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Gerhard Maier

Was kommt auf uns zu?

Biblische Zukunftsperspektiven

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SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

Abkürzungen

1ClemErster Clemensbrief
Augustinus, DCDAugustinus, De civitate Dei/Vom Gottesstaat
EGEvangelisches Gesangbuch
Eusebius, H.E.Eusebius, Historia ecclesiastica/Kirchengeschichte
HTAHistorisch Theologische Auslegung
Irenäus, Adv. haer.Irenäus, Adversus haereses/Gegen die Häresien
Tacitus, AnnTacitus, Annales/Annalen
ThWNTTheologisches Wörterbuch zum Neuen Testament
WA Tr.Martin Luthers Werke, Weimarer Ausgabe, Tischreden

Verwendete Bibelübersetzungen

BIGSBibel in gerechter Sprache
GNBGute Nachricht Bibel
ELBElberfelder Bibel
Einheitsübersetzung
NGÜNeue Genfer Übersetzung
BBBasisBibel Lutheran Study Bible
Zürcher Bibel

Inhalt

Über den Autor

Einleitung

Kapitel I: Die Zukunft der Gemeinde Jesu

1. Die Kirche kann vor der Wiederkunft Jesu niemals ausgelöscht werden

2. Bis zur Wiederkunft Jesu wird seine Gemeinde stets missionarisch bleiben

3. Die Kirche wird aber nicht die ganze Welt für sich gewinnen

4. Die wahre Kirche wird auch in Zukunft von der Irrlehre bedroht

5. Die Gemeinde Jesu geht ins Leiden

6. Die Gemeinde Jesu geht seiner Wiederkunft entgegen

7. Die Gemeinde der Erlösten in der neuen Schöpfung

Kapitel II: Die Zukunft der Welt

1. Die Welt bleibt von Gott geliebt

2. Die Welt der Menschen hat sich mehrheitlich von Gott getrennt

3. Das heißt nicht, dass die Welt religionsloser wird

4. Helfer, die sich anbieten

5. Die Welt wird nicht besser

6. Was wird aus Israel?

7. Der Schluss der Weltgeschichte und der Anfang der neuen Schöpfung

Kapitel III: Unsere persönliche Zukunft

1. Auf der Grenze zwischen Leben und Tod

2. Die Vorgänge beim Sterben

3. Die Vorgänge zwischen Sterben und Auferstehung

4. Die Auferstehung

5. Jesu Wiederkunft und das Gericht

6. Unser Leben in der neuen Schöpfung

Literatur

Lexika und Nachschlagewerke

Quellen

Über den Autor

Prof. Dr. Gerhard Maier, Jahrgang 1937, war Rektor im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen, Prälat in Ulm und von 2001 bis 2005 Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Er ist Autor zahlreicher Kommentare zu einzelnen biblischen Büchern und lebt mit seiner Frau in Tübingen.

Unsichere Zeiten – verlässliche Zukunft

Was bringt uns die Zukunft? Dass kein Mensch diese Frage wirklich beantworten kann, ist klar. Doch Gott ist der Herr der Zeiten – und in seinem Wort, der Bibel, gibt er Hinweise.

Der erfahrene Bibelausleger Gerhard Maier entfaltet biblische Aussagen zu den Themenkreisen

• Zukunft der Kirche

• Zukunft der Welt

• Zukunft des einzelnen Menschen.

Es ergibt sich eine realistische und zugleich hoffnungsvolle Perspektive, die nicht aus menschlicher Sehnsucht, sondern aus Gottes Wort abgeleitet ist.

Einleitung

An der Frage nach der Zukunft kommt niemand vorbei. Selbst die langweilige Urlaubsfrage: »Was machen wir heute?« rechnet mit einem winzigen Stück Zukunft, das man so oder so füllen kann. Und die 40 000 Jahre alten Höhlenmalereien Frankreichs – dienten sie nicht auch dazu, die Hoffnung auf Jagd und Überleben auszudrücken und vielleicht sogar religiös zu festigen? Jedenfalls sind die Grabbeigaben der Völker und Kulturen unübersehbare Zeichen einer Hoffnung auf Künftiges.

