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© 2016 Constanze Lülsdorf

Cover, Illustrationen: Hakan Kol

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-743146020

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

für Clara

Inhalt

Verborgenes im alten Schuppen

Das Meer glänzt und schimmert, während die große, goldgelbe Sonne in Südafrika untergeht. Sanft berührt sie den Horizont. Am Strand sitzt Asabi und beobachtet in der Ferne die Delphine, wie sie miteinander spielen und immer wieder im hohen Bogen aus dem Wasser springen. Asabis Freunde sind nach einem langen Tag, an dem sie viel gespielt haben, schon nach Hause gegangen. Das Mädchen wohnt in dem Leuchtturm direkt am Meer. Ihre Freunde müssen aber noch den langen Weg zum Dorf im Landesinneren laufen und deshalb früher vom Strand weggehen als Asabi. Wenn die Sonne untergeht, wird es im sonst so heißen Afrika kühler. Auch Asabi beginnt langsam zu frieren, weil sie wie immer nur ein Kleid trägt. Also macht auch sie sich jetzt auf den Weg nach Hause. Dort wartet schon ihre Oma mit der warmen Kuscheldecke. Sie sitzt auf der Terrasse und liest im Kerzenschein ein Buch. „Hallo Oma! Weißt du, was ich heute am Strand erlebt habe?“, fragt Asabi, die es kaum erwarten kann, von ihrem Tag zu berichten.

„Nein, mein Kind, was hast du denn erlebt? Ich bin mir sicher, es war mal wieder alles sehr aufregend”, erwidert die Oma schmunzelnd.

„Stell‘ dir vor, meine Freunde Rahima und Dapo haben heute mit bloßen Händen einen riesigen Krebs gefangen. Wir haben zwischen den Felsbrocken am Strand gespielt, Seegurken gesucht und dabei viele bunte Seesterne gefunden. Plötzlich schrie Rahima laut auf, weil dieser riesige Krebs mit seinen dicken, leuchtend roten Scheren vor ihr stand. Rahima traute sich nicht, sich zu bewegen. Das Tier ist nicht mal weggelaufen, als wir anderen dazu gekommen sind. Sonst rennen diese Viecher doch von allein weg. Aber dieser Krebs wollte sich nicht mehr rühren und wetzte seine Scheren. Dapo kam sofort zur Hilfe. Er warf Rahima einen Stock zu, mit dem sie vor dem Krebs wedeln sollte. Damit lenkte sie den roten Scherenklapperer von Dapo ab, während er sich vorsichtig von hinten an den Krebs heran schlich. Und dann... weißt du, was er dann gemacht hat?“, fragt sie ihre Oma, die gespannt zuhört.

„Nein, was denn? Sag es mir!“

Wild umher hüpfend fährt Asabi fort: „Er stürzte sich auf den Krebs und packte ihn. Er hat einfach so mit den Händen nach ihm gegriffen. Kannst du dir das vorstellen?“

Die Oma ist beeindruckt: „Das ist ja wirklich sehr mutig von Dapo! Und was habt ihr dann mit dem Krebs gemacht?“, fragt sie weiter.

„Dapo sagt, es ist ein Edelkrebs, den man essen kann. Sein Vater hat ihm das erzählt. Wir fanden das zu eklig und haben gesagt, er kann ihn mit nach Hause nehmen. Jetzt werden sie ihn wahrscheinlich schon zu Abend essen”, beendet Asabi ihr heutiges Erlebnis mit einem vor Ekel verzehrten Gesicht. Kaum ist sie fertig mit ihrem Bericht, als die beiden plötzlich ein lautes Grummeln hören. Die Oma schaut Asabi mit großen Augen an.

„Was war das? Kommt etwa ein Gewitter auf uns zu?“, fragt sie verunsichert.

„Nein!“, kichert Asabi: „Das war mein Magen, der geknurrt hat, weil ich so großen Hunger habe”. Jetzt müssen beide lachen. Die Oma nimmt ihre kleine Enkelin an die Hand und sie gehen gemeinsam in die Küche.

