Ein freies Kapitel

Emmi und Einschwein saßen auf dem Rücken von Papas großem Drachen und ließen sich durch die Lüfte tragen. Warmer Frühlingswind wehte ihnen um Nase und Rüssel. Die Sonne machte sich gerade daran unterzugehen und tauchte Wichtelstadt in rosa Abendlicht. Weiter hinten zogen Schäfchenwolken vorbei, und die wurden auch ganz rosa von diesem abendlichen Leuchten.

Einschwein lehnte sich an Emmis Bauch. »Das ist die feinste Wonne«, sagte das Schwein zufrieden. »So sieht sie aus, die Freiheit.«

Emmi legte die Arme um ihr Fabelwesen. »Die Freiheit von Leuten, die Ferien haben«, sagte sie.

Immerhin begannen morgen die Frühlingsferien. Zwei ganze Wochen! Nun waren sie auf dem Weg in die Pizzeria von Luigi, um für die ganze Familie Pizza zu holen. Das war am ersten Ferienabend nämlich genau das Richtige.

»Jetzt seid ihr so frei wie Schäfchenwolken«, stimmte Drache Henk zu.

Einschwein schnaufte durch seinen Rüssel. »Wir sind sogar so frei wie die Schäfchenwolken und die Sonne zusammen. Emmilein ist nämlich meine Sonne.«

»Und du bist meine kleine Schäfchenwolke«, sagte Emmi und pikte Einschwein in den Bauch, und da kicherten sie beide.

Der große blaue Drache drehte seinen Kopf zu ihnen herum. »Bin ich auch deine kleine Schäfchenwolke?«

Emmi tätschelte die warme Haut des großen Drachen. »Von einem Schäfchen kann bei dir keine Rede sein.«

Der Drache grummelte vor sich hin, weil er eben doch eine Schäfchenwolke sein wollte.

»Dafür bist du immer frei. Weil du fliegen kannst«, sagte Emmi.

»Fliegen ist das Beste. Über den Wolken ist die Freiheit grenzenlos«, sagte der blaue Drache. »Ich weiß gar nicht, wie ihr das aushaltet, ihr Nichtflieger und Rumlaufer. Dann wollen wir sie mal genießen, unsere Freiheit! Alle Mann festhalten!«

Blaue Drachlinger sind hervorragende Flieger, und so legte Henk ein paar Saltos hin und dann natürlich noch einige Doppelhexer, weil er sich diese Drehungen selbst ausgedacht hatte. Dabei zischte er nur knapp an einem Wiesendrachen vorbei. Emmi kreischte, aber beide Drachen lachten. Wiesendrachen sind sehr freundlich, und sie sind die häufigste Drachenart in Wichtelstadt.

Mittlerweile war die Sonne untergegangen, und der Himmel wurde dunkel.

Und genau da war es so weit! Unter ihnen leuchteten die ersten Fluglichter auf. Falls ihr irgendwann mal in Wichtelstadt seid, und ihr habt die Möglichkeit, auf einem Fabelwesen zu fliegen, dann solltet ihr diesen Moment auswählen. Es ist nämlich der herrlichste Moment des Tages.

In Wichtelstadt gibt es normale Straßenlaternen, wie es sie bei uns auch gibt. Diese Laternen leuchten in der Nacht für die Menschen und für alle Fabelwesen, die nicht fliegen können. Aber was braucht man in Wichtelstadt noch? Na klar! Licht für die fliegenden Fabelwesen. Damit Drachen und Vögel, Feen und Elfen und all die anderen geflügelten Wesen nachts nicht zusammenstoßen.

Diese Fluglichter waren so groß wie Fußbälle. Am Tage lagen sie oben auf den Straßenlaternen, in Körben, die extra für die Fluglichter angebracht worden waren. Sobald die Sonne unterging, flackerten sie auf und leuchteten hell und bunt in allen Farben. Dann schwebten sie nach oben in die Lüfte.

Staunend sahen Emmi und Einschwein zu, wie sich der Himmel von Wichtelstadt mit den Fluglichtern füllte. Langsam und anmutig schwebten sie hoch und blieben über den Dächern von allein hängen, als ob ein unsichtbares Band sie festhielte. Eigentlich sah es aus wie ein leuchtender Stadtplan. Dank der Fluglichter und ihrer verschiedenen Farben wusste jedes fliegende Fabelwesen, wo die Straßen waren.

