JENS ULLRICH

WEISSWURST UND EXPRESSO

LOSBICHLER’S VENEZIANISCHER FALL

Inhaltsverzeichnis

1

Er stieß das Fenster auf und blinzelte in die Morgensonne. Wie an nahezu jedem Morgen im Herbst hing noch eine dichte Nebelschicht knapp über dem Wasser der Lagune und wurde nur langsam von der höher steigenden Sonne aufgelöst. Die aufkommende Flut drückte das Wasser wieder bedenklich nahe an die Gartenmauer heran. Nach den zurückliegenden langen Regentagen versprach dies ein herrlicher Morgen zu werden. Er brannte darauf, das Haus auf der Insel, wie er es nannte, wieder mal verlassen zu können. Außerdem sollte bald seine Prothese fertig sein. Auf Krücken gestützt, starrte er in den Nebel und dachte an die Ereignisse, die so harmlos begonnen hatten, als Elena ihn von hinten liebevoll umarmte. Ein kräftiges Frühstück würde ihn auf andere Gedanken bringen. Er drehte sich um und küsste sie zärtlich.

»Morgen!«

»Morgen, Bernd.«

Kommissar Losbichler betrat auch an diesem Tag sein Büro im dritten Stock wie jeden Morgen durch die Seitentür. Außerdem kam er, auch wie jeden Morgen, eine halbe Stunde zu spät. Klaus wusste schon, was er als Nächstes sagen würde. Klaus Wimbacher war schon seit Jahren Losbichlers rechte Hand. Als er damals von Berchtesgaden nach München versetzt worden war, hatte er noch auf die große Karriere gehofft. Heute war ihm klar, dass er immer die Nummer zwei bleiben würde. Er hatte es im oberbayerischen Ferienort immer gehasst, dass seine Hauptaufgabe darin bestanden hatte, Vermisstenanzeigen wegen angeblich verschwundener Touristen zu bearbeiten. Die dämlichen Kurgäste hatten sich in aller Regel nur verlaufen und kamen deshalb abends nicht zur Pension zurück. Damit waren sie ein Fall für die Bergwacht und nichts für einen jungen, aufstrebenden Kriminalbeamten. Die spektakulärsten Fälle waren die, bei denen sich die Kurgäste mal eben den Fuß verstaucht hatten und deshalb von der Bergwacht wirklich gerettet werden mussten. Einzige Abwechslung damals waren die zwei oder drei Autodiebstähle gewesen, die er zu bearbeiten hatte. Er hatte es so satt gehabt, sich nur mit Bagatellen zu beschäftigen, und hatte darauf gebrannt, seine ganzen kriminalistischen Fähigkeiten einmal einsetzen zu können. Als er dann zufällig den Drogenhändlerring auffliegen lassen konnte, hatte seine große Stunde geschlagen. Man hatte ihm diesen Job in München angeboten. Wenn er gewusst hätte … Nach fünf Jahren in diesem stickigen Büro mit dem kettenrauchenden Oberkommissar sehnte er sich nach seinem Leben in Berchtesgaden zurück.

»Hast scho an Kaffee ’kocht?« Losbichler riss ihn aus seinen Erinnerungen. Die Kaffeefrage war das Erste, was Losbichler morgens interessierte.

»Steht hinten in der Maschine«.

Einmal hatte er es versäumt, rechtzeitig die Kaffeemaschine einzuschalten. Losbichler war den ganzen Tag ungenießbar gewesen und hatte ihn nur herumgescheucht. Mach mal dies, mach mal jenes, den ganzen Tag. Sonst kamen sie ja gut miteinander aus, duzten sich und tranken nach Dienstschluss manchmal ein Bier miteinander. Und manchmal auch vor Dienstschluss, denn für Losbichler gehörte eine ordentliche Brotzeit genauso wie der morgendliche Kaffee zu den wichtigsten Dingen des Lebens. Er kam pfeifend mit der dampfenden Tasse zurück an den mit Akten überfüllten Schreibtisch. Warum war er nur so gut gelaunt? Sonst bekam er doch den Mund höchstens zu einem Knurren auf, bevor er nicht seinen Kaffee getrunken und dazu mindestens zwei Zigaretten geraucht hatte.

»Klaus, heut wird aufgeräumt«, begann er, »und bis Mittag haben wir das ganze Zeug hier vom Tisch. Ich will keine Akten mehr sehen, wenn ich heute in Urlaub gehe!«

Ah, daher weht der Wind. Klaus Wimbacher fiel es wieder ein, heute war ja der letzte Arbeitstag seines Chefs. Drei Wochen würde er das Büro für sich allein haben. Und vielleicht auch mal selbstständig arbeiten können. Aber solche Gedanken kamen nur noch selten in ihm hoch. Der Ehrgeiz, mit dem er mal nach München gekommen war, war lange verflogen.

»Ach ja, du hast ja Urlaub. Fährst’ weg?«

»Weißt du doch, wir fahren doch jedes Jahr zum Wandern.«

Losbichler war trotz seines Nikotinkonsums ein begeisterter Wanderer und Bergsteiger. Er verbrachte seinen Urlaub immer mit der ganzen Familie irgendwo in den Bergen. Wahrscheinlich hatte er im Laufe der Zeit schon die ganzen Alpen durchquert.

»Diesmal haben wir uns was anderes vorgenommen. Wir fahren in den Bayerischen Wald.«

Losbichler wurde jäh unterbrochen, als schwungvoll die Tür geöffnet wurde. Oberstaatsanwalt von Schneyder hatte die Angewohnheit, niemals anzuklopfen.

»Losbichler, wo waren Sie heute morgen denn schon wieder? Immer, wenn ich Sie suche, sind Sie nicht da!«

Von Schneyder, ein kleiner, sehr dynamischer Mann im Maßanzug mit eleganter rahmenloser Brille, trat ins Büro. Losbichler konnte ihn und seinen rheinländischen Tonfall nicht ausstehen. Deswegen kam er immer über das hintere Treppenhaus und die Seitentür ins Büro, um von Schneyder nicht morgens auf dem Flur schon zu begegnen. Losbichler verdrehte erst die Augen und warf Klaus dann einen vernichtenden Blick zu.

»Losbichler, was ist mit dem Diskothekenmord? Ich hatte Sie doch schon vor zwei Tagen um einen Bericht gebeten.«

»Also, so wie es ausschaut, war es gar kein Mord«, meinte Losbichler gedehnt.

»Klar, und der junge Mann, der in der Gerichtsmedizin liegt, ist auch nicht tot. Losbichler, da müssen Sie sich schon was Besseres überlegen.«

Von Schneyders sarkastische Bemerkungen brachten Losbichler noch jedes Mal auf die Palme. Wimbacher rechnete schon mit irgendeiner dummen Bemerkung. Aber diesmal schien es seinem Chef gar nichts auszumachen.

»Herr Oberstaatsanwalt, der Bursch’ lag hinten bei den Toiletten und ist da auch abgestochen worden, die Leiche lag also am Tatort. Und der Geldbeutel ist fort. Für mich sieht das mehr nach einem Raub aus, vielleicht hat das Opfer Widerstand geleistet und ist deshalb getötet worden. Außerdem haben wir den Obduktionsbefund noch nicht vorliegen«

»Genau deshalb wollte ich ja den Bericht von Ihnen, warum dauert das immer nur so lange. Also, bleiben sie dran!« Und genauso schwungvoll, wie er aufgetreten war, verschwand von Schneyder auch wieder.

