Von Herzen

 

 

 

Am schlimmsten wird es, wenn es jemand besonders gut meint.

TEIL EINS

Eckerd

EIN HUND

Lolita sah hinaus in den roten Regen.

Abgefischt.

So spät würde niemand mehr suchen. Weil niemand mehr davon ausgehen konnte, dass es noch was zu finden gab.

Weit hinten im peitschenden Regen bewegte sich etwas. Tatsächlich war da jemand, er hastete von Hauseingang zu Hauseingang, rein und raus durch die Wasservorhänge, die von überfluteten Dachrinnen fielen. Ein dürrer Mann. Er hielt etwas über dem Kopf, das zu schmal war, um Schutz zu bieten.

Der Mann verschwand durch den Wasserfall des nächsten Eingangs. Lolita lehnte unter dem muschelförmigen Vordach an der tagwarmen Wand und sog die feuchte Luft ein.

Stadtpatina. Bordstein, Asphalt, Gummi, Pisse, Spucke, Eisen, vielleicht Blut. Von irgendwoher frischer Beton. Der Regen wusch es aus, spülte es heran. So musste es sein, wenn man ein Hund war.

Lolita stellte sich gern vor, etwas anderes zu sein.

DAMALS : PORCS DE LA MORT

Eckerd reckte seine Haselgerte in den Himmel.

»Verehrtes Publikum, heute werden sie Zeuge einer nie da gewesenen Darbietung! Porcs de la mort!«

Elmar, der Großvater, hatte sich nicht setzen wollen. Nur widerstrebend ließ er sich von Eckerds Vater Bernhard auf den Baumstamm ziehen, der seit Jahren auf der Wiese lag.

»Was redet der so geschwollen?«

»So redet ein Zirkusdirektor nun mal.«

»Du redest auch geschwollen.«

»Schau’s dir an. Ist doch mal was anderes.«

Elmar machte ein Gesicht, als ob was anderes übel riechen würde.

Eckerd beobachtete die beiden aus dem Augenwinkel.

Bernhard staunte über das Hindernis aus alten Brettern. Mit sieben hätte er so was nicht hinbekommen. Zwei rosa Schweine dösten neben Eckerd einige Meter entfernt von dem Hindernis, während auf der anderen Seite in gleicher Entfernung ein weißes bei Marthe wartete, Eckerds kleiner Schwester.

Eckerds roter Schopf leuchtete vor der tief stehenden Sonne. Sein gemalter Zwirbelbart bog sich unter erhabener Miene.

»Maria, Josef! H.G!« Eckerd ließ seine Gerte sirren.

Maria und Josef galoppierten mit atemberaubender Geschwindigkeit auf das Hindernis zu.

H.G. war Albino, weswegen er schlecht hörte, aber nach einem scharfen Stupser der spitzen Füßchen von Marthes kopfloser Barbie sprintete er auf Maria, Josef und das Hindernis zu.

Bernhard spürte seinen Puls, als alle drei Schweine zugleich absprangen und es aussah, als ob sie in vollem Galopp über dem Hindernis kollidieren müssten. Für einen Sekundenbruchteil schienen sie übereinander in der Luft zu schweben, ein rosa-weiß-rosa Banner. Sie flogen haarscharf aneinander vorbei, um dann wie grotesk kurzbeinige Springpferde auf dem versteppten Gras in effektvollen Staubwolken zu landen.

»Padaaaah!« Eckerd ahmte eine Fanfare nach.

Bernhard sprang auf und applaudierte, dass seine schwieligen Hände brannten und ihn die Traurigkeit, die ihn sonst umfing, für einen kleinen Moment losließ. Er stupste Elmar an.

»Hast du Schweine schon mal so was machen sehen?«

»Sie verlieren Gewicht dabei.«

»Damit kann er zum Zirkus!«

»Er nennt sie Maria und Josef.«

Eckerd kam, um sich lang und breit loben zu lassen.

»Und H.G.«

Bernhard klopfte Eckerd auf die Schulter. »Toll. Wofür steht denn H.G. eigentlich?«

»Heiliger Geist.«

Elmar stand auf. »Das reicht.«

»Das ist, weil er so weiß ist. Wie ein Geist.«

Elmar versuchte, dem heiligen Geist einen Strick überzuwerfen, aber der drehte ihm mit einem Grunzen das Hinterteil zu. Er packte Josef am Nacken und legte ihn an die Leine. Der quiekte verwundert, dann trottete er Elmar hinterher.

»Sag Opa, er soll Josef wieder herbringen!«

Bernhard applaudierte noch einmal besonders laut. »Das war eine unglaubliche Vorstellung, mein Sohn!«

Eckerd sonnte sich im Stolz seines Vaters und machte einen Kratzfuß wie vor einem sehr großen Publikum.

Das dumpfe Knacken aus dem Schuppen war kaum bis zur Wiese zu hören, aber es ließ Eckerd stocken, denn er kannte es, seit er denken konnte. Dann verbeugte er sich tiefer und ausladender als zuvor, während Bernhards Miene zu ihrem schwermütigen Ausdruck zurückfand.

RICHTUNG ROT

Frank keuchte. Normalerweise rannte er nicht. Warum auch? Bis vorhin war es ein guter Tag gewesen, viele Leute hatten sich in der Herbstsonne treiben lassen, mit reichlich Wechselgeld von Bier-, Eis- oder Würstchenkäufen in den Taschen, und er hatte gearbeitet. Irgendwann war er auf einer Parkbank eingenickt, bis ihn der Wolkenbruch aufgeschreckt hatte. Er musste lange weggetreten gewesen sein, einige Meter entfernt glomm eine einzelne Straßenlaterne in dem dichten Regen. Froh, dass ihm niemand seinen Koffer geklaut hatte, hastete er zum nächsten Hauseingang und sprang durch die Wasserwand, die von einer überfluteten Regenrinne niederging, um sich im Trockenen zu vergewissern, dass seine Tageseinnahmen noch da waren. Und sein Werkzeug.

Danach hatte er sich Richtung Stadtmitte bewegt, indem er sich von Haus zu Haus gearbeitet hatte. Er war ohnehin schon durchnässt gewesen, als ihn das Unwetter geweckt hatte, und in den Eingängen war es deutlich wärmer.

Hinter der Haustür, vor der er gerade nach Luft rang, ging Licht an. Jemand würde kommen, er würde ihn für einen Penner halten, er würde miese Laune haben und Ärger machen, weil er bestimmt Lust auf Ärger hatte. Frank rappelte sich auf und zwang sich wieder durch das Wasser hinaus in den Regen.

Er hatte eine neue Gegend ausprobiert. Viele kleine Cafés mit Tischen auf den Straßen. Einträglich, aber weit draußen. So spät fuhren hier offensichtlich keine Öffentlichen mehr, und bisher war nicht ein Taxi an ihm vorbeigefahren. Eigentlich überhaupt kein Auto. Sein Handy lag zu Hause, normalerweise wüsste Frank auch nicht, wen er damit anrufen sollte. Erneut durchtränkt, erreichte er den nächsten Eingang. Er fror.

Langsam hört der Spaß auf.

Frank hatte ein Ziel, ein entferntes rotes Leuchten. Es war lange kaum näher gekommen, aber jetzt trennte ihn nur noch eine breite Kreuzung davon.

Zivilisation.