Henk musste im Dunkeln zwar etwas langsamer fliegen, aber es war ein ordentlicher Spaß, zwischen den Fluglichtern herumzuschwirren.

Als Einschwein die Pizzeria erblickte, knurrte sein Magen so laut, dass Emmi lachen musste. Henk setzte zur Landung an. Gerade da flog eine kleine Blütenfee an ihnen vorbei, einen Strauß mit Maiglöckchen in der Hand. Sie guckte nicht rechts oder links und schon gar nicht nach oben, sondern flog munter vor sich hin, aber dank der Fluglichter konnte Henk die kleine Fee sehen. Er bremste scharf ab und flog nach rechts, um sie nicht zu erschrecken. Die Fee flog weiter und merkte nicht mal, dass sie nur knapp einem Zusammenprall entgangen war.

Henk erhob den Zeigefinger seiner Pranke. »Wenn Drachen unter sich sind, können sie einen ziemlich wilden Flugstil haben. Sind aber andere fliegende Fabelwesen in der Nähe, hat der Drache manierlich und rücksichtsvoll zu fliegen«, erklärte er.

Emmi lächelte und streichelte seinen Hals, denn diesen Satz sagte der Drache ziemlich oft.

»Vor allem auf Feen muss man ordentlich aufpassen. Die träumen nämlich immer«, sagte Henk.

Familie Brix kam gern in die Pizzeria, denn Luigi machte die beste Pizza der Stadt. Aber der Drache musste draußen warten, denn es war sehr fein bei Luigi, und Henk riss schon mal aus Versehen ein Tischtuch zu Boden. Oder auch einen ganzen Tisch.

Luigi und sein Fabelwesen, der Benimm-Storch Lollo, trugen schwarze Fliegen um die Hälse. Emmi hatte ein wenig Angst vor Lollo. Benimm-Störche sind etwas größer als normale Störche und haben ebenfalls schwarz-weißes Gefieder. Sie sind sehr hilfsbereit, und Lollo trug oft Pizza zu den Tischen oder suchte ein verschwundenes Portemonnaie. Allerdings achten Benimm-Störche auch auf gutes Benehmen und erwarten, dass sich alle so ordentlich verhalten wie sie selbst.

Emmi bestellte sieben Pizzen, drei davon für Henk, und dann setzten sie sich an einen Tisch und warteten. Also, Emmi wartete am Tisch. Einschwein entdeckte unter dem Tisch einen kleinen Kobold. Sofort begannen Schwein und Kobold ein heiteres Fangenspiel. Dabei kitzelte Einschwein eine Dame am Bein, die daraufhin erschrocken aufsprang – und ihre Spaghetti zu Boden riss.

»Einschwein, nein!«, rief Emmi entsetzt.

Benimm-Storch Lollo wirkte ein bisschen verärgert, und er entschuldigte sich bei der Dame. Einschwein wollte sich auch entschuldigen und zauberte neue Spaghetti. Mit seinem Horn konnte es nämlich Essen zaubern und diese Fähigkeit nannte sich Kulinarische Magie. Das Schwein gab sich ordentlich Mühe, aber Emmi sah gleich, dass Lollo nicht zufrieden war. »Hier wird nur gegessen, was aus unserer Küche kommt«, sagte der Storch, und sein Schnabel klapperte streng. Er zeigte auf ein Schild an der Wand.

Lollo holte Putzzeug, um die Reste der Nudeln vom Boden wegzuräumen. Aber schon war Einschwein dabei, die Spaghetti vom Boden aufzuschlabbern, denn wie es sich für ein Schwein gehörte, liebte es Essensreste.

Nun kam auch Luigi aus der Küche angelaufen. Er und sein Storch riefen gleichzeitig: »Nein!«, und zeigten auf ein weiteres Schild an der Wand.

»Was machst du denn?«, fragte der Benimm-Storch. »In einem Restaurant isst man nicht vom Boden. Niemals.«

Einschwein wollte wissen, warum man das wohl nicht tat.

»Das macht man eben nicht. Nur Ferkel essen vom Boden«, sagte Lollo mit seiner knarzigen Storchen-Stimme.

