Arnold Retzer
Lob der Vernunftehe
Eine Streitschrift
für mehr Realismus in der Liebe
Sachbuch
FISCHER E-Books
Dr. Arnold Retzer ist Arzt, Psychologe und einer der führenden Paartherapeuten Deutschlands. Er ist Privatdozent für Psychotherapie an der Universität Heidelberg sowie Gründer und Leiter des Systemischen Instituts Heidelberg (SIH). Arnold Retzer bildet seit vielen Jahren Psychotherapeuten und Berater aus, begleitete über mehrere Jahre als Studioexperte die Sendereihe »LebensArt« beim WDR, ist fachlicher Berater für Paarbeziehungsfragen für »Focus online«, »Brigitte« und für den »Stern«.
Covergestaltung: Hißmann & Heilmann, Hamburg
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2009
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-400099-2
Unter dem Titel »Danach« und dem Pseudonym Theobald Tiger in: Die Weltbühne, 1.4.1930, Nr. 14, S.517
Beispielsweise die Interdisziplinäre Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE)
Martin, M., M. Schmidt (2004/2000)
Schmidt, M., M. Weber (2004)
Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2007
Lengerer, A., T. Klein (2007)
Heine, H. (1830), S.32f.
Kirchhoff, B. (2004)
Bartels, A., S. Zeki (2002)
Platon: Sämtliche Werke Band I. (1982), S.681ff.
Platon: Sämtliche Werke Band II. (1982), S.440ff.
Ein Beispiel dafür und für die ungebrochene Aktualität bzw. Nachhaltigkeit Platons ist Marlon Brando in dem Film »Don Juan de Marco« von 1995 (Regie: Jeremy Leven), der seine Erhebungsvisionen so kundtut: »Wir werden die Lüfte erobern wie zwei Adler!« Marlon Brando spricht diesen Satz zu einem Zeitpunkt, als er seine genialen schauspielerischen Fähigkeiten durch sein enormes Übergewicht ergänzt, aber keineswegs schmälert.
Peter Maffay: So bist Du
Du gibst alles, wenn Du gibst
Du verlierst Dich, wenn Du liebst
Junges Mädchen, reife Frau und auch Kind
das bist Du, Du, nur Du
Wenn mich Deine Hand berührt,
und ich Deine Wärme spür',
dann weiß ich, was auch geschieht,
es wird gut,
so bist Du, Du, nur Du
Und wenn ich geh’, dann geht nur ein Teil von mir
und gehst Du, bleibt Deine Wärme hier
Und wenn ich wein’, dann weint nur ein Teil von mir
und der andere lacht mit Dir
Du verlangst oft viel von mir,
doch ich spür’ die Kraft in Dir
und weiß, Du verlangst nie mehr als Du gibst
so bist Du, Du, nur Du
Du sagst immer, was Du denkst,
und die Liebe, die Du schenkst
ist so zärtlich und so gut und so tief
so bist Du, Du, nur Du
Und wenn ich geh’, dann geht nur ein Teil von mir
und gehst Du, bleibt Deine Wärme hier
Und wenn ich schlaf’, dann schläft nur ein Teil von mir
und der andere träumt mit Dir
Und wenn ich geh’, dann geht nur ein Teil von mir
und gehst Du, bleibt Deine Wärme hier
Und wenn ich schlaf’, dann schläft nur ein Teil von mir
und der andere träumt mit Dir
Und wenn ich sterb’, dann stirbt nur ein Teil von mir
und stirbst Du, bleibt Deine Liebe hier
Und wenn ich wein’, dann weint nur ein Teil von mir
und der andere lacht mit Dir
Schatten im Blick
dein Lachen ist gemalt
deine Gedanken sind nicht mehr bei mir
streichelst mich mechanisch
völlig steril
eiskalte Hand, mir graut vor dir
fühl mich leer und verbraucht
alles tut weh
hab’ Flugzeuge in meinem Bauch
kann nichts mehr essen
kann dich nicht vergessen
aber auch das gelingt mir noch
gib mir mein Herz zurück
du brauchst meine Liebe nicht
gib mir mein Herz zurück
bevor es auseinanderbricht
je eher, je eher du gehst
um so leichter, um so leichter wird’s für mich
ich brauch’ niemand, der mich quält
niemand, der mich zerdrückt
niemand, der mich benutzt, wann er will
niemand, der mit mir redet nur aus Pflichtgefühl
der nur seine Eitelkeit an mir stillt
niemand, der nie da ist
wenn man ihn am nötigsten hat
wenn man nach Luft schnappt, auf dem Trocknen schwimmt
lass’ mich los, lass’ mich in Ruhe
damit das ein Ende nimmt
Wir wollen niemals auseinandergehen,
Wir wollen immer zueinanderstehn.
Mag auf der großen Welt auch noch so viel geschehn,
Wir wollen niemals auseinandergehn.
Unsre Welt bleibt so schön,
Wir wollen niemals auseinandergehn.
Sieht man die Menschen sich sehnen
Und sieht ihren Schmerz, ihre Tränen,
Dann fragt man sich immer nur: muss das so sein?
Immer nur scheiden und weinen
Und immer nur warten und leiden,
Und hier so wie dort ist jeder allein.
Schenkt euch immer nur Liebe,
Schenkt euch immer Vertrauen,
Nichts ist so schön wie die Worte,
Die ewigen Worte: »mein Herz ist nur dein!«
Wir wollen niemals auseinandergehen,
Wir wollen immer zueinanderstehn.
Mag auf der großen Welt auch noch so viel geschehn,
Wir wollen niemals auseinandergehn.
Unsre Welt bleibt so schön,
Wir wollen niemals auseinandergehn.
Bachmann, I. (1958)
Jankowiak, W., E. Fischer (1992)
Jankowiak, W. (1995)
Maron, M. (2002), S.90
Weber, M. (1919)
Kundera, M. (1997), S.161
Die Selbsterzeugung durch Gesehenwerden ist eine alte Vorstellung, die besonders Augustinus in seinen Confessiones bekanntgemacht hat, und damit seine Version des Gesehenwerdens: nämlich vom Auge Gottes: » … aber nur darum ist es, weil du es siehst.« Augustinus (1950), S.406 Dazu ausführlich: Retzer, A. (2007a), S.187ff.
