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Über dieses E-Book

1888 versetzte ein unbekannter Serienmörder das Londoner East End in Angst und Schrecken – heute setzt er sein grausiges Werk fort.
Während der Mord an einer Prostituierten die Polizei vor ein Rätsel stellt, erkennt Privatdetektivin Maxine Atwood in der abscheulichen Tat die Handschrift eines alten Bekannten: Jack the Ripper. Die in die Menschenwelt verbannte Gefallene hofft zunächst auf einen Zufall, doch ›Saucy Jacky‹ meldet sich bald schon persönlich bei seiner einstigen Rivalin: Wie damals schreibt er ihr Briefe, führt sie mit echten Informationen und falschen Hinweisen in die Irre und hetzt die Detektivin kreuz und quer durch ganz London. Maxine verfolgt jede noch so winzige Spur, überprüft alle dämonischen Zweige der Stadt, aber sie scheint ein Phantom zu jagen. Und der Ripper droht, ihr ein zweites Mal zu entkommen ...

Impressum

dp Verlag

Erstausgabe Februar 2020

Copyright © 2021 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Made in Stuttgart with ♥
Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-642-7
Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-030-5
Hörbuch-ISBN: 978-8-72641-045-7

Covergestaltung: chaela
unter Verwendung von Motiven von
shutterstock.com: © BigAlBaloo und © Good Job
Lektorat: Regina Meißner

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Vorbemerkung

Wer war Jack the Ripper? Seit rund hundertdreißig Jahren ist dieses Rätsel ungelöst und der bekannteste Serienmörder der Geschichte ein Mysterium.

Ripperologen beschäftigen sich bis heute mit den Fällen, rekonstruieren die Ereignisse, wälzen alte Akten und stellen immer wieder neue Theorien auf. Glaubwürdige und weniger glaubwürdige. Aber seien wir ehrlich: Niemand weiß, wer der Whitechapel-Mörder wirklich war. Ja, nicht einmal, wie viele Frauen er tatsächlich getötet hat. Seit über hundertdreißig Jahren wird gerätselt und dabei Wahrheit mit Fiktion vermischt.

Jack the Ripper ist ein Phantom, eine Nebelgestalt, dessen Name nach wie vor Gänsehaut verursacht. Sofort denkt man an die nächtigen, nebelgeschwängerten Straßen Londons, einen Mann – mehr Teufel als Mensch – mit Mantel und Zylinder und einem blitzenden Messer in der Hand. Und von eben jener faszinierenden Gestalt handelt dieser Roman.

Einige der nachfolgend erwähnten Personen, Opfer wie Ermittler, haben wirklich gelebt, manche Vorkommnisse beruhen auf Fakten, doch vieles ist schlichtweg meiner Fantasie entsprungen. Dieses Buch ist kein Tatsachenbericht, es möchte den Leser unterhalten, mitreißen und eine fantasievolle Version des alten Rätsels wiedergeben.

Aber wer weiß, vielleicht hat sich die Geschichte tatsächlich so ereignet, wie uns Privatdetektivin Maxine Atwood gleich erzählen wird …

 

Ich wünsche eine spannende Lesezeit in London,

 

Ihre Sandra Binder

Prolog

»Verbannung …« König Edwin zwirbelte sich den langen Kinnbart und blickte auf das Blockhaus neben dem See am Waldesrand.

Die aufgehende Sonne färbte den Himmel rosarot, eine leichte Brise ließ die Blätter in den Bäumen rascheln und Vögel zwitscherten in den Ästen. Eine friedliche Atmosphäre, wie sie am Hofe so niemals zu erleben war. Und ein herber Kontrast zu dem Unfrieden, den sie hierher mitgebracht hatten und der in wenigen Augenblicken losbrechen würde.