Frank steckte seine Hand durch den Vorhang aus Wasser, der vom Dach auf die Straße fiel, und spähte darunter hinaus auf die andere Straßenseite.

Rotes Neon. Ein Schriftzug.

Von Herzen.

Im Schutz eines geschwungenen Vordachs lehnte eine ranke Silhouette in einem hautengen Dress lasziv rauchend an einer bunt bemalten Wand. Vielleicht ein Puff. Oder ein Varieté, so verrückt, wie der Eingang bemalt war.

Frank fror, aber er zögerte, dorthin zu gehen. Seine letzte Prozedur lag schon einige Stunden zurück, und es könnte Probleme geben, wenn er so in den Laden ging. Er könnte es jetzt machen, aber es wäre bizarr, wenn ihn jemand währenddessen im Hauseingang antraf.

Frank holte tief Luft, hob seinen Koffer über den Kopf und rannte Richtung Rot.

DER MANN

Paul brachte keine Gegenwehr mehr zustande.

Das infernalische Dröhnen drang in sein Innerstes und zerquetschte seine Seele zu einem pechschwarzen Brei.

Paul lag und spürte den Schnee, der auf ihn herabfiel. Der sich auf seiner perfekt gebügelten Polizeiuniform nicht auflösen wollte, Staub und Sand maroden Mörtels, den jeder vorbeidonnernde Zug aus der geziegelten Arkade über ihm rüttelte.

Ob ein Reisender je einen Gedanken daran verschwendet hatte, dass der Zug, in dem er über eine Brücke fegte, jemandem darunter die Seele zerquetschte? Wohl kaum. Sie waren alle auf irgendeinem Weg. Nur Pauls Wege waren zu Ende.

Zu Ende legte sich um seinen Hals und würgte ihn. Er hatte sich in die verlassene Werkstatt unter der Eisenbahnbrücke verkrochen, als ihm alle anderen Möglichkeiten ausgegangen waren.

Er tastete nach dem Rand der fleckigen Matratze und stöhnte, als er sich auf die Seite zog. Scharfe Kälte drang an Schulter und Bein, quälte ihn zurück an die Oberfläche seines Bewusstseins. Paul hatte sich in sich selbst verlaufen und darüber mit dem überdimensionalen Tauchsieder in einer der korrodierten Zinkwannen Wasser brodeln lassen, bis sich dichter Dampf überall niedergeschlagen und die Matratze, auf der er lag, durchtränkt hatte. Nass verströmte sie einen noch viel schrecklicheren Geruch als trocken, und da war es schon kaum zu ertragen gewesen. Paul fiel ein, dass er sich irgendwann mal an der Stelle übergeben hatte, an der jetzt sein Gesicht lag.

Das Donnern eines weiteren Zuges folterte Paul, bis er sich zurück auf den Rücken rollen ließ, wo das erkaltete Wasser die letzte Wärme aus ihm sog. Es musste Stunden her sein, dass er den Tauchsieder in die Wanne gelegt hatte. Er musste etwas tun. Er öffnete ein Auge.

Es dauerte, bis er sich an das fahle Licht der Straßenlaterne gewöhnt hatte, das durch das staubige Oberlicht des hölzernen Werkstatttors fiel. Die dichten Nebelschwaden verbargen die Wände und die gewölbte Ziegeldecke des Raums, sie lichteten sich nur am Tor, wo es sie durch die Spalten der grob gezimmerten Bretter nach draußen sog.

Aufstehen.

Er müsste zu dem klemmenden Tor wanken, es aufstoßen und den schrecklichen Nebel in die Nacht schicken. Allerdings, im Licht der Straßenlaterne wären die Schwaden wie Rauchzeichen. Der Dampf würde ihn verraten. Er verriet ihn jetzt schon, indem er durch die Bretter drang. Es war ja nicht seine Werkstatt.

Nichts war seins.

Es war eine große Wanne, in dem der Sieder Wasser zum Kochen brachte, etwa so groß wie eine Badewanne. Er hatte es nur anwärmen wollen, um darin einzuschlafen, dann war er auf der Matratze weggedämmert. Der Sieder war sein Feind. Aber aufzustehen, sich in den Waschraum zu schleppen und ihn vom Strom zu trennen, war ein Unterfangen gigantischen Ausmaßes, das langwierige mentale Vorbereitung erforderte.

Paul zitterte. Auf der nassen Matratze würde er erfrieren, was an sich in Ordnung war, aber er wollte auf keinen Fall so gefunden werden – nass und stinkend, seine Uniform paniert mit einer Schicht grauen Mörtelstaubs.

Er zog sich halb von der schmatzenden Matratze auf den schmierigen Betonboden, wo er eine Zeit lang liegen blieb. Über den nassen Beton zu kriechen, würde seiner Uniform noch mehr schaden und seinen Körper noch schneller auskühlen als die nasse Matratze. Die Kälte stach, und einschießendes Adrenalin fraß sein Phlegma. Paul hatte seinem Körper keinen bewussten Befehl dazu gegeben, aber er richtete sich auf.

Er wankte durch den dichten Dampf in den Waschraum, den ein breiter Spindschrank mit einer Reihe von Türen bis auf einen schmalen Durchgang vom Hauptraum trennte. Dort tastete Paul sich zu den Wannen und verbrannte sich an dem brodelnden Wasser, als er den Tauchsieder am Kabel herauszog.

Erschrocken ließ er ihn auf den nassen Boden fallen, wo er zischte und weiß-rot glühte. Paul packte das Stromkabel an der nächsten Windung und riss daran. Irgendwo im Dunst riss es, sodass sich das Brodeln legte. Paul keuchte. Sein Atem klang, als käme er von weit her. Der Nebel dämmte. Paul hielt den Atem an. Es war wirklich still. Und doch spürte Paul, dass er da war, der andere.

Paul konnte nur das Unmittelbare in den Schwaden erkennen, aber er spürte, wie er angestarrt wurde, wie die Augen des anderen an ihm saugten. Paul nahm sich zusammen. Er trat vor und starrte zurück.

Paul kannte den Mann sehr gut. Er hatte sein Leben zerstört. Ihm alles genommen. Seine Beziehungen. Den Job, den er geliebt hatte. Die Ehre.

Der Perverse.

Paul schrie ihn an. Der Mann schrie zurück. Paul ballte die Fäuste, der Mann tat es auch und bleckte die gelben Zähne, als ob er hinter seinem klebrigen Vollbart grinste. Hass stieg in Paul auf, er schlug zu. Der Mann schlug auch, aber Paul traf ihn mit voller Wucht. Er zertrümmerte ihm das Gesicht, dass es in tausend Stücke platzte.

Paul keuchte. Sein Puls raste, Blut lief aus seiner Faust, Scherben steckten darin. Er zog einige heraus. Mehr Blut. Er spürte nichts.

Lange starrte er in das gezackte Loch, das seine Faust geschlagen hatte. Toilettenartikel, Schlaftabletten und Scherben. Ungesundes Pulsieren in der blutenden Hand schrie nach Beachtung. Einsetzender Schmerz machte ihn klarer.

Klarheit ist grauenvoll.

Paul hievte ein Bein über die Kante der noch dampfenden Zinkwanne und sah zu, wie sein polierter Lederschuh versank. Das Wasser verbrühte ihn nicht mehr, es war nur noch sehr heiß. Paul ließ den Fuß auf den Grund sinken, zog das andere Bein nach und ließ sich in die Hitze gleiten. Sein ausgekühlter Körper brüllte vor Schmerz, dass es ihm fast die Sinne raubte. Trotzdem nahm er zufrieden zur Kenntnis, dass seine Uniform im Wasser besser aussah. Er begutachtete seine Hand wie ein beschädigtes Bauteil. Aus den größeren Schnitten troff Blut im Rhythmus seines Pulses.

Lächerlich!

Eine Million Mal hatte Paul daran gedacht, sich umzubringen. Tausend Mal fand er, dass es ein guter Tag zum Sterben war. Hunderte von Szenarien hatte er ersonnen, wie er seinem Leben ein Ende setzen könnte, Dutzende davon hatte er versucht, und mit keinem einzigen war er erfolgreich gewesen. Paul war willens zu sterben, aber er, dem jede Würde genommen war, wollte wenigstens danach in Würde gefunden werden, was sich schwieriger gestaltete, als er sich gedacht hatte.

So grausam das Schicksal seit dem einen verhängnisvollen Tag zu ihm gewesen war, gerade eben hatte es ihm die Entscheidung abgenommen. Mit einem Schlag hatte Paul den Perversen gerichtet, und sich dazu. Wie elegant. Nur noch ein bisschen warten. Einfach Ende. Stille. Und bitte keine Wiedergeburt.

Paul spürte, wie die letzte Kraft aus ihm wich, matt ließ er die Faust ins Wasser sinken und beobachtete, wie sie langsam hinter den rot-schwarzen Schleiern verschwand, die sein Blut im Wasser zog. Über den Wannenrand hinweg blickte Paul zum Ausgang des Waschraums, durch den der dichte Nebel drängte.

Ausgang. Ausgänge bedeuteten Neuanfänge. Sie folgten auf Entscheidungen und Ergebnisse. Sie bedeuteten einen Anfang oder ein Ende. Nicht mehr für Paul. Nie wieder würde er auf seinen Beinen durch diesen Ausgang gehen, vielmehr sehnte er sich danach, dass seine körperbefreite Seele auf dem dichten Nebel hinausgetragen würde, um sich irgendwo da draußen für immer aufzulösen.

Im Ausgang lehnte eine schemenhafte Gestalt.

Trotz der Hitze kroch Kälte in Paul hoch. Der Perverse war besiegt, er starb gerade, er konnte nicht dort lehnen. Außerdem war der Schemen kleiner als er. Sein knochenweißes Gesicht war auffallend flächig, soweit man es im Dunst auf die Entfernung ausmachen konnte. Aus seiner schwarzen Kapuze standen die leuchtend weißen Ohren eines Golems heraus, ansonsten war er schwarz, der Tod.

So klein und schmächtig ist er also, dein Tod.

Panik stieg in Paul auf. Er wollte hier in Frieden sterben und nicht irgendwo hingezerrt werden. Er hob die blutende Hand wieder aus dem Wasser.

Reality check.

Paul hatte gelesen, dass man herausfinden konnte, ob man träumte, indem man seine Hand schnell hin und her drehte. Träumte man, sah sie nach jeder Drehung anders aus, weil das Hirn mit der Erzeugung einer schnellen Abfolge imaginärer Bilder durcheinanderkam; man hatte dann mehrere Daumen oder Rosen statt Finger. Paul drehte die Hand hin und her. Nach jeder Drehung waren es vier Finger und ein Daumen, die pulsierend bluteten. Allerdings weniger stark.

Du blutest aus.

Der Tod wechselte das Stand- und Spielbein, aber er kam nicht näher. Er schien seelenruhig zu warten, bis es vorbei war. Ein guter Tod, dachte Paul.

Paul konnte spüren, wie sich sein Bewusstsein aus ihm löste. Der Ausgang verschwamm, der Tod verschwamm. Alles wurde zu einem tiefen Schwarz, aus dem eine hohe Männerstimme flüsterte, sanft und rau. Die Stimme, die der Anfang von allem Schlechten gewesen war.

»Hamster, kleiner Hamster.«

Sie sagte es wieder und wieder, bis Dreijährige in rüschenübersäten Prinzessinnenkostümen aus dem Schwarz an die Wanne traten. Sie hatten putzige Hamstergesichter, die ihn neugierig aus schwarzen Augen anstarrten. Sie quiekten vergnügt, dann hielten sie inne.

Bitte nicht.

Die Hamstermädchen kreischten. Und alles hörte auf.

VIERZIG

Vor dürren Menschen musste man sich in Acht nehmen. Mehr als vor Fleischigen. Der Dürre rannte ohne Jacke durch den kalten Regen von Haus zu Haus, mit einem Geigenkoffer auf dem Kopf. Als er näher kam, zündete Lolita eine Zigarette an.

Noch auf der anderen Straßenseite wechselte Frank in einen o-beinigen Gang, den er für männlich hielt, klemmte den Koffer unter den Arm und schlenderte unter das geschwungene Vordach.

»N Abend. Was ist das hier für ein Laden?«

Lolita unterdrückte ein Husten. Sie hätte mit einem verlebten Bariton gerechnet, aber aus dem Dürren kam nur ein keuchendes Falsett. Sie schickte den Rauch in die Nacht.

»Was denkst du, was es ist?«

Frank taxierte Lolita, bis er merkte, dass sie dasselbe tat. Der Laden, die Bar, das Restaurant, der Puff oder was immer es war, hatte einige Fenster zur Straße, aber die zugezogenen, blutroten Samtvorhänge blockten jeden Blick ins Innere. Die Motive der wilden Malereien auf der Wand, die sich bis über die Eingangstür zogen, waren so wirr, dass Frank in ihnen keinen Hinweis fand, was dahinter vor sich gehen mochte. Er spähte durch die offene Tür, aber auch der schwarzblaue Vorraum verriet ihm nichts.

»Also … das rote Licht, der Name, wie du da stehst …«

»Wie stehe ich denn da?«

»Mit dem engen Leder … da kann man ja draufkommen …«

»Dass ich Motorrad fahre?«

»Ja … genau.«

»Mit Korsett?«

Lolita hielt ihre langfingrige, lederne Hand auf. »Zwanzig.«

»Wofür?«

»Wegen dem, was du sagen wolltest.«

»Ich hab’s ja nicht gesagt.« Frank überlegte, was passierte, wenn er nicht zahlte. Zu was sie fähig war, dass sie allein in der Nacht eine Tür bewachte. Wer herauskam, wenn es Ärger gab. Ihm war kalt. »Ich hab’s auch nicht gedacht.«

Frank zuckte, als ihr Mittelfinger in seine Rippen stieß.

»Vierzig.«

Er fror. Er konnte ihrem Blick nicht standhalten, also kramte er Scheine und Münzen aus dem Geigenkoffer und klatschte sie in die schlanke Hand.

»Okay, was ist das für ein Laden?«

»Dreißig.«

»Weißt du was? Ich finde es selbst raus.«

Lolita biss sich auf die Unterlippe. Frank klang wie ein Meerschweinchen.

Er schob sich an ihr vorbei in den schummrigen Vorraum, ein paar Schritte weiter sah er sich nach ihr um. Im Rechteck der offenen Tür ließ Lolita seine Scheine auf ihrer ranken Silhouette verschwinden. Die Münzen warf sie nacheinander in den Regen.

Es spiegelte sich nicht im Geringsten in ihrer Miene, aber der Dürre machte Lolita gute Laune.

Er hatte sie Hure nennen wollen.

Das hieß, dass sie die richtigen Signale sandte.

WILLKOMMEN

Frank zögerte, über die riesige Zunge in den aufgerissenen Frauenmund zu treten.

Am Ende des schummrigen Vorraums hatte er die hölzerne, weit ausgestreckte Zunge entdeckt, die durch volle Lippen, an weißen Zähnen vorbei tief in den Rachen des mannshohen Mundes führte, wo ein schwerer Samtvorhang den Blick in den Raum dahinter verwehrte. Frank wäre am liebsten umgedreht, aber er wollte sich nicht die Blöße geben, gleich wieder an der Dunkelroten vorbeizuschleichen, zumal er sich nicht erinnern konnte, wann er zuletzt so gefroren hatte. Er spähte durch einen Spalt im Samt.

Auf einer kleinen Tanzfläche, die von etwa einem Dutzend samtgepolsterter Sitznischen mit hohen Lehnen gesäumt wurde, saugte eine junge, kleine Kugelrunde im neonpinken Synthetikpullover am Hals eines älteren Hageren im teuren Anzug zu einem vor Wehmut triefenden Bossa nova. Er japste, als sie sich mit ihrem ganzen Gewicht an seinen Hals hängte, und musste niesen, als ihre Arme ihm Pulloverflusen in die Nase rieben. Nachdem er ihre Zehen ein paar Umdrehungen lang über das Parkett geschleift hatte, versuchte er sie abzustreifen. Schließlich resignierte er, schleppte sich mit ihr am Hals in Nische Nummer vier, über deren Eingang der Name Glamouria glitzerte wie eine Swarovski-Brosche, wie auch sonst viele Details in Strass glitzerten. Der Hagere fiepte, als sie sich auf ihn fallen ließ, dann hechelte er.

Frank sah das Klavier. Und drei Podeste mit Mikrofonen.

Scheiße, die haben ne Band. Aber vielleicht nicht jeden Tag.

Frank trat aus dem Vorhang. Ihm fiel auf, dass jede der Nischen ein Telefon besaß, immer passend zum Thema der Nische.

»Bäh!« Die Kugelrunde kippte dem Hageren seinen Rotwein ins Gesicht, packte den paillettenbesetzten Hörer des Glamour-Phones vom Glittertisch der Vier und wählte eine Nummer.

Licht blendete über der Nische auf, und die Musik trat in den Hintergrund. Der Begossene starrte ins Helle, als die Stimme der Kugelrunden aus allen Lautsprechern dröhnte.

»Halloo, hier ist eure Tina. Ich wollte nur sagen, dass ich immer, immer an die ganz, ganz große Liebe glaube, und ihr erreicht mich heute unter der Neun. Aber Mädels, wählt nicht die Vier. Außer, ihr wollt ein Hundefrauchen sein und euch von einem hechelnden Freak von oben bis unten ablecken lassen. Gebt nicht auf, die Liebe kommt! Gute Nacht!«

Das Licht erlosch, nachdem Tina den Hörer auf die Gabel geknallt hatte. Sie trat hoch erhobenen Hauptes aus der Vier, flanierte an den anderen Nischen vorbei, und als niemand von seiner Tischplatte aufsah, ließ sie sich in die Neun fallen, den Bergdieb, ein Crossover aus Dirndl und Krachlederner aus tiefgrünem Samt und besticktem Wildleder, das Tinas pinker Neonpullover überschrie.

Auf dem Weg zur Bar hielt sich Frank im Schatten, aber Tina entdeckte ihn trotzdem, presste sich lasziv in die Polster, leckte sich über die dünnen Lippen, streckte den Zeigefinger in seine Richtung und krümmte ihn verführerisch im Rhythmus der Polka, die gerade einsetzte. Frank schlich zu der prächtigen, hölzernen Bar und kletterte auf einen Hocker neben einen Gast, der in ein Gespräch mit der Frau hinter der Bar vertieft war. Frank versuchte, eine Gesprächslücke abzupassen, aber der Mann redete in einer Tour.

Diese Frau … feine Züge und helle, fast leuchtende Haut.

Frank überlegte, ob sie schön war. Schön, ja. Aber vor allem anders.

Zu anders zum Anbaggern.

Zumindest war unklar, was passieren würde, wenn man es versuchte.

»He, machst du mir n Bier, bitte?«

Sie hörte dem anderen mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu, wobei sie Anteil an jeder vorhersehbaren Wendung seiner banalen Erzählung nahm. Frank trat hinter ihn, machte ein durstiges Gesicht, dass seine geröteten Augen heraustraten, und wedelte mit seinen dünnen Armen, dass seine nassen Ärmel spritzten.

»He, Schöne, mach mir mal n Bier, bitte!«

Ihr Blick war nicht unfreundlich. Gar nicht. Er sagte nur, dass Franks Betragen ihm Strafminuten eingehandelt hatte.

Frank machte beschwichtigende Bewegungen, kletterte ein paar Meter weiter auf einen Barhocker und ließ den Geigenkoffer auf die Fußraste unten am Tresen fallen. Er war froh. Sie hatte nicht eine Miene über seine hohe Stimme verzogen.

Er überlegte, ob er hungrig war. Neben der Bühne warteten einladend gedeckte Tische in einem eigenen, schummrig gemütlichen Bereich. Ein einziger, dicker Mann saß da, sein kindliches Gesicht glühte rosig über einer Vorspeise, und als die Ranke in ihrem dunkelroten Leder eintrat, wedelte er mit seinen speckigen Ärmchen. Sie schwebte an seinen Tisch und wartete in umwerfender Pose, bis er genug Scheine aus einem perlenbestickten Portemonnaie in ihre Hand gelegt hatte, dass sie auf den Stuhl neben ihm glitt.

Durchnässt, wie er war, beschloss Frank, einfach sitzen zu bleiben und sich weiter umzuschauen. Er war immer noch ohne Bier und ohne eine Ahnung, was er hier sollte und wollte. Dennoch hieß ihn alles hier irgendwie von Herzen willkommen.

SPARGELSCHAUMSÜPPCHEN

Gerstenschleim.

Nicht atmen half, wenn man ihn aß.

Früher hatte Raphael bei jeder noch so kleinen Gelegenheit wahre Festessen zubereitet. Er fand, dass er ein guter Koch war. Ein brillanter Koch. Viel zu gut für das hier.

Wenn er ein Rezept las, wusste er sofort, ob es sich lohnte, es zu kochen. Er konnte jede beliebige Kombination aus Zutaten und Gewürzen auf der Zunge schmecken, wenn er sie sich nur vorstellte. Das war auch das Einzige, was ihm geblieben war, der Geschmack eines Gerichts, das er nie essen würde. Ein Gericht, das er nur für andere kochte. Kochen war zur Qual geworden, denn es zu riechen bedeutete, es essen zu wollen, und es zu essen bedeutete Strafe.

Nichts, was er kochte, durfte er noch essen. Nicht mit dem, was er hatte. Nur noch Wasser und Gerstenschleim, damit fraß es sich wenigstens nicht noch weiter durch sein Gesicht.

Der Schleim klebte in seiner Kehle. Trinken machte es schlimmer, dann fühlte es sich an wie ein Schimmelrasen, der von der Zunge bis zum Mageneingang hinunterreichte.

Raphael bereitete für andere wahre Geschmacksexplosionen, aber sein eigenes Leben war Schleim und Schimmelrasen. Genau genommen kochte er noch nicht mal für andere. Er kochte für Tische. Tisch eins, Tisch sechs, Tische waren seine Richter, Tische lobten und tadelten ihn.

Tisch drei ist es zu salzig. Tisch fünf zu scharf. Tisch zwei sagt, das Fleisch ist zäh.

Raphael ging nie zu den Tischen. Würde er hingehen, und sei es nur, um Guten Abend zu sagen – sie würden auf eine Bestellung verzichten, so, wie er aussah. Sie hatten ihn noch nie gesehen, aber sie urteilten über ihn.

Klebriges Schluchzen kroch Raphaels Schlund hinauf. Er versuchte es hinunterzuschlucken, aber es blieb ihm als Kloß im Hals stecken.

Wer immer an einen der Tische kam und aß, gut oder schlecht, der ging danach einfach wieder. Raus in die Freiheit. Nur er musste bleiben. Wahrscheinlich würde er hier sterben.

Tisch sieben. Spargelschaumsüppchen.

Raphael würgte den Kloß aus seinem Hals in einen tiefen Teller, verrieb ihn mit der Kelle, aus der er anschließend das Spargelschaumsüppchen darübergab, und streute frische Gartenkräuter darauf. Tisch sieben konnte ruhig ein wenig Anteil an dem nehmen, was er durchmachen musste. Er stellte den Teller auf die Ablage in der Durchreiche. Das hölzerne Rollo, mit dem sich die Durchreiche schließen ließ, zog er bis auf einen schmalen Spalt herunter und bückte sich, dass er hindurchsehen konnte. Er wartete, bis der Teller geholt wurde, und verfolgte, an welchen Tisch man ihn brachte.

Er ging erst wieder an die Arbeit, als Tisch sieben das Spargelschaumsüppchen aufgegessen hatte.

RELIGIÖSER SPINNER

Frank hatte sich geduldig an der makellosen Eigenartigkeit der Frau hinter dem Tresen betrunken, aber er war immer noch ohne Bier, und sie hörte immer noch dem Typen zu, der ihr bestimmt zum dritten Mal seine gesamte Existenz erzählte.

Ein großer, kräftiger Mann schob sich neben ihn auf einen Hocker. Er machte so sehr gar nichts, dass es Frank auffiel, woraufhin sich der Mann ihm zuwandte und lächelte, bis Frank dem Drang nachgab, etwas sagen zu müssen.

»Ist das hier immer so schwierig, ein Bier zu kriegen?«

Der Mann signalisierte der Frau etwas. Sie nickte. Sie hatte ihn im Blick, seit er an die Bar gekommen war. Frank musterte ihn.

»Du kommst wohl öfters her.«

»Öfters, ja.«

Die Barfrau parkte den Redenden mit einem bedeutsamen Zeigefinger, dann brachte sie ein Bier für Frank und ein Glas mit etwas Klarem für den Mann.

Frank lächelte sie mitfühlend an. »Na, bluten dir die Ohren?«

Die Frau runzelte die Stirn und lächelte dabei so entwaffnend, dass Frank an ihr vorbeischauen musste. Dann war sie wieder bei dem anderen, der glücklich mehr Worte erbrach.

Frank setzte das Bier erst ab, als ihm die Luft ausging.

»Danke Mann, danke. Aber jetzt mal ganz ehrlich, wie komm ich zu der Ehre? Weil, ich mein … nichts für ungut … du bist jetzt nicht schwul oder so was?«

»Was wäre denn oder so was

»Na ja, keiner macht was nur so.«

»Mach ich ja nicht. Sie kriegen ein Bier und ich ein Danke. Das ist doch was.«

Der Mann trank. Frank versuchte aus der Art, wie er trank, darauf zu schließen, was es war.

»Gin?«

»Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam …«

Frank sah ihn konsterniert an. Der Mann lächelte.

»Johannes zwei neun. Es ist einfach nur Wasser.«

»Ah. Aber du bist nicht so n religiöser Spinner oder so?«

Der Mann schien zu überlegen. »Fällt katholisch unter religiöser Spinner?«

»Tschuldigung. Natürlich nicht.« Frank sah verstohlen zu der Bardame. »Das ist super, dass wir hier so reden, als ob wir uns lange kennen. Dann sind sie nicht so misstrauisch. Da, die hinterm Tresen.«

Der Mann beugte sich konspirativ vor. »Was ist mit der?«

»Hast du gesehen, wie die geguckt hat, als die mit dem Bier kam?«

Der Mann musterte Frank, wie er krumm dasaß, mit seinem verwaschenen Hemd, das durchsichtig vor Nässe an seinem dürren Körper klebte, mit nikotinbraunen Fingern, gelben Zähnen und blassen, rot geränderten Augen. Seine langen, fettigen Haare klebten schütter an seinem Kopf.

»Wie hat sie denn geguckt?«

»Die ist heiß auf mich.«

»Glückwunsch.«

»Jep. Passiert mir dauernd. Weiber stehen nun mal auf Musiker. Den ganzen Rock n Roll und so. Ist nun mal so.«

Der Mann winkte der Barfrau zu. Frank zischte.

»Nicht winken! Man muss sie schmoren lassen, wenn sie heiß sind.«

Sie musste den Mann im Blick gehabt haben, denn sie nickte und entzog dem Redenden sanft ihr Anteil nehmendes Lächeln, bis es nur noch freundlich war. Es dauerte, bis er es merkte, dann bremste er seinen Erguss in langen Sätzen und zog die Zeche in kleinen Scheinen aus seiner Jeans auf den Tresen.

Als sie wieder zu ihnen kam, verband der Mann sie mit einer ausladenden Geste.

»Darf ich vorstellen: Das ist mein neuer Freund …«

Frank fiepte.

»Frank.«

»Frank! Und das ist Marthe …«

Marthe lächelte mädchenhaft.

»… meine Schwester.«

Marthe nickte.

Frank quiekte einen Gruß.

Die gleichen roten Haare, die gleiche helle Haut. Und er trägt eine Kellnerschürze. Komplett übersehen. Peinlich.

Der Kellner schüttelte Franks klebrige Hand.

»Ich bin Eckerd. Eckerd von Herzen.«

Marthe flüsterte Eckerd etwas ins Ohr, und Frank fühlte sich geehrt, als Eckerd ihn einweihte.

»Marthe sagt, der Herr an Tisch sieben murmelt was von ›Crème brûlée oder Rote Grütze‹. Ich glaube, er braucht Hilfe. Ich geh mal hin. Dann seid ihr beiden unter euch.«

Frank sah hinüber zu dem dicken Mann und der Dunkelroten. Der Tisch war weit entfernt. Er musterte Marthe, wie ihre grünen Augen wach den Raum im Blick behielten.

»Wie hast du das denn gehört?«

Marthe lächelte bescheiden und zuckte mit den Schultern. Frank war glücklich, dass sie sich nicht davon beirren ließ, dass seine Stimme noch einmal höher geworden war.

Marthe hatte Zeit. Für ihn. Er würde ihr sein Leben erzählen, bis er sich sprudelnd in ihrer Anteilnahme aufgelöst hatte.

Aber er würde einiges auslassen.

HASENÖHRCHEN

»Dessert macht zwanzig.«

»Aber du sollst doch nur probieren.«

Lolita fixierte Waldo, bis er tief errötet einen Zwanziger aus dem perlenbestickten Stoffportemonnaie kramte, das vor ihm auf dem Tisch lag. Lolita ließ den Zwanziger an ihrem Körper verschwinden und nickte dem Portemonnaie zu.

»Ist das deins?«

»Ja.«

»Wirklich?«

»Jaa.«

Lolita beugte sich vor und sah ihm tief in die Augen.

»Oder ist es von deiner Mama?«

»Ja.«

»Und Mama hat es dir gegeben?«

Waldo schwitzte.

Lolita intensivierte ihren Blick. »Und wenn Mama sieht, dass ihr Portemonnaie hier liegt?«

»Das wär okay.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Das ist aber nett von Mama. Wie ist sie denn so?«

Waldo sprach leise und umschrieb das Gesagte mit großen Bewegungen seiner kurzen Arme. »Sie ist ganz doll groß und trägt ganz bunte Sachen, die nicht so groß sind.«

Lolita sah an Waldo vorbei auf die massige, rotgesichtige Endfünfzigerin, die in einem zu engen, grell bedruckten Blümchenkleid hinter ihm stand.

Mama packte Waldo am Ohr und drehte es gnadenlos herum.

Waldo jaulte. »Nein! Bitte! Nicht das Hasenöhrchen!«

»Wie viel hast du der Hure von meinem Geld gegeben?!«

Lolita hielt die Hand auf. »Hure macht hundert.«

»Verpiss dich, Nutte

»Zweihundert.«

Mama drehte Waldos Ohr weiter herum. »Wie kommst du dazu, in so einen Laden zu gehen?! Das ist doch alles … pervers hier!«

Waldo wimmerte.

»Also, pervers würde ich das nicht nennen.« Eckerd war an den Tisch getreten. Auf einem Teller hielt er eine dampfende Schale. »Es ist Crème brûlée.«

Mama kniff die Augen zu Schlitzen. »Hast du n Riss im Wirsing?«

Eckerd hob den Teller. »Mit Blaubeeren.«

Waldos Ohr verfärbte sich lila. »Ich tu das nie wieder! Bitte! Nicht das Hasenöhrchen!«

»Wie du willst, Schatz.« Mama ließ sein Ohr los, kniff ihn in die speckige Wange und drehte sie langsam herum.

Waldo jaulte lauter. »Nein! Nicht das Backenglöckchen!«

Eckerd stellte die Crème brûlée auf den Tisch. »Zwei Löffel vielleicht?«

Mama zog Waldo an der Backe aus dem Stuhl und verdrehte sie gnadenloser, bis beide eine groteske Pose einnahmen, in der Mama den wimmernden Waldo quer über die Tanzfläche zog, um ihn am Vorhang mit dem Bauch hinauszustoßen.

Eckerd sah ihnen fasziniert nach, bis der Vorhang sich nicht mehr bewegte, und ging zurück zur Bar. Lolita probierte die Crème brûlée. Sie war wirklich gut.

Sie öffnete das perlenbestickte Stoffportemonnaie, das immer noch auf dem Tisch lag, und hob eine Braue, als sie den Inhalt überschlagen hatte.

Sie nahm sich zweihundert und aß in Ruhe auf.

AMULETT

»Hast du das geseh…?«

Frank klang wie ein sterbendes Nagetier. Er signalisierte Unpässlichkeit, fischte nach seinem Geigenkoffer und öffnete ihn auf dem Tresen.

Marthe sah neugierig zu, wie er dem Koffer einen Geigenbogen und eine kleine Dose mit einem Klotz aus einer harzigen gelblichen Masse entnahm. Er vergewisserte sich, dass niemand Notiz von seinem Ritual nahm, und strich die Rosshaare des Geigenbogens über den Klotz, dass es leise quietschte. Er signalisierte auch Marthe, wegzusehen, aber sie war zu neugierig und beobachtete fasziniert, wie er sich den vorderen Teil des Geigenbogens tief in den Schlund schob, um ihn unter Würgen auf und ab zu bewegen. Sie winkte sogar Eckerd an den Tresen zurück, damit er es mit ansehen konnte.

Einen aufwallenden Brechreflex unterdrückend, schob sich Frank den vorderen Teil des Bogens tief in den Hals und presste ihn auf seine Stimmbänder, wobei er ihn wendete, bis sie ausreichend mit Harz beklebt waren. Als Frank sich schließlich den Bogen aus dem Hals zog, schien er sich übergeben zu müssen, aber bevor Marthe ihm einen Stapel Servietten hinhalten konnte, hatte er schon Gelbliches gesabbert und es mit dem Ärmel abgewischt. Seine Augenringe hatten ein dunkles Violett angenommen, als er sich aufsetzte.

»Ich weiß gar nicht mehr, wie ich rausgefunden habe, dass das funktioniert.«

Eckerd sah Frank ungläubig an.

Frank feixte. »Krass, oder? Wie Barry White.«

Franks Stimme war tatsächlich so räudig tief wie die von Barry White. Frank tippte auf die kleine Dose.

»Das ist Kolophonium. Damit macht man den Geigenbogen rau.«

Lolita streifte graziös die Bar, um das perlenbestickte Portemonnaie auf den Tresen fallen zu lassen, nickte Gute Nacht und bog ab, um im Dunkel neben der Bar eine Treppe hinabzusteigen.

Frank verbog sich, um ihr hinterherzugaffen, bis das Klacken ihrer Absätze erstarb. Er zwinkerte Eckerd zu.

»Bestimmt auch ne Schwester von dir«, sagte Barry White.

Eckerd sah besorgt auf Franks dürren Hals. »Tut das weh?«

Frank zelebrierte seinen Bariton. »Was immer es tut, das ist es wert.«

»Und du bist Musiker.«

»Sagen wir, ich fiedle für Geld.«

»Du verdienst Geld damit. Dann bist du doch Profi.«

»Ich spiele schrecklich.«

»Kann ja nicht sein.«

»Doch, echt. Mach ich extra. Du kannst dir nicht vorstellen, was die Leute alles zahlen, wenn du laut scheiße spielst. Ganz besonders Liebespaare. Die geben alles, um dich loszuwerden.«

Frank bedauerte, das gesagt zu haben, Eckerd schienen die Liebespaare leidzutun.

»Na ja … Es bringt Kohle. Allerdings muss ich öfters woanders spielen, sonst gibt’s irgendwann auf die Fresse. Ist aber nett hier in dem Stadtteil.«

»Macht dich das nicht traurig? Du machst Musik und musst Angst haben, dafür eins auf die Fresse zu kriegen?«

»Ist ja nur, bis ich nen Neuen habe.«

»Einen neuen was?«

»Nen neuen Hund. Bis vor Kurzem hatte ich so nen kleinen erbärmlichen mit großen Glupschaugen. Das war geil. Wenn ich schräg gespielt hab, wollten die Typen mir die Scheiße rausprügeln, aber ihre Schnallen haben die immer abgehalten. Haben mir wegen dem Hund die Taschen mit Geld vollgestopft. Sentimentale Schnepfen.«

»Macht das glücklich? Mich würde das fertigmachen, dass mir Leute Geld geben, damit ich aufhöre.« Eckerd sah tatsächlich aus, als ob ihn das fertigmachte.

Frank wedelte mit den Händen. »Nein. Natürlich nicht. Ich wollte Solist werden in einem richtigen Orchester. Werde ich auch. Aber Esther mochte nicht, wenn ich übe. Da war scheiße spielen einfacher. Und das bringt richtig Kohle. Ist nun mal so.«

»Esther?«

»Meine Freundin, also meine Ex. Ist abgehauen. Obwohl ich schon echt besser spiele.«

»Schlimm für dich?«

Frank zog ein Amulett aus dem Hemdkragen. »Ihr Abschiedsgeschenk.«

Es sah aus wie ein polierter, marmorierter Stein, oval, von der Größe eines Taubeneis. Marthe stellte sich auf die Zehenspitzen, um es genau anzusehen. Es war kein Stein, sondern etwas in einer gläsernen Hülle. Etwas Organisches.

Eckerd runzelte die Stirn. Marthes Augen weiteten sich, ihr schien zu dämmern, was es war.

»Ich war zu Hause üben. Mozart. Der Hund hat mitgemacht, der konnte die Melodie mitjaulen. Konnte der echt. Da rennt Esthers Fickfreund nackt aus dem Schlafzimmer und schreit mich an, dass er keinen Harten kriegt bei dem Krach.«

»Ihr Fickfreund?«

»Ja. Sie hat immer welche. Deswegen war sie hergezogen. Die letzte Stadt hatte sie durch.«

»Und das hat dich nicht gestört?«

»Kenn sie ja nicht anders. Jedenfalls, der wollte mich nicht üben lassen. Ich spiele also extra schief. Das klappt auch. Er haut ab. Aber dann kommt er zurück mit ner Pistole und schreit rum, dass er schießt, wenn ich nicht aufhöre. Arschloch, denke ich und spiele die hohen Noten. Esther kommt auch raus und brüllt rum. Nicht mit mir, denke ich und fiedle schneller. Der Hund jault höher. Da packt der Typ den Hund und wirft ihn aus dem Fenster.«

»Oh Gott. War es tief?«

»Nö. Aber an der Stadtautobahn.«

Eckerd schluckte schwer.

»Esther nimmt dem Typ die Knarre ab und drückt sie mir auf die Zwölf. Ich denke Leck mich und fiedle weiter. Der Typ brüllt, sie soll abdrücken. Ich kratze die Geige wie irre und grinse ihn an. Er haut ihr auf den Hintern, sie erschreckt sich und BAM

Marthe hatte die Hand um einen Putzlappen gekrallt, ohne zu wischen.

Eckerd war bleich. »Und dann?«

»Suche ich auf dem Boden nach meinen Eiern. Sie kreischt, dass die Eier nicht ab sein können, weil es nur ne Gaspistole ist. Aber sie waren ab. Hast du ne Ahnung, wie das brennt, wenn dir einer mit ner Gaspistole die Eier abschießt?«

Eckerd stutzte. »Durch die Hose?«

»Na ja … ich dachte … wenn der Typ keinen hochkriegt, weil ich schräg fiedle, kann ich ja vielleicht bei Esther einspringen. Deswegen hatte ich mich schon mal ausgezogen. Aber … wenn ich jetzt so drüber nachdenke, war’s doch irgendwie unromantisch. Jedenfalls haben die mich zur Notaufnahme gefahren. Die waren beide voll nett dann. Der Typ hat sogar nichts gesagt, als ich seinen Camaro vollgekotzt hab.« Frank wedelte mit seinem Amulett. »Eine Woche später krieg ich n Päckchen ins Krankenhaus mit einem meiner Hoden in Glas. Wenn die kein schlechtes Gewissen hat, weiß ich’s nicht. Deswegen meldet die sich auch nicht mehr.«

Eckerd hing zwischen Hocker und Tresen durch. »Das muss echt hart für dich sein.«

»Na ja … jetzt, wo ich weiß, dass ich mich nicht mehr anhöre wie n Frettchen, wenn ich meine Stimmbänder mit Kolophonium wichse …«

»Hasst du sie?«

»Die ist ne geile Frau. Ihr müsstet die mal sehen.«

»Jetzt, wo sie weg ist, könntest du doch üben, um Solist zu werden.«

»Mach ich ja. Den ganzen Tag. Jetzt, wo meine Eier weg sind, kann ich kaum noch scheiße spielen.«

»Du bist also auf dem Weg, ein großer Geiger zu werden.«

»Ja, klar. Ich hab ja nichts anderes.«

Eckerd leuchtete. »Dann spiel was für uns! Gib uns ein Privatkonzert.«

»Ist noch zu früh.«

Marthe gab Frank einen Schubs.

Er zierte sich.

Eckerd malte ein Bild in die Luft. »Stell es dir vor. Du bist der Solist eines großen Orchesters! Es ist deine Premiere, und wir …«, Eckerds Arme beschrieben einen ausladenden Halbkreis, »… sind dein exquisites Publikum.« Er legte Frank eine kräftige Hand auf die knochige Schulter. »Das ist dein Auftritt!«

Marthe wippte aufgeregt.

Frank sah sich um. Außer ihnen war das Von Herzen menschenleer. Er kletterte auf den Tresen und befreite die Geige aus dem Koffer.

»Ich muss besoffen sein, dass ich das mache.«

Frank stellte sich in Pose und legte die Geige an. Tatsächlich sah er aus wie ein routinierter Solist. Er musterte Marthes und Eckerds Mienen. Bestimmt wollten sie ihn nur aufziehen. Aber sie sahen ihn in ehrlicher Erwartung an.

Eckerd machte eine ausladende Geste. »Bühne frei!«

Frank hob den Bogen und schloss die Augen.

PREMIERE

Frank fand sich auf der Bühne einer atemberaubend opulenten Konzerthalle. Sitze, Ränge und Balkone gepolstert mit blutrotem Samt unter einem Himmel voller Stuck, Ornamenten und einer obszönen Anzahl blattgoldener, Trompete blasender Putten.

Das tief einfallende Scheinwerferlicht ließ ihn blinzeln, sein Blick streifte die voll besetzten, prächtigen Ränge, er grüßte die Wichtigen und Gewichtigen und die Reichsten der Erlesenen in ihren verschwenderisch verzierten Balkonen, die einzig und allein gekommen waren, um einen einzigen Künstler zu erleben. Ihn.

Der Dirigent nickte Frank zu. Es war nur eine angedeutete Kopfneigung, und doch strotzte sie vor allergrößtem kollegialem Respekt. Frank legte den Bogen auf, als der Dirigent den Taktstock hob. Niemand im Saal atmete. Schon mit dem ersten Schwung zerbarst das Orchester förmlich in einem Sinne raubenden Tusch, aus dem sich eine erhabene Eröffnung fortspann, um sich kurz darauf in ein bescheidenes, fast demütiges Pianissimo zurückzuziehen.

Franks Einsatz.

Kaum hörbar ließ er eine Serie hinreißender Arpeggios im Meer der gestreichelten Noten schwimmen, um dann mehr und mehr an Energie und schließlich an Gewalt zuzulegen. Frank fühlte den Fluss. Er war der Fluss. Er trieb in einem Strom aus Musik, und Musik strömte durch ihn. Er nahm den Saal mit auf eine dramatische Reise, er erzählte eine mitreißende Geschichte in einer virtuosen Melange aus halsbrecherischen Skalen, perkussivem Pizzicato, schwindelerregenden Akkordfolgen und peitschenden, kreischenden Bogenstrichen, nur um unerwartet wieder das Tempo anzuziehen, dass allen der Atem stockte. Seine Läufe schaukelten sich auf zu einem Sturm irrwitziger Themen, die sich weit über die Töne erhoben, aus denen sie bestanden.

Franks Körper wand und bog sich um seine Violine, sie war das Zentrum und er ein zitternder Aal, der sich flink um sie wand. Seine Hände arbeiteten in aberwitzigem Tempo, als ob Paganinis Geist höchstselbst sie führte. Die aufgerissenen Augen selbst der Kritischsten im Saal riefen Respekt, niemanden hätte es gewundert, hätte Franks Violine begonnen zu brennen. Der Stock des Dirigenten peitschte das Orchester dem Besessenen hinterher, und doch zog Frank das Tempo abermals an.

Der Saal bebte, als ausnahmslos alle im Applaus standen, um ihm zu huldigen, wiewohl er noch nicht am Ende seiner Darbietung angelangt war. Die Reichen und Intellektuellen konnten nicht anders, wollten nicht anders: Sie grölten und johlten wie Fußballfans nach einem Meisterschaftstor.

Frank hatte seinen Höhepunkt erreicht. Von Heerscharen unsichtbarer Musen geküsst, spielte er eine raffinierte Reprise und ließ sie wieder verblassen, wie auch seine Vision Stück für Stück verblasste und den frenetischen Applaus in verebbendem Hall mit sich nahm, bis auf ein letztes Paar Hände, das immer noch stürmisch Beifall klatschte, während die grausame Kakofonie ein Ende fand. Vom Kopf des gefolterten Bogens hingen etliche zerschlissene Haare wie vom Haupt eines verwahrlosten, alten Mannes. Endlich durfte er aufhören zu kratzen, und auch die arme, missbrauchte Geige konnte sich von dem nervenzerfetzenden Jaulen und Kreischen erholen, das sie hatte produzieren müssen.

NACH HAUSE

Frank öffnete die Augen.

Er atmete schwer, als er Violine und Bogen sinken ließ. Marthe massierte ihre rosaroten Handflächen. Tränen ließen Eckerds Wangen glänzen. Frank stutzte. War er so gut gewesen? Es musste so sein. Er verneigte sich tief vor dem Publikum vor ihm und in ihm, dann kletterte er vom Tresen wie von einer morschen Dachbodenleiter.

»Das war der Wahnsinn. Ich hab’s wirklich vor mir gesehen. Eine ganze Philharmonie. Tolle Leute. Wie war ich? Ganz ehrlich.«

Eckerds Ärmel tupfte Tränen. »Ich hatte noch nie so eine Gänsehaut.«

Franks Erwartung hechelte hinüber zu Marthe, die sie mit einem bombastischen Lächeln fütterte. Es passte nicht zu ihren müden Augen.

Eckerd trat hinter den Tresen und legte einen Arm um sie. »Maestro, wollen Sie nicht Ihre allergrößte Verehrerin nach einem harten Arbeitstag verabschieden?«

Frank machte einen Kratzfuß. »Natürlich! Wie grob von mir. Gute Nacht, Schöne.«

Marthe machte einen Knicks, umrundete die Bar und stieg die Stufen im Schatten der Bar hinauf. Frank sah ihr nach.

»Das war so groß! Tausend Dank, Eckerd. Jetzt weiß ich, wofür ich meine Eier lassen musste.«

Mehr Tränen liefen über Eckerds Wangen.

»Wunderbar, dass du das so sehen kannst.«

Frank machte betroffen, dass seine Darbietung Eckerd offensichtlich tieftraurig gemacht hatte. Wahrscheinlich hatte sie lange verschüttete Emotionen in ihm aufgewühlt, die er erst noch verarbeiten musste. So etwas konnte passieren. Und auch wenn Frank sich nicht freute, dass Eckerd traurig war, freute es ihn über alle Maßen, dass sein Spiel eine solche Wirkung hatte.

Eckerd stellte ein frisches Bier auf den Tresen und schaute zu, wie Franks Adamsapfel von innen gegen seinen dürren Hals boxte, während er trank. Sie schwiegen eine Weile, wobei Frank nicht entging, wie sehr es in Eckerd arbeitete.

»Worüber denkst du nach?«

»Nur mal für einen Moment, ganz hypothetisch. Was ist, wenn es nicht klappt? Wenn aus dir kein Solist wird?«

»Das wäre, also ob mir tausend Eier auf einmal abgeschossen würden. Aber das wird nicht passieren. Meine Musik hat den Menschen so viel zu geben. Das ist meine Aufgabe. Ich bin monogam, quasi. Ich brauche nichts anderes.«

Eckerd schnäuzte in ein Küchenpapier. »Das hast du sehr schön gesagt. Und zur Not kannst du ja wieder machen, was du bisher gemacht hast.«

»Dass ich extra scheiße spiele, bis mich jemand bezahlt, dass ich abhaue? Wie soll das gehen, nach heute? Ich werde Menschen begeistern. Wie heute Abend. Heute war der Anfang. Und den hast du mir geschenkt, Eckerd. Und Marthe. Ich bin euch so dankbar, dass ihr aus mir herausgeholt habt, was immer schon in mir war.«

Eckerd lehnte sich über den Tresen, nah an Frank heran. »Vielleicht gibt es ja noch ganz andere Perspektiven, an die du noch gar nicht gedacht hast, falls es nicht klappt.«

Frank kippte sein Bier hinunter und setzte das Glas hart auf. »Zerbrichst du dir nicht ein bisschen sehr meinen Kopf?«

»Entschuldigung. Ich dachte nur, vielleicht hast du bald eine heiße neue Freundin oder so?«

»Wie denn, ohne Eier?«

»Was ist mit Freunden?«

»Ich hab’s nicht so mit Freunden. Ich glaub, ich war denen immer zu kreativ. Künstler sind einsame Wölfe. Wo soll die ganze Inspiration sonst auch herkommen.«

»Was ist mit deiner Familie?«

»Tot. Man kann ja nicht alles haben.«

»Aber du hast nichts.«

Frank zuckte mit den Schultern.

»Stimmt. Ich bin wie mein Schwanz. Allein, ganz ohne Eier. Da ist nur meine Musik. Was hältst du davon: Ich komme ein- oder zweimal die Woche und spiele hier für deine Gäste. Mach ich ganz umsonst, dann kann ich nebenbei noch ein bisschen üben. Allein üben ist nämlich doof. Wie wäre das?«

Eckerd schien das Gesagte verarbeiten zu müssen.

Frank bettete seine Violine in den alten Koffer, legte den Bogen dazu und streichelte darüber, schloss behutsam den Deckel und ließ die Verschlüsse zuschnappen, dass es ledrig klackte. »Kannst du ruhig annehmen. Muss dir nicht unangenehm sein.«