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Über die Autorin

Jennifer Marshall Bleakley hätte sich niemals träumen lassen, einmal ein Buch über Pferde zu schreiben – bis sie Joey traf. Als ehemalige Trauerbegleiterin für Kinder und Familien interessierte sie sich für die Arbeit auf Hope Reins, wo sie den blinden Appaloosa kennen- und lieben lernte und beschloss, seine bewegende Geschichte zu Papier zu bringen. Mit ihrem Mann und zwei Kindern lebt sie in Raleigh, North Carolina.

Ich widme dieses Buch meinen Eltern, Bill und Julie Marshall, die davon überzeugt waren, dass ich dies schaffen würde, lange bevor ich selbst daran glauben konnte.

***

Ebenso widme ich es allen, die im Gefängnis der Dunkelheit, der Hoffnungslosigkeit und des Schmerzes sitzen. Ich bete, dass diese Geschichte dazu beiträgt, ihre Augen für kleine Lichtstrahlen und Hoffnungsspuren zu öffnen.

Liebe Leserinnen und Leser,

ich habe Joeys Zeit auf Hope Reins so wirklichkeitsgetreu wie möglich dargestellt, basierend auf Interviews und Erinnerungen von Personen, die mit seiner Rettung, Pflege und seinem Training befasst waren. Einige Namen und Details habe ich verändert, um die Privatsphäre der betreffenden Personen zu wahren. Auch habe ich mir gewisse schriftstellerische Freiheiten herausgenommen, um eine schlüssige Geschichte zu schreiben, und manche Ereignisse und zeitliche Abläufe gekürzt. Während ich dies schreibe, befinden sich noch immer viele der Pferde, die Teil von Joeys Geschichte sind, auf Hope Reins.

Jennifer Marshall Bleakley

***

Von den Tieren draußen kannst du vieles lernen, schau dir doch die Vögel an! Frag nur die Erde und die Fische im Meer; hör, was sie dir sagen!

Hiob 12,7–8

PROLOG

Es regnete in Strömen, als Penny auf den langen Schotterweg einbog, den sie mit der benachbarten Pferdefarm teilte. Sie hatte zwei Monate fern von ihrer Heimat Virginia in Florida verbracht, um ihre sterbende Mutter zu pflegen, und der Anblick der weitläufigen grünen Weide war eine wohltuende Begrüßung für sie. Als sie über den Schotter fuhr, erblickte sie plötzlich eine Gruppe von Pferden.

Wie seltsam, dachte sie. Was machen die Pferde bei diesem Unwetter draußen? Sie fuhr langsamer und lehnte sich vor, bemüht, durch den dichten Regenschleier zu sehen. Plötzlich riss sie die Augen auf.

„Ach du meine Güte!“, keuchte sie. Sie bremste scharf, wendete rasch ihren Pick-up und fuhr geradewegs auf den privaten Zufahrtsweg der Farm, das „Durchfahrt verboten“-Schild kurzerhand ignorierend.

Sie öffnete das Metallgatter und stapfte durch den Matsch und die Jauche auf die Pferdeherde zu. Als sie sich den Pferden bis auf wenige Meter genähert hatte, blieb sie abrupt stehen. Die Tiere waren vollkommen ausgemergelt, einige konnten kaum noch aufrecht stehen. Neben ihnen, unter einer alten Eiche, lagen zwei bewegungslose Pferde. Ihre Mähnen waren vom Matsch verfilzt und ihre Flanken auf groteske Weise eingefallen. Penny spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte.

Was ist hier los?

Sie stellte sich zum Schutz vor dem Regen unter den Baum, holte ihr Handy hervor und wählte den Notruf.

„Notrufzentrale, was kann ich für Sie tun?“

„Ich rufe von der Nash Farm in Powhatan County nahe dem US-Highway 60 an“, begann Penny mit zitternder Stimme zu sprechen. „Hier sind mehrere stark ausgezehrte Pferde auf der Weide, einige scheinen bereits verendet zu sein.“

„Wie viele tote Pferde sind es?“, fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung in sachlichem Ton.

„Mindestens zwei“, erwiderte sie, während sie über die Weide blickte. Ihr Blick blieb an den Ställen in der Ferne haften.

„In Ordnung, Madam, in Kürze wird jemand von der Polizei und der Tierrettung bei Ihnen sein.“

Penny bedankte sich und stopfte ihr Handy in ihre Jackentasche, bevor sie auf die Ställe zuging. „Bitte, Gott, lass mich dort drüben keine weiteren kranken oder toten Pferde finden“, betete sie.

Kalter Regen rann über ihr Gesicht, während sie ihre Beine zwang, sie bis zu den Ställen zu tragen, die oben auf einem sanften Hügel standen. Daneben befand sich das ranchartige Farmhaus. Einer der Fensterläden hing schief in den Angeln und der untere Teil eines Fensters war zugenagelt.

Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie den Eigentümer zuletzt gesehen hatte. Es war ein Mann, der es sich zum Hobby gemacht hatte, Pferde zu sammeln, in der Hoffnung, sie mit Gewinn verkaufen zu können.

Ist er es leid geworden und fortgegangen? Ihre Gedanken wanderten zu den toten und sterbenden Pferden zurück. Wie um Himmels willen kann man so etwas tun?

Sie hüllte sich noch fester in ihre Regenjacke und beschleunigte ihre Schritte. In ihrem Magen spürte sie einen brennenden Knoten. Nie zuvor hatte sie eine solche Wut verspürt. Als sie sich den Ställen näherte, sah sie die verstreut herumstehenden, leeren Futtertröge. Es war November, das Gras war fast komplett abgegrast. Wann haben diese armen Tiere wohl zum letzten Mal etwas zu fressen bekommen?

Als sie schließlich die vier Holzställe erreichte, atmete sie tief ein und zwang sich, ins Innere zu schauen. Sie waren alle leer. Gott sei Dank, atmete sie auf. Doch dann, als sie gerade umkehren wollte, sah sie einen Huf aus dem letzten Stall ragen.

„Nein, nein, nein …“, flehte sie, während sie zu dem am Boden liegenden Pferd rannte.

Sie kniete sich nieder, Matsch und Pferdemist drangen durch ihre Jeans. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie den vertrauten blonden Schweif des Pferdes erblickte, das sie früher so gern von der anderen Seite des Zauns aus bewundert hatte. Sein freundliches Wesen hatte sie an ein Pferd erinnert, das sie als Kind geritten hatte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie behutsam die Flanke des Tiers berührte. Die Rippen malten sich deutlich unter der Haut ab. Schnell zog sie ihre Hand zurück. Der Regen fiel nun noch dichter, und schlammige Rinnsale flossen über den Körper des Pferdes, sodass hier und da das schwarz-weiß gescheckte Fell zu sehen war, das unter einer dicken Schmutzschicht verborgen war.

Drei tote Tiere, klagte sie.

Die Stille wurde vom Zuschlagen des vorderen Gatters durchbrochen. Die Vertreter der Behörden waren eingetroffen. Penny stand auf und ging über die Weide zurück, um sie in Empfang zu nehmen. Sie war von Kopf bis Fuß durchnässt und roch nach Mist, aber das kümmerte sie nicht.

Mitarbeiter der Tierrettung hatten bereits damit begonnen, die entkräfteten Pferde auf Anhänger zu führen, während andere Gerätschaften entluden, um die toten Tiere zu transportieren. Penny stand zitternd im Regen und beantwortete die Fragen des Sheriffs, als ein Schrei die von Wehmut erfüllte Stille zerriss. „Hey! Dieses hier lebt noch!“

Penny lief zurück zu den Stallungen, wo ein Mitarbeiter der Tierrettung seine Hand vor die Nüstern des am Boden liegenden Pferdes hielt.

„Sind Sie sicher?“, fragte sie hoffnungsvoll.

Der junge Mann sah zu ihr hoch und lächelte. Rinnsale tropften von seiner blauen Kappe.

„Ja. Ich spüre den Atem durch die Nüstern und ich kann einen schwachen Herzschlag fühlen.“

„Oh, Gott sei Dank!“, rief sie und kämpfte gegen die aufkommenden Tränen.

„Madam, kennen Sie den Eigentümer der Farm?“, fragte der Sheriff.

Penny hörte die Frage, doch sie konnte die Augen nicht von dem Pferd abwenden. Es atmete! Die wundervolle Kreatur lebte noch!

„Madam?“ Der Sheriff sah Penny an und versuchte es erneut. „Kennen Sie dieses Pferd?“

Zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde ließ sich Penny neben dem Tier auf die Knie fallen.

„Ja, ich kenne es“, sagte sie und berührte sachte das Gesicht des Pferdes, das sie vermutlich nie wiedersehen würde. „Sein Name ist Joey.“

KAPITEL 1

Kim Tschirret fragte sich, ob sie das Richtige tat. Nervös ballte sie die Hände in ihren Jackentaschen zu Fäusten und kaute auf ihrer Unterlippe, während sie in der Scheune wartete.

„Ich bin so aufgeregt“, flüsterte sie ihrer Freundin Barb Foulkrod zu, die sich großzügig bereit erklärt hatte, frühmorgens von North Carolina nach Virginia zu fahren, um mit ihr zusammen das Pferd abzuholen, von dem Kim pausenlos erzählte. Als sie ankamen, wurden sie von Tom Comer, dem Eigentümer der weitläufigen Farm, warmherzig begrüßt. Tom hatte eigene Pferde, hielt aber auch einige bedürftige Pferde für die Pferderettungsgesellschaft in Pflege.

Barb legte beschwichtigend eine Hand auf Kims Rücken. Sie und Kim – beide Anfang vierzig und beide mit einer langen blonden Ponyfrisur – hätten Schwestern sein können.

„Vertrau deinem Bauchgefühl, Kim“, flüsterte sie zurück.

Vertrauen. Aus Barbs Mund klang das so einfach.

Theoretisch gesehen gab es keinen Grund, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob sie einem vor Kurzem geretteten Pferd ein dauerhaftes Zuhause bieten wollte. Schließlich benötigte die Pferdetherapie-Ranch, die Kim in Raleigh betrieb, neue Pferde. Aber dieses Pferd? Vielleicht war sie doch zu voreilig gewesen.

Als sich die Stalltür öffnete, kam das trotz seiner Magerkeit schönste Pferd heraus, das Kim je gesehen hatte. Sie hielt den Atem an. Es war wundervoll. Es hielt den Kopf hoch. Eine cremeweiße Mähne wehte in der leichten Brise. Es sah majestätisch aus.

„Oh Mann …“, flüsterte sie.

Sie hatte schon früher Appaloosas gesehen. Tatsächlich wartete voller Ungeduld ein weiteres Pferd dieser Rasse in dem gemieteten Pferdeanhänger, den sie in der Auffahrt geparkt hatte. Sie hatte diese Rasse von jeher geliebt – mit ihrem reich gesprenkelten Fell, der getüpfelten Nase, den menschenähnlichen Augen. Doch nie zuvor hatte sie ein solches Prachtexemplar gesehen. Es war ein Leopard-Appaloosa, sein weißes Fell war mit Hunderten schwarzer Flecken gesprenkelt. Der vordere Teil seines Körpers war mit kleinen, eng zusammenliegenden Sprenkeln übersät, während der Rücken mit größeren Flecken verziert war. Kim musste an das Fell eines Dalmatiners denken.

„Nun, hier ist er“, sagte Tom. „Das ist Joey.“

Kim und Barb kamen langsam näher und Kim hielt ihre Hand als freundliche Begrüßungsgeste unter die Nüstern des Pferdes. „Hi, Joey. Schön, dich kennenzulernen.“

Der Appaloosa sog ihren Geruch ein, dann blies er begrüßend durch die Nüstern. Seine schwarz-rosa Lippen versuchten, versteckte Leckerbissen in ihrer geschlossenen Faust aufzuspüren. Kim hob ihre Hand höher, um die kräftige Backe zu streicheln, wobei ihr Zeigefinger auf mehreren unterschiedlich großen Sprenkeln verweilte – ein großer Tupfer mit einem tiefschwarzen Zentrum wurde von einem helleren Ring umgeben, ein mittelgroßer Fleck hatte die Form einer Birne, und dann waren da noch mehrere kleine Tupfer, die ineinander übergingen und das weiße Fell an dieser Stelle grau erscheinen ließen.

„Wie schön du bist!“, sagte sie und kam noch näher.

Joey senkte den Kopf, seine Backe streifte flüchtig ihre Wange. Kim atmete tief ein. Beinahe andächtig genoss sie die Berührung, den Augenblick. Frau und Pferd standen einige Herzschläge lang zusammen, bevor Joey den Kopf senkte und nach einem Büschel Gras suchte.

„Tom, vielen Dank, dass du an uns gedacht hast“, sagte Kim. „Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob wir für diese Herausforderung bereit sind – aber irgendetwas an diesem Burschen hier berührt mich zutiefst.“

Tom nickte. „Vertrau mir, es geht mir genauso. Der Junge ist etwas Besonderes, da gibt es keinen Zweifel. Aber ich muss gestehen, dass ihr meine siebte Anlaufstelle wart, als ich an jenem Tag telefonierte. Ich hatte alle meine Kontakte angerufen, aber niemand wollte ihn. Zu viel Arbeit, so hieß es.“

Kim spürte Angst hochkommen. Was würde zu viel Arbeit sein? Seit dem ersten Anruf hatte sie mehrmals mit Tom gesprochen und ihm zahllose Fragen über Joeys Pflege gestellt. Aber hatte sie überhaupt begriffen, auf was sie sich da einließ? Wahrscheinlich nicht. Und doch brauchte sie Joey nur anzuschauen, um zu wissen, dass sie nicht ohne ihn gehen würde.

„Ganz ehrlich – ich habe darüber nachgedacht, ihn einfach hierzubehalten“, fuhr Tom fort. „Ich meine, wir haben ja genug Platz.“ Er wies auf die großen Stallungen und Weiden hinter sich. „Aber nachdem ich ihn zusammen mit meinen Kindern gesehen habe und erkannte, wozu er fähig ist, da wusste ich, dass er an einen Platz gehört, wo er etwas bewirken kann. Als mein Freund Eddie mir von eurer Ranch erzählte, war mir klar, dass sie der richtige Platz für Joey ist.“

Kim hatte wochenlang wegen dieses Pferdes gebetet und Gott gefragt, ob sie die richtige Entscheidung für Hope Reins – die Pferdetherapie-Ranch, die sie ein Jahr zuvor gegründet hatte – traf. Nun, im Februar 2011, hatten sie bereits acht Pferde und drei Dutzend ehrenamtliche Helfer. Als Tom sie ganz plötzlich anrief und ihr von Joey erzählte, erklärte sie sich bereit, ihn aufzunehmen, ohne ihn vorher gesehen zu haben – das hatte sie nie zuvor getan!

Jedes der anderen Pferde auf Hope Reins war sorgfältig ausgesucht worden. Tagelang wurden potenzielle Kandidaten beobachtet und vom Mitarbeiterteam diskutiert, manchmal dauerte diese Prozedur sogar Wochen oder Monate. Erst dann durften sie zur Herde stoßen. Es war eine einzigartige Gruppe von Pferden, die ausnahmslos aus schwierigen Verhältnissen gerettet worden waren. Unzählige Forschungsstunden wie auch persönliche Erfahrung hatten in Kim die Überzeugung gefestigt, dass oft eine tiefe, besondere Bindung entstand, wenn seelisch verletzte Kinder mit Pferden arbeiteten, die selbst Schmerz oder Misshandlung erlebt hatten.

Die Ranch war darauf ausgelegt, Pferde mit seelisch verletzten Kindern zusammenzubringen, und so musste Kim sichergehen, dass ein Pferd gut mit Kindern arbeitete, bevor sie sich entschied, es aufzunehmen. Nicht jedes Pferd genügte ihren Ansprüchen.

In den vergangenen Monaten hatte Kim mehrere Pferde abgelehnt, weil sie nicht über den für die Einzeltherapie mit Kindern erforderlichen Charakter verfügten. Wenn ein Pferd aggressiv oder zu ängstlich war oder mehr Zuwendung benötigte, als Kim und ihre Helfer aufbringen konnten, dann wurde es nicht aufgenommen. Es brach ihr jedes Mal das Herz, ein Pferd abzulehnen, doch sie musste an das Wohlergehen der Kinder denken. Sie konnte es sich nicht leisten, ein Pferd aus einer Laune heraus anzunehmen.

Als Tom anrief und erzählte, dass sein Fünfjähriger Joey ohne Sattel ritt, war Kim sofort bereit, ihn aufzunehmen. Dennoch hatte der Appaloosa Bedürfnisse, die dem Vorstand von Hope Reins Sorgen bereiteten. Wer würde es ihnen verdenken?, dachte Kim. Es kam nicht alle Tage vor, dass man sich um ein blindes Pferd kümmern musste.

Blind.

Dieses Wort hatte Kim natürlich zu denken gegeben. Doch Joey brauchte ein Zuhause, und aus Gründen, die sie nicht benennen konnte, war sie tief in ihrem Innern davon überzeugt, dass Hope Reins Joey brauchte. Und so hatte sie bereitwillig zugestimmt, ihn aufzunehmen, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie sie die 3.000 Dollar aufbringen sollten, die jährlich für seine Grundversorgung erforderlich waren.

Joeys Kopf verweilte über einem Grasbüschel, seine Lippen knabberten an einzelnen Halmen. Barb und Kim hörten sich Toms Geschichte mit Joey an. „Also ist Joey erst seit zwei Monaten bei euch?“, fragte Barb.

