Renée Bonanomi | Katarina Michel

Heilung geschieht im Bewusstsein

Renée Bonanomi

Katarina Michel

HEILUNG

geschieht

im BEWUSSTSEIN



Inhalt

Einleitung

1Das Persönlichkeitsbewusstsein

2 Das innere Potenzial erwecken

3 Vom Ich zum Selbst

4 Liebe und Bewusstsein

5 Heilendes Bewusstsein

Die Autoren:

EINLEITUNG

Als sich Renée Bonanomi Ende des Jahres 2014 dazu entschied, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, war das für viele ihrer Freunde und Klienten eine Überraschung; denn ihre Dynamik, Klarheit und Weisheit sowie ihre innere Kraft schienen unerschöpflich zu sein. Diese Qualitäten übertrugen sich zumeist übergangslos auf jene, die mit ihr durch Seminare, Meditationskurse oder Behandlungen in Kontakt kamen. Doch genau diese innere Klarheit war es auch, die sie zu dieser Entscheidung führte – nach dreißig aktiven Jahren nunmehr ihre Aufmerksamkeit vollkommen dem inneren Leben zu widmen. Für viele brachte Renées Entscheidung eine gewisse Leere mit sich. Die bekannte „Mittwoch-Meditationsgruppe“ in Schönbühl bei Bern hatte sich jahrelang regelmäßig getroffen und war in gewissem Sinne eine kleine Sicherheit für alle Suchenden (oder Findenden). Ein Mittwoch in Schönbühl war immer ein Tag der besonderen Begegnungen – häufig mit sich selbst.

Diese Verbindung auf der äußeren Ebene besteht nun nicht mehr; doch die innere Verbundenheit wird bleiben und Bestand haben! Renée ist über die Seelenverwandtschaft und über ihre Bücher weiterhin erreichbar, wie aus vielen Erfahrungsberichten deutlich wird.

„Wer mich sucht, findet mich über die Liebe“, sagte Renée in einem ihrer letzten Seminare. Auch wenn das für manch einen, der Renée nicht persönlich kennen lernen konnte, leicht esoterisch klingen mag: Diese Aussage entspringt einer grundlegenden Wahrheit und ist in der Tiefe sehr einfach. Sie fordert eine geistige Auseinandersetzung darüber, was sie im Kern bedeutet. Was ist damit gemeint, eine Suche über die Liebe zu beginnen?

Neugier ist eine starke Antriebskraft für inneres Wachstum. Neugier begleitet uns bei der Lektüre eines Buches, wenn wir in eine andere Welt versunken sind, in der wir uns selbst neu finden und erleben. Was für ein herrliches Gefühl! Wenn sich Neugier, geistige Offenheit und Liebe verbinden, dann entsteht eine Leidenschaft für das Erkennen.

Als Renée und ich in den letzten vier Jahren an zwei Büchern über Heilung gearbeitet haben, gefolgt von vielen wunderschönen Briefen unserer Leserinnen und Leser, hatten wir eigentlich angenommen, dass das Thema Heilung von unserer Seite her ausgeschöpft war. Bis durch einen kurzen Satz von Renée erneut dieses Urgefühl der „Neugier zum Verstehen“ in mir geweckt wurde: „Die wahre Heilung kann nur durch das Bewusstsein kommen“, so sagte sie eines Tages. In dieser radikalen, fast provokanten Aussage liegt eine tiefe Weisheit verborgen. Dieser Satz hat mir keine Ruhe mehr gelassen. Ich wollte wirklich verstehen, wirklich wissen, was es für einen Menschen, für die Bewältigung des Alltags, für das Leben bedeutet, wenn die wahre Heilung ausschließlich durch das Bewusstsein kommt.

Renée ist eine ungemein lebendige Lehrerin. Sie verfügt über eine ausdrucksstarke, meist sehr bildhafte Sprache. Diese Sprachbilder auf wenigen Seiten zu komprimieren und in ihrer Essenz wiederzugeben, stellte eine große Herausforderung dar. Manche Passagen mögen auf den ersten Blick etwas ‚theoretisch‘ wirken, doch es lohnt ungemein, sich diese ‚Theorie‘ aufmerksam zu erarbeiten. Der Weg, den Renée hin zu einem „heilenden Bewusstsein“ aufzeigt, lässt sich nur beschreiten, wenn man gewisse psychologische Grundbausteine des Menschseins verstanden hat.

In den „Im Gespräch“ überschriebenen Passagen kommt dann wieder Renées Temperament im lebendigen Dialog zum Vorschein. Diese Gespräche waren immer charakterisiert durch ihre vor Lebenskraft pulsierende Präsenz, ihren herrlichen Humor und ihre einzigartige Lebensweisheit. So zeichnen die beiden Text-Blöcke ein relativ umfassendes Portrait ihrer vielfältigen Persönlichkeit.

Die Menschheit feiert im 21. Jahrhundert einerseits unglaubliche medizinische (meist technische) Fortschritte, andererseits öffnet sie sich wie nie zuvor für neue Heilungsmethoden, die ebenso alternativ wie effektiv sind. Viele von ihnen schöpfen aus den unterschiedlichsten Kräften der Natur; doch eine KRAFT scheint noch weitgehend unerkannt und fast mysteriös zu sein – das wahre eigene ICH, das erwachte Bewusstsein des Einzelnen! Auch im 21. Jahrhundert steht die menschliche Einsicht erst am Anfang der Erkenntnis der wahren Tiefe des BEWUSSTSEINS. Das Wort als solches ist zwar bekannt, doch jeder hat eine eigene Vorstellung von seinem Inhalt und seiner vollen Bedeutung. Was meint bewusstes SEIN?

Ich denke, jeder ahnt tief in sich, dass sein „ICH“ oder sein wahres „SELBST“ mehr ist als nur das, was man im Alltag als Ego oder als Person bezeichnet. Es geht also um etwas Tieferes, Substanzielleres – um das WESEN des Menschen.

„Wir leben jetzt in einer Zeit, wo der Mensch allmählich seine neue Form, seine feinstoffliche Form entdeckt. Diese Form bindet nicht mehr im Äußeren und ist ohne Schuld und Fehler, weil sie die vollkommene Liebe ist“, ließ mich Renée während eines unserer vielen Gespräche wissen. „Wir lernen schrittweise, uns vollkommen bewusst zu sein. Wir erkennen immer deutlicher, dass in unserem Leben nie etwas ohne Sinn geschieht. Es ereignet sich nichts, ohne dass wir daraus lernen könnten. Auch das Wort Schicksal bedeutet, dass man stets etwas zu lernen hat. Lernen, um zu erkennen und Bewusstsein zu entwickeln. Es ist ein Entwicklungssprung, den wir gerade durchleben.“

Ist es vielleicht so, dass die von vielen Seiten vorhergesagte Veränderung in der menschlichen Evolution nicht, wie bis jetzt immer erwartet, von außen kommt, sondern in Wahrheit im Inneren stattfindet? Allein durch das Erkennen. Allein im Bewusstsein!

Welche Lebensaufgabe wartet auf den Menschen in der Zukunft? Was wird seine Bestimmung sein? Welche Gesellschaftsformen werden sich herauskristallisieren, wenn der Mensch nicht mehr vorrangig nach außen orientiert und an Erwartungen gebunden ist, sondern wenn er durch sein inneres Wachstum und seine immer stärker ausgeprägte Freiheit selbst entscheiden kann, was für ihn wichtig ist? Eine alte Utopie oder eine neue Vision?

Viele neue Fragen treten auf, wenn man sich auf diesen Entwicklungssprung in der Bewusstseinsumwandlung einlässt und sich zugesteht, dass dieser Prozess unendlich ist. Es kann sogar heilsam und beruhigend wirken, zu wissen, dass man sich an bestimmte gesellschaftliche oder konfessionelle Vorgaben nicht mehr zu halten hat. So entwickelt der Einzelne in seiner täglichen Sinnsuche eine neue Freiheit und Ungebundenheit. Nur wenn man sich in dieser Freiheit auf den WEG macht, kann man auch an sein ganz persönliches ZIEL gelangen!

Über Jahrzehnte hinweg hat Renée durch ihre Arbeit im Bereich der Heilung Menschen dazu geführt zu verstehen, was ein „wahres Ich“ ist: Ein ICH, das sich kennt und sich liebt. Ein ICH, das nicht auf ein DU fixiert ist, sondern durch das Erkennen des „Ich bin“ einen Sinn in allem findet und zu einer neuen, feinstofflicheren Form heranwächst, zu einem erwachten Bewusstsein. Das ist der wahre Weg der Heilung.

