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Irene Prugger

Südtiroler
Almgeschichten

Löwenzahn

Ungekürzte E-Book-Ausgabe 2014

© 2012 by Löwenzahn in der Studienverlag Ges.m.b.H.

Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

E-Mail: loewenzahn@studienverlag.at

Internet: www.loewenzahn.at

ISBN 978-3-7066-2713-9

Cover: hoeretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol

Satz Innenteil (nach Entwürfen von Manuela Weiß): Judith Eberharter, Eine Augenweide, www.eine-augenweide.com

Fotografien: Irene Prugger, wenn nicht anders angegeben.

Porträtfotos bei den Interviews: Gabriel Tschöll, www.gommafoto.it.

Foto „Siegfried und Burgl im Sommer 1951 auf der Bachleralm.“: Privatbesitz Siegfried Steger

Foto „Rosegger und Defregger im Sommer 1900 auf der Spinges Alm.“: Privatbesitz Familie Defregger

Foto „Heumahd auf der Kreuzwiesenalm.“: Privatbesitz Familie Hinteregger, Lüsen

Fotos „Der grenzenlose Raum der Freiheit“: Privatbesitz Egon Moroder Rusina

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen

Textes kommen.

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.loewenzahn.at.

Irene Prugger

Südtiroler
Almgeschichten

Löwenzahn

Inhalt

Melchermuas und Macchiato – Vorwort

Almporträts

Castelfeder, Montan

Tschaufen am Tschögglberg, Mölten

Petersberger Leger Alm, Petersberg/Deutschnofen

Timmelsalm, Moos im Passeier

Aglsalm, Ratschings

Madritsch Alm, Sulden am Ortler

Seiser Alm, Kastelruth

St. Anna Alm/Pfistrad, St. Leonhard im Passeier

Zunderspitz Alm, Ratschings

Bachleralm, Mühlwald

Lafetz Alm, Unser Frau im Schnalstal

Tschenglser Alm, Tschengls

Schwarzbachalm, St. Johann im Tauferer Ahrntal

Spinges Alm, Mühlbach

Pragser Rossalm, Prags

Lüsner Almen, Lüsen

Tuferalm, St. Gertraud im Ultental

Höfer Alm, Schleiser Alm, Oberdörfer Alm, Brugger Alm

Freundalm, Ratschings

Öttenbacher Alm, Sarnthein

Medalgesalm, St. Martin in Thurn

De Fojedoera, St. Vigil in Enneberg

Fane Alm, Vals

Rittner Almen, Ritten

Valsalm und Weitenbergalm, Pfunders

Matscher Kuhalm und Upi Alm, Mals/Schluderns

Krabesalm, Altrei

Cuecenes-Raschötzalm, Gröden

Interviews

Emilio Dallagiacoma – Die Rückeroberung der Weideflächen

Reinhold Messner – Die Alm erzählt viel über den Menschen

Alexandra von Hellberg – Im Reich der Naturwesen

Martha Stocker – Mit dem Pferdefuhrwerk über die Grenze

Gianni Bodini – Das Multi-Kulti hat mir immer gefallen

Renate Telser – Grüße von der Weiberalm

Florian Kronbichler – Vom Heimweh eines Hüterbuben

Joseph Zoderer – Auf den Wegen der Selbstfindung

Peter Zangerl – Eine feine Sensorik für Käse

Maria Profanter – Früher war Zusammenhalt lebensnotwendig

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Melchermuas und Macchiato

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Foto: Gabriel Tschöll

E s ist so weit, es gibt wieder Almgeschichten zu lesen! Weil das Echo auf mein Nordtiroler Almbuch* so überaus erfreulich war, habe ich meine Recherchen ausgedehnt und war zwei Jahre lang in Südtirol unterwegs.

Auch in diesem Buch werden wieder ganz unterschiedliche Almen vorgestellt: kleine und große, touristische und verborgene, Genossenschafts- und private Almen, Almen mit Milchviehhaltung und Sennerei, Galtviehalmen oder Almen, auf denen hauptsächlich Pferde, Ziegen, Schafe oder gar Yaks gehalten werden. Aus Platzgründen können nicht alle „wichtigen“ Südtiroler Almen vorkommen, auch nicht jedes Tal, aber die Auswahl reicht von beeindruckenden Hochgebirgsalmen im Norden und in den Dolomiten bis zu Almen mit südlich-exotischem Flair. Sie zeigen die ganze reiche Vielfalt, die ich – auch kulinarisch – bei meinen Ausflügen genießen durfte: Melchermuas und Macchiato eben.

Wie schon bei meinen Nordtiroler Reportagen haben mich auch in Südtirol viele Menschen unterstützt, ihnen allen möchte ich herzlich danken. Sie haben mir ihr Wissen und ihre Erfahrungen mitgeteilt, wie z. B. Bertram Stecher vom Sennereiverband Südtirol oder Luise Gafriller von Pro Vita Alpina. Andere haben mir mit Empfehlungen weitergeholfen, wie die Journalistin Evi Keifl, auf die ich durch das informative Reise- und Lesebuch „Südtirol der Frauen“ aufmerksam wurde. Viele weitere haben sich für Interviews oder als kompetente Almbegleiter zur Verfügung gestellt, davon ist ohnedies im Buch zu lesen.

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Die Almfotos habe ich auch diesmal wieder selber gemacht, aber bei den Porträtfotos zu den Interviews hatte ich kompetente Unterstützung von Gabriel Tschöll aus Auer. Er ist nicht nur ein hervorragender Fotograf, er hat auch viele Kontakte hergestellt und unsere Arbeitsausflüge waren immer sehr vergnüglich.

Auch wäre es nicht ohne die freundliche Zuvorkommenheit der Menschen auf den Almen gegangen. Sie haben mir viel Herzlichkeit und Gastfreundschaft entgegengebracht. Fast immer verlief die Kommunikation ohne Probleme, denn wir sprachen (meistens) die gleiche Sprache und einen ähnlichen Dialekt. Mitunter war mein Gegenüber almerisch schweigsam und ein bisschen misstrauisch, dann brauchte es Geduld auf beiden Seiten, aber es entwickelte sich schließlich doch immer ein anregendes Gespräch. Auf der Alm finden bekanntlich die Leute zusammen.

