Cover

Gerhard Schnitter

Wie möchte ich alt werden?

Erfrischende Perspektiven für die reifen Jahre

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SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7481-7 (E-Book)

INHALT

Über den Autor

Zur Einstimmung

  1. Ich möchte dankbar sein

  2. Ich möchte versöhnt leben

  3. Ich möchte befreit und unbelastet leben

  4. Ich möchte mich tragen lassen

  5. Ich möchte mich geistlich gesund ernähren

  6. Ich möchte beten können

  7. Ich möchte erneuert werden

  8. Ich möchte singend alt werden

  9. Ich möchte fröhlich bleiben

10. Ich möchte ermutigen können

11. Ich möchte einladen

12. Ich möchte zielorientiert leben

Nachklang

Anmerkungen

Über den Autor

Gerhard Schnitter (Jg. 1939) ist Autor zahlreicher Lieder, Musicals und Chorwerke. Er war Leiter der Musikabteilung des ERF, Chorleiter bei ProChrist sowie Lektor und CD Produzent bei SCM Hänssler. Er ist verheiratet mit Elisabeth und hat vier Kinder und vier Enkelkinder.

»In einer Zeit, in der vielfach nur die etwas gelten, die jung, knackig und erfolgreich sind, macht Gerhard Schnitter überzeugend Mut, die Phase des Altwerdens positiv zu gestalten. Dazu ist aber notwendig, sie versöhnt und damit befreit und zielorientiert anzugehen. Ein sehr hilfreiches Buch auch für Noch-Nicht-Alte!«

Helmut Matthies, Vorsitzender der Ev. Nachrichtenagentur idea

»Hier wird mit viel praktischer Erfahrung ermutigt und anschaulich erzählt. Die vielen Begegnungen machen Lust aufs Älterwerden. Jeder hat es selbst in seiner Hand, das erfüllte Leben zu entdecken.«

Beate und Winrich Scheffbuch, Autoren, Pfarrer i.R.

»Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig es ist, nicht in das Alter hineinzustolpern, sondern sich bewusst darauf vorzubereiten. Dieses Buch kann eine echte Hilfe dabei sein. Gerhard Schnitter schreibt aus der Praxis für die Praxis und öffnet den Blick für das, was auch im Alter das Leben reich und hoffnungsvoll macht.«

Peter Strauch DD, Präses i.R., Liedermacher

ZUR EINSTIMMUNG

Bevor ich darüber nachdenke, wie ich alt werden möchte, muss ich mir überlegen, ob ich das überhaupt will. Alt werden – will ich das wirklich? Ich kann das zwar nicht selbst entscheiden, aber meine Antwort ist trotzdem »Ja«. – Ja, wenn möglich, möchte ich gern alt werden. Ich vermute auch, dass die meisten Menschen so antworten würden, selbst wenn sie bisher wenig oder noch gar nicht darüber nachgedacht haben. Der ernährungstechnische, medizinische und sportliche Aufwand, den viele Leute betreiben, ist jedenfalls ein klarer Hinweis darauf, dass sie anstreben, einmal alt zu werden. Nur sehr selten habe ich gehört, dass jemand nicht alt werden möchte.

Doch auf die nächste Frage bekäme ich höchstwahrscheinlich eine deutlich andere Antwort. Würde ich nämlich jemanden fragen: »Möchtest du gern einmal alt sein?«, könnte ich immer ein klares Nein erwarten. Alt werden? Ja, das wollen viele. Aber alt sein? Nein danke! – Noch deutlicher würde bei der dritten Frage das Nein ausfallen: »Möchtest du gern alt aussehen?« O nein, das will natürlich niemand! Und um das zu vermeiden, darf es auch gern etwas mehr kosten, um Falten, Runzeln, Flecken oder graue Haare zu verstecken.

Dass ich alt werde, ist ein unaufhaltsamer Vorgang. Unabhängig davon, ob ich es will oder nicht oder ob es mir gefällt oder nicht, werde ich alt. Ich werde nicht gefragt und kann auch nichts daran ändern. Es passiert einfach mit mir, und ich kann es nicht umgehen. Dabei ist Altwerden keine Krankheit. Wie jedes Leben verläuft auch mein Leben so, dass es zunächst wächst und kontinuierlich reift, bis es schließlich altert. Jahrelang schreitet dieser Prozess voran, ohne dass er mir bewusst wird. Doch spätestens dann, wenn die grauen Haare weiß werden, wenn ich langsamer und vergesslicher werde, wenn ich schlechter sehen oder hören kann – spätestens dann wird es deutlich und ich muss es mir eingestehen: Ich werde alt.