Auch wenn es für die Zukunft verschiedene Prognosen und Analysen gibt, ist die Essenz einfach und unverrückbar: Die Zukunft ist das, was im Jetzt gelebt wird. Aus der Perspektive eines erwachten Ichs, eines bewussten „Ich bin“, hat die Zukunft eine andere Qualität. Sie ist nicht mehr ein fernes Ziel, ein Anhaltspunkt in der Unendlichkeit, sondern sie ist ein Teil der Ewigkeit. In dieser Erkenntnis liegt ein immenser qualitativer Unterschied!

Wir sind als Menschheit gerade dabei, die Ewigkeit in uns zu entdecken. Daher lautet die zentrale Botschaft von Renée Bonanomi: „Erweckt das Ewige, das unvergängliche Wissen und die unsterbliche Liebe in jedem von euch!“

Katarina Michel

1

Das Persönlichkeitsbewusstsein

Das erwachte Bewusstsein durchdringt alles. Es ist im Verborgenen stets vorhanden, unabhängig davon, ob der Mensch es in seinem Erdendasein entfaltet hat und damit einen Zugang zu seiner wahren Größe besitzt.

Was wir Bewusstsein nennen, wird im Alltag nur fragmentarisch genutzt. Der eine kann mehr Fragmente zu einer Einheit zusammensetzen, der andere weniger. Dabei macht die Gehirnkapazität nur einen kleinen Teil des Bewusstseins aus. Auch davon nutzt der Mensch, laut der modernen Gehirnforschung, nur etwa ein Zehntel. Der Rest ist noch unentwickelt und wird daher nicht genutzt, da für das reine Überleben ein Bruchteil schon ausreicht. Gerade die westliche Luxusgesellschaft kann der Ausgangspunkt sein für eine neue „Geisteswissenschaft“, die versucht, das umfassende, ganzheitliche Bewusstsein zu erschließen; denn der materielle Überfluss ist natürlich in keiner Weise mit Vollkommenheit oder wirklicher FÜLLE gleichzusetzen.

Das vollkommene Bewusstsein ist ewig existent, doch um es zu erkennen, muss der Mensch aufwachen. Die Suche nach dem Selbst, ein religiöses Streben, das sich durch Rückbindung definiert, ist der Weg vom Nicht-Wissen hin zu wahrer Weisheit. Jede Erkenntnis ist ein Fragment des großen Ganzen.

Ein wichtiges Fragment dieser Suche nach dem erwachten Bewusstsein ist das Ego. Es kennt sich noch nicht, reflektiert nicht sich selbst und ist geprägt durch das starke Bedürfnis, sich an etwas oder jemanden zu binden. Es benötigt die äußere Welt für seine Existenz, für sein Überleben. Das Ego ist an Gewohnheiten, Traditionen und Strukturen gebunden. Um sich selbst zu spüren, sucht es nach einem „Du“. Dadurch erlangt es Sicherheit, die ihm das Überleben erleichtert. Eine Stärke des Egos ist das Äußern seiner Wünsche! Der geistig schlafende Mensch unternimmt alles, damit diese erfüllt werden.

„Ich wünsche mir, dass du endlich kapierst, wie wichtig es ist, unseren Familienbetrieb weiterzuführen und die Familientradition nicht zu verraten!“ Das bekam ein junger Mann einmal von seinem Vater zu hören. Er hatte die Arbeit seines Vaters immer geschätzt, wollte selber jedoch lieber Biochemiker statt Maschinenbau-Ingenieur sein. Er verfolgte dann aber nicht seine eigenen Ziele, sondern ordnete sich der „Tradition“ unter. Auf gleiche Weise übte der Vater sein dominantes Verhalten auch dem anderen Sohn gegenüber aus. Was seiner Meinung nach nicht mit der Familientradition übereinstimmte, ließ er nicht durchgehen. Durch diese diktatorische Vorgehensweise erreichte er, was er wollte. Beide Söhne traten in seine Fußstapfen und führten das Familienunternehmen weiter. Dies ging so lange gut, bis es zu einem Konflikt zwischen den beiden kam, der die ganze Entwicklung der Firma, wie sie sich der Vater vorgestellt hatte, in große Schwierigkeiten stürzte. Durch diesen Konflikt brachen die wahren eigenen Interessen der Söhne hervor, und ihre echte Lebenseinstellung war gefragt. Nach der Tradition zu handeln, brachte die Firma und die Männer an diesem Punkt nicht weiter. Sie zerstritten sich. Für den Vater war es schwer, sich das mit anzuschauen. Er konnte diesen Konflikt der Söhne nicht ertragen und erlitt einen Herzinfarkt. Erst dadurch erkannte er, wie streng er gelebt und gehandelt und wie dominant er seine Vorstellungen und Erwartungen in den Vordergrund gestellt hatte, ohne hinzuschauen, ob diese überhaupt mit dem wahren Leben übereinstimmten. Die Frage nach dem, was im Leben wirklich zählt, stellte er sich ernsthaft erstmals in seiner Genesungsphase. Dies war der Beginn eines umfassenden Heilungsprozesses für alle Beteiligten.

