Für die echten Mühlenkinder (ohne Mühle), die natürlich alle Abenteuer wirklich erlebt haben oder noch erleben werden, das weiß man nicht genau.

Kapitel 1

Wenn der Wind aus Nordosten weht, erwacht die Mühle.

Das war schon immer so.

Die alten Flügel drehen sich wieder, wie zu Zeiten der Märchen, und wir wissen, dass etwas geschehen wird. Dann kauern wir uns am Kamin zusammen, streicheln die Katze und sagen ihr: Morgen wird alles anders sein.

Wir spüren, alle vier, dass das Abenteuer auf dem Weg zu uns ist.

Vielleicht wird es noch so sein, wenn wir alt und grau sind und dauernd unsere Brillen verlegen.

Jetzt sind wir nicht alt und grau.

Ich heiße Liv, und ich bin acht Jahre alt. Die meisten Leute halten mich für einen Jungen, weil meine Haare so kurz sind und ich immer Jeans und Hemden anhabe und ständig auf Bäumen sitze, aber ich bin ein Mädchen. Wie wir alle.

Wir sind vier: Marit ist schon elf, Jorunn ist drei, und Tuuli gilt nicht, die lernt gerade erst sprechen. Aber acht ist genau das perfekte Alter, finde ich. Als die Sache mit dem Fluss passierte, war ich gerade acht geworden. Ein paar Geburtstagskuchenverzierungsreste steckten noch in den Dielenritzen.

Und der Wind wehte also aus Nordost.

 

»Hört ihr es?«, flüsterte Marit. »Fühlt ihr es?«

Es war schon dunkel draußen, eine tiefblaue Frühlingsdunkelheit, und Papa hatte Feuer in dem alten Ofen gemacht, weil das Gas für die Gasheizung alle war.

»Die Flügel der Mühle drehen sich wieder«, flüsterte ich.

»Dehn«, sagte Tuuli. »Da.«

Und sie zeigte auf die Porzellantänzerin der alten Spieluhr, die auf dem Kaminsims stand. Papa hob sie hoch, damit sie die Spieluhr aufziehen konnte, sodass sich auch die Tänzerin drehte, rings und ringsherum, zu der schnarrenden Melodie.

Wir haben sie irgendwie geerbt, sie hat einen winzigen roten Mund und eine kleine silberne Krone auf ihren schwarzen aufgemalten Haaren, und ihr eines Bein streckt sie für immer steif in die Luft.

Plötzlich lief ein Ächzen und Beben durch die Mühle, und die Spieluhrtänzerin kippte vom Kaminsims.

Papa fing sie gerade noch auf.

Sie sah richtig lebendig aus, wie sie da in seiner Hand lag, als sähe sie uns an mit ihren großen, dunklen Mandelaugen.

»Die Mühle zittert«, sagte Jorunn und drückte ihren alten Stoffhasen an sich. »Sie zittert mit den Flügeln wie ein fliegender Fisch.«

»Wenn sie mal nur nicht wegfliegt«, sagte Papa und stellte die Tänzerin neben das Buch, das er uns bis eben vorgelesen hatte (es war die Art Buch, die man Kindern mit drei oder vier oder auch sechs Jahren noch nicht vorlesen darf, weil sie zu unheimlich ist und dunkle Wälder und alte Häuser darin vorkommen, aber genau diese Art von Buch wollen wir alle haben).

Nein, wegfliegen durfte die Mühle nicht. Sie war unser Zuhause. Papa und Mama hatten sie gekauft und wollten sie umbauen, aber irgendwie reichte das Geld nie. Meistens war es alle, genau wie das Gas. Während wir tagsüber im Dorf in der Schule saßen, wohin man erst mit dem Bus fahren musste, saß Papa oben in der Mühle an seinem Schreibtisch und schrieb Geschichten, wilde, unheimliche und grauenvoll schöne Geschichten, aber leider wollte niemand sie kaufen.

»Zeit zum Schlafengehen«, sagte Mama und trocknete ihre Geschirr-abwasch-Hände an der Katze ab, weil sie zu müde war, um die Katze vom Handtuch unterscheiden zu können.

Mama telefoniert den ganzen Tag in einem Büro mit Leuten, die sich beschweren. Dafür bekommt sie Geld, aber sie bekommt auch müde Augen.

