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Ann Pettifor

Green New Deal

Warum wir können, was wir tun müssen

Aus dem Englischen von Ursel Schäfer

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Ich widme dieses Buch meinen schulstreikenden Enkeln:

Django und Theodore Pettifor-Carey.

Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH

Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung

Mittelweg 36

20148 Hamburg

www.hamburger-edition.de

© der E-Book-Ausgabe 2020 by Hamburger Edition

ISBN 978-3-86854-975-1

© der deutschen Ausgabe 2020 by Hamburger Edition

ISBN 978-3-86854-338-4

© der Originalausgabe 2019 by Ann Pettifor

First published 2019 by Verso, the imprint of New Left Books, London

Titel der Originalausgabe: »The Case for the Green New Deal«

Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras

Das Gesetz sperrt ein Männer und Frau’n,

die der Allmende Gänse klau’n.

Doch dem größ’ren Schurken es erlaubt,

dass er der Gans die Allmende raubt.

Sühne das Gesetz befiehlt,

für den, der andern etwas stiehlt.

Doch es verschont die Herrn und Damen,

die uns allen die Allmende nahmen.

Das arme G’sind wird eingesperrt,

wenn zum Gesetzesbruch es sich verschwört.

Dies sei so recht; doch duldet man

die Verschwörung, die solch Gesetz ersann.

Das Gesetz sperrt ein Männer und Frau’n,

die der Allmende Gänse klau’n,

Doch bleibt der Gans die Allmend gestohlen,

bis wir das Land zurück uns holen.*

Anonym (17. Jahrhundert)

* Deutsche Übersetzung übernommen von: Keimform, https://keimform.de/2010/the-goose-and-the-commons/ [16. 1. 2020].

Inhalt

Vorwort

EinleitungWas ist der Green New Deal?

1Systemwandel statt Klimawandel

2Den Kampf mithilfe des Finanzsystems gewinnen

3Ein globaler Systemwechsel

4Die Wirtschaft des Green New Deal

5Die Steady State Economy

6Der Green New Deal: Unsere Welt verändern

Literaturverzeichnis

Danksagung

Zur Autorin

Vorwort

Wir können uns leisten, was wir tun. Das ist das Thema dieses Buches. Es gibt Grenzen für das, was wir tun können – insbesondere ökologische Grenzen, doch dank dem öffentlichen Gut, welches das Währungssystem darstellt, können wir uns innerhalb der uns als Menschen gesetzten Grenzen und der Grenzen unserer Umwelt leisten, was wir tun.

Damit die Menschheit auf einem bewohnbaren Planeten überlebt, ist es dringend geboten, dass wir handeln. Uns droht die Auslöschung. Die komplexen Lebenserhaltungssysteme der Erde, bestehend aus Atmosphäre, Ozeanen, Landmassen und Lebensformen, stehen nach Einschätzung von führenden Wissenschaftler*innen vor dem Kollaps. George Monbiot hat gewarnt: »Nur eines der vielen Lebenserhaltungssysteme, von denen wir abhängen – Böden, Grundwasser, Regen, Eis, die Muster der Wind- und Wasserströmungen, Bestäuber, biologische Fülle und Vielfalt –, muss ausfallen, damit alles ins Rutschen kommt.«1

Der Weltklimarat der Vereinten Nationen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) hat 2018 eindeutig und eindringlich zum Handeln aufgerufen. Wir müssen die jährlichen weltweiten Emissionen in den nächsten zwölf Jahren halbieren und Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität erreicht haben. Jason Hickel schrieb in der Zeitschrift Foreign Policy:

»Man kann die Dramatik dieser Veränderung gar nicht übertreiben. Sie erfordert nicht weniger als eine totale und rasche Abkehr von unserem bisherigen Weg als Zivilisation. Die Größe der Herausforderung ist überwältigend, und noch überwältigender ist, was auf dem Spiel steht. Wie der Co-Vorsitzende einer Arbeitsgruppe des IPCC formulierte: ›Die nächsten Jahre sind wahrscheinlich die wichtigsten in unserer Geschichte.‹ Nach Jahrzehnten der Verzögerung ist das unsere letzte Chance, es richtig zu machen.«2

Für Großbritannien und die USA genau wie für andere OECD-Länder bedeutet die Abwendung der Klimakatastrophe, dass sie ihre CO2-Emissionen bis 2030 um 80 Prozent senken und ihre Volkswirtschaften bis 2040 CO2-neutral sein müssen. Dann werden die OECD-Staaten im gleichen Ausmaß reduzieren wie die Nicht-OECD-Staaten (wie es in einem Papier der UN-Klimakonferenz von 1992 über die »gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten« heißt, wonach die OECD-Länder zuerst und am meisten reduzieren müssen).