Was kommt auf uns zu? Diese Frage eint Kinder und Erwachsene, Große und Kleine, Atheisten und Gläubige, Optimisten und Pessimisten. Meine Bank schrieb mir zum Geburtstag: »Die Zeit sollte immer oberste Priorität haben – Zeit für Begegnungen mit anderen und mit sich selbst. Zeit zum Träumen, zum Lachen, zum Lieben. Zeit zum Leben.« Was für ein Riesenpaket an Hoffnungen! Man kann auch ohne die Bibel voll Hoffnung die ganze Weltgeschichte umspannen, wie es in Lessings Erziehung des Menschengeschlechts 1777 zum Ausdruck kam: »… sie wird gewiss kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch […] das Gute tun wird, weil es das Gute ist.«1 Und man kann mit größtem Erstaunen feststellen, wie weit im westlichen Kulturraum der Einfluss der biblischen Hoffnung reicht. Ich greife in der Deutschen Bundesbahn zu einem Band von Karl May, Im Sudan, und lese dort2: Er habe die »Überzeugung, dass eine unendliche und allbarmherzige Weisheit mich an Ort und Stelle geleitet hat und mich auch weiter führen wird. Wie die winzige Puppe eines kleinen Falters auf der Fläche einer geöffneten Riesenfaust, so liegt der Mensch mit Leib und Seele, mit all seinem Denken und Fühlen, mit all seinem Hoffen und Zagen in der allgewaltigen Hand Gottes, die ihn nicht zerdrücken, sondern zum irdischen Glück führen und dann zur Seligkeit des Himmels leiten will.« Der Evangelische Erwachsenenkatechismus überschreibt einen ganzen Teil mit der Frage: »Wohin geht der Weg3 Man kann das Jenseits radikal leugnen – und doch bleibt für das irdische Leben eine Bindung an die Zukunft. In seinem Buch Ewiges Leben?4 zitiert Hans Küng Bert Brecht: »Lasst euch nicht verführen / Zu Fron und Ausgezehr! Was kann euch Angst noch rühren? / Ihr sterbt mit allen Tieren / Und es kommt nichts nachher.« Doch was geschieht dann noch vor dem Tod?

Eines der besten Bücher, die mir im Blick auf die Zukunftsfrage begegnet sind, ist Die Hoffnung des Menschen von Rudolf Bösinger.5 Er zitiert aus dem Selbstbildnis von Manfred Hausmann: »Jetzt bin ich alt. Und die Angst vor dem Tode hat sich immer noch nicht eingestellt. Aber das Bedenken des Endes spielt nun eine große Rolle in meiner Lebensführung …«6 Was zerbrochene Hoffnung bewirken kann, wird schlagartig klar an der Gestalt Jacksons, eines der Hauptankläger im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. Er beging Selbstmord, »weil die darauffolgende Politik der Mächte die Ideale jenes ›Versuchs zur Welt-Gerechtigkeit‹ zu Spott machten«.7

Zwischen all diesen Lebens-, Rück- und Ausblicken und Versuchen drängt sich immer wieder die Frage hervor: Was kommt auf uns zu? Im Folgenden möchte ich von der Bibel her auf diese Frage zugehen.

Kapitel I:
Die Zukunft der Gemeinde Jesu

Im griechischen Urtext des Neuen Testaments steht das Wort ἐκκλησία (ekklēsía) sowohl für die örtliche Gemeinde als auch für die universale Gemeinde Jesu. Letztere nennen wir normalerweise die »Kirche«, und »Kirche« ist deshalb auch der sachgemäße Begriff in den großen christlichen Glaubensbekenntnissen (Apostolisches Glaubensbekenntnis, Nizänisches Glaubensbekenntnis). Es hat viel Verwirrung gestiftet, dass man die Begriffe »Gemeinde« und »Kirche« gegen den biblischen Sprachgebrauch auseinanderreißen wollte und auf verschiedene geistliche Größen zu verteilen suchte. Ich selber werde mich am biblischen Sprachgebrauch orientieren und deshalb immer wieder beide Begriffe wechselweise gebrauchen.

Die weltweite Gemeinde Jesu, das eben, was wir gewöhnlich »Kirche« nennen, ist schon in ihrer Entstehung ein Wunder. Die Jüngergemeinschaft, die sich nach Jesu Auferstehung und Himmelfahrt bildete, hätte sich gut und gerne als ein »Weg«, eine »Lehrmeinung« oder »Schule« innerhalb Israels bezeichnen können (hebr. däräch, griech. haíresis). Andere haben das in der Tat getan (Apg 24,14). Sie hätte sich auch wie die Pharisäer eine »Genossenschaft«, ihre Mitglieder »Genossen« (chawerim) nennen können. Oder warum nicht eine »Versammlung«, eine »Synagoge« (vgl. Jak 2,2)? Oder eventuell sogar eine »Lehrschule«, hebr. jeschiwah, entsprechend Sirach 51,23. Und nannten sich nicht die Essener eine jachad, eine »Vereinigung«? Die Jünger nannten sich aber ganz bewusst ἐκκλησία. Dieser griechische Begriff taucht schon im ältesten Evangelium, dem Matthäusevangelium, auf (Mt 16,18; 18,17) und wurde offenbar von den Griechisch sprechenden Mitgliedern der christlichen Gemeinde in Jerusalem von Anfang an gebraucht (vgl. Apg 6,1). Diese ἐκκλησία entspricht dem hebräischen qahal, eventuell auch dem aramäischen kenischta8. Der qahal aber ist nichts anderes als die Gemeinde Israels, das alttestamentliche Gottesvolk. Wer sich als ekklēsía bzw. qahal bezeichnet, sagt nichts anderes als: »Wir sind das Gottesvolk«, genauer noch: »das Gottesvolk des Neuen Bundes«. Kein geringer Anspruch der am Anfang so armseligen Jüngerschaft Jesu! Aber gegründet auf seine Worte.9

Ein Wunder auch: Es gab keine Machtkämpfe um die Leitung dieser Kirche – Machtkämpfe, wie sie nach dem Tode Mohammeds entbrannten oder die Geschichte der mittelalterlichen Kirche durchziehen. Nein, die Apostel standen unbestritten an der Spitze der jungen Kirche, und unstreitig war es auch Petrus, dem ihre oberste Leitung zukam. Erst die Irrlehrer mit ihren Machtansprüchen richteten hier Verwirrung an (vgl. Offb 2,14-15; 20-23).

Erstaunlich sodann: Die Glieder dieser Kirche entstammten keinem einheitlichen Milieu, sondern kamen aus vielen Milieus: aus den Pharisäern, den Priestern, den Herodianern, den Zeloten und Zelotenfeinden, Samaritanern, galatischen Kelten, Juden, Proselyten, Griechischsprechenden, Hebräisch- bzw. Aramäischsprechenden, Reichen und Armen. Splitter der aramäischen Ursprungssprache haben sich bis hinein ins Neue Testament erhalten, beispielsweise Abba (d.h. »Vater«; Mk 14,36; Röm 8,15; Gal 4,6), Talita kum (d.h. »Mädchen, ich sage dir, steh auf«; Mk 5,41) oder Maranata (d.h. »Unser Herr, komm!« od. »Unser Herr kommt«; 1Kor 16,22).

Erstaunlich, dass diese Kirche immer wieder zu einem Ort gelebter Liebe wurde. Trotz der vielen Streitereien, die es in allen Gemeinden gab, praktizierte man Vergebung, Absolution und ging den Abweichlern und Abgefallenen nach. Der Kirchenlehrer Tertullian hat dies in seinem Apologeticum um 200 n.Chr. eindrucksvoll beschrieben: »›Seht‹, sagen die Heiden, ›wie sie einander lieben‹ – sie selbst nämlich hassen einander – ›und wie einer für den andern in den Tod zu gehen bereit ist‹ – sie selbst sind eher bereit, einander zu töten.«10 Man kann demnach sagen, dass die Mission der frühen Kirche auf zwei Geleisen fuhr: dem der Verkündigung und dem der praktizierten Liebe.

Kein Wunder, vielmehr ganz selbstverständlich ist es, dass sich innerhalb der Kirche immer wieder die Sehnsucht nach jenen Anfangszeiten regte. Insbesondere dann, wenn der Reformbedarf der Kirche offenkundig wurde. Die »wahre« »apostolische« Kirche wurde dabei Hoffnung und Maßstab, wobei oft in Vergessenheit geriet, dass diese wahre apostolische Kirche Schwerstes zu durchleiden hatte und eventuell der Anhang der Irrlehrer zahlenmäßig die Gemeinschaft der Rechtgläubigen übertraf.

Kein Wunder auch, dass man wieder und wieder eine glänzende Zukunft für die Gemeinde Jesu erwartete. Beispielhaft ist dies für Pietismus und Erweckungsbewegung bei Philipp Jakob Spener11, und zwar im Blick auf die modernere protestantische Theologie, auch die Erwartung Richard Rothes (1799–1867), dass am Ende die Kirche in einem christlichen Kulturstaat aufgehen werde.12 Sie wird als solche unnötig!

Doch was wird aus der Kirche wirklich? Was sagt die christliche Glaubenslehre zu diesem Thema? Vor allem aber: Was sagt die Bibel dazu?

1. Die Kirche kann vor der Wiederkunft Jesu niemals ausgelöscht werden

Es war im Norden Israels, bei Cäsarea Philippi, dem früheren Paneas-Banyas am Fuße des Hermon, dass Jesus einer Gemeinde die Verheißung gab: »Die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen« (Mt 16,18). Oder genauer übersetzt: »Die Tore des Totenreichs werden sie nicht überwältigen.«13 »Nicht überwältigen«: Das heißt hier, Leben und Wirken zu beenden. Zwar sagt die Schrift an mehreren Stellen, dass der Antichrist die Gläubigen »besiegen« wird (Dan 7,21; Offb 11,7; 13,7). Aber das ist etwas anderes. »Besiegt werden« heißt: Die christliche Gemeinde steht in den Augen der Welt als Verlierer da. Aber sie ist deswegen noch nicht leb- und wirkungslos, sie ist damit nicht ausgelöscht. Nein – was Jesus sagen will, ist dies: Vor seiner Wiederkunft kann man seine Gemeinde niemals vernichten, niemals auslöschen.

Wir können heute, nach 2000 Jahren, den Wahrheitsgehalt dieser Worte Jesu überprüfen. Schon im 2. Jahrhundert n.Chr. war die Zahl der Irrlehrer und ihrer Anhänger so groß, dass sie die orthodoxe apostolische Kirche zu überwältigen drohten. Der große Kirchenlehrer Irenäus setzt sich um 180 n.Chr. mit mindestens 21 namentlich genannten Irrlehrern auseinander.14 Doch die Kirche hat alle Strudel der Irrlehre überstanden.

Seit Auferstehung und Himmelfahrt brandeten zudem die Wellen der Verfolgung fast ununterbrochen gegen die Gemeinde Jesu an. Es ist nicht möglich, diese Wellen der Verfolgung zu zählen, weil es einfach zu viele sind. Petrus, Paulus, der Zebedaide Jakobus, Antipas und zahlreiche römische Christen erlitten noch im 1. Jahrhundert das Martyrium.15 Aus den folgenden Jahrhunderten seien nur wenige Beispiele herausgegriffen. Vermutlich im Jahre 156 n.Chr. starb der 86-jährige Bischof Polykarp von Smyrna auf dem Scheiterhaufen.16 Unter dem Philosophen-Kaiser Mark Aurel (161–180 n.Chr.) starben in Gallien, in Vienna und Lugdunum (Lyon) Unzählige für ihr Christusbekenntnis. Ihre Asche wurde in die Rhone gestreut.17 Unter den Berichten, die auf uns gekommen sind, befinden sich auch die Akten der Märtyrer von Scili in Nordafrika, die um 180 n.Chr. für ihren Glauben in den Tod gingen.18 Schrecklich war die Verfolgung unter dem römischen Kaiser Diokletian 303 n.Chr. In einem Bericht19 lesen wir: »Priester und Diakone wurden ergriffen und […] zum Tode geführt […] unerhörte Arten von Martern wurden ausgedacht.« Die frühe Christenheit überlebte auch dies. Erst die Gräuel des Faschismus, des Kommunismus und der Muslime im 20. und 21. Jahrhundert haben diese frühen Verfolgungen noch überboten. Resultat: Die Kirche Jesu Christi konnte weder durch die Irrlehrer noch durch die Verfolger ausgelöscht werden. Jesus behielt mit Matthäus 16,18 recht.

Die Gefahr, ausgelöscht zu werden, kam allerdings noch von anderen Seiten. Es waren nicht zuletzt politische und militärische Unternehmungen im Gang der Weltgeschichte, die das Christentum infrage stellten. Besonders auffällig war die Situation im 7. und 8. Jahrhundert n.Chr. Nach dem beispiellosen Eroberungszug der muslimischen Heere unter den Nachfolgern Mohammeds war das Gebiet, in dem Christen ihren Glauben frei praktizieren konnten, gewissermaßen auf eine kleine geografische Insel zusammengeschmolzen. Die Kirchen in Zentralasien waren praktisch verschwunden. Die afrikanischen Kirchen – mit Ausnahme Äthiopiens und Nubiens – schmolzen rapide ab. Nordeuropa und Osteuropa mit Skandinavien, Polen, Mähren, Ungarn, Russland, dem Baltikum und großen Teilen des heutigen Deutschland hingen noch dem Heidentum an.20 Als die Araber unter Tarik und Abd Ar-Rahman Spanien, Süd- und Mittelfrankreich eroberten, verblieben als freie Gebiete der Christen nur noch Nordfrankreich, England, Italien und das Byzantinische Reich im südlichen Balkan und in der Türkei – wahrhaft eine kleine Insel im Ganzen der Erde. Die Wende kam mit dem Sieg der Franken bei Tours und Poitiers im Jahre 732 n.Chr. Die Araber wurden dadurch hinter die Pyrenäen zurückgeworfen. Das Christentum überstand auch diese wohl gefährlichste Krise in der bisherigen politisch-militärischen Geschichte.

Die Reihe der Gefährdungen ist damit noch nicht zu Ende. Es fehlt beispielsweise die stets virulente Gefahr, dass die Christen sich untereinander selbst auslöschen. Doch davon später.

Wir haben in konzentrierter Form auf die Geschichte des Jesuswortes in Matthäus 16,18 geblickt. Resultat noch einmal: Jesus hat recht behalten. Deshalb rechnen wir auch in Zukunft mit der Erfüllung dieses Jesuswortes. Unser Vertrauen auf seine Wahrheit widerlegt die Angst, die Depression, die Schwarzseherei. Es gibt so etwas wie eine Bestandsgarantie für die Kirche Jesu Christi bis zu seiner Wiederkunft.

2. Bis zur Wiederkunft Jesu wird seine Gemeinde stets missionarisch bleiben

Für Jesus selbst war die missionarische Existenz seiner Gemeinde ein zentraler Punkt. Wie zentral er war, sieht man am schnellsten daran, dass alle biblischen Evangelien mit dem Missionsbefehl schließen. Im Wortlaut heißt es bei Matthäus 28,19-20: »… gehet hin und lehret21 alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe«; bei Markus 16,1522: »Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur«; bei Lukas 24,47: »dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern«; bei Johannes 20,21: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.« Die Mission bis ans zeitliche und geografische Ende der Welt gehört auch zu den Kernelementen der Zukunftserwartung Jesu: »Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen« (Mt 24,14).

Jesu Worte sind Auftrag und Verheißung zugleich. Was er befiehlt, wird kommen.

Im Rückblick zeigt sich eine Missionsgeschichte voller Wunder, aber auch voller Wunden. Eines der größten Wunder ist die rasche Ausbreitung des Christentums in den ersten beiden Jahrhunderten n.Chr. Um 100 n.Chr. gab es christliche Gemeinden in ganz Kleinasien (der heutigen Türkei), in Italien, Syrien, Mesopotamien, Persien, Ägypten, Nordafrika, Äthiopien, an der Schwarzmeerküste, in Griechenland und wohl auch in Frankreich, Spanien und Indien.23 Im 3. Jahrhundert n.Chr. residierten christliche Bischöfe in Trier, Köln, Mainz, Straßburg und Augsburg.

Trotz bedrängender Irrlehren und teilweise starker politischer Hemmnisse haben die orientalischen Kirchen ihren Missionsauftrag treu wahrgenommen, was heute leider nicht mehr genügend gewürdigt wird.24 Zeugnisse dieser Missionstätigkeit sind die bis heute christlichen Staaten Armenien und Georgien sowie die Mar-Thoma-Kirche in Indien. Besonderer Erwähnung bedarf die Mission der Nestorianer, die durch ganz Zentralasien bis nach Westchina und Peking vordrang. Zeugnisse für die Mission der orthodoxen Kirchen sind die Christen in Serbien, Montenegro, Albanien, Mazedonien, Bulgarien, Rumänien, Moldawien, der Slowakei, Ukraine, in Russland bis nach Sibirien. Die römisch-katholische Kirche blieb vom 16. Jahrhundert bis heute die missionarisch aktivste Kirche. Man sehe sich nur einmal die Karten in Tim Dowleys Atlas zur Reformation in Europa25 an.

Nicht einfach zu würdigen ist das Wirken der protestantischen Missionen. Das Problem liegt hier – im Groben gesprochen – darin, dass Einzelpersönlichkeiten und bestimmte Gruppen für den Missionsauftrag brannten, während Kirchenleitungen und Fakultäten häufig die Mission strikt ablehnten. Typisch ist hier das Schicksal, das Justinian von Welz (oder Weltz, 1621–1668) widerfuhr.26 Dieser machte mehrfach Vorstöße beim Reichstag in Regensburg, um die evangelischen Reichsstände für den Missionsgedanken zu gewinnen. Doch namhafte Theologen, selbst der berühmte Johann Gerhard (1582–1637), lehnten eine evangelische Mission ab. Entscheidendes Gewicht bekam die Stellungnahme der Theologischen Fakultät in Wittenberg vom 24. April 1652. In dieser ihrer Stellungnahme sprach sich die Fakultät grundsätzlich gegen eine evangelische Mission aus. Sie machte dabei fünf Gründe geltend:

1. Es sei ja schon allen Menschen gepredigt worden, und zwar durch Adam, Noah und die Apostel.

2. Der Missionsbefehl Jesu habe nur den Aposteln gegolten.27

3. Die Apostel hätten diesen Missionsbefehl tatsächlich schon erfüllt.

4. Die Heiden seien ungehorsam und undankbar gewesen, weshalb ihnen das Evangelium wieder genommen wurde.

5. Es gäbe in allen Erdteilen Christen, von denen die Heiden, wenn sie nur wollten, das Evangelium hören könnten.

Justinian von Welz konnte die Ablehnungsfront, die sich gegen ihn gebildet hatte, nicht überwinden. Daraufhin reiste er auf eigenes Risiko über Holland nach Surinam (Südamerika). Die letzte Nachricht, die wir von ihm besitzen, besagt, dass er 1668 von wilden Tieren zerrissen wurde.

Da sich Kirchenleitungen und Fakultäten gegen eine evangelische Mission sperrten, blieb erweckten Christen in solchen protestantischen Staaten nur der Weg, sich zu Missionsgesellschaften zusammenzuschließen. Dieser Weg wurde auch seit dem 18. Jahrhundert n.Chr. zunehmend beschritten. Vor allem britische, amerikanische und deutsche Missionsgesellschaften wurden gegründet, mit Spendengeldern ausgestattet, mit Liebe und Gebet begleitet. Unzählige junge Menschen stellten sich im Verlauf von drei Jahrhunderten in ihren Dienst. Über die Missionen kamen oft erste Nachrichten von Völkern und neuen Ländern in die Heimat zurück. In erstaunlich großer Zahl entstanden jetzt Wörterbücher und Grammatiken bisher unbekannter Sprachen. Viele Missionare und Missionarinnen opferten ihr Leben. Missionsgeschichte war weithin Leidensgeschichte. Den europäischen Handelskompanien und Kolonialmächten waren sie oft ein Dorn im Auge, weil sie deren Gewinn- und Durchsetzungsinteressen im Wege standen.

Insgesamt blieb das Verhältnis des Protestantismus zur Mission ein gespaltenes. Dennoch zeigt auch hier ein Blick in die Geschichte, dass sich Jesu Auftrag zur Mission wunderbar erfüllt hat. Wenn wir in diesem Kapitel auf die Zukunft der Gemeinde schauen, dann rechnen wir auch in dieser Zukunft mit der Erfüllung des Missionsbefehls.

Für die Gemeinde bleiben dabei drei Elemente wesentlich. Das erste besteht im Angebot des Evangeliums (vgl. wieder Mt 24,14). Die Verkündigung, dass Jesus der Messias und der Sohn Gottes ist, wird an allen Orten geschehen (Joh 20,31; Apg 1,8). Das zweite Element wird das Werben darum sein, dass alle Menschen Jünger Jesu werden (Mt 28,19). Das Bekenntnis »Jesus ist der Herr«28 (1Kor 12,3) wird das Bekenntnis aller Gewonnenen sein. Das dritte Element ist die Tat der Liebe (Joh 13,35; 2Kor 5,14). Von Anfang an fuhr ja die christliche Mission auf diesen beiden Geleisen: Verkündigung und Liebe. Fehlt eines der genannten Elemente oder fehlen gar alle drei, dann handelt es sich nicht mehr um eine christliche, sondern höchstens um eine humanitäre Mission.

Wer die heutige Diskussion verfolgt, vermisst vielleicht den Hinweis auf das Vorbild, das wir Christen abgeben könnten, um andere Menschen zu gewinnen. Oft hört man Sätze wie: »Ich möchte so vorbildlich leben, dass andere nach meinem Glauben fragen.« Das Problem ist, dass sich in solchen Sätzen Wahres und Falsches mischen. Wahr ist, dass unser Leben und unser Tun dem nicht widersprechen soll, was wir sagen. Deshalb praxis pietatis