Während ich an diesem natürlichen und unaufhaltsamen Vorgang des Alterns nichts ändern kann, muss ich die Frage, wie ich alt werden möchte, nicht dem Zufall überlassen. Denn für dieses Wie kann ich sogar etwas tun. Ich kann es beeinflussen und steuern. Einige Gedanken dazu will ich hier gern weitergeben. Der Anlass dafür ist meine Beobachtung, dass sich nur wenige Menschen darauf vorbereiten, wie sie alt werden wollen. Zu den äußeren Umständen und zu den Rahmenbedingungen, unter denen jemand im Alter leben möchte, werde ich hier nichts vorschlagen. Dafür wird meistens in den Familien oder im größeren gesellschaftlichen Rahmen mehr oder weniger sinnvoll geplant und vorgesorgt. So soll zum Beispiel eine ausreichende finanzielle Absicherung ein »würdevolles Altwerden« gewährleisten. Auch das »altersgerechte Wohnen« wird von vielen schon lange im Voraus und auf unterschiedliche Weise geplant. »Altersvorsorge« und »Bekämpfung von Altersarmut« sind selbst für die Politik populäre Themen. Versicherungen bieten Verträge und ihre vielfältigen »Leistungen für alle Eventualitäten« an. Nicht zuletzt werden für den Ernstfall »Patientenverfügungen« ausgefüllt und hinterlegt. Alle diese Vorsorgemaßnahmen zielen auf gute Rahmenbedingungen für das Altwerden.

Zu den guten Rahmenbedingungen gehört natürlich auch unsere Gesundheit. »Hauptsache gesund« ist ein Satz, den älter werdende Menschen besonders gern benützen. Um das zu erreichen, werden interessante und gute Tipps angeboten. Sorgfältig getestete Ratschläge sollen uns helfen, möglichst lange vital und fit zu bleiben. Wir werden dazu ermutigt, Senioren-Sport zu betreiben, zu schwimmen, zu wandern oder zu walken. Wem es möglich ist, der soll auch bei Wellness, Massagen oder gesunder Ernährung nicht sparen. Besondere Rezepte mit Kräutern, Knoblauch oder Kardamom (auch Kardamon geschrieben), mit Chili, Chia oder chinesischem Ingwer werden immer neu erprobt. Selbstverständlich stehen auch Säfte, Salben und Tees gegen allerlei Beschwerden oder gegen Schmerzen auf der Liste der Empfehlungen. Diese Liste mit klugen und sinnvollen Vorschlägen, wie wir bei bestmöglicher Gesundheit das Alter genießen können, wird immer noch weiter fortgeschrieben.

Doch auch an fantasievollen Ideen zur Erhaltung geistiger Frische im Alter fehlt es nicht: vom Kreuzworträtsel bis zu Kreuzfahrten, von Malkursen bis zum Musizieren und von Theaterbesuchen bis zu Tanzausflügen. Jeder kann finden, was er sich leisten kann und was ihm Freude macht. Dem Training geistiger Mobilität und der Unterstützung körperlicher Frische sollen auch die interessanten und nützlichen Aufgaben dienen, die man nach dem 65. oder 67. Geburtstag weiter ausüben kann. Hier fallen mir zuerst die vielen schönen Gärten ein, die von älteren Menschen gepflegt werden. Bei ehrenamtlichen Diensten in Gemeinden, bei der Übernahme sozialer Aufgaben oder in politischer Verantwortung erleben viele ältere Menschen Freude und Befriedigung. Und die Gruppe der Großeltern, zu denen auch ich gehöre? Wenn wir Zeit mit den Enkeln verbringen können, werden wir durch sie emotional und körperlich in Schwung gehalten.

Allerdings wird mit einer angepassten Wohnung, mit guter Gesundheit, mit geistiger Regsamkeit oder mit sinnvollen Aktivitäten die Frage, wie ich alt werden möchte, noch nicht beantwortet. Denn sie zielt in eine andere Richtung. Sie betrifft die Dimension meines Lebens, die mich einmalig macht und die wirklich wichtig ist. Es geht bei dieser Frage um meinen geistlichen Zustand und um den eigentlichen Sinn meines Lebens. Ich will diese Frage deshalb beim Älterwerden auf keinen Fall vernachlässigen oder verdrängen. Im Gegenteil, ich will Antworten suchen und dadurch reifen. Doch ist Reifen im Alter überhaupt möglich? Ist da nicht vielmehr Welken angesagt?

Hier ist ein Blick auf Menschen in künstlerischen Berufen interessant. Künstler und manchmal auch Wissenschaftler erreichen nicht selten erst im Alter ihre Höchstform. Die Zahl 67 ist zum Beispiel für Maler, Komponisten, Dichter oder Architekten kein Grund zum Aufhören. Für viele beginnt erst im Alter der Einstieg in ihre reife Schaffensphase. Sollte das, was bei diesen Berufen zu beobachten ist, nicht noch viel mehr für mein geistliches Leben gelten können? Könnte ich im Alter – ganz unabhängig von meinem körperlichen Befinden – nicht ebenfalls auf eine geistliche Reife zusteuern? Und wenn ja, was kann diesen Prozess befördern? Diese Frage ist deshalb nicht abwegig, weil ich als Christ noch mehr wie ein Künstler aus einer nicht versiegenden, stets kreativen und lebendigen Quelle schöpfen kann.

Mit dieser Perspektive vor Augen erscheinen mir die folgenden Überlegungen nicht nur wichtig für Menschen, die schon in der aktuellen Altersphase leben, sondern auch für die Nachrücker. Je früher wir über die geistlichen Perspektiven für unser Leben nachdenken, umso besser können wir uns darauf vorbereiten und umso größer ist die Vorfreude auf reife Lebensfrüchte.

Es waren vor allem Gespräche und Begegnungen mit älteren Menschen, die mich zum Nachdenken darüber gebracht haben, wie ich denn selbst alt werden möchte. Vieles von dem, was ich dabei hörte und sah, war erfrischend und inspirierend. Manchmal war es auch erschütternd. Dann dachte ich entweder: So wie diese oder wie jener möchte ich auch mal alt werden, oder: So wie der oder die? – Nein, so nicht.

Doch außer den schönen Erfahrungen mit Menschen beziehungsweise manchen enttäuschenden Eindrücken entdeckte ich vor allem in der Bibel interessante Personen und wichtige Antworten auf meine Frage. Die Bibel klammert ja das Thema Altwerden nicht aus. Im Gegenteil! In Psalm 92 – einer meiner Lieblingspsalmen – steht (Vers 14–16a): Die gepflanzt sind im Hause des Herrn, werden in den Vorhöfen unseres Gottes grünen. Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein, dass sie verkündigen, wie der Herr es recht macht.

Daraus höre ich, dass Gott möchte, dass wir bis ins Alter nicht nur innerlich vital bleiben, sondern dass wir für ihn reife geistliche Früchte bringen. Er möchte die Weisheit der Alten sogar benutzen und sich an ihrem Wirken freuen. Dazu verspricht er: Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten
(Jesaja 46,4).

Von beidem also will ich meine Antworten ableiten: vom Erzählen und Verhalten älterer Menschen und von dem, was ich in der Bibel gefunden habe.

1. ICH MÖCHTE DANKBAR SEIN

Der erste Mensch, den ich bewusst als alten Mann wahrgenommen habe, war mein Großvater. Mein Vater war nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr aus russischer Gefangenschaft heimgekehrt. Danach übernahm der Großvater zwar nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, die Vaterrolle. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen, weil die Großeltern woanders wohnten. Trotzdem hinterließ er bei den gelegentlichen Besuchen prägende Eindrücke. Die Erinnerung an ihn und sein Leben gibt mir die erste Antwort auf die Frage, wie ich alt werden möchte: Ich möchte dankbar sein.

