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Für einen Moment verharrte Arn Borul …

Die Autorin

 

Vanessa Busse

DUNKLE ENERGIE

 

 

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In dieser Reihe bereits erschienen:

 

5001 Christian Montillon Aufbruch

5002 Oliver Müller Sprung ins Ungewisse

5003 Vanessa Busse Dunkle Energie

5004 Vanessa Busse Angriff aus dem Nichts

Vanessa Busse

 

DUNKLE ENERGIE

 

Raumschiff Promet

Band 3

 

 

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© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Cover: Rudolf Sieber-Lonati

Satz: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-493-0

Für einen Moment verharrte Arn Borul auf der Stelle. Das Dunkel des Kugelraumers schwieg. Doch es wurde lebendig. Er fühlte die Bewegungen. Das dunkelrote Metall, das sich durch das Licht der Scheinwerfer spiegelte, gab nichts davon wieder. Es glänzte kalt. Wie eine Unmenge toter Augen starrte es dem Moraner entgegen. Dennoch, es war nicht zu leugnen. Weiterhin. Er bildete es sich nicht ein. Bei den Cegiren, das Beben … es wird stärker! Es drängte sich inzwischen deutlich durch die Magnetschuhe des Raumanzuges. Eine weitere Nachricht der Promet riss ihn abrupt aus der Konzentration. „Arn, Peet, könnt ihr uns hören! Dieses Auge bündelt gerade eine monströse Menge an Energie. Schaut sofort, dass ihr da rauskommt!“

Der Moraner spürte, wie sein Atmen sich beschleunigte. Obwohl er erst seit Kurzem ein Teil der Promet war, wusste er genau, dass dieser Tonfall für einen ruhigen Charakter wie den Jörn Callaghans nichts Gutes verhieß.

„Szer, Tak, lasst die Promet an Abstand gewinnen. Gus, gib der HTO-234 Bescheid. Es könnte sich um einen Angriffsmechanismus handeln.“ Peet Orell, in dessen Begleitung der Moraner war, hatte schnell gehandelt. Wenn es darauf ankam, war er sich seiner Rolle als Captain der Promet vollkommen bewusst.

„Peet, was wird aus euch? Das Leuchten. Es wird stärker!“ Vivien Raids Stimme überschlug sich beinahe.

Es war dem Moraner klar, dass sie etwas tun mussten. Die schockgrünen Augen hasteten zu seinem Freund. Und dessen Blau blitzte dem Moraner entschlossen durch den Helm entgegen. Die langen Schatten trafen sich im Dunkel.

„Arn, denkst du dasselbe wie ich?“ Peet Orells Stimme zitterte kaum merklich. Doch er schien einen Plan zu haben.

Genau genommen hatten sie beide einen. Arn Borul umgriff das Metall in seinen Handschuhen fester. Diese Strahlwaffe hatte ihm kürzlich schon einmal wertvolle Dienste geleistet. Sie würde es hoffentlich ein zweites Mal tun, selbst wenn er sich nicht darüber im Klaren war, wie sie funktionierte. Kurz nickte er Peet zu. Er wusste mehr als schmerzlich, was auf dem Spiel stand.

„Achtung, wir kommen nicht auf die Promet! Wir finden dieses Auge und werden es …“ Peet Orell verstummte. Eine erdbebenartige Erschütterung erfasste ihn.

„Es strahlt ab! Peet!“ Ein wildes Stimmengewirr zerrte sich durch den Helm, vermischte sich mit dem Takt des moranischen Herzschlags. „Peet. Man muss uns die Koordinaten dieses Auges geben. Wir müssen es zerstören.“ Arn versuchte, Ruhe zu bewahren. Er spürte die aufkommende Nervosität seines sonst so gelassenen Begleiters. Schreie durchdrangen den Helm.

„Vivien, Jörn, könnt ihr uns hören! Wir befinden uns auf dem zweiten Deck von unten. Gebt uns die ungefähre Lage des Auges! So genau ihr könnt! Beeilt euch!“ Mehrfach rief Peet Orell dieselben Sätze. Das Licht seines Strahlers durchflackerte panisch das Schwarz.