Schwieriger waren manchmal die allerersten Kontaktaufnahmen, bei denen ich telefonisch versuchte, einen Termin für ein Gespräch zu vereinbaren. Da war es dann mit dem einen oder anderen Südtiroler Urgestein nicht ganz so einfach, auf einen grünen Zweig zu kommen.

Über welche Umwege wir zum Ziel gelangt sind, ist hier zu lesen:

Grüßgott, ich heiße Irene Prugger und schreibe gerade ein Buch über Südtiroler Almen und deshalb …

Wos?

Ich schreibe gerade ein Buch über Südtiroler Almen.

Jo und?

Und da wollte ich Sie fragen, ob wir uns einmal zusammensetzen könnten, weil Sie sich ja mit Almen gut auskennen und Sie mir vielleicht etwas erzählen könnten über …

I? Wieso i?

Ja, Sie haben doch mit Almen zu tun …

Wer sog des?

Stimmt das nicht?

I hon damit nix z’tian.

Aber Sie wurden mir empfohlen. Ich soll Ihnen übrigens schöne Grüße ausrichten von …

A bissl wos halt. A bissl wos hon i schun damit z’tian.

Eben deshalb wollte ich Sie fragen, ob ich Sie einmal besuchen dürfte und wir darüber reden könnten …

Wann soll des sein?

Ja, da müssten wir einen Termin ausmachen.

I hon oba nit viel Zeit.

Deshalb wär ein Termin ganz günstig.

Jo kimmsch halt amol eini.

Wann genau?

Jo, des konn i iatz no nit sogn.

Vielleicht übernächste Woche? Da ginge es mir gut aus. Wir müssten halt einen Tag vereinbaren.

Der Tog isch mir gleich.

Ich wohne in der Nähe von Innsbruck und muss extra nach Südtirol fahren, deshalb wärs mir lieber, wenn wir uns auf einen Tag einigen könnten.

Ich bin eh olm do.

Aber Sie haben doch gesagt, Sie haben nicht viel Zeit.

Zeit hon i nit viel, oba i bin olm do.

Wie wärs übernächsten Mittwoch?

Bin i do.

Den ganzen Tag?

Konn sein, dass i amol kurz weg muaß. Ruafsch holt vorher on, bevor kimmsch.

Aber auf übernächsten Mittwoch können wir uns einigen? So gegen Mittag?

Mittog isch schlecht.

Vormittag? Nachmittag?

Des isch mir gleich, oba Mittog isch schlecht.

Dann komme ich am Vormittag. Übernächsten Mittwoch am Vormittag. So gegen zehn. Passt das?

Von mir aus.

Vielleicht können Sie mir noch ganz kurz den Weg beschr…

I muaß iatz orbatn. Konn nit in gonzn Tog telefoniern.

Macht nichts, ich finde schon irgendwie hin. Soll ich Ihnen noch meine Telefonnummer geben, für den Fall, dass etwas dazwischenkommt?

Kimmp nix dazwischen.

Ich rufe vielleicht am besten vorher noch einmal kurz an.

Sog i jo die gonze Zeit: vorher onruafn.

Gut, bis dann. Danke!

Wos fir a Buach isch des?

Ein Buch über Almen in Südtirol. Es heißt „Südtiroler Almgeschichten“. Ich schreibe Porträts über Almen und Menschen, die auf der Alm leben und arbeiten.

Aha.

Ja, da können wir dann am übernächsten Mittwoch näher drüber …

Auf der Olm gleb hon i nia.

Das ist auch nicht nötig. Sie erzählen mir einfach von Ihren Erlebnissen auf der Alm.

Und des kimmp ins Buach?

Jetzt reden wir zuerst einmal miteinander und schauen, was dabei herauskommt.

Und wieso kimmsch do auf mi?

Über Empfehlungen. Ich soll Ihnen übrigens schöne Grüße ausrichten von …

Erlebnisse? Wos moansch mit Erlebnisse?

Was Sie so auf der Alm alles erlebt haben.

I hon lei gorbeitet.

Wir reden hauptsächlich über Ihre Arbeit auf der Alm. Ein paar Erlebnisse werden da sicher auch dabei sein.

Wenn kimmsch, hosch gsogt?

Übernächsten Mittwoch.

Bin i do.

Ja fein, prima. Ich freu mich.

Wenn i nit do bin, redesch mit da Frau.

Ja, aber ich wollte schon hauptsächlich mit Ihnen reden, weil …

Lei fürn Foll, dass wos dazwischenkimmp.

Soll ich Ihnen vielleicht doch noch meine Telefonnummer …

Hon i gschpeichert!

Gut, fein, dann bis übernächsten Mittwoch!

Der Weg isch a bissl kompliziert, wenn ma sich nit auskennt.

Danke, ich find das schon. Ich hab ja die Adresse. Ansonsten frag ich mich durch. Kein Problem!

Sunsch ruafsch holt vorher on!

Ja danke, mach ich. Aufwiederh…

A poar Erlebnisse hon i schon ghobt auf da Olm.

Das denke ich mir, aber darüber können wir dann ja am Mittwoch, am übernächsten Mittwoch …

Vielleicht kimmsch besser am Donnerstog, do hon i mehr Zeit zum Redn.

Donnerstag in vierzehn Tagen?

Welcher Donnerstog isch mir gleich.

Gut, abgemacht, übernächsten Donnerstag vormittags gegen zehn.

Oba ruaf vorher on!

Gut, mach ich. So gegen Mittag erreiche ich Sie am besten, oder?

I bin olm do.

Fein, dann sind wir uns einig?

(Stille in der Leitung, am anderen Ende wurde aufgelegt).

Auch dieses Zusammentreffen hat dann wunderbar geklappt und wir führten eine sehr aufschlussreiche Unterhaltung über die „poar Erlebnisse auf da Olm“.

Er hat nicht mit mir telefoniert, ihn habe ich beim Rittner Almfest mit der Kamera eingefangen.

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* Irene Prugger: Almgeschichten. Vom Leben nah am Himmel; Löwenzahn Verlag 2010.

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1. April

Castelfeder, Montan

Almpark mit Ziegen
und Wildkirschenbäumen

Mein Südtiroler Almsommer beginnt mit einer kleinen Herde Ziegen. Ein bescheidener Anfang, wenn ich an jenes Jahr zurückdenke, als ich zum Auftakt meiner Nordtiroler Almgeschichten den Übertrieb von 1500 Schafen vom Schnalstal auf die Niedertalalm von Vent im Ötztal begleitet habe. Damals ging’s auf über 3000 Meter, heute gerade einmal auf 350 Meter Seehöhe. Dafür befinde ich mich an diesem 1. April aber zwischen blühenden Wildkirschenbäumen und uralten Eichen auf einer der schönsten Almen Südtirols, auf Castelfeder bei Montan, oberhalb von Auer.

Nein, kein Aprilscherz! Castelfeder ist tatsächlich eine Alm, und zwar die niederste Alm Südtirols. Auch gute Südtirolkenner sind überrascht, wenn sie das hören, denn ein almerisches oder gar älplerisches Wesen hat sie ja wirklich nicht, diese 110 Hektar große parkähnliche Naturoase, die eines der beliebtesten Ausflugsgebiete im südlichen Teil des Alto Adige ist und ein geschütztes Biotop. Für die höher gelegenen Almen gibt es allerdings keinen Grund, geringschätzig auf die etwas extravagante Kollegin herabzuschauen, denn sie erfüllt ihre Aufgabe als sommerliches Weidegebiet für landwirtschaftliche Nutztiere hervorragend, und eine Alm- bzw. Hirtenhütte gibt es auch.

Diese steht etwas versteckt im Weidegebiet unter alten Eichenbäumen und sieht ein bisschen, nun ja, vergessen aus. Aber das ist kein Wunder, weil sie ja kaum gebraucht wird. Castelfeder ist so gut zugänglich und liegt so nahe an den umliegenden Ortschaften, dass es nicht nötig ist, die Hirten hier nächtigen zu lassen. Sie kommen tagsüber nachsehen, ob alles in Ordnung ist, und fahren dann wieder nach Hause. Und da hier nur Galtvieh weidet, wird auch keine Sennerei betrieben.

Mich interessiert der Hirtenunterstand deshalb, weil ich auf meinen Fotos immer die Almhütten zeigen will, obwohl die Burgruine hier bei Weitem repräsentativer wäre. Denn wenn von Castelfeder die Rede ist und damit vom Arkadien Südtirols, denkt man sofort an die pittoresken Überreste der prähistorischen und römischen Siedlungen. Auf der strategisch günstig gelegenen Porphyr-Hügelkuppe mitten in fruchtbarem Gebiet siedelten Volksstämme aus der Steinund Bronzezeit, Räter, Römer, Rätoromanen, Ostgoten, Langobarden, Franken, Bajuwaren und mittelalterliche Adelsgeschlechter. Die Ruine der Barbarakapelle sowie die Steinbögen bzw. Kuchelen – das sind übrig gebliebene Bestandteile einer fast 600 Meter langen Mauer einer byzantinischen Festung – wurden schon unzählige Male auch für Tourismusprospekte fotografiert, ebenso die Überreste des alten Römerweges. Über 160 Häusergrundrisse einer vermutlich frühmittelalterlichen Siedlung wurden ebenfalls hier gefunden, deren Ursprünge von einigen Forschern sogar für das legendäre vorrömische Endidae gehalten werden.

Idyllische Ausblicke auf das „Arkadien Südtirols“.

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Außerdem gibt es auf Castelfeder auch Schalensteine, Felszeichnungen und natürliche Steinwannen zu sehen – eine davon ist die Fruchtbarkeitsrutsche, über die offenbar schon viele Frauen und wahrscheinlich auch Männer gerutscht sind, so blank geschliffen wie der Stein aussieht. In manchen Fällen wird es wohl geholfen haben, falls sie wussten, dass man das bäuchlings tun muss, um Erfolg zu erzielen. Etwas weniger weit, aber auch in eine geschichtsträchtige Vergangenheit zurück weisen die Dämme der alten Fleimstalbahn, die sich früher in einer abenteuerlichen Trassenführung um den Hügel schlängelte. Sie wurde im Ersten Weltkrieg, als 1916 der Kampf in den Dolomiten gegen Italien begann, von Kriegsgefangenen und der einheimischen Bevölkerung für die Waffen-Nachlieferung gebaut. Die Bahnstrecke führte von Auer bis Predazzo, wurde bis 1963 genutzt und dann stillgelegt. Heute verläuft auf einigen Wegstrecken der Bahn ein Radweg.

Emilio und Robert bei einem Kontrollspaziergang auf Castelfeder.

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Prähistorische Siedlungen und Biotop

Ein historisch überaus bemerkenswerter Boden ist dieses Castelfeder, aber so eine alte, halb verfallene Hirtenhütte hat auch ihren Charme. Mir gefällt besonders gut das „Hirschgeweih“ aus knorrigem Geäst und der alte steinerne Ofen, der allerdings fast schon wie die Vorbilder auf der Hügelkuppe Ruinencharakter hat. Hirte ist heute keiner in der Nähe, dafür habe ich zwei sehr sympathische und kompetente Begleiter mit, die mir viel über Castelfeder erzählen: Forstrat Dr. Emilio Dallagiacoma vom Amt für Bergwirtschaft der Südtiroler Landesregierung und Robert Franzelin von der Forststation Neumarkt.

Von den beiden Experten erfahre ich, dass sich zur Ziegenherde, die jetzt in genüsslicher Abgeschiedenheit hier weidet, schon bald Schafe, Rinder, Pferde und voraussichtlich auch ein Esel gesellen werden. Insgesamt sind 60 Großvieheinheiten von Bauern aus der Umgebung den Sommer über auf Castelfeder untergebracht. Bei den Rindern ist es hauptsächlich Grauvieh, also eine widerstandsfähige Rasse, die hier nicht wie andernorts auf Almen oft gegen Kälte und überraschende Schneefälle zu kämpfen hat, sondern gegen die Hitze, die durchaus sizilianisch sein kann. Eine der dringlichsten Aufgaben des jeweiligen Hirten ist es deshalb zu prüfen, ob die Wasserzuleitungen in Ordnung sind und die Tiere ausreichend zu trinken haben.

Bis vor ungefähr 40 Jahren hielt noch nahezu jeder Bauer in Südtirol Vieh, aber dann stellten viele auf Obstbau um. In Montan und Umgebung gibt es noch einige Mischbetriebe und Bauern, die sich weiterhin der Viehhaltung verschreiben. Solche Idealisten sind für ein Gebiet wie Castelfeder besonders wichtig, denn ohne die Sommerweide würden die Flächen sehr rasch verbuschen.

Damit sind wir beim Thema, bei dem sich Emilio und Robert besonders gut auskennen: die Vegetation auf Castelfeder. Sie können hier jedes noch so unspektakuläre Pflänzlein bestimmen und nicht alle machen ihnen Freude. Denn auf dem flachgründigen Boden inmitten der Gletscherschliffe wachsen zwar viele saftige Futtergräser wie die Wiesenrispe – „Man erkennt sie an der feinen Linie in der Blattmitte, die wie eine Skispur oder Langlaufloipe aussieht“, erklärt Emilio –, aber es gibt auch eine Menge hartnäckiger Unkräuter. Diese werden zwar vom Vieh gemieden, doch deshalb vermehren sie sich nur umso schneller. Außerdem zertreten die Kühe die Samen und so kommen diese in den Genuss einer schönen Umarmung durch die Erde und finden optimale Bedingungen für ihre Ausbreitung vor.

Auch Königskerzen, Brombeersträucher, Stinkbäume, Schlehdorn und Konsorten lauern überall auf feindliche Eroberung des Gebietes. Zwar sind sie für die Überwinterung der reichhaltigen Vogelwelt wichtig, geböte man ihnen aber nicht Einhalt, wäre der Strauchdruck innerhalb von Jahren so groß, dass aus dem herrlichen Naherholungs gebiet ein unzugängliches Dickicht würde. Deshalb kümmert sich die Forstbehörde um die notwendigen Maßnahmen, wie zum Beispiel um Einhaltung der Schutzbestimmungen, Bodenanalysen, Mulcharbeiten und Teilrodungen.

Noch gehört die Alm den Ziegen allein.

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Es bleibt trotzdem noch genügend Natur in dieser uralten Kulturlandschaft übrig und Besucher können sich im submediterranen Mischwald an Flaumeichen, Manna-Eschen, Hopfenbuchen, Perückensträuchern, Felsenbirnen, Kornelkirschen, Steinweichseln und Heckenrosen erfreuen. In den Trockenrasen wiederum finden sich Walliser Schwingel, Knabenkraut, Schafgarbe und Sonnenröschen. Und dort, wo die eiszeitlichen Gletscher Mulden hinterlassen und sie mit wasserundurchlässigem Ton abgedichtet haben, gedeihen in den Mooren und Feuchtgebieten Seerosen, Seggen, Binsen, Schilf, Mooskolben, Weiden und Erlen. Die Tierwelt ist ebenso vielfältig, auch wenn keine landwirtschaftlichen Nutztiere weiden. Allein die Hecken im Naturparadies bieten Unterschlupf für über 1000 Tierarten.

Die Ziegen, die auf der Weide grasen und ihr beschauliches Leben sichtlich genießen, kümmern sich nicht um botanische Kategorien, sie fressen einfach die Gräser, die ihnen am besten schmecken. Davon gibt es hier genug, da gibt es nichts zu meckern. Für Besucher wie mich ist aber auch dieser landwirtschaftlich genutzte Teil von Castelfeder in seiner bukolischen Anmutung nicht nur eine Viehweide, sondern vor allem eine Augenweide. Danke Emilio und Robert, das war ein Ausflug, der noch lange in Erinnerung bleibt, und ein wunderbarer Auftakt für einen vielversprechenden Almsommer!

Informationen

Lage: Das zu Montan gehörende Weidegebiet von Castelfeder liegt auf 350 m, die Hügelkuppe auf 450 m Seehöhe; 190 m über der Talsohle, Größe ca. 110 ha. Man kann von Auer hinauf wandern oder einige Kehren auf der Straße nach Cavalese zurücklegen und das Auto am Sportplatz von Montan abstellen. Radweg auf der alten Bahntrasse.

Besonderheiten: Niederste Alm Südtirols, auch Arkadien Südtirols genannt, Überreste prähistorischer Siedlungen wie z. B. die Ruine der Barbarakapelle und die „Kuchelen“; bedeutender Ausgrabungsort, geschütztes Biotop, herrliches Ausflugs- und Naherholungsgebiet mit genutzter Alm- und Weidefläche für 60 Großvieheinheiten.

Verpflegung: Das Jugendhaus Castelfeder wird für Seminare und Projekt-wochen genützt. Ansonsten gibt es auf Castelfeder keinen Ausschank, aber in den hübschen Dörfern ringsum finden sich viele Einkehrmöglichkeiten mit hervorragender Küche.

Die Rückeroberung der Weideflächen

Wer in Südtirol etwas über Almen wissen will, muss mit den Beamten vom Forst reden. Nachdem Emilio Dallagiacoma mir so ausführlich und kompetent Castelfeder gezeigt hatte, nahm er sich auch Zeit für ein Gespräch zur Gesamtsituation der Südtiroler Almen. Emilio Dallagiacoma wurde 1968 in Bozen geboren, studierte in Padua Forstwirtschaft und war anschließend an der Universität Padua bei der Abteilung Viehwirtschaft, bei der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Gumpenstein in Österreich in der Abteilung Grünland und im Südtiroler Versuchszentrum Laimburg in den Bereichen Grünland, Viehwirtschaft und Almwirtschaft tätig. Seit 1996 ist er Forstrat beim Landesforstkorps Südtirol und in dieser Funktion auch zuständig für die Almen.

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Foto: Gabriel Tschöll

Wie viele bewirtschaftete Almen gibt es in Südtirol?

Emilio Dallagiacoma: Ungefähr 1700, sie werden mit jährlich bis zu 95.000 Stück Vieh bestoßen. Da es sich in der Hauptsache um Hochalmen über der Waldgrenze handelt, wo die Böden mit ihrem sauren pH-Wert für die Milchviehhaltung nicht so geeignet sind, wird vorwiegend Galtvieh und Jungvieh aufgetrieben. In ganz Südtirol gibt es nur zwischen 40 und 50 Milchviehalmen, die meisten im Vinschgau. Knapp über 70 Prozent der Südtiroler Almen befinden sich in privatem Besitz, 13 Prozent fallen auf Interessentschaften, der Rest verteilt sich auf andere Körperschaften wie Gemeinden, Forst oder Kirche. Die gesamte Almfläche in Südtirol beträgt 248.750 Hektar, das sind 34 Prozent der Landesfläche. Als reine Weidefläche sind ca. 100.000 Hektar ausgewiesen. Wir vom Forstamt arbeiten daran, dass sie so groß bleibt bzw. noch größer wird.

Warum? Gibt es einen größeren Bedarf an Weideflächen?

Emilio Dallagiacoma: Es gibt einen höheren Bedarf an Einflussnahme durch die Behörden, damit die bestehenden Weiden erhalten bleiben. In den letzten Jahrzehnten gab es einen großen Strukturwandel unter der bäuerlichen Bevölkerung, viele Landwirte und Almbesitzer sind jetzt aus Existenzgründen Nebenerwerbsbauern. Auch für die Almarbeit versucht man aus Kostengründen mit weniger Personal auszukommen. Wo früher ganze Familien im Einsatz waren, um das Zuwachsen der Weiden zu verhindern, sind heute dafür kaum noch Arbeitskräfte vorhanden. Auf das Vieh allein kann man nicht setzen. Das sucht sich, wenn es vorwiegend sich selbst überlassen bleibt, immer die Weideplätze mit dem saftigsten Futtergras. Das bedeutet, dass die besten Weiden überdüngt werden und die Randweiden verbuschen.

Wie gewinnt man die Weideflächen wieder zurück?

Emilio Dallagiacoma: Da bleibt nichts anderes übrig, als dem Wald zu Leibe zu rücken, das heißt, Büsche und Bäume müssen weichen. Diese Eingriffe schauen für Nichtfachleute manchmal nach Verwüstung aus, Naturschützer können das oft nicht verstehen. Wir gehen aber bei den Meliorierungsmaßnahmen sehr sensibel vor. Mit speziellen Baggerschaufeln kann man die Wurzeln ganz gezielt aus der Erde ziehen, ohne Schaden anzurichten. Wir erweitern die Weideflächen kreisförmig in Wellenlinien, damit die Übergänge natürlich verlaufen. Fichten werden eher gefällt als Lärchen, denn ihre Nadeln sind saurer. Auf den freien Flächen wird Grassamen ausgesät. Dabei wird darauf geachtet, dass es sich um standortsgemäße Saatmischungen handelt, die wir selber zusammenstellen. Die Flächen sollen ja schnell und naturnahe begrünen und schon bald für Weidezwecke zur Verfügung stehen.

Sät ihr auch Alpenblumensamen aus, damit es hübscher und natürlicher aussieht?

Emilio Dallagiacoma: Das ist nicht nötig. Die Blumen der Umgebung finden sich ohnedies bald in der Weidefläche wieder, sie erobern sich ihr Revier von selbst zurück. Außerdem ist Blumensamen teuer. Er kostet mehr als das Doppelte des Grassamens, das wäre nicht finanzierbar. So kommen die Glockenblumen oder Enziane eben erst ein oder zwei Jahre später dazu. Und auf die hübschen Almrosen können wir gern verzichten, weil sie die Weiden nur wieder hartnäckig verbuschen würden.

Warum wird überhaupt so ein großer Aufwand für die Erhaltung von Weide- und Almflächen betrieben?

Emilio Dallagiacoma: Weil die Weiden nicht nur für das Vieh wichtig sind, sondern auch für den Landschaftsschutz und damit für den Schutz des Menschen. Wenn Bergweiden und Almen nicht mehr bewirtschaftet werden, verfilzt die Grasnarbe, das Wasser dringt langsamer in den Boden ein und viel mehr Wasser wird in viel kürzerer Zeit in die Talsohlen transportiert. Im Winter wiederum friert auf nicht beweidetem, langem Gras der Schnee an und reißt beim Abrutschen die Grasnarben mit sich. Die Erosionsflächen kommen das ganze Jahr über nicht mehr zur Ruhe und es drohen vor allem im Frühjahr und Herbst Murenabgänge und Überschwemmungen. Mit bewirtschafteten Almweiden wird die hydrogeologische Stabilität Südtirols weitgehend gesichert.

Die dem Wald abgerungenen Weiden bleiben dann nicht wieder sich selbst überlassen?

Emilio Dallagiacoma: Nein, wir erweitern die Weideflächen ja nur dort, wo auch ein Bedarf dafür besteht. Wir prüfen das zuerst sehr sorgfältig, führen eine Kosten-Nutzen-Rechnung durch und wenn wir den Zuschlag geben, müssen sich die Bauern bzw. Almbesitzer, die bei uns einen Projektantrag stellen, auf 15 Jahre verpflichten, Almwirtschaft zu betreiben und das Vieh auf den von uns wieder gewonnenen Flächen weiden zu lassen. Das wird selbstverständlich auch kontrolliert. Wir haben 40 Forststationen in ganz Südtirol, jede Station hat fünf bis sechs Förster, die für die Kontrolle und Projektentwicklung zuständig sind. Wir können also sehr flexibel agieren und sind auch schnell vor Ort, falls es Probleme gibt.

Gibt es überhaupt noch genügend Bauern in Südtirol, die Almwirtschaft betreiben, oder werden es durch den Strukturwandel immer weniger?