»Ach ja, der Schneyder war heut morgen schon mal hier, wollt ich dir noch sagen.«

»Warum kannst du mich nicht eher warnen«, polterte Losbichler los, »ich vertrag den Kerl nicht in aller Frühe.«

Der Oberkommissar ließ sich wieder in seinen Stuhl fallen und zündete sich eine Zigarette an. Nach einem tiefen Zug inhalierte er den Rauch und ließ ihn langsam durch die Nase wieder ausströmen. Dann begann er, ein paar von den Akten auf seinem Schreibtisch zu bündeln. Als er damit fertig war, schob er sie zu Wimbacher hinüber.

»Das ist das ganze Zeug von der Diskogeschichte. Bring das bitte zu den Kollegen vom Kommissariat 21 runter.«

»Aber wieso denn? Das war sicher kein Raub, den Geldbeutel hast du selbst doch der Mutter von dem Opfer gegeben. Und der Obduktionsbericht ist auch schon seit gestern da.«

Losbichler lächelte.

»Ja, aber gelesen hab ich ihn noch nicht. Dazu hatte ich gestern keine Zeit mehr. Mein Junge brauchte dringend noch neue Wanderschuhe vor dem Urlaub. Und bis die vom Raubdezernat das mit dem Geldbeutel rauskriegen, vergeht mindestens eine Woche. Das ist doch ein hoffnungsloser Fall. Niemand hat was gesehen oder gehört, keiner von den Zeugen kannte das Opfer, niemand kann sich an irgendwelchen Ärger oder Streit erinnern. Und DNA-Spuren haben wir bei dem Andrang dort gleich eimerweise. Damit sollen sich andere herumärgern.«

Also auf diese Art wollte Losbichler mal wieder aufräumen! Wimbacher kannte das schon. Losbichler beschloss, einen Fall dezent weiterzuschieben, und er durfte dabei wieder den Botenjungen spielen und sich den Ärger von den Kollegen einhandeln.

»Ich bring’s nachher runter«, seufzte er.

»Also gut«, meinte Losbichler und klatschte in die Hände, »dann zum nächsten Fall.«

2

Der alte Herr verließ wie jeden Morgen seine Wohnung und begann seine Runde. Die Nachbarn hatten schon behauptet, man könne die Uhr nach ihm stellen. Er schlurfte mit seinem auch schon leicht ergrauten Dackel zur Haustür und trat in die warme Sommersonne hinaus. Auf seinen Stock gestützt, bewegte er sich langsam in Richtung Park. Für gewöhnlich brauchte er für den Hinweg fast eine halbe Stunde. Eine halbe Stunde hin und wieder zurück, exakt eine halbe Stunde für seine Runde im Park. Auf dem Rückweg kaufte er am Kiosk noch zwei Semmeln und die Tageszeitung. Das war seine tägliche Beschäftigung. Dann würde er sich Frühstück machen. Am Laternenpfahl an der Ecke musste er sich heute allerdings festhalten. Irgendwas war anders an diesem Morgen. Er war leicht außer Atem und fühlte sich nicht ganz wohl. Nach einer kurzen Pause setzte er seinen Weg fort. Als er den Park erreichte, musste er wieder stehen bleiben, denn sein vierbeiniger Begleiter verrichtete sein Geschäft. Er war ganz froh über die Unterbrechung, atmete tief durch und sah sich um. Es bot sich ihm der gleiche Anblick wie an jedem sonnigen Sommermorgen. Ein paar Spaziergänger, meist mit ihren Hunden, und Jogger, die schnaufend und schwitzend ihre Runden drehten, beherrschten das Bild.

Er schlurfte weiter. Der kleine See lag still da, kein Windhauch kräuselte seine Oberfläche. Es versprach ein heißer Tag zu werden. Dann wurde seine Aufmerksamkeit zur Seite gelenkt. Zwei Joggerinnen standen abseits des Weges an einem Gebüsch und fuchtelten aufgeregt mit den Armen. Als er näher kam, konnte er einige Gesprächsfetzen hören. Das Wort ›tot‹, das immer wieder fiel, machte ihn neugierig. Er bog auch vom Weg ab. Bei den beiden jungen Frauen angekommen, sah er, wie zwei Füße in Turnschuhen unten aus dem Busch herausragten, gerade so, dass man sie noch sehen konnte.

»Schauen Sie doch mal! Ist der tot?«, wandte sich eine der beiden Läuferinnen an ihn.

»Ich trau mich nicht«, erklärte die andere. Der alte Herr bog mit seinem Stock die Zweige auseinander.

»Ja, der ist tot.«

»Wirklich?« Die junge Frau wurde bleich.

»Ich weiß, wie ein Toter ausschaut, ich war schließlich im Krieg.« Der alte Herr stampfte mit seinem Stock auf den Rasen.

»Und jetzt gehen Sie los und holen die Polizei. Ich bleibe hier und passe auf, dass niemand etwas anfasst.« Er liebte die Krimiserien im Fernsehen, er kannte jeden Kommissar, wobei Erik Ode ihm immer noch der Liebste war. Leider ermittelte Erik Ode schon lange nicht mehr, nur diese neumodischen Kommissare flimmerten über den Bildschirm. Aber jetzt würde er selbst einen Krimi erleben. Aufgeregt baute er sich vor dem Busch auf, um die Leiche, die er ja jetzt gefunden hatte, gegen alles zu verteidigen. Er wusste zwar nicht so genau wogegen, aber er würde es tun.

Als auf Wimbachers Schreibtisch das Telefon klingelte, hatte er gerade den Kampf mit dem Raubdezernat ausgestanden und den Fall erfolgreich abgeschoben. Losbichler überlegte unterdessen, ob man aus einem toten Callgirl nicht einen Verkehrsunfall machen konnte, schließlich hatte man sie in ihrem Auto gefunden. Nach dem dritten Läuten hob Wimbacher ab.

»Morddezernat, Wimbacher – ja – ja – wir kommen.« Bei den Worten ›wir kommen‹ fuhr Losbichler herum.

»Bernd, wir haben eine Leiche im Nymphenburger Park.«

»Nein, nicht heute, ich wollte doch früher heimgehen. Das darf ja wohl nicht wahr sein.« Er nahm seine Pistole aus dem Schreibtisch und steckte sie ein.

»Vielleicht ist ja alles ganz klar, gemma, Klaus.« Losbichler stürmte aus dem Büro. Na, das konnte ja heiter werden, dachte Wimbacher, der will den Fall bis zum Mittagessen klären, nur damit er rechtzeitig in Urlaub kommt, und ich darf wieder springen. Langsam folgte er Losbichler in Richtung Innenhof. Unten wurde er schon mit laufendem Motor erwartet. Losbichler, der sonst nur selten selbst fuhr, saß hinter dem Steuer.

»Jetzt mach schon, wo bleibst du denn so lange.« Mit quietschenden Reifen schoss der Wagen aus dem Tor auf die Ettstraße hinaus. Der dichte Vormittagsverkehr verstopfte wie üblich sämtliche Straßen. Mit Blaulicht und Sirene bahnte sich Losbichler ungeduldig seinen Weg. In der Nymphenburger Straße parkte vor ihnen ein Kleinlaster zum Ausladen in zweiter Reihe und ein entgegenkommender Taxifahrer versuchte, sich noch schnell durch die Lücke zu quetschen. Losbichler stieg heftig in die Bremsen.