Dann verstummte das Stimmengewirr abrupt. Ein erneutes Beben! Eines, das länger, wesentlich tieffrequenter wirkte als alles zuvor. Wie eine Welle flutete es das Material unter ihren Füßen.

 

*

 

Auf der Promet war die Hölle ausgebrochen. Das tiefe Dunkel des Auges glänzte nun grell, leuchtete erfüllt von Dunkelrot. Wandelte sich in immer heller werdendes Violett. Eine Masse fluoreszierender Energie hatte sich in seinem Inneren atemberaubend schnell manifestiert, war größer geworden, so mächtig, dass es blitzförmig fast schon von selbst nach außen trat. Und noch während der Kommunikation mit dem Raumer hatte es sich entladen. Ein gebündelter Strahl. Das Violett schoss ins Schwarz. Wie Sekunden eines schrecklichen Albtraums zog das gleißende Licht meilenweit an der Promet vorbei – nur um sich unmittelbar danach wie ein Fächer zu öffnen. Jörn Callaghan ging zu Boden. Er hielt sich den Arm vor die Augen. Viviens Schreie stachen sich durch sein Gehör. Das Schiff bebte heftig. Die Triebwerke wollten automatisch gegensteuern. Ruckartig zerrte sich die Raumjacht zur Seite. Doch weder die Promet noch die HTO-234 hatten auch nur einen Atemzug an Zeit bekommen, um dem Angriff zu entkommen. Das Violett flutete jede Ecke des Kontrollraums, biss sich fast zur Blindheit in die Sehnerven. Kurz verstummten jegliche Laute.

„Abblenden!“, befahl Callaghan mehr instinktiv als alles andere. Er rang nach Atem, traute sich nicht, die Augen zu öffnen. Tränen rannen ihm über die Wangen.

Die Scheiben der Kommandozentrale verdunkelten sich. Viviens Wimmern war wieder hörbar, wurde dann leiser. Erneut durchzog die Promet eine schwere Erschütterung. Ein tieffrequentes Geräusch durchdrang dumpf den Schiffskörper. Jörn krampfte die Finger in das Kontrollpult, zog sich nach oben.

„Das Ding will uns reinziehen, Jörn. Und die verdammten Triebwerke laufen heiß, wenn das so weitergeht!“, gellte es durch die Lautsprecher. Es war das erste Mal, dass der Finne Pino Tak laut fluchte.

Peets Stimme dröhnte über die Hauptfrequenz. „… gebt uns die ungefähre Lage des Auges! So genau ihr könnt! Beeilt euch!“

Es war Viviens zierliche Hand, die Jörn Callaghan zurück auf die Beine zog. In Sekundenschnelle versuchte er, die Situation zu erfassen. Die dunkle Schicht auf den Sichtscheiben ließ das helle Licht wie toxischen Nebel erscheinen, hielt die grellen Blitze erträglich. Wie ein Netz umschlangen sie die Promet, rissen sie Richtung Zentrum, schüttelten das Schiff ruckartig durch den Raum. Und dessen Antrieb wehrte sich mit voller Kraft. Er stürzte einen Schritt zur Seite. Pino Tak hatte recht! Wenn das so weiterging, würden die Triebwerke überhitzen. Das wäre ihr aller Ende. Ein heftiger Ruck ließ die dunkelhaarige Frau laut fluchen. Sie fand an einem der Geräte Gleichgewicht. Und nicht nur die Promet war es, die sich nicht entziehen konnte. Auch die HTO-234 war in dem Energiestrom gefangen, und deren Außenwände rückten denen der Promet konstant näher! Im Zentrum des Lichts verglühten derweil erste Gesteinsbrocken und Trümmer. Jörns Blick haftete an dem brach liegenden Beiboot der 234. Dessen ausgefallene Systeme konnten nichts tun. Der Gleiter schleuderte hilflos durch das Violett. Immer weiter. Zum Mittelpunkt der Quelle.

Jörn entsann sich. Der Mann, der noch Minuten zuvor versucht hatte, dessen Antriebe in Ordnung zu bekommen! „Jackson …“, sprach er zu sich selbst.