„Was gibt es denn heute zu essen?“, fragt Asabi, als sie den leckeren Geruch bemerkt, der aus der Küche kommt. „Darf ich mit Opa auf dem Leuchtturm essen? Die Sterne sind schon ganz klar und deutlich zu sehen. Vielleicht erzählt Opa mir ja schon beim Abendessen eine Geschichte?“

Die Oma lächelt: „Bei so vielen Fragen auf einmal komme ich ja gar nicht mit den Antworten hinterher. Also gut, meine Kleine. Es gibt heute Abend meinen berühmten Ingwer-Hähnchen-Eintopf, den du und Opa so gerne esst. Der Eintopf ist schon lange fertig und wartet darauf, von hungrigen Mäulern verspeist zu werden”, fügt sie hinzu.

„Hmm... lecker! Opa wird sich auch freuen. Und dürfen wir auf dem Leuchtturm essen? Bitte! Bitte!“, bettelt Asabi und fragt weiter: „Wo ist Opa eigentlich? Auf dem Leuchtturm habe ich ihn gar nicht gesehen?“

Die Oma hat ihn auch nicht mehr gesehen, seit er heute Nachmittag hinter dem Haus verschwunden ist.

„Das ist eine gute Frage Asabi. Geh doch bitte mal im alten Schuppen hinter dem Haus nachsehen und ruf ihn zum Abendessen. Ich fülle in der Zeit das Essen auf.“

Asabi nickt und rennt sofort los. „Opa! Bist du hier?“, ruft Asabi in den dunklen Schuppen hinein. Nur eine kleine Kerzenlaterne leuchtet in der hinteren Ecke. „Hallo? Opa? Bist du hier drin?“, fragt Asabi noch einmal. Rrrrums! Nach einem dumpfen Knall, hört sie ihren Opa „Autsch!“ grummeln: „Ja, ich bin hier. Komm doch mal her, kleine Asabi!“

Sie betritt den Schuppen und bahnt sich den Weg entlang an einem alten, verrosteten Fahrrad, alten Schubkarren, Holzbalken und Werkzeugen bis in die hinterste Ecke. Der Opa schaut aus einer Luke hervor, die tief in den Boden zu führen scheint.

„Schau mal Asabi, ich habe eine Kammer gefunden, von der ich gar nicht wusste, dass es sie gibt”, berichtet der Opa begeistert.

„Das sieht aber dunkel aus da unten. Da traust du dich rein?“, fragt Asabi misstrauisch.

„Na klar, ich habe die Kammer vorher ausgeleuchtet und hier kann eigentlich auch nichts weiter sein, außer ein bisschen Ungeziefer. Alles andere wäre nur Einbildung, die einem Angst macht. Warte, ich hole nur noch eine Kiste raus und dann komme ich zu dir.“ Und schon verschwindet der Opa in dem schwarzen Bodenloch. Asabi hört ihren Opa ächzen und keuchen. Was macht er nur solange da unten?

Neugierig wie Asabi ist, tritt sie näher an das Loch heran und versucht etwas zu sehen. Außer tief schwarzer Dunkelheit ist jedoch nichts zu erkennen.

„Opa!“, ruft sie erneut, „Oma wartet schon auf uns. Wir müssen zum Abendessen.“

In diesem Moment schiebt der Opa eine schwere, alte Holzkiste aus dem Loch. Überrascht tritt Asabi zurück, um ihm Platz zu machen. Der Opa steigt aus dem geheimnisvollen Versteck hervor.

„Asabi, es ist unvorstellbar was ich da unten alles entdeckt habe. Da sind alte Schiffstaue, Fässer mit vermoderten Gewürzen und sogar alte Seemannskleidung habe ich gefunden”, berichtet er stolz von seinem Fund.

Asabi macht große Augen. Unvorstellbar, dass ihr Opa vorher noch nichts von diesem Versteck wusste.

„Was hast du denn hier gemacht, dass du erst jetzt diese Kammer im Boden entdeckt hast?“, fragt sie nach.

