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Marian Füssel

DER SIEBENJÄHRIGE
KRIEG

Ein Weltkrieg im 18. Jahrhundert

C.H.Beck


Zum Buch

Marian Füssel bietet eine knappe, faktenreiche und gut lesbare Darstellung der Geschichte des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) und beschreibt seine weltumspannenden Dimensionen. Er stellt die Hauptakteure des Geschehens vor – unter ihnen das Preußen König Friedrichs des Großen, Frankreich und das britische Empire – und erläutert ihre Interessen und Koalitionen. Darüber hinaus skizziert er die Bedeutung wichtiger militärischer Ereignisse im Verlauf des Krieges – etwa der Schlachten von Leuthen (1757), Plassey (1757), Fort William (1757), Zorndorf (1758) und Kunersdorf (1759) oder der Belagerung von Quebec (1759), Havanna (1762) und Manila (1762) –, erklärt die Friedensschlüsse von Paris und Hubertusburg (1763) und fasst die Ergebnisse des Siebenjährigen Krieges zusammen. Schließlich resümiert er die Folgen dieses Krieges und ordnet ihn erinnerungsgeschichtlich ein.

Über den Autor

Marian Füssel lehrt als Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Georg-August-Universität Göttingen. Im Verlag C.H.Beck sind von ihm ferner lieferbar: Waterloo 1815 (2015) sowie Der Preis des Ruhms. Eine Weltgeschichte des Siebenjährigen Krieges (22020).

Inhalt

Einleitung

I. Staatensystem und Krieg im Zeitalter der Aufklärung

II. Anfänge eines Krieges
Kampf um Schlesien, diplomatische Revolution und globale Interessenkonflikte

III. Ein Krieg der Schlachten
Der Kriegsverlauf auf dem europäischen Schauplatz

IV. Kampf in den Wäldern
Der French and Indian War in Nordamerika und Kanada

V. Fürsten, Krieger und Händler
Der Siebenjährige Krieg in Indien

VI. «Britannia rule the waves»
Britisch-spanische Konflikte von der Karibik bis zu den Philippinen

VII. Ein Krieg – zwei Frieden
Paris und Hubertusburg

VIII. Die Kultur des Krieges
Erfahrungen und Deutungen

IX. Erinnerungskulturen eines globalen Konfliktes

X. Ein Krieg als Labor der Moderne und Motor der Globalisierung?

Zeittafel

Weiterführende Literatur

Quellen

Allgemeine Überblickdarstellungen und Hilfsmittel

Europäischer Kriegsschauplatz

Außereuropäischer Kriegsschauplatz

Militärgeschichte

Frieden

Orts- und Personenregister

Karten

Einleitung

Am 9. Juli 1755 wurden in den Wäldern Nordamerikas am Monongahela-Fluss in der Nähe des heutigen Pittsburgh britische Einheiten von einer Armee aus Franzosen und Indianern aufgerieben. Ein Jahr später, am 29. August 1756, marschierten die Truppen Friedrichs II. von Preußen in Sachsen ein. Beide Ereignisse markieren unterschiedliche Anfangspunkte eines globalen Konfliktes im 18. Jahrhundert: des Siebenjährigen Krieges.

Als eines der zentralen historischen Ereignisse des Jahrhunderts der Aufklärung ist die Erinnerung an diesen Krieg bis heute von nationalen Traditionen geprägt. Den Deutschen und Österreichern ist der Siebenjährige Krieg auch als Dritter Schlesischer Krieg bekannt, den Schweden als Pommerscher Krieg; den Engländern gilt er als die Geburtsstunde des britischen Empire, den Nordamerikanern als der French and Indian War, und in Indien wird er als Third Carnatic War bezeichnet. Selten hat man hierzulande den Zusammenhang dieser Konflikte betrachtet. Fasst man jedoch ihre globale Ausdehnung ins Auge, ohne den Konflikt auf einen Kampf um Schlesien zu reduzieren, kann der Siebenjährige Krieg als ein Weltkrieg des 18. Jahrhunderts gelten. Von Bengalen bis nach Südindien, von den Philippinen über Afrika bis in die Karibik, von Nordamerika über die Balearen bis nach Schlesien, Ostpreußen und Westfalen reichen seine Schauplätze. Während Friedrich II. im Krieg gegen Österreich versuchte, das in den beiden ersten Kriegszügen (1740–45) eroberte Schlesien zu halten und den Status Preußens als eigenständige europäische Großmacht zu festigen, versuchten Franzosen, Engländer und Spanier ihre kolonialen Einflusszonen zu erweitern bzw. zu behaupten. In Europa standen England, Preußen und Portugal einer breiten Koalition gegenüber: Frankreich, Spanien, Österreich, Russland und Schweden, die ihrerseits auf den außereuropäischen Kriegsschauplätzen noch lokale Verbündete und Gegner hatten.

Allerdings kann es in dieser globalgeschichtlich erweiterten Perspektive nicht unbedingt um die Frage gehen, ob der Siebenjährige Krieg nun tatsächlich der erste Weltkrieg der Geschichte gewesen ist. Er sollte vielmehr generell als eine globale Auseinandersetzung behandelt werden. Bereits der spanisch-niederländische Konflikt Ende des 16. Jahrhunderts ist als «first world war» apostrophiert worden, desgleichen der Dreißigjährige Krieg oder der Spanische und der Österreichische Erbfolgekrieg. Andererseits wurde für die Revolutionskriege (1792–1815) argumentiert, erst bei ihnen handle es sich um den ersten «wirklichen» Weltkrieg der Geschichte. Der globale Siebenjährige Krieg kann also mit einer Reihe von Vorläufern und späteren Auseinandersetzungen in Zusammenhang gebracht werden, deren Vorläufer er dann seinerseits gewesen ist. So kann er in zweierlei Hinsicht als ein fortgesetzter Konflikt um ungelöste Fragen im Zusammenhang des Österreichischen Erbfolgekrieges betrachtet werden: der preußisch-österreichischen Auseinandersetzung um Schlesien und den ungeklärten kolonialen Rivalitäten zwischen England und Frankreich. Was ihn jedoch von den vorherigen Kriegen unterscheidet, ist zum einen der als «diplomatische Revolution» in die Geschichte eingegangene Wandel der Allianzen. Österreich und England trennten sich zugunsten eines Bündnisses der Habsburger mit ihrem alten Rivalen Frankreich. Preußen wiederum distanzierte sich von Frankreich und ging ein Bündnis mit England ein. Zum anderen erreichte die globale Ausweitung Dimensionen, die nachhaltigere Folgen haben sollte als die Konfrontationen zuvor, und für einige Kriegsparteien, allen voran Preußen und die nordamerikanischen Indianer, sollte es in diesem Krieg gar um ihre künftige Existenz gehen. Auch die Folgen des Krieges für spätere welthistorische Ereignisse waren beträchtlich, denn für viele Historiker hatte er Einfluss auf die atlantischen Revolutionen in Nordamerika 1776 und Frankreich 1789. Als Maßstab für die globale Dimension des Krieges soll im Folgenden nicht nur die Vielzahl der Schauplätze eine Rolle spielen, sondern vor allem die Frage der wechselseitigen Beeinflussung und Vernetzung unterschiedlicher Räume und Kulturen. Dabei ist es im Grunde fast zweitrangig, ob William Pitts berühmter Ausspruch von 1761 «America had been conquered in Germany» eher die Nachrationalisierung einer ganzen Serie von Ad-hoc-Entscheidungen war oder die Zusammenfassung einer geopolitischen Agenda. Festzuhalten bleibt, dass sich von nun an auch jenseits des britischen Empire ein öffentliches Bewusstsein von den globalen Wechselwirkungen entwickelte.

Spricht die Forschung im Vergleich zum Dreißigjährigen Krieg von der Ära der Aufklärung als der Zeit einer «gezähmten Bellona», welche die Zivilbevölkerung weitgehend verschont habe, so zählt der Siebenjährige Krieg dennoch zu den blutigsten Konflikten des 18. Jahrhunderts. Die meisten Schätzungen gehen von etwa einer Million ums Leben gekommener Menschen aus, darunter rund 500.000 auf den Schlachtfeldern. Neben extrem verlustreichen Schlachten war der Konflikt unter anderem geprägt von zahlreichen Belagerungen und Stadtbränden sowie dem asymmetrischen «kleinen Krieg» (span. Guerilla), welcher insbesondere auf den außereuropäischen Schauplätzen eine ungeahnte Dynamik entfaltete. Um die empirische Realität dieser unterschiedlichen Kulturen der Gewalt in den Blick zu rücken, sollen im Folgenden auch die Ansichten und Deutungen der Zeitgenossen zur Sprache kommen. Wie haben die Menschen den Krieg erlebt und verarbeitet? Wer waren die Leidtragenden, wer die Profiteure? Ist die Erinnerung an den Siebenjährigen Krieg seit jeher von seiner militärischen Ereignisgeschichte beherrscht gewesen, so wird auch diese Darstellung versuchen, ihr angemessen Rechnung zu tragen, ohne dabei jedoch strukturelle Rahmenbedingungen außer Acht zu lassen. War doch der Siebenjährige Krieg sowohl ein letzter Kabinettkrieg als auch ein frühmoderner Imperialkrieg, der von politischen und ökonomischen Motiven ebenso geprägt war, wie von patriotisch-nationalistischen oder religiös-konfessionellen Deutungsmustern, ein Krieg der Feldherren ebenso wie der Händler. Abgeschlossen wird der Überblick durch Perspektiven auf die zeitgenössische Kriegswahrnehmung und die historische Erinnerungskultur.

I. Staatensystem und Krieg im Zeitalter der Aufklärung

Um die komplexe Dynamik des Ereignisses überschaubar zu machen, ist zunächst ein Überblick über die Situation der wichtigsten Kriegsparteien im Kontext des europäischen Staatensystems des 18. Jahrhunderts und seiner globalen Verflechtungsgeschichte unumgänglich. Als wichtigster globaler Akteur des 18. Jahrhunderts nahm Großbritannien unter den europäischen Großmächten schon aufgrund seiner politischen Verfassung einen gewissen Sonderstatus ein. Seine Bürger verfügten über mehr Rechte als die anderer europäischer Staaten und seine politischen Organe befanden sich in einem lange erprobten Verhältnis wechselseitiger Kontrolle. Die Kriegs- und Friedenspolitik des englischen Königs wurde vom Parlament beobachtet und mitgestaltet. Ab 1714 lösten die Hannoveraner die Stuarts auf dem Thron ab, was nicht zuletzt aufgrund der Personalunion mit dem Kurfürstentum Hannover zu einem nachhaltigen Einflussfaktor für die britische Außenpolitik werden sollte. Von nun an diskutierte man immer wieder die Alternative von «continental commitment» und «blue water policy»: Sollte man sich in Europa für Hannover engagieren oder besser auf den Handel in den Kolonien setzen? In kaum einem anderen europäischen Land hatte dabei die Öffentlichkeit so viel Einfluss auf die Politik wie in Großbritannien, ein gerade in Kriegszeiten besonders spürbares Phänomen. Während es 1756 dem Parlament einerseits gelang, König Georg II. (1683–1760) mit William Pitt d. Ä. einen – unerbetenen – leitenden Minister an die Seite zu stellen, konnte das System der parlamentarischen Kontrolle andererseits außenpolitisch Unsicherheiten produzieren, da sich die Machtkonstellationen rasch ändern konnten. Die Briten verfügten über zum Teil gewaltige außereuropäische Besitztümer und Einflusszonen in Nordamerika, in West- wie Ostindien und in Westafrika. Damit einher ging die Dominanz des Welthandels innerhalb der britischen Außenpolitik. Durch verschiedene Handelsverträge sicherten sich die Briten zentralen Einfluss auf den Märkten Asiens, Afrikas, Amerikas und Europas, darunter insbesondere auch Osteuropas, was u.a. eine lang andauernde Nähe zu Russland bewirkte. Außenpolitischer Dauerkonkurrent der Briten war traditionell Frankreich, was in der öffentlichen Meinung Englands zu einer heftigen Frankophobie führte. Militärisch waren die Briten eher eine Macht mittlerer Größe, deren Truppenstärke je nach Kriegs- oder Friedenszeiten erheblich schwankte. Mit einer im Frieden zwischen 30.000 und 45.000 und im Krieg um 170.000 Mann umfassenden Armee profitierte die britische Gesellschaft durchaus von einer konsequenten Abrüstungspolitik in Friedenszeiten. Großbritanniens militärische Schlagkraft lag insgesamt jedoch weniger beim Heer als bei der Marine, die nach stetigem Ausbau im 18. Jahrhundert beinahe konkurrenzlos die Weltmeere beherrschte. Vom Anfang des Jahrhunderts bis in die 1780er Jahre verdoppelte sich die Flottenstärke von rund 300 auf über 600 Schiffe. Die Finanzierung dieses immensen militärischen Apparats wurde durch ein äußerst effizientes Steuersystem ermöglicht, das sich aus einer Grundsteuer (land tax) und einer Verbrauchssteuer (excise) zusammensetzte. Zusätzlich abgesichert wurden die militärischen Ausgaben durch staatliche Anleihen, die sich gegen Ende des Siebenjährigen Krieges auf rund 12 Mio. Pfund beliefen.

Im Hinblick auf den Umfang des Staatsgebietes, die Bevölkerungszahl und die Heeresaufbringung stand das Frankreich Ludwigs XV. (1710–1774) im damaligen Europa an der Spitze. Im Vergleich zu den Briten wurden die Franzosen jedoch im Wettbewerb um die Kolonien immer wieder auf den zweiten Platz verwiesen, obwohl der Überseehandel dem Land massive Gewinne bescherte. In Nordamerika, der Karibik, in Afrika und Indien gab es eine ständige Rivalität mit den Briten, die jedoch wenig daran änderte, dass der Schwerpunkt der französischen Außenpolitik nicht auf den Kolonien, sondern in der europäischen Großmachtpolitik lag. Der französischen Krone war die Einrichtung einer zentralisierten Verwaltungsstruktur gelungen, die Außenpolitik und Kriegführung in der Hand des Königs zu einer schlagkräftigen Einheit bündelte. So regierten die französischen Könige über lange Zeiträume ohne einen Premierminister; lediglich der sogenannte Staatsrat, ein königsnahes Gremium von maximal fünf Ministern, wurde in die Entscheidungsprozesse einbezogen. Die französische Krone genoss eine hohe symbolische Autorität, die allerdings ab den 1750er Jahren allmählich in eine Legitimitätskrise geriet. Frankreich verfügte über eine der größten Armeen Europas, die in Friedenszeiten um die 160.000 Mann und im Siebenjährigen Krieg insgesamt über 500.000 Mann zählte. Die französische Armee besaß Vorbildcharakter in Europa und das französische Schrifttum dominierte die europäische Militärliteratur. Trotz zahlreicher Rationalisierungstendenzen war die Armee jedoch auch von der ständischen Eigensinnigkeit eines adligen Offizierskorps geprägt, das oft mehr eigene soziale Interessen im Auge hatte als militärische Effektivität. Die französische Marine gelangte kaum jemals über 100 Schiffe hinaus und konnte gleichsam in Umkehrung der britischen Verhältnisse nie an die Bedeutung des Heeres heranreichen. Die Kriegsfinanzierung wurde in Frankreich im Gegensatz zu England weniger über die Steuereinnahmen geregelt als durch großzügige Anleihen. Dabei kämpfte der französische Staatshaushalt während des ganzen 18. Jahrhunderts mit einem Haushaltsdefizit, das die außenpolitischen Handlungsspielräume merklich einschränkte. Die wichtigsten Faktoren der französischen Außenpolitik im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts waren zum einen die Schärfung des französisch-britischen Antagonismus vor allem in den Kolonien, zum anderen die Nähe zur bourbonischen Verwandtschaft in Spanien, der Versuch, den wachsenden Einfluss des russischen Zarenreiches einzudämmen sowie die allmähliche Annäherung an den ehemaligen «Erbfeind», die Habsburgermonarchie.

Der wohl vielschichtigste kollektive Akteur der Zeit war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das sowohl als Reichsverband als auch mit einzelnen Reichsterritorien als Kriegspartei in Erscheinung trat. Das Reich war ein strukturell defensiv ausgerichteter Verband zur Friedens- und Rechtswahrung, der durch interne Staatsbildungsprozesse seiner mächtigsten Mitglieder allmählich gesprengt zu werden drohte. Als außenpolitisch besonders dynamisch erwiesen sich Österreich, Preußen, Hannover, Bayern und Sachsen.

Der Kaiser war der Herrscher des Römischen Reiches. Sein Habsburger Reich zählte aber darüber hinaus auch zu den führenden europäischen Mächten des 18. Jahrhunderts. Außenpolitisch konsolidierende Erfolge waren dabei seit dem 17. Jahrhundert vor allem die Zurückdrängung der osmanischen Expansion nach Westen; im Innern war der Habsburgerstaat ein dynamischer Verbund von Ständestaaten. Allzu energischen Zentralisierungsbestrebungen war damit ein Riegel vorgeschoben. Im Jahr 1740 sollte in Folge der sogenannten «pragmatischen Sanktion» Kaiser Karls VI. von 1713 dessen Tochter Maria Theresia (1717–1780) die Herrschaft antreten und zur Königin von Ungarn gekrönt werden. Diese Bestimmung sicherte den Habsburgern für den Fall des Aussterbens der männlichen Linie die Möglichkeit einer weiblichen Thronfolge. Erst 1745 wurde Maria Theresia als Ehefrau des neu gewählten Kaisers Franz I. zur «Kaiserin». Ähnlich wie Frankreich sah sich auch die Habsburgermonarchie einer hohen Staatsverschuldung gegenüber, die während des Siebenjährigen Krieges bis auf 271 Mio. Gulden ansteigen sollte. Anleihen im Ausland und bei privaten Bankiers mussten daher dem Staat das Überleben sichern. Das kaiserliche Heer blieb in der Regel weit unter seiner Sollstärke, die Mitte des 18. Jahrhunderts zwischen rund 155.000 und 175.000 Mann pendelte. Der Mangel an ökonomischen Ressourcen und die Defizite in der Heeresorganisation behinderten die österreichische Kriegführung, sodass auch fähige Offiziere wie der Graf Leopold von Daun selten die erforderliche Effizienz erreichen konnten. Die österreichische Außenpolitik war gekennzeichnet durch ihre Bipolarität: einerseits Reichspolitik, andererseits österreichische Hauspolitik. Das drückte sich auch institu-tionell lange in verschiedenen Organen aus, wie der Reichs(hof)kanzlei und der österreichischen Hofkanzlei, die erst in den 1740er Jahren in einer übergreifenden Staatskanzlei aufging. Die österreichische Außenpolitik hatte im 18. Jahrhundert über lange Zeit eher defensive, an der Anerkennung der pragmatischen Sanktion orientierte Züge. Während man zu Frankreich bis zum Siebenjährigen Krieg auf Distanz blieb und eher die Nähe zu Russland suchte, verschärfte sich nach dem Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges und dem Aachener Frieden von 1748 zunehmend der österreichisch-preußische Antagonismus.

Brandenburg-Preußen zählte unter den europäischen Mächten des 18. Jahrhunderts sicher zu den bemerkenswertesten Aufsteigern. Im Jahr 1701 durch die Königsberger Krönung zur Monarchie geworden, sollte das territorial weit verzweigte Land, zeitgenössisch auch als «Königreich der Grenzen» tituliert, innerhalb nur weniger Jahrzehnte Anschluss an den Kreis der führenden europäischen Großmächte finden. Mit zu Beginn des 18. Jahrhunderts rund 2,2 Mio. Einwohnern, deren Zahl bis zum Tod Friedrichs II. (1786) auf rund 5,5 Mio. anwuchs, zählte das Land rein bevölkerungsstatistisch eher zu den kleineren europäischen Mächten. Gemessen an seiner Wirtschaftskraft, Bevölkerungsdichte und Landmasse verfügte das friderizianische Preußen also über eine völlig überdimensionierte Armee. Kam in Preußen auf 29 Einwohner ein Soldat, so betrug in Großbritannien das Verhältnis 310 zu eins, eine Konstellation, die den Marquis de Mirabeau einmal zu der spöttischen Bemerkung veranlasste: «Preußen ist kein Staat, der eine Armee besitzt, sondern eine Armee, die einen Staat besitzt». Im Vergleich zu den führenden europäischen Monarchien war die um 1740 rund 80.000 Mann starke preußische Armee jedoch immer noch verhältnismäßig klein. Um sie zu vergrößern, war man auf ein starkes Bevölkerungswachstum angewiesen, das vor allem über eine territoriale Expansion zu erreichen war. Fast achtzig Prozent der Steuern flossen in den Unterhalt der Armee, während in den anderen europäischen Staaten bestenfalls vierzig bis fünfzig Prozent des Steueraufkommens auf die Heeresfinanzierung verwandt wurden. Unter Friedrich II. verdoppelte sich die effektive Größe des Heeres bis zum Jahr 1760 auf rund 160.000 Mann. Die preußische Armee war jedoch nicht nur zahlenmäßig groß, sie zeigte, trotz aller mythischen Überhöhung der älteren Militärgeschichtsschreibung tatsächlich einen hohen Grad an Disziplinierung und innerer Kohäsion. Anders als sein Vater Friedrich Wilhelm I. förderte Friedrich den Aufbau einer heimischen Rüstungsindustrie und damit die Unabhängigkeit seiner Streitkräfte von Importen. Preußen besaß zu Beginn des Siebenjährigen Krieges einen Rüstungsvorsprung, der sich vor allem der erfolgreichen Mobilisierung ökonomischer Ressourcen verdankte. Allerdings erschöpften sie sich während des Krieges rasch, sodass das Land auf ausländische Subsidien, Münzmanipulationen – mehr Eisen als Silber – oder das Auspressen eroberter Territorien angewiesen war. So war diese Art von Wirtschafts- und Rüstungspolitik fast zwangsläufig auf militärische Expansion ausgerichtet. Die preußische Außenpolitik wurde formal vom Kabinettsministerium gelenkt. In der Regel war es jedoch der König selbst, der die Entscheidungen mehr oder weniger autonom zu treffen pflegte. Dem Ministerium blieb es unter Friedrich II. im Wesentlichen überlassen, öffentlichkeitswirksame «Staatsschriften» zu verfassen. Preußens Außenpolitik war grundsätzlich von zwei Faktoren bestimmt: einerseits von der Abrundung des eigenen Territorienverbandes und der Absicherung der Eroberung Schlesiens, andererseits durch die Grenze zu Polen und die Kooperation mit Russland. Mit der erfolgreich verteidigten Eroberung Schlesiens hatte sich Friedrich II. nicht nur militärisches Prestige und den Beinamen «der Große» erworben, sondern gerade im Heiligen Römischen Reich auch viele Ressentiments geweckt und sich Österreich zum dauerhaften Feind gemacht. Mit Russland hingegen suchte man auf Kosten Polens langfristig eine Zusammenarbeit.

