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Kurzbeschreibung

Werden Isa und Pat je zusammen frei sein können?

Isas Bruder hat den Waffenstillstand mit dem Nachbarclub aufgekündigt, wodurch er nicht nur einen Rockerkrieg auslöst, er macht damit auch Isa und Patrick zu Feinden. Unter diesen Umständen können sie ihre heimliche Beziehung nicht weiterführen, das ist beiden schmerzlich klar. Isas Herz ist gebrochen, doch schlimmer noch ist ihre Angst. Plötzlich kann sie Patrick nicht mehr erreichen und da ihr Bruder eisern schweigt, stammt alles, was sie über die blutigen Auseinandersetzungen erfährt, aus bruchstückhaften Radio- und Fernsehmeldungen. Die Situation bringt sie an den Rand der Verzweiflung. Isa will unbedingt einen Weg finden, die Clubs zu versöhnen, und entwickelt schließlich einen Plan, der entweder den Frieden bringt oder durch den sie alles verliert.

Sandra Binder

In der Liebe und im Krieg

Biker Tales 6


Edel Elements

Inhaltsverzeichnis

Prologue – Pat

Chapter Eight – Give Me One Good Reason

Interlude – One Less Brother

Chapter Nine – The Wrong Route

Interlude – It’s Up To Us. Again.

Chapter Ten – My Love’s War

Interlude – Who Intrigues Here?

Chapter Eleven – Way Down We Go

Interlude – The Lucky Irish

Chapter Twelve – Broken

Interlude – The Whole Truth

Chapter Thirteen – New Beginning

Epilogue – The Ladys

Glossar

Spanische Begriffe

Danksagung

Prologue – Pat

Ich habe nie viel vom Leben erwartet. Wenn du als Katholik in Derry geboren wirst, begreifst du schnell, dass du nichts geschenkt bekommst. Im Gegenteil. Du lernst es zu schätzen, wenn du wenig hast. Denn wer nichts besitzt, kann nichts verlieren. Das war das Motto meiner Familie.

Wir lebten in keiner heilen Welt, sondern in einem vom Bürgerkrieg gebeutelten Land mit tiefen, blutigen Gräben zwischen den Bevölkerungsteilen. Anders als die meisten Menschen interessierten wir uns herzlich wenig für Materielles – was uns antrieb, war die Freiheit.

Mein Vater war ein radikaler Republikaner, ebenso mein Großvater und dessen Vater und vermutlich auch dessen Vater … Das Hauptthema in unserem Drecksloch von Sozialwohnung war also stets Politik: die Unterdrückung der katholischen Iren durch die protestantische, englische Besatzung und der Wunsch nach einem wiedervereinigten Irland. Bereits als Kind wurde mir eingetrichtert, dass es das Wertvollste im Leben war, wenn man das Recht besaß, tun und lassen zu können, was man wollte.

Mit diesem Background ist es wahrscheinlich nicht weiter verwunderlich, dass ich mich später der Real IRA anschloss. Wie meine Familie, meine Freunde und meine Kameraden hielt ich das Karfreitagsabkommen, das ›Friedensabkommen‹ von 1998, für einen faulen Kompromiss, eine Lüge, schlicht Bullshit. Der Kampf war damit nicht beendet, nicht für uns, die wir so lange gelitten und so viele Verluste hatten ertragen müssen.

Dass die ehemaligen Untergrundkämpfer zu Politikern geworden waren, enttäuschte mich maßlos. Was war mit unseren Freiheitskämpfern geschehen? Ich hatte damals noch kein einziges Härchen auf der Brust, aber ich beschloss dennoch, den Kampf für unsere Freiheit niemals aufzugeben. Denn es fühlte sich richtig an.

Mit Anfang zwanzig, ich war schon ein paar Jahre bei der RIRA, galt ich als einer der besten Bombenbauer unserer Gruppe. Leider läuft man, wenn man etwas besonders gut kann, oft Gefahr, dass Leute davon erfahren, die das lieber nicht wissen sollten. Ein solcher war beispielsweise der Spitzel, der sich bei uns eingeschleust hatte, den wir aber glücklicherweise enttarnen konnten, bevor er seine Aussage zu Protokoll gab. Dennoch brachte der Kerl eine Kette von Ereignissen in Gang, die meine gesamte Geschichte verändern sollte.