„Genau. Anfangs brauchte er sehr viel Zuwendung und Pflege“, sagte Tom, während er nachdenklich über Joeys Rücken strich. „Zuerst wurde er auf der Ranch von einer Tierärztin versorgt, die Pferde in Pflege hält. Sie schaffte es, dass er wieder ein wenig mehr Fleisch auf die Rippen bekam. Sie war auch diejenige, die erkannte, dass er blind ist.“

„Ist die Blindheit auf die Mangelernährung zurückzuführen?“

Tom zuckte die Schultern. „Das kann man nicht mit Sicherheit sagen. Die Tierärztin meinte, diese Rasse sei für Augenkrankheiten anfällig – Grauer Star und Mondblindheit und solche Dinge. Sie hat beides bei Joey diagnostiziert.“

Kim sah in Joeys mandelförmige Augen. Er sah nicht anders aus als andere Pferde. Seine Augen waren nicht verhangen oder fixierten einen Punkt in der Ferne. Stattdessen schien sein Blick den ihren zu treffen. Doch Kim wusste, dass der äußere Anschein oft trügt. Manche Narben sind unsichtbar.

„Als wir letztes Mal miteinander sprachen, hast du erwähnt, Joey sei ein Champion-Springpferd gewesen. Kannst du mir mehr dazu erzählen?“ Kim war begierig, so viel wie möglich über ihren neuen Schützling zu erfahren.

Joey ging ein paar Schritte vorwärts, um sich einem neuen Grasbüschel zuzuwenden, während Tom Kim und Barb alles erzählte, was er über Joeys Geschichte wusste. Ein Freund hatte Joey Jahre zuvor als talentiertes Springpferd und preisgekröntes Dressurpferd gesehen, und Tom erinnerte sich, dass Joey und sein Reiter auf dem besten Weg gewesen waren, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Doch dann erlitt das Pferd eine Verletzung, die seiner Karriere ein Ende machte. Joey wurde schließlich an eine Frau und ihre Tochter verkauft, die ihn im Stall des Freundes unterstellten.

Tom griff in seine Jackentasche und holte eine Möhre hervor. Er schnalzte mit der Zunge. Joey hob seinen breiten Kopf und nahm behutsam die angebotene Leckerei aus seiner Hand.

„Nach einigen Jahren ließ sich die Frau scheiden und musste Joey verkaufen. Wenig später landete er bei jenem Pferdesammler. Mehr weiß ich nicht.“

Kim hätte am liebsten den ganzen Tag lang Geschichten über Joey gehört, doch sie hatten noch eine dreistündige Fahrt vor sich und sie wollte die neuen Pferde vor Einbruch der Dunkelheit ausladen.

Vor allem wünschte sie sich mehr Zeit, um mit Tom über die tägliche Versorgung des Pferdes zu sprechen. Er hatte ihr am Telefon einige hilfreiche Tipps gegeben, darunter den Vorschlag, Joey so bald wie möglich ein anderes Pferd als Gefährten zur Seite zu stellen, die Heu- und Wassertröge nahe am Zaun zu platzieren, damit er nicht in sie hineinlief, und mit ihm die Weide abzuschreiten. Doch würde das reichen?

Kim holte tief Luft. „Wir sind dir unendlich dankbar für alles, was du für Joey getan hast. Wir würden uns freuen, wenn du uns ab und zu auf Hope Reins besuchen kommst.“

„Ja, das wäre schön“, sagte Tom und legte den Führstrick in Kims Hand, bevor er Joey ein letztes Mal zwischen den Ohren kraulte. „Er gehört dir.“

Eine Welle der Panik stieg in Kim auf. Die Zweifel waren so stark, dass sie beinahe den Führstrick losgelassen hätte. Barb spürte ihre Verunsicherung und legte ihrer Freundin einen Arm um die Schultern. Ja, dachte Kim, ich schaffe das.

Als sie sich dem Pferdeanhänger näherten, hörten sie das Stampfen von Hufen und ein lautes, aufgeregtes Wiehern aus dem Innern des Anhängers, sodass sie abrupt stehen blieben. Joeys Ohren waren gespitzt, als ob er fragte: Was ist das denn?

„Das ist Speckles“, erklärte Kim. „Er ist auch ein Appaloosa und scheint im Moment nicht so ganz zufrieden zu sein. Aber ich denke, das wird sich geben, wenn wir erst unterwegs sind.“ Jedenfalls hoffe ich das. Tatsächlich war Speckles vom ersten Augenblick an, als Barb und sie ihn abgeholt hatten, schwierig gewesen. Sie hoffte, dass sie mit ihm keine falsche Entscheidung getroffen hatte.

Als Joey sicher im Anhänger stand und die beiden Pferde einander beschnupperten, tätschelte Tom noch einmal Joeys Hinterteil.

„Okay, Joey, an die Arbeit. Du wirst das gut machen!“

Ja, dachte Kim, als die Farm aus ihrem Blickfeld verschwand, Joey hat eine besondere Geschichte.

Wie gut, dass sie nicht zu früh geendet hatte.