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Dr. Sonntag
– 15 –

Trotz allem – Zuversicht

… und die Karawane zieht weiter

Peik Volmer

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-562-4

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Das war vielleicht ein Schreck! Wir sind ja, verehrte Leserin, geehrter Leser, so einiges gewohnt, was unsere Freunde aus Schliersee im Allgemeinen und der Klinik St. Bernhard im Besonderen angeht, aber dies Attentat auf die hochschwangere Barbara – wissen Sie, was ich gedacht habe? Hoffentlich passiert nichts – weder mit ihr noch dem Kind! Wir wissen, dass der Professor dazu neigt, in bestimmten Belastungssituationen zu, sagen wir mal, entgleisen. Und das wäre wirklich fatal!

Als Titel für diese Folge hatte ich ursprünglich ›Die Liebe kommt selten allein‹ vorgesehen. Dann wurde ich gefragt, welches ich für das schönste Wort der deutschen Sprache halte. Die Antwort fiel mir nicht schwer. Mein Tauf- und Konfirmationsspruch aus dem 145. Psalm kündet davon. Und mein Leben lang habe ich, trotz gelegentlich widriger Umstände, unter dem Eindruck dieses Wortes gestanden: ZUVERSICHT. Ein wunderbarer Begriff für eine großartige Sache. Und wenn deine Situation noch so schlimm, so verzweifelt, so aussichtslos scheint, bewahre sie dir, die Zuversicht.

Ich habe das getan. Das bedeutet nicht, dass ich nicht wie jeder Ohrfeigen, Rückschläge, Kummer habe einstecken müssen. Ich habe ja auch nicht immer alles im Leben richtig gemacht! Aber ich durfte doch immer die Hoffnung haben, dass trotz aller Katastrophen alles wieder gut werden würde.

Wie geht es Ihnen, liebe Leser? Ich wünsche mir, dass Sie glücklich sind, gesund und zufrieden. Sollte das aber zurzeit gerade nicht der Fall sein, würde ich sie gern trösten. Es wird wieder besser, glauben Sie mir. Morgen ist heute schon gestern, und in einem Jahr werden Sie Freunden von Ihrem Unglück mit einem Lachen erzählen; stellt euch das mal vor, und Ihre Freunde werden ungläubig dreinschauen und sagen, is’ ja nicht möglich!

Nehmen Sie unsere Freunde Constanze und Wolfgang Amadeus Schickenreuth. Wie lange haben sie gelitten unter dem Erfolgsdruck und der strikten Erziehung, die Rechtsanwalt Sebastian und dessen Gattin Louise auf sie ausübten. Und endlich, als schon niemand mehr damit rechnete … Ach, schau mal an! Sebastian Schickenreuth trifft sich gerade mit seiner Freundin Theres! Na, das gibt’s ja wohl nicht! Er lächelt! So sieht man den Mann höchst selten, glauben Sie mir …

Heimkehr

»Siehst du, Sebastian Schickenreuth?«, bemerkte Theres triumphierend. »Ich habe es dir gesagt. Am besten folgst du künftig meinen Ratschlägen ohne größere Diskussion. Ich bin eine alte, weise, erfahrene Frau, mein Lieber. Und diese alten, weisen, erfahrenen Frauen haben es in sich!«

Der Staranwalt kicherte. In seinem Gesicht entdeckte sie plötzlich die Züge eines kleinen Jungen. Für ihr Leben gern hätte sie ein Kinderfoto von ihm angeschaut. So musste er als kleiner Junge ausgesehen haben, bevor seine Eltern sich in den Kopf gesetzt hatten, einen großen Mann aus ihm zu machen. Wie gut, dass es noch nicht zu spät war.

»Ich danke dir, Theres«, erklärte er, »von ganzem Herzen Dank. Du bist die Einzige, die es gewagt hat, mir zu widersprechen und mir den Kopf gehörig zurechtzusetzen. Du hattest recht – mit allem. Und das Beste daran ist: Es war gar nicht so schwierig, wie ich befürchtet hatte!«

»Wir sind immer wieder Opfer unserer eigenen Erwartungen«, gab Theres zu bedenken. »Wir lassen uns vom Richtigen durch Befürchtungen und Ängste abhalten. Aber ich habe gelernt, dass man seine Entscheidungen nie von Angst beeinflussen lassen soll. Von der eigenen nicht, und schon gar nicht von Ängsten anderer.«

Theres suchte in seinem Gesicht nach einem bestimmten Gefühl, das sie aber nicht entdeckte. Zu Recht befürchtete sie, dass es das, was sie ihm noch zu sagen hatte, schwerer machen würde.

»In diesem Zusammenhang, Sebastian, halte ich es für richtig und wichtig, dass dies Treffen hier unser letztes Beisammensein darstellt.«

Ja, das hatte sie befürchtet. So hatte Egidius sie immer angesehen, wenn er strenge Worte hörte, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein.

»Bitte glaube nicht, dass mir das leicht fällt. Die Zeit mit dir, Sebastian, war für mich unerwartet, aufregend, prickelnd und hat mir gezeigt, dass Liebe von nichts abhängig ist. Von gar nichts. Ein Mensch begegnet einem anderen Menschen und verliebt sich. So einfach ist das. Um nichts sonst geht es. Liebe ist absolut.«

»Und du willst mir sagen, dass du jetzt aufgehört hast, mich zu lieben?«

»Natürlich nicht, Sebastian. Im Gegenteil. Du hast bewiesen, dass du ein liebenswerter Mann bist. Aber das ist genau der Grund für meine Entscheidung. Du hast dein Verhältnis zu deinen Kindern wieder in Ordnung gebracht. Und jetzt musst du unbedingt das Verhältnis zur Mutter deiner Kinder wiederherstellen. Du hast begriffen, worum es geht im Leben. Hilf ihr, Sebastian. Sie braucht dich jetzt mehr denn je. Hilf ihr, zu euch zu gehören. Das ist für euch alle wichtiger als dieses illegitime Verhältnis mit mir.«

»Und was soll ich machen ohne dich?«

Der feine, kristallene Ton, mit dem in diesem Augenblick ihr Herz brach, hielt sie noch eine ganze Zeit aufdringlich umklammert.

»Vater sein zum Beispiel. Und Ehemann. Schwiegersohn. Rechtsanwalt. Dir wird da schon etwas einfallen.«

»Darf ich wenigstens an deiner Freundschaft festhalten, wenn ich Rat brauche, oder jemanden, der mich tadelt?«

Wehmütig betrachtete sie den geliebten Menschen.

»Ich bin sicher, dass du meinen Rat nicht mehr benötigen wirst. Es ist alles gut, so wie es ist.«

Sebastian Schickenreuth wurde plötzlich von einer Übelkeit befallen, die er sich nicht erklären konnte. Er krümmte sich wegen eines massiven Stechens in seinem Unterleib.

»Sebastian? Sebastian! Was ist mit dir? Geht es dir nicht gut?«

»Wie kann es mir gut gehen, nach deiner Eröffnung?«, stöhnte er. Der Schmerz ließ nach, allerdings blieb die Übelkeit. Er hätte es als Peinlichkeit empfunden, sich bei seiner – ja, nunmehr: ehemaligen – Geliebten zu erbrechen. Nur schnell auf die Straße!

»Die frische Luft draußen wird mir guttun«, behauptete er.

Sorgenvoll betrachtete sie seine nasse Stirn.

»Du solltest dich in diesem Zustand nicht selbst ans Steuer setzen. Möchtest du, dass ich dir ein Taxi rufe?«, bot Theres an.

»Nein, ist schon in Ordnung«, warf er mit gespielter Lässigkeit hin. »Es geht mir bereits viel besser!«

»Du lügst!«

»Ausgeschlossen. Ich bin Anwalt des Rechts. Ich kann gar nicht lügen!«

Trotz ihrer Sorge um ihn musste sie lachen. Ehrlichkeit war ein Begriff, mit dem Anwälte nur höchst selten Bekanntschaft machten.

*

Jeder, der verliebt ist, ist verrückt. Sagt zumindest ein lateinisches Sprichwort. Und wenn man beobachtete, wie Ludwig um Sydonie Scharnagl herumsprang, konnte man diese Auffassung durchaus teilen.

»Iss doch noch ein Brötchen«, bat er sie. »Diese Marmelade haben Kollegen aus meiner Klinik zubereitet! Kiwi-Weintraube, oder so!«

»Kiwi-Stachelbeere. Nein, Ludwig, du hast mich gemästet! Ich bringe keinen Bissen mehr hinunter!«

In der Tat. Ludwig liebte üppige Frühstücke, und so konnte er ihr zum Frühstücksei noch Schinken und Käse, geräucherten Saibling, Joghurt servieren. Gleich in der früh, als Sydonie noch schlief, war er zum Bäcker geradelt, um Croissants, Brezen und Semmeln zu kaufen.

Als sein Gast erwachte, zog bereits der Duft von frisch gebrühtem Kaffee durch die Wohnung.

»Ich möchte, dass Sie sich wie zu Hause fühlen«, sagte Ludwig.

»Hatten wir uns gestern Abend nicht geduzt?« Sydonie klang überrascht.

»Ja … Ähh, das stimmt wohl … Also: Ich möchte, dass du dich wie zu Hause fühlst«, wiederholte er.

Sie lächelte traurig.

»Lieber nicht. Zu Hause hätte ich diesen Luxus hier nicht! Ein Toastbrot, Margarine, Marmelade und Früchtetee! Alles vom Discounter!«

Er schaute betreten auf die Linien, die er mit der Messerspitze auf die Tischdecke gezeichnet hatte.

»Wenn du wolltest, könntest du – jeden Morgen so ein Frühstück haben!«

»Ja, genau! Und dick und rund dabei werden! So siehst du aus!«

Bisher hatte er nur vermutet, wie schön sie war. Jetzt aber wusste er es genau, angesichts ihres spitzbübischen, heiteren Gesichts, aus dem plötzlich alle Anspannung gewichen war. Fasziniert betrachtete er sie.

»An der Sache ist auch ein Haken. Du müsstest mich als dein Gegenüber ertragen.«

»Jeden Morgen?«

»Jeden Morgen. Außer, wenn ich Nachtdienst habe. Da frühstücke ich in der Klinik.«

»Entsetzlich!«

»Was ist entsetzlich? Dass wir uns jeden Morgen gegenübersitzen?«

»Dass du Nachtdienste hast, nach denen wir getrennt voneinander frühstücken!«

Wie gelang es ihr bloß, immer das Richtige zur richtigen Zeit zu sagen? Auch wenn ihre letzte Behauptung einen eher ironischen Unterton hatte.

»So, ich muss los. Du hast einiges zu tun, denk dran!«

»Was habe ich zu tun?«

»Wohnung kündigen, Sachen zusammenpacken. Ummelden. So was.«

»Ludwig, das geht alles etwas schnell! Wir kennen uns doch noch gar nicht lange genug! Ich kann nicht mit jemandem zusammenziehen, der mir…«

»… das beste Frühstück deines Lebens serviert?«

»Ludwig! Versteh’ mich doch bitte!«

»Weißt du, was Wissenschaftler der Syracuse University herausgefunden haben? Es dauert nur eine fünftel Sekunde, bis man sich verliebt. Und dann geht es los. Dopamin, Adrenalin, Vasopressin, Oxytocin und das gute, alte Testosteron. Das volle Programm. Wir kennen uns also lang genug!«

Gegen ihren Willen musste sie lachen.

»Du bist ein Kindskopf, Ludwig Lechner. Es kann ja sein, dass deine Hormone Partyhütchen tragen. Aber meinst du nicht, dass es leichtsinnig wäre, darauf eine Beziehung aufzubauen?«

»Dann müssen wir für dich ein WG-Zimmer oder eine Wohnung finden. Diese hier kann man nicht aufteilen, in ›meinen‹ und ›deinen‹ Bereich. Hier kann man nur zusammen leben.«

»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Viel Platz, aber nur wenige, riesige Zimmer! – Jetzt guck doch nicht so traurig. Ich sage ja nicht niemals. Ich sage nur, dass es einfach zu hoppla-hopp geht.«

»Also habe ich doch noch Chancen, Vater deiner Kinder zu werden?«

»Wenn du mir ausreichend Gelegenheit gibst, den Vater meiner Kinder kennenzulernen, vielleicht!«

*

Professor Tauber starrte ungläubig in den Kasten aus Plexiglas, der einen etwas zu früh zur Welt gekommenen männlichen Säugling umgab. Nicht, dass er das nicht schon oft getan hatte, in seiner Eigenschaft als Kinderarzt.

Diesmal war es allerdings ein besonderes Kind, das er dort ansah. Sein eigenes.

Die Umstände, unter denen es auf die Welt gekommen war, waren ­unglaublich, und erschreckend gewesen. Dem Wachdienst des Olympia-Einkaufszentrums in München war es gelungen, den Attentäter – beziehungsweise in diesem Fall, die Attentäterin – festzunehmen. Das Material der Videoüberwachung ließ keine Zweifel, dass Frau Aglaja Tauber versucht hatte, sich der hochschwangeren Nebenbuhlerin zu entledigen, den Tod der jungen Frau und auch ihres ungeborenen Kindes dabei billigend in Kauf nehmend.

Der Sturz hatte dazu geführt, dass eine starke Blutung eintrat, die Fruchtblase geplatzt war und in der Universitätsfrauenklinik notfallmäßig die Entbindung durch Sectio durchgeführt werden musste. Die Mutter selbst hatte sich bei dem Treppensturz diverse Prellungen, Hämatome, Abschürfungen und Wunden, sowie eine Fraktur des linken Unterarms zugezogen.

Als sie aus der Narkose erwachte, saß ihr künftiger Gatte an ihrem Bett.

»Barbara, Liebste!«

»Richard! Geht es dem Kind gut?«

»Man glaubt nicht, wie zäh Säuglinge sind!« Er lachte. »Ja, es geht ihm gut, auch wenn er zurzeit noch auf der Frühchenstation im Brutkasten überwacht wird. Ich habe hier schon mit den Ärzten gesprochen und darum gebeten, dass man ihn und dich so rasch wie möglich nach St. Bernhard verlegt, schon wegen der Wege. Herr Antretter ist enttäuscht, dass er die Entbindung nicht vornehmen konnte, freut sich aber auf die Nachsorge.«

Es entstand eine kleine Pause. Richard richtete sich kurz auf, beugte sich über Barbara und küsste sie auf die Wangen.

»Du bist genial, Barbara. Ich danke dir von ganzem Herzen für unser Kind. Herzlichen Glückwunsch!«

»Du warst ja nicht ganz unbeteiligt!«

»Aber du hattest die meiste Last!«

Erneut schwiegen beide. Er hielt ihre Hand.

»Warum bin ich eigentlich gestürzt? Ich erinnere mich nicht mehr! Ich weiß nur noch vage, dass ich das Gleichgewicht verloren habe, und dann wurde es dunkel! Ich bin im Krankenwagen einmal aufgewacht, und beim zweiten Mal kurz vor der Narkoseeinleitung!«

»Ich mag es dir gar nicht sagen, aber – meine ehemalige Frau hat dich gestoßen!«

Barbaras Gesicht verzog sich schmerzlich.

»Sie tut mir leid. Hat sie geglaubt, dich so zurückgewinnen zu können? Wie sehr muss sie von Hass zerfressen sein, um das Leben eines unschuldigen Kindes aufs Spiel setzen zu können! – Aua, aua!«

Sie presste die rechte Hand auf den Unterleib.

»Dieser Kaiserschnitt tut wirklich weh!«

»Soll ich nach der Schwester klingeln?«

»Unbedingt. Aua!«

*

Aglaja Tauber wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Richter und Staatsanwaltschaft sahen es als erwiesen an, dass die Tat heimtückisch geplant war.

Kinder und Eltern