Eines Abends bastelten mein Kumpel Aiden und ich an einer Autobombe für eben jenen Spitzel. Schließlich musste er von der Bildfläche verschwinden, bevor er etwas ausplaudern konnte. Oder besser gesagt, ich bastelte, während Aiden auf mich einquasselte.

»Dass die Sinn Féin im Parlament hockt, bedeutet einen Scheiß, Mann. Das ändert doch nichts.« Er fuhr sich durch das fransige, blonde Haar und ging vor dem Tisch, an dem ich saß und versuchte zu arbeiten, auf und ab. »Im Grunde läuft alles wie bisher. Was wir hier tun, ist die einzige Möglichkeit, uns gegen das unfaire System zu wehren. Die Drecksprotestanten haben Schiss, dass wir zu mächtig werden. Die wollen, dass wir jetzt die Fresse halten und zufrieden sind. Aber ich tanz nicht nach deren Pfeife, nee, ich nich. Ich schwöre offiziell meine Treue zur 32-Grafschaften-Republik.«

»Alter«, ich sah vom Sprengstoff auf und lachte, »holst du auch mal Luft?«

Aiden blinzelte mich kurz an, ehe er zögerlich in mein Lachen einstimmte. Er redete sich oft in Rage, aber heute klang er fast schon verzweifelt.

»Ist alles okay bei dir?«, fragte ich geradeheraus.

Er atmete tief durch, stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab und sah mich schließlich an. In seinen Augen schimmerte die blanke Angst. »Darlene ist schwanger.«

»Fuck.« Das Wort brach aus mir heraus, bevor ich es verhindern konnte. Entschuldigend sah ich zu ihm auf, aber an seinem gequälten Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass ich seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte. Das war eine Katastrophe für einen wie uns.

Je mehr du hast, desto mehr kann man dir nehmen – und Aiden hatte jetzt Familie, Menschen, die er beschützen musste, die er mehr liebte als sich selbst. Fuck. Das war exakt das richtige Wort für diese Misere.

Ich stellte mir die Situation furchtbar beängstigend vor. Für normale Männer war sie das schon, aber für uns, die wir einen blutigen Kampf für die Freiheit führten, war es eine Qual.

»Wirkt sich … das irgendwie aus?« Ich wusste nicht recht, wie ich es sonst formulieren sollte.

Er zuckte mit den Schultern und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Für die da draußen bin ich ein Terrorist. Will ich, dass mein Kind so aufwächst? Will ich, dass es … im schlimmsten Fall … ohne mich aufwächst?«

Wir sahen uns in die Augen, und obwohl ich mir deswegen wie der größte Scheißkerl vorkam, war ich in diesem Moment heilfroh, nicht er zu sein und seine Entscheidungen treffen zu müssen. Liebe verpflichtete. Aiden musste nun tun, was das Beste für seine Familie war.

Ich stand auf, legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte diese freundschaftlich. Keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Ich hatte niemanden, musste auf keinen achten oder Rücksicht nehmen – und ganz ehrlich, ich war darüber noch nie so glücklich gewesen wie in diesem verdammten Augenblick.

Ich konnte Aiden ansehen, dass er mit sich und seinem Leben haderte. Er glaubte an unseren Kampf, aber er wusste, dass es vernünftiger war, ihn für seine Familie aufzugeben. Am liebsten hätte ich ihm geraten, dass er die beiden in die Republik schicken sollte, ahnte jedoch, dass das falsch war, also hielt ich einfach meine Klappe. Ich kannte mich mit so was nicht aus. Bisher hatte ich keine Frau getroffen, mit der ich länger als ein paar Wochen verbringen wollte.

Meine große Liebe war die Freiheit.

