2015

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt, ISBN 9783739286822

Inhalt

Kastrierter Kater Moritz

„Irgendetwas stimmt nicht mehr in dieser Familie“, dachte sich ein junger Kater, den ich wie in einem Märchen denken und sprechen lassen will, obwohl er etwas Wirkliches erlebte: „Alle gucken jetzt traurig, wenn sie mich sehen; sie meiden meine Nähe. Der Vater, das Familienoberhaupt, schaut mich sogar böse an, als wollte er mich vergiften! Dabei hatte auch der geschmunzelt und sich gefreut, als ich vor ungefähr einem halben Jahr unter den Weihnachtsbaum gesetzt wurde und nicht wusste, was mit mir geschieht. Jetzt werde ich aber kaum noch in die Arme genommen oder zärtlich gestreichelt. Schnell begriff ich damals, dass ich Moritz hieß, alle riefen immer diesen Namen, wenn sie mich sahen und ich konnte gar nicht anders als darauf zu reagieren. Ich war ein Geschenk für die beiden Kinder, die noch keine Schulkinder sein konnten, denn ich musste immer ein „Ersatzschulkind“ darstellen, wenn sie mit ihren Minischulbänken und Schultafeln spielten. Dieses Spielzeug hatten sie auch vom Weihnachtsmann bekommen. Na, dieser maskierte Mensch, der die Weihnachtsgeschenke brachte, war vielleicht komisch. Nachdem er mich aus dem Kasten, mit dem er mich in die Wohnung geschleppt hatte, herausließ, ärgerte er mich dauernd mit seinem Besen. Die Kinder schmiegten sich an ihre Eltern und ich war schutzlos. Wahrscheinlich sollte ich wie in einem Zirkus umher springen oder mich anfassen und streicheln lassen, diesen Gefallen tat ich den fremden Menschen aber anfangs nicht. Ich hockte mich ängstlich in die Stubenecke; da passierte es mir tatsächlich, dass sich meine Blase entleerte – verrückt, selbst das wurde damals vom Hausherrn toleriert – er lachte sogar und sagte: „Erzieht nur den kleinen Moritz, dass er stubenrein wird, sonst kommt ihr mit dem Saubermachen nicht mehr nach.“ Ich grüble also darüber nach, was könnte die Ursache dieses Gefühlswandels sein? Hin und wieder hörte ich den Ausdruck: „Katzenallergie.“ Ich kann mir zwar nichts darunter vorstellen, aber es soll eine Krankheit sein, die angeblich durch meine Harre und meinen Speichel bei einigen Menschen ausgelöst werden könnte. Das erscheint mir wahrscheinlich, denn das Mädchen niest viel, bekommt einen Hautausschlag und ganz rote Augen, wenn sie mit mir geschmust hat. Nun dachten diese Menschen neuerdings, ich würde nicht verstehen, was sie beratschlagten; sie wollen mich los werden. Vom Vater aus soll ich sogar ins Tierheim; schrecklich: Dort sind Katzen hinter Gittern und man ist niemals allein. Mutter und Kinder plädieren dafür, dass sie mich mit zur Großmutter aufs Land nehmen. Im Dorf würde es viele frei herumlaufende Katzen geben, auf eine mehr oder weniger käme es dort nicht an. Außerdem sei ich kastriert und stelle deshalb keine Gefahr für die dortige Katzenvermehrung dar. Als ich eines Tages mit ins Auto genommen wurde, spürte ich instinktiv, das ist deine letzte Fahrt mit der Familie, hierher in die Stadt kommst du nicht wieder zurück. Traurig hing ich meinen Gedanken nach, denn ich hatte hier ein gutes Leben, wenn auch durch die Wohnungshaltung eine gewisse Freiheit fehlte. Aber die Kinder gingen fast täglich mit mir in den Park, wo ich zwar meistens an einer Leine ausgeführt wurde. Wenn sie mich aber mal losließen bin ich nicht ausgerissen, weil ich ja wusste, ich würde mein gutes bequemes Leben verspielen. Wir fuhren nun schon eine ziemlich lange Zeit, es wurde angehalten, der Vater musste mal „austreten“, die Kinder sagten „pippi machen“. Die Autotür war offen und ich sprang unbemerkt raus, aus dem Wald kamen so viele ungewohnte Gerüche in meine Nase, die weckten meine Neugier. Ich war unter einen Busch gekrochen und plötzlich sah ich das Auto wegfahren. Was diese Menschen sich dabei gedacht hatten erfuhr ich nie, aber wahrscheinlich habe ich sie von einem Problem erlöst, sie konnten sagen: ´Der Kater ist ausgerissen und wir haben ihn nicht wiedergefunden´.“

Ein Jahr später: Moritz hat ganz vergessen wie er heißt, niemand ruft ihn mehr mit diesem Namen, er ist auf einem Bauernhof einer unter vielen. Wenn er jetzt in der Scheune, umgeben von weichem Stroh, liegt und schläft, träumt er häufig von seinen Erlebnissen nachdem ihn die unverantwortlich handelnde Familie ausgesetzt hatte und er, ein in der freien Natur völlig unerfahrener Kater, nun auf sich allein gestellt war. Alles war neu: Kein fertig zubereitetes Fressen, kein