»Zähfix, der schläft wohl, sieht der uns denn nicht!« Wimbacher klammerte sich am Türgriff fest und zog den Sicherheitsgurt strammer. Er erkannte den Fahrstil seines Chefs heute nicht wieder. Nicht, dass er selbst langsamer fahren würde, aber auf dem Beifahrersitz fühlte er sich einfach nicht wohl. Als sie über die Auffahrtsallee aufs Schloss zu donnerten, hatte er bereits einen Krampf im Arm. Losbichler fuhr heute wie der Henker. Sonst vertrat er immer andere Ansichten: »Nur keine Hektik, wenn wir kommen, ist er schon tot. Tu’ langsam.« Das waren seine Worte. Der Gedanke an den bevorstehenden Urlaub schien ihn heute anzutreiben.

Als sie im Park ankamen, waren die Kollegen von der Spurensicherung gerade dabei, den Fundort großräumig abzusperren. Von einer Streifenwagenbesatzung bekamen sie erste Informationen.

»Es handelt sich um eine männliche Leiche, um die zwanzig, würde ich sagen. Und dieser Herr hier hat die Leiche entdeckt.« Der Uniformierte deutete auf den Rücksitz. Losbichler blickte in das bleiche, verschwitzte Gesicht eines älteren Mannes.

»So, Sie haben also den Toten gefunden?«

»Ja, das heißt, ich hab nur gesehen, dass er tot ist. Ich war im Krieg, deswegen weiß ich das. Das hab ich den Frauen auch schon gesagt.« Er atmete schwer und musste innehalten.

»Welche Frauen?«, fragte Losbichler. Der alte Herr deutete in Richtung Absperrung, hinter der sich schon eine kleine Menschenmenge gebildet hatte.

»Na, die zwei da, in den blauen Anzügen.« Er sprach abgehackt und machte nach jedem zweiten oder dritten Wort Pause, um Luft zu holen. Losbichler winkte den Beamten, der neben dem Wagen stand, zur Seite.

»Der gefällt mir nicht, bestell einen Rettungswagen, sonst haben wir hier bald zwei Tote, fürchte ich.« Dann ging er auf die zwei jungen Frauen in blauen Trainingsanzügen zu, die er hinter der Absperrung ausmachen konnte.

»Haben Sie den Toten gefunden?«

»Ja, aber wir haben uns nicht getraut, näher hinzugehen.«

»Eigentlich hab ich nur die Schuhe gesehen«, erklärte die andere.

»Stimmt«, pflichtete ihr die erste bei, »aber da war ein alter Mann, der hat ihn genauer gesehen. Wir haben dann gleich die Polizei gerufen.«

»Haben Sie sonst noch was gesehen, vielleicht jemand, der in der Nähe war, oder so?«

»Nein, da war sonst niemand, oder hast du wen gesehen?«

»Nein, hab ich auch nicht«, meinte die andere wieder. Losbichler drehte sich kommentarlos um und ging auf den Busch zu.

»Klaus, schreib die Adressen auf«, forderte er seinen Kollegen auf und knurrte etwas vor sich hin, was für Wimbacher wie »nicht sehr ergiebig« klang. Mittlerweile traf mit viel Getöse der Notarztwagen ein und zwei eifrige Sanitäter sprangen heraus, die sich gleich auf den Toten stürzen wollten. Losbichler hielt sie auf:

»Halt, der ist nichts mehr für euch, eurer sitzt da hinten im Streifenwagen.« Und an die Beamten der Spurensicherung gewandt, fuhr er fort: »Ist der Gerichtsmediziner schon da?« Hinter dem Busch tauchte ein bekanntes, stets verschmitzt lächelndes Gesicht auf.

»Hier bei der Arbeit!«

»Sie schon wieder! Mir bleibt aber auch nichts erspart. Warum kommt eigentlich nicht mal einer Ihrer Kollegen? Können Sie mir schon was sagen?«

»Ja, der Mann ist tot.« Das lächelnde Gesicht verschwand wieder. Losbichler ging um den Busch herum.

»Dass der tot ist, seh ich selbst. Ich möchte mal wissen, wieso Sie immer so gute Laune haben, wo Sie doch nur von Leichen umgeben sind.«

»Weil die einen nicht mit dummen Fragen nerven. Also, männliche Leiche, etwa fünfundzwanzig Jahre, gepflegtes Äußeres, teure Kleidung. Liegt schon ein paar Stunden hier, genauer kann ich es erst später sagen. Als Todesursache kommt am ehesten der Einschuss im Rücken in Betracht. Was auffällt, sind die Turnschuhe.«

»Wieso?«

»Na ja, Billigturnschuhe, die nicht zur übrigen Kleidung passen. Und, sie sind am falschen Fuß.«

»Am falschen Fuß?«

»Na, der Rechte links und der Linke rechts. Herr Kommissar, Sie sind unaufmerksam, das sieht man doch sofort.« Lachend packte der Gerichtsmediziner seine Tasche und ließ Losbichler allein hinter dem Busch. Losbichler betrachtete das erste Mal den Toten näher. Ein junger Mann lag auf dem Rücken unter dem Busch. Am Boden rundherum waren noch Schleifspuren im vom Morgentau feuchten Rasen zu erkennen. Man hatte ihn wohl erst erschossen und dann unter dem Busch abgelegt. Fußspuren waren leider auf dem rissigen harten Erdboden nicht zu sehen. Es hatte seit fast zwei Wochen nicht mehr geregnet. Der Tote trug einen edel und teuer aussehenden Anzug sowie eine Seidenkrawatte. Sein weißes Hemd war über der Brust Blut durchtränkt. Das Gesicht hatte er glatt rasiert, ein paar kleine Grashalme klebten auf der Haut. Die Augen waren weit aufgerissen, unter dem linken Auge war ein Bluterguss zu sehen. Irgendwie kam Losbichler das Gesicht bekannt vor. Er hatte das Gefühl, den Toten schon einmal gesehen zu haben. Aber das konnte auch täuschen. Er hatte in den Jahren bei der Mordkommission so viele Tote gesehen, und irgendwie sahen alle gleich aus. Es gab Junge, Alte, Männer, Frauen, aber der Tod veränderte sie alle gleich. Losbichler schüttelte sich. An den Anblick der Leichen hatte er sich nie gewöhnen können. Deswegen kam er auch mit dieser verflucht guten Laune des Pathologen nicht zurecht. Jeden Tag Leichen und dieser Kerl grinst in einer Tour!

Er ging zu Wimbacher zurück, der noch damit beschäftigt war, die Personalien des alten Herren und der beiden Läuferinnen aufzunehmen. Wimbacher klappte sein Notizbuch zu.

»Das war’s, ich hab alle Adressen. Weiß man schon, wer der Tote ist?«

»Nein, die Spurensicherung ist noch nicht fertig.« Sie standen im Schatten eines der alten Bäume und sahen zu, wie die Leute der Spurensicherung in ihren weißen Überzügen durchs Gras krochen. Losbichler zündete sich eine Zigarette an, ging noch einmal hinüber zum Rettungswagen und warf einen Blick durch die offen stehenden Hecktüren hinein. Der alte Mann lag mittlerweile auf der Trage und bekam Sauerstoff. Er war aschfahl im Gesicht. Die Aufregung war anscheinend zu viel gewesen. Ein Sanitäter knallte scheppernd die Türen zu und kletterte auf den Fahrersitz.

