Image

 

DER RING DER O

1 / 9

 

 

Vom Ziel der Erziehung

 

 

Jürgen Bruno Greulich

 

 

 

Cover: Giada Armani

Copyright: BERLINABLE UG

 

 

Berlinable lädt dich ein, alle deine Ängste hinter dir zu lassen und in eine Welt einzutauchen, in der Sex der Schlüssel zur Selbstbestimmung ist.

Unsere Mission: Die Welt verändern - Seele für Seele.

Akzeptieren Menschen ihre eigene Sexualität, formen sie eine tolerantere Gesellschaft.

Worte der Inspiration, des Mutes, der Veränderung.

Öffne deinen Geist und befreie deine tiefsten Begierden.

 

 

Alle Rechte vorbehalten. Es ist nicht erlaubt, die Inhalte dieses eBooks ohne die ausdrückliche Genehmigung durch den Verlag zu kopieren, weiter zu verbreiten öffentlich vorzutragen oder anderweitig zu publizieren. Änderungen, Satzfehler und Rechtschreibfehler vorbehalten. Die Handlung und die handelnden Personen dieses Buchs sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

Vom Verfall der Werte

 

Die Dämmerung senkte sich über einen Tag, der so belanglos gewesen war wie viel zu viele vor ihm schon. Belanglos jedenfalls für Georg, nicht aber vermutlich für andere Menschen, die er aber nicht kannte und von denen er nichts wusste, womit sie für ihn nicht existent waren. – Nein, Georg war nicht in bester Stimmung. Ziellos schlenderte er durch die Fußgängerzone der auf dem Reißbrett entworfenen Stadt, die seit ihrer Gründung vor vierhundert Jahren am Zusammenlauf zweier Flüsse zu stattlicher Größe herangewachsen war, aber trotz Schloss und Universität den Ruf der schmuddeligen Arbeiterstadt nicht loswurde. Bimmelnd bahnten sich Straßenbahnen ihren Weg durch die Menschenmenge. Viele Leute waren unterwegs, herausgelockt von einem der ersten warmen Frühlingstage. An den jungen Bäumen, die den großen natursteingepflasterten Platz vor der städtischen Bibliothek umstanden, spross zaghaftes Grün, aus versteckt in der Fassade eines Kaufhauses angebrachten Lautsprechern klang Vogelgezwitscher und ein Straßenmusikant spielte auf seinem Saxofon eine verträumte Improvisation.

Und gleich nebenan gab es in einem voll besetzten Straßencafé an einem der runden Tische neben zwei halbwegs eleganten Damen noch zwei freie Stühle. Auf diese wies er fragend, um Höflichkeit bemüht, aber wortlos, und ebenso stumm nickte ihm eine der Damen zu. Er ließ sich nieder und sah, dass die dunkelhaarige pummelige Bedienung einige Tische entfernt von einigen Gästen angeraunzt wurde, weil sie die Bestellung durcheinandergebracht hatte. Sie wirkte reichlich überfordert und würde wohl nicht so schnell bei ihm auftauchen, was aber auch egal war.

„Ist der noch frei?“ Rauchig und warm klang die Stimme der jungen Frau, die auf den Stuhl neben ihm zeigte. Georg nickte und betrachtete sie beiläufig aus den Augenwinkeln. Sie war hübsch, schlank und gut gebaut, bekleidet mit einer Jeans, einem weißen T-Shirt und einer dunkelroten Jeansjacke; ein rötlicher Ton schimmerte aus ihrem schulterlangen braunen Haar und weich war ihr ovales Gesicht mit sinnlich vollen Lippen.

Gehetzt kam die Bedienung an den Tisch, energisch von den beiden Damen herbeigerufen, die sich beschwerten, schon dreimal vergebens nach ihr gewinkt zu haben und nun endlich bezahlen zu wollen. Mit entnervter Miene kassierte das Mädchen sie ab. Trinkgeld bekam sie keines. Die Brünette neben Georg bestellte ein Cola und er auch, um es der Pummeligen einfach zu machen. Manchmal war er ein guter Mensch.

Die Saxofonklänge erstarben, da zwei Polizisten vor dem Musiker standen und seine Konzession sehen wollten. Aus seinem Gestikulieren war zu schließen, dass er keine hatte. Während Georg darüber nachdachte, wie lange es wohl noch dauern würde, bis man auch zum Sitzen in einem Straßencafé oder zum Schreiben von Romanen eine Konzession benötigte, verließen die beiden Damen den Tisch und sehr zu seinem Erstaunen brachte die Bedienung auch schon die Colas herbei. Er folgte dem Beispiel der Brünetten, bezahlte gleich und verzichtete wie sie auf das Wechselgeld, was ihnen ein kleines Lächeln der Pummeligen einbrachte, ehe sie weitereilte zu den nächsten ungeduldigen Gästen. Die Brünette nahm ihr Glas zur Hand und trank einen Schluck. – Wie elektrisierte starrte Georg auf den Ring, den sie am rechten Zeigefinger trug. Er war aus geschwärztem Silber, aufgesetzt war eine Kugel, daran befestigt ein kleiner metallener und beweglich gelagerter Reif. Noch nie hatte er jemanden einen solchen Ring tragen sehen, seine Bedeutung aber, die kannte er wohl.

Das Anbaggern von Frauen war keine Spezialität Georgs, schon gar nicht von Frauen, die schätzungsweise fünfzehn Jahre jünger waren als er; ganz fraglos aber war dies hier ein Sonderfall. Er hob den Blick und räusperte sich. „Ist interessant, der Ring.“

Erschrocken schaute sie ihn aus großen braunen Augen an, schweigend und wie ertappt.

„Es ist der Ring der O, nicht wahr?“

Leise Röte puderte ihre Wangen und wie ein Hauch wehte ihre Gegenfrage zu ihm herüber. „Sie kennen ihn?“

Er versuchte sich an einem Lächeln, das vermutlich misslang und er zum Glück nicht sehen musste. „Du kannst mich ruhig duzen. Und du weißt ja sicherlich, dass die Trägerin eines solchen Rings jedem Mann, der seine Bedeutung kennt, zur Verfügung stehen muss.“

Das Rot auf ihren Wangen vertiefte sich und entsetzt schüttelte sie den Kopf. „Nein. Das war vielleicht früher so … jetzt nicht mehr …“

Früher, natürlich … Das wäre nun wirklich ein sehr geeigneter Moment für ein wehmütiges Lamento über den Verfall der Werte gewesen. Wenn … ja, wenn es ein solch seliges Früher jemals gegeben hätte. Erneut versuchte er sich an einem Lächeln. „Früher war’s leider auch nicht so. Nur im Roman. – Hast du ihn schon mal gelesen?“

„Ja … Er ist unendlich traurig … irgendwie schrecklich …“