Oh, oh, das hätte er lieber nicht sagen sollen! Erschrocken sah Emmi zu ihrem Fabelschwein. Wenn man Schweinewörter benutzte, um schlechte Dinge zu sagen, ging Einschwein das mächtig gegen den Strich. Es gab viele schlechte Schweinewörter: Ferkel, Sau, Dreckschwein, Sauerei. Und Einschwein wurde richtig aufgebracht, wenn jemand sie benutzte.

»Wenn ich ein Ferkel bin, dann bist du ein … ein klappriger Klapperstorch!«

»Was?«, fragte Lollo und verzog sein Gesicht. »Hör mal, du ungezogenes Ferkel!«

»Du piepspupsiger Piepmatz!«, sagte Einschwein.

Nun reichte es Lollo. Er zeigte auf ein weiteres Schild.

Mit seinem Schnabel packte er Einschwein am Schlafittchen und trug es vor die Tür. »Wer sich nicht benehmen kann, wartet draußen«, sagte er.

»Lass Einschwein los!«, rief Emmi.

»Lollo, lass mich runter!«, rief Einschwein. »Du flatterhaftes Federvieh!«

Luigi lief hinter Lollo her und sagte, dass sein Storch ganz recht hätte.

Als sich die Tür öffnete und Einschwein rausgetragen wurde und Emmi hinterherrannte, sah Henk erschrocken auf. Er hatte ein Nickerchen gehalten, und nun runzelte er seine große Drachenstirn. »Was ist denn hier los?«, fragte er.

»Das Schwein weiß sich nicht zu benehmen«, sagte Lollo.

»Und die Pizza?«, fragte Henk erschrocken.

»Gibt es heute für euch nicht. Bedank dich bei dem kleinen Ferkel hier«, sagte Lollo, noch immer ärgerlich.

Dann gingen die beiden zurück in ihr Restaurant.

Also, das war ja ein schöner Ferienanfang! Emmi ärgerte sich über Luigi und Lollo, weil sie so streng gewesen waren. Aber sie ärgerte sich auch über ihr Fabelwesen. »Kannst du dich nie an Regeln halten?«, schimpfte sie und schob das Schwein auf den Drachenrücken.

»Ich versuche es ja, Emmilein«, sagte Einschwein.

Auf dem Rückweg, ungefähr über dem Fabel-Park, merkte Emmi, dass es sehr dunkel war am Abendhimmel. Irgendwie zu dunkel. Sie blickte sich um.

»Irgendwas ist heute komisch«, brummte nun auch der große Drache. Er wurde langsamer. »Ist so dunkel.«

»Finde ich auch«, stimmte Emmi zu.

»Vielleicht kommt euch das nur so vor, weil ihr Hunger habt«, schlug Einschwein vor.

»Nee«, sagte Henk. »Ich hab immer Hunger. Aber es ist nicht immer so dunkel.«

Wusch! Etwas sauste direkt an Emmis Nasenspitze vorbei. Einschwein zuckte so erschrocken nach hinten, dass es mit seinem Horn an ihre Nase stieß. Sie hörte einen Aufprall, der so klang, als wäre ein Vogel gegen eine Tür geknallt. Vor ihr auf dem Drachenrücken entdeckte sie eine kleine grüne Fee. Sie fluchte und schimpfte und flatterte.

Dieses Kapitel bekommt einen Strafzettel

Henk hatte sich ordentlich erschrocken. Sehr vorsichtig flog der Drache nach unten und landete in der Allee am Fabelpark. Diese breite Straße verlief direkt neben dem Park und war um diese Zeit ziemlich leer.

Die grüne Fee, die auf Henks Rücken geknallt war, kam auf die Beine. »Zum dreimal verflippten Donnergemümmel! Was soll denn das Gehumpe, du dicker Fliegbolzen?«, schimpfte sie den Drachen an und hielt ihm ihre winzige Faust entgegen.

Henk drehte seinen langen Hals nach hinten. »Was hat der Vogel gesagt?«, fragte er verdutzt.

»Ich möchte doch aufs Geherzteste bitten!«, schimpfte die Fee. »Ich bin kein Vogel, ich bin eine Fee.«

»Ach was?!«, sagte Henk.

Emmi war sich nicht ganz sicher, welche Art Fee das wohl sein konnte. »Bist du eine Waldfee?«, fragte sie.

»Aufs Keinigste!«, empörte sich die Fee. »Ich bin eine Grüne Gefiederfee, wenn du es schon so genau erfrugst.«

Ei! Das erklärte nun einiges. Emmi machte dem Drachen Zeichen. Grüne Gefiederfeen waren von Hause aus ein wenig verrückt, und man sollte nicht versuchen, ein sinnvolles Gespräch mit ihnen zu führen.