Mein Großvater war für mich ein interessanter Mensch. Das lag zum großen Teil daran, dass er gern und oft – für uns Kinder auch manchmal zu oft und zu ausführlich – aus seinem Leben erzählte. Einige seiner Geschichten wiederholte er gelegentlich, etwa die aus der Zeit seiner Tätigkeit als Diakon in Einrichtungen für Suchtkranke und Obdachlose. Da hatte er Gottes Führungen erfahren. Und seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg gaben Einblicke in eine vergangene Zeit, die ich damals noch nicht begreifen konnte.

Besonders eine Geschichte hat mich beeindruckt: Der Großvater hatte als Soldat dafür gebetet, dass er gern die Pferde seiner Kompanie versorgen würde. Er war als Bauernsohn aufgewachsen und der Umgang mit Pferden machte ihm immer große Freude. Tatsächlich wurde ihm die Verantwortung für die Pferde übertragen. Wenig später konnte er wegen dieser Aufgabe nicht an einem Gefecht teilnehmen. Es war ein Gefecht, bei dem alle seine Kameraden sofort oder später in der Gefangenschaft ums Leben kamen. Er sah darin Gottes Bewahrung für ihn. – Die Erzählung hat mich natürlich beeindruckt und wiederholt hat der Großvater in seinen Gebeten Gott dafür gedankt. Dadurch wurden auch wir Kinder immer wieder daran erinnert. Gedankt hat er auch, wenn er in der Familie zu Tisch betete. Seine Tischgebete waren meistens sehr lang. Für Kinder waren sie viel zu lang, weil er nicht nur für das Essen dankte, sondern eben auch für viele andere Wohltaten Gottes. Doch ahnten wir trotz kindlicher Ungeduld und Hunger schon damals, was für ihn das Wichtigste im Leben war.

Meine Großeltern väterlicherseits wurden beide ziemlich alt – der Großvater fast 90 und die Großmutter sogar 93 Jahre. Wer sie in ihrem Alter traf, begegnete ausgeglichenen und zufriedenen Menschen. Ihr Ruhestand war allerdings eine Geschichte von Enttäuschungen und Entbehrungen. Sie hatten sich ein nettes Haus im Sudetenland gekauft. Durch die Nachkriegsereignisse verloren sie aber ihren gesamten Besitz. Als Vertriebene und Flüchtlinge kamen sie bei ihren Kindern, meinen Tanten, unter. Über ihren Verlust hörte ich sie nie klagen. Wie war das möglich? Erst viel später entdeckte ich den Grund dafür: Jesus war ihr Lebensinhalt. Den hatten sie bei allem, was ihnen genommen wurde, nicht verloren. Durch ihr Leben haben sie sogar für andere reflektiert, dass ihnen die Freude über die Vergebung und ein fröhliches Herz wertvoller waren als ein schönes Haus oder materielle Sicherheit. Ihre Gewohnheit, immer wieder dankbar auf das Wirken Gottes in ihrem Leben zu schauen, hat ihnen auch körperlich erkennbar gutgetan. Gutgetan hat ihnen auch das Lesen. Es hat ihnen geholfen, geistig fit zu bleiben. Sie nahmen sich bis ins höchste Alter viel Zeit für Bücher. Die Bibel, Andachtsbücher, Berichte aus der Mission und Biografien lagen bei ihnen immer griffbereit.

Mein Großvater kannte sicher den 103. Psalm, der dazu auffordert, nicht zu vergessen, was Gott uns Gutes getan hat: Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen (Verse 2-3). Aus diesem »Vergiss nicht« höre ich heraus, dass man das Danken auch üben oder trainieren muss. Eltern erinnern ja auch ihre Kinder daran, sich zu bedanken, wenn sie fragen: »Hast du auch schön Danke gesagt?« oder: »Na, wie sagt man?«.

Für mich ist es eine gute Übung zum Danken, wenn ich mir morgens in der Stille mit Stichworten notiere, für welche Ereignisse vom Vortag ich dankbar sein kann. Ich versuche auch, das Danken mit den Psalmen zu üben! Die Psalmen verwenden ein großartiges und reichhaltiges Vokabular. Das hilft mir, Worte zu finden, um meinen persönlichen Dank an Gott auszudrücken und dabei nicht immer die gleichen Sätze zu wiederholen. Psalm 107 etwa ist so ein »Lehrpsalm«. Er erklärt, wie Menschen durch das Erzählen von Gottes Taten (so wie mein Großvater) zum Danken geführt werden.