 

*

 

Peet Orell und Arn Borul stürzten in weiser Voraussicht zurück Richtung Antigrav-Schacht. Das metallische Rot der Wände traf auf Licht, zerriss ihre Konturen schattenhaft. Eine unendliche Schwärze tat sich wenige Meter vor ihnen auf wie ein gieriger Schlund und ließ sie wissen, erneut die Mitte des Kugelraumers erreicht zu haben. Immer wieder hatte Peet nach der Lage des Auges gefragt – bis die Verzweiflung einer Antwort wich. Eines der oberen Decks. Jörn hatte sie hörbar von unten herauf durchgezählt. Das unübersehbar große Loch, das einst eine unbekannte Macht in den Raumer gerissen hatte, kam ihm dabei zu Hilfe, legte einen Großteil der Raumer- und Deckstruktur offen. Vermutlich das sechste oder siebte, so Jörns fieberhafte Schätzung. Sie mussten sich links halten. Links. Jörns Stimme zu hören – es hatte ihn noch nie so beruhigt wie in diesem Augenblick. Peet atmete flach. Der Sauerstoff roch nach Kunststoff. Und in seinen Schläfen pochte es heiß. Wenn der Moraner nicht bei ihm wäre, würde die Angst ihn auffressen. Es war nicht die Furcht vor dem Tod. Es war die um seine Freunde. Sie lähmte ihn nahezu. Aber genau deshalb wusste Peet Orell, dass er stark bleiben musste. Sie mussten dieses Ding finden, bevor es zu spät war. Durch jede Dunkelheit hindurch in der Kälte dieser verfluchten Kugel. Das Schockgrün zweier moranischer Augen funkelte ihm entgegen.

„Peet. Weiter!“, rief Arn.

Noch im Absprung spürte Peet, wie eine erneute Welle an Beben seinen Körper erfasste. Im freien Fall betätigte er das Antigrav-Triebwerk seines Gürtels, ließ sich nach oben reißen, folgte dem Moraner, der nur wenige Meter voraus war. Ihre Scheinwerfer strahlten von Deck zu Deck. Das Einzige, das mit der vollkommenen Dunkelheit brach. Und es war Peets schneller Atem, der das Grauen begleitete. Vier, fünf, sechs… hier! Hier muss es sein!, schrie es in ihm durch die Stille.

Kurz fand der Moraner mit den Füßen Halt auf der mächtigen Kante der Metallwand. „Warte hier, Peet!“ Er hob rasch ab, schwebte weiter nach oben, ließ Peet Orell alleine im Schwarz zurück. Auf Deck sechs, dort, wo die Erschütterungen spürbarer wurden denn je.

Arn, wo bleibst du! Vivien. Jörn. Am. Wir müssen dieses Auge finden. Wir müssen …

Es hatte nur eine Minute gedauert, ehe Arn Borul wieder neben ihm stand. „Es ist auf diesem Deck“, sagte er ruhig, er schien völlig sicher.

Peet sah ihn fragend an. Jeder Irrtum könnte tödlich sein!

„Die Vibrationen … sie sind hier stärker als oben.“ Erneut ließ sich der Moraner auf dem Boden ab, verharrte wenige Sekunden. „Ihr Ursprung liegt auf diesem Deck.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, rannten sie los. Die Atemzüge, so künstlich sie jedes Mal aufs Neue in einem Raumhelm klangen und sich in Lautstärke und Intensität steigerten, nahm Peet Orell in diesem Moment nicht mehr wahr. Sie mussten vorwärts, finden, was sie suchten, bevor es zu spät war. Die Helmfrequenz verriet, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb. Die HTO-234 schien der Promet aus der Entfernung gefährlich nahe zu kommen, das Zentrum der Energie war beinahe greifbar, die Triebwerke … sie mussten weiter! Weiter durch das Schwarz. Durch einen Gang, der scheinbar ins Unendliche lief, bis …

„Verdammt!“ Peet bremste sich. Erbarmungslos glänzte ihm Metall entgegen. Eine Schleuse. Sie versperrte den Weg. Es war unmöglich, dass dieser Weg hier im Nichts enden sollte.