Emilio Dallagiacoma: Sicher werden es weniger, aber die Situation ist noch nicht so bedenklich wie in den angrenzenden Regionen. Das ist zu einem Großteil dem Erbrecht zu verdanken, das eine Höfeteilung untersagt. Schon seit vielen Generationen gehören deshalb die Südtiroler Bergbauernhöfe denselben alteingesessenen Familien. Im Trentino zum Beispiel, wo ein Hof unter allen Erben aufgeteilt wird, gibt es kaum noch existenzfähige Bergbauern und deshalb auch kaum noch privat bewirtschaftete Almen, die meisten gehören öffentlichen Körperschaften und auch diese Almen dezimieren sich ständig: Die Weideflächen verbuschen, die Waldränder wachsen zu und die Almwege werden oft nicht mehr instand gehalten.

Die Almen sind ja auch für den Tourismus wichtig. Wie greifen Tourismus und Almwirtschaft in Südtirol ineinander?

Emilio Dallagiacoma: Das Zusammenspiel funktioniert sehr gut. Der Tourismus braucht die Almen und die Almen brauchen den Tourismus. Es gibt eigene Lizenzen für einen Ausschank auf der Alm. Es liegt ja in unser aller Interesse, wenn ein Almbauer sich durch Ausschank oder den Verkauf seiner Produkte etwas dazuverdienen kann, weil das seine Existenz sichern hilft. Man muss dafür Verständnis haben, wenn daneben oft nicht mehr so viel Zeit für das Vieh bleibt oder die Viehbestände kleiner werden. Mit solchen Kompromissen müssen wir leben. Wenn wir vom Forst „Bäume ausreißen“, tun wir es ja auch nicht aus blankem Übermut, sondern weil es der Umwelt und damit uns allen dient. Wir passen auch gut auf unsere „Sonderalmen“ auf, wie das herrliche Biotop Castelfeder im Südtiroler Unterland. Und genau solche Almen sind es wiederum, die mit ihrer landschaftlichen Schönheit und ihrem großen Erholungswert Touristen und Einheimische begeistern.

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30. Mai

Tschaufen am Tschögglberg, Mölten

Zu Gast bei einer sympathischen Großfamilie

Tschaufen am Tschögglberg habe ich kennengelernt, als ich mit einer Gruppe von Freunden dort für ein paar Tage Urlaub machte. Es war im Jänner, die Gegend war in mystischen Nebel getaucht, aber die landschaftliche Pracht der Lärchenwiesen war dennoch beeindruckend. Als ich Ende Mai wiederkam, schien die Sonne, der Nebelvorhang war weg und die Fernsicht wunderbar. Man sah hinunter bis zum Kalterer See und nach Auer. Ein wunderbarer Tag, um gemeinsam mit Rosl Ladurner in die Vergangenheit Tschaufens zu blicken und neue Einsichten über diesen wunderbaren Ort zu gewinnen.

Der Pachthof Tschaufen war früher ein Jagd-und Schwaighof, seine Grundmauern stammen noch aus dem frühen Mittelalter. Das Anwesen gehörte zur Zollstation und zur Burg der Herren von Neuhaus, auch „die Maultasch“ genannt, weil hier Margarete „Maultasch“ von Görz-Tirol gern zu Gast war. Die Ruine dieser Burg schmiegt sich pittoresk an einen der Porphyrfelsen von Terlan. Um nach Tschaufen zu gelangen, muss man aber noch weiter hinauf, mehr als zehn Kilometer über eine kurvenreiche Strecke in Richtung Mölten. In Verschneid zweigt die Straße nach Tschaufen ab, am Siedlungsende beginnt die Forststraße, die man nur mit Ausnahmegenehmigung befahren darf. Droben am Salten eröffnet sich wie ein riesiges, gut geborgenes Nest auf dem Felsen eine Landschaft, die man beim Blick aus dem Tal nicht vermuten würde: Ein zum Teil dicht bewaldetes Plateau mit vielen Spazier-und Wandermöglichkeiten, dazwischen herrliche Wiesen und Weiden, wo im Frühjahr Enziane und Anemonen blühen.

Wenn man oben ankommt, hat man das Gefühl, das Tschaufenhaus sei verkehrtherum gebaut. Ist es auch in gewissem Sinn, jedenfalls ist seine Bauweise untypisch. Auf der Südseite gibt es nur wenige, kleine Fensteröffnungen, hier sind auch die Wirtschaftsräume untergebracht, die Zimmer mit den größeren Fenstern richten sich nach Norden aus. Und zwar deshalb, weil die Adeligen früher wegen des Schönheitsideals von nobler Blässe die Sonne mieden. Heute sitzen auf der Südseite die Gäste auf gemütlichen Bänken vor dem Haus, genießen die Sonnenstrahlen, die herrliche Aussicht auf die Umgebung und Rosls schönen Blumengarten, erfreuen sich an der vorzüglichen Küche und fühlen sich wie im Paradies.

Grenze zwischen Mölten und Jenesien

Durch den alten Backofen, der zum Tschaufenhaus gehört, verlief früher die Gerichtsgrenze zwischen Mölten und Jenesien. Man konnte hier also Möltener-, Jenesier- oder ein gehaltvolles Mischbrot backen. Gleich neben dem Haus beginnen die Almwiesen, hier weiden die temperamentvollsten Kühe und Kälber, die ich je gesehen habe. Vielleicht rennen sie deshalb so gern in übermütigem Galopp, weil sie es gewohnt sind, gemeinsam mit Pferden zu grasen.