Um die Lebenserhaltungssysteme der Erde zu schützen und eine so radikale Transformation zu erreichen, müssen wir das globalisierte Finanzsystem überwinden, das so viel Kohlendioxid ausstößt – entworfen und ausgelegt dafür, Billionen von Dollar an unregulierten Krediten auszugeben, um vermeintlich grenzenlosen Konsum zu finanzieren, was im Gegenzug die toxischen Emissionen immer rasanter antreibt. Dieses Wirtschaftssystem hat innerhalb einer relativ kurzen Phase der Menschheitsgeschichte die natürlichen Systeme der Erde ruiniert. Und weil zum Kapitalismus auch Imperialismus, Rassismus und Sexismus gehören, hält er alle menschlichen Gesellschaften in einer Form von Sklaverei.3 Trotzdem haben manche Personen historisch einmalige Kapitalgewinne aus diesem System eingestrichen. Sie sind das »eine Prozent«.

Wie der Economist bereits 2012 schrieb, haben die Amerikaner*innen, die zum reichsten einen Prozent zählen, nicht nur mehr von dem Kuchen abbekommen, immer öfter sind sie auch Geschöpfe der Finanzwelt. Steve Kaplan und Joshua Rauh von der Northwestern University haben festgestellt, dass Investmentbanker*innen, Wirtschaftsanwält*innen, Manager*innen von Hedgefonds und Private-Equity-Firmen die Vorstände von Unternehmen an der Spitze der Einkommenshierarchie abgelöst haben. 2009 verdienten die reichsten 25 Hedgefonds-Manager*innen über 25 Milliarden Dollar, ungefähr sechsmal so viel wie alle Vorstandsvorsitzenden der im Aktienindex S&P gelisteten Unternehmen zusammen.4 Doch das Finanzsystem, dem sie ihren Reichtum verdanken, ist kein privater Vermögenswert. Es ist vielmehr ein großer öffentlicher Vermögenswert und wird finanziert, garantiert und am Laufen gehalten von Millionen ganz normaler Steuerzahler*innen in allen Ländern der Welt. Mit anderen Worten: Das eine Prozent hat ein großes öffentliches Gut gekapert. Und dieses Gut muss wieder zurück in öffentlichen Besitz gebracht werden.

Gleichzeitig haben Umweltschützer*innen das Ökosystem viel zu lange als nahezu unabhängig vom dominierenden Wirtschaftssystem angesehen, das auf einem deregulierten globalisierten Finanzsystem beruht. Die Makroökonomie und besonders die Geldtheorie gelten als Themen für »Expert*innen« – die »Geschöpfe der Finanzwelt«, die das globalisierte Finanzsystem kontrollieren. Viel von dem, was innerhalb dieses Systems passiert, bleibt bewusst vor den Blicken der Gesellschaft verborgen. Allerdings wenden auch viele ihren Blick von den Aktivitäten des Finanzsektors ab, teils weil er ihnen zu komplex und entrückt erscheint, aber auch, weil wir alle in der einen oder anderen Form davon profitieren. Millennials und Ruheständler*innen freuen sich gleichermaßen über die Freiheit, die das globalisierte Finanzsystem all jenen verschafft, die ausgiebige Reisen in ferne Länder und zu fernen Kulturen unternehmen wollen und sich leisten können. Viele schätzen die Leichtigkeit, mit der sie an abgelegenen Orten Zugriff auf ihr Bankkonto haben, und die Möglichkeit, Güter überall auf der Welt zu kaufen und von dort liefern zu lassen, nachdem sie mit einem Klick auf einer Computertastatur eine Überweisung getätigt haben.

Ich argumentiere in diesem Buch, dass wir es uns nicht länger leisten können, solche Freiheiten und solche Macht in Anspruch zu nehmen, und auch nicht, uns dem Willen der Götter der Finanzwelt zu unterwerfen. Es gibt keine Chance, die Lebenserhaltungssysteme der Erde zu schützen, wenn wir uns nicht vom Griff der Herrscher*innen des globalisierten Finanzsystems befreien. Dieses kapitalistische System ist blind für das allerwichtigste Kapital: das Kapital, das die Natur zur Verfügung stellt, während sie parasitär ausgebeutet und in rücksichtslosem Tempo aufgezehrt wird, wie schon E. F. Schumacher in seinem klassischen Werk aus dem Jahr 1973 (deutsch 1977) Small Is Beautiful schrieb.5