Einschwein seinerseits saß da – und strahlte die kleine Gefiederfee an. »Das ist die feinste Rumrederei, die ich je gehört habe«, sagte es. »So ein lustiges Gespreche kenne ich sonst nur von mir selbst.«

Die Fee schüttelte sich, und ihr Gefieder schillerte grün. Sie hatte durchsichtige Feenflügel, und ihre Augen leuchteten groß und wild. Alles in allem eine typische Naturfee.

»Hast du dir wehgetan?«, fragte Emmi besorgt.

»Hab ich. Schließlich ist dieser riesige Fliegbolzen in mich hineingefliegert!«, beklagte sie sich.

Emmi erklärte der Fee, dass Henk das nicht mit Absicht getan habe. Und dass es plötzlich so dunkel gewesen sei. Aber die Grüne Gefiederfee war über die Maßen erbost und bestand darauf, dass sofort die Polizei gerufen würde.

Als Henk das Wort Polizei hörte, griff er in seine Satteltasche und holte ein altes Klapphandy heraus, das von Familie Brix nur »das Drachen-Handy« genannt wurde. Er rief bei Mama an, schließlich war sie Polizistin.

Nach wenigen Minuten fuhr ein Polizeiauto mit Sirene heran, und das grüne Gefieder der Fee schillerte herrlich türkis im Blaulicht. Mama sprang aus dem Auto und rannte auf Emmi zu.

»Was ist passiert?«, rief sie.

»Wir hatten einen Flugunfall«, sagte Einschwein.

Erschrocken tastete Mama Emmi und Einschwein ab, um sicherzugehen, dass ihnen auch nichts fehlte.

»Mir fehlt was!«, rief die Gefiederfee. »Nicht dem jungen Gehüpfe. Mir!«

Und da musste Mama auch die Fee abtasten. Sie stellte fest, dass ihr ebenfalls nichts fehlte.

»Und doch fehlt mir was! Mein Moos!«

Sie erzählte, dass sie gerade auf dem Nachhauseweg gewesen war. »Hab Moos gesammelt und auch herrlich stinkiges Flusswasser, damit ich mir die Füße waschen kann. Und da ist dieser batzige Drache in mich hineingerippelt. So ein rücksichtsloser Fliegbolzen ist das.«

Nun regte sich auch Henk auf, weil ihm jemand vorwarf, ein rücksichtsloser Fliegbolzen zu sein. »Noch nie im Leben habe ich eine Fee umgeflogen!«, verteidigte er sich. »Ich fliege immer manierlich und rücksichtsvoll.«

»Das entscheidet wohl besser die Polizei«, sagte eine Männerstimme laut.

Emmi drehte sich um. Hinter ihr stand ein Polizist mit einem strengen Gesicht und einem kurzen Schnurrbart. Er schob seine Mütze zurecht.

»Das ist Herr Pempel, mein neuer Kollege«, sagte Mama.

Emmi hatte schon einiges über diesen Herrn Pempel gehört, denn Mama erzählte manchmal beim Abendbrot von ihm und seinem Fabelwesen. Ehrlich gesagt – Mama kam nicht besonders gut mit ihm aus. Trotzdem mussten die beiden jeden Tag zusammen in einem Polizeiauto fahren.

»Es gibt hier einen Verkehrsrüpel?«, fragte er.

»Was ist ein Verkehrsrüpel?«, fragte Einschwein.

Eine Katze maunzte und sprang auf die Schulter von Herrn Pempel. Sie hatte schwarzes Fell und leuchtend grüne Augen. »Das ist jemand, der sich nicht an die Verkehrsregeln hält«, sagte die Katze. Sie hieß Petra und war das Fabelwesen von Herrn Pempel. Und sie war eine Petzekatze. Leider.

Petzekatzen petzen. Den ganzen Tag. Sie können nicht anders. Wenn sie nichts zu petzen haben, ist ihnen langweilig, gibt es aber etwas zu petzen, sind sie rundum glücklich. Sie setzen sich gern zu Menschen und tun so, als wären sie niedliche Kätzchen. Dabei belauschen sie die Menschen, und dann gehen sie los und petzen. Aber sie können nichts dafür, sie sind einfach so.