Inzwischen wird diese bei Augustinus noch göttliche Aufgabe dem Geliebten/der Geliebten zugemutet und ist oftmals ein wichtiges kommuniziertes Merkmal des Erlebnisses, nicht mehr geliebt zu sein: »Ich fühle mich von dir nicht mehr wahrgenommen!«
Das Gesehenwerden kann sich aber noch erweitern, nämlich dazu, dass man nun auch der Welt nicht mehr ansichtig wird. Die Welt geht verloren. Hier begegnet sich die Erzeugung von Sinn über die Wiederverzauberung der Welt mit dem Blick des Angesehenwerdens und des Sehens selbst. José Saramago hat dies poetisch konzentriert:
Ich werde immer weniger sehen, auch wenn ich das Augenlicht nicht verliere, werde ich immer blinder, mit jedem Tag, weil ich niemanden habe, der mich sehen kann.
Saramago, J. (1995)
Für eine detaillierte Beschreibung der hier angesprochenen Unterschiede und Paradoxien siehe: Retzer, A. (2007b)
Strauß, B. (1981), S.25
Thagaard, T. (1997)
www.sciencemag.org/newsblog/2008-society-for neuroscience
Bloch, E. (1959), S.1628
DVD No Direction Home. Regie: Martin Scorseese (2005)
In sogenannten Assessment Centers, in für das betriebliche Auswahlverfahren zuständigen Abteilungen eines Unternehmens, sollen die Bewerber ermittelt werden, die am besten zu den Anforderungen des Unternehmens passen. Die Vorläufer der Assessment Centers waren Tests, die die deutsche Reichswehr nach dem Ersten Weltkrieg für Offiziersanwärter durchführte. Die Kritik an der Effizienz der Assessment Centers bezieht sich vor allem darauf, dass der Nachweis nicht erbracht ist, dass Menschen mit bestimmten Eigenschaften besonders erfolgreich für bestimmte Aufgaben sind, vgl. bspw.: Kompa, A. (2004).
www.gleichklang.de. »Gleichklang Limited« ist – wie die Firma sich selbst beschreibt – ein in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätiges Unternehmen, welches sich auf die psychologisch fundierte Vermittlung von Freundschaften und Partnerschaften spezialisiert hat. Das Unternehmen beschreibt sein Angebot wie folgt selbst: »Das Unternehmen unterstützt insbesondere auch spezielle Zielgruppen, wie beispielsweise Alleinerziehende, Menschen mit erhöhtem Körpergewicht, Senioren, Bisexuelle, Vegetarier, Veganer, Schwule & Lesben und Asexuelle bei der Partnersuche. Da jeder an der einen oder anderen Stelle besondere Merkmale aufweist, wendet sich Gleichklang auch an den Mainstream. Die Vermittlung wird über das Internet und postalisch angeboten. Das Unternehmen wird durch drei Diplom-Psychologen und einen Diplom-Mathematiker geleitet.«
Das neueste Angebot besteht nun in dem Matching des Merkmals »pansexuell«, das wie folgt beschrieben wird: »Pansexuell bedeutet die Überwindung der Geschlechterschranken bei der Partnerwahl. Für pansexuell Liebende ist das Geschlecht unwichtig und allein der Mensch zählt. Als erstes Dating-Portal setzt jetzt auch der psychologische Anbieter Gleichklang.de auf die Zukunft der pansexuellen Liebe. Neben der klassischen geschlechtsspezifischen Suche haben die Mitglieder eine pansexuelle Suchoption, bei der allein die Passung der Lebensstile zählt, egal, ob das andere Mitglied ein Mann oder eine Frau, transsexuell oder ein Zwitter ist.«
Das musste schon der Astronom Johannes Kepler im 17. Jahrhundert erfahren, als er nach einer unglücklichen ersten Ehe mit rationalen Auswahlkriterien die »richtige« zweite Frau zu finden versuchte. Er hatte sich ein bis zwei Jahre Zeit genommen, elf Anwärterinnen so, wie er es gewohnt war, genauer zu studieren. Freunde hatten ihm geraten, Nummer vier zu heiraten, aber er folgte dem Rat nicht, da er der Ansicht war, mehr Informationen zu benötigen. Sein Verfahren beschrieb Kepler in einem Brief bis ins kleinste Detail. Die richtige Frau unter elf Anwärterinnen zu finden, versuchte er auf eine ähnliche Weise anzugehen, wie er die Marsbahn fand. Über seine fünfte Anwärterin, seine spätere Frau, schrieb er in dem Brief: » … die fünfte wiederum war ihr überlegen durch ihre Liebe, durch das Versprechen, bescheiden, sparsam, fleißig zu sein und die Stiefkinder zu lieben. Während ich mich lange und schwer mit diesem Problem abquälte, wartete ich auf den Besuch der Frau Helmhard und fragte mich, ob sie mir wohl raten werde, die dritte zu heiraten, die dann über die zuletzt genannten zwei den Sieg davongetragen haben würde. Nachdem ich schließlich gehört hatte, was diese Frau mir zu sagen hatte, begann ich mich für die vierte zu entscheiden, ärgerlich darüber, dass ich auf die fünfte verzichten musste. Während ich so überlegte, griff, gerade als ich eine Entscheidung treffen wollte, das Schicksal ein: Die vierte wurde meines Zauderns überdrüssig und gab einem anderen Bewerber ihr Jawort. Doch genau wie es mich eben verdrossen hatte, die fünfte aufzugeben, war ich nun durch den Verlust der vierten dermaßen verletzt, dass auch die fünfte ihre Anziehungskraft auf mich verlor. In diesem Fall liegt die Schuld sicher bei meinen Gefühlen. Was nun die fünfte betrifft, so stellt sich auch hier die Frage, warum Gott es zuließ, da sie doch einmal für mich bestimmt war, dass sie im Verlauf eines Jahres noch sechs Nebenbuhlerinnen haben sollte. Gab es keinen anderen Weg für mein unruhiges Herz, zu lernen, mit seinem Los zufrieden zu sein, als den, die Unmöglichkeit der Erfüllung so vieler anderer Wünsche einzusehen?« (www. keplerraum.at/biogr.html)
Obwohl also Kepler mit seinem Verfahren zur Ermittlung der »Richtigen« nicht erfolgreich war, scheint er eine glückliche zweite Ehe geführt zu haben.