Alltägliche Pflichten bedeuten das Erfüllen von Aufgaben und Ansprüchen: „Ich muss dieses und jenes erledigen, damit die Aufgabe (und der damit verbundene Anspruch an mich) erfüllt ist!“ Genauso verhält es sich mit der Forderung: „Wenn du nicht dieses und jenes erledigst, bin ich unzufrieden!“ Ist dieses Prinzip von Ursache-Wirkung nicht vielleicht eine große Illusion? Zweifelsfrei, aber dennoch scheint es ein Teil des nötigen Prozesses für die Evolution des menschlichen Geistes zu sein. Das Äußere ist der Spiegel zur Erkenntnis. Jeder Spiegel ist allerdings auch nur ein Fragment. Dabei ist es bedeutsam, sich zu überlegen, aus welchem Grund man wie handelt. Jede Handlung entspringt einem Anlass oder einem Motiv. Jede Rolle, die man übernimmt, hat eine Ursache und basiert auf gesellschaftlichen Normen. Man lebt und spielt diese Rolle, weil man sich dadurch Bedürfnisse erfüllt. Man muss einer Arbeit nachgehen, um Geld zu verdienen. Man sucht nach Liebe, um sich nicht einsam zu fühlen. Man hofft auf Anerkennung, um sich so Bestätigung zu holen. Die eigenen Qualitäten entfalten sich auf dieser Entwicklungsstufe noch nicht durch einen selbst, sondern beruhen allein auf äußeren Vorgaben. Diese Anfangsphase ist gekennzeichnet durch das: „Ich brauche!“

Diese Entwicklungsstufe ist ein Teil des Weges zum „ICH BIN!“ Das innere Unerkannte wird nach und nach erkannt durch das Äußere. Man erkennt sich in einem „Du“ durch soziale Bindungen und alltägliche Aufgaben. Das Ich ist fasziniert von der äußeren Welt, von einem Du. Das jedoch spiegelt nur die Wirklichkeit, und das Ich erkennt noch nicht, dass in Wahrheit nur eine Spiegelung vorliegt. Das Ich entdeckt zwar etwas von sich durch diese Spiegelung, glaubt aber, dass die Spiegelung schon das große Ganze sei. Dabei ist die Spiegelung nur ein Fragment des erwachten Bewusstseins.

Das Ego findet solche Spiegelungen auch in den sozialen Medien. Um sich selbst zu spüren, um sich angenommen und geliebt zu fühlen, und um das eigene Selbstwertgefühl zu steigern, machen Menschen die verschiedensten privaten Bilder und Berichte der Öffentlichkeit auf Internet-Plattformen zugänglich. Das ist ein wichtiges Spiel für das Ego, wenn es im Innersten seine Existenz noch nicht erkannt hat. Diese fehlende Erkenntnis spiegelt dem Ego die Umgebung, in diesem Fall in Form des Social-Media-Lebens. Dadurch kommt dem Internet und den in ihm agierenden Kommunikationsformen nicht nur die Aufgabe zu, Informationen auszutauschen und weiterzugeben, sondern es dient auf wundersame Weise auch dem Ego auf seinem Weg zur Selbsterkenntnis. Es ist ein wichtiger individueller Prozess jedes Einzelnen, schrittweise zu erkennen, dass er sein Selbstwertgefühl nicht über sogenannte Facebook- „Freunde“ entwickeln kann.

Im Beziehungsfeld finden sich viele typische Beispiele für eine Spiegelung zwischen dem noch nicht wissenden Ich und der Projektionsfläche „Du“. In jedem von uns lebt das starke Bedürfnis nach Liebe, Anerkennung und Geborgenheit. Dieses Bedürfnis soll das „Du“ erfüllen. Dabei lebt die Liebe in jedem. Sie wird jedoch auf dieser Entwicklungsstufe noch nicht erkannt. Deshalb gibt diese Liebe den Befehl, sich nach außen zu binden, weil sie das Bedürfnis hat, ihr Wesen auszuleben. Dadurch wird diese Liebe egoistisch. Sie verwirklicht nicht ihr wahres Wesen, sondern sie will äußerlich durch ein „Du“ erfüllt werden. Das ist ein natürlicher sozialer Prozess. Eine Bindung ist vonnöten, um eine Persönlichkeitsentwicklung herbeizuführen.

Am Anfang einer Beziehung ist der Partner eine wichtige Identifikationsperson. Man tut gerne alles, was der andere will, um Harmonie, Ruhe und Nähe zu bewahren. Nicht selten findet man sich dadurch in Situationen wieder, die man von sich aus nicht wählen würde. Man stellt sich diesen nur des Partners wegen.

Das Beispiel von Luis mag das verdeutlichen. Luis hatte ein starkes Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit und Stabilität in der Partnerschaft. Dreimal war er enttäuscht worden, trotzdem wollte er es weiter versuchen. Sein Bedürfnis war stark und hatte ihn dazu motiviert, trotz der früheren negativen Erfahrungen weiter auf die Suche zu gehen. Als er Anne kennenlernte, war er begeistert und ganz sicher, endlich die Richtige gefunden zu haben. Er glaubte, mit seinen nun zweiundvierzig Jahren endlich reif genug für eine normale, stabile Partnerschaft zu sein. Anne war eine begeisterte Taucherin und hatte die Sommerzeit immer mit Reisen verbracht. Daher hatte sich Luis kurz nach dem Kennenlernen für einen Tauchkurs angemeldet, damit er dieses Hobby mit ihr gemeinsam genießen konnte. Er war sich ganz sicher, dass gemeinsame Hobbys für eine glückliche Beziehung wichtig sind. Er hatte sich zwar nie sehr viel für Sport interessiert, suchte aber immer Partnerinnen, die sportlich sehr aktiv waren. Mit einer lernte er Klettern und bestieg Berge, mit einer anderen ging er auf Radtouren. Er belegte stets Kurse, machte Ausbildungen und trainierte, um seinen Partnerinnen folgen zu können. Er hielt diese Mühe für einen Beweis seiner Liebe und Wertschätzung. Das war zwar einerseits richtig, andererseits fühlte er sich aber schnell leer und nicht wirklich angenommen. Er war der Meinung, er tue sehr viel, bekäme aber nicht das zurück, was er investiert hatte. Er dachte eher wie ein Geschäftspartner; doch in der Liebe herrschen ganz andere Gesetze.

Auch mit Anne war es daher nicht anders; denn nach dem Tauchurlaub kehrte er unzufrieden, enttäuscht und müde nach Hause zurück. Seine Überzeugung, was Gemeinsamkeiten anbelangte, war auf den Kopf gestellt – er sah als einzigen Ausweg nur noch die Trennung. Während einer Behandlung wurde ihm jedoch plötzlich klar, dass er für eine wirkliche Veränderung bei sich selbst beginnen müsse. Nicht ein erneuter Wechsel der Partnerin, sondern nur eine neue Ansicht über sich und sein Leben konnte seine Situation ändern. Es waren nicht seine Partnerinnen, die ihm bestimmte Handlungen auferlegten, sondern sein Bedürfnis nach Liebe und Geborgenheit ließ ihn freiwillig diese Rollen übernehmen. Doch es war immer nur eine scheinbare Geborgenheit, die er dadurch erreichte.

Luis hatte stets erwartet, dass seine Partnerin ihm ein Gefühl von Nähe vermittelte, wenn er eine neue Sportart erlernte, um mit ihr zusammen sein zu können. Jedoch erreicht man Nähe nur, wenn man sich auf eine Person einlässt, nicht auf eine neue Sportart. Die Fragen: „Warum mache ich das? Was fehlt mir?“, führten ihn zum Umdenken und zur Suche nach sich selbst.