Ohne zu zögern, hielt der Moraner seinen Begleiter neben sich zurück, richtete die Strahlwaffe auf die Wand. Es dauerte nur wenige Sekunden. Grellgelbes Licht flackerte durch das Dunkel, blitzte auf, ließ ihre Schatten wirken wie das, was sich im Inneren Peet Orells abspielte. Energie fraß sich durch das Material, schmolz es. Wie flüssiges Wachs tropfte es durch den Raum, erstarrte nahezu sofort. Geräuschlos. Peet fühlte in diesem Augenblick deutlich, dass Arn Borul sogar den ganzen Kugelraumer wegschmelzen würde, wenn es sein müsste.

Immer wieder trafen sich ihre Blicke. Sie irrten weiter. Tiefer ins Unbekannte. Die Beben, sie wurden stärker. Kurz zog es Peet den Boden unter den Füßen weg. Er spürte den Schmerz nicht. Stille. Tote Wände. Die Leere. Sie war übermächtig. Er durfte nicht aufgeben. Er wollte seine Freunde retten. Es waren Arns überlegte Ruhe, die Stimmen seiner Gefährten, die ihn beharrlich begleiteten, die ihn an das glauben ließen, was wichtig war. Es würde nicht auf diesem Raumer enden.

Vater. Er würde es nicht verkraften …

Ihre Schritte glitten förmlich über den Boden. Das Körpergewicht halbiert. Die starken Bewegungen führten dennoch zu Verzögerungen im Temperaturausgleich des Raumanzugs. Trotz der Kälte des Alls, die ihn in Sekunden zu Eis erstarren lassen könnte, schwitzte Peet Orell. Nasse Perlen bildeten sich auf seiner Haut, ließen seinen Helm leicht anlaufen. Er schluckte trocken.

Dann stoppte der Moraner abrupt.

 

*

 

Bei allen Göttern Morans, dahinter ist es! Arn Borul umkrampfte die Waffe so fest, dass seine Finger schmerzten. Und das Herz des Moraners brannte. Neben ihm stand Peet. Er schwieg.

„Arn, Peet! Beeilt euch. Bitte …“ Die zerrenden Stimmkompressoren konnten die Verzweiflung Viviens nicht verbergen, die durch die Helme schallte.

Wie ein Schleier bedeckten die Worte Arn Boruls Gedanken. Er ging einen Schritt nach vorne. Zu auf das, was vor ihnen lag. Es war bei Weitem nicht nur rötliches Metall. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, an das schmale Licht der Scheinwerfer, die nie das Ende der Kugelraumers zu erreichen schienen. Diese Intelligenz, die hier einst existierte – sie hatte die Leitfähigkeit des unbekannten Materials in Vollkommenheit genutzt. Wie es früher auf Moran, lange vor seiner Zeit, ähnlich gewesen war. Ströme aus Energie, rote Lebensadern, schimmerten großflächig durch die hohe Wand. Es musste einfach hier sein. Und sie würden es vernichten! Für Moran. Es gab kein Zurück. Hinter den schockgrünen Augen manifestierte sich all die Entschlossenheit, all die Verzweiflung, die in jeder weiteren Nachricht der Promet unerbittlich mitklang. Ein heller Lichtstrahl durchbrach das Dunkel. Und während Peet Orell einen kurzen Schritt nach hinten tat, drängte sich der Moraner dichter an die Wand, die Strahlenwaffe fest umgriffen. Sie begann zu glühen, Energieströme flossen und gaben den Weg frei auf das, was selbst ihm die Sprache verschlug.