„Ich habe eigentlich nur meinen Schraubenzieher gesucht, weil ich auf dem Leuchtturm ein paar lockere Schrauben befestigen wollte. Ja, und als ich so suchte und alles hin und her räumte, fiel mir plötzlich diese Luke auf. Nun bin ich schon mein ganzes Leben hier und noch nie zuvor habe ich dieses Versteck bemerkt.

Schau mal, diese Kiste hier habe ich auch gefunden”, sagt er aufgeregt wie ein kleines Kind.

Gemeinsam untersuchen sie die geheimnisvolle Kiste. Das Holz ist ganz moderig und die Scharniere sind alt und verrostet.

„Was glaubst du, was da wohl drin ist?“, fragt Asabi vorsichtig. „Ich weiß es nicht. Aber es muss etwas Wichtiges sein, denn das Schloss hier an der Kiste ist ganz schön dick und schwer! Die Kiste scheint schon viele hundert Jahre da unten zu liegen”, antwortet der Opa.

Asabi traut sich kaum es auszusprechen, aber dann fragt sie doch: „Opa, glaubst du etwa, es ist ein Schatz?“

Ihr Opa schaut sie mit großen Augen an, sagt aber erst einmal nichts. Stattdessen nimmt er ein altes Brecheisen und öffnet mit einem Ruck das Schloss. Bevor er die Kiste öffnet, schaut er Asabi noch einmal in die Augen und sagt: „Mein Großvater, der Seemann, erzählte mir einst vom Schatz eines Kapitän Hopsbein. Damals dachte ich, mein Großvater hat sich diese Geschichte von dem Kapitän nur ausgedacht. Nun werden wir sehen, ob es gesponnenes Seemannsgarn oder doch die Wahrheit war.“ Asabi setzt sich direkt neben ihren Opa. Ihren großen Hunger hat sie längst vergessen. Jetzt ist es viel spannender zu sehen, was in der geheimnisvollen Kiste steckt. Gemeinsam heben sie den schweren Deckel an. Die rostigen Scharniere quietschen und der Staub gleitet langsam vom Deckel herunter. Die beiden schauen in die Kiste. Kurz danach blicken sie sich gegenseitig in die Augen und sagen zunächst kein Wort. Beiden hat es die Sprache verschlagen. Obwohl die Kiste so schwer ist, ist sie fast leer. In der Kiste ist nichts weiter als ein Stück Papier. Fast schon ein wenig enttäuscht, nimmt der Opa das zusammengefaltete Papier heraus.

„Schade, es ist doch kein Schatz”, sagt Asabi betrübt. „Dann hat dein Großvater die Geschichte von diesem Kapitän Hopsbein wohl doch nur erfunden”, fügt sie hinzu, während ihr Opa das Papier ausbreitet.

„Nein, Asabi, schau mal! Mein Großvater hat die Wahrheit gesagt. Das hier ist eine Karte und siehst du, wer sie unterzeichnet hat?“, entgegnet der Opa und deutet mit dem Zeigefinger in die rechte Ecke der Karte.

Asabi versucht die krakelige Handschrift zu entziffern: „Ka-pitän Hops-bein“, liest sie laut vor.

Der Opa und seine Enkelin grinsen sich gegenseitig an. Es braucht gar nicht ausgesprochen zu werden, was sie gerade denken. Der Opa und Asabi wissen, dass dies eine geheimnisvolle Karte zu einem echten Schatz von Kapitän Hopsbein ist.

In diesem Augenblick hören sie eine vertraute Stimme laut rufen: „Abendessen! Kommt ihr beiden. Das Essen wird kalt!“

Eine alte Legende

Asabi und ihr Opa beeilen sich, um schnell zum Abendessen zu kommen. Bestimmt ist Oma schon leicht verärgert, weil die beiden sie haben warten lassen.

„Was habt ihr denn noch so lange in dem alten Schuppen gemacht? Das Essen ist schon fast kalt”, schimpft sie.

Opa und Asabi schauen sich kurz an und sagen gleichzeitig wie aus einem Mund: „Ach, gaaar nichts!“ Die weit aufgerissenen Augen der beiden zeigen der Oma jedoch ganz deutlich, dass sie flunkern und mal wieder irgendetwas im Schilde führen.

„Ich verstehe schon, ihr wollt es mir nicht verraten”, sagt sie lächelnd, denn wirklich böse kann sie ihren zwei Lieblingen sowieso nicht sein. „Wahrscheinlich wollt ihr momentan lieber allein sein und euer geheimnisvolles ‚Gar nichts‘ besprechen, stimmt‘s?“

Asabi stupst ihren Opa an und nickt heftig: „Dürfen wir bitte oben auf dem Leuchtturm essen? Es ist doch schon spät und Opa kann mir dann gleich beim Essen eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen”, versucht Asabi ihre Oma zu überzeugen.

„Also gut, dann esst oben. Aber dass ihr mir ja kein Essen auf der Treppe verschüttet”, droht die Oma mit erhobenem Zeigefinger. Anschließend gibt sie ihnen den Suppentopf und drückt ihnen noch zwei Löffel in die Hände.

„Hmmm, das duftet aber köstlich. Du bist eine tolle Köchin!“, lobt der Opa. Schnell fügt er noch hinzu: „Teller brauchen wir nicht. Wir essen gleich aus dem Topf!“, und sofort eilen die beiden die 257 Stufen hinauf zur Leuchtturmspitze. Oben angekommen kuschelt sich Asabi wie jeden Abend, den sie mit ihrem Opa auf dem Leuchtturm verbringt, in die Decke. Gemeinsam löffeln sie hungrig den leckeren Eintopf. Erst als der größte Hunger gestillt und der Topf fast leer ist, fragt Asabi schmatzend: „Hast du die Karte mitgenommen, Opa?“

Gerade noch einen Bissen runterschluckend antwortet er: „Na klar, ich habe sie hier in meine Tasche gesteckt!“ Dabei streicht der Opa über die Brusttasche seiner Latzhose.

Sie essen die letzten paar Happen und schnell ist der ganze Topf leer. Satt und zufrieden lehnen sie sich zurück an die dicke Leuchtturmwand und schauen in die Sterne.

„Opa, jetzt wo du gegessen hast, ist dein Kugelbauch noch viel runder geworden!“, stellt Asabi frech fest.

„Ach, quatsch! Das kann nicht sein”, betrachtet der Opa schmunzelnd seinen Bauch. „Bestimmt ist das nur die Karte, die mich so dick aussehen lässt, weil ich sie hier vorne in der Tasche habe.“ Asabi ist gespannt. Jetzt, nachdem sie die Karte gesehen hat, möchte sie unbedingt alles über den Schatz von Kapitän Hopsbein erfahren. „Erzähl doch mal Opa. Was hat dir dein Großvater von dem Schatz erzählt? Meinst du, es gibt diesen Schatz wirklich?“

Der Opa schaut Asabi tief in ihre großen, neugierigen Augen und beginnt endlich alles zu erzählen, was er über den Kapitän und dessen Schatz je erfahren hat. „Nun, mein Großvater war selbst einmal Seefahrer und er kannte den Kapitän höchst persönlich. Daher bin ich sicher, dass dieser Schatz mehr als nur eine Legende ist. Als mein Großvater selbst noch ein junger Matrose war, reiste er einst viele Jahre auf hoher See.

Eines Tages fuhr er in den Hafen von Dakar ein. Hier in der Hauptstadt vom Senegal lag die ,Manzanita’, das alte Segelschiff des Kapitän Hopsbein. Auf dem großen Segel prangte ein riesiges Apfelemblem. Kein anderes Schiff hatte so ein Symbol und damit war es unverkennbar das Schiff von Kapitän Hopsbein. Es hatte zwei hohe Holzmasten mit großen, von der Sonne ausgeblichenen Segeln. Der Schiffsrumpf war alt und hatte bereits viele Seemeilen hinter sich gebracht, aber er war stabil. Auch rauen Tagen auf See und Stürmen hielt das Schiff stand.

In einer dunklen Hafenkneipe erfuhr mein Großvater von einem alten Mann, dass die ,Manzanita’ zwei Tage später in Richtung