Ich finde nicht, dass es schlimm ist, wenn das Geld alle ist. Mama könnte ruhig weniger arbeiten, auch wenn es dann noch weniger Geld wäre, denn wir haben ja die Mühle, und wir haben Papas Geschichten und das Feuer im Kamin, und wir haben den wilden Garten draußen und den wilden Wald und die Felder und den Fluss, der bis ins Meer fließt: alles für uns. Manchmal passieren Dinge dort, die würdet ihr nicht glauben.

Aber zu laut sollte man nicht von ihnen reden, das habe ich schon gemerkt, sonst wird man für verrückt erklärt, und sie lachen einen in der Schule aus.

»Die Flügel von der Schrottmühle«, sagen sie, »können sich gar nicht drehen, und ändern würde es sowieso nichts! Ihr seid alle verrückt da draußen in eurem Biberkaff, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, das weiß ja jeder, dass ihr verrückt seid.«

Das waren wir nicht, die Dinge passieren wirklich, aber ich erzähle den Kindern in der Schule nicht mehr davon. Es ist vielleicht besser für sie, wenn sie manches nicht wissen, sonst schlafen sie schlecht. Ich nicht, ich meine, ich sitze auch nachts auf Bäumen, aber wir sind anders.

Als wir unsere Zähne putzten, klopfte es an die Tür, drei Mal, sehr dumpf und sehr laut, und draußen heulte der Wind jetzt lauter.

Wir erschraken und schlichen ganz leise in den Flur, in unseren langen weißen Nachthemden, die irgendwie komisch altmodisch sind und die wir gerade deshalb lieben. Sie sind wie Verkleidung. Wir standen alle vier im Flur, weiß bis zu den Zehenspitzen.

»Du musst aufmachen!«, flüsterte ich Marit zu. Marit seufzte, holte tief Luft und öffnete die Tür.

Davor stand ein schwarzer, plumper Schatten in der Nacht. Hinter ihm schnaubte und scharrte etwas, prustete und atmete warme Luft ein und aus.

Tuuli und Jorunn drängten sich an Marit.

Der Schatten lehnte sich halb an den Türrahmen, sah zu uns herab und streckte uns etwas entgegen.

»Guck mal einer an«, sagte er. »Vier kleine weiße Nachtgespenster.«

Dann beugte er sich vor, und dabei fiel ein bisschen Licht von der Straßenlaterne auf sein Gesicht. Es war ein freundliches Gesicht, in das die Fransen sehr schlecht geschnittener brauner Haare fielen.

»Maschek«, sagte Marit. »Wir dachten schon, du wärst wer-weiß-was.«

»Wer denn?«, fragte Maschek.

»Das weiß man ja eben nicht«, sagte Marit.

Maschek ist schon erwachsen, oder fast, und er gehört zu den Verrückten, die hier draußen wohnen. Meistens geht er nicht zur Schule, obwohl er müsste. Er hat einen komischen Fuß, den er beim Gehen nachzieht, und die Leute glauben, er wäre dumm, weil er fast nie redet, sogar sein Großvater glaubt das. Bei dem hilft er auf dem Hof.

Aber Marit sagt, Maschek redet so wenig, weil er in Wirklichkeit jemand anders ist, möglicherweise ein verzauberter Prinz, und weil er seine wahre I-den-ti-tität nicht preisgeben darf.

»Ich bring die Eier«, sagte der geheime Prinz jetzt und hielt den Karton vor sich, in dem die Eier waren. Hinter ihm schnaubte es wieder, aber jetzt begriff ich, dass das Satan war, Mascheks Pferd. Eigentlich gehört es dem Großvater, der eine Art Ponyhof hat, wo Urlauber ein bisschen reiten können, aber nicht die schicke Sorte Hof, sondern mehr die, wo die Pferde neben den Hühnern so herumstehen. »Ihr wolltet doch Eier«, sagte Maschek.

»Legen die Pferde wieder, was?«, fragte Marit. Maschek lachte.

Dann hob er den Kopf, blies sich die Haare aus der Stirn und sah zu den Flügeln der Mühle hinauf.

»Ist wieder Nordostwind, wie?«, fragte er. Wir nickten, und Maschek nickte auch und sagte: »Na, denn passt mal besser auf euch auf, ihr Nachtgespenster.«

Er überreichte Marit den Eierkarton, als wäre es eine Schatulle mit einem geheimen Zauber darin, nickte noch einmal und schwang sich auf Satan, um in die Nacht davonzureiten. Denn reiten kann er wie der Teufel, dieser Maschek.