 

*

 

„Captain. Antrieb Temperaturstufe A.“

„Verstanden. Kein Abbruch.“ Captain Eric Worner fuhr sich über das kurze Haar, wandte den Blick erneut ab vom Interkom-Monitor, der aus dem Maschinenraum sendete. Seine Stirn war feucht. Seine Gedanken waren bei Jackson. Er sah, wie der Gleiter immer weiter davongezerrt wurde. Unaufhaltsam. Richtung Licht. Und ich kann verdammt noch mal nichts dagegen tun … Er presste die Lippen aneinander. Die HTO-234 war noch nicht lange unter seinem Befehl. Nicht lange genug jedenfalls, um sie zu verlieren. Oder einen seiner Männer. Er wusste, dass er sich auf seine Crew verlassen konnte. Sie arbeitete schnell und professionell. Als die Strahlen die 234 eingenommen hatten, gab es minimale Panik. Nach ein paar Minuten hatten sich alle wieder zusammengenommen. Sie mussten es schaffen. Nur wie?

Ein erneuter Stoß riss die 234 zur Seite. Eric Worner fiel in den Steuersitz zurück. Er blickte auf die Schirme vor ihm. Es waren nur seine Finger, die sich leicht zitternd in die Lehne pressten und somit zeigten, wie angespannt er im Inneren war. Das Beiboot vor der Promet drehte sich einmal um sich selbst, schleuderte weiter nach vorne. Und die schweren Vibrationen, die sich durch das gesamte Schiffsgehäuse der 234 schoben, verrieten, dass die Antriebe längst an ihre Grenzen kamen. Das helle Licht, abgedunkelt durch den Abblendmodus, spie blitzartige Funken gegen die Scheiben. Das dumpfe Grollen der Triebwerke, die leisen Flüche des Offiziers dicht hinter ihm, waren die einzigen Unterbrechungen zwischen jeder einzelnen Erschütterung.

Seine Augen hafteten auf dem Zentrum der Energie, die sie in sich reißen wollte. Dann wanderten sie zur Promet. Die kleine Raumjacht schlenkerte unkontrolliert zu allen Seiten, zerrte sich zurück, nur um kurz darauf wieder machtlos weggezogen zu werden. Die Kommunikation war seit der ersten Energiewelle abgebrochen. Doch er brauchte keine Worte, um sich vorzustellen, was momentan auf der Promet ablief. Auch er war sich bewusst, dass der Captain dieses Schiffs und der Moraner noch auf dem Raumer waren. Ob sie am Leben waren, ob es Verletzte gab, das konnte er nur erahnen.

„Captain. Sollen wir das Raumboot und die Rettungskapseln trotz allem bereitmachen?“ Murdock, im Rang des stellvertretenden Captains, hatte leise gesprochen. Nahezu vorsichtig. Er stockte nun, musste sich am Kommandositz festhalten. Die Erschütterungen waren heftig. Doch er schien es genauso wie Worner zu wissen: Es war die letzte Möglichkeit, die eigentlich keine war. Denn weder die Antriebe der Kapseln noch die der Evakuierungsschiffe, könnten dieser Energie standhalten. Genauso wenig wie die HTO-234. Vielleicht beruhigte es die Männer, gab Hoffnung. Diese Option wahrzunehmen hieße letztendlich, die HTO-234 aufzugeben. So, wie es auch bedeutete, jeden einzelnen Menschen, der an Bord verblieb, seinem grausamen Schicksal zu überlassen. Und das würde darin bestehen, im Inneren des Auges zu verglühen, vorab von der Explosion der Triebwerke zerfetzt zu werden oder im Aufprall mit der Außenwand der Promet zeitgleich mit ihr unterzugehen. Im Grunde genommen waren sie verloren. Er atmete flach, wollte eine Lösung finden. Noch einmal sah er in die Weiten des Alls. Unweigerlich erbebte das Schiff erneut und schenkeldicke Strahlen überzogen gleißend den Sichtschirm.

Eine letzte Entscheidung… Dann sprach Worner aus, was er niemals sagen wollte. Das kurze Nicken Murdocks sollte ein Abschied sein. Hektisch verließ er die Brücke.

Worner ließ sich tiefer in den Formsitz sinken. Seinem Ingenieur, einem der besten der HTO, gab er den Befehl, die Triebwerke auf höchster Stufe zu belassen, die Gegensteuerautomatik vollständig zu aktivieren und eine Evakuierung einzuleiten. Es war schade um diesen Mann.