Wenn wir dem unerbittlichen Zugriff der Herrscher*innen des Finanzuniversums entkommen sind, werden wir feststellen, dass wir uns ein neues, besser ausbalanciertes System leisten können, das weltweit wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit verbindet. Dass wir es uns auch leisten können, riesige Gebiete auf den Kontinenten und an den Küsten wiederaufzuforsten. Wir werden feststellen, dass wir es uns leisten können, kurzfristig die Abhängigkeit der globalisierten Wirtschaft von fossilen Energieträgern zu beenden. Dass wir es uns leisten können, unsere Wirtschaft so umzubauen, dass ihre Fixierung auf »Wachstum« überwunden wird. Dass wir im Rahmen unserer körperlichen und intellektuellen Grenzen beginnen können, unser beschädigtes Ökosystem zu heilen. Dass wir alle gemeinsam daran arbeiten können, uns zu schützen, unsere Familien und Gemeinschaften und die Umwelten, in denen wir überleben, wachsen, uns entwickeln und schöpferisch tätig sind.

Mit anderen Worten: Wir können – und wir müssen, um zu überleben – in den nächsten zehn Jahren das gescheiterte kapitalistische System verändern und überwinden, denn es droht, die Lebenserhaltungssysteme der Erde zu zerstören und mit ihnen die menschliche Zivilisation. Wir müssen dieses Wirtschaftssystem durch eines ersetzen, das Schranken und Grenzen akzeptiert, das »Böden, Grundwasser, Regen, Eis, die Muster der Wind- und Wasserströmungen, Bestäuber, biologische Fülle und Vielfalt«6 erhält und uns soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit bringt.

Wir Anhänger*innen des Green New Deal wissen, dass wir das in den rund zehn Jahren schaffen können, die wir nach Ansicht der UN-Wissenschaftler*innen noch haben. Ein Grund, warum wir es für machbar halten, ist diese wichtige Tatsache: Nur 10 Prozent der weltweiten Bevölkerung sind für rund 50 Prozent aller Emissionen verantwortlich. Wenn wir bei den Konsum- und Fluggewohnheiten von nur 10 Prozent aller Menschen ansetzen, können wir in sehr kurzer Zeit 50 Prozent der Emissionen reduzieren. Diese Einsicht hilft uns zu erfassen, was möglich ist und in welchem Tempo, wenn wir wirklich überzeugt sind, dass die Klimakatastrophe die menschliche Zivilisation bedroht.7

Wir wissen auch, dass wir das leisten können, weil wir in der Vergangenheit große Veränderungen in kürzerer Zeit bewältigt haben, als der IPCC-Bericht von 2018 uns zubilligt. Unser Zutrauen sollte nicht nur auf dem Wissen über Transformationsprozesse in der Vergangenheit gründen, sondern auch auf einem neuen Verständnis von Geld und Geldsystemen. Ich bin entschlossen, dafür zu sorgen, dass dieses Wissen Allgemeingut wird, um Aktivist*innen und Umweltschützer*innen mit wirtschaftlichen Daten und Argumenten zu versorgen, damit sie selbstbewusst allen Verfechter*innen der kapitalistischen ökonomischen Lehre, den Klimaleugner*innen, Schwarzmaler*innen und Neinsager*innen entgegentreten können. Allen, die es für utopisch halten, dass die Gesellschaft in der Lage sein könnte, das tief verwurzelte System eines mit rassistischen Ideen durchdrungenen Kapitalismus zu beseitigen. Allen, die überzeugt sind, »es sei kein Geld da« für Veränderungen und Staatsausgaben wirkten inflationstreibend. Allen, die finden, die kapitalistische Hyperglobalisierung funktioniere bestens. Armut und die ungleiche und ungerechte Behandlung je nach Hautfarbe und Geschlecht seien nicht das Ergebnis des globalisierten Kapitalismus, sondern eher eine Folge menschlicher Schwäche. Anständige Jobs für alle seien eine Illusion. Die Menschheit habe bereits ernste Klimakrisen überlebt – und werde sie auch in Zukunft überleben. Die Menschen seien im Wesentlichen böse und von Gier und Egoismus getrieben. Es gebe keine Hoffnung.

Da stimmt nicht. Es gibt Hoffnung, und sie beruht nicht auf einer utopischen Vision der Menschheit, sondern auf unserem Wissen über die Genialität, das Einfühlungsvermögen, den Einfallsreichtum, die Kooperationsbereitschaft, die Integrität und den Mut der Menschen. Wir wissen, dass es möglich ist, das globalisierte Finanzsystem zu verändern, weil Menschen das schon früher getan haben – in gar nicht so ferner Vergangenheit. Auch das wird ein Thema dieses Buches sein.