»Wie geht’s ihm?«, wollte Losbichler wissen.

»Nicht gut«, war die Antwort. »Hat wohl ’nen Herzinfarkt geschoben. Wir bringen ihn schnell über die Straße in den Dritten Orden. Glücklicherweise gibt’s dort ein freies Bett. Wenn wir bei der Hitze wieder mal zu einem Krankenhaus quer durch die ganze Stadt fahren müssten, sähe es schlechter aus.« Er startete den Motor und holperte über den Kiesweg davon. Der Dackel, an eine Streifenwagentür gebunden, jaulte hinterher. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und heizte am Vormittag schon die Luft und den Erdboden kräftig auf. Es versprach, ein sehr heißer Tag zu werden. Losbichler suchte wieder den Schatten. Er rauchte eine Zigarette nach der anderen und trat von einem Bein auf das andere, während die Spurensicherung jeden Halm zweimal umdrehte. Jemand fotografierte wie ein Wilder aus allen erdenklichen Richtungen. Endlich kam der Leiter der Spurensicherung zu Wimbacher und ihm herüber.

»Also, nichts Besonderes. Ein paar Schleifspuren im Gras, sonst nichts. Aber die haben Sie ja sowieso schon gesehen, Herr Oberkommissar. Alles Weitere steht in unserem Bericht.«

»Danke.« Losbichler schnippte die Zigarettenkippe weg und wandte sich zu seinem Kollegen: »Es ist fast Mittag, lass uns in den Hirschgarten rüberfahren und was essen.« Der alte, der ruhige Oberkommissar Losbichler kam wieder durch. Erst die ganze Aufregung, und eine Minute später denkt er nur ans Essen. Wimbacher grinste, als er in den Wagen stieg, jetzt natürlich auf der Fahrerseite.

Ächzend ließ sich Losbichler auf die Bank fallen. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.

»Wann kriegen wir endlich Dienstwagen mit Klimaanlage,« fluchte er.

Unter dem schattigen Laub des Biergartens war es angenehm kühl. Wimbacher setzte sich ihm gegenüber. Er wusste, was jetzt kam. Losbichler war in seinem Lieblingsbüro und würde die nächsten zwei Stunden sicher nicht wieder aufstehen. Eine Kellnerin, für die Touristen klischeegerecht im Dirndl mit viel zu tiefem Ausschnitt hergerichtet, kam an den Tisch.

»Bring ma a Hoibe und die Speiskarten.« Wimbacher bestellte ein Mineralwasser. Er betrachtete Bernd Losbichler, der, den Kopf auf die Hände gestützt, wortlos in seine Aufzeichnungen starrte. Selbst beim Mittagessen sagte er kein Wort. Als sie beide gegessen hatten, lehnte sich Losbichler zurück und steckte sich mit einem zufriedenen Stöhnen eine Zigarette an.

»Also, was haben wir? Ein junger Mann, offensichtlich mit ausreichend Taschengeld, wird irgendwo in den Rücken geschossen und dann in den Nymphenburger Park geschleppt. Und das mitten in der Nacht, wenn der Park geschlossen hat.«

»Wieso glaubst du, dass er Geld hatte?«

»Na, wegen dem Anzug. Der hat sicher tausend Mark oder sogar mehr gekostet. Und dazu trägt Mann von Welt Turnschuhe, die nicht mehr als zwanzig Mark kosten.«

Wimbacher schüttelte den Kopf. »Aber das passt doch überhaupt nicht zusammen.«

»Da passt mehr nicht zusammen. Die Schuhe hatte er auch noch am falschen Fuß. Entweder hatte er es sehr eilig beim Anziehen oder man hat ihm die Schuhe erst angezogen, als er schon tot war.«

»Aber wer bitte wechselt bei einer Leiche die Schuhe?«

»Nicht wer, Klaus, warum, warum? Die Brieftasche klauen, o.k., aber Schuhe? Getragene Schuhe werden an sich selten gestohlen, selbst wenn sie teuer sind. Was ist an seinen richtigen Schuhen so wichtig, dass man sie nicht mit der Leiche zusammen finden durfte?«

»Das werde ich dann schon rauskriegen. Darüber brauchst du dir den Kopf nicht mehr zu zerbrechen. Du gehst schließlich heute in Urlaub.«

»Stimmt! Was hast du bei den Zeugen herausbekommen?«

»Der alte Herr gibt nicht viel her. Geht jeden morgen in dem Park spazieren, das ist alles. Er hat ja auch die Leiche nicht gefunden, sondern ist nur dazu geholt worden. Viel konnte er sowieso nicht mehr sagen, dafür ging es ihm zu schlecht. Interessanter sind da die beiden Joggerinnen.«

»Warum, wissen die mehr?«

»Nein. Es sind zwei Studentinnen, sie studieren Biologie. Sie sind im Park gelaufen und haben zufällig vom Weg aus die Schuhe unter dem Busch gesehen. Dann kam die weibliche Neugier dazu und bumms, hatten sie ’ne Leiche gefunden.« Wimbacher bestellte sich jetzt auch ein Bier.

»Jetzt red’ scho. Was wussten die zwei noch?«

»Nichts mehr, haben niemand in der Nähe gesehen, ihnen ist nichts aufgefallen, alles schien ihnen ganz normal an diesem Morgen.«

»Und was ist daran jetzt interessant?«

»Die Blonde sah nicht schlecht aus und schien nett zu sein. Ich glaub, die muss ich nochmal befragen. Die Adresse hab ich ja«, grinste Wimbacher. Er war noch Junggeselle. Er war zwar ein gut aussehender Mann Anfang dreißig, aber mit den Frauen hatte es nie recht geklappt. Überstunden, oft auch Nachtarbeit, das hatten alle Freundinnen nicht lange mitgemacht. Und bei den meisten jungen Frauen ging sowieso die Jalousie herunter, wenn sie erfuhren, dass er bei der Kripo war.

»Ich bin gespannt, was der Obduktionsbericht zutage fördert. Vielleicht ist der Tote bald identifiziert, dann kann ich richtig loslegen. Lass uns ins Präsidium fahren.«

»Da können wir jetzt eh noch nichts ausrichten«, bremste Losbichler, »wir haben so gut wie nichts in der Hand, der Bericht von der Spurensicherung ist mit Sicherheit noch nicht fertig. Bleiben wir doch noch einen Augenblick sitzen.« Er schüttelte die nächste Zigarette aus dem Päckchen.

Als sie ihr Büro wieder betraten, war es früher Nachmittag. Aber auf den ersten Blick war Losbichler und Wimbacher klar, dass es kein guter Nachmittag zu werden drohte. Von Schneyder saß in Losbichlers Schreibtischsessel und erwartete sie schon.

»So, kommen Sie auch mal wieder. Wo waren Sie so lange? Hier ist der Teufel los, die Presse rennt mir die Türen ein, das Innenministerium sitzt mir im Nacken, und Sie treiben sich sonstwo rum! Seit einer geschlagenen Stunde versuche ich Sie über Autotelefon und Handy zu erreichen.« Betont langsam zog Losbichler sein Handy aus der Jackentasche.

