühen Nachmittag auf, machte sich Rührei und blieb so lange in seinem Zimmer, wie er es ertrug. Dann ging er aus, um spätabends die Bars von Montparnasse unsicher zu machen, trank literweise billigen Rotwein und kehrte vor Sonnenaufgang nach Hause zurück, wo er nur schwer in den Schlaf fand. Sein ganzes Leben drehte sich um seine fast psychotische Schreibbesessenheit.

Der Belagerungszustand hatte mit einer Offenbarung angefangen. Während eines nächtlichen Spaziergangs nahe des Dubliner Hafens hatte Beckett sich am Ende eines sturmumtosten Piers wiedergefunden. Inmitten von heulendem Wind und wogender See erkannte er plötzlich, dass die »Dunkelheit, die er mit aller Kraft unter Verschluss hielt« – in seinem Leben wie in seinem Werk, das bis dahin erfolglos geblieben war und auch seine eigenen Ansprüche nicht erfüllt hatte –, vielmehr die Quelle seiner Inspiration sein sollte. »Ich werde immer schwermütig sein«, so Beckett, »aber es tröstet mich, dass ich die dunkle Seite nun als dominierende akzeptieren kann. Indem ich sie akzeptiere, kann ich sie mir zunutze machen.«

Erik Satie

(1866–1925)

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