Komisch, es war, als wüsste er genau, was passieren würde.

 

Als ich im Bett lag, nachdem Mama und Papa gekommen waren, um noch ein Lied mit uns zu singen und Gute Nacht zu sagen, da fühlte ich sie deutlich, die unerklärliche Macht, die uns ergriffen hatte – dunkelblau wie der Abend –, die sich mit dem Nordostwind im verwilderten Garten erhob und die ganze Mühle einhüllte. Sie hüllte Papa ein, der an einer der Geschichten schrieb, die keiner drucken wollte. Sie hüllte Mama ein, die am Küchentisch saß und malte, weil sie eigentlich gern Malerin geworden wäre. Sie hüllte auch Marit ein und mich und die beiden Kleinen und den alten Stoffhasen. Die blaue Macht hüllte die ganze Mühle ein und den Fluss und die Bäume, und langsam, langsam begannen die Dinge sich zu verändern. Sie waren schon auf dem Weg, etwas Neues zu werden, nur waren sie selbst noch nicht sicher, was.

Kapitel 2

Am nächsten Morgen erwachte ich davon, dass das Licht anders durch die Fenster schien als sonst. Ich spürte, halb im Traum noch, wie Mama mir einen Kuss gab.

»Schlaf noch ein bisschen weiter, meine große kleine Liv«, sagte sie. »Heute ist keine Schule, aber ich muss arbeiten. Passt auf euch auf.« Sie roch nach Mama und doch nicht nach Mama, es war seltsam, sie roch nach einer Mischung aus ihrem Parfum und wilden Rosen, wie Helden sie an einem Bach in einer Geschichte finden, aber nur an Abenden, an denen ein Sturm aufzieht.

Als ich zu ihr aufblinzelte, sah ich sie nicht richtig, weil sie vor dem Fenster stand, durch das das Licht kam. Ich sah, dass sie schön aussah, wie Mama und doch nicht wie Mama, irgendwie glänzender und funkelnder. Und dann war sie fort, und ich hörte, wie sie sich über Marits Bett beugte, wobei ihr Kleid raschelte, und flüsterte: »Schlaf noch ein wenig weiter, meine große kleine Marit.«

Dann war sie fort, in einem Rauschen wie von Vogelschwingen, und ich sank zurück in einen Traum aus Licht und Rosen, und als ich schließlich richtig aufwachte, war die Sonne schon ein ganzes Stück höher gewandert und blendete mich nicht mehr. Ich setzte mich im Bett auf und sah zum Fenster hinüber, vor dem ein sturmzerrissener Wolkenhimmel lag.

Das Fenster lief oben in einem Bogen spitz zu, sein Rahmen war aus Marmor, und auf dem breiten steinernen Fensterbrett, das mehr eine Nische war, kauerte Marit mit angezogenen Knien und sah ebenfalls hinaus.

Ich schluckte. Ja, er hatte die Mühlenflügel gedreht, der Wind aus Nordost, die ganze Nacht über, und nun hatte die Mühle sich also entschieden, was sie sein wollte. Und es war schön, aber es war auch unheimlich, denn hinter der Schönheit lauerte etwas Dunkles, Unbestimmtes. Während ich mich umsah, hatte ich das Gefühl, dass dies wieder einer der Tage war, an denen wir in Schwierigkeiten geraten würden.

Die Decke des Zimmers war hoch und mit Bildern von Gärten und Mauern und Menschen bemalt, die in altmodischen Seidengewändern an Säulen lehnten oder im Gras knieten und an Blumen rochen, und die Möbel waren dunkel und voller Schnitzereien; mein Kleiderschrank ragte so hoch auf wie ein Turm, und sein Schlüsselloch hatte sich in ein geschnitztes Auge verwandelt.

Das Netz voller bunter Stofffische, das sonst über meinem Bett hängt, war zu schweren Brokatvorhängen voller goldener Troddeln geworden, und die Füße des Bettes hatten Krallen wie Löwenpfoten.

Marit drehte sich zu mir um und lächelte. Sie trug ein dunkelgrünes Seidenkleid, das an ihr hinabfloss wie ein nur halb gezähmtes Gewässer; oben war es mit silbernen Haken geschlossen und sehr eng, und der Kragen, der ihr bis zum Kinn reichte, war innen mit weißen Rüschen gefüttert. Ihr rotblondes Haar hatte sie zu vielen kleinen Zöpfen geflochten und sie alle hochgesteckt, während ich geschlafen hatte. Um die Stirn trug sie einen Silberreif, um den sich eine Efeuranke wand. Wahrscheinlich waren die Efeublätter auch aus Seide, aber sie sahen so echt aus, als wären sie aus den Haaren meiner Schwester gesprossen, und ich schüttelte mich.

»Du bist also auch endlich wach«, sagte Marit. Wenigstens ihre Stimme klang genauso wie immer.

»Die Mühle …«, begann ich. »Was … ist sie?«

Marit erhob sich, und ihr Kleid raschelte und rauschte wie das von Mama, als sie gegangen war.

»Ein Schloss«, antwortete Marit. Sie stieg vom Fensterbrett und drehte sich mitten in dem riesigen Raum, den ein kalter Luftzug durchwehte. »Wir leben in einem Schloss.«

»Es ist sehr schlecht geheizt«, sagte ich und nieste.

Marit drehte noch eine Pirouette, und als sie die Arme über den Kopf erhob, brachte die aufgewirbelte Luft die kleinen Kristalle an dem Kerzenlüster hoch über ihr zum Klingeln.

»Für einen Tag sind wir Königstöchter«, wisperte Marit feierlich in das Klingeln hinein. Und ich hörte, wie sehr ihr das gefiel.

Sie spielte manchmal, dass sie reich war und einkaufen ging, sie sprach mit sich selbst dabei und sagte Dinge wie: »Diese Handtasche steht Ihnen aber gut, Madam – ja danke, sie passt zu meinem Teint, ich weiß«, und wenn ich sie bei diesem Spiel erwischte, war es ihr furchtbar peinlich, weil sie niemals zugegeben hätte, dass sie gerne reich gewesen wäre.

Jetzt öffnete Marit den Kleiderschrank, und ich stand vor einem Wald aus raschelnden Stoffen und Bändern und Haken und Ösen und Rüschen.

»Nimm das blutrote«, sagte Maria. »Oder das meerblaue …«

»Nee«, sagte ich, »ich nehme das hier unten.«

Das hier unten war eine Hose, die auf dem Schrankboden lag, achtlos hingeworfen – oder, dachte ich, aus irgendeinem Grund versteckt. Daneben fand ich ein etwas zerknülltes graues Hemd. Beides war mir zu groß, und ich nahm die goldene Vorhangkordel und benützte sie als Gürtel, ehe ich vor den großen goldgerahmten Spiegel trat.

Was mir entgegenblickte, war ein magerer Junge mit streichholzkurzem Haar, einer etwas spitzen Nase und ein paar vereinzelten Sommersprossen.

»Steck dir wenigstens was Hübsches an«, sagte Marit und hielt mir einen kleinen silbernen Kamm entgegen, besetzt mit kleinen funkelnden Diamanten. »Damit man sieht, dass du eine Königstochter bist.«

»Danke, ich nehm das hier«, sagte ich, nahm einen der alten Degen von der Wand, wo er zur Dekoration hing, und steckte ihn durch meinen Kordelgürtel.

»Liv«, sagte Marit, »du bist schrecklich. Aber ich hab dich trotzdem lieb.« Dann gab sie mir einen Kuss auf die Nase, und dann flog die Tür so plötzlich auf, dass wir beide zusammenzuckten.

Im Flur stand eine kleine, energische Gestalt, die sich vollkommen in ein sternenhimmelfarbenes Kleid verwickelt hatte. Irgendwo in den Rüschen steckte ein Stoffhase fest.

»Dieses Kleiderdings ist gemein und schlau«, beschwerte sich Jorunn. »Ich wollte es anziehen, aber es hat mich angegriffen und versucht, mich zu fressen.«

Marit lachte und schlang ihre Arme um Jorunn. »Außerdem hat sich das Haus um mich herum verlaufen«, erklärte Jorunn, während Marit sie enthedderte und mit dem Silberkamm ihr wirres braunes Haar kämmte, bis es glänzte.

»Los«, sagte sie dann. »Gehen wir das Schloss erforschen. Es gehört uns, ist das nicht fabelhaft? Alles, was in den Räumen ist, gehört uns, und wir können machen, was wir wollen! Es ist ein großes Abenteuer.«

Sie nahm Jorunn an der einen Hand und mich an der anderen, und so rannten wir los, den endlos langen Flur mit seinem roten Teppich entlang.

Ja, dann erforschten wir das Schloss. Wir wanderten durch hohe Hallen und riesige Säle voller Säulen, Flure und Flure und Flure entlang, traten auf Balkons hinaus und blickten über Gärten hin, aber alles, was wir fanden, war alt, verwittert und irgendwie fadenscheinig.

Die Teppiche glänzten stellenweise, so viele Füße waren im Laufe der Jahre darübergelaufen, die Seidentapete hatte Schimmelkolonien, die Spiegel waren angelaufen und beinahe blind. Die meisten Tische und Regale, Kommoden und Schränke waren leer, aber hier und da sah man viereckige oder runde Flecken, als hätte dort einmal etwas gestanden.

Schließlich traten wir unten in eine unglaublich große Küche mit einem Boden aus Steinplatten und einem Tisch in der Mitte, der aussah wie ein Tier aus Urzeiten.

Über einem offenen Kamin hing ein Kessel, aus dem es nach etwas roch, das ich kannte: Grießbrei.

»Das hier muss die Gesindeküche sein«, sagte Marit, die alles über Schlösser weiß. »Hier essen die Bediensteten. Der Speisesaal ist sicher woanders. Vielleicht ist dort ein wunderbares Frühstück für uns aufgetischt, und die Diener sind gerade im Garten, um frische Kräuter …«

»Ich will auch Ei«, sagte Jorunn. »Jetzt.« Sie stieß eine weitere Tür auf, und dahinter befand sich tatsächlich eine lange, lange Tafel. Sie war so leer, als hätte seit Jahrzehnten niemand mehr daran gesessen. Es wäre Platz gewesen für dreißig Stühle, aber es waren nur vier da.

In den schattigen Ecken zwischen Servierwagen und Beistelltischchen schien etwas zu lauern. Vielleicht die Vergangenheit.

»Na, dieses Schloss hat bessere Tage gesehen«, sagte ich. Sonst sagte Mama das über das Auto oder die klemmende Haustür.

»Hasi hat Hunger«, sagte Jorunn kläglich.

Wir kehrten zurück in die Gesindeküche. Marit, die manchmal wie eine Mama sein kann, fand in einer Holzkiste Brot und Butter und etwas Leberwurst, und so setzten wir uns an den klobigen Tisch und aßen. Das heißt, ich saß auf dem Tisch. Ich sitze lieber auf Dingen statt daneben. Es gab auch Wasser in einer Kanne. Und den Rest Grießbrei.

»Vielleicht hat die Köchin ein kleines Kind«, sagte ich. »Für das war der Grießbrei. Sie geht jetzt mit dem Kind spazieren, aber wenn sie merkt, dass wir wach sind, wird sie hereinstürzen und Eier mit Speck für uns braten und untröstlich sein, dass sie nicht schon vorher da war, und sie wird frische Waffeln backen und Kakao über dem Herd kochen und …«

»Guckt mal!«, rief Jorunn und lief zum Fenster, und wir folgten ihr.

Draußen im Garten, zwischen ziemlich verwilderten Kräuterbeeten, ging jemand mit einem Kind spazieren. Aber es war keine Köchin. Es war ein großer Mann mit gebeugtem Rücken und etwas abgewetztem rotem Mantel, ein Mann, auf dessen schütterem Haar, ein wenig schief, ein Goldreif saß.

»Eine Krone«, wisperte ich leise. »Das ist … der König.«

»Nee, Quatsch«, sagte Jorunn störrisch wie ein kleiner Esel. »Das ist Papa.«

»Das ist in diesem Fall wohl das Gleiche«, bemerkte Marit, und dann rannten wir alle zur Hintertür hinaus auf Papa und das Kind an seiner Hand zu. Das war natürlich Tuuli, die in einem weißen Mäntelchen und roten Stiefeln in der Frühlingsluft herumstand und uns schon von Weitem wild winkte.

Als unser Vater Jorunn herumgewirbelt und wieder losgelassen hatte, nahm ich seine Hand und hielt sie kurz ganz fest, und für den Moment fand ich die dunklen Schatten im Schloss nicht mehr so beunruhigend. Papa roch nach Grießbrei und Kaffee und nach den Geschichten, die er ständig schrieb.

Ich ignorierte sie. »Hast du den … Grießbrei gekocht?«, fragte ich. »In der … Dienstbotenküche?«

»Sind ja keine Dienstboten da«, sagte unser Vater und lachte. »Ja. Und jetzt wollte ich ein bisschen an meiner Geschichte arbeiten, aber Tuuli wollte raus.«