»Oh, ich muss doch glatt in der Eile vergessen haben, es einzuschalten.«

»Was ist denn so Wichtiges, Herr Oberstaatsanwalt?«, mischte sich Wimbacher ein, um eine Katastrophe zu verhindern.

»Heute morgen ist der Sohn vom Staatssekretär Hinter-, Hinter-, ach Hinterdingsda, Sie wissen schon, tot aufgefunden worden. Wieso erfahre ich davon aus der Presse? Das Innenministerium hat mich angerufen und ich stand da wie so’n, wie sagen sie hier immer, wie so’n Depp. Der Fall hat oberste Priorität. Bilden Sie eine Sonderkommission, setzen Sie alles in Bewegung, aber tun Sie was!«

Oberstaatsanwalt von Schneyder war zwar erst vor ein paar Monaten aus Düsseldorf nach München gekommen, aber er hatte schnell gelernt, wie der Hase in Bayern lief. Mit den Worten: »Und Sie, Losbichler, sollen Ihren Chef anrufen!«, warf er die Tür hinter sich ins Schloss.

»Damit wäre unsere Leiche also identifiziert, das Gesicht kam mir gleich so bekannt vor. Würde mich nur interessieren, wie die Presse so schnell davon Wind gekriegt hat. Klaus, hast du im Park irgendwelche Reporter gesehen?«

»Nein, du?«

»Ich auch nicht. Dann werde ich mich mal ans Telefon hängen, bevor es noch mehr Ärger gibt. Staatssekretär Hinterberger ist irgend so ein hohes Tier aus der Staatskanzlei, ist ständig mit unserem Ministerpräsidenten unterwegs. Der kann dir mit einem einzigen Anruf die komplette Karriere versauen.« Losbichler wählte.

»Ja, hier Oberkommissar Losbichler, sie baten um Rückruf, Herr – Ja, wissen wir, wir waren am Tatort – Ja, gleich als Erstes, Herr – Selbstverständlich – Oberste Priorität – Aber, ich – Aber der Kollege – Selbstverständlich.« Er warf verärgert den Hörer auf die Gabel.

»Schon geschafft, mein Urlaub ist gestrichen. Danke, Herr Staatssekretär!« Losbichler fingerte eine Zigarette aus einer frischen Schachtel.

»Und wer erklärt das jetzt meiner Frau?«

»Komm, Bernd, das wird schon, schließlich fangen die Sommerferien heute erst an, und in ein paar Tagen sind wir sicher schon weiter. Dann kriegst du vielleicht doch noch deinen Urlaub.«

»Daran glaub ich nicht. Wir haben kaum etwas in der Hand, der Fall kann sich Monate hinziehen. Ich ruf gleich mal in der Gerichtsmedizin an.« Während Losbichler wieder zum Hörer griff, öffnete Wimbacher das Fenster. Es war schon ohne den Rauch von Losbichlers Zigaretten stickig heiß im Büro und er wusste, dass dies sicher nicht die letzte Zigarette für heute sein würde. Er stellte sich schon mal auf einen langen Abend ein.

3

Die zwei jungen Männer schlenderten durch die Passage unter dem Stachus. Gelangweilt betrachteten sie die Auslagen der Geschäfte. Beide waren noch keine dreißig, sommerlich leicht, aber dezent elegant gekleidet und trugen Aktenmappen unter dem Arm. Sie waren peinlich darauf bedacht, dass immer genügend Abstand zwischen ihnen war. Die Leute strömten an ihnen vorbei zur U-Bahn, keiner beachtete die beiden in ihren hellen Anzügen. Nach einer Weile sahen beide auf die Uhr und strebten dem Ausgang zu. Mit einigen Metern Abstand fuhren sie mit der Rolltreppe hinauf in das gleißende Sonnenlicht.

Der Platz war voll mit Menschen, Geschäftsleute und Touristen mischten sich mit Studenten oder Hausfrauen, die ihre Einkäufe erledigten. Die meisten Jüngeren vergnügten sich zwischen den Fontänen des Brunnens und suchten Abkühlung. Die beiden jungen Männer bewegten sich auf die Filiale eines Schnellrestaurants am Rand des Platzes zu. Einer der beiden hatte sich mit seinem Tablett an den Tisch eines ebenfalls jungen Mannes in Jeans mit Bürstenhaarschnitt gesetzt, der gerade in seinen Hamburger biss. Der andere stieß dazu.

»Ist hier noch frei?«, fragte er laut und vernehmlich, aber keiner der anderen Gäste nahm Notiz von ihm. Er setzte sich. Sofort wurden die Stimmen gesenkt.

»Er ist gefunden worden.«

»Das hat ja länger gedauert, als ich angenommen hatte.«

»Habt ihr euer Alibi?«

»Ja, wir waren die ganze Nacht zu Hause und haben das Semesterende gefeiert«, feixte einer der beiden im Anzug.

»Und noch dazu von der Polizei«, setzte der andere hinzu, »die Nachbarn haben sich beschwert, wir waren wohl zu laut.«

»Gut, meine Bekannte wird behaupten, ich wäre die ganze Nacht bei ihr gewesen. Ihr hattet recht, der Sack wollte nach gestern Abend tatsächlich aussteigen. Das hat er jetzt davon.«

»Sein Alter wird ganz schön Stunk machen, damit das aufgeklärt wird.«

»Der sollte lieber vorsichtig sein. Wenn das rauskommt, kann er die Nachfolge auf den Ministerpräsidenten vergessen.«

»Weiß er nur nicht. Der wird die Bullen bohren lassen und nicht nachgeben.«

»Sie werden nur nichts finden. Und selbst wenn sie was rauskriegen, von uns hält jeder dicht. Außerdem fahre ich den ganzen August nach Frankreich zur Schulung, ihr wisst schon. Bis ich wieder da bin, ist Gras über die Sache gewachsen.«

»Was ist mit ihr?« Der Bürstenhaarschnitt grinste hämisch.

»Ist entsorgt.« Die beiden anderen wurden bei diesen Worten etwas blass um die Nase.

»Was hast du mit seinen Schuhen gemacht?«

»Keine Sorge, die werden nie mehr auftauchen.«

»Was hast du damit gemacht, sag schon?«

»Im Augenblick habe ich sie noch. Die sind ziemlich cool, nur leider etwas zu klein. Ich werde sie heute Nacht verbrennen.«

»Bist du wahnsinnig!«, fuhr der eine auf.

»Leise, Mann!«, zog ihn der andere wieder auf den Sitz zurück, »du fällst sonst noch auf.«

»Ich werd mich dann mal verabschieden«, meinte der Bürstenhaarschnitt, »und esst euren Fraß, sonst fallt ihr beide noch auf.« Er deutete auf die noch unberührten Hamburger und wandte sich Richtung Ausgang.

»Klaus, du musst sofort in die Gerichtsmedizin rüberfahren. Die Obduktion soll heute Nachmittag noch stattfinden.« Wimbacher seufzte. Bei solch wichtigen Obduktionen musste immer ein Ermittlungsbeamter als Zeuge zugegen sein. Losbichler drückte sich darum, wann immer er konnte. Und er durfte dann in den sauren Apfel beißen. Er hasste den Leichengeruch, der in den Räumen hing. Er empfand es als ein unappetitliches und grausiges Schauspiel. Als Losbichler ihn das erste Mal mitgenommen hatte, war ihm schwarz vor Augen geworden. Das war ihm danach nie wieder passiert. Er konnte sich noch genau an das Lachen und die Sprüche des Gerichtsmediziners erinnern, der die Obduktion durchgeführt hatte. Er hatte sich in seinen Gummihandschuhen mit dem großen Messer in der Hand über ihn gebeugt und gesagt:

»Lassen Sie das lieber. Denken Sie immer daran, ich bin der Erste, der sich um Sie kümmert.« Allein der Gedanken an diesen Anblick, als er die Augen wieder aufgeschlagen hatte, ließ ihn schaudern. Jetzt, im Hochsommer, war der Geruch meist noch unangenehmer als sonst. Aber er hatte wohl keine Wahl.

»Gut, ich fahre dann. Kannst du mir noch irgendwas über den Toten erzählen?«

»Ich weiß auch nicht viel. Er ist – war Student, soweit ich weiß. Er tauchte in der letzten Zeit immer wieder in den Klatschspalten auf. Wilde Partys, Fotos mit irgendwelchen spärlich bekleideten Diskomiezen, eine war wohl die reiche Tochter von einem Industriellen. Ihr Vater hatte damals gegen die Zeitung geklagt. Weiß aber nicht, was dabei rausgekommen ist. Krieg’s raus!«

»Ist gut. Hast du deine Frau schon angerufen?«

»Zähfix, das hab ich ganz vergessen. Die packt ja schon die Koffer.« Losbichler griff zum Telefon.

»Hallo, mein Schatz, ich bin’s. Ich wollte dir nur sagen, dass es heute später wird. – Nein, ich weiß noch nicht, wann ich komme. – Ja, ich beeil mich. Da ist noch was. Wir müssen unseren Urlaub verschieben. Tut mir leid. Direkte Anweisung vom Polizeipräsidenten persönlich. – Nein, um was es geht, darf ich dir nicht sagen. Absolute Diskretion. Aber hör mal in die Nachrichten rein, dann kannst du es dir sicher denken. – Ja, ich bin auch nicht begeistert, aber es hilft nichts. Ich denk an dich. Bis heute Abend.« Er legte auf.

»Sie war ganz schön geknickt. Es wird Zeit, dass wir endlich mal wieder mehr Zeit für uns haben.«

Im Gerichtsmedizinischen Institut herrschte Hochbetrieb. Wimbacher stieß auf Professor Blechschmid, als dieser gerade aus dem Sektionssaal kam.

»Da sind Sie ja schon. Das ging aber schnell«, wurde er begrüßt, »dann können wir ja gleich loslegen.«

»Ganz schön viel los heute.«

»Ja, Ferienzeit, Unfälle und zwei Selbstmorde haben wir auch. Und dann noch euer prominenter Toter.«

Im Sektionssaal wurde an zwei Tischen gearbeitet. Die Luft traf Wimbacher wie ein Keulenschlag. Er wagte kaum zu atmen.

»Tut mir leid, dass ich Ihnen das zumuten muss«, meinte der Professor, »eine unserer Selbstmörderinnen lag drei oder vier Tage im Starnberger See, bis man sie gefunden hat.«

»Bringen wir’s hinter uns«, würgte er hervor. Der Professor führte ihn an einen der Tische und deckte mit einer schwungvollen Bewegung den jungen Mann aus dem Park auf. Er schaltete das Diktiergerät ein und zog sich die dicken Gummihandschuhe über.

»Männliche Leiche, Kaukasier, circa 25 Jahre«, begann er zu diktieren. Wimbacher stand in gebührendem Abstand, presste sich ein Taschentuch vor Mund und Nase und beobachtete, wie der Gerichtsmediziner die Leiche rundherum routiniert gründlich inspizierte. Als dieser schließlich zum Messer griff und mit einem schnellen Schnitt die Kopfhaut von einem Ohr zum anderen durchtrennte, wurde ihm schwarz vor Augen. Als er wieder zu sich kam, lag er auf einem fahrbaren harten Blechtisch auf dem Gang vor dem Sektionssaal unter einem geöffneten Fenster. Ein junger Arzt beugte sich über ihn und fühlte nach dem Puls.

»Da sind Sie ja wieder. Wissen Sie, dass Sie seit langer Zeit der erste Lebende sind, um den ich mich kümmere?« Das lachende Gesicht verschwand, dafür tauchte das Gesicht des Professors auf, der nicht weniger grinste.

»Geht’s wieder? Gehen Sie doch in mein Büro und warten Sie dort auf mich. Ich bin in Kürze fertig. Entschuldigen Sie das mit dem Wagen, aber wir hatten keinen anderen, um Sie herauszufahren.« Wimbacher blieb noch etwas liegen, dann setzte er sich vorsichtig auf. Nach ein paar weiteren Minuten fühlte er sich stark genug, stand auf und ging mit schwammigen Knien die Treppen hinauf zum Büro des Professors. Dort angekommen, ließ er sich auf einen freien Stuhl fallen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah sich um. Das Büro war düster, nur durch zwei Dachfenster fiel Licht in den Raum. Dafür war er aber umso heißer, so direkt unter dem Dach. Überall an den Wänden hingen Regale, vollgestellt mit Büchern und Aktenordnern. Sogar auf den Stühlen türmten sich Papierstapel, von denen keiner niedriger als einen halben Meter war. Die Sonne stand schon tief an diesem wunderbaren Sommertag und tauchte den Raum in sanftes Licht. In diesem Augenblick trat der Professor herein.

Nachdem Wimbacher das Büro verlassen hatte, blieb Losbichler noch am Schreibtisch sitzen und ordnete seine Gedanken. Der Zorn über den verpatzten Urlaub war verraucht. Er ließ noch mal alle Fakten Revue passieren.

»Viel ist das nicht«, sagte er zu sich selbst und erhob sich. Er würde zunächst mal mit den Eltern des Opfers sprechen. Sie wohnten in einer der vornehmsten Straßen in Grünwald.

Am Tor der Villa wurde er von zwei Sicherheitsbeamten begrüßt. Nachdem er sich ausgewiesen hatte, ließ man ihn passieren und er fuhr den frisch geharkten Kiesweg zum Eingang hinauf. Eine Hausangestellte, wie in einem schlechten Film in einem grauen Kleid mit weißer Schürze, öffnete die Tür und führte ihn in einen mit dunklem Holz getäfelten Raum, der mit seinen weitläufigen Regalen wohl eine Bibliothek darstellen sollte. Allerdings zierten diesen Raum nur wenige Bücher. Kurz darauf betrat eine junge, weniger elegant aber dafür umso teurer gekleidete Frau den Raum.

»Ich bin Frau Hinterberger«, stellte sie sich vor, »bevor Sie fragen, ich bin die zweite Frau von Herrn Staatssekretär Hinterberger, also nicht die Mutter von Ingo.«

»Kriminaloberkommissar Losbichler. Ich darf Ihnen mein Mitgefühl ausdrücken, Frau Hinterberger.«

»Danke, Herr Kommissar. Wahrscheinlich wollen Sie meinen Mann sprechen, aber der ist noch in der Staatskanzlei.« Das Wort Staatskanzlei betonte sie ganz besonders.