Worner wurde klar, dass er sich nie bewusst mit dem Tod auseinandergesetzt hatte. Obwohl es mehr als einmal schwierige Situationen in seinem Leben gegeben hatte, war es nicht nötig gewesen. Immer hatte er einen kühlen Kopf bewahrt, seine Gefühle abgeschaltet. Wie mechanisch konnte er funktionieren, wenn es darauf ankam. Und selbst jetzt, im Angesicht dieses Augenblicks. Ob ihm noch Zeit bleiben würde, darüber nachzudenken? Falls er das wollte?

Gesteinsbrocken, umherirrende Trümmer. Sie verglühten wie kleine Sterne in diesem Auge, das ihr Untergang sein würde. Ließen es noch strahlender wirken. Fast unwirklich schön. Worner lächelte bitter. Über die Monitore sah er zu, wie seine Crew die Rettungskapseln einsatzbereit schaltete. Er würde nicht alleine sterben. Selbst wenn er es wollte. Und es würde nicht mehr lange dauern, bis ein Kontakt zustande kam. Ob es zuerst mit der Promet war oder mit dem Auge … da müsste er sich überraschen lassen. Der Abstand wurde ruckartig geringer. Zu beidem.

 

*

 

Die Promet war noch genau zwei Schiffslängen vom glühenden Zentrum des Energiestrahls entfernt. Wie ein Stecknadelkopf müsste sie aus Sicht des Kugelraumers wirken. Pino Tak fuhr sich über den fast kahlen Schädel. „Ihr hättet vorher ruhig erwähnen können, dass wir alle dabei draufgehen!“ Das Schelmische, das seine kristallblauen Augen normalerweise umspielte, war längst verschwunden.

Szer Ekka seufzte, blickte nach unten und fluchte. Auf dem Boden der Kommandozentrale lagen weitläufig alle Dinge zerstreut, die nicht festgenietet waren. Das Schiff wurde durchgeschüttelt wie im Schleudergang einer wild gewordenen Waschrobotik.

„Wenn wir sie wenigstens erreichen könnten, verdammt!“, schrie Gus Yonker. Die Geräusche der überlasteten Triebwerke und das stetige Verziehen der Außenhaut waren laut und dumpf. Zu laut für normale Worte.

„Niemand wird hier sterben! Ich vertraue auf Arn und Peet.“ Jörn Callaghan versuchte immer noch, Ruhe zu bewahren. Er hoffte inständig, die beiden Freunde könnten es schaffen. Zum Zentrum hin nahm die allesverschlingende Energie zu, sie hatte jeglichen Kontakt beendet. Jörn war nervös.

„Wir geben die Promet nicht auf! Ist das klar!“, brüllte Vivien die Männer an. Tiefe Entschlossenheit lag in ihrem Blick. Und Trotz.

„Ach ja, sag das der 234!“, konnte Tak noch aufschreien, bevor eine Erschütterung die Promet traf, die nicht nur Callaghan von seinem Sitz schleuderte, sondern jedes der Crewmitglieder zu Boden riss.

„Schleusen schließen!“ Jörns Stimme überschlug sich. Er spürte einen warmen Fluss auf seiner Stirn. Blut.

Tak versuchte, das Gleichgewicht zu halten und drückte wie ein Irrer auf die Tasten des Kommandopults. „Schließen! Schließen! Schließen!“, rief er wie im Wahn.

Es war der erste Aufprall der HTO-234 an die Außenwandung der Promet. Sie hatte sich notdürftig zurück zur Seite gezerrt, hatte sie lediglich gestreift. Die Außenhülle des Riesenschiffs war angekratzt – die der Promet eingerissen. Das Medodeck, es verlor Sauerstoff! Ein schneller Verschluss der Schleusen verhinderte das Schlimmste. Jede weitere Kollision könnte das Ende der Promet bedeuten. Und aller Besatzungsmitglieder an Bord.

„Verdammt… Peet, Arn, helft uns.“ Viviens Überzeugung war leisem Gemurmel gewichen.

In einer gewaltigen Energiewelle verglühte das Beiboot grell im Zentrum des Auges.

 

*