Also: Wenn sich mal eine schwarze Katze auf euren Schoß setzt, und ihr wollt ihr ein Geheimnis anvertrauen – dann überlegt es euch gut. Es könnte eine Petzekatze sein.

Herr Pempel blickte streng zu Henk. »Von Drachen ist man das ja nicht anders gewohnt. Die machen, was sie wollen.«

»Henk war das nicht!«, rief Emmi.

»War er wohl. Weil er ein ganz verkehrter Verkehrsrüpel ist!«, sagte die Fee.

Emmi nahm Mamas Hand. »Aber Henk hat nichts gemacht.«

»Wohl doch hat er! Dieser Feen-umflieg-Rüpel!« Die Grüne Gefiederfee sagte noch dreimal »Fliegbolzen«, dann flog sie nach Hause. Besorgt sah Henk ihr nach.

Herr Pempel nahm seine Polizeimütze ab, holte ein Taschentuch heraus und wischte sich über die verschwitzte Stirn. »Gibt es Zeugen für diesen Umflug?«, fragte er und sah sich um.

Die Straße war um diese Zeit fast leer. Nur eine ältere Dame stand auf der anderen Straßenseite. Sie hatte eine Tasche auf Rädern dabei, die sie hinter sich herzog. In der Tasche saß ihr Fabelwesen, ein freundlicher kleiner Nebeldrache.

»Sie da!«, rief Herr Pempel. »Kommen Sie mal rüber!«

Erschrocken tippelte die Dame über die Straße. Sie hatte einen Dutt und trug eine Kette mit Katzenanhänger. Vor Aufregung spie der Nebeldrache eine Nebelwolke.

»Haben Sie was gesehen?«, fragte Pempel und wedelte sich die Nebelwolke aus dem Gesicht.

»Wir haben alles genau gesehen, Herr Wachtmeister«, sagte die ältere Dame. Sie war ein wenig aufgeregt. »Wir waren unterwegs. Wie jeden Abend.«

»Was machen Sie jeden Abend hier?«, fragte Pempel streng.

»Katzen füttern«, erklärte die Dame. »Weil die armen Straßenkatzen auch was essen müssen.«

Sofort war Petzekatze Petra zur Stelle. »Fremde Katzen darf man nicht füttern!«

»Aber sie sind ja nicht fremd. Ich kenne sie doch«, sagte die Dame. »Da vorn leben Bienchen und Mienchen und dahinten der David und …«

»Trotzdem!« Herr Pempel zog einen Block Papier aus seiner Jackentasche und schrieb etwas darauf. Emmi linste auf das Blatt. Er füllte einen Strafzettel aus! »Füttern von Fremdkatzen ist verboten! Zur Strafe zahlen Sie 20 Euro«, sagte er und hielt der Dame den Zettel hin.

Mama nahm den Strafzettel wieder zurück und zerknüllte ihn. »Wegen der Fremdkatzen können wir ruhig ein Auge zudrücken«, sagte sie. »Erzählen Sie doch lieber mal, was Sie gesehen haben.«

Die Dame nickte. »Ja, natürlich, Frau Wachtmeister! Das war so …«

Emmi nahm Einschwein auf den Arm, und sie drängten sich ganz dicht an Mama, denn sie wollten es auch hören. Von der anderen Seite schob sich der große Kopf von Drache Henk dazu.

»Ich hatte gerade für Bienchen und Mienchen eine Packung Futter geöffnet. Und Bienchen hat sich mal wieder vorgedrängelt.«

»Wie süß«, sagte Mama freundlich, »aber haben Sie etwas von dem Flugunfall mitbekommen?«

»Kein Flugunfall!«, sagte nun der Nebeldrache aus der Tasche heraus. »Ein Monster. Ein gewaltiges Monster.« Er klimperte langsam mit seinen Augen und puffte noch etwas Nebel.

»Ein Monster?«, fragte Mama erstaunt.

Drache und Dame nickten. »Ein echtes Monster, Frau Wachtmeister. Mit viel Fell. Es ist hier rumgerannt. Und gesaust. Und gedüst. Und hat alle Katzen vergrault. Mienchen und Bienchen sind ganz schnell weggelaufen.«

Herr Pempel plusterte ungeduldig die Wangen auf. »Und was hat das mit dem Unfall zu tun?«

»Nichts. Das zottelige Monster ist an uns vorbeigesaust, direkt vor unseren Nasen lang. Mit bösen gelben Augen hat es uns angesehen. Da haben wir uns ganz fix da drüben im Hauseingang versteckt.« Die Dame tätschelte ihren Drachen, und er nickte.