Das Kurfürstentum Sachsen unter Friedrich August II., seit 1734 gleichzeitig König von Polen, und seinem leitenden Minister Heinrich Graf von Brühl hatte zwar weiterreichende Ambitionen, kaum aber die militärischen Mittel, sie gegen einen Konkurrenten wie Preußen zu behaupten. Trotz hoher Staatsverschuldung verfügte das dicht bevölkerte Territorium wirtschaftlich und infrastrukturell jedoch über wichtige Ressourcen. Die verschiedenen Personalunionen etwa zwischen Sachsen und Polen oder dem König von England und dem Kurfürsten von Hannover eröffneten zudem komplexe Konstellationen, welche die Integrität des Reichsverbands bedrohen konnten.

In Russland vollzog sich der mit einer zunehmenden Westorientierung einhergehende Wandel zu absolutistischer Staatlichkeit besonders abrupt. Unter Peter I. wurde eine Reihe von Verwaltungsorganen geschaffen, welche die Außenpolitik und die Kriegführung des Zaren organisierten: ein Kriegs-, ein Admiralitäts- und ein äußeres Kollegium. Nach dem Tod Peters 1725 wechselten die Akteure auf dem Zarenthron in rascher Folge, sodass sich die Gestaltungskompetenz der Außenpolitik mehr auf die Außenminister und unterschiedliche Hoffraktionen verlagerte. Mit dem Regierungsantritt Elisabeths I. im Jahr 1741 erhielt Kanzler Alexander Petrovich Bestužev die außenpolitische Handlungskompetenz. Das Zarenreich verfügte im 18. Jahrhundert über die größte Armee in Europa. Sie hatte zu Beginn des Siebenjährigen Krieges eine Sollstärke von rund 330.000 Mann, aber Verwaltung und Organisation des Heeres waren vergleichsweise schlecht entwickelt, obwohl unter Elisabeth I. zahlreiche Reformmaßnahmen ergriffen wurden, die Ausbildung, Ausrüstung und Rekrutierung westlichen Standards annäherten. Ein besonderes, vor allem für die westeuropäische Wahrnehmung folgenreiches Charakteristikum der russischen Streitkräfte war ihr hoher Anteil an irregulären berittenen Verbänden, die unterworfenen Ethnien wie den Kosaken und Kalmyken entstammten. In einem ähnlichen Zustand wie die Armee befand sich auch die russische Steuer- und Finanzverfassung, welche die enormen materiellen Ressourcen des Landes nicht effizient genug zu nutzen wusste. Eine rasante Steigerung der Steuereinnahmen brachte allerdings die Umstellung von einer Hof- auf eine Kopfsteuer unter Peter I. Allein der Unterhalt der Armee verschlang rund die Hälfte der Staatseinnahmen. Hinzu kam auch eine kleine Flotte, die im Baltikum und im Schwarzen Meer operierte. Einer der bedeutendsten Produktionszweige Russlands war die Eisenherstellung, die vor allem im Handel mit England und bei der Aufrüstung der Armee eine wichtige Rolle spielte. Eine expansive Orientierung nach Westen stand seit den Zeiten Peters des Großen auf der Agenda der russischen Außenpolitik, war jedoch abhängig von unterschiedlichen Fraktionen bei Hofe. Primäre Ziele waren eine Sicherung der im Nordischen Krieg gewonnenen Besitzungen im Baltikum sowie eine Anerkennung als eigenständige fünfte Macht im Kreis einer europäischen Pentarchie. Im Interesse Russlands lag ebenso eine Annexion Ostpreußens und seiner Häfen, um eine russische Vorherrschaft in der Ostsee zu garantieren wie eine generelle Schwächung Preußens zur Sicherung der russischen Westgrenze. Mit Preußens Eroberung Schlesiens verschob sich der Sicherheitsgürtel im Westen Russlands, da man davon ausging, dass Preußen nun stärker an Frankreich rücken würde und beide gemeinsam Russlands Einfluss auf Polen zu begrenzen trachteten. Da man in St. Petersburg seit Beginn des Siebenjährigen Krieges mit einem baldigen Tod der Zarin Elisabeth rechnete, wurden die politischen und die militärischen Entscheidungsspielräume jedoch eher zögerlich genutzt oder innerhalb der unterschiedlichen höfischen Lager blockiert.