»Komm jetzt, lass uns den Schweinehund hochjagen.« Aiden löste sich von mir, schnappte sich seine Jacke und deutete auf die Treppe, die vom Keller nach oben führte. »Ich geb dir nachher bei O’Sheas einen aus.«

Ich freute mich nicht gerade darauf, das Gespräch fortzusetzen, weil ich der wohl ungeeignetste Kerl überhaupt dafür war. Aber Aiden war mein Kumpel, natürlich wollte ich für ihn da sein. Und egal, wofür er sich letztlich entscheiden würde, ich würde es akzeptieren und ihn unterstützen. Es war sein Leben, nicht meins.

Also nickte ich, packte unsere Bombe vorsichtig ein und folgte ihm nach oben. Wir verließen sein Haus, gingen zum Auto des Spitzels und koppelten den Sprengstoff mit der Zündung. Alles lief glatt, keiner bemerkte uns. Wir waren bereits auf dem Weg zum Pub, als der schreckliche Unfall passierte.

Aiden hatte sich erneut in Rage geredet. Er gestikulierte wild, sprach laut und schaute nicht auf die Straße, als er sie überqueren wollte. Ich sah den Laster wie in Zeitlupe auf ihn zurasen, aber ich konnte nicht reagieren. Hilflos sah ich dabei zu, wie mein bester Freund vom Kühler erwischt und mitgeschleift wurde. Die blutige Spur auf dem Asphalt war noch Tage später zu sehen.

Letztlich starb er nicht in seinem Kampf für die Sache, sondern weil ein verfluchter Siebentonner ihn gerammt hatte. Was für ein unnötiger, sinnloser Tod.

Ein paar Tage später stand ich neben der schwangeren Darlene am Grab. Aidens Freundin war nicht nur seelisch zerstört, sie wusste nicht, was sie machen, wo sie hin und wie sie sich und das Baby ohne den Hauptverdiener über Wasser halten sollte. Ihre Verzweiflung zerriss mir das Herz.

Während sie neben mir schniefte und schluchzte, nahm ich mir vor, niemanden je in diese Lage zu bringen. Ich wollte mich und mein Leben keiner Frau aufbürden, um sie am Ende allein und traurig zurückzulassen. Mir war es lieber, frei zu bleiben und auch keinem anderen Menschen die Freiheit zu nehmen.

Die Bullen hatten zwar keine Beweise mehr nach dem Tod des Spitzels, im Visier hatten sie mich dennoch, daher beschloss ich, mich für eine Weile zu verdrücken. Ich ging in die USA und landete zunächst in einer Art Auffanglager für geflohene IRA-Kämpfer. Da ich schon damals eine einschüchternde Statur besaß und nicht auf den Mund gefallen war, übernahm ich rasch eine Aufgabe, und zwar die als Mittelsmann zwischen RIRA und den Advocates. So traf ich auf Syd, der wohl Mitleid mit mir hatte und mir einen Job und das Hinterzimmer des Clubhaus’ zum Pennen anbot. Auf diese Weise kam ich aus dem Matratzenlager raus, das ich mir mit ungefähr zwanzig Iren teilen musste. Und weil Syd und ich schnell merkten, dass wir einen Draht zueinander hatten, wurde ich bald vom Mittelsmann zum Member und richtete mir schließlich ein neues Leben in Wolfville ein.

So lief es eben – irgendetwas ergab sich immer, man musste nur ein wenig Vertrauen haben. Aber am Ende kam alles, wie es kommen sollte.

Die meisten Leute verstanden meine Art zu denken nicht. Wie konnte ich glücklich sein, in einem Wohncontainer, die meiste Zeit über nicht wissend, von wem ich meinen nächsten Lohnscheck erhalte? Ich fragte mich jedoch, wieso mir zu meinem Glück eine bestimmte Quadratmeterzahl oder ein Flachbildfernseher fehlen sollten. Kam doch eh nur scheiße in der Glotze. Außerdem ist es in Wahrheit so, dass die Dinge, die du besitzt, am Ende vielmehr dich besitzen. Auch Besitz ist eine Sucht.