Der König seufzte. Seine Zweifel und die Zerrissenheit waren ihm deutlich anzusehen. »Wie kann ich ihr das antun? Meiner ergebensten Dienerin, fähigsten Leibwächterin … und loyalen Freundin?«

»Wir haben keine andere Wahl, mein König, das wisst Ihr.« George legte ihm eine Hand auf den Arm. Heute, in dieser Kutsche am Wegesrand, war er Edwins bester Freund, nicht der Kanzler oder sein wichtigster Ratgeber. Und er musste die Sicht seines Freundes dringend zurechtrücken – zu dessen eigenem Wohl. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn die Wahrheit ans Licht käme. »Mich schmerzt der Gedanke, sie unschuldig zu verurteilen ebenso wie Euch. Doch wir müssen die Gefahr bedenken, mein König. Wir haben es so entschieden, aus vernünftigen Gründen. Ein Zurück ist nicht mehr möglich. Und vergesst nicht, dass es nicht für immer ist.«

Edwins wasserblaue Augen musterten George hilflos. Was er wohl hoffte, in dessen Miene zu finden? Zuversicht? Trost? Etwas, mit dem er seine Entscheidung rechtfertigen konnte? Schließlich seufzte er erneut, wandte sich ab und betrachtete die einfache Behausung, in der Maxine mit ihrer Familie wohnte.

Ihre Lebensweise war so weit von jener des Hofes entfernt, man konnte fast vergessen, dass sie der General der königlichen Armee war. Maxine hatte noch nie Wert auf jeglichen Prunk und Tand gelegt. Sie blieb lieber abgeschieden von allem – mit ihrem Mann, einem Fischer, und ihrer kleinen Tochter, die das Schloss noch nie von innen gesehen hatte. George fand diese Art zu leben nicht sonderlich erstrebenswert, der König hatte ihm gegenüber allerdings des Öfteren betont, dass er beeindruckt davon war, wie Maxine in all der Schlichtheit solch tiefe Zufriedenheit fand.

»Ihr wisst, sie kommt mit wenig aus«, sagte George deshalb. »Es wird ihr nicht schwerfallen, eine Zeitlang in der Menschenwelt zu leben – anders als den meisten von uns. Außerdem ist es nicht für immer.« Er wiederholte sich absichtlich. »Bald schon werden wir Gewissheit erlangen und dann könnt Ihr sie begnadigen.« George hoffte zumindest, dass es so ablaufen würde, denn wenn nicht … Das wollte er sich nicht vorstellen.

Dem König hatte er mehrfach erklärt, es sei eine reine Sicherheitsmaßnahme, Maxine in die Menschenwelt zu verbannen, unwissend wie sie war. Dennoch wirkte Edwin wenig überzeugt und viel zu nachdenklich. Was sollten sie nur tun, wenn er es sich anders überlegte? Der Vorfall ließ sich dann nicht mehr vertuschen und Georges gesamte Familie sowie der König selbst würden vor dem Volk in Ungnade fallen. Alles, was sie sich erarbeitet hatten, wäre in nur einem Wimpernschlag fort. Und das nur weil dieser alte Narr über sein weibisches Gewissen stolperte.

»Wir müssen nun endlich handeln, mein König«, drängte George und wischte sich die schweißnassen Hände an seinem Gehrock ab. »Alles ist vorbereitet. Schickt die Männer ins Haus. Sie werden das Schwert finden, mit dem der Mord verübt wurde. Ich habe es selbst hineingebracht.«

»Dass aus gutgemeinter Saat solch verderbte Blüten wachsen«, murmelte der König. »Nie mehr wird mein Herz ruhen.«

George widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen und zu schnauben. Stattdessen nickte er aufmunternd.

Tief durchatmend hob der König den Arm, streckte die Hand aus dem Fenster der Kutsche und bewegte lediglich die Finger in Richtung Blockhaus. Eine winzige Geste nur, doch mächtig genug, um Menschenleben, Dörfer, ganze Reiche zu zerstören.

Fasziniert beobachtete George, wie sich die Soldaten in Bewegung setzten. Insgeheim hatte er befürchtet, dass sie sich weigerten, ihren General gefangen zu nehmen, und das Unbehagen stand ihnen auch in die Gesichter geschrieben, doch sie folgten loyal dem Befehl ihres Königs. Sechs Mann marschierten auf das Blockhaus zu, wo sie gegen die Tür hämmerten und laut um Einlass geboten.

Wenig später erschien Maxines Ehegatte Charles an der Schwelle und wurde prompt von einem der Soldaten am Arm aus dem Haus gezogen und festgehalten, während drei weitere ins Innere vordrangen. Der Fischer war sichtlich verwirrt, gestikulierte mit den Händen und sagte irgendetwas, das George von seinem geschützten Beobachtungsposten in der Kutsche aus nicht hören konnte.