Die Haltung von Pferden hat auf dem Tschaufen Tradition. 1907 kauften Tschögglberger Bauern einem Schweizer Landwirt namens Valentin Gartmann den Hof ab und benützten ihn als Zuchtstation für die im Jahr 1904 gegründete „I. Haflinger Pferdezuchtgenossenschaft zu Mölten“. Sie belieferten mit den Pferden sogar das k.u.k.-Acker-bau-Ministerium. Aufgelassen wurde der Zuchtbetrieb nach dem Ersten Weltkrieg, als Südtirol zu Italien kam, die Almgenossenschaft ist allerdings nach wie vor sehr rührig. Sie sorgte für die Sanierung des Hauses und bestößt die Alm ab Mai mit Galtvieh und Pferden. Einen Reitstall gibt es auch, er gehört Rosls Tochter Ute Ladurner, die als Geländerittführerin hier schöne Ferienreitwochen für Kinder organisiert und auf Tschaufen außerdem für den landwirtschaftlichen Bereich und damit auch für die Kühe zuständig ist. Eva ist im Service des Gastbetriebs tätig, auch Friederike und Jakob helfen fleißig mit, Ari baut auf einem nahe gelegenen Feld Bio-Produkte für die Küche an und auch die Söhne Jörg und Veit schauen regelmäßig vorbei. So haben alle sieben Ladurner-Kinder und wiederum deren Kinder ein Nahverhältnis zum Hof, Tschaufen ist der Lebensmittelpunkt der Großfamilie geworden. Zu verdanken haben sie das ihrer „Mutter“ Rosl, die, wie sie sagt, ein wohlmeinendes Schicksal hierher geführt hat.

Als Rosl am 7. Dezember 1999 nach Tschaufen kam, um den Pachtvertrag zu unterschreiben, wusste sie: „Das ist ein Platz fürs Leben!“ Den Mann fürs Leben hatte sie damals schon lange in Christoph gefunden. Trotz der sieben Kinder half sie im gemeinsamen Sanitätshaus in Meran mit, aber ein großer Traum war noch offen. Sie hatte sich immer schon für Landwirtschaft und Tiere, insbesondere Pferde, interessiert und auf einem Bauernhof in Vöran eine kleine Jausenstation und einen Kinderreitstall aufgebaut. Auf Tschaufen gab es die Gelegenheit, einen solchen Betrieb eigenständig zu führen.

Christoph, selbst ein unternehmerisch denkender und interessierter Mensch, der später im Alter von knapp 60 Jahren neben der Arbeit für sein Sanitätshaus den Doktor der Soziologie abschloss, war einverstanden und wollte sie in ihrem Vorhaben unterstützen. Die Sache hatte nur einen Haken. Es war nämlich nicht lange her, da hatte Rosl zu Christoph gesagt: „Ich könnte mir noch einiges vorstellen im Leben, aber ein Gasthaus möchte ich nicht haben.“

Ein Gastbetrieb war allerdings auf Tschaufen dabei. Also stellte Rosl sich trotz ihrer Vorbehalte in die Küche und erwarb sich schon in den ersten Jahren einen Ruf als ausgezeichnete Köchin. „Es war gar nicht so schlimm wie ich dachte“, sagt sie. „Gekocht habe ich ja immer gerne, außerdem war ich das Kochen in großen Mengen bereits von der Familie gewöhnt, noch dazu kamen jedes Wochenende Bekannte oder Freunde, die sich mit uns zum Tisch setzten. Eh ich michs versah, führte ich ein richtiges Gasthaus.“

Während Rosl mit ihrem jüngsten Sohn Jakob schwanger war, machte sie die Gastgewerbeprüfung, 2002 wurde mit der Sanierung des Hauses begonnen, Gastbetrieb und Reitstall florierten, Tschaufen wurde als Ausflugsort immer bekannter, da geschah ein Unglück. Es war am 12. Februar 2003, kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Rosl hatte gerade in der alten Mühle, die der Familie als Ausweichquartier während der Sanierungsarbeiten diente, Nudelwasser aufgestellt, da bekam sie einen Anruf von einer ihrer Töchter. Diese hatte vom Tal aus einen Feuerschein auf Tschaufen gesehen. Tatsächlich stand das eben erst von Grund auf renovierte Haus in Flammen. Arbeiter hatten zum Trocknen des Estrichs den Stubenofen eingeheizt, das ausgebreitete Nylon erhitzte sich und fing Feuer. Vier Feuerwehren aus der Umgebung konnten das Tschaufenhaus nicht retten. „Am nächsten Morgen sah es aus wie ein bizarrer Eispalast, weil es in dieser Nacht frostig kalt war und das Löschwasser fror“, erinnert sich Rosl.

Nur die starken mittelalterlichen Grundmauern waren noch übrig, alle Sanierungs-Investitionen umsonst, die Mitglieder der Genossenschaft verzweifelt und ratlos. Einige Bauern wollten aufgeben, andere ein Fertigteilhaus errichten. Rosl war auch verzweifelt, aber sie bewies mehr Weitblick. „Das alte Haus hatte eine wunderbare Atmosphäre, in einem Fertigteilhaus hätte ich mich nicht wohl gefühlt.“ Es gelang ihr, die Bauern davon zu überzeugen, dass es die Mühe wert war, das Haus noch einmal aufzubauen.

Großfamilie Ladurner, zumindest ein Teil davon.

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Foto: Gabriel Tschöll

Achtsamer Umgang mit der Natur

Da die Küche auch niedergebrannt war, gab es während der neuerlichen Sanierung eine Zeit lang auf Tschaufen keinen Gastbetrieb. Ein Wirt aus der Umgebung wollte die Chance nützen und Rosl als Köchin abwerben. „Damals habe ich erst so richtig gemerkt, dass den Leuten an meiner Küche etwas liegt. Da habe ich mir gedacht, dann kann ich gleich auf Tschaufen bleiben und kochen. Ich ließ mir eine Holzhütte aufstellen, habe eine einfache Küche darin eingerichtet und gegen Süden hin alles verglasen lassen wie in einem Würstelstand. Es waren sehr schöne Monate, denn ich hatte viel mehr Kontakt mit den Gästen als zuvor, außerdem hatte ich beim Kochen eine wunderbare Aussicht auf den Kalterer See!“

Auch das Tschaufenhaus nahm inzwischen Form an und wurde wieder heimelig. Vor der Sanierung hatte Rosl die alte Täfelung aus dem Jahr 1894 aus den oberen Zimmern entfernen lassen und sie aufbewahrt, damit wollte sie nun die Stube auskleiden. „Was willst du denn mit dem alten Getäfel?“, fragten die Bauern. „Das eignet sich höchstens noch zum Zerhacken!“ Aber Rosl blieb hartnäckig und am Ende gaben ihr die Zweifler recht: „Das hätten wir uns nicht gedacht, dass das so schön aussieht!“, sagten sie.