»Na gut, vielen Dank«, sagte Mama. Sie zwinkerte Emmi zu. Aus der älteren Dame und ihrem Nebeldrachen war wohl nichts Brauchbares über den Unfall herauszuholen. Die Dame machte sich wieder auf den Weg und zog die Rolltasche mit dem kleinen Nebeldrachen hinter sich her.

»Die Sache ist klar. Euer blaue Drache hat Schuld.« Polizist Pempel zückte wieder den Block mit den Strafzetteln. »Er ist rücksichtslos geflogen.«

»Das ist ungerecht!«, schnaufte Henk. Emmi konnte sehen, dass der Drache eine große Träne in seinem linken Auge hatte. Dabei weinte Henk sonst nie.

Nun reichte es Einschwein. Es krabbelte auf Henks Rücken und versuchte, mit seinen kurzen Armen den Drachenhals zu umarmen. »Niemand darf so mit meinem Drachen reden!« Alle sahen das Schwein an. »Er ist der tollste Flieger! Und er fliegt nie eine Fee um. Aber es war so dunkel!«

»Was meinst du damit?«, fragte Mama überrascht.

»Also, Mama! Mit dunkel meine ich natürlich dunkel«, sagte das Schwein.

Mama sah nach oben. »Stimmt, es sieht dunkler aus als sonst.«

»Das kann ja nun nicht sein«, behauptete Herr Pempel. »Dafür gibt es extra die Fluglichter.«

Mamas Fabelwesen, der Blütenspatz Pieps, saß auf ihrer Schulter. »Ich finde auch, dass es ziemlich dunkel ist«, sagte der Vogel. »Vielleicht sind ein paar Fluglichter kaputt.«

Aber Herr Pempel wollte davon nichts wissen. Er schrieb einen Strafzettel und drückte ihn Henk in die Pranke. »Für rücksichtsloses Umfliegen einer Fee. Das kostet 100 Euro.«

»Was?«, sagte Pieps und tippte sich mit seinem Flügel an die Stirn.

»Der Vogel hat dir einen Vogel gezeigt«, petzte die Petzekatze.

Und da schrieb Herr Pempel gleich noch einen Strafzettel. »Fürs Vogelzeigen.« Er sah Pieps an. »Jawohl. Das kostet 10 Euro.«

Petra mischte sich ein. »Aber er ist ein Vogel«, nörgelte sie. »Wenn ein Vogel einen Vogel zeigt, kostet das mehr. Weil es ein doppelter Vogel ist.«

Herr Pempel schrieb einen neuen Strafzettel. »Zeigen eines Doppelvogels kostet doppelt. Also 20 Euro.«

Emmi sah fassungslos zu Mama. Die zuckte nur mit den Schultern, und Emmi verstand nun, warum sie mit ihrem neuen Kollegen nicht gut auskam.

»Vogelzeigen ist doch nicht verboten«, sagte Einschwein.

»Ist es wohl!«, sagte Herr Pempel. »Ich bin die Polizei. Ich weiß, was verboten ist. Und du bist nur ein Schwein.«

Emmi wollte etwas sagen, aber da begann Drache Henk zu qualmen, und Feuer schoss aus seinem Maul. Pempel und Petra sprangen erschrocken beiseite. Mama meinte, es wäre besser, wenn sie jetzt gingen.

Henk weigerte sich zu fliegen, weil er Angst hatte, wieder eine Fee umzufliegen, deshalb mussten sie nach Hause laufen.

»Wo ist eigentlich die Pizza?«, fragte Mama plötzlich.

Emmi und Einschwein sahen sich an. »Das hat nicht geklappt«, sagte Emmi.

»Was soll das denn heißen?«, fragte Mama verwundert.

»Manchmal klappt eben was nicht, Mama«, sagte Einschwein.

Mama fragte zwar nach, aber Emmi und Einschwein wollten nichts weiter über die Pizza sagen.

Pieps bringt Licht in dieses Kapitel

Am nächsten Morgen wachte Einschwein früh auf und schlüpfte in seine kleine gelbe Latzhose. Emmi zog sich die Decke über den Kopf, denn sie war noch müde, aber das half ihr gar nichts. Einschwein kannte kein Pardon. Es zog ihr die Bettdecke weg und flüsterte mit seinem Rüssel in ihr Ohr. Es kitzelte.