Karney, B. R., T. N. Bradbury (1995)
Rosenkranz, D., H. Rost (1998)
Wagner, M. (1991)
Martin, T. C., L. L. Bumpass (1989)
Kelly, E. L., J. J. Conley (1987)
Rosenkranz, D., H. Rost (1998)
Engstler, H. (1998)
Felser, G. et al. (1998)
Raschke, H. J. (1987)
Gottman, J. M. (1994); Gottman, J. M., R. W. Levenson (2000a); Gottman, J. M., R. W. Levenson (2000b)
Zur Bedeutungsgeschichte des Adjektivs »resignativ«: Der Ursprung liegt im lateinischen resignare = zurückgeben, verzichten. Im 16. Jahrhundert bekommt es noch die Bedeutung von »ein Amt niederlegen, abdanken, zurücktreten«. Erst im 18. Jahrhundert erhält es die zusätzliche und bald schon dominierende Bedeutung »entmutigt, enttäuscht und verbittert«. Eine Erklärung für diesen bis heute anhaltenden negativen Klang der Resignation scheint mir zu sein, dass mit der Aufklärung und der Idee des Fortschrittes und mit der Vorstellung, durch Wissenschaft und Technik Probleme lösen zu können, das Aufgeben, der Verzicht zu einer negativen Möglichkeit geworden ist und keineswegs als reife oder gar weise Option betrachtet wird. Die im Text angesprochenen Zukunfts- und Vollendungsillusionen sind typische Fortschrittsillusionen, denen jegliche Resignation verdächtig sein muss.
Müller, H.-P. (2004)
Paris, R. (2006)
Reemtsma, J. P. (1997), S.46
a.a.O., S.187
Reemtsma, J. P. (2001), S.5
Heine, H. (1827), S.915
Bienek, H. (1962), S.24ff. und Frisch, M. (1976), S.263
Borges, J. L. (1942)
ebd. S.102f.
vgl. auch: Retzer, A. (2005) und Burger, R. (2007)
Metaphern können diese Phänomene präzise auf den Punkt bringen, also die offenen Rechnungen und die Ansprüche, die im Gedächtnis konserviert werden. In meiner Jugendzeit Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts in einer ländlichen Region konnte man bei konflikthaften Auseinandersetzungen, die zumindest für eine Konfliktpartei subjektiv ungünstig endeten, den Satz hören: »Du hast bei mir noch etwas im Salz liegen!« Diese etwas seltsam anmutende Metapher stammt aus einer Zeit, in der Kühl- und Gefrierschränke noch nicht in Gebrauch waren. Man machte Lebensmittel durch Einlegen in Salz haltbar. Die offene Rechnung, der Anspruch auf den nicht verzichtet wird, wird konserviert, haltbar gemacht und als Erinnerung im Gedächtnis festgehalten.
Dieses erzählende Erinnern ist in dem amerikanischen Spielfilm Don Juan de Marco wunderbar dargestellt. Ich habe schon im 1. Kapitel darauf verwiesen, will aber hier noch einmal daran erinnern.
Wimber, M. et al. (2008): Neurowissenschaftler zeigen, dass es sich bei dieser Art von Vergessen tatsächlich um eine langfristige Schwächung von Erinnerungen handelt. Am Abruf dieser zunächst schlecht erinnerten Inhalte sind insbesondere solche Hirnregionen beteiligt, die für die Reaktivierung schwacher Gedächtnisrepräsentationen zuständig sind. Je mehr abrufinduziertes Vergessen ein Proband zeigte, desto höher die Aktivität in besagten Regionen des Stirn- und Schläfenlappens. Dagegen konnte in Hirnregionen, die bei der kurzfristigen Blockierung von Gedächtnisinhalten eine Rolle spielen sollten, kein vergleichbares Muster gefunden werden. Diese neurowissenschaftlichen Befunde liefern Hinweise für die lange umstrittene Existenz von hemmenden Mechanismen im menschlichen Langzeitgedächtnis. Solche Mechanismen machen unser Gedächtnis effizienter, indem sie dabei helfen, aus der riesigen Menge an gespeicherten Informationen im Gedächtnis zu einem gegebenen Zeitpunkt die gewünschte Information abrufbar zu machen.
Kuhbander, C. (2007)
Storm, B. C. et al. (2005)
Quinn, K. A. et al. (2004)
z.B. Dalai Lama (2000) und (2004)
Baur, E. G. (2003)
Klein, S. (2003)
Klein, S. (2004)
Kensington, E. (2008)
Kensington, E. (2004)
Lyubomirsky, S. (2008)
Fortuna meint das Glück, das sich dem Zufall verdankt. Dieses Glück kann man haben, aber nicht erzwingen. Fortuna ist der Name der römischen Glücks- und Schicksalsgöttin und entspricht der Tyche in der griechischen Mythologie, der Göttin des Schicksals, der glücklichen (oder bösen) Fügung und des Zufalls.
Kant, I. (1785), S.399
Butler, S. (1872): Butler beschreibt ein fiktionales Land, in dem Vieles der nichtfiktionalen, bisher erfahrenen Welt entgegengesetzt ist. Das fängt schon bei Bezeichnungen und Namen an: Erewhon ist das Anagramm von nowhere, die Namen der Protagonisten sind Anagramme, z.B. Yram ist Mary und Nosnibor ist Robinson. Aber vor allem die Moral, das Recht und seine Regeln, d. h. die Verbote und Gebote, sind verwandelt: Krankheiten, Trauer, Verzweiflung und Kummer werden als schwere Verbrechen bestraft. Mord wird dagegen als eine Krankheit gesehen und entsprechend behandelt. So begründet ein Richter seinen Urteilsspruch über einen verzweifelten Schwindsüchtigen, dass es seine (des Richters) Pflicht sei, die Republik Erewhon vor solchen Verfehlungen zu schützen. Der Verteidigungsversuch des Angeklagten, er sei durch ein Unglück zum Verbrecher geworden, sei natürlich falsch, denn sein Verbrechen bestehe darin, kein Glück zu haben.