»Nun, vielleicht können auch Sie mir einiges über Herrn Hinterberger junior erzählen, wie hieß er gleich, Ingo?«

»Ja, Ingo. Viel gibt es da nicht zu erzählen. Ingo ist letzten Monat vierundzwanzig geworden. Er hat seinen Geburtstag groß gefeiert, vielleicht haben sie davon in der Zeitung gelesen. Er hatte diese Diskothek für den Abend gemietet. Er war ein ganz normaler Junge. Er studiert Jura wie sein Vater, er war schon im neunten Semester.«

»Dafür war er aber ziemlich jung.«

»Na ja, er brauchte nicht zur Bundeswehr. Sein Vater meinte, das wäre nur verlorene Zeit für ihn. Deshalb war er dann ja auch untauglich und konnte gleich mit dem Studium beginnen.«

»Ah ja, dann«, sagte Losbichler gedehnt. Interessante Formulierung, dachte er, was so ein Vater alles ausrichten kann.

»Frau Hinterberger, hat Ingo hier im Hause gelebt?«

»Nein, er hatte einen dieser Bungalofs im ehemaligen Olympiadorf.« Losbichler zog bei der Aussprache des Wortes Bungalow unwillkürlich eine Augenbraue hoch.

»Er wollte mehr auf eigenen Füßen stehen und seine Freiheit haben, deshalb hat mein Mann ihm den Bungalof besorgt.«

»Können Sie mir etwas über Freunde oder Bekannte sagen? Hatte er vielleicht eine Freundin?«

»Das weiß ich nicht. Er hat nie Freunde oder Kommitonen mit hierhergebracht.« Sie sagte tatsächlich Kommitonen.

»Haben Sie nie jemand aus seinem Bekanntenkreis kennengelernt? Haben Sie einen Schlüssel zu seinem Bungalow, dürfen wir uns da mal umsehen?«

»Nein, ich kenne niemand. Aber kommen Sie doch noch mal wieder, wenn mein Mann zu Hause ist. Ich glaube, er hat auch noch einen Schlüssel zu Ingos Wohnung.«

»Danke, Frau Hinterberger, dass Sie Zeit für mich hatten. Ich komme noch mal, um mit ihrem Mann zu sprechen. Ich werde aber wohl besser vorher anrufen. Auf Wiedersehen.«

»Tun Sie das«, sagte sie in einem gestelzten Tonfall. »Auf Wiedersehen, Herr Kommissar.« Dann brüllte sie ohne jede Hemmung dem Hausmädchen zu: »Tatjana! – Begleiten Sie den Herrn hinaus.«

Für die Rückfahrt ins Büro brauchte Losbichler ein halbe Ewigkeit. Der dichte abendliche Verkehr staute sich auf allen Straßen. Völlig verschwitzt traf er im Präsidium ein und fand im Büro einen immer noch bleichen Kollegen vor.

»Hallo Klaus, du bist schon da? Wie hast du denn das gemacht?«

»U-Bahn gefahren, was sonst. Du siehst ganz schön fertig aus.«

»Diese Hitze macht einen auch fertig. Das ist einfach nichts für mich. Und jetzt erzähl, was hat die Obduktion ergeben?«

»Also, in Kurzfassung: Er ist erschossen worden. Und zwar schräg von hinten oben. Aufgrund der Schmauchspuren wurde der Schuss aus nicht mehr als 50cm Entfernung abgefeuert. Die Kugel ist in Höhe des rechten Schulterblattes eingedrungen, hat das Rückenmark durchtrennt, die Wirbelsäule durchschlagen und ist vorne am Bauch wieder ausgetreten. Auf diesem Weg wurde die Hauptschlagader verletzt, er ist also verblutet. Ein Projektil wurde nicht gefunden, aber anhand der Wunden vermutet der Professor ein Vollmantelgeschoss. Das fehlende Blut am Fundort spricht sehr dafür, dass der Fundort nicht der Tatort war.«

»Das ist ja nett. Wir suchen also jetzt nach einem Ort mit einer großen Blutlache, an dem die Kugel aus der Tatwaffe noch irgendwo im Boden steckt.«

»Ja, aber es wird noch interessanter. Der Tote muss vor seinem Tod noch kräftig misshandelt worden sein. Er war mit Blutergüssen übersät. Die Schuhe, die uns schon aufgefallen waren, stammen nicht von der Leiche. Der Tote hatte Schuhgröße 43/44, die Turnschuhe waren allerdings Größe 45. Was mich am meisten interessiert, ist der Schusswinkel. Entweder war der Täter ein Riese, oder –«

»Oder das Opfer lag oder kniete am Boden, als es erschossen wurde«, unterbrach ihn Losbichler, »wie bei einer Hinrichtung.«

»Genau das hat der Professor auch gemeint.« Losbichler wischte sich wieder Schweißperlen von der Stirn.

»Ich war inzwischen bei den Eltern des Opfers. Ich habe leider nur die Stiefmutter angetroffen, scheint nicht sonderlich intelligent zu sein.«

»Wer, das Opfer?«

»Nein, die Mutter. Unser Opfer heißt übrigens Ingo, Ingo Hinterberger, und hat Jura studiert. Gewohnt hat er im Olympiadorf, Freunde und Bekannte sind unbekannt. Vielleicht helfen uns seine Studienkollegen da weiter. In die Wohnung können wir erst, wenn ich den Vater erreicht habe.«

»Bernd, mit den Kommilitonen von diesem Ingo müssen wir uns beeilen. Übermorgen ist das Semester zu Ende, dann sind die Studenten für drei Monate in alle Winde verstreut. Vielleicht können wir über die Uni rauskriegen, in welchen Vorlesungen und Kursen er war.«

»Heute ist da keiner mehr. Das machen wir gleich morgen früh. Ich glaub, für heute reicht’s.« Der Oberkommissar machte Anstalten, zu gehen.

»Bernd, der Bericht für den Schneyder, was ist mit dem?«

»Könntest du das nicht machen? Ich möchte zu meiner Frau nach Hause. Der Haussegen hängt eh schon schief.«

»Na gut, mach ich noch. Servus, Bernd.«

»Servus, Klaus.« Als die Tür hinter Losbichler zugefallen war, stürzte sich Wimbacher auf den Papierkram. Es war längst dunkel, als auch er das Präsidium verließ.

Als Kommissar Wimbacher am Morgen das Büro betrat, schlug ihm eine Qualmwolke entgegen. Losbichler saß hinter seinem Schreibtisch und sog an einer Zigarette, während er sich Notizen machte. Ein Blick in den halbvollen Aschenbecher verriet, dass er wohl schon geraume Zeit im Büro war.

Verwundert hängte Klaus Wimbacher seinen Fahrradhelm an den Garderobenhaken.

»Was machst denn du schon hier?«

»Ich hab Ärger zu Hause. Meine Frau hat mir gestern den Marsch geblasen wegen unserem gestrichenen Urlaub. Sie ist unglaublich sauer. Heirate bloß nicht, Klaus! Das verträgt sich mit unserem Job nicht.«

»Komm, so schlimm kann es ja wohl nicht sein.«

»Oh doch! Mein Sohn jammert mir vor, wo seine Schulkameraden in den Ferien überall hinfahren, meine Frau erzählt mir, was beim Friseur für Urlaubspläne ausgetauscht wurden, und ich bin der Buhmann, weil beide jetzt überhaupt nicht wegkommen. Vielen Dank.«

»Oh Mann, du machst einem Hoffnungen.« Losbichler knurrte etwas Unverständliches und nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette.