Um das aktuelle Wirtschafts- und Finanzsystem zu verändern, müssen wir die Schwarzmaler*innen von links wie von rechts ignorieren und uns mit solidem Wissen wappnen. Solches Wissen kann Millionen Menschen Macht verleihen und ein Motor für das Handeln sein.

Vor allem anderen dient es dazu, verbreitete, gezielte Desinformationen über die Funktionsweise des großen öffentlichen Guts, welches das Geldsystem darstellt, zu korrigieren. Falsche Behauptungen, mit denen die Anhänger*innen von Hayek und Ayn Rand hausieren gehen, orthodoxe Ökonom*innen, fanatische Verfechter*innen von Kryptowährungen und all jene, die passiv oder aktiv ein finanzialisiertes kapitalistisches Wirtschaftssystem verteidigen, das in voller Absicht die wertvollen endlichen Ressourcen der Erde erschöpft.

In einer großen Rede kündigte Präsident John F. Kennedy 1962 kühn an:

»Wir haben den Mond und andere Dinge in diesem Jahrzehnt als Ziel gewählt, nicht weil sie leicht zu erreichen sind, sondern weil es schwierig ist, weil das Ziel uns helfen wird, das Beste von unseren Energien und Fähigkeiten aufzubieten und zu messen, weil wir diese Herausforderung annehmen und sie nicht hinausschieben wollen, und weil wir entschlossen sind, diese Herausforderung wie auch die anderen zu bestehen.«8

»Wir haben den Mond als Ziel gewählt.« 1962 bestanden ernsthafte Zweifel, ob die Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen weltweit die geistigen und materiellen Ressourcen besaßen – und die Astronauten den Mut –, um ein Raumschiff zu bauen und zu lenken, das den Mond erreichen konnte. Aber es gab nicht die geringsten Zweifel oder auch nur Fragen, ob der »Moonshot«, der Aufbruch zum Mond, finanzierbar sein würde. Bei dem Projekt arbeiteten Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt zusammen, es war eine der ambitioniertesten internationalen Teamleistungen aller Zeiten. Gerade einmal sieben Jahre nach Kennedys Rede, 1969, setzte Neil Armstrong als erster Mensch den Fuß auf den Mond.

Wir können als Ziel wählen zu überleben. Aber damit wir überleben, muss sich alles ändern. Wirklich alles. Radikales Handeln, basierend auf einem richtigen Verständnis des Finanzsystems und auf moralischem Mut, kann die Gegenwart verändern und uns eine Zukunft sichern.

»Manchmal müssen wir einfach einen Weg suchen. In dem Augenblick, in dem wir beschließen, etwas zu vollbringen, können wir alles tun. Und ich bin sicher, dass wir in dem Augenblick, in dem wir beginnen, uns so zu verhalten, als wären wir in einer Notlage, die Klima- und Umweltkatastrophe abwenden können. Die Menschen sind sehr anpassungsfähig: Wir können es schaffen. Aber das Zeitfenster dafür wird nicht sehr lange offen sein. Wir müssen heute anfangen. Wir haben keine Entschuldigungen mehr.«9

1Monbiot, The Earth Is in a Death Spiral.

2Hickel, The Hope at the Heart of the Apocalyptic Climate Change Report.

3Moore, Slaveship Earth and the World-Historical Imagination in the Age of Climate Crisis.

4Who Exactly Are the 1 %?

5Schumacher, Small Is Beautiful.

6Monbiot, The Earth Is in a Death Spiral.

7Anderson, The Hidden Agenda.

8Gehalten am 12. September 1962 an der Universität Rice in Houston/Texas, https://www.swr.de/swr2/wissen/archivradio/john-f-kennedy-wir-fliegen-zum-mond-weil-es-schwer-ist-rede-rice-university-1962/-/id=2847740/did=24085262/nid=2847740/ieubes/index.html [21. 10. 2019].

9»You Did Not Act in Time«.

Einleitung

Was ist der Green New Deal?

Die Ursprünge

»Ein Green New Deal, mit Gerechtigkeit für alle. Praktisch. Möglich. Unvermeidlich«.

Das war der Titel eines schlichten Google-Dokuments, das im Juli 2018 auf meinem Bildschirm auftauchte. Sie gaben die Basis eines sorgfältig ausgearbeiteten Manifests ab, das bei einer Reihe von Freund*innen und Berater*innen von Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) getestet wurde, als sie sich auf die Zwischenwahlen zum amerikanischen Kongress vorbereitete. Sie verhalfen ihr zu einem Sieg, der Millionen junger Amerikaner*innen elektrisierte und den jungen Flügel der Demokratischen Partei stärkte.

Früher im selben Jahr waren Angehörige von AOCs Wahlkampfteam nach Großbritannien gekommen, um zur Vorbereitung ihres Wahlkampfs eine Reihe von Ökonom*innen zu befragen, die mit Jeremy Corbyn zusammenarbeiteten oder zu seinem Umfeld gehörten. Ich traf einen von ihnen, Zack Exley, in einem Café, und wir diskutierten über die schwierige Frage, wie sich ihre ambitionierten Vorhaben finanzieren ließen. Abgesehen von einer gelegentlichen E-Mail hörte ich danach nichts mehr von ihnen. Das war nicht weiter verwunderlich, da der Vorwahlkampf in New York in die heiße Phase ging und allen Berichten zufolge sehr viel Energie absorbierte. Außerdem gab es erhebliche Zweifel, ob AOC Erfolg haben könnte gegenüber einem mächtigen, bestens finanzierten amtierenden Demokraten. Tatsächlich trug sie einen beeindruckenden Sieg davon.

Am Tag danach kontaktierte ihr Team erneut die Denkfabrik, für die ich arbeite, Policy Research in Macroeconomics (PRIME). Wir vereinbarten ein Treffen mit einer kleinen, vertrauenswürdigen Gruppe britischer Ökonom*innen in meiner Wohnung, um die Diskussion, wie sich AOCs Programm finanzieren ließ, zu vertiefen und auszuweiten. Wir hatten viel gemeinsam, unter anderem glaubten wir alle an den Green New Deal (GND).

Zehn Jahre zuvor hatte eine Gruppe britischer Umweltschützer*innen und Ökonom*innen viele Abende in derselben Wohnung zusammengesessen, bei gutem Essen und dem einen oder anderen Glas Wein, und heftig darüber gestritten, Strategien ersonnen und Pläne geschmiedet, wie die Wirtschaft zum Schutz des Ökosystems umgestaltet werden könnte – den entsprechenden Plan nannten wir Green New Deal. Unsere Treffen begannen im Sommer 2007 und gingen auch auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 weiter. Die damaligen Ereignisse, der Zusammenbruch von Lehman Brothers, die Diskussionen über die quantitative Lockerung (Quantative Easing, QE) und die Bankenrettung vermittelten uns bei unseren Beratungen ein Gefühl der Dringlichkeit.

Wir waren 2008 zwar schon früh mit dabei, aber keineswegs die Ersten, die einen GND forderten. Die gleiche Forderung hatte bereits Thomas L. Friedman, Journalist bei der New York Times, in einer Kolumne am 19. Januar 2007 mit dem Titel »Eine Warnung aus dem Garten« erhoben.1 »Der richtige Schlachtruf lautet ›Für einen Green New Deal‹«, schrieb er. »Der New Deal bestand nicht aus einer Wunderwaffe, sondern aus einer Reihe von Programmen und Industrieprojekten zur Wiederbelebung Amerikas […]. Wenn wir beim Klimawandel das Steuer herumreißen und unsere Abhängigkeit vom Öl beenden wollen, brauchen wir mehr von allem: Sonnenenergie, Wind, Wasser, Ethanol, Biodiesel, saubere Kohle und Atomkraft – und Energieeinsparung.« Als Erster reagierte Präsident Obama und nahm den Green New Deal in sein Wahlprogramm auf.

Später, im Herbst 2007, griff Colin Hines, ein ehemaliger Mitarbeiter und Aktivist von Greenpeace in Großbritannien, Friedmans Herausforderung auf und rief eine Gruppe zusammen, um einen ambitionierten Plan für einen Green New Deal zu entwerfen, der die Wirtschaft umgestalten und den Planeten retten sollte. Weitere Mitarbeiter*innen neben mir waren die einzige grüne Abgeordnete des britischen Parlaments, Caroline Lucas, der Makroökonom und leitende ökonomische Berater des britischen Gewerkschaftsdachverbands Dr. Geoff Tily2, der Wirtschaftsredakteur des Guardian Larry Elliott, der Umweltaktivist und Autor Andrew Simms, Jeremy Leggett, Direktor von Solarcentury, einer internationalen Firma für Solarenergielösungen, der Experte für Steuerfragen und Rechnungswesen Richard Murphy und zwei ehemalige Leiter der Umweltorganisation Friends of the Earth, Charles Secrett und Tony Juniper.

Unser Bericht wurde im Juli 2008 veröffentlicht. Darin forderten wir »eine koordinierte Politik, um die Dreifachkrise aus Kreditklemme, Klimawandel und hohen Ölpreisen zu lösen«. Wir argumentierten,

»die Weltwirtschaft steht […] vor einer Kombination aus kreditgetriebener Finanzkrise, sich beschleunigendem Klimawandel und rasch steigenden Energiepreisen, weil das globale Ölfördermaximum erreicht ist. Diese drei sich überlappenden Vorgänge drohen zu einem perfekten Sturm zu werden, wie es ihn seit der Weltwirtschaftskrise nicht mehr gegeben hat. Um das zu verhindern, schlagen wir einen Green New Deal vor.«3

Der Juli 2008 war eine seltsame Zeit, eine Pause zwischen jenem trostlosen Tag im August 2007, als die Banken sich gegenseitig kein Geld mehr liehen und die Liquidität aus den Finanzmärkten verschwand, und dem Kollaps von Lehman Brothers im September 2008. Die Zentralbanken stellten den Investmentbanken in aller Eile Liquidität zur Verfügung, weil deren Bankrott den Zusammenbruch des Weltfinanzsystems hätte bedeuten können. Die mit öffentlichen Geldern finanzierten Rettungsaktionen, für die die Steuerzahler*innen bürgten, erfüllten ihren Zweck. Regulator*innen und Politiker*innen wiegten sich in dem Glauben, sie hätten die Krise in den Griff bekommen.

Die amerikanische und die britische Öffentlichkeit schienen diese Sichtweise zu akzeptieren. Im Juli 2008 machten die Menschen mit ihrem Alltag weiter in dem Gefühl, das Schlimmste sei verhindert worden, ohne zu ahnen, dass eine große, weltweit agierende Investmentbank kurz davorstand, zu implodieren und das weltweite Finanzsystem zu zerstören. Während dieser seltsamen Atempause in der Krise – eine Krise, die zu dem Zeitpunkt, da ich dies schreibe, noch nicht vorüber ist – versuchten wir, politische Unterstützung für den Green New Deal zu mobilisieren.

Zuerst griff das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) den Appell auf und verwies auf die »enormen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Vorteile« des GND, »die von neuen grünen Jobs in sauberer Technologie und sauberer Energie bis zu nachhaltiger Landwirtschaft und auf Einsparung konzentrierten Unternehmen reichen«.4 2009 forderte der damalige britische Premierminister Gordon Brown einen internationalen Green New Deal, um die Umweltbranche zu stärken und der Weltwirtschaft aus der Rezession herauszuhelfen. Grüne Abgeordnete im Europaparlament plädierten unterdessen für einen europäischen Green New Deal, um die wirtschaftlichen Probleme des Kontinents in nachhaltiger Weise anzugehen. Trotz dieser Unterstützung in Europa und den USA (wo die Grüne Partei den Appell aufgriff) wurden unsere Bemühungen bald durch die chaotischen Auswirkungen der Lehman-Pleite überlagert.

Zehn Jahre später präsentierten Alexandria Ocasio-Cortez und ihr Team ihren eigenen ambitionierten Green New Deal – einen »Plan, um drei kritische Probleme auf einmal zu lösen: die Bedrohung der Sicherheit Amerikas durch den Klimawandel, Armut und Ungleichheit sowie die Reichtumskluft zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe«. Zentrales Element des amerikanischen GND ist die Jobgarantie, das Versprechen, dass »jeder arbeitslose Amerikaner und jede arbeitslose Amerikanerin, die das wollen, einen Job beim Aufbau einer energieeffizienten Infrastruktur bekommen«.5

Damit hat eine junge Woman of Color, die jüngste Abgeordnete, die jemals in den US-Kongress gewählt wurde, ein politisches Feuer für einen radikalen Vorschlag entzündet, wie sich der Kollaps der Lebenserhaltungssysteme der Erde doch noch verhindern lässt. Am 13. November 2018 verbreitete sich ihr Plan viral, als junge Leute die Korridore der Macht im Kongress blockierten und warnten, die Klimakrise bedrohe ihre Zukunft. Die Sunrise-Bewegung drängte die frisch gewählte Demokratin, sich ihrem Sitzstreik im Büro von Nancy Pelosi anzuschließen, der mutmaßlich nächsten Sprecherin des Repräsentantenhauses. Gemeinsam forderten sie politische Unterstützung für einen Green New Deal.

Zu der Zeit, während ich das hier schreibe, gibt es diese politische Unterstützung immer noch nicht. Die Klimakrise hat es 2019 nicht auf die Prioritätenliste der Führung der Demokratischen Partei für den neuen Kongress geschafft. Sprecherin Pelosi reagierte abweisend, obwohl sie auf der Website des Kongresses behauptete, sie habe »die Klimakrise zu ihrem Thema Nummer eins« gemacht. Stattdessen verunglimpfte sie den Green New Deal weiter als »einen von mehreren oder eher vielen Vorschlägen, die wir bekommen. Der grüne Traum, oder wie immer sie es nennen, niemand weiß, was es ist, aber sie wollen es nun einmal.«6

Eine Umfrage des Yale Program on Climate Change Communication im Dezember 2018 ergab, dass der Green New Deal von Alexandria Ocasio-Cortez »starken Rückhalt in beiden Parteien« genoss. Die meisten Demokrat*innen und 64 Prozent der Republikaner*innen unterstützten den Plan, ohne zu wissen, dass er von einer Demokratin propagiert wurde.7 Bei einer Umfrage von The Nation war die Unterstützung für den Green New Deal bei den Millennials (der Altersgruppe zwischen achtzehn und siebenunddreißig) um 30 Prozentpunkte höher als in den anderen Altersgruppen.8 Doch alle Belege für die Beliebtheit des GND konnten die Führung der Demokratischen Partei, ältere amerikanische Wähler*innen, Mainstream-Demokrat*innen und rechte Republikaner*innen nicht überzeugen.

Dieser besorgniserregende Mangel an politischer Unterstützung für ein solides und vernünftiges Programm zur Bewältigung der Klimakrise und zur Überwindung von wirtschaftlicher Ungerechtigkeit spornte mich an, dieses Buch zu schreiben. Denn wie der auf Umweltthemen spezialisierte Journalist David Roberts schreibt, steckt im GND zwar viel Energie, aber »diese Hitze in Macht zu verwandeln – in echte Ergebnisse vor Ort –, wird viel politische Strategie und Taktik erfordern, und der größte Teil liegt noch vor uns«.9 Wenn wir diese Hitze in Macht verwandeln wollen, müssen die Anhänger*innen des Green New Deal erklären, wie eine politische Strategie aussehen muss, damit ihr visionäres Programm finanziert werden kann – ohne die Last höherer Steuern auf die Schultern der Arbeiterschicht zu laden (die in den USA oft als »Mittelschicht« bezeichnet wird).

Die Skepsis gegenüber dem GND konzentriert sich auf diese Fragen: Wie lässt sich realistischerweise eine solche radikale Transformation innerhalb von etwa zehn Jahren bewerkstelligen? Wie können die heute amtierenden Regierungen und ihre Verbündeten im privaten Sektor es schaffen, eine solche Transformation zu finanzieren? Was wird aus den Beschäftigten in den Branchen, die fossile Treibstoffe verwenden? Dieses Buch will versuchen, Antworten auf diese Fragen zu geben.

Aber der Reihe nach.

Was ist der Green New Deal?

Der Green New Deal erfordert eine durchgreifende Systemveränderung: einen Wandel des wirtschaftlichen und des ökologischen Systems. Er verlangt nicht nur Verhaltensänderungen, Veränderungen in der Gemeinschaft und technologische Veränderungen, sondern strukturelle Veränderungen (innerhalb eines Landes und in den Beziehungen der Länder) in der Art und Weise, wie wir der finanzialisierten, globalisierten Wirtschaft und dem Ökosystem entgegentreten. Außerdem muss solcher Wandel wie in den 1930er Jahren durch eine radikale Strukturreform der Wirtschaft und da insbesondere des Finanzsektors vorangetrieben werden.

Die Idee wurde 2008 in Großbritannien entwickelt und beruht auf der Überzeugung, dass das Finanzsystem, die Wirtschaft und das Ökosystem eng miteinander verwoben sind. Das Ökosystem zu schützen und das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen sei nicht möglich, so argumentierten wir, ohne die Transformation der anderen Bereiche. Koordiniertes politisches Handeln sei nötig. Die Finanzierung des sehr kostspieligen Umbaus der Wirtschaft zur Überwindung ihrer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen sei nur möglich, wenn es gelinge, den Finanzsektor den Interessen der Gesellschaft und des Planeten unterzuordnen.

Verfechter*innen des Umweltgedankens konzentrieren sich oft auf individuelle Maßnahmen (»Glühbirnen austauschen«) oder Maßnahmen auf Gemeindeebene (»recyceln, wiederverwenden, reduzieren, lokalisieren«). Es hat lange gedauert, bis wir verstanden haben, wie wichtig der radikale Systemwechsel ist, über alle Bereiche hinweg und auf globaler wie auf nationaler Ebene, und dafür geworben haben; das heißt ein Systemwechsel, der staatliches Handeln erfordert. Und ein solcher struktureller Wandel kann sich nicht auf internationale Abkommen über CO2-Budgets beschränken.

Ein solches Projekt ist viel umfassender als Roosevelts New Deal in den 1930er Jahren (obwohl auch seine Regierung es damals mit einer ökologischen Katastrophe zu tun hatte: der Dust Bowl, den Staubstürmen in den Großen Ebenen der USA). Die Klimagefahren, vor denen wir heute stehen, haben ein Ausmaß, das die Fantasie der New-Deal-Verantwortlichen überstiegen hätte. Doch wir können von Roosevelts Regierung lernen. Um das Problem des Klimawandels anzugehen, müssen wir zugleich auch die Wurzel der wachsenden toxischen Emissionen anpacken: das sich selbst regulierende, globalisierte Finanzsystem, das exponentiell wachsende Mengen unregulierter Kredite an Spekulant*innen und Konsument*innen verteilt. Diese Kredite treiben die Preise vorhandener Vermögenswerte in die Höhe, dienen aber nicht der Schaffung neuer materieller und immaterieller Werte. Außerdem wird das Geld dazu verwendet, Ausbeutung und Verbrauch der endlichen Ressourcen der Erde zu beschleunigen. Nur wenn wir den »Hahn« für das »billige Geld« zudrehen, wird es möglich sein, auch bei Öl und anderen fossilen Brennstoffen den Hahn zuzudrehen.

Solche koordinierten politischen Strategien bilden das Herz des Green New Deal.

Die Forderung nach einem Green New Deal ist realistisch, weil sie auf eine Ära zurückgreift, als die Weltwirtschaft praktisch über Nacht durch die revolutionäre keynesianische Geldpolitik des amerikanischen Präsidenten verändert wurde. Als Roosevelt sich am Abend nach seiner Amtseinführung am 4. März 1933 daranmachte, den weltweiten »Goldstandard« aufzuheben, verschaffte er seiner Regierung den Freiraum, die Austeritätspolitik und die Arbeitslosigkeit, die damals bei 25 Prozent lag, zu beenden, eine Haushaltspolitik einzuleiten, die Arbeitsplätze schaffte, die heimische Wirtschaft umzugestalten, aber auch die Dust-Bowl-Krise anzupacken. Er versicherte, wie Keynes es getan hatte, »wir können uns leisten, was wir tun können«. Denn das Finanzsystem ist – als System – dazu da, uns in die Lage zu versetzen, zu tun, was wir tun können, nicht mehr und nicht weniger. Wie damals muss es heute auf seine Rolle als Diener und nicht als Herr der Wirtschaft und des Ökosystems zurückverwiesen werden.

Deshalb ist der Green New Deal ein Plan. Er ist keine Idee, kein Vorschlag, sondern ein umfassender Plan, wie sich der Zusammenbruch der Lebenserhaltungssysteme der Erde verhindern lässt. Er ist umfassend insofern, als seine Verfasser*innen verstanden haben, dass die Erde in all ihrer Vielfältigkeit einen »New Deal« braucht, genau wie die Männer, Frauen und Kinder, die – in all ihrer Vielfältigkeit – die Opfer des globalen wirtschaftlichen Versagens und nun auch der Klimakrise sind.

Der GND erkennt an, dass wir in Zukunft Energie nur aus erneuerbaren Quellen beziehen dürfen. Außerdem müssen wir die Ökosysteme vergrößern und fördern, die der Atmosphäre große Mengen an Kohlendioxid entziehen und es in Bäumen, dem Boden und den Ozeanen speichern. Aber die Gesellschaften müssen auch ihre Abhängigkeit von einem globalisierten Wirtschaftssystem beenden, das die Klimakrise vorantreibt und toxische Emissionen begünstigt, einem Wirtschaftssystem, das nicht nur zu wirtschaftlicher, politischer und sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit führt, sondern auch zu ökologischen Ungleichgewichten. Dieses Wirtschaftssystem heißt globalisierter Finanzmarktkapitalismus.

Während über diese zentralen Elemente zwischen dem amerikanischen und dem britischen Green New Deal weitgehend Einigkeit besteht, gibt es auch Unterschiede.

Der amerikanische Green New Deal (2018)

Der amerikanische Green New Deal ist ambitioniert. Er wird in allen Einzelheiten dargelegt in der Resolution, die die demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses Alexandria Ocasio-Cortez aus New York und der demokratische Senator Ed Marks aus Massachusetts am 5. Februar 2019 im US-Kongress eingebracht haben.10 Es ist ein detaillierter Plan, wie fünf große Ziele mit einer »zehnjährigen Mobilisierung« erreicht werden können:

imagedie Reduzierung der Treibhausgasemissionen auf null durch eine für alle Gemeinden und Arbeitskräfte faire, gerechte Transformation

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