Nietzsche, F. (1879), S.260
Nietzsche, F. (1880), S.291
Rhein-Neckar-Zeitung vom 13.9.2005
Aristoteles (1977)
Dabei lässt sich auf eine umfangreiche Literatur zurückgreifen, z.B.: Montaigne, M. de (1753); Hölderlin, F. (1997); Derrida, J. (1994); Lemke, H. (2000); Schinkel, A. (2003); Retzer, A. (2006)
Timm, U. (2005)
a.a.O., S.8
Kirchhoff, B. (2007)
a.a.O., S.8
Timm, U. (2005), S.8f.
a.a.O., S.172
Sauvageot, M. (1933)
a.a.O., S.19
a.a.O., S.20
a.a.O., S.58
Nietzsche, F. (1879), S.305
Kirchhoff, B. (2007), S.38
Bei Plein wird auf eine einzige Zahl gesetzt. Im Gewinnfall wird von der Bank der 35-fache Einsatz ausgezahlt. Die Chance, mit einem Einsatz auf Plein zu gewinnen beträgt 1/37 (ca. 2,7 %).
Murray, S. L. et al. (1996a); Murray, S. L. et al. (1996b); Murray, S. L., J. G. Holmes (1999); Murray, S. L. et al. (2000)
Sauvageot, M. (1933), S.26
Der Schlager mit dem Titel »Bei mir biste scheen« wurde 1932 von Sholom Sholem Secunda getextet und durch Benny Goodman weltbekannt gemacht.
Barelds-Dijkstra, P., D. Barelds (2008)
Bartels, A., S. Zeki (2000); Bartels, A., S. Zeki (2004)
Murray, S. L. et al. (2000)
Halford, W. K. et al. (2002)
Eine aktuelle und beeindruckende Studie dazu ist: Kaufmann, J.-C. (2007)
Unter der Bezeichnung Capgras-Syndrom wird ein Phänomen bezeichnet, das darin besteht, dass eine Person den festen Glauben entwickelt, nahe Verwandte seien durch Doppelgänger ausgetauscht worden. Das Syndrom wurde zum ersten Mal beschrieben, als eine Frau in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde, nachdem sie unnachgiebig behauptet hatte, ihr Ehemann sei durch einen identisch aussehenden Doppelgänger ausgetauscht worden. Zuerst hatte sie den ehelichen Beischlaf verweigert und das Schlafzimmer verriegelt. Schließlich hatte sie ihren Sohn um ein Gewehr gebeten. Literarisch wurde das Capgras-Syndrom über den psychiatrischen Kontext hinaus bekannt gemacht und verarbeitet in dem Roman »Das Echo der Erinnerung« von Richard Powers: Powers, R. (2006)
Kaufmann, J.-C. (2007), S.174f.
Ein eindrückliches Beispiel für diesen Prozess liefert Woody Allen in seinem Spielfilm »Woody, der Unglücksrabe« von 1969, in dem die Geschichte von Virgil Starkwell erzählt wird, der zu 800 Jahren Gefängnis verurteilt ist, zum Verbrecher des Jahres gewählt wurde und der hofft, nur die Hälfte seiner Strafe absitzen zu müssen. Er wurde bei dem Versuch eines Banküberfalls gefasst. Virgil Starkwell schiebt dem Kassierer einen Zettel zu, auf den er geschrieben hatte »Eine Waffe ist auf Sie gerichtet!« und ist entsprechend verwirrt, als der Kassierer liest: »Eine Waffel ist auf Sie gerichtet!« Es bleibt offen, ob diese Verwirrung durch die undeutliche Handschrift Virgils verursacht ist oder durch die Leseschwäche des Kassierers oder durch seine Absicht, eine »falsche Quittung« auszustellen. Sicher ist aber, dass dieser Banküberfall nicht stattfinden kann, zumindest nicht in der klassischen Weise, weil es kein Banküberfall ist, denn es kommt nicht zu einem Konsens darüber, dass es sich bei diesem Geschehen um einen Banküberfall handelt, denn: Auch wenn ein Banküberfall ein Konflikt ist, etwa ein Konflikt zwischen den Interessen des Räubers und denen des Überfallenen, ist die Voraussetzung dafür der Konsens über den Konflikt. Es kann also keine Beziehung zwischen Virgil und dem Kassierer entstehen, sie können nicht miteinander ins Geschäft kommen.
edia vita in morte sumus.
arquard, O. (1985), S.95
obbs, D. et al. (2003)
artels, A., S. Zeki (2000)
ressler, E. (2006)
Spotten bedeutete ursprünglich: Jemanden vor Abscheu und Verachtung anspucken.
Gernhardt, R. (1987), S.274
Dazu etwa: Geißler, K. A. (1999); Eriksen, T. H. (2000); Weinrich, H. (2004); Klein, S. (2006)
Geißler, K. A. (2005)
Titel und Plakat einer Gewerkschaftskampagne aus dem Jahre 1956, in der für den arbeitsfreien Samstag gekämpft wurde.
Gibbs, W. (2005)
Bauman, Z. (2000) und (2007)
Überall trifft man auf solches Handeln im Rahmen von Anti-Aging-Programmen. Altern wird zu einer behandelbaren Erkrankung. So schwärmt auch die Vereinigung der Deutschen-Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC), in der sich die deutschen Schönheitschirurgen zusammengeschlossen haben: »Die nächsten zwanzig Jahre gehören dem Gesundheitszeitalter, in dem Fitness und Wellness, Schönheit als Kult, Ernährung und Langlebigkeit dominieren … «
Der unausweichliche Ausgang und Skandal der Anti-Aging-Medizin und Bewegung sieht dagegen anders aus: Jahrelang bereitet man stets pünktlich viele kleine optimal zusammengesetzte Mahlzeiten zu, isst zu genau festgelegten Zeiten, schläft lange in optimal gestalteten Räumen auf optimalen Schlafstätten, walkt nordisch, stretcht vorschriftsmäßig und entspannt verbissen. Man schluckt wechselnde Hormone, formt entsprechend den Restkörper bzw. formt wenigstens regelmäßig nach, sorgt vor, erhebt oder lässt planmäßig alle Vorsorgedaten erheben, man raucht schon lange nicht mehr, trinkt keinen Alkohol, sorgt dafür aber für eine immer ausreichende Flüssigkeitszufuhr – und stirbt dann eines Tages trotzdem, aber gesund. Aber auch wer gesund stirbt, ist definitiv tot.
Freud, S. (1911) und (1930) dort: »Dass der Preis für den Kulturfortschritt in der Glückseinbuße durch die Erhöhung des Schuldgefühls bezahlt wird.« (S.260)
Schmidt, G. (1993)
Marx, K. (1867), S.99f.
Ein Herz, das kann man nicht kaufen / Auch wenn sich das mancher so denkt / Doch wenn man Glück hat / Doch wenn man Glück hat / Bekommt man es geschenkt.
Simmons, R. G. et al. (2002)
Wellershoff, D. (1983), S.222
Engels, F. (1876)
Für mein Gefühl gibt es nichts Abscheulicheres als ein müßiges Leben. Keiner von uns hat ein Recht darauf. Die Zivilisation hat keinen Platz für Müßiggänger.
Lafargue, P. (1891) dort: »Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht. Statt gegen diese geistige Verirrung anzukämpfen, haben die Priester, die Ökonomen und die Moralisten die Arbeit heilig gesprochen. Blinde und beschränkte Menschen, haben sie weiser sein wollen als ihr Gott … haben sie das, was ihr Gott verflucht hat, wieder zu Ehren zu bringen gesucht.« (S.21)
Illies, F. (2002)
Südwestpresse Ulm am 24.4.1999
In dem Film »Das Leben des Brian« von Monty Python wird diese Einsicht auf den Punkt gebracht: Eine riesige Menschenmenge hat sich auf einem Platz versammelt und huldigt Brian in Sprechchören: »Brian, Brian, Brian … « Brian gebietet Ruhe und fordert die Menge auf nach Hause zu gehen, denn, so seine Begründung: »Ihr seid doch alle Individuen!« In den hinteren Reihen meldet sich ein Mann und stellt klar: »Ich nicht!«
Hier scheint es wohl Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu geben: Männer machen öfter ernst mit diesen Ideen. Sie nehmen sich drei- bis viermal häufiger als Frauen nach einer zerbrochenen Liebesbeziehung das Leben, und gleichzeitig legen Männer nicht nur Hand an sich selbst, sondern auch gerne mal an ihre Partnerinnen: 32 % aller weiblichen Mordopfer in den USA sterben durch die Hand eines Ehemannes, Exehemannes, Freundes oder Exfreundes, wobei Experten annehmen, dass die tatsächliche Zahl zwischen 50 und 70 % liegt: Fisher, H. (2006)
Als Cross-Dressing wird das wiederholte Tragen der Bekleidung des anderen Geschlechts bezeichnet. Der Begriff wurde in den 70er Jahren in den USA geprägt. Cross-Dressing kann Ausdruck der »eigentlichen« Geschlechtsidentität sein. Menschen, die dies tun, also etwa als Mann durch das Tragen von Frauenkleidern ihre Geschlechtsidentität ausdrücken und leben wollen, werden auch als Transgender bezeichnet. Cross-Dressing stellt also die Frage: Wer bin ich? Mann oder Frau? Und entsprechend stellen sich auch für andere dieselben Fragen: Wer ist er/sie? Mann oder Frau?
z.B. Hetherington, E. M., J. Kelly (2002) und Furstenberg, F. F., A. J. Cherlin (1991)
Seneca (1976); Marquard, O. (1994); Marquard, O. (2004)
Ein Wunderbares ist es um die Ehe. Sie ist möglich,
sobald man nichts Unmögliches von ihr fordert, sobald
man über den Wahn hinauswächst, man könne sich
verstehen, müsse sich verstehen; sobald man aufhört,
die Ehe anzusehen als ein Mittel wider die Einsamkeit.
Max Frisch
Lob der Vernunftehe oder: Weniger ist mehr!
Sicher haben auch Sie Erwartungen, Vorstellungen und Träume von der idealen Paarbeziehung und Ehe. Wahrscheinlich haben Sie aber auch schon Enttäuschungen erlebt und die Erfahrung gemacht, wie diese Enttäuschungen, aber auch Ihre eigenen Erwartungen, im Alltag schwer auf Ihren Schultern lasten.
Für was sollen Paarbeziehungen nicht alles herhalten: Dauerhafte, ewig währende Liebe, nie erlöschende sexuelle Leidenschaft, guten Sex mit Ihrem Partner bis ins hohe Alter, Gleichberechtigung, gerechte Verteilung aller Aufgaben, aller Rechte und Pflichten, ein harmonisch und konfliktfreies Zusammenleben, Selbstverwirklichung und auch noch das ganz individuelle Glück gleichzeitig mit dem großen gemeinsamen ehelichen Glück.
Wenn man den Medien glauben darf, steckt die Ehe allerdings in einer Dauerkrise, und schon Tucholsky stellte fest: »Seine Ehe war zum größten Teile: verbrühte Milch und Langeweile. Und darum wird beim Happy End im Film gewöhnlich abgeblend'.« [1]
Liebesromane enden, wo das Leben zu zweit beginnt. Dann ist die Luft raus, und nun kommt der langweilige Teil, wenn denn überhaupt noch etwas kommt.
Auf der anderen Seite besitzt die Ehe nach wie vor eine große Anziehungskraft. Schon bei Jugendlichen, erst recht bei sogenannten Singles, aber auch bei älteren erfahrenen Beziehungsveteranen wird in jeder neuen Studie eine noch größere Sehnsucht nach einer festen Paarbeziehung festgestellt, als sie bisher schon ermittelt worden war. Ein erheblicher Teil der erwachsenen Bevölkerung geht sie sogar mehrfach ein. Der Wunsch, mit einem Partner auf Dauer, bis zum Tod zusammenzubleiben, ist ungebrochen. Und das, obwohl man überall nachlesen kann, dass jedes Jahr allein in Deutschland ungefähr 200000 Ehen wieder geschieden werden, Trennungen nicht-ehelicher Partnerschaften nicht mitgerechnet.
Wer hat nun recht? Die hoffnungsvoll unverdrossenen Heiratswilligen oder doch Tucholsky und die Medien? Jeder hat da wohl seine eigene Antwort, entsprechend seinen eigenen Erfahrungen, Hoffnungen und Sehnsüchten.
Zweifellos ist es nicht einfach, über lange Zeit mit einem Menschen so nahe zusammenzuleben wie in einer Ehe. Unauflösbare Gegensätze und Konflikte tauchen auf: Der Konflikt zwischen dem Wunsch nach Gemeinschaft und Bindung auf der einen Seite und dem Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung auf der anderen, der Konflikt zwischen Gefühl und Verstand, zwischen Chaos und Ordnung und der Konflikt zwischen Liebe und Vernunft.
Trotzdem ist die Ehe besser als ihr Ruf. Man kann die Zahlen nämlich auch positiv lesen: 60 % aller Erwachsenen leben in einer Ehe und davon wiederum 60 % schon seit 45 Jahren. Und Untersuchungen zeigen, dass ein Großteil davon, nämlich ca. 60–70 % der Paare, mit ihrer Ehe sogar zufrieden sind. [2]
Was machen diese Paare richtig?
Offenbar leben sie ihre Liebe mit Vernunft.
In diesem Buch soll daher eine Lanze gebrochen werden für den vernünftigen Umgang mit unseren Träumen von der ewigen Liebe.
Zwar sind uns in den letzten Jahrzehnten eine Unzahl vermeintlicher Erfolgsrezepte wohlmeinender Ehe-Experten und Eheberater mit auf den Weg gegeben worden und werden uns sicher weiterhin mit auf den Weg gegeben. Der Weg zum Erfolg ist dadurch nicht leichter geworden. Das Reisegepäck der Ratschläge wird immer schwerer, der Weg immer beschwerlicher. Dabei wird uns doch versprochen – und wir glauben es ja oft genug auch gerne selbst –, dass wir all unsere Vorstellungen, Erwartungen, Wünsche und Träume tatsächlich verwirklichen können, wenn wir es nur richtig machen.
Aber: Ist das nicht ein bisschen zu viel verlangt? Sind wir alle mit diesen Erwartungen nicht überfordert? Ist die Ehe damit nicht schlicht und einfach überfordert? Je mehr wir versuchen, unseren selbst auferlegten Pflichten gerecht zu werden, umso wahrscheinlicher wird das Scheitern. Es ist daher vernünftiger, uns und unsere Ehen von unrealistischen Erwartungen und Träumen zu entlasten. Dann hat die Ehe auch weiterhin nicht nur als gesellschaftliches Modell zur Organisation intimer Beziehung eine Zukunft, sondern auch im Einzelfall Bestand. Glück kann sich durchaus einstellen, und die Liebe, die am Anfang stand, muss dabei nicht verlorengehen, im Gegenteil. Auch, wenn die Liebesehe eine Unmöglichkeit ist und dieses Buch die These vertritt, dass die Liebe auf Dauer mit dem Leben nicht vereinbar ist.
Deshalb werden in diesem Buch in erster Linie keine Ratschläge gegeben, was man noch tun könnte, um in der Ehe doch noch glücklich zu werden. Stattdessen wird untersucht und beschrieben, was wir besser aufgeben, nicht mehr fordern müssen und sein lassen können. Dadurch können wir uns und unsere Ehen von fast untragbar gewordenen Belastungen entlasten und wieder zu realistischen, d.h. menschlichen Maßstäben angemessenen Erwartungen und Vorstellungen zurückkommen. Es geht also um vernünftige Vorstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen, die zu einer guten ehelichen Lebensqualität führen. Kurz: Es geht um die Vernunftehe, die deshalb eine Vernunftehe ist, weil sie realistisch, lebbar und erfolgreich ist. Die Ehe ist dann nicht mehr wie ein Wunder, das man sehnlichst erwartet und doch kaum je erblickt, sondern ein durchführbares und lebbares Projekt.
Ein Wunder ist bekanntlich etwas extrem Unwahrscheinliches: sechs Richtige im Lotto. Ein Volltreffer. Wenn zwei sich treffen, verlieben, beschließen, sich zusammenzutun, so ist daran nichts ganz und gar Außergewöhnliches, Unwahrscheinliches. Ob daraus allerdings ein Volltreffer wird, ist eine andere Frage. Ob daraus eine für beide angenehme, vielleicht sogar glückliche Partnerschaft erwächst, noch unklar. Man kann darüber nur spekulieren.
Apropos Volltreffer. Liebe und Liebesgeschichten werden seit Amor, der ja mit seinen Pfeilen unterwegs ist, gerne als Jagdgeschichten erzählt. Ich möchte eine Geschichte hinzufügen, die anders funktioniert, aber auch zu erfreulichen Resultaten führt:
Ein Jäger findet bei seinem Streifzug durch den Wald mehrere Zielscheiben, die auf Bäumen aufgemalt sind, und in jeder dieser Zielscheiben einen Pfeil, mitten im Schwarzen. Jeder Schuss ein Volltreffer! Er wird neugierig, wer wohl dieser Meisterschütze sein könnte. Vielleicht ließe sich ja etwas von seiner Technik lernen. Nach längerem Suchen findet er ihn und kann ihn darüber befragen, wie er zu dieser beeindruckenden Serie von Volltreffern gekommen ist. Was ist das Geheimnis dieser außergewöhnlichen Treffsicherheit, die wie ein Wunder erscheint? Ganz einfach, erklärt bereitwillig der Meisterschütze, zuerst schieße ich den Pfeil ab, dann male ich die Zielscheibe!
Diese Art von Vernunft ist natürlich für jemanden lächerlich, der sich bereits eine klare Zielscheibe gemalt hat. Lächerlich für den, der weiß, auf welche Ziele es ankommt, wie diese aussehen und was ein Volltreffer ist, und der auch weiß, wann es danebengegangen ist. Allerdings belastet die Aufgabe, Volltreffer zu erzielen, denn so einfach ist es ja nicht, ins Schwarze zu treffen. Wir können alle ein Lied davon singen. Mancher durchschnittliche Schütze, und das sind wohl die meisten von uns, fühlt sich zu Recht überfordert.
Tritt das Wunder ein, dass der Pfeil direkt ins Schwarze trifft, ist das natürlich spektakulär. Unwahrscheinliches wie Wunder oder Volltreffer sind nun einmal spektakulär. Und nicht ohne Grund werden die, die darauf setzen, auch Spekulanten genannt.
Auf die Vernunft zu setzen ist dagegen alles andere als spektakulär. Es ist so unspektakulär, wie Zielscheiben um abgeschossene Pfeile zu malen. Für uns Durchschnittsschützen, die wir an unserem Glauben, ob sich unsere Erfolgsvorstellungen bezüglich unserer Ehen realisieren lassen, oftmals verzweifeln, ist es allemal ein vernünftiges Vorgehen, das außerordentlich entspannt.
Mit diesem Perspektivenwechsel vom erhofften Ehewunder zur realistischen Vernunftehe beschäftigt sich dieses Buch. Es will anregen, sowohl über die Grenzen wie über die Möglichkeiten der Ehe nachzudenken. Es möchte zur Entlastung der Ehe beitragen, damit sie wieder atmen, sich dehnen, sich strecken und wieder lebendig werden kann. Vernünftiger und realistisch meint daher auch lebbar: menschlichen Möglichkeiten angemessen.
Oftmals ist es nützlich, manchmal sogar notwendig, bevor man etwas Neues leben kann, das Bisherige, das Gewohnte zu unterlassen. Dazu muss man allerdings wissen, was unterlassen werden sollte – und auch: warum. Ich werde versuchen Einblicke zu geben in das, was das Gelingen der Ehe ermöglicht, aber auch aufzuzeigen, was geeignet ist, Beziehungsunglück zu erzeugen und den Erfolg der Ehe zu verhindern.
Nicht zuletzt wird aber auch zu belegen sein, warum es vernünftig ist, auch in der Vernunftehe auf die Liebe zu setzen, denn dadurch kann sich sowohl die Ehe wie auch die Liebe erhalten.
Es wäre natürlich absolut unrealistisch, das mögliche Scheitern einer Ehe auszuklammern und unerwähnt zu lassen. Deshalb beschäftigt sich das letzte Kapitel damit, wie man auf vernünftige Weise Schluss machen und wie eine Trennung menschenwürdig vonstatten gehen kann.
Wenn in diesem Buch von Ehen die Rede ist, dann schließt dies selbstverständlich auch sogenannte nichteheliche sowie hetero- oder homosexuelle Gemeinschaften ein. Die Ehe verliert ja auch zunehmend ihre gesetzliche Exklusivität. Seit Jahren schrumpfen die juristischen Unterschiede zwischen Paaren mit und ohne Trauschein, so beim gemeinsamen Sorgerecht, beim Unterhalt für die gemeinsamen Kinder und inzwischen auch beim Güterrecht. In Ehen und eheähnlichen Gemeinschaften werden zudem weitgehend die gleichen Werte, Vorstellungen und Erwartungen entwickelt und gepflegt.
Wie komme ich dazu, über die Ehe und auf diese Weise darüber zu schreiben? Da ist zum einen meine Erfahrung als Ehemann. Es ließ sich gar nicht vermeiden, im Rahmen von zweiundzwanzig Ehejahren – sozusagen im Selbstversuch – einschlägige Erfahrungen zu sammeln. Es sind persönliche Erfahrungen sowohl von Erwartungsenttäuschungen als auch Erfahrungen erfolgreicher Vernunft. Ein Ende von beidem, von Enttäuschung und Irrtümern wie von Erfolg, scheint nicht in Sicht.
Dazu kommt die einzigartige Gelegenheit, die mir unzählige Paare geboten haben, mittelbar an ihren Erfahrungen teilzuhaben. Über mehr als drei Jahrzehnte durfte ich als Psychotherapeut, Paartherapeut, Berater und Lehrer für Psychotherapeuten Einsicht in die Praxis der Ehe nehmen. Mir wurden Einblicke in die Misserfolge, Krisen und Katastrophen gewährt, aber auch in die Erfolgsgeschichte so mancher Ehe. Solche Erfolgsgeschichten gibt es tatsächlich und häufiger, als man denkt.
Darüber hinaus habe ich mich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit der Frage beschäftigt, wie eigentlich Paarbeziehungen funktionieren und was die Gesetzmäßigkeiten und Regeln von Liebesbeziehungen und Ehen sind. Meine Frau meint allerdings, dies sei die unwesentlichste Quelle meiner Ideen und typisch männlich. Sie glaubt hingegen, übrigens ein hervorragender Anlass für Streit, dass die Erfahrung, die sie mir in unserer Ehe ermöglicht habe, viel mehr zählt. Immerhin hat sie es mit mir ausgehalten, aber, darauf muss ich bestehen, auch ich mit ihr. Ich selbstverständlich aus vernünftigen Gründen, sie aus emotionalen.
Meine Frau legt auch Wert darauf, die Leserin zu erhöhter Sensibilität für typisch männliche Beschreibungen und Bewertungen in diesem Buch aufzurufen. Wie ich finde: Absolut unberechtigt!
Lassen Sie mich aber, bevor wir gemeinsam die Niederungen und Höhen des Ehelebens durchstreifen, doch auch darauf hinweisen, dass auch ein Buch und sein Autor Grenzen haben. Diese zu sehen ist für Leserin und Leser einfacher als für den Autor, und kann den realistischen Blick schärfen.
»Was Prügel sind, das weiß man schon; was aber die Liebe ist, das hat noch keiner herausgebracht. Einige Naturphilosophen haben behauptet, es sei eine Art Elektrizität. Das ist möglich; denn im Momente des Verliebens ist uns zumute, als habe ein elektrischer Strahl aus dem Auge der Geliebten plötzlich in unser Herz eingeschlagen. Ach! diese Blitze sind die verderblichsten, und wer gegen diese einen Ableiter erfindet, den will ich höher achten als Franklin. Gäbe es doch kleine Blitzableiter, die man auf dem Herzen tragen könnte, und woran eine Wetterstange wäre, die das schreckliche Feuer anderswohin zu leiten vermöchte. Ich fürchte aber, dem kleinen Amor kann man seine Pfeile nicht so leicht rauben wie dem Jupiter seinen Blitz und den Tyrannen ihr Zepter. (…) – Was ist die Liebe? Hat keiner ihr Wesen ergründet? hat keiner das Rätsel gelöst? (…) Wenn ich dir aber, lieber Leser, nicht zu sagen vermag, was die Liebe eigentlich ist, so könnte ich dir doch ganz ausführlich erzählen, wie man sich gebärdet und wie einem zu Mute ist (…) Man gebärdet sich nämlich wie ein Narr, und tanzt über Hügel und Felsen und glaubt, die ganze Welt tanze mit. Zumute ist einem dabei, als sei die Welt erst heute erschaffen worden, und man sei der erste Mensch.« (Heinrich Heine) [3]
Die Probleme mit der Liebe fangen schon an, wenn man sie definieren will – auch wenn man weiß, wie man sich fühlt und verhält, wenn man vom Blitzschlag der Liebe getroffen ist: göttlich oder närrisch, auf jeden Fall als sei man unter Strom. Vernünftig daher die Idee Heinrich Heines, an einen Blitzableiter auf dem Herzen zu denken, der den Gewitterschaden verhindern könnte.