Neben den tonangebenden Mächten der europäischen Pentarchie existierte im 18. Jahrhundert eine ganze Reihe von wirtschaftlichen wie politisch-militärischen «Absteigern» (H. Duchhardt), zu denen vor allem Spanien, Schweden und die Niederlande gerechnet werden können. Die höchste machtpolitische Fallhöhe innerhalb des europäischen Staatensystems wies dabei zweifellos Spanien auf. Das Königreich auf der iberischen Halbinsel verfügte im 18. Jahrhundert nicht mehr über den Einfluss, den es im 16. und 17. Jahrhundert gehabt hatte, besaß aber immer noch ein weltumspannendes Reich aus überseeischen Besitzungen, von denen einige im Siebenjährigen Krieg an England verloren gehen sollten. Spanien verfügte u.a. über Territorien und Niederlassungen in Südasien, Nord- und Südamerika und der Karibik, die es in eine fortdauernde koloniale Rivalität zu den Briten brachte. Der spanische Außenhandel erzielte im 18. Jahrhundert längst nicht mehr die Gewinne früherer Zeiten; der Absatz bestimmter Produkte, wie etwa Tuche, stagnierte in Europa; der außereuropäische Handel wurde zunehmend von anderen Nationen dominiert und die Edelmetallflüsse aus Südamerika liefen nach Asien, nicht aber ins spanische Mutterland. Innerhalb des europäischen Staatensystems litt die Macht des Landes unter den Folgen des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714). Der letzte Habsburger auf dem spanischen Thron hatte keinen Nachfolger hinterlassen, sodass die spanische Krone mit Philipp V. (1700–1746) einem Bourbonen und Enkel Ludwigs XIV. zufiel. Ihm folgten Ferdinand VI. und Karl III., der 1759 den Thron bestieg und eine modernisierende Reformpolitik in Gang setzte. Eine Reorganisation der Verwaltung führte zur Einrichtung von vier allein dem König verantwortlichen Staatssekretariaten, die unter anderem die Marine, das Kriegswesen und die Indienangelegenheiten dirigierten. Vergleichsweise schwache Monarchen und nicht zuletzt ein chronisches Haushaltsdefizit zwangen Spanien jedoch zunehmend in eine rein defensive Position. In einem Hausvertrag wurde am 15. August 1761 in Paris der sogenannte Familienpakt zwischen den französischen und den spanischen Bourbonen geschlossen, der sie zu gegenseitiger Hilfe im Falle eines Krieges verpflichtete. Damit wurde schließlich die besonders in den Kolonien virulente Konkurrenz zu Großbritannien noch weiter zementiert.

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