»Hör zu, das neunte Semester hat heute morgen von acht bis zehn eine gemeinsame Vorlesung. Da erwischen wir sie alle zusammen, ich habe gerade vorhin mit der Uni telefoniert. Lass uns da gleich mal hinfahren und mit den Studienkollegen reden, was die über unser Opfer wissen. Außerdem steht in spätestens zehn Minuten der Schneyder wieder auf der Matte, da will ich weg sein.«

»Ist gut, aber kannst du fahren? Ich hab noch nicht gefrühstückt. « Wimbacher wedelte mit der Papiertüte vom Bäcker.

»Wenn’s denn sein muss. Dann los!« Der Oberkommissar verließ fluchtartig das Büro und Wimbacher folgte ihm kopfschüttelnd.

Im Unigebäude angekommen, hatten sie etwas Mühe, den richtigen Hörsaal zu finden. Voller Tatendrang hatte Losbichler die erstbeste Tür aufgerissen und in das ärgerliche Gesicht eines Professors gestarrt, der eigentlich über die Gesetze der Thermodynamik sprechen wollte. Erst nach einigem Suchen hatten sie Erfolg. Nachdem sie sich ausgewiesen und dem Dozenten den Sachverhalt erklärt hatten, nahm Losbichler das Mikrofon und wandte sich an die Studenten:

»Mein Name ist Kriminaloberkommissar Losbichler. Wir ermitteln im Mordfall an einem Ihrer Kommilitonen. Wie Sie aus der Zeitung sicher schon wissen, ist Ingo Hinterberger gestern tot aufgefunden worden. Wir suchen jetzt nach Leuten, die den Toten gekannt haben oder sogar mit ihm befreundet waren.«

In den Reihen der Studenten nur lange Gesichter und Kopfschütteln. Nach längerem Schweigen meldete sich einer: »Ich glaube ich kenne den, den sie meinen. Er war mal in unserem Semester, ist aber schon lange nicht mehr in unseren Vorlesungen. Er macht, glaube ich, gerade die Kurse aus dem sechsten Semester. Sonst kann ich ihnen eigentlich nichts über ihn erzählen, ich habe ihn seit Langem nicht mehr gesehen. Tut mir leid.«

»Kann sonst noch jemand Angaben über ihn machen?« Die Antwort war Schweigen. Also verabschiedeten sich die beiden Kriminalbeamten und standen wieder auf dem langen Gang vor dem Hörsaal.

»Hat uns ja viel gebracht. Wenigstens wissen wir jetzt, wo wir weitersuchen müssen.«

»Und wo ist dieses verfluchte sechste Semester?« Losbichler wirkte ziemlich ärgerlich.

»Zurück zum Sekretariat, die werden das ja wohl auch wissen.«

»Und wo bitte geht’s zu diesem Sekretariat? In diesen Gängen kannst du dich ja totlaufen.«

Als sie nach ungefähr einer halben Stunde Suchen vor einem anderen Hörsaal standen, hatte der Oberkommissar bereits Schweißperlen auf der Stirn. Im Sekretariat, das sie nur mit Mühe wiedergefunden hatten, hatten sie eine längere Wegbeschreibung bekommen, die von Aufgängen, Kreuzungen und Gängen nur so strotzte.

»Also, auf ein Neues«, meinte Wimbacher und öffnete die Tür. Diesmal hatten sie mehr Glück. Auf ihre Fragen hin erklärten mehrere Studenten, Ingo Hinterberger flüchtig gekannt zu haben. Sie beschrieben ihn als einen Außenseiter, der nur wenig Freunde gehabt zu haben schien. Auch nahm er nur unregelmäßig an Vorlesungen und Seminaren teil. Gemeinsame Unternehmungen seiner Studienkollegen hatte er meist gemieden. Nur wenige hatten ihn näher gekannt.

Eine Studentin meinte: »Der Tobias und der Holger, die waren viel mit Ingo zusammen. Das waren dicke Freunde, auf seiner Geburtstagsparty hingen sie den ganzen Abend zusammen. Sie sind heute allerdings nicht hier.«

»Und wer sind die beiden, wo können wir sie finden?«

»Soweit ich weiß, wohnen die auch im Olympiazentrum. Wo genau, weiß ich auch nicht. Der Tobias heißt Hartmann mit Nachnamen, vom Holger weiß ich den Namen nicht.« Der Kommissar notierte sich sämtliche Aussagen und Adressen der Studenten. Ein mögliches Motiv für die Tat kristallisierte sich aus den Aussagen nicht heraus. Niemand wusste von Streit oder irgendwelchen Feindschaften. Meinungsverschiedenheiten hatte es wohl manchmal gegeben, aber die schienen nicht ernsthafter Natur gewesen zu sein. Wimbacher klappte sein Notizbuch zu und verließ hinter seinem Chef den Hörsaal.

Auf dem Weg zum Ausgang planten sie das weitere Vorgehen. Zunächst würden sie versuchen, diesen Tobias Hartmann zu finden. Möglicherweise konnten sie durch ihn mehr über Bekannte und Gewohnheiten von Ingo Hinterberger erfahren. Je mehr sie über das Leben des Opfers im Bilde sein würden, desto einfacher würde es sein, Tatmotive einzugrenzen und Verdächtige zu finden. In den meisten Fällen war der Täter im engeren sozialen Umfeld des Opfers zu finden. Im Augenblick kamen die Ermittlungen nur schleppend in Gang. Oberstaatsanwalt von Schneyder würde begeistert sein. Beim Gedanken an dessen Laune bekam Losbichler Sodbrennen.

Auf der Leopoldstraße staute sich schon wieder die Sommerhitze und die Luft flimmerte über dem Asphalt. Dabei war es noch nicht mal elf Uhr. Als die beiden Kommissare ihr Auto erreichten, war Losbichler in seinem Anzug schon wieder durchgeschwitzt. Zu allem Überfluss hatte ein diensteifriger Kollege auch noch ein Strafmandat unter den Wischer geklemmt.

»Was, fünfundsiebzig Mark, bloß weil ich auf dem Radweg stehe?«, schimpfte er. Wütend zerknüllte er den Zettel und schleuderte ihn in den Rinnstein.

»Sollen mal versuchen, den Wisch zuzustellen. Wollen doch mal sehen, ob –« Er wurde vom Klingeln des Handys unterbrochen.

»Ja, Losbichler! Herr Oberstaatsanwalt – ja, wir sind in der Angelegenheit unterwegs – Nein, es gibt noch nichts Neues – Was, Besprechung, heute Nachmittag? – gut, wir werden da sein.« Er schob das Telefon wieder in die Tasche.

»Der Schneyder will uns heute sehen, angeblich wichtige Mitteilungen. Wahrscheinlich will er uns nur wieder erzählen, wie brisant und überaus wichtig der Fall ist. Lass uns zusehen, dass wir vor dem Essen noch ein paar Fakten ausgraben, damit wir nicht mit ganz leeren Händen dastehen.« Sie stiegen ins völlig überhitzte Auto und machten sich auf den Weg zum Olympiapark.

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