Wie also – vernünftig – über die Liebe reden oder schreiben und wie und wo anfangen? In der Tat bewähren sich dabei die Dichter, die es ohne die Liebe wahrscheinlich gar nicht gäbe. Wie es umgekehrt die Liebe vielleicht nicht ohne die Dichter gäbe. Hören wir, was etwa Bodo Kirchhoff zu sagen hat: [4]»Wo das Meer beginnt« – so der Titel seines Romans – meint einen Ort an der portugiesischen Küste, wo das Land endet und das Meer beginnt, wo sich Europa mit dem Atlantik vermählt. Das ist sein Bild von der Liebe. Der Ort, an dem wir den Boden unter den Füßen verlieren können, von Wellen leicht getragen sind und uns selbst dabei leichter ertragen. Dieselben Wellen sind es aber auch, die uns im nächsten Moment zu verschlingen drohen.
Damit ist schon Wesentliches angesprochen: Die Liebe kann uns entlasten. Wir ertragen uns selbst, das Leben, den Partner so leichter. Wir verlieren etwas. Wir verlieren Gewicht oder Last. Aber: wir verlieren nicht nur Last, sondern vielleicht auch den Boden unter den Füßen und könnten von der Gewalt des Meeres auch verschlungen werden.
Zunächst nur ein Wort, ein Substantiv, ein Dingwort. Aber: Gibt es überhaupt ein solches »Ding«, wie es das Wort »Liebe« bezeichnet? Die der Liebe zugeschriebenen Eigenschaften legen ja oft beinahe physikalisch messbare Qualitäten nahe: Liebe kann tief und schwer, bitter und süß sein, sie kann entdeckt werden, verlorengehen und manchmal sogar wiedergefunden werden. Sie lässt sich gar in quasi-mathematischen Gesetzmäßigkeiten fassen, wo sich dann etwa ihre Größe oder Intensität direkt proportional zum Quadrat der Entfernung zwischen den Liebenden verhalten soll. Oder es wird behauptet, dass es bestimmte Halbwertzeiten der Liebe gebe. Die Liebe wäre dann eine Art von strahlendem Material, Beziehungsplutonium, auf jeden Fall Objekt eines Zerfallsprozesses, das periodisch die Hälfte seiner Strahlkraft verlöre.
Es stellt sich dann die Frage, wie dieser Verlust zu werten ist: positiv, als Abnahme der die Gesundheit schädigenden Radioaktivität, oder negativ, als Abnahme der radioaktiven Energie. In beiden Fällen können sich Fragen nach den Möglichkeiten der Wiederaufbereitung bzw. des Endlagers für den radioaktiven Liebesmüll stellen. Verständlich daher, dass manche oder mancher an einen endgültigen Ausstieg aus dieser gefährlichen, weil letztlich nicht beherrschbaren Liebes-Technologie denkt. Nicht selten wird ein Umstieg auf erneuerbare Energien ins Auge gefasst. – Und es werden energische Energiesparmaßnahmen erwogen. Aber auch beim Ausstieg ist mit Restlaufzeiten zu rechnen.
So anschaulich konkret die meisten Liebesmetaphern sind, man wird trotz angestrengter Suche das Ding selbst nicht finden. Selbst neueste medizinische Methoden bieten nur leere Befunde: Vielfältigste Analysen von Mittelstrahl-Urin, serologische Antikörperbestimmungen, kleine und selbst große Blutbilder, einfache Röntgenreihenuntersuchungen bis hin zu modernsten bildgebenden Verfahren wie Kernspin- oder Positronenemissionstomographie bleiben ergebnislos. Weder wird die Liebe selbst gefunden, noch gelingt es, sie anhand von spezifischen biologischen Markern zu diagnostizieren und dingfest zu machen.
Obwohl ich einräumen muss: Angesichts der gegenwärtigen Renaissance der Neuroanatomie und des medizinisch-biologischen Bilderwahns kann man gar nicht anders, als auch Befunde aus der bunten Bilderwelt der Hirnforschung zur Kenntnis zu nehmen. Etwa den, dass sich akut Liebende unter dem Kernspintomographen wie Kokainkonsumenten verhalten. [5]Areale, die bei schlechter Stimmung aktiv sind (rechtes Stirnhirn), sind sowohl bei akut Liebenden als auch bei Kokainkonsumenten abgeschaltet. Und auch ein Teil des Mandelkerns, der Amygdala, wird inaktiv. Der Mandelkern gilt unter den Liebhabern biologisch-anatomischer Erklärungsmodelle als Angst- und Aggressionszentrum. Nicht gar so überraschende Einsichten, die uns die moderne Hirnforschung hier bietet. So viel sei jedoch festgehalten: Liebe wird bei dieser Zugangsweise als ein bestimmter Molekularzustand auf der Basis chemischer Verbindungen angesehen.
Ich hingegen behaupte weiterhin: Die Liebe ist kein biologisches Phänomen, obwohl wir oft genug die Liebe als etwas zu unserer Natur Gehöriges empfinden. Ich meine, der Gegenstand der Liebe sind unsere Vorstellungen, die als Liebesgeschichten oder Mythen erzählt werden.
Liebesgeschichten haben eine lange Tradition und sind gleichzeitig hochaktuell. Woher wissen wir denn, was die Liebe ist und welches Erleben und welche Erfahrungen damit verbunden sind? Es ist uns erzählt worden in Geschichten, Büchern, Schlagern und natürlich im Kino!
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