Rosl, die Seele von Tschaufen, legt viel Wert auf einen achtsamen Umgang mit der Natur und mit ihren Mitmenschen. „Wir dürfen aber auch das Wissen um die Vergangenheit nicht verlieren“, sagt sie. „Mich hat es immer interessiert, wie meine Vorfahren lebten, oder die Menschen, die hier auf Tschaufen wohnten.“

Das Tschaufenpaar Rosl und Christoph.

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Foto: Gabriel Tschöll

Einer von ihnen, der „olte Tschaufer“, geistert den Aufzeichnungen eines Chronisten zufolge offenbar gern in Quatembernächten als Licht herum: „Vom Tschaufernock aus westlich des Hofes, schwirrt das Licht über den Hof und die Wälder hinein nach Pathoy zu Füßen der Langfenn und von dort über die sehr altsiedlungsverdächtige Fuchsleite mit ihren Terrassen zum Bitterlemoos, in dem ja eine große Stadt versunken sein soll.“

Auf jeden Fall ist Tschaufen ein geschichtsträchtiger Ort. Es wurden hier sogar Hügelgräber aus der Völkerwanderungszeit entdeckt. Damit auch ihre Nachfahren sich ein Bild von der jetzigen Gegenwart machen können, schreibt Rosl die wichtigsten Ereignisse auf. „Irgendwann werde ich die Zettel meinem guten Hausgeist zustecken, damit er sie aufbewahrt. Vielleicht lesen Menschen künftiger Generationen dann einmal von unserem Leben.“

Der gute Hausgeist ist ein besonders schönes Exemplar von einem Heiden- oder Neidkopf über der Haustür des Tschaufenhauses, der in seinem Hohlraum Platz für solche Geheimnisse hat. Je nach Lichteinfall schaut er manchmal recht grantig drein. Warum das so ist? Natürlich deshalb, um die bösen Geister zu vertreiben und Unheil abzuwehren. Aber es gibt noch eine andere Erklärung: Er blickt seufzend hinunter auf die frisch servierten kulinarischen Genüsse und darf nicht davon kosten. Das ist selbst für einen Neidkopf eine harte Probe!

Informationen

Lage: Das Tschaufenhaus liegt auf 1300 m am Fuß des Salten, auf den sonnenverwöhnten Porphyrhügeln über Terlan. Von Terlan aus fährt man Richtung Mölten, im Ortsteil Verschneid biegt der Weg nach Tschaufen ab. Die Forststraße darf nur mit einer Sondergenehmigung befahren werden. Der Tschaufen gehört zur Gemeinde Mölten, Fraktion Verschneid. Tschögglberg heißt das Hochplateau östlich vom Etschtal zwischen Bozen und Meran.

Besonderheiten: Ausgedehntes Wald- und Weidegebiet mit Fischweihern und zahlreichen Wandermöglichkeiten auf guten Forstwegen, zum Beispiel nach Langfenn. In Ute Ladurners Reitstall lernen vor allem Kinder das Reiten und verbringen eine herrliche Zeit auf Tschaufen.

Verpflegung: Rosl kocht hervorragende Südtiroler Hausmannskost, vorwiegend mit Produkten aus der eigenen Landwirtschaft. Außerdem hält das Tschaufenhaus drei gemütliche Gästezimmer zum Übernachten bereit.

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31. Mai

Petersberger Leger Alm, Petersberg/Deutschnofen

Schule mit Frischluftbonus

Eines der Lieblingswörter von Alexander Bisan, Pächter der Petersberger Leger Alm, heißt „Aktivität“. Das muss aber niemanden verschrecken, der auf der Alm Genuss und Erholung sucht. Man kann hier herrlich entspannen, ein köstliches Essen mit vorzüglicher Nachspeise genießen und gemütlich alle Viere von sich strecken. Man kann sich aber auch von Alexanders Sportsgeist und seiner Freude am Spiel anstecken lassen und an einem seiner Seminare oder Workshops teilnehmen. Aber Achtung! Vor Nebenwirkungen wird gewarnt. Man erfährt dabei immer etwas Neues über sich selbst, denn in den meisten dieser Seminare geht es um soziale Kompetenzen, Gruppendynamik, Kommunikation und um die Anforderungen, die das Zusammenwirken in einer Gruppe an jeden einzelnen stellt.

Ein Thema, mit dem sich auch die Kühe auf der Weide täglich auseinandersetzen müssen, die auf der Petersberger Leger Alm ab Anfang Juni grasen. Die Kuh ist ein soziales Wesen und die Gruppendynamiken im Stall und auf der Weide sind manchmal verblüffend menschenähnlich. Auch in einer Kuhherde gibt es Anführer, Mitläufer, Außenseiter, es entstehen Sympathien, Antipathien, Rivalitäten und sogar lebenslange Freundschaften. Allerdings haben Rinder nicht die Gabe zu Reflexion und Selbsterkenntnis. Und genau darauf baut Alexander bei seinen Seminaren. Deshalb ist er zwar für die Kühe ein verlässlicher Hirte, aber beim Coaching und Verhaltenstraining befasst er sich lieber mit den Menschen. Die Kühe machen sich das sowieso untereinander aus – wenn es sein muss, auch mit einem offen ausgetragenen Kampf um die Vorherrschaft gleich zu Beginn der Almsaison.

Menschen würden sich auch manchmal gern gegenseitig niederranggeln, aber sie haben andere Methoden gelernt, sich durchzusetzen, oder noch besser: zu einer demokratischen Entscheidung zu gelangen. In einer Konfliktsituation ist es allerdings nicht leicht, die Nerven zu behalten. Das zeigt sich auch an diesem Tag, als ich eine Klasse der Grundschule Eggen bei einem Seminar begleiten darf und sich die Schülergruppe gleich zu Beginn mittels einer Landkarte den Weg zu ihrem Versammlungsort im Wald suchen muss.

Nur Mut, mit Unterstützung klappt es gut!

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Gruppendynamik und Herdendynamik