»Steh auf!«

»Nein«, murmelte Emmi. »Ich hab Ferien, ich will ausschlafen.«

»Eben genau darum«, sagte Einschwein. »Wenn man Ferien hat, soll man früh aufstehen. Damit man nichts von der schönen Ferienzeit verpasst.«

Da musste Emmi aufstehen und dem aufgedrehten Ferienschwein hinterherschlurfen.

Fiete und Meike schliefen noch, aber Mama und Papa saßen schon in der Wohnküche am Frühstückstisch. Sie sahen beide ein wenig zerknirscht aus, fand Emmi.

»Es ist mir wirklich unangenehm, Schatz«, sagte Papa gerade. »Das ist sonst gar nicht Henks Art.«

Mama zuckte mit den Schultern. »Es war einfach peinlich, dass ausgerechnet der Drache meines Ehemannes eine Fee umfliegen musste.«

»Er hat es bestimmt nicht mit Absicht gemacht«, sagte Papa und setzte sich neben seinen Drachen.

»Es war einfach so dunkel«, brummte der Drache. Er sah sehr ernst aus. Und müde. »Ich habe kein Auge zugetan heute Nacht. Eine Fee, versteht ihr? Ich habe eine Fee umgeflogen! Drachen wie ich fliegen aber keine Feen um.«

»Schließlich bist du einer der besten Flieger der Stadt«, sagte Papa und streichelte den Drachen. »Da stimmt was nicht.«

»Wisst ihr was?« Mama legte ihr Brot auf den Teller. »Ich fahre noch mal zur Allee am Fabelpark und gucke nach, was da los ist, ja? Vielleicht kann ich etwas herausfinden.«

»Danke, Mama«, brummte Henk.

Einschwein sprang auf Mamas Schoß. »Wir kommen mit und sind auch Polizisten«, erklärte es.

Mama war davon nicht begeistert, das konnte Emmi an ihrem Gesicht sehen.

»Dürfen wir bitte mitkommen? Weil wir doch gestern dabei waren«, sagte Emmi.

»Wir wollen Henk helfen, damit er wieder gut schlafen kann«, erklärte Einschwein.

Mama seufzte. »Ich weiß ja nicht …«

Und da blickten Emmi, Einschwein und der blaue Drache Mama an. Sehr lange und still. Und da musste sie einfach zustimmen.

»Dann los, bin spät dran!« Mama sprang auf. Sie kaute noch und hatte ihre Kaffeetasse in der Hand, lief aber schon in den Flur, um sich die Schuhe anzuziehen und ihre Tasche zu packen. Das machte sie immer so, denn sie war jeden Morgen zu spät dran. Heute machte Emmi es auch so. Sie kaute auf ihrem Toast und zog dabei ihre Schuhe an. Und während sie ihren Tee schlürfte, packte sie einen Rucksack mit Dingen. Sie packte etwas Geld ein, das blaue Notizbuch und viele Stifte, zwei Äpfel und zwei Müsliriegel und ein Kartenspiel, falls es auf der Arbeit langweilig wurde.

Nach zwei Minuten standen Emmi und Einschwein in der Tür.

»Alle Mann zurück! Auch Polizisten müssen sich die Zähne putzen!«, sagte Mama. Und da trotteten die beiden ins Bad und putzten sich die Zähne.

 

Mama, Emmi und Einschwein fuhren mit dem Bus. An der Station Wichtelplatz stiegen sie aus. Sie liefen die Allee am Fabelpark entlang bis zu der Stelle, an der Henk am Abend zuvor die Fee umgeflogen hatte. Es war ein sonniger Morgen, und ein paar Kinder spielten auf dem großen Spielplatz im Park. Ansonsten war alles so ruhig und gemütlich, wie es eben an einem Sonnabendmorgen im Park ist.

Mama schob ihre Polizeimütze zurecht. »Dann wollen wir mal herausfinden, was hier los ist.«

»Vielleicht sind ja ein paar Fluglichter kaputt«, sagte Blütenspatz Pieps.

Emmi blickte hoch. Direkt auf den Laternen waren Körbe angebracht, in denen die Fluglichter tagsüber lagen. Von hier unten konnte man sie allerdings nicht sehen.