Anscheinend hatte die Familie noch geschlafen, denn Charles trug lediglich ein Leinenhemd und eine einfache Stoffhose. Außerdem stand ihm das blonde Haar wirr vom Kopf ab.

Plötzlich erklang ein spitzer Schrei. Catherine. Man konnte das Mädchen bereits brüllen hören, bevor es hinauskam. Es klammerte sich weinend an das Hemd seiner Mutter, die, von zwei Soldaten flankiert, abgeführt wurde. Maxine wehrte sich nicht, redete lediglich über die Schulter auf ihre Tochter ein. Vermutlich versicherte sie Catherine, dass alles gut werden würde, dass es ein Missverständnis war, dass sie bald nach Hause zurückkehren würde … Das fremde Schwert, das einer der Soldaten aus dem Haus trug, beäugte sie dabei irritiert.

Ihre Tochter ließ sich nicht beruhigen, im Gegenteil. Ihr Gebrüll war derart grell, dass es George in den Ohren schmerzte. Einer der Soldaten trat zu dem tobenden Kind und riss es von seiner Mutter los, wodurch das Weinen noch schriller wurde. Außerdem fing Catherine an, auf den Mann einzuschlagen, wo immer sie ihn treffen konnte. Die kleinen Hände einer Zwölfjährigen vermochten sicherlich keinen großen Schaden anzurichten, doch der Soldat verlor die Geduld. Entnervt schubste er das Mädchen von sich, sodass es rücklings auf dem Boden landete und aufschrie.

Als Maxine dem Vorfall gewahr wurde, riss sie sich von den Männern los, wirbelte herum und schlug dem Soldaten, der ihre Tochter angegriffen hatte, mitten ins Gesicht. Es ging so schnell, hätte man in diesem Moment geblinzelt, wäre es einem entgangen. Danach brach ein regelrechter Tumult aus. Maxine schlug mit wutverzerrter Miene auf den Soldaten ein, der eine Hand auf die blutende Nase presste und die andere ergebend hob. Mehrmals erwischte sie die anderen Männer, die sie beruhigen wollten, bevor diese es zu dritt schafften, sie zu Boden zu werfen und dort zu fixieren.

Maxine war eine erfahrene Kämpferin und die beste Soldatin des Königs – natürlich war sie kaum zu halten, wenn sie wütend wurde. Sie ließ sich jedoch von Charles besänftigen, der Catherine von hinten umschlang und ihr über das blonde Haar streichelte. Er wiegte das Mädchen, das nach wie vor bitterlich weinte und am gesamten Körper bebte, und redete derweil auf Maxine ein. Ihre Miene wurde allmählich sanfter und schließlich ließ sie sich von ihren eigenen Männern wegschleifen.

Catherine streckte die Hände aus und ihre zarten Fingerchen versuchten, nach der Mutter zu greifen. Maxine schüttelte stumm den Kopf, während ihr glitzernde Tränen übers Gesicht rannen. Der Anblick ließ selbst Georges Herz schmerzen. Zu sehen, wie sie dem Kind die Mutter entrissen, war grausamer als erwartet.

Er sog scharf die Luft ein und wandte sich ab. In diesem Moment spürte er Edwins Blick auf sich und sah zu seinem König auf. Jener wirkte blass und schockiert.

»Was haben wir getan?«, wisperte er.

George räusperte sich, ehe er antwortete. »Es ist die einzige Möglichkeit, um die Ordnung zu wahren.«

»Zwanzig Jahre.« Edwin schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. »Sie schreiben das Jahr 1870 in der Menschenwelt. 1890 werde ich Maxine begnadigen, komme, was da wolle.«

»Komme, was da wolle?« George ergriff den Arm des Königs und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. »Wir brauchen sie dort, vergesst das nicht. Sie ist die Einzige, die der Lage Herr werden kann, wenn – was wohl nie passieren wird – der schlimmste aller Fälle eintritt.«

Der König beugte sich zu ihm und raunte: »Und wenn der schlimmste aller Fälle eintritt und sie der Lage nicht Herr wird?«

George blickte durchs Fenster und beobachtete, wie Maxine in die zweite Kutsche gedrängt wurde. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte.