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SCHEINWERFERKINDER

6 / 7

 

 

Wahrheiten

 

 

Alexandria Emilia Rawa

 

 

 

Cover: Giada Armani

Copyright: BERLINABLE UG

 

 

Berlinable lädt dich ein, alle deine Ängste hinter dir zu lassen und in eine Welt einzutauchen, in der Sex der Schlüssel zur Selbstbestimmung ist.

Unsere Mission: Die Welt verändern - Seele für Seele.

Akzeptieren Menschen ihre eigene Sexualität, formen sie eine tolerantere Gesellschaft.

Worte der Inspiration, des Mutes, der Veränderung.

Öffne deinen Geist und befreie deine tiefsten Begierden.

 

 

Alle Rechte vorbehalten. Es ist nicht erlaubt, die Inhalte dieses eBooks ohne die ausdrückliche Genehmigung durch den Verlag zu kopieren, weiter zu verbreiten öffentlich vorzutragen oder anderweitig zu publizieren. Änderungen, Satzfehler und Rechtschreibfehler vorbehalten. Die Handlung und die handelnden Personen dieses Buchs sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

 

Rico // Aruba // 19. August 2013

 

Mein Pinsel gleitet über die kleine Leinwand. Manchmal hab ich mit dem Wasser ein bisschen übertrieben, da sind farbige Tropfen nach unten gelaufen und bis auf den Boden getropft. Aber das ist mir egal, es sieht künstlerisch aus. Ich könnte sogar sagen, es wäre Absicht.

 

Ich hab lange nicht mehr mit Wasserfarben auf einer Staffelei gemalt, wird mir klar. Eigentlich in meinem Leben sowieso viel zu selten, denn es macht Spaß. Ich kann dabei total entspannen, und trotzdem ist es irgendwie aufregend. Der Grund dafür ist natürlich hauptsächlich Kamila.

 

Sie sitzt vor mir, auf einem der hohen Barhocker aus der Küche, und ist fast nackt. Alles, was sie trägt, sind sehr kurze Jeansshorts, und ich glaube, ich bin verrückt, dass ich das wirklich denke, aber das ist noch besser, als wenn sie ganz nackt wäre. Das wäre irgendwie zu einfach und plump, und das ist Kamila nicht. Sie hat den Knopf geöffnet, die Hose rutscht aber nicht runter sondern schmiegt sich an ihre Hüften, ohne, dass man zu viel sieht. Man kann es sich aber denken. Ich kann überhaupt nicht anders, als daran zu denken, dass ich weiß, dass sie keine Unterwäsche trägt, weil sie das oft macht.

 

So ist Kamila. Sie aktiviert mein Kopfkino, ohne viel zu machen. Klar, sie ist Model. Sie ist groß, schlank, sexy, hübsch, anziehend und alles. Sie kann mit ihrem ganzen Körper flirten, aber auch nur mit einer einzigen Geste, selbst ohne mich dabei anzuschauen. Manchmal habe ich das Gefühl, sie kann sogar flirten, indem sie nur denkt.

 

Sie kann mich mit Blicken ausziehen. Ich kann das auch, sehr gut sogar, aber sie kennt auch das Fremdwort dafür. Sie hat es mir mehrmals gesagt, aber ich habe es vergessen. Apodysis? Aphrodiopsie? Irgendwie so was.

 

Aber besonders faszinierend ist sie dann, wenn sie nichts macht. So wie jetzt. Sie sitzt einfach nur halb auf diesem Hocker, hat ein Bein lässig angewinkelt, das andere ausgestreckt. Die Haare hängen ihr ungemacht über die Schultern und ins Gesicht, verdecken ein Auge, aber nicht ihre Nippel. Es ist ihr egal.

 

Ihre Wirbelsäule zeichnet sich leicht gegen ihren Rücken ab, weil sie nicht ganz gerade sitzt, aber es sieht trotzdem gut aus. Sie betrachtet abwechselnd ihre Zehen, den Boden, die Aussicht, oder mich, ganz selten. Sie ist die Ruhe selbst.

 

Es ist fast, als würde ich sie berühren, wenn ich sie male. Genüsslich lasse ich meinen Blick über ihre gebräunte Haut schweifen. Es ist schon ziemlich geil, ihr so offensichtlich an jede Stelle ihres Körpers gucken zu können.

 

Ich bin auch sonst eigentlich selten zu scheu, um sie anzuschauen, wenn ich schon die Gelegenheit dazu habe. Hier auf der Insel sowieso. Hier sieht uns ja sonst keiner, und ich weiß, dass sie es mag, angeschaut zu werden. Und ich mag es, sie anzuschauen. Eigentlich eine Win-Win-Situation.

 

Aber trotzdem – wenn ich es im Namen der Kunst machen kann, nutze ich es natürlich schamlos aus und bin auch noch stolz drauf.

 

„Ich finde, das Leben wäre ohne den weiblichen Körper um Einiges ärmer...“, grinse ich, lecke mir unterbewusst über die Lippen und ziehe mit dem Pinsel Kamilas Kurven auf der Leinwand nach.

 

„Hmm?“, macht sie amüsiert, den Blick immer noch zu Boden gerichtet.

 

„Ja. Und ohne Whirlpools.“, sage ich.

 

Und daraufhin muss sie lächeln. „Wasserbetten.“

 

„Auch.“, nicke ich und setze noch ein paar Pinselstriche.

 

Gleich ist das Bild fertig. In der Art habe ich schon lange nichts mehr gemalt. Ein bisschen abstrakt, grob, einfache Linien, aber keine ohne Bedeutung. Ich glaube nicht, dass man von außen sofort erkennen würde, dass es Kamila darstellen soll. Es könnte theoretisch auch eine andere blonde Frau sein. Nur wenn man mich kennt, steht es außer Frage.

 

Normalerweise male ich nicht gleich jeden, der mir über den Weg läuft. Es muss mir ein gutes Gefühl geben, jemanden zu zeichnen. Sonst kann ich ja auch fotografieren.

 

Hauptsächlich male ich sowieso am liebsten Frauen, stelle ich fest. Und plötzlich erinnere ich mich daran, wen ich früher andauernd skizziert hab.

 

Samantha.

 

Mein Herz sinkt mir augenblicklich in die Hose. Es hört gefühlt fast auf zu schlagen. Ein beklemmendes Gefühl beschleicht mich. Ich halte inne, und ohne es zu merken drücke ich den Pinsel nur noch auf eine einzige, bedeutungslose Stelle.

 

Die Gedanken sind absolut scheiße und nicht willkommen, aber ich kann sie einfach nicht abstellen.

Ich erinnere mich an mein erstes Skizzenheft. Daran, wie es irgendwann heimlich gemacht habe, weil Samantha wahnsinnig genervt davon war, dass ich sie ständig von der Seite angeschaut habe und die ganze Zeit irgendetwas am Kritzeln war... Sie hat sich zu beobachtet gefühlt. Nicht frei. Bei Kamila ist es das genaue Gegenteil.

 

„Rico?“, fragt Kamila auf einmal nach und sofort verpuffen alle meine Gedanken, ich bin sofort wieder zurück in der Realität.

 

„Ja. Der bin ich.“

 

„Ich frag’ mich grad...“, sagt sie und als ich sie angucke, spielt sie mit ihren Haaren und grinst mich frech an. „Das ist unfair, dass du mich fast ganz nackt malen darfst, wenn du dabei selbst ’ne Hose und ein T-Shirt trägst.“

 

„Aha!“, lache ich. „Was willst du damit sagen?“

 

„Zieh’ dich aus oder zeig mir endlich das Bild.“, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen.

 

„Ist gleich fertig, wirklich.“, verspreche ich und trete ein paar Schritte von der Leinwand zurück, um das Bild auch mal aus der Distanz zu sehen.

 

Kamila brummt nur, legt demonstrativ gelangweilt den Kopf in den Nacken und wippt mit dem Fuß. Sie überrascht mich immer wieder damit, wie ihre Launen wechseln können. Nicht negativ gemeint, es ist einfach interessant. Vor einer Minute war sie noch die Ruhe in Person, total gechillt, und jetzt wirkt sie schon wieder so hibbelig und ungeduldig.

 

„Fertig, Mister Da Vinci?“, fragt sie ein paar Minuten später.

 

Ich bin unsicher, klatsche noch ein bisschen Farbe an die Stelle, die ihre Hose darstellen soll. Dann seufze ich und wische mir ein paar Schweißtropfen von der Stirn.

 

„Ja, gut, besser wird’s auch nicht mehr...“, stelle ich fest, und sofort flitzt Kamila zu mir, um das Werk zu betrachten.

 

„Geil!“, ruft sie aus.

 

Zugegeben, mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich mag das Bild nämlich selber, und kein Künstler freut sich darüber, wenn jemand seine Kunst scheiße findet, wenn ich ehrlich sein soll.

 

„Find’ste?“, frage ich trotzdem sicherheitshalber noch mal nach.

 

„Ja, klar!“, beteuert sie, küsst mich auf die Wange und greift nach meiner Hand, um unsere Finger zu verhaken.

 

Eine Weile stehen wir zusammen vor der Leinwand und schauen auf die bunten Linien. Beinahe hätte ich doch wieder zum Pinsel gegriffen, um etwas zu korrigieren, anders zu malen, aber Kamila hält mich zurück.

 

„Ich find’s gut so.“, sagt sie. „Genau so.“

 

Ich grinse schief und gucke sie ungläubig an. „Ausgerechnet du Perfektionistin...“

 

„Ja, sehr wohl. Weißt du, Pfister, Perfektionisten zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie wissen, wenn etwas den Zustand der Perfektion erreicht hat.“, klugscheißt Kamila rotzfrech und bringt mich damit zum Lachen.

 

„Lach nicht.“, grinst sie und verschränkt die Arme vor ihrer nackten Brust. „Sondern glaub mir einfach, wenn ich sage, das passt schon so wie’s ist.“

 

Schließlich lege ich den Pinsel weg und hebe ergeben die Arme. „Okay, okay.“

 

Kamila lächelt, nickt und schmiegt ihren halbnackten Körper wieder an meinen. Ich spüre, wie sie ihr Kinn auf meiner Schulter ablegt. Ihr vertrauter Duft steigt mir in die Nase und für einen Moment schließe ich die Augen, atme durch. So ist gerade alles in Ordnung. Ich kann draußen das Meer rauschen hören, was der Wahnsinn ist. Und mir fällt jetzt erst auf, dass ich mich schon so daran gewöhnt habe, dass ich es im Alltag kaum noch höre. Krass.

 

„Rico?“

 

„Hm?“ – Träge öffne ich die Augen wieder und schiele zu Kamila.

 

„Wie malt man Glück?“

 

Ich stutze. „Hä?“

 

Sie lächelt sanft. „Ja, genau das hab ich mich grad gefragt. Man kann tausend Sachen malen – Menschen, Tiere, Pflanzen, tote Objekte, irgendwelche Muster... Aber kann man Gefühle malen? Kann man Glück malen?“

 

Dann schweigt sie wieder, und ich denke über ihre Worte nach. Das war schon wieder so ein Beispiel für eine dieser Kleinigkeiten, die Kamila einfach so sagt. Ich habe längst aufgehört, mich zu wundern, wo das bei ihr herkommt. Es ist halt so. Und sie bringt mich damit auf Gedanken, auf die ich alleine nie gekommen wäre. Ich weiß es wertzuschätzen, dass sie diese ganzen kleinen Dinge mit mir teilt, denn gerade das macht sie so speziell.

 

Wie malt man Glück? Die Frage geistert durch meinen Kopf. Ich kann nichts dagegen tun. Und wenn man erst einmal ein bisschen darüber nachdenkt, ist es umso schwerer zu sagen. Ich meine... Was ist Glück denn überhaupt? Irgendwie ist das ein bescheuertes Wort. Gibt es davon eine Definition? Man kann Liebe definieren, Hass auch, und Freude, Eifersucht, Trauer. Aber Glück? Man kann ja Glück haben oder glücklich sein. Aber auch das ist doch nur ein Zustand, der kommt und geht, oder?

Oh Mann, wenn diese Frau mal nicht wäre, dann wäre mein Kopf definitiv weniger am Dampfen.

 

„Vielleicht kann man das gar nicht beantworten, vielleicht ist es total blöd, sorry.“ – Sie schüttelt den Kopf gegen meine Schulter und streicht sich die Haare zurück.

 

Ich schaue sie an. Obwohl sie oben rum völlig nackt ist, bleibt mein Blick an ihrem Gesicht haften. An ihren Augen. Ich muss unwillkürlich lächeln, weil sie ab und zu auf den Boden guckt, fast schüchtern, was Kamila ja nun wirklich so gut wie nie ist. So ist sie fast süß und niedlich, und irgendwie wird mir warm ums Herz, weil ich mich neben ihr auch mal groß und stark fühlen darf.

 

„Ich finde das überhaupt nicht blöd...“, sage ich dann, ziehe Kamila an der Taille etwas näher zu mir und streiche nachdenklich mit meinen Fingern ihre Seite hoch und runter. „Aber ich kann’s tatsächlich nicht beantworten.“

 

Ich teile ihr meine Gedankengänge zum Thema Glück mit. Teilweise komme ich mir dabei fast albern vor. Ich, der Profifußballer, philosophiert in der Karibik über die Definition von Glück... Irgendwie seltsam. Aber Kamila hört aufmerksam zu und gibt mir das Gefühl, immerhin nicht die krasseste Scheiße zu labern.

 

„Ich glaube halt... Selbst wenn man Glück malen könnte, würde es eh jeder anders machen.“, beende ich schließlich meinen Monolog und bin fast etwas aus der Puste vom vielen Reden und Denken.

 

„Hmm. Wahrscheinlich hast du Recht.“, macht Kamila. „Falls du doch mal rausfinden solltest, wie man’s macht, kannst du’s mir ja zeigen.“

 

„Auf jeden Fall.“


Kamila // Aruba // 2. September 2013

 

Wir sitzen im Caddy Escalade, aber ich habe keine Ahnung, wo wir hinfahren. Rico war schon die ganzen letzten Tage so geheimnisvoll drauf und irgendwann hat er dann verkündet, dass er mich heute zu einem Überraschungstrip entführen will.

 

Zugegebenermaßen bin ich bei dem Wort ‚Überraschung’ noch nie in Jubel und Euphorie-Schreie ausgebrochen. Es macht mir keinen Spaß, nicht zu wissen, was vor mir liegt. Das Leben ist schon unberechenbar genug, weswegen soll ich es dann noch extra darauf anlegen und irgendwelche unbekannten Faktoren künstlich hinzufügen? Erscheint mir irgendwie höchst irrational.

 

Aber weil es Rico ist... Kann es so schlecht ja gar nicht werden. Automatisch muss ich lächeln.

 

Mittlerweile ist schon Nachmittag, aber wir sind heute schon seit halb neun wach. Eigentlich sind wir beide Langschläfer und Couch-Potatoes im Herzen, aber hier gehen wir immer erst ganz spät ins Bett und wachen allen Ernstes von alleine wieder so früh auf.

 

Ich glaube, daran erkennt man erst so richtig, dass man gerade wirklich eine gute Zeit hat. Schlaf ist plötzlich nicht mehr Flucht und Ausruhen von der Realität, sondern pure Zeitverschwendung. Und diese Momente sind selten. Eine verfickte Rarität, ungefähr so wie Suicune von Pokémon.

 

In meinem Leben ist das zumindest so – und das, obwohl ich schon jeden Kontinent bereist, in den teuersten Hotels gehaust und die berühmtesten Leute kennengelernt habe. Das alles hat keine Bedeutung mehr, mein ganzes bisheriges Leben