Ich hatte ein Dach überm Kopf, ich hatte Kleider am Leib und Essen im Kühlschrank. Arbeit gab es immer irgendwo, und solange ich mir mein Bike und Sprit leisten konnte, war alles in Butter. Ich hatte den Club, ich hatte kein Problem damit, mir morgens im Spiegel in die Augen zu sehen und – das Wichtigste von allem – ich hatte meine Freiheit. Ich war zufrieden, obwohl mir die Leute einreden wollten, ich sollte es nicht sein. Vor allem die Mädels …

Keine Ahnung, woran es lag, aber irgendwie machte ich auf die meisten Frauen den Eindruck, dass ich aus meinem einsamen, lieblosen Dasein gerettet werden müsste. Dabei machte ich nie ein Geheimnis daraus, dass ich mit den Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts nur eine gute Zeit verbringen wollte, aber kein Mann für eine feste Sache war. Dennoch glaubten mir die wenigsten. Sie dachten, wenn ich sie erst einmal kennenlernte, würde mich das umstimmen. Tja, und am Ende war ich dann derjenige, der Ohrfeigen kassierte, weil sie sich selbst etwas vorgemacht hatten.

Ich glaube, im tiefsten Inneren hat mich die Sache mit Aiden immer blockiert. Seine Überlegungen, sein früher Tod, der Anblick von Darlene auf seiner Beerdigung … Ich wollte das alles nicht.

Doch dann kam diese Frau, die mich überraschend mitten ins Herz traf. Isabella war so tough, hatte diese Art von tiefen, dunklen Augen, bei denen man sofort die dahinter verborgenen Geheimnisse ergründen will. Sie verstellte sich nicht, um mir zu gefallen, sie war echt. Und sie hatte kein Interesse daran, mich zu retten oder zu verbiegen. Sie sah mich, wie ich wirklich war, sie respektierte mich, wie ich wirklich war, und mehr noch, sie beneidete mich für meine Art zu leben.

Ich hatte mich rettungslos in diese Frau verliebt, schon bevor ich überhaupt kapierte, was da eigentlich gerade mit mir geschah. Und obwohl das Ganze scheiß kompliziert hätte sein müssen, fühlte es sich mit ihr einfach nur leicht an. Als müsste es genau so sein.

Zum ersten Mal in meinem Leben gab es da etwas, das mir wichtig war, das ich unbedingt behalten wollte. Etwas, das ich nie gewollt hatte, aber das sich jetzt ganz anders anfühlte als gedacht. Isa war keine Bürde. Durch sie verstand ich auf einmal, dass Liebe nicht das Ende der Freiheit bedeutete. Sie war vielmehr ein Teil davon. Der Teil, der mir bisher zu meinem Glück gefehlt hatte. Und als ich das begriff, verlor ich sie auch schon.

Ich hatte wochenlang ein ungutes Gefühl gehabt. Als ich jedoch Ramirez’ Gesicht sah, an dem Abend, an dem die Clubs sich trafen, da wusste ich, dass es Krieg geben würde. Dann zog der Idiot seine Knarre, und ich hätte ihn am liebsten gepackt, geschüttelt und angebrüllt, weil er damit alles zerstörte, was ich mir die vergangenen Wochen aufgebaut hatte: Meine Beziehung zu seiner Schwester und die Freiheit, lieben zu dürfen, wen ich wollte. Er entriss mir diesen einen neuen, wichtig gewordenen Teil von mir, der schon fest mit mir verwachsen war, und ließ mich blutend zurück.

Ich hatte immer daran geglaubt, dass alles so kommen würde, wie es kommen musste. Bis zu diesem Tag. Ich konnte es schlichtweg nicht akzeptieren, dass die Frau, die mir die Welt bedeutete, plötzlich mein Feind war.

Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich diese Scheiße wieder hinbiegen sollte. Aber ich musste es schaffen. Ich wollte Isabella nicht verlieren; ich hatte sie doch erst gefunden.

Ich würde dafür kämpfen, dass wir zusammen frei sein konnten, das schwor ich mir. Und wenn es mich den Kopf kostete.

Interlude – It’s Up To Us. Again.

Emma hasste es, Scar anzulügen. Nicht nur, weil ihnen Aufrichtigkeit in ihrer Beziehung wichtig war, sondern hauptsächlich, weil er sie ohnehin durchschaute. Seine erhobene linke Braue hatte ihr verraten, wie wenig überzeugt er von ihrer Lüge war, irgendetwas Mysteriöses im Courtroom erledigen zu müssen, etwas, das nicht warten konnte, sodass sie ihn bei sich in der Wohnung hockenließ, direkt nachdem er von der Arbeit gekommen war. Allerdings hakte er nicht nach. Er wollte ihr wohl die Chance geben, ihre Angelegenheiten zu regeln, bevor sie ihm davon erzählte.

Emma würde nie verstehen, wie Scar derart scharfsinnig und gleichzeitig so zurückhaltend sein konnte. Aber sie liebte diese Eigenschaft an ihm. Und sie wünschte, sie könnte ebenso cool sein. Vor allem jetzt, da sie mächtig wütend auf einen gewissen Iren war und glaubte, platzen zu müssen, wenn sie die Wahrheit nicht sofort aus ihm herausschüttelte.

Sie warf Patricks Bike, das neben seinem Wohncontainer parkte, einen finsteren Blick zu, marschierte die Stufen zur Eingangstür hinauf und atmete tief durch, ehe sie anklopfte.

Zusammenreißen, ruhig bleiben, ermahnte sie sich.

Die Tür wurde aufgerissen, und vor ihr stand Pat, mit feucht glänzendem Haar und nur einem Handtuch um die Hüften gewickelt. Das große silberne Kreuz, das an einem Lederband um seinen Hals hing, ruhte auf seiner breiten Brust.

»Hey, was machst du hier?«, fragte er ernstlich überrascht.

»Ich muss etwas mit dir bereden. Lässt du mich rein?«

»Klar.« Er machte den Weg frei, deutete nach drinnen und zwinkerte ihr zu. Seine Heiterkeit schien jedoch nur aufgesetzt. »Hast du endlich die Nase voll von unserem Genarbten und flüchtest dich in meine Arme?«

»Du hast mich durchschaut«, raunte sie, trat an ihn heran und fuhr langsam mit dem Zeigefinger über seine nackte Brust gen Süden, während sie ihm tief in die Augen schaute.

Er schob gequält die Brauen zusammen. Nicht die übliche Reaktion, aber in etwa das, was Emma erwartet hatte. Fest pikte sie ihren Finger in seinen Bauch. »Was hast du wieder angestellt, Casanova?«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Ach, nein? Die Mädels hier sind zu leichte Beute, was? Du hast dir etwas mit mehr Nervenkitzel gesucht.«

Er drehte sich um, ehe sie seine Miene deuten konnte, und ging nach hinten ins Schlafzimmer durch. »Bist du gekommen, um mein Sexleben zu analysieren?«, rief er ihr zu.

Emma ließ sich auf der Bank am Fenster nieder und verschränkte die Arme vor der Brust. »So was Ähnliches.«

In einer verwaschenen Jeans kam er zurück und zog sich auf dem Weg zum ihr ein T-Shirt über. »Meinst du nicht, es gibt zurzeit größere Probleme?«

»Meinst du nicht, dass dein Sexleben Teil des Problems sein könnte?«

»Was?« Er stützte sich mit beiden Händen auf der Lehne eines Klappstuhls ab und blinzelte sie irritiert an.

Im Grunde wusste Emma gar nichts. Ihre erste Vermutung war gewesen, dass Fernando von Pats Affäre mit seiner kleinen Schwester erfahren hatte und deshalb so irrational und wütend geworden war. Aber anscheinend lag sie damit falsch. Verdammt. Sie hatte sich gerade fast scarmäßig cool gefühlt bei ihrem Auftritt.

Dennoch behielt sie die Strategie bei, so zu tun, als wüsste sie über alles Bescheid und hätte ihn längst überführt. »Machst du jetzt endlich den Mund auf? So schweigsam bist du sonst doch auch nicht.«

Er wippte mit den Zehen. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«

»Deine Füße sprechen eine andere Sprache.« Emma stand auf, stellte sich vor ihn und pikte ihm einmal mehr den Zeigefinger in den Bauch. »Ihr geht mir ziemlich auf den Keks mit eurer Heimlichtuerei«, äffte sie ihn und seinen irischen Dialekt nach. »Ich liebe dich, Emma, du gehörst zur Familie. Für was sind wir denn da, wenn nicht, um füreinander einzustehen?«

Pat legte den Kopf schief. »Was soll das denn jetzt?«

»Du, mein Bruder«, sie zielte mit dem Finger auf ihn, »bist ein Heuchler! Bei der Sache mit Scar hast du einen auf Moralapostel gemacht, und jetzt lügst du mir genauso ins Gesicht. Herrgott, Patrick, du hättest längst mit uns reden müssen.«

Er wandte den Blick zu Boden. Ein eindeutiges Schuldeingeständnis. Dennoch murmelte er: »Gelogen habe ich nie.«

»Aber auch nicht die Wahrheit erzählt. Also sag es mir: Wieso ruft Isabella Ramirez bei mir an und bittet mich darum, mit dir zu einem geheimen Treffpunkt zu kommen, von dem nur du weißt, wo er liegt?«

Er schaute sie eine ganze Weile lang nur an, während in seinen Augen überraschend viel Schmerz lag. Dann schüttelte er schließlich den Kopf.

»Patrick«, sagte Emma warnend.

»Wir werden da nicht hinfahren.« Er wollte sich umdrehen, aber Emma hielt ihn am Arm fest.

»Es ist keine drei Monate her, da haben wir uns zu zweit einem Drogenkartell gestellt. Wir haben Scar den Arsch gerettet, wir haben zusammengehalten, und wir haben uns nicht verraten. Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Und du weißt, dass du etwas bei Scar und mir guthast.« Sie knuffte ihn gegen die Schulter. »Also wieso bist du nicht zu uns gekommen? Was sollen die Heimlichkeiten auf einmal? Das passt nicht zu dir.«

Er schnaubte, raufte sich die Haare und rang sichtlich nach Worten. Der verzweifelte Blick, mit dem er Emma ansah, stach ihr mitten ins Herz.

»Weil es mich selbst überfordert hat«, antwortete er endlich. »Meinst du, ich wollte das? Mir selbst das Leben schwer machen, indem ich mich in Ramirez’ Schwester verliebe? Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Außerdem hat mich Isa gebeten, die Klappe zu halten.«

Emma blinzelte ihn mit offenem Mund an. Hatte er gerade gesagt … »Verliebe? Scheiße, ich dachte, du hättest sie nur flachgelegt.«

»Und für eine schnelle Nummer riskiert, beim Club als Verräter abgestempelt zu werden und zusätzlich den finsteren Mexikaner zu verärgern?«

»Na ja, wenn du etwas wolltest, hast du nie viel über Konsequenzen nachgedacht …«

»Dieses Mal ist es nicht so, Em.« Er lehnte sich mit den Unterarmen auf die Stuhllehne und ließ den Kopf hängen. »Ich liebe sie. So sehr, dass ich mich von ihr trennen muss. Ich will nicht, dass sie sich einmischt und in Schwierigkeiten gerät. Außerdem …« Er lachte auf, aber es klang traurig. »Ich verkrafte es nicht, sie wiederzusehen, wenn ich weiß, dass es vorbei ist.«

Emma musterte ihn eine Weile lang stumm. Patrick O’Reilly war verliebt. Wie hatte sie das nicht sehen können? Rückblickend war es so offensichtlich.

Dass ihm das Herz gebrochen worden war, schmerzte Emma. Es war wohl Ironie des Schicksals, dass die erste Frau, die ihm wirklich etwas bedeutete, unerreichbar für ihn war.

»Es tut mir leid, Pat. Ich hätte es dir gegönnt, glücklich zu sein, du hast es verdient.«

»Was man verdient und was man bekommt, ist meist nicht dasselbe und schon gar nicht gerecht«, murmelte er.

Emma legte eine Hand an seine Wange und drängte ihn sanft dazu, sie anzusehen. »Ich verstehe, dass es wehtut, sie wiederzusehen. Aber es geht hier um so viel mehr als euch beide. Ich weiß nicht, was sie uns sagen will, aber wenn es diese Scheiße beenden kann, müssen wir sie anhören.« Sie atmete tief durch. »Außerdem schulden wir Isa einiges.«

»Nichts, was sie sagt, kann es aufhalten. Unser Pres will diesen Krieg, dafür geht er über Leichen.« Sein Blick wurde hart. »Und ich will nicht, dass die nächste Leiche Isabella ist.«

»Ja, Syd will diesen Krieg, aber was soll er tun, wenn er überstimmt wird?« Pat schnaubte, wollte etwas erwidern, doch Emma sprach weiter: »Ich weiß nicht, was mit euch beiden los ist, und ich weiß auch nicht, was unser Pres getan hat, wenn wir allerdings Blaze auf unsere Seite bringen, hat er keine Macht mehr. Der VP ist vernünftig, Pat, wir können mit ihm reden.«

»Wie stellst du dir das vor?« Er deutete auf den Waffengurt, der neben seiner Kutte an der Garderobe hing. »Wir sind kein Buchclub, wir sind Outlaws. Wenn Syd von Isa erfährt, dass sie Informationen hat, die ihn belasten, findet er einen Weg, um sie zu beseitigen. So löst er all seine Probleme.«

Emma schauderte. Sie traute sich nicht, darüber nachzudenken, was sie alles nicht über diesen Menschen wusste, der ihr plötzlich gänzlich fremd vorkam. »Wenn du all das weißt … wieso hast du bisher loyal hinter ihm gestanden?«

Er raufte sich die Haare, wandte den Blick zu Boden. »Mein Leben war immer ein Kampf. Ich habe mich auf eine Seite gestellt und als treuer Soldat gedient, mich für die Sache eingesetzt, mit Leib und Seele.« Vorsichtig blickte er ihr in die Augen. »Das geht so lange, wie ich überzeugt bin, das Richtige zu tun und auf der richtigen Seite zu stehen. Aber seit einer ganzen Weile schon merke ich, dass Syd und ich unterschiedliche Ziele verfolgen.«

Eine eisige Gänsehaut breitete sich auf Emmas Körper aus. Sie ließ sich wieder auf die Bank fallen und schlang die Arme um sich. »Was sind das für Ziele?«

»Ich will ein freier Mann sein, Syd will Rache. Er ist geradezu besessen davon, aber ich habe es leider zu spät erkannt. Ich hätte mich früher gegen ihn stellen, B mehr mit einbeziehen müssen, mich von ihm nicht so einlullen lassen dürfen.«

Sie legte ihre Hand auf seine, was ihn noch gequälter dreinschauen ließ. »Du trägst keine Schuld, Patrick. Wenn du diesen Wahnsinn allerdings stoppen willst, müssen wir uns mit Isa treffen. Bitte.«

Ihm war deutlich anzusehen, wie unangenehm ihm diese Vorstellung war. Er musste Isa wirklich sehr gern haben.

»Egal, was sie für Informationen hat, wir können es uns nicht leisten, sie abzulehnen.« Emma drückte seine Hand auffordernd. »Lass uns hinfahren und danach weiterüberlegen. Vielleicht ist es Zeitverschwendung, aber vielleicht auch nicht.« Da er nur widerwillig das Gesicht verzog, stand sie wieder auf, legte beide Hände auf seine Schultern und schüttelte ihn leicht. »Du schaffst das. Ich bin ja bei dir.«

Er seufzte, dann setzte er ein leichtes Grinsen auf. »Anscheinend ist es an uns, diesen Scheißtag zu retten. Wieder einmal.«

»Tja, so ist das mit Helden. Wir haben niemals frei.«

Er lachte. Nicht laut und frei wie sonst, aber es war ein Anfang.

Chapter Eight – Give Me One Good Reason

Isa starrte gegen Nandos Schlafzimmertür und versuchte zu verarbeiten, was in den letzten Stunden geschehen war. Es hatte eine Schießerei stattgefunden, die Clubs hatten sich den Krieg erklärt, ihr Bruder war verletzt, Patrick und sie konnten unter diesen Umständen nicht zusammen sein – Isas gesamtes Leben war in sich zusammengefallen, mit nur einem Wimpernschlag alles vorbei und das durch die Entscheidungen anderer Menschen. Sie wusste, dass das alles wahr war, aber es fühlte sich total unwirklich an.

Sie hörte ein Scheppern von unten und erwachte aus ihrer Starre. Die Männer ihres Bruders waren nach wie vor hier, saßen auf der Couch und am Esstisch, manche schliefen, manche redeten zu laut. Das untere Stockwerk war wie ein Wartebereich im Krankenhaus. Isa würde sich später darum kümmern, zuerst musste sie mit Nando sprechen.

Leise öffnete sie die Tür und trat ins Zimmer. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, weshalb es im Raum taghell und der Verletzte deutlich zu sehen war. Die Decke war ihm bis zur Hüfte hinuntergerutscht, durch das weiße T-Shirt konnte Isa die Umrisse des dicken Verbands erkennen, der seinen Bauch bedeckte.

Nandos Augen waren geschlossen, sein Gesicht blass und schweißnass. Er atmete schwer und sah furchtbar klein und verletzlich aus, wie er dort in seinem Bett lag. Isas Herz krampfte schmerzvoll in ihrer Brust, und sie musste gewaltsam die Tränen zurückhalten.

So wütend sie auf ihn war, es war ihr schmerzlich bewusst, dass sie ihn heute fast verloren hätte. Und dann wären sie im Streit voneinander geschieden. Sie mussten das, was zwischen ihnen stand, sofort klären; und sie mussten von nun an offener und ehrlicher zueinander sein. Das war ihr klar geworden.

Isa holte den Stuhl von Carmens Schminktisch, stellte ihn neben das Bett und setzte sich. Tief durchatmend verschränkte sie die Finger im Schoß und betrachtete Nandos Gesicht. Seine Brauen schoben sich zusammen, und eine Falte bildete sich zwischen ihnen. Er war wach.

»Wie geht es dir?«, fragte Isa leise.

Er verzog die Lippen, als er ein Stück nach oben rutschte. Es war deutlich, dass ihn jede Bewegung schmerzte. »Alles gut«, raunte er.

»Ist es das.« Das Herz in Isas Brust wurde bleischwer und zog sie förmlich hinab. Sich aufrecht zu halten, kostete sie Unmengen an Kraft. Sie konnte die Gedanken, die sie befallen hatten, als sie in ihrem Zimmer gekauert, geweint und gebetet hatte, nicht wieder abschütteln. »Du bist wie unser Vater.«

Ihre Stimme war nur ein Flüstern, aber er hatte sie verstanden. Flatternd öffneten sich seine Lider, und in seinen Augen erkannte sie eine Mischung aus Schmerz, Wut und Unverständnis.

»Ich habe mich so lange geweigert, es zu erkennen, aber wir beide sind wie unsere Eltern.« Sie wandte den Blick ab, schaute auf ihre Hände und schüttelte den Kopf. »Ich habe immer geglaubt, du würdest besonnener handeln als Papá. Ich dachte, unsere Familie und das friedliche Leben hier wären dir das Wichtigste. Aber du bist genauso berechnend und stolz wie er.« Nando holte Luft, aber Isa ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Und ich nehme es hin. Ich verschließe die Augen vor dem, was du tust, und lebe in meiner eigenen rosafarbenen Blase aus Naivität. Genau wie Mamá.«

Diese Erkenntnis hatte Isa wie ein Schlag getroffen, und auch jetzt musste sie tief durchatmen, um den dicken Kloß zu vertreiben, der sich in ihrer Kehle formte.

»Was redest du denn da, mi pequeña? Hör mal, es tut mir leid, dass ich dich gestern